Sagen und Legenden aus dem alten Trier

Sagen und Legenden aus dem alten Trier

Mario Junkes

Regionalia Verlag

Inhalt

Einleitung

Trier – meine Heimatstadt

Geburt und Aufwachsen, Schule und Reife, Beruf und Berufung, Familie und Freunde, Freude und Leid, Leben und Erleben

Das Rom nördlich der Alpen

Augusta Treverorum – Stadt des Augustus im Land der Treverer

Eine Sage aus dem vor-römischen Trier

Das Babylon nördlich der Alpen?

Teil I – Trebeta und die sagenhafte Gründung Triers

Teil II – Von Euphrat und Tigris an Rhein und Mosel

Teil III – Trebetas Vermächtnis

Sagen aus dem römischen Trier

Mit Schwert und Schild für den Kaiser, beim Jupiter!

Gaius Julius Cäsar und sein Trierer Saddam Hussein

Die Sage, wie das Trierer Land unter Römerherrschaft kam

Die Rache des Mörders

Arimaspes und Eptes

Eine Wette um Leben und Tod

Die Sage vom Kaskeller

Das goldene Kalb und der wachende Drache

Noch eine Sage vom Kaskeller

Römer bewässern mit rauschendem Riesling

Zwei Sagen von der römischen Wasserleitung Trier-Köln

Cloaca Planetarum

Die Sage vom Fisch im See

Der brutalstmögliche Christenverfolger

Die Legende von Statthalter Rictius Varus – Teil I

Ein blutiges Schlachtfest zu Trier

Der Untergang der Thebäischen Legion – Rictius Varus Teil II

Vom Statthalter zum Stadtgeist

Die Legende von Rictius Varus und seiner Bekehrung – Teil III

Vom Stadtgeist zum Naturschützer

Die Legende von Rictius Varus – Teil IV

Der Kaiser träumte, sah und siegte

»In diesem Zeichen wirst Du siegen«

Es stand nicht im Bauplan

Das Gespenst im Konstantinischen Palast

Von Dalmatien über Trier nach Bethlehem

Die Hieronymushöhle zu Trier

Kaiser gegen Bischof. Das weltliche Reich gegen das himmlische. Wer wird siegen?

Ein unerwartetes Duell im Amphitheater

Suche und Du wirst finden

Legenden der Heiligen Helena – Teil I: Das Kreuz Jesu Christi

Legenden der Heiligen Helena – Teil II: Der Heilige Nagel des Kreuzes

Spiel mir das Lied vom Spiel

Eine Sage vom Ende des römischen Triers

Sagen aus dem christlichen Trier

Mit Gottes Hand und Gottes Segen durch den Südwesten Deutschlands. Halleluja!

Agent Eucharius 001: Liebesgrüße aus Rom

Von Petrus gesandt, in geheimer Mission: die Legenden der Trierer Bischöfe Eucharius, Maternus und Valerius

Teil I – Eucharius erweckt Maternus mit Petrus’ Stab zum Leben

Teil II – Eucharius verkündet das Evangelium

Teil III – Bischof Eucharius erweckt Albanas Sohn zum Leben

Teil IV – Die Geburt des Stadtteils Olewig

Teil V – Valerius wird neuer Bischof

Teil VI – Maternus wird neuer Bischof

Teil VII – Die Maternus-Wunder

Teil VIII – Das Vermächtnis von Eucharius, Valerius und Maternus

Gottes Wege, unergründlich sie sind

Die Sage von Sankt Rusticus und Sankt Goar in Trier

Das Trojanische Fass

Zwei Sagen über Erzbischof Poppo

Das Popponische Pferd

Eingemauert in der Porta Nigra

Simeon von Trier und die Wunder nach seinem Tod

Trier = Neu-Sodom?

Die flammenden Kreuze

»Einmal Forelle für den Bischof!«

Die Seelenqual des heiligen Mannes

Des Mönchen Wille ist sein Himmelreich

Der eingemauerte Mönch

Der Bischof, die Frau und die Heilquelle

Der geheimnisvolle Wassersalamander

Auch Bischöfe sind nicht gefeit gegen weltlich’ Gier und Neid

Eine weitere Legende vom Heiligen Nagel des Trierer Doms

Das weiße Kreuz

Das Kloster Sankt Marien und der eingemauerte Mönch

Der süß duftende Heilige

Die Wunder des Sankt Maximinus zu Trier

Teil I – Die Erscheinung des Quiriakus

Teil II – Das Wunder von Maximinus’ Gruft

Teil III – Der süße Duft des Heiligen

Teil IV – Der unversehrte Leichnam

Teil V – Die Wunder des Maximinusgrabs

Wenn das Kätzchen die Krallen ausfährt

Die Sage vom Zauberring

Mit Speck fängt man die Mäuse, mit Wein Viandener Ritter

Der Moselwein als Burgbrecher

Der Bischof, der Keiler und die Schlange

Das Grab des Milo von Trier

Römischer Soldat, Christ, Bischof, Heiliger

Die Legenden von Sankt Martin

Sankt Martin heilt ein schwerkrankes Mädchen

Sankt Martin vertreibt einen bösen Dämon

Sankt Martin heilt einen Sklaven

Sankt Martin erweckt einen Toten zum Leben

Sankt Martin: schlechter Versteckspieler, Schreck aller Gänse

Auge um Auge, Kreuz um Kreuz

Die Legende der Kreuzigungsgruppe der Abtei Sankt Martin

Aller guten Dinge sind drei

Das Kloster im Krahnen

Ein Becher Trierer Riesling ist ein Kloster wert

Die Legende von Markgraf Alcibiades in Trier

Sankt Mattheis bricht das heidnische Eis

Die Entstehung der Abtei Sankt Matthias zu Trier

Der Teamchef wechselte Matthias ein, Judas musste vom Platz

Die Legende der Gebeine des Apostels Matthias

Wie Müller Lamberts Sohn durch Sankt Matthias errettet wurde

Ein Ungläubiger wird für sein Schmähen bestraft

Der Gelähmte Bezelin wird durch den Heiligen Matthias geheilt

Ein Stummer erlangt von Sankt Matthias die Sprache wieder

Ein Kind wird vom Heiligen Matthias aus einem Brunnen gerettet

Die Kerze von Markgröningen entzündet sich dreimal selbst

Der Heilige Matthias erscheint einer Frau im Traum

Ein ertrunkenes Kind wird durch den Heiligen Matthias gerettet

Ein unschuldig Gefesselter wird durch Sankt Matthias befreit

Der Heilige Celsus von Sankt Matthias

Sankt Matthias heilt ein krankes Mädchen

Wikinger wüteten, Mönche hüteten

Die Legende des Sterns von Sankt Matthias

Der Sankt-Matthias-Stern rettet ein Leben

Die Rettung des Dominikus

Die Trierer Prinzessin auf der Erbse

Die heilige Dienstmagd von Sankt Matthias

Der silberne Löffel

Karl Dickopp, der arme Küchenjunge von Sankt Matthias

Eines Malers unvollendete Sankt-Paulin-Sinfonie

Die Legende vom Engel mit dem hölzernen Bein

»In den Staub mit Christus und der Kirche!«

Das Märtyrerkreuz Sankt Paulin ehrt Triers standfeste Christen

Jähzornig und grausam wie die Herzkönigin

Die vier Steine Sankt Paulins

Ein Heiliger gegen tausende Normannen

Der schwebende Sarkophag des Paulinus

Blut rinnt aus der Erde

Der heilige Boden des Marsfelds

Der gottlose Graf und der herzlose Franzose

Der Märtyrer Tränen

Agnes Dei

Die „Engelspoort“ auf der Weberbach

Guter Rat ist Feuerrad

Die Legende der Mariensäule

Gestern Kaiserlegionär, heute Gottesdiener

Eine Legende des Heiligen Augustinus

Das widerspenstige Wasser

Die Sage vom Eurener Helenenbrunnen

Heilige Worte aus berufenem Mund

Das Willibrorduswunder in Sankt Irminen

Der Schwestern Wunsch war Gott Befehl

Die vergessenen Nonnen von Sankt Symphorian

Knecht Ruprecht für die Vergesslichen

Die Legende von Sankt Nikolaus an der Moselbrücke

Wein ist Trierer Währung

Der Krummelstuhl

Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes

Der Heilige Rock im Trierer Dom

Die Legende von König Orendel und dem Heiligen Rock

Die Legende von Maria und dem Heiligen Rock

Die Legende von Pontius Pilatus und der »Tunika des Nazareners«

Die Legende von der Heiligen Helena und dem Heiligen Rock

Der Mönch, der Schrein und der Heilige Rock

»Wenn ich nur den Saum seines Kleides berühre«

Sagen von Gott und Teufel

Der Allmächtige spielt den Gefallenen nach Belieben aus

Die Lichtgestalt und der Teufel

Die Legenden vom Trierer Dom und dem Domstein

Auch Herr Urians nächster Schuss geht daneben

Die Teufelskirche zu Trier

Beelzebub steigt ab

Die Legende, wie der Teufel aus Trier auswandern musste

Gott schenkt dem armen Teufel einen Ehrentreffer

Der Steinbruch der Liebfrauenkirche

Ohne Spiegelei kein Hähnchen und kein Solei

Der Trierer Drachenturm

Und führe uns nicht in Versuchung

Der Hexenstiefel

Piep, piep, piep – der Bischof hat’s nicht lieb

Die Vögel im Trierer Dom

Sagen und Legenden aus der Neuzeit

In Trier immer das elfte Gebot beachten

Die lieblichste Blume aller Mägde

Die Legende der frommen Helena

Viehhändler Theiß und sein Kuhhandel

Die Sage vom Ochsenkreuzchen

Gib mir fünf

Der Totenkopfmantel

Zweimal direkt auf die Zwölf

Der bestrafte Übermut

Die Trierische Elisabeth

Die Legende der Adelheid von Besselich

Dem Günther Jauch sein Ur-Urgroßonkel

Franz Weißebach. Schalk, Lebemann, Wohltäter, unvergessen

Ein guter Jahrgang Trierer Kranenberger

Wie der Sekt in die Wasserleitungen kam

Eine Legende zu Lebzeiten

Fischers Maathes

Wie das Franzensknüppchen zu seinem Namen kam

Philipp Laven: »Sickingens Kanonenkugel«

Anhänge

Trierer Straßen, benannt nach Hauptpersonen der Sagen in diesem Buch

Literatur- und Quellenverzeichnis

Einleitung

Trier – meine Heimatstadt

Geburt und Aufwachsen, Schule und Reife, Beruf und Berufung, Familie und Freunde, Freude und Leid, Leben und Erleben

Sum ergo sum – ich bin, also bin ich

Motto des Autors

Was Besucherin und Besucher in der Kürze ihrer Zeit nur rasch kosten dürfen, wo ihnen nur ein kleines Nippen, ein verfliegendes Erhaschen gestattet ist, das dürfen Einwohner jeden Tag und jede Nacht aufs Neue erleben.

Willkommen in Trier.

Ob als Urlaub oder im beruflichen Tagwerk, ob zur Muße oder im Studium, ob als Wein und Wahrheit suchender Besucher, ob en passant oder auf dem Nachhauseweg, wir dürfen unsere Schritte auf besonderen Boden lenken, uns mit jeder Bewegung in Historie eingebettet wissen, und wir dürfen mit eigenen Augen erblicken, was Jahrtausende Menschheitswirken haben erstehen lassen. Fakultäten und ihre Kapazitäten dokumentieren und erklären Geschichte auf der Grundlage sachlicher Analyse. Sagenforschung ist kompliziert. Einerseits handelt es sich um Dinge, die den streng definierten wissenschaftlichen Weg verlassen. Andererseits besitzen Sagen und Legenden eine große Bedeutung für die Kultur einer Region. An diesem Schatz können wir heute erkennen, was unsere Vorfahren in einem Maße bewegt hat, dass diese Erzählungen bewahrt wurden. Diese Narrationen erhellen unsere Kultur. Sie helfen uns zu lernen, zu verstehen, und so zu leben, dass es der nächsten Generation vielleicht ein klein wenig besser geht.

Der Autor ist vielen Sagenforschern zu großem Dank verpflichtet. Ohne deren Wirken und wissenschaftlichen Ansatz hätte er es heute bei weitem nicht so leicht, Sagen und Legenden aus dem alten Trier zusammenzutragen. Der Autor verneigt sich insbesondere vor Dr. Johann Georg Theodor Grässe, Dr. Heinrich Karl Daniel Bartholomäus Hessel und dem Namensgeber der Lavenstraße in Trier-Süd, Herrn Philipp Franz Laven. Der Autor hat sich nach besten Kräften bemüht, das überlieferte Werk dieser Menschen zu bewahren und in moderner Sprache mit einer Prise Humor an Sie weiterzureichen. Dieses Buch ist ein reichhaltiges Buffet, doch längst nicht alles fand an der Tafel Platz. Man bediene sich nach eigenem Geschmack.

Nehmen Sie sich Ihre Zeit, lieber lesender Mensch. Wir beide wissen, dass Sie es sich verdient haben. Genießen Sie in Ruhe jede Sage und jede Legende dieser Stadt, die ebenso wie jedes Gebäude, jeder Weg und jede Straße über Jahrtausende entstanden ist. Lassen Sie sich im Goldspeicher der Geschichte die Sagenschätze aufs Haupt prasseln wie Dagobert Duck. Sie halten ein Stück Triers in Ihrer Hand.

Nehmen Sie Teil am Wirken der Stadt, an ihrem Leben und Sterben, an Verfall und Wiederaufbau, an dem Sie lesend und zuhörend teilhaben. In jedem dieser Augenblicke sind Sie Ehrenbürger der Stadt Trier. Ihr ergebener Autor lebt seit vier Dutzend Jahren hier. Keinen Augenblick davon möchte er missen. Es ist ihm eine Ehre, Sie mit auf diese Reise zu nehmen, und gleich zu Beginn möchte er Ihnen ein Geheimnis anvertrauen:

Jedem mit offenen Ohren lauschenden Menschen flüstern die Pflastersteine von Porta Nigra bis zum Viehmarkt, von der Basilika bis zu den Thermen in jedes willig empfangende Herz alles, was man über Mensch und Leben wissen muss.


Danke, dass Sie sind, wie Sie sind.


Bleiben Sie gesund.


Trier, im Januar 2021

Mario Junkes

Das Rom nördlich der Alpen

Augusta Treverorum – Stadt des Augustus im Land der Treverer

Ludit in humanis divina potentia rebus – im Menschlichen spielt göttliche Allmacht

Ovid

Die Geschichtswissenschaft erlaubt es uns, mit Forschung und Vernunft, mit Logik, Analyse und Abstraktion herauszufinden, was sich in der Vergangenheit tatsächlich zugetragen hat. So prägten ab circa 500 vor Christus keltische Stämme das heutige Westdeutschland, und spätestens ab 50 vor Christus lebten die Treverer auf dem heutigen Stadtgebiet Triers. Die Kelten besaßen eine entwickelte Kultur und erreichten gegen 275 vor Christus eine große Ausdehnung in Europa.

Die schriftliche Aufzeichnung zählte vermutlich bewusst nicht zu ihren Stärken, eine Auffassung, die bereits ein kommender, sehender, siegender Gaius Julius Cäsar vertreten haben soll. Nach Sichtung von weit über hundert Büchern kann ihr Autor kein keltisches Sagenmaterial eindeutig der Stadt Trier zuordnen. Immer wieder finden sich gegenteilige Behauptungen, wo jedoch eher der wohlmeinende Wunsch Vater des Gedankens scheint. Das bedeutet nicht, dass in Zukunft nicht vielleicht noch Material gefunden wird. Mündlicher Überlieferung wird hier deutlich die Grenzen aufgezeigt, und deshalb sind keltische Sagen und Legenden Triers sehr wahrscheinlich an die Zeit verloren.


Die meisten von Ihnen kennen sicherlich die nachweisbare Geschichte Triers, denn nicht nur waren die Römer wesentlich schreibfreudiger, sondern hatten außerdem den Vorteil einer wesentlich weiter entwickelten Kultur und waren weniger Attacken durch den Zahn der Zeit ausgesetzt.

Trier wurde von den Römern am 03. März im Jahr 16 vor Christus gegründet. Errichtet als Garnisonsstadt, benannt zu Ehren des Kaisers, ist Trier bedeutendes Zeichen des Reichtums, der Baukunst und der Dominanz einer Supermacht – wie Porta Nigra, Römerbrücke, die Thermen, Amphitheater und Konstantinbasilika belegen. Trier war ein wichtiger Teil des römischen Weltreichs, geprägt von Kaisern, deren Namen jeder Mensch kennt. Augustus und Tiberius, Caligula und Nero, Trajan und Hadrian, Konstantin der Große und Theodosius I.

Im dritten und vierten Jahrhundert lebten hier bis zu achtzigtausend Menschen. Zu dieser Zeit lebten auf der gesamten Welt nur ungefähr zweihundert Millionen. Wäre Trier im Vergleich zur Weltbevölkerung heute noch so groß wie damals, lebten im Trier des Jahres 2020 ungefähr drei Millionen Menschen. Nun verstehen Nicht-Trierer vielleicht, weshalb Einheimische alle Ansammlungen von Menschen größer als zwei beschreiben als »Milljunen Leit«.

Treberis, Treveris, Treviris, Augusta Treverorum, Trèves und schließlich Trier ist seit mehr als zweitausend Jahren Zeugin keltischer und germanischer, römischer und fränkischer, danach römisch-deutscher und schließlich deutscher Geschichte. Doch ist die ehrwürdige alte Dame vielleicht gar noch älter? Wie viel älter? Wer hat Trier gegründet, wenn nicht die Römer?


Vorhang auf für die sagenhafte Gründung Triers, deren älteste bis heute gefundene Aufzeichnung in der Gesta Treverorum (lateinisch, wörtlich: »die Taten der Treverer«) zu finden ist. Die Benediktinermönche der Abtei Sankt Matthias zählen zu den ersten, die in der Gesta systematisch Sagen und Legenden sammelten und aufschrieben. Das war im Jahr 1105.

Sage und lese 915 Jahre später treten wir in ihre Fußstapfen, meine Wenigkeit als schreibender und Sie als lesender Mensch. Viel Vergnügen!

Trier – Weltstadt, eingebettet im Moseltal – die Welt für ihre Einwohner – Welterbe der Jahrtausende, Stadtansicht von Trier in der Schedelschen Weltchronik, Holzschnitt von Michael Wolgemut, Augsburg 1497

Trier – Weltstadt, eingebettet im Moseltal – die Welt für ihre Einwohner – Welterbe der Jahrtausende, Stadtansicht von Trier in der Schedelschen Weltchronik, Holzschnitt von Michael Wolgemut, Augsburg 1497

Eine Sage aus dem vor-römischen Trier

Das Babylon nördlich der Alpen?

Teil I – Trebeta und die sagenhafte Gründung Triers

ANTE ROMAM TREVERIS STETIT ANNIS MILLE TRECENTIS

PERSTET ET AETERNA PACE FRUATUR


Eher als Rom stand Trier eintausendunddreihundert Jahre

Möge es weiter bestehen und sich ewigen Friedens erfreuen

Am Trierer Hauptmarkt, in der Fleischstraße 3, steht ein rotes Haus. Die vorstehende Inschrift befindet sich über der Fensterreihe des ersten Stocks. Trebeta wird hier namentlich nicht erwähnt, doch soll in dem roten Haus lange Jahre ein Gemälde Trebetas gehangen haben, das im zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Die Gesta Treverorum gibt Trebetas Gründungssage folgendermaßen wieder:

Nini Semiramis, quae tanto coniuge felix,

Plurima possedit, sed plura prioribus addit,

Non contenta suis nec totis finibus orbis,

Expulit a patrio privignum Trebeta regno,

Profugus insignem nostram qui condidit urbem,

Treberis huic nomen dans ob factoris amorem,

Quae caput Europae cognoscitur anteritate.

Filius huius Ero, patris haec epigrammata pono.

Zusammengefasst erzählt dieses Gedicht – das vermutlich erstmals in der aus dem elften Jahrhundert stammenden Historia Treverorum erwähnt wurde – Trebeta sei von seiner Stiefmutter Semiramis wegen ihrer Herrschsucht aus dem Reich vertrieben worden. Er habe als Flüchtling die Stadt gegründet und ihr aus Liebe den Namen Trier (Treberis) gegeben. Die Stadt sei als Haupt Europas an ihrem ehrwürdigen Alter erkennbar. Trebetas Sohn Ero habe ihm diese Inschrift gesetzt.

Ein anderes Trebeta-Gemälde befindet sich heute im Stadtmuseum Simeonstift. Das Gemälde ist reichlich beschriftet und erzählt die Legende Trebetas etwas ausführlicher. In der Mitte des Bildes ist der Gründer der Stadt Trier abgebildet. Trebeta, Sohn des Ninus, mit Turban und Königsmantel. Auf seinem Schoß und auf jeder Hand trägt er ein Gebäude mit Türmen. Unterhalb Trebeta sitzt Ninus selbst, mit Königskrone, und den Worten Ninus Rex. Links davon steht ein Merkurbild, das zwischen zwei Magnetsteinen schwebt, rechts ein Jupiter, welcher eine Schale mit emporlodernder Flamme hält. Außerdem befindet sich hinter Trebetas Kopf und in jeder der beiden unteren Ecken ein Türme tragendes Gebäude, sodass im Ganzen sechs solcher Gebäude auf dem Bild vorhanden sind. Oben, über der Mitte des Gemäldes befindet sich ein Wappen mit einer Schleife daran. Auf Letzterer stehen folgende Worte:

Trebeta, vonn Erenn schon

Dregt Trier, die edell Kron

Teil II – Von Euphrat und Tigris an Rhein und Mosel

Der Legende nach stammte Trebeta aus Mesopotamien. Von dort stammt folgendes Sprichwort:

Nam-tar ud huš kalam-ma ri-a –

Das Schicksal ist ein wütender Sturm, der über das Land weht

Mesopotamien war die Heimat König Hammurabis. Unter ihm entstand die älteste heute noch erhaltene Gesetzessammlung. Eines dieser Gesetze kannte bereits den Eichstrich, und als Strafe für unlautere Wirte den Tod. Ordnung muss sein.

Einer der Nachfolger Hammurabis war König Ninus, sagenhafter Gründer der Stadt Niniveh und ein überaus erfolgreicher Feldherr. Das Alte Testament erwähnt Ninus unter dem Namen Nimrod als Urenkel Noahs im Buch Genesis.


Ninus hatte eine Chaldäerkönigin geheiratet, die ihm seinen erstgeborenen Sohn schenkte, Trebeta geheißen. Die erste Gemahlin starb und auch Ninus fand den Tod, als er mit seinem Heer eine Stadt belagerte. Er hinterließ seine neue Gattin Semiramis, den Erstgeborenen Trebeta und Nina, von Semiramis geboren. Nach König Ninus’ Tod wollte Semiramis ihren Stiefsohn Trebeta heiraten. Da dieser sich aber ihrer Absicht widersetzte, ließ sie ihn unnachgiebig verfolgen. Trebeta und sein Gefolge zogen gen Westen, wohl um sich dem Einflussbereich der rachsüchtigen Semiramis zu entziehen. Trebeta musste vermuten, dass man nur auf einem anderen Kontinent Frieden finden würde, da die Fänge der Königin Semiramis offenbar über tausend Kilometer bis vor die Tore Afrikas und Europas reichten.

Der Legende nach zog Trebeta mit seinem Gefolge nach Europa. Es gereichte ihnen sicherlich zum Vorteil, dass sie aus dem zur damaligen Zeit am weitesten entwickelten Teil der Erde stammten. Ihre Bewaffnung, Strategie und Kampfkunst waren vermutlich vielen Gegnern deutlich überlegen. Doch vor viertausend Jahren eine Karawane durch Europa zu führen und dabei ständig auf der Hut zu sein gegen Gefahren von Mensch und Tier, von Natur und Wetter, muss den Reisenden alles abgefordert haben.

Verschiedene weitere Sagen führen mindestens ein halbes Dutzend europäischer Großstädte auf Trebetas Gründung zurück: Basel in der Schweiz, Straßburg und Metz in Frankreich sowie Mainz, Worms und Speyer in Deutschland. Nach langer Wanderung erreichten sie schließlich das Moseltal. Vielleicht betört von der Lieblichkeit der Landschaft, sicherlich aber ermuntert von ihrer Fruchtbarkeit und strategisch günstigen Position, beschloss Trebeta, dort eine Stadt zu erbauen.


Viele Tausende Kilometer sollen Trebeta und sein Gefolge zurückgelegt haben. Kinder, die zu Beginn der Reise im fernen Babylon noch im Bauch ihrer Mütter weilten, waren in Trier Männer und Frauen geworden. Ihre Fertigkeiten waren denen der Einheimischen vermutlich weit überlegen.

Man bedenke zum Beispiel, dass die ehemalige babylonische Heimat nicht nur seit Jahrtausenden einflussreiche Zivilisationen und bedeutende Reiche wie das des Hammurabi oder Sargon von Akkad kannte, sondern auch bereits seit fast anderthalbtausend Jahren verschiedene Formen der Keilschrift benutzte. Eine der ältesten überlieferten literarischen Werke ist das Gilgamesch-Epos.

Teil III – Trebetas Vermächtnis