Wer ahnt schon, dass die Petersilie, Königin des Abstandhaltens, uns in Pandemiezeiten als Vorbild dienen kann? Oder dass der Rhododendron eine der allerältesten Drogen enthält und das Alpenveilchen gar kein Veilchen ist, sondern ein Geheimagent?
Monika Geier porträtiert 30 mehr oder minder vertraute Gewächse, enthüllt hier und da ein Gartengeheimnis und geht botanischem Heldinnen- und Gangstertum nach. Was steckt an Märchen und Geschichten hinterm üblen Ruf der fiesen Flora – mehr als Rausch und Vorurteil?
Mit Illustrationen von Monika Geier.
Monika Geier, geboren 1970, veröffentlichte bei Ariadne bislang acht Kriminalromane. Außerdem schreibt und illustriert sie eine monatliche Giftpflanzenkolumne für die »Pirmasenser Zeitung«, aus der dieses Buch hervorgegangen ist. Ihre Leidenschaft für die Natur wurde früh von der Verwandtschaft geweckt (Waldexkursionen mit Opa) und sinnvoll genutzt (Gartenarbeit bei Tante Sophie). Heute lebt sie in der Südwestpfalz und besitzt einen großen, wilden Garten, in dem sich mehrere giftige Gewächse angesiedelt haben.
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Für Tante Sophie
Monika Geier
Voll Fiese Flora
Einheimische Giftpflanzen schwesterlich betrachtet
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Wenn der Winterling erwacht, muss er den Eindruck haben, er sei die einzige Blume auf der ganzen Welt. Rund um ihn herum nur totes Laub, kahle Gehölze, Minustemperaturen und hie und da mal ein Schneeglöckchen. In diese Welt hinein blüht der Winterling. Ein Einzelgänger ist er trotzdem nicht, denn er hat Familie. Mit der bildet er einen Teppich aus kleinen gelben Blüten mit lustigen Blattmanschetten drum herum. Weil er aber so klein ist und seine Blüte nur im Sonnenschein öffnet, sehen wir ihn, wenn überhaupt, meist nur als einen Tupfen Frühlingsgrün im nassen Matsch. Uns, die wir den Sommer und damit Gärten voller Rosen und schattige Wälder kennen, kann ein Winterling nicht übermäßig beeindrucken. Für ihn selbst dagegen besteht sein Leben aus lauter Superlativen: Er ist der Erste, der Gelbste und der Grünste, der Größte und von der Sonne Verwöhnteste, der Attraktivste für alle Bienen, der Duftendste, Fruchtbarste und der Gefährlichste. Tatsächlich hat der Winterling zwei Eigenschaften, die ihm auch im Sommergarten Beachtung einbringen würden: Er duftet sehr angenehm, frisch wie ein Stiefmütterchen, intensiv und weit tragend, allerdings eben nur im Sonnenschein. Und er ist, auch ohne Sonne, höchst giftig. Vor allem der unterirdische Teil, sein Rhizom. Dieses Gift ist bei uns weitgehend unbekannt. Bis auf ein paar Begebenheiten mit verendetem Weidevieh kennen wir keine tödlichen Fälle, auch hier befindet sich der Winterling zu weit unterm Radar. Von einer langen mörderischen Kulturgeschichte, wie sie etwa die Tollkirsche besitzt, ist er weit entfernt.
Ich glaube, der Winterling ist einer, der vom Sommer träumt. Und das mit großer Intensität, mit der Ahnung von Wärme und Farben, von Fröhlichkeit und dem Wissen, worauf es ankommt. Nicht jede Pflanze kann so wunderbaren Duft erzeugen und auf frostigem Boden ein lichter Frühlingsgarten sein. Leider aber ist es zu heiß für ihn, wenn die Party im Sommer wirklich losgeht. Dann muss er sich gifterfüllt in die Erde zurückziehen. Weil er der Größte eben nur im Winter sein kann.
Wir kennen es als Saisonware, um nicht zu sagen: als Wegwerfpflanze. Für die meisten ist es nur ein getopfter Blumenstrauß, grellfarbig, billig produziert, in jedem Supermarkt zu haben. Tausende davon werden auf unseren Fensterbänken dem Winter als Abwehrzauber vorgehalten, dann aber im wirklichen Frühling doch entsorgt. Ein trauriges Schicksal? Vielleicht.
Eventuell ist es aber auch nur eine Tarnidentität.
Denn dieses Gewächs ist ein Grenzgänger, ein Wesen, das viele Namen hat und sein Leben in Übergangsstadien verbringt. Seine platte, scheibenförmige Knolle liegt auf der Erdkrume, halb im Boden, halb in der Luft, haargenau zwischen den Elementen. Schon sein gebräuchlichster Name, Alpenveilchen, ist eine Täuschung, denn eigentlich ist es kein Veilchen, sondern eine Primel, und es wächst nur sehr vereinzelt in den Alpen. Außerdem heißt die Pflanze noch »Saubrot«, weil ihre Knolle beliebt bei Wildschweinen ist. Aber auch dieser Name ist trügerisch, denn die Knolle ist in Wahrheit giftig und wird wirklich nur von Schweinen vertragen. Überhaupt ist das Gift des Zyklamens nicht sehr bekannt, aber unglaublich effizient. Wenn es in die Blutbahn gelangt, ist man verloren. Keine Substanz wirkt so auflösend. Darum wurden die Knollen früher als Tollköder benutzt. Wenige Stücke davon, zerhackt oder aufgebrochen in ein ruhiges Gewässer geworfen, betäuben dort alle Fische, die dann einfach von der Oberfläche abgesammelt werden können.
So. Wenn das aber alles nur Tarnidentitäten sind, wo ist dann die echte? Gibt es die überhaupt? Oder ist wie bei einem Geheimagenten außer den Waffen alles gelogen?
Ich weiß es nicht. Aber ein ganz alter Name des Zyklamens lautet Erdnabel. Das ist für mich der schönste. Denn er hört sich ein bisschen so an, als ob unser Globus sich in jeder dieser seltsamen Knollen spontan einen Mittelpunkt schaffen könnte. Und vielleicht tut er das ja ab und zu. Aus irgendwelchen universalen Weltlenkungsgründen.
Am Ende sogar auf meiner Fensterbank.