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Sum ergo sum – ich bin, also bin ich
Motto des Autors
Was Besucherin und Besucher in der Kürze ihrer Zeit nur rasch kosten dürfen, wo ihnen nur ein kleines Nippen, ein verfliegendes Erhaschen gestattet ist, das dürfen Einwohner jeden Tag und jede Nacht aufs Neue erleben.
Willkommen in Trier.
Ob als Urlaub oder im beruflichen Tagwerk, ob zur Muße oder im Studium, ob als Wein und Wahrheit suchender Besucher, ob en passant oder auf dem Nachhauseweg, wir dürfen unsere Schritte auf besonderen Boden lenken, uns mit jeder Bewegung in Historie eingebettet wissen, und wir dürfen mit eigenen Augen erblicken, was Jahrtausende Menschheitswirken haben erstehen lassen. Fakultäten und ihre Kapazitäten dokumentieren und erklären Geschichte auf der Grundlage sachlicher Analyse. Sagenforschung ist kompliziert. Einerseits handelt es sich um Dinge, die den streng definierten wissenschaftlichen Weg verlassen. Andererseits besitzen Sagen und Legenden eine große Bedeutung für die Kultur einer Region. An diesem Schatz können wir heute erkennen, was unsere Vorfahren in einem Maße bewegt hat, dass diese Erzählungen bewahrt wurden. Diese Narrationen erhellen unsere Kultur. Sie helfen uns zu lernen, zu verstehen, und so zu leben, dass es der nächsten Generation vielleicht ein klein wenig besser geht.
Der Autor ist vielen Sagenforschern zu großem Dank verpflichtet. Ohne deren Wirken und wissenschaftlichen Ansatz hätte er es heute bei weitem nicht so leicht, Sagen und Legenden aus dem alten Trier zusammenzutragen. Der Autor verneigt sich insbesondere vor Dr. Johann Georg Theodor Grässe, Dr. Heinrich Karl Daniel Bartholomäus Hessel und dem Namensgeber der Lavenstraße in Trier-Süd, Herrn Philipp Franz Laven. Der Autor hat sich nach besten Kräften bemüht, das überlieferte Werk dieser Menschen zu bewahren und in moderner Sprache mit einer Prise Humor an Sie weiterzureichen. Dieses Buch ist ein reichhaltiges Buffet, doch längst nicht alles fand an der Tafel Platz. Man bediene sich nach eigenem Geschmack.
Nehmen Sie sich Ihre Zeit, lieber lesender Mensch. Wir beide wissen, dass Sie es sich verdient haben. Genießen Sie in Ruhe jede Sage und jede Legende dieser Stadt, die ebenso wie jedes Gebäude, jeder Weg und jede Straße über Jahrtausende entstanden ist. Lassen Sie sich im Goldspeicher der Geschichte die Sagenschätze aufs Haupt prasseln wie Dagobert Duck. Sie halten ein Stück Triers in Ihrer Hand.
Nehmen Sie Teil am Wirken der Stadt, an ihrem Leben und Sterben, an Verfall und Wiederaufbau, an dem Sie lesend und zuhörend teilhaben. In jedem dieser Augenblicke sind Sie Ehrenbürger der Stadt Trier. Ihr ergebener Autor lebt seit vier Dutzend Jahren hier. Keinen Augenblick davon möchte er missen. Es ist ihm eine Ehre, Sie mit auf diese Reise zu nehmen, und gleich zu Beginn möchte er Ihnen ein Geheimnis anvertrauen:
Jedem mit offenen Ohren lauschenden Menschen flüstern die Pflastersteine von Porta Nigra bis zum Viehmarkt, von der Basilika bis zu den Thermen in jedes willig empfangende Herz alles, was man über Mensch und Leben wissen muss.
Danke, dass Sie sind, wie Sie sind.
Bleiben Sie gesund.
Trier, im Januar 2021
Mario Junkes
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Ludit in humanis divina potentia rebus – im Menschlichen spielt göttliche Allmacht
Ovid
Die Geschichtswissenschaft erlaubt es uns, mit Forschung und Vernunft, mit Logik, Analyse und Abstraktion herauszufinden, was sich in der Vergangenheit tatsächlich zugetragen hat. So prägten ab circa 500 vor Christus keltische Stämme das heutige Westdeutschland, und spätestens ab 50 vor Christus lebten die Treverer auf dem heutigen Stadtgebiet Triers. Die Kelten besaßen eine entwickelte Kultur und erreichten gegen 275 vor Christus eine große Ausdehnung in Europa.
Die schriftliche Aufzeichnung zählte vermutlich bewusst nicht zu ihren Stärken, eine Auffassung, die bereits ein kommender, sehender, siegender Gaius Julius Cäsar vertreten haben soll. Nach Sichtung von weit über hundert Büchern kann ihr Autor kein keltisches Sagenmaterial eindeutig der Stadt Trier zuordnen. Immer wieder finden sich gegenteilige Behauptungen, wo jedoch eher der wohlmeinende Wunsch Vater des Gedankens scheint. Das bedeutet nicht, dass in Zukunft nicht vielleicht noch Material gefunden wird. Mündlicher Überlieferung wird hier deutlich die Grenzen aufgezeigt, und deshalb sind keltische Sagen und Legenden Triers sehr wahrscheinlich an die Zeit verloren.
Die meisten von Ihnen kennen sicherlich die nachweisbare Geschichte Triers, denn nicht nur waren die Römer wesentlich schreibfreudiger, sondern hatten außerdem den Vorteil einer wesentlich weiter entwickelten Kultur und waren weniger Attacken durch den Zahn der Zeit ausgesetzt.
Trier wurde von den Römern am 03. März im Jahr 16 vor Christus gegründet. Errichtet als Garnisonsstadt, benannt zu Ehren des Kaisers, ist Trier bedeutendes Zeichen des Reichtums, der Baukunst und der Dominanz einer Supermacht – wie Porta Nigra, Römerbrücke, die Thermen, Amphitheater und Konstantinbasilika belegen. Trier war ein wichtiger Teil des römischen Weltreichs, geprägt von Kaisern, deren Namen jeder Mensch kennt. Augustus und Tiberius, Caligula und Nero, Trajan und Hadrian, Konstantin der Große und Theodosius I.
Im dritten und vierten Jahrhundert lebten hier bis zu achtzigtausend Menschen. Zu dieser Zeit lebten auf der gesamten Welt nur ungefähr zweihundert Millionen. Wäre Trier im Vergleich zur Weltbevölkerung heute noch so groß wie damals, lebten im Trier des Jahres 2020 ungefähr drei Millionen Menschen. Nun verstehen Nicht-Trierer vielleicht, weshalb Einheimische alle Ansammlungen von Menschen größer als zwei beschreiben als »Milljunen Leit«.
Treberis, Treveris, Treviris, Augusta Treverorum, Trèves und schließlich Trier ist seit mehr als zweitausend Jahren Zeugin keltischer und germanischer, römischer und fränkischer, danach römisch-deutscher und schließlich deutscher Geschichte. Doch ist die ehrwürdige alte Dame vielleicht gar noch älter? Wie viel älter? Wer hat Trier gegründet, wenn nicht die Römer?
Vorhang auf für die sagenhafte Gründung Triers, deren älteste bis heute gefundene Aufzeichnung in der Gesta Treverorum (lateinisch, wörtlich: »die Taten der Treverer«) zu finden ist. Die Benediktinermönche der Abtei Sankt Matthias zählen zu den ersten, die in der Gesta systematisch Sagen und Legenden sammelten und aufschrieben. Das war im Jahr 1105.
Sage und lese 915 Jahre später treten wir in ihre Fußstapfen, meine Wenigkeit als schreibender und Sie als lesender Mensch. Viel Vergnügen!
Trier – Weltstadt, eingebettet im Moseltal – die Welt für ihre Einwohner – Welterbe der Jahrtausende, Stadtansicht von Trier in der Schedelschen Weltchronik, Holzschnitt von Michael Wolgemut, Augsburg 1497
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ANTE ROMAM TREVERIS STETIT ANNIS MILLE TRECENTIS
PERSTET ET AETERNA PACE FRUATUR
Eher als Rom stand Trier eintausendunddreihundert Jahre
Möge es weiter bestehen und sich ewigen Friedens erfreuen
Am Trierer Hauptmarkt, in der Fleischstraße 3, steht ein rotes Haus. Die vorstehende Inschrift befindet sich über der Fensterreihe des ersten Stocks. Trebeta wird hier namentlich nicht erwähnt, doch soll in dem roten Haus lange Jahre ein Gemälde Trebetas gehangen haben, das im zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Die Gesta Treverorum gibt Trebetas Gründungssage folgendermaßen wieder:
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Nini Semiramis, quae tanto coniuge felix,
Plurima possedit, sed plura prioribus addit,
Non contenta suis nec totis finibus orbis,
Expulit a patrio privignum Trebeta regno,
Profugus insignem nostram qui condidit urbem,
Treberis huic nomen dans ob factoris amorem,
Quae caput Europae cognoscitur anteritate.
Filius huius Ero, patris haec epigrammata pono.
Zusammengefasst erzählt dieses Gedicht – das vermutlich erstmals in der aus dem elften Jahrhundert stammenden Historia Treverorum erwähnt wurde – Trebeta sei von seiner Stiefmutter Semiramis wegen ihrer Herrschsucht aus dem Reich vertrieben worden. Er habe als Flüchtling die Stadt gegründet und ihr aus Liebe den Namen Trier (Treberis) gegeben. Die Stadt sei als Haupt Europas an ihrem ehrwürdigen Alter erkennbar. Trebetas Sohn Ero habe ihm diese Inschrift gesetzt.
Ein anderes Trebeta-Gemälde befindet sich heute im Stadtmuseum Simeonstift. Das Gemälde ist reichlich beschriftet und erzählt die Legende Trebetas etwas ausführlicher. In der Mitte des Bildes ist der Gründer der Stadt Trier abgebildet. Trebeta, Sohn des Ninus, mit Turban und Königsmantel. Auf seinem Schoß und auf jeder Hand trägt er ein Gebäude mit Türmen. Unterhalb Trebeta sitzt Ninus selbst, mit Königskrone, und den Worten Ninus Rex. Links davon steht ein Merkurbild, das zwischen zwei Magnetsteinen schwebt, rechts ein Jupiter, welcher eine Schale mit emporlodernder Flamme hält. Außerdem befindet sich hinter Trebetas Kopf und in jeder der beiden unteren Ecken ein Türme tragendes Gebäude, sodass im Ganzen sechs solcher Gebäude auf dem Bild vorhanden sind. Oben, über der Mitte des Gemäldes befindet sich ein Wappen mit einer Schleife daran. Auf Letzterer stehen folgende Worte:
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Trebeta, vonn Erenn schon
Dregt Trier, die edell Kron
Der Legende nach stammte Trebeta aus Mesopotamien. Von dort stammt folgendes Sprichwort:
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Nam-tar ud huš kalam-ma ri-a –
Das Schicksal ist ein wütender Sturm, der über das Land weht
Mesopotamien war die Heimat König Hammurabis. Unter ihm entstand die älteste heute noch erhaltene Gesetzessammlung. Eines dieser Gesetze kannte bereits den Eichstrich, und als Strafe für unlautere Wirte den Tod. Ordnung muss sein.
Einer der Nachfolger Hammurabis war König Ninus, sagenhafter Gründer der Stadt Niniveh und ein überaus erfolgreicher Feldherr. Das Alte Testament erwähnt Ninus unter dem Namen Nimrod als Urenkel Noahs im Buch Genesis.
Ninus hatte eine Chaldäerkönigin geheiratet, die ihm seinen erstgeborenen Sohn schenkte, Trebeta geheißen. Die erste Gemahlin starb und auch Ninus fand den Tod, als er mit seinem Heer eine Stadt belagerte. Er hinterließ seine neue Gattin Semiramis, den Erstgeborenen Trebeta und Nina, von Semiramis geboren. Nach König Ninus’ Tod wollte Semiramis ihren Stiefsohn Trebeta heiraten. Da dieser sich aber ihrer Absicht widersetzte, ließ sie ihn unnachgiebig verfolgen. Trebeta und sein Gefolge zogen gen Westen, wohl um sich dem Einflussbereich der rachsüchtigen Semiramis zu entziehen. Trebeta musste vermuten, dass man nur auf einem anderen Kontinent Frieden finden würde, da die Fänge der Königin Semiramis offenbar über tausend Kilometer bis vor die Tore Afrikas und Europas reichten.
Der Legende nach zog Trebeta mit seinem Gefolge nach Europa. Es gereichte ihnen sicherlich zum Vorteil, dass sie aus dem zur damaligen Zeit am weitesten entwickelten Teil der Erde stammten. Ihre Bewaffnung, Strategie und Kampfkunst waren vermutlich vielen Gegnern deutlich überlegen. Doch vor viertausend Jahren eine Karawane durch Europa zu führen und dabei ständig auf der Hut zu sein gegen Gefahren von Mensch und Tier, von Natur und Wetter, muss den Reisenden alles abgefordert haben.
Verschiedene weitere Sagen führen mindestens ein halbes Dutzend europäischer Großstädte auf Trebetas Gründung zurück: Basel in der Schweiz, Straßburg und Metz in Frankreich sowie Mainz, Worms und Speyer in Deutschland. Nach langer Wanderung erreichten sie schließlich das Moseltal. Vielleicht betört von der Lieblichkeit der Landschaft, sicherlich aber ermuntert von ihrer Fruchtbarkeit und strategisch günstigen Position, beschloss Trebeta, dort eine Stadt zu erbauen.
Viele Tausende Kilometer sollen Trebeta und sein Gefolge zurückgelegt haben. Kinder, die zu Beginn der Reise im fernen Babylon noch im Bauch ihrer Mütter weilten, waren in Trier Männer und Frauen geworden. Ihre Fertigkeiten waren denen der Einheimischen vermutlich weit überlegen.
Man bedenke zum Beispiel, dass die ehemalige babylonische Heimat nicht nur seit Jahrtausenden einflussreiche Zivilisationen und bedeutende Reiche wie das des Hammurabi oder Sargon von Akkad kannte, sondern auch bereits seit fast anderthalbtausend Jahren verschiedene Formen der Keilschrift benutzte. Eine der ältesten überlieferten literarischen Werke ist das Gilgamesch-Epos.