Das Notizbuch

Krishnamurti


ISBN: 978-3-96861-235-5
1. eBook-Auflage 2021
© 2019 Aquamarin Verlag GmbH

Titel der Originalausgabe:
Krishnamurti´s Notebook

© 2003 Krishnamurti Foundation Trust, Ltd.
Brockwood Park, Bramdean, Hampshire, SO24 0lQ, England
E-mail: info@kfoundation.org
Website: www.kfoundation.org
Deutsche Übersetzung: Dr. Anne Ruth Frank-Strauss

Umschlaggestaltung: Annette Wagner

Aquamarin Verlag GmbH, Voglherd 1, 85567 Grafing, www.aquamarin-verlag.de

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

Inhalt


 

 

Reisestationen

Ojai, Kalifornien

18. Juni bis 9. Juli

 

London

10. Juli bis 11. Juli

 

Gstaad, Schweiz

12. Juli bis 2. September

 

Paris

4. September bis 24. September

 

Rom und Florenz

25. September bis 18. Oktober

 

Bombay und Rishi Valley

20. Oktober bis 20. November

 

Madras

21. November bis 17. Dezember

 

Rajghat, Benares

18. Dezember bis 20. Januar

 

Neu-Delhi

21. Januar bis 11. Februar

 

Bombay

17. Februar bis 19. März

 

 

In den Jahren 1961 und 1962 hat Jiddu Krishnamurti sieben Monate lang täglich seine Wahrnehmungen und Bewusstseinszustände festgehalten. Das Ergebnis ist eine Art Tagebuch, freilich eins, das sich mit dem alltäglichen Leben kaum beschäftigt. In diesem außergewöhnlichen Buch liegt die eigentliche Quelle seiner Lehren. Krishnamurti überkamen in der Zeit fast jeden Tag sehr ungewöhnliche Geisteszustände. Unter dem Eindruck solcher Erfahrungen schrieb er: Verstehen stelle sich erst ein, wenn der Geist »leer« sei, frei von allem Bekannten; das Wahre liege im gänzlich Unbekannten, das nicht erinnert werden kann.

Die Neuauflage des ›Notebook‹ ist überarbeitet und ergänzt worden. Die Krishnamurti Foundation konnte im Jahre 2000 aus Archivmaterial 32 Seiten mit Krishnamurtis originaler Handschrift sicherstellen, die sich in Datierung und Nummerierung direkt an das bisherige Ende des Textes anschließen. In die neue deutsche Ausgabe konnte diese wertvolle Ergänzung endlich mit aufgenommen werden.

Vorwort zur Neuausgabe

 

Als Krishnamurti’s Notebook 1976 zum ersten Mal veröffentlicht wurde, umfasste das Manuskript, das als Druckvorlage diente, 323 Seiten in Krishnamurtis Handschrift und Seitennummerierung. Damals glaubte man, dass mit diesen Aufzeichnungen Krishnamurtis Notizbücher vollständig vorlagen. Im Jahr 2000 wurden jedoch zweiunddreißig weitere Seiten in Krishnamurtis Handschrift entdeckt. Sie befanden sich unter dem Archivmaterial, das in den 1980er Jahren in den Besitz der Krishnamurti Foundation of Ojai Californiaübergegangen war. Diese Seiten schlossen sich nach Krishnamurtis eigener handschriftlicher Datierung und Paginierung unmittelbar an das Originalmanuskript an. Es ist nicht bekannt, weshalb diese Seiten von den übrigen getrennt worden waren. Diese Einträge, datiert vom 24. Januar 1962 bis 19. März 1962, sind die letzten Seiten in dieser neuen Ausgabe.

 

In ihrem Vorwort zur ersten Ausgabe schrieb Mary Lut­yens, dass Krishnamurti weder vorher noch später derartige Aufzeichnungen gemacht habe. Erst nachdem Krish­na­mur­ti’s Notebook bereits erschienen war, erfuhr sie, dass Krishnamurti von September 1973 bis April 1975 ein Tagebuch geführt hatte; es wurde 1982 als Krishnamurti’s Journal publiziert. 1983 folgte dann noch eine andere Form von »Notizbuch«: Krishnamurti sprach seine Gedanken in ein Tonbandgerät, wenn er morgens allein in seinem Zimmer saß. Dieses Material erschien 1987 in Buchform unter dem Titel Krishnamurti to Himself. (Deutsch: Selbstgespräche. Das letzte Tagebuch).

 

Mumbai, Chennai und Varanasi sind die heutigen Namen der Städte in Indien, die früher als Bombay, Madras und Benares bekannt waren. Letztere Namen, die zu Krishnamurtis Lebzeiten noch gebräuchlich waren, wurden im Notizbuch aus historischen Gründen beibehalten.

 

R. Mc.

Vorwort

 

Im Juni 1961 begann Krishnamurti, regelmäßig ein Tagebuch über seine Wahrnehmungen und Bewusstseinszustände zu führen. Mit Ausnahme von etwa vierzehn Tagen setzte er diese Aufzeichnungen über einen Zeitraum von sieben Monaten fort. Er schrieb deutlich, mit Bleistift und fast ohne zu radieren. Die ersten siebenundsiebzig Seiten des Manuskripts wurden in ein kleines Notizbuch eingetragen; von da an bis zum Schluss (S. 323 des Manuskripts) wurde ein größeres Loseblattbuch benutzt. Die Aufzeichnungen beginnen abrupt und enden ebenso abrupt. Krishnamurti selbst kann nicht sagen, was ihn veranlasste, es zu beginnen. Er hatte niemals zuvor derartige Aufzeichnungen gemacht und auch später nie wieder.

Das Manuskript wurde nur geringfügig bearbeitet. Krishnamurtis Rechtschreibung wurde korrigiert, ein paar Satzzeichen wurden um der Klarheit willen hinzugefügt, einige Abkürzungen, wie das Und-Zeichen, das er ständig benutzte, wurden voll ausgeschrieben, einige Fußnoten und ein paar Ergänzungen wurden in eckigen Klammern hinzugefügt. In jeder anderen Hinsicht wird das Manuskript hier so vorgelegt, wie es geschrieben wurde.

Ein Wort ist notwendig, um einen der darin gebrauchten Begriffe zu erklären – das »Geschehen«[the process]. Im Jahre 1922, im Alter von achtundzwanzig Jahren, hatte Krishnamurti eine spirituelle Erfahrung, die sein Leben veränderte, und der Jahre von akuten und fast ständigen Schmerzen im Kopf und im Rückgrat folgten. Das Manuskript zeigt, dass das Geschehen, wie er diese unerklärlichen Schmerzen nannte, nach fast vierzig Jahren immer noch weiterging, wenn auch in viel milderer Form.

»Das Geschehen« war ein körperliches Phänomen, nicht zu verwechseln mit dem Bewusstseinszustand, den Krishnamurti verschiedentlich in den Tagebüchern als »Segen«, als das »Andere«, »das Grenzenlose«, bezeichnet. Zu keiner Zeit nahm er irgendwelche schmerzstillenden Mittel für das »Geschehen«. Er nahm niemals Alkohol oder irgendwelche Drogen zu sich. Er hat nie geraucht, und in den letzten dreißig Jahren etwa trank er noch nicht einmal Tee oder Kaffee. Obwohl er sein Leben lang Vegetarier war, legte er immer großen Wert auf eine reichhaltige und wohlausgewogene Ernährung. Askese ist in seiner Denkweise so destruktiv für das religiöse Leben wie übermäßiger Genuss. Tatsächlich sorgt er für den »Körper« (er unterschied immer zwischen dem Körper und dem Ego) wie ein Kavallerieoffizier für sein Pferd. Er litt nie an Epilepsie oder einem der anderen körperlichen Gebrechen, von denen man sagt, dass sie Visionen oder andere spirituelle Phänomene hervorrufen. Auch praktiziert er kein »System« der Meditation. Dies alles sei erwähnt, damit kein Leser vermutet, dass Krishnamurtis Bewusstseinszustände zu irgendeinem Zeitpunkt durch Drogen oder Fasten hervorgerufen wurden.

In diesen einzigartigen täglichen Aufzeichnungen finden wir das, was man als den Urquell von Krishnamurtis Lehre bezeichnen kann. Hier haben wir die ganze Essenz seiner Lehre, wie sie aus ihrer natürlichen Quelle emporsteigt. So wie er selbst auf diesen Seiten schreibt, »Jedes Mal ist etwas ›Neues‹ in diesem Segen, eine ›neue‹ Qualität, ein ›neuer‹ Duft, und doch ist er unveränderlich«, so ist die Lehre, die ihr entspringt, niemals ganz die gleiche, obwohl sie oft wiederholt wird. Ebenso sind die Bäume, Berge, Flüsse, Wolken, Sonne, Vögel und Blumen, die er wieder und wieder beschreibt, immer wieder »neu«, denn jedes Mal werden sie mit Augen betrachtet, die sich nie an sie gewöhnt haben. Jeden Tag sind sie für ihn eine völlig neue Wahrnehmung, und so werden sie es auch für uns.

Am 18. Juni 1961, dem Tag, an dem Krishnamurti seine Aufzeichnungen begann, war er in New York und wohnte bei Freunden in der West 87th Street. Er war am 14. Juni von London nach New York geflogen, wo er sich etwa sechs Wochen aufgehalten und zwölfmal öffentlich gesprochen hatte. Vor seinem Aufenthalt in London war er in Rom und Florenz gewesen, und davor, die ersten drei Monate des Jahres, in Indien; dort hatte er Vorträge in Neu-Delhi und Bombay gehalten.

 

Mary Lutyens

18. Juni [1961, New York]

 

Am Abend war es da: Plötzlich war es da, erfüllte den Raum, ein großes Gefühl von Schönheit, Kraft und Güte. Andere bemerkten es.

19.

 

Die ganze Nacht war es da, immer wenn ich aufwachte. Auf dem Weg zum Flugzeug [um nach Los Angeles zu fliegen] schmerzte der Kopf. – Die Reinigung des Gehirns ist notwendig. Das Gehirn ist das Zentrum aller Dinge, je feiner und empfindsamer die Sinne sind, um so schärfer ist das Gehirn, das Zentrum der Erinnerung, der Vergangenheit; es ist der Speicher von Erfahrung und Wissen, Tradition. Daher ist es begrenzt, bedingt. Seine Aktivitäten sind geplant, erdacht, durchdacht, doch es funktioniert innerhalb von Grenzen, in Raum-Zeit. Daher kann es das, was vollständig, ganz, vollkommen ist, weder in Worte fassen noch verstehen. Das Vollkommene, das Ganze ist der Geist; er ist leer, völlig leer, und wegen dieser Leere existiert das Gehirn in Raum-Zeit. Nur wenn das Gehirn sich von seiner Bedingtheit, von Habgier, Neid, Ehrgeiz gereinigt hat, nur dann kann es erfassen, was vollkommen ist. Liebe ist diese Vollkommenheit.

20.

 

Im Auto auf dem Weg nach Ojai1‚ fing es wieder an, der Druck und das Gefühl einer unermesslichen Weite. Man erlebte diese Weite nicht; sie war einfach da; kein Zentrum war da, von dem aus oder in dem die Erfahrung stattfand. Alles, die Autos, die Menschen, die Reklametafeln waren bestürzend klar, und die Farbe war schmerzlich intensiv. Über eine Stunde dauerte es an, und der Kopf schmerzte sehr, und der Schmerz ging ganz durch ihn hindurch.

Das Gehirn kann und muss sich entwickeln; seine Entwicklung wird immer aus einem Anlass kommen, aus einer Reaktion, von Gewalt zu Gewaltlosigkeit und so weiter. Das Gehirn hat sich aus dem primitiven Zustand entwickelt, und wie verfeinert, intelligent, ausgebildet auch immer es ist, es wird sich immer innerhalb der Grenzen von Raum-Zeit befinden.

Anonymität ist Demut; sie besteht nicht in der Änderung des Namens, der Kleidung oder in der Identifikation mit etwas, das man für anonym hält, einem Ideal, einer heroischen Tat, einem Land und so fort. Anonymität ist eine Tätigkeit des Gehirns, die bewusste Anonymität; es gibt auch eine Anonymität, die mit dem Gewahrsein des Vollkommenen einhergeht. Das Vollkommene befindet sich niemals im Bereich des Gehirns oder der Ideen.


1 Ojai Valley, etwa 130 Kilometer nördlich von Los Angeles.

21.

 

Wachte um etwa zwei Uhr auf und verspürte einen sonderbaren Druck, und der Schmerz war intensiver, mehr im Innern des Kopfes. Er hielt mehr als eine Stunde an, und man erwachte mehrmals von der Intensität des Drucks. Es war jedes Mal eine große, wachsende Ekstase; diese Freude wirkte nach. – Beim Zahnarzt, im Stuhl sitzend, wartend, begann wieder der Druck. Das Gehirn wurde sehr still; bebend, ganz und gar lebendig; alle Sinne waren wach; die Augen sahen die Biene am Fenster, die Spinne, die Vögel und die violetten Berge in der Ferne. Sie sahen sie, doch das Gehirn registrierte sie nicht. Man konnte das bebende Gehirn spüren, etwas ungeheuer Lebendiges, Pulsierendes, das also nicht nur registrierte. Der Druck und der Schmerz waren groß, und der Körper muss wohl in einen Halbschlaf versunken sein.

Selbstkritisches Gewahrsein ist unerlässlich. Einbildung und Illusion verzerren die klare Beobachtung. Illusion wird immer existieren, solange das Bedürfnis nach einer Fortdauer des Vergnügens und der Vermeidung des Schmerzes besteht, das Verlangen, dass Erfahrungen, die angenehm sind, andauern oder in Erinnerung bleiben; dass Schmerz und Leiden vermieden werden. Sie beide beschwören Illusionen herauf. Um die Illusionen vollkommen auszulöschen, müssen Vergnügen und Leid verstanden werden, nicht durch Kontrolle oder Sublimierung und nicht durch Identifikation oder Ablehnung.

Nur wenn das Gehirn still ist, kann die richtige Beobachtung stattfinden. Kann das Gehirn jemals still sein? Es kann, wenn das Gehirn, hochsensibel, ohne willkürliche Verzerrung, verneinend wachsam ist. – Den ganzen Nachmittag über war der Druck da.

22.

 

Mitten in der Nacht aufgewacht, und da war die Erfahrung eines grenzenlosen, sich ausdehnenden Geisteszustands; der Geist selbst war dieser Zustand. Das »Gefühl« dieses Zustands war frei von jeglicher Empfindung, von jeglicher Emotion, doch war es sehr deutlich, sehr real. Dieser Zustand hielt ziemlich lange an. – Während des ganzen Morgens waren Druck und Schmerz heftig.

Zerstörung ist unerlässlich. Nicht von Gebäuden und Dingen, sondern von allen psychischen Kunstgriffen und Abwehrmaßnahmen, von Göttern, Glaubenslehren, der Abhängigkeit von Priestern, von Erfahrungen, Wissen und so weiter. Ohne dies alles zu zerstören, kann keine Schöpfung sein. Nur in Freiheit kann Schöpfung sich verwirklichen. Ein anderer kann diese Abwehrmaßnahmen nicht für dich zerstören, du musst sie durch dein eigenes selbsterkennendes Bewusstsein verneinen.

Revolution, sozial, wirtschaftlich, kann nur äußerliche Zustände und Dinge verändern, in sich erweiternden oder verengenden Kreisen, aber sie wird immer innerhalb des begrenzten Bereichs des Denkens stattfinden. Für die totale Revolution muss das Gehirn seinen ganzen inneren, geheimen Mechanismus der Autorität, des Neides, der Angst und so weiter aufgeben.

Die Kraft und Schönheit eines zarten Blattes liegt in seiner Anfälligkeit für Zerstörung. Wie ein Grashalm, der durch das Pflaster emporstößt, hat es die Kraft, die dem achtlosen Tod Widerstand leisten kann.

23.

 

Schöpfung liegt niemals in den Händen des Individuums. Sie erlischt vollkommen, wenn die Individualität mit ihren Fähigkeiten, Begabungen und Techniken dominant wird. Schöpfung ist die Bewegung des unbegreiflichen Wesens des Ganzen; sie ist niemals der Ausdruck eines Teils.

Als man gerade zu Bett ging, war da diese Fülle wie in il L.2 Sie war nicht nur im Zimmer, sondern schien die Erde von Horizont zu Horizont zu überspannen. Es war ein Segen.

Der Druck mit seinem sonderbaren Schmerz war den ganzen Morgen da. Und er hält noch am Nachmittag an.

Im Zahnarztstuhl sitzend, sah man aus dem Fenster, blickte an der Hecke, der Fernsehantenne, dem Telegraphenmast vorbei auf die violetten Berge. Man sah nicht nur mit den Augen, sondern mit dem ganzen Kopf, wie vom Hinterkopf aus, mit seinem ganzen Sein. Es war eine seltsame Erfahrung. Es war kein Mittelpunkt da, von dem die Beobachtung ausging. Die Farben und die Schönheit und die Linien der Berge waren intensiv.

Jede Wendung des Denkens muss verstanden werden, denn alles Denken ist Reaktion, und jedes Handeln, das daraus entspringt, kann nur die Verwirrung und den Konflikt vergrößern.


2 Ein Haus oberhalb von Florenz, in dem er sich im April aufgehalten hatte.

24.

 

Der Druck und der Schmerz waren gestern den ganzen Tag da; das alles wird recht schwierig. Sobald man allein ist, fängt es an. Und der Wunsch, dass es so bleibt, jegliche Enttäuschung, wenn es nicht weiter­geht, existiert nicht. Es ist einfach da, ob man es wünscht oder nicht. Es ist jenseits aller Vernunft und Ge­danken.

Etwas um seiner selbst willen zu tun, scheint recht schwierig und fast nicht wünschenswert zu sein. Gesellschaftliche Werte sind darin begründet, eine Sache um einer anderen willen zu tun. Dies führt zu einer unfruchtbaren Existenz, zu einem Leben, das niemals vollkommen, ausgefüllt ist. Dies ist einer der Gründe für jene zersetzende Unzufriedenheit.

Zufrieden sein ist hässlich, aber unzufrieden sein erzeugt Hass. Tugendhaft zu sein, um den Himmel zu gewinnen oder die Anerkennung der angesehenen Bürger, der Gesellschaft, macht aus dem Leben ein unfruchtbares Feld, das wieder und wieder umgepflügt, aber niemals bestellt wurde. Dieses Handeln, etwas um einer anderen Sache willen zu tun, ist im Grunde eine komplizierte Abfolge von Ausflüchten, ist Flucht vor sich selbst, vor dem, was ist.

Ohne die Erfahrung des innersten Wesens gibt es keine Schönheit. Schönheit ist nicht nur in den äußerlichen Dingen oder in inneren Gedanken, Gefühlen und Ideen; es gibt eine Schönheit jenseits allen Denkens und Fühlens. Dieses innerste Wesen ist Schönheit. Aber diese Schönheit hat kein Gegenteil.

Der Druck dauert an, und die Spannung ist an der Basis des Kopfes und ist schmerzhaft.

25.

 

Wachte mitten in der Nacht auf und fand den Körper vollkommen still, ausgestreckt auf dem Rücken, bewegungslos; in dieser Lage muss er sich schon eine Zeit lang befunden haben. Der Druck und der Schmerz waren da. Das Gehirn und der Geist waren äußerst still. Zwischen ihnen bestand keine Trennung. Eine seltsam stille Intensität war da, wie zwei große Dynamos, die mit großer Schnelligkeit arbeiten; eine seltsame Spannung, in der keine Anstrengung war. Über dem Ganzen war ein Gefühl der Weite und eine Kraft ohne Richtung und Ursache, und daher ohne Brutalität und Härte. Und während des Morgens ging es weiter.

Während des vergangenen Jahres wachte man auf, um in wachem Zustand zu erfahren, was im Schlaf geschehen war, gewisse Seinszustände. Es ist, als ob man nur aufwachte, damit das Gehirn registrierte, was vorging. Aber seltsamerweise verblasste diese besondere Erfahrung schon sehr bald. Das Gehirn verstaute sie nicht in den Windungen seines Gedächtnisses.

Es gibt nur Zerstörung und keine Veränderung. Denn alle Veränderung ist eine modifizierte Fortdauer des Gewesenen. Alle gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Revolutionen sind Reaktionen, die modifizierte Fortdauer des Gewesenen. Diese Veränderung zerstört keineswegs die Wurzeln selbstbezogenen Handelns.

Zerstörung, in dem Sinne, in dem wir das Wort gebrauchen, hat kein Motiv; sie hat keinen Zweck, der ein Handeln um des Ergebnisses willen bedeutet. Die Zerstörung des Neides ist total und vollkommen; sie bedeutet Freiheit von Unterdrückung, von Kontrolle und ist ohne jegliches Motiv.

Diese totale Zerstörung ist möglich; sie besteht darin, die gesamte Struktur des Neides zu sehen. Dieses Sehen geschieht nicht in Raum-Zeit, sondern unmittelbar.

26.

 

Der Druck und die Spannung waren da, sehr stark, gestern Nachmittag und heute Morgen. Es war nur etwas anders, der Druck und die Spannung drangen vom Hinterkopf durch den Gaumen hinauf bis zur Schädeldecke. Eine seltsame Intensität ist noch da. Man braucht nur still zu sein, und sie beginnt.

Kontrolle in jeder Form ist schädlich für das vollkommene Verstehen. Eine disziplinierte Existenz ist ein angepasstes Leben, in der Anpassung gibt es keine Freiheit von Angst. Gewohnheit zerstört die Freiheit; Gewohnheit des Denkens, Gewohnheit des Trinkens und so weiter führt zu einem oberflächlichen und eintönigen Leben. Organisierte Religion mit ihren Glaubenslehren, Dogmen und Ritualen verleugnet den offenen Zugang zur Weite des Geistes. Es ist dieser Zugang, der das Gehirn von Raum-Zeit reinigt. Wenn das Gehirn gereinigt ist, kann es mit Raum-Zeit umgehen.

27.

 

Diese Anwesenheit war da, wie damals in il L., geduldig wartend, gütig, mit großer Zartheit. Es war wie der Blitz in einer dunklen Nacht, doch war es da, eindringlich, segensreich.

Etwas Seltsames widerfährt dem physischen Organismus. Man kann es nicht genau beschreiben, aber es ist eine »sonderbare« Beharrlichkeit, ein Drang; es ist in keiner Weise selbsterzeugt, kommt nicht aus der Einbildung. Es ist spürbar wenn man still ist, allein, unter einem Baum oder in einem Zimmer; es ist am eindringlichsten kurz vor dem Einschlafen. Es ist da, während dies geschrieben wird, der Druck und die Spannung, mit dem vertrauten Schmerz. Formulierungen und Worte darüber scheinen so vergeblich; Worte, wie treffend auch immer, wie klar auch die Beschreibung, vermitteln nicht das Wirkliche.

In all dem ist eine große und unaussprechliche Schönheit.

Es gibt nur eine Bewegung im Leben, die äußere und zugleich die innere; diese Bewegung ist unteilbar, obwohl sie getrennt wird. Weil sie getrennt ist, folgt sie meist der äußeren Bewegung des Wissens, der Ideen, Glaubensinhalte, Autorität, Sicherheit, Wohlstand und so weiter. Als Reaktion darauf geht man dem sogenannten inneren Leben nach, mit seinen Visionen, Hoffnungen, Zielen, Geheimnissen, Konflikten, Verzweiflungen. Da diese Bewegung eine Reaktion ist, steht sie in Konflikt mit dem Äußeren. So herrscht ein Widerspruch mit seinen Schmerzen, Ängsten und Ausflüchten.

Es gibt nur eine Bewegung, die äußere und zugleich die innere. Mit dem Verstehen der äußeren beginnt die innere Bewegung, nicht in Opposition oder im Widerspruch. Wenn der Konflikt ausgeschaltet wird, dann wird das Gehirn, obwohl hochsensibel und wach, still. Dann hat nur die innere Bewegung Gültigkeit und Bedeutung.

Aus dieser Bewegung kommt eine Großzügigkeit und ein Mitgefühl, das nicht das Ergebnis von Vernunft und absichtlicher Selbstverleugnung ist.

Die Blume ist stark in ihrer Schönheit, denn sie kann vergessen, beiseitegelegt oder zerstört werden.

Die Ehrgeizigen kennen keine Schönheit. Das Erfühlen des innersten Wesens ist Schönheit.

28.

 

Erwachte mitten in der Nacht, schreiend und stöhnend; der Druck und die Spannung mit diesem sonderbaren Schmerz waren intensiv. Er muss schon eine Zeit lang da gewesen sein und blieb noch einige Zeit nach dem Aufwachen. Das Schreien und Stöhnen kommt ziemlich oft. Es kommt nicht von einer Magenverstimmung. Während des Wartens im Zahnarztstuhl begann das Geschehen wieder, und am Nachmittag, während dies geschrieben wird, geht es weiter. Es ist stärker zu spüren, wenn man allein ist oder in schöner Umgebung oder sogar auf einer schmutzigen, lauten Straße.

Das, was heilig ist, hat keine Eigenschaften. Ein Stein in einem Tempel, ein Bild in einer Kirche, ein Symbol ist nicht heilig. Der Mensch nennt sie heilig, etwas Heiliges, das aus komplizierten Bedürfnissen, Ängsten und Sehnsüchten verehrt wird. Diese »Heiligkeit« befindet sich noch im Bereich des Denkens; sie wurde vom Denken aufgebaut, und im Denken gibt es nichts Neues oder Heiliges. Das Denken kann komplizierte Systeme, Dogmen, Glaubenslehren aufbauen, und die Bilder und Symbole, die es projiziert, sind nicht heiliger als die Pläne für ein Haus oder der Entwurf eines neuen Flugzeugs. All dies befindet sich innerhalb der Grenzen des Denkens, und an all dem ist nichts Heiliges oder Mystisches. Denken ist Materie, und es lässt sich alles daraus machen, Hässliches – Schönes.

Doch gibt es eine Heiligkeit, die nicht aus dem Denken kommt, und nicht aus einem Gefühl, das vom Denken geweckt wird. Es ist weder durch Denken zu erkennen noch kann es vom Denken benutzt werden. Das Denken kann es nicht formulieren. Doch es gibt eine Heiligkeit, unberührt von jeglichem Symbol oder Wort. Sie ist nicht mitteilbar. Sie ist eine Tatsache.

Eine Tatsache muss sichtbar sein, und das Sehen geschieht nicht über das Wort. Wenn eine Tatsache interpretiert wird, hört sie auf, eine Tatsache zu sein; sie wird zu etwas vollkommen anderem. Das Sehen ist von größter Wichtigkeit. Dieses Sehen ist außerhalb von Zeit-Raum; es ist unmittelbar, augenblicklich. Und was gesehen wird, ist nie wieder dasselbe. Es gibt kein Nocheinmal oder Inzwischen.

Diese Heiligkeit hat keinen Anbeter, den Beobachter, der über sie meditiert. Sie ist nicht auf dem Markt, um gekauft oder verkauft zu werden. Wie die Schönheit kann man sie nicht durch ihr Gegenteil verstehen, denn sie hat kein Gegenteil.

Diese Anwesenheit ist da, erfüllt das Zimmer, ergießt sich über die Hügel, über die Gewässer hinaus, überzieht die Erde.

Letzte Nacht, wie es ein- oder zweimal zuvor geschah, war der Körper nur der Organismus und sonst nichts, er funktionierte, leer und still.

29.

 

Der Druck und die Spannung eines tiefen Schmerzes sind da; es ist, als ob tief innerlich eine Operation im Gange sei. Es wird nicht durch den eigenen Willen herbeigeführt, sei er auch noch so unterschwellig. Man hat sich bewusst und seit längerem tief hineinversenkt. Man hat versucht, es herbeizuführen, versucht, verschiedene äußere Bedingungen zu schaffen, wie Alleinsein und so weiter. Dann passiert gar nichts. Das alles liegt schon weiter zurück.

Liebe ist nicht Bindung. Liebe bringt kein Leid. Liebe kennt keine Verzweiflung oder Hoffnung. Liebe kann nicht gesellschaftsfähig gemacht werden, als Teil eines sozialen Programms. Wenn sie nicht da ist, beginnt alles zur Qual zu werden.

Zu besitzen und besessen zu werden, wird für eine Form von Liebe gehalten. Dieser Drang zu besitzen, eine Person oder ein Eigentum, ist nicht nur eine Forderung der Gesellschaft und der Umstände, sondern er entspringt einer viel tieferen Quelle. Er kommt aus den Tiefen der Verlassenheit. Jeder versucht, diese Verlassenheit auf andere Weise auszufüllen, durch Trinken, organisierte Religion, Glauben, irgendeine Beschäftigung und so weiter. Das alles sind Fluchtwege, aber sie ist immer noch da.

Sich einer Organisation, einer Glaubensrichtung oder einer Beschäftigung zu verschreiben heißt negativ, von ihr besessen zu werden, und positiv heißt es, zu besitzen. Die negative wie die positive Besitzgier tun Gutes, sie verändern die Welt und die sogenannte Liebe. Einen anderen zu kontrollieren, einen anderen im Namen der Liebe zu formen, ist das Verlangen zu besitzen, das Verlangen, Sicherheit zu finden, Sicherheit in einem anderen und damit Beruhigung. Selbstvergessenheit durch einen anderen, durch irgendeine Beschäftigung führt zu Bindung. Aus dieser Bindung entstehen Leid und Verzweiflung, und daraus die Reaktion, sich zu distanzieren. Und aus diesem Widerspruch von Bindung und Distanznehmen entstehen Konflikt und Frustration.

Es ist nicht möglich, der Verlassenheit zu entkommen; sie ist eine Tatsache, und die Flucht vor Tatsachen führt zu Verwirrung und Leid.

Aber nichts zu besitzen, ist ein außerordentlicher Zustand, nicht einmal eine Idee zu besitzen, geschweige denn eine Person oder eine Sache. Wenn die Idee, der Gedanke, Wurzeln schlägt, ist er bereits zum Besitz geworden, und dann beginnt der Krieg der Befreiung. Und diese Freiheit ist überhaupt keine Freiheit, sie ist nur eine Reaktion. Reaktionen schlagen Wurzeln, und unser Leben ist der Boden, in dem die Wurzeln gewachsen sind. Alle diese Wurzeln abzuschneiden, eine nach der anderen, ist eine psychische Absurdität. Es ist nicht möglich. Nur die Tatsache,Verlassenheit, muss gesehen werden, und dann verschwindet alles andere.

30.

 

Gestern Nachmittag war es ziemlich schlimm, fast unerträglich; es dauerte mehrere Stunden.

Auf dem Spaziergang, umgeben von diesen violetten, kahlen, felsigen Bergen, herrschte plötzlich Einsamkeit. Vollkommene Einsamkeit. Überall war Einsamkeit; sie war von einem großen, unergründlichen Reichtum, sie hatte jene Schönheit, die jenseits allen Denkens und Fühlens ist. Sie war nicht still, sie war lebendig, in Bewegung, erfüllte jede Nische und Ecke. Der hohe felsige Berggipfel glühte in der untergehenden Sonne, und dieses Licht und diese Farbe erfüllten den Himmel mit Einsamkeit.

Es war einzigartig allein, nicht isoliert, sondern allein, wie ein Regentropfen, der alles Wasser der Erde enthält. Es war weder froh noch traurig, sondern allein. Es hatte keine Eigenschaft, Form oder Farbe, diese würden es zu etwas Erkennbarem, Messbarem machen. Es kam wie ein Blitz und säte sich aus. Es keimte nicht, sondern war in seiner Ganzheit da. Es gab keine Zeit des Reifens; Zeit hat Wurzeln in der Vergangenheit. Dies war ein wurzelloser, ursachloser Zustand. Also ist er vollkommen »neu«, ein Zustand, der nicht gewesen ist und niemals sein wird, denn er ist Leben.

Isolation kennt man, und auch Verlassenheit; sie sind erkennbar, denn sie wurden oft erfahren, tatsächlich oder in der Einbildung. Allein ihre Vertrautheit bringt eine gewisse selbstgerechte Verachtung und Angst hervor, woraus Zynismus und Götter entstehen. Aber Selbstisolation und Verlassenheit führen nicht zu Einsamkeit, sie müssen beendet werden, nicht um etwas zu gewinnen, sondern sie müssen so natürlich sterben wie das Verwelken einer zarten Blume. Widerstand erzeugt Angst, aber auch Einwilligung. Das Gehirn muss sich von all diesen raffinierten Kunstgriffen reinwaschen.

Ohne Beziehung zu all diesen Drehungen und Wendungen selbstvergifteten Bewusstseins ist diese ungeheure Einsamkeit etwas vollkommen anderes. In ihr findet alle Schöpfung statt. Schöpfung zerstört, und daher ist sie immer das Unbekannte.

Gestern war den ganzen Abend diese Einsamkeit da, sie ist es noch immer, und beim Aufwachen mitten in der Nacht wirkte sie weiter.

Der Druck und die Spannung dauern an, nehmen zu und ab in ständigen Wellen. Es ist ziemlich schlimm heute, während des Nachmittags.

1. Juli

 

Es ist, als ob alles stillsteht. Keine Bewegung, kein Sichregen, vollkommene Leere von allen Gedanken, allem Sehen. Da ist kein Übersetzer da, um zu übersetzen, zu beobachten, zu zensieren. Eine unermessliche Weite, die äußerst still und ruhig ist. Kein Raum ist da und keine Zeit, diesen Raum zu überspannen. Alle Dinge beginnen und enden hier. Es gibt wirklich nichts, was darüber zu sagen wäre.

Der Druck und die Spannung hielten den ganzen Tag über an, erst jetzt sind sie stärker geworden.

2.

 

Das, was gestern geschah, diese unermesslich stille Weite, hielt den ganzen Abend an, obwohl Leute da waren und trotz allgemeiner Gespräche. Sie blieb die ganze Nacht; sie war am Morgen da. Obwohl ein überaus lebhaftes, emotional erregtes Gespräch stattfand, war es mittendrin plötzlich da. Und es ist da, eine Schönheit und eine Pracht, und ein Gefühl wortloser Ekstase.

 

Der Druck und die Spannung fingen ziemlich früh an.

3.

 

War den ganzen Tag aus. Trotzdem waren am Nachmittag im Gedränge einer Stadt zwei oder drei Stunden lang der Druck und die Spannung da.

4.

 

War beschäftigt, doch trotzdem waren nachmittags der Druck und die Spannung da.

Womit man sich auch tagsüber beschäftigen muss, die Erschütterungen und die verschiedenen Vorkommnisse sollten keine Narben hinterlassen. Diese Narben werden zum Ego, zum Selbst, und während des Lebens wird es stark, und seine Mauern werden fast undurchdringlich.

5.

 

War zu sehr beschäftigt, aber sobald es etwas Ruhe gab, waren der Druck und die Spannung da.

6.

 

Wachte letzte Nacht auf mit diesem Gefühl vollkommener Stille und Ruhe, das Gehirn war ganz wach und äußerst lebendig, der Körper war sehr still. Dieser Zustand dauerte etwa eine halbe Stunde. Dies trotz eines anstrengenden Tages.

Der Höhepunkt der Intensität und Sensibilität ist die Erfahrung des innersten Wesens. Diese ist eine Schönheit jenseits von Worten und Gefühlen. Proportion und Tiefe, Licht und Schatten sind auf Raum-Zeit begrenzt, befangen in Schönheit-Hässlichkeit. Aber das, was jenseits von Linie und Form, jenseits von Lernen und Wissen ist, das ist die Schönheit des innersten Wesens.

7.

 

Wachte mehrmals schreiend auf. Wieder war diese äußerste Stille des Gehirns und ein Gefühl der Weite. Druck und Spannung waren da.

Erfolg ist Brutalität. Erfolg in jeglicher Form, in Politik und Religion, in der Kunst und im Geschäftlichen. Um Erfolg zu haben, muss man skrupellos sein.

8.

 

Vor dem Schlafengehen oder gerade vor dem Einschlafen mehrmals Stöhnen und Schreien. Der Körper ist zu sehr beunruhigt wegen der Reise, da man heute Abend nach London fliegen wird [via Los Angeles]. Ein gewisses Maß an Druck und Spannung.

9.

 

Als man im Flugzeug saß inmitten all des Lärms, des Rauchs und lauten Sprechens, begann ganz unerwartet das Gefühl des Grenzenlosen und dieser außerordentliche Segen, wie in il L., das unmittelbare Gefühl des Heiligen sich wieder einzustellen. Der Körper war nervös angespannt wegen der Menschenmenge, des Lärms etc., aber trotz alledem war es da. Der Druck und die Spannung waren intensiv, und ein heftiger Schmerz war im Hinterkopf. Es gab nur diesen Zustand, und kein Beobachter war da. Der ganze Körper war ganz davon erfasst, und das Gefühl von Heiligkeit war so intensiv, dass dem Körper ein Stöhnen entfuhr, und die Fluggäste saßen auf den Plätzen daneben. Es dauerte mehrere Stunden, bis spät in die Nacht. Es war, als ob man zusähe, nicht nur mit den Augen, sondern mit tausend Jahrhunderten; es war alles in allem eine seltsame Begebenheit. Das Gehirn war vollkommen leer, jede Reaktion hatte aufgehört; während all dieser Stunden war man sich dieser Leere nicht bewusst, erst beim Niederschreiben wird die Sache erkannt, aber dieses Erkennen ist nur beschreibend und nicht wirklich. Dass das Gehirn sich leeren kann, ist ein seltsames Phänomen. Während die Augen geschlossen waren, schien das Gehirn in unergründliche Tiefen zu tauchen, in Zustände unglaublicher Sensibilität und Schönheit. Der Fluggast auf dem nächsten Sitz begann etwas zu fragen, und nachdem man geantwortet hatte, war diese Intensität da; es gab keine Kontinuität, sondern nur ein Sein. Und die Morgendämmerung kam allmählich, und der klare Himmel füllte sich mit Licht. – Während des Aufschreibens spät am Tag, mit schlafloser Müdigkeit, ist jenes Heilige da. Der Druck und die Spannung auch.

10. (London).

 

Wenig Schlaf, aber aufgewacht mit einem starken Gefühl drängender Energie, die sich im Kopf konzentriert. Der Körper stöhnte, und doch war er ganz still, flach ausgestreckt und ganz friedlich. Der Raum schien voll zu sein, und es war sehr spät, und die Haustür des nächsten Hauses wurde mit einem Knall zugeworfen. – Keine Idee war da, kein Gefühl, und doch war das Gehirn wach und feingestimmt. Der Druck und die Spannung waren da und verursachten Schmerzen. Etwas Seltsames an diesen Schmerzen ist, dass sie in keiner Weise den Körper anstrengen. So viel scheint innerhalb des Gehirns zu geschehen, und doch ist es unmöglich in Worte zu fassen, was genau vor sich geht. Es war ein Gefühl maßloser Ausdehnung.

11.

 

Der Druck und die Spannung waren ziemlich stark, und Schmerzen sind da. Das Seltsame an all dem ist, dass der Körper in keiner Weise protestiert und keinerlei Widerstand leistet. An all dem ist eine unbekannte Energie beteiligt. Zu beschäftigt, um viel zu schreiben.

12. (Gstaad)

 

Es war eine schlechte Nacht, Schreien und Stöhnen. Der Kopf schmerzte. Trotz wenig Schlaf zweimal aufgewacht, und jedes Mal war ein Gefühl sich ausdehnender Intensität und äußerster innerer Aufmerksamkeit, und das Gehirn hatte sich entleert von allem Fühlen und Denken.

Zerstörung, das vollkommene Entleeren des Gehirns, Reaktion und Erinnerung müssen ohne jegliche Anstrengung absterben; das Absterben braucht Zeit, doch es ist die Zeit, die zu Ende geht, es ist nicht das Enden der Erinnerung.

Diese zeitlose Ausdehnung, die sich vollzog, und die Art und der Grad ihrer Intensität sind völlig verschieden von Leidenschaft und Gefühl. Es war diese Intensität, die vollkommen beziehungslos ist zu jeglichem Verlangen, Wunsch oder Erlebnis, wie etwa die Erinnerung, die durch das Gehirn schoss. Das Gehirn war nur ein Instrument, der Geist ist es, der diese zeitlos sich ausdehnende, explodierende Intensität der Schöpfung ist. Und Schöpfung ist Zerstörung.

Im Flugzeug geht es weiter.3


3 Auf dem Flug nach Genf, von wo aus er zum Chalet eines Freundes in Gstaad fuhr.

13.

 

Ich glaube, es ist die Stille des Ortes, der grünen Berghänge, die Schönheit der Bäume und die Sauberkeit, dies und andere Dinge, die den Druck und die Spannung viel stärker werden ließen; der Kopf schmerzte den ganzen Tag; es wird schlimmer, wenn man allein ist. Die ganze letzte Nacht schien es weiterzugehen, und man wachte mehrmals schreiend und stöhnend auf; selbst während des Ruhens am Nachmittag war es schlimm, begleitet von Schreien. Der Körper ist vollkommen entspannt und ausgeruht hier. Letzte Nacht, nach der langen und wunderschönen Fahrt durch gebirgiges Land, beim Betreten des Zimmers, war der seltsame heilige Segen da. Der andere spürte es auch.4 Der andere fühlte auch die Stille, diese eindringliche Atmosphäre. Ein Gefühl großer Schönheit und Liebe und einer reifen Fülle.

Macht wird durch Askese, durch Handeln, gesellschaftliche Stellung, Tugend, Herrschaft und so weiter gewonnen. Alle diese Formen der Macht sind böse. Sie verderben und entstellen. Der Gebrauch von Geld, Talent, Schläue, um Macht zu erlangen, oder Macht durch jeglichen Gebrauch dieser Mittel zu erlangen, ist böse.

Doch gibt es eine Macht, die in keiner Weise mit dieser bösen Macht verwandt ist. Diese Macht kann nicht gekauft werden durch Opfer, Tugend, gute Werke und Glauben, auch kann sie nicht durch Frömmigkeit, Gebete und Selbstverleugnung oder selbstzerstörerische Meditationen erkauft werden. Jedes Bemühen zu werden oder zu sein muss gänzlich und auf natürliche Weise enden. Nur dann kann diese Macht sein, die nicht böse ist.


4 Der Freund, bei dem er in Gstaad zu Besuch war.

14.

 

Das ganze Geschehen ging den Tag über weiter – der Druck, die Spannung und der Schmerz im Hinterkopf; wachte mehrmals schreiend auf, und selbst während des Tages kam unfreiwilliges Stöhnen und Schreien. Letzte Nacht erfüllte das heilige Gefühl den Raum, und auch der andere spürte es.

Wie leicht ist es doch, sich selbst zu täuschen über fast alles, besonders über tiefere und subtilere Begierden und Wünsche. Ganz und gar frei von all diesen Bedürfnissen und Begierden zu sein, ist anstrengend. Und doch ist es unerlässlich, frei von ihnen zu sein, sonst erzeugt das Gehirn Illusionen aller Art. Der Drang zur Wiederholung einer Erfahrung, wie angenehm, schön, fruchtbar auch immer, ist der Boden, in dem Leid gedeiht. Die Leidenschaft des Leids ist so einengend wie die Leidenschaft der Macht. Das Gehirn muss aufhören, seine eigenen Wege zu gehen und vollkommen passiv sein.

15.

 

Das ganze Geschehen war schlimm letzte Nacht; es hat einen ziemlich müde und schlaflos gemacht.

Wachte mitten in der Nacht auf mit einem Gefühl unendlicher und grenzenloser Kraft. Es war nicht die Kraft, die Wollen und Verlangen aufgebaut haben, sondern die Kraft, die in einem Fluss, in einem Berg, in einem Baum vorhanden ist. Sie ist im Menschen, wenn jede Form von Verlangen und Wollen vollkommen aufgehört hat. Sie hat keinen Wert, keinen Vorteil für einen Menschen, doch ohne sie existiert der Mensch nicht, auch nicht der Baum.

Das Handeln des Menschen ist Wahl und Wille, und in solchem Handeln herrschen Widerspruch und Konflikt und somit Leid. All dieses Handeln hat eine Ursache, ein Motiv, und daher ist es Reaktion. Das Handeln dieser Kraft hat keine Ursache, kein Motiv und ist daher grenzenlos und das innerste Wesen.

16.

 

Das ganze Geschehen ging den größten Teil der Nacht weiter; es war ziemlich intensiv. Wie viel der Körper doch aushält! Der ganze Körper bebte und erwachte heute Morgen mit zitterndem Kopf.

Heute Morgen war diese seltsame Heiligkeit da, die das Zimmer erfüllte. Sie hat große, durchdringende Kraft, dringt in jeden Winkel des Seins, erfüllt, reinigt es und macht sich alles zu eigen. Der andere spürte es auch. Es ist das, wonach alle Menschen sich sehnen, und weil sie sich danach sehnen, entzieht es sich ihnen. Der Mönch, der Priester, der Sannyasi martern ihren Körper und ihren Charakter in ihrer Sehnsucht danach, doch es entzieht sich ihnen. Denn es kann nicht erkauft werden; weder Opfer, Tugend noch Gebet kann diese Liebe bringen. Dieses Leben, diese Liebe kann nicht sein, wenn der Tod das Mittel ist. Alles Suchen, alles Verlangen muss ganz und gar enden.

Wahrheit kann nicht exakt sein. Was gemessen werden kann, ist nicht Wahrheit. Das, was nicht Leben ist, kann man messen und seine Größe feststellen.

17.

 

Wir gingen den Pfad eines steilen bewaldeten Berghanges hinauf und saßen dann auf einer Bank. Plötzlich, ganz unerwartet, kam dieser heilige Segen über uns, der andere fühlte es auch, ohne dass er etwas sagte. So wie er mehrere Male einen Raum erfüllt hatte, so schien er dieses Mal den Berghang über das weite, ausgedehnte Tal und über die Berge hinaus zu überspannen. Er war überall. Aller Raum schien zu verschwinden; was weit entfernt war, die breite Schlucht, die fernen schneebedeckten Gipfel und der Mensch, der auf der Bank saß, verschwanden. Da waren nicht einer oder zwei oder viele, sondern nur dieses Grenzenlose. Das Gehirn hatte alle Reaktionen verloren, es war nur ein Instrument der Beobachtung, es sah, nicht wie das Gehirn, das einer bestimmten Person gehört, sondern wie ein Gehirn, das nicht durch Zeit-Raum bedingt ist, das Wesen aller Gehirne.

Es war eine ruhige Nacht, und das ganze Geschehen war weniger intensiv. Beim Aufwachen heute Morgen kam eine Erfahrung, deren Dauer vielleicht eine Minute, eine Stunde oder zeitlos war. Eine Erfahrung, die von der Zeit geformt wird, hört auf, Erfahrung zu sein; was Kontinuität hat, hört auf, Erfahrung zu sein. Beim Aufwachen war in den tiefsten Tiefen, in der unermesslichen Tiefe des totalen Geistes eine intensive Flamme, die lebendig und heftig brannte, von Aufmerksamkeit, von Bewusstsein, von Schöpfung. Das Wort ist nicht die Sache; das Symbol ist nicht das Wirkliche. Die Feuer, die an der Oberfläche des Lebens brennen, vergehen, sterben ab, lassen Leid und Asche und Erinnerung zurück. Diese Feuer werden Leben genannt, aber sie sind nicht das Leben. Sie sind Verfall. Das Feuer der Schöpfung, das Zerstörung ist, ist Leben. In ihm ist kein Anfang, kein Ende, weder morgen noch gestern. Es ist da, und keine oberflächliche Geschäftigkeit wird es jemals zum Vorschein bringen. Das Gehirn muss sterben, damit dieses Leben sein kann.

18.

 

Das Geschehen war sehr heftig, verhinderte den Schlaf, selbst am Morgen und am Nachmittag Schreien und Stöhnen. Der Schmerz war ziemlich schlimm.

Wachte heute Morgen auf mit viel Schmerzen, doch gleichzeitig kam der Blitz eines Sehens, der erleuchtend war. Unsere Augen und unser Gehirn registrieren die äußeren Dinge, Bäume, Berge, reißende Flüsse; sammeln Wissen, Techniken und so weiter. Mit diesen Augen und diesem Gehirn, die geschult sind, zu beobachten, zu wählen, zu verurteilen und zu rechtfertigen, wenden wir uns nach innen, schauen nach innen, erkennen Objekte, entwickeln Ideen, die in eine vernünftige Ordnung gebracht werden. Dieser Blick nach innen reicht nicht sehr weit, denn er ist noch immer innerhalb der Grenzen seiner eigenen Beobachtung und Vernunft. Dieser Blick nach innen ist noch immer der Blick nach außen, und daher besteht kein großer Unterschied zwischen den beiden. Was verschieden zu sein scheint, könnte ähnlich sein.

Aber es gibt eine innere Beobachtung, die nicht die nach innen gerichtete äußere Beobachtung ist. Das Gehirn und das Auge, die nur teilweise beobachten, verstehen nicht das totale Sehen. Sie müssen vollkommen lebendig sein und doch still; sie müssen aufhören, zu wählen und zu urteilen, sondern passiv gewahr sein. Dann geschieht das innere Sehen ohne die Grenze von Zeit-Raum. In diesem Blitz wird eine neue Wahrnehmung geboren.

19.

 

Gestern war es den ganzen Nachmittag über ziemlich schlimm und irgendwie schmerzhafter. Gegen Abend kam das Heilige und erfüllte das Zimmer, und der andere fühlte es auch. Die ganze Nacht war es ziemlich ruhig, obwohl der Druck und die Spannung da waren wie die Sonne hinter den Wolken; früh heute Morgen begann das Geschehen wieder.

Es ist, als ob man nur aufwacht, um eine gewisse Erfahrung zu registrieren; dies geschah recht oft im vergangenen Jahr. Heute Morgen wurde man geweckt von einem lebhaften Gefühl der Freude; es geschah, als man aufwachte, es war nichts Vergangenes. Es geschah im gegenwärtigen Augenblick. Sie kam heran, diese Ekstase, von »außen«, nicht von einem selbst herbeigeführt; sie wurde durch den Körper gestoßen, floss durch den Organismus mit großer Energie und Fülle. Das Gehirn war nicht daran beteiligt, sondern registrierte es nur, nicht als eine Erinnerung, sondern als eine reale Tatsache, die stattfand. Es war, als sei eine unermessliche Kraft und Vitalität hinter dieser Ekstase; es war nichts Sentimentales und auch kein Gefühl, keine Emotion, sondern so greifbar und real wie dieser Fluss, der den Berg hinabbraust, oder jene einsame Kiefer auf dem grünen Hang. Alle Gefühle und Emotionen sind dem Gehirn verwandt, und so wie die Liebe es nicht ist, so auch diese Ekstase. Nur mit der größten Schwierigkeit kann das Gehirn sie zurückrufen.

Früh heute Morgen kam ein Segen, der die Erde zu bedecken und den Raum zu erfüllen schien. Mit ihm kommt eine alles in sich aufnehmende Stille, eine Stille, die alle Bewegung in sich zu enthalten scheint.

20.

 

Das Geschehen war gestern Nachmittag besonders intensiv. Im Auto, wartend, nahm man fast nicht wahr, was um einen her vorging. Die Intensität steigerte sich, und sie war fast unerträglich, sodass man gezwungen war, sich hinzulegen. Glücklicherweise war jemand im Zimmer.

Der Raum wurde voll von diesem Segen. Was nun folgt, ist fast unmöglich in Worte zu fassen; Worte sind solch tote Dinge, mit genau festgelegter Bedeutung, und was vorging, war jenseits aller Worte und Beschreibung. Es war der Mittelpunkt aller Schöpfung, es war ein läuternder Ernst, der das Gehirn von jedem Gedanken und Gefühl reinigte; sein Ernst war wie ein Blitzschlag, der zerstört und verbrennt: seine Tiefe war nicht messbar, sie war unbeweglich da, undurchdringlich, eine Dichte, die leicht war wie der Himmel. Sie war in den Augen, im Atem. Sie war in den Augen, und die Augen konnten sehen. Die Augen, die sahen, die schauten, waren ganz und gar anders als die Augen des Organs, und doch waren es dieselben Augen. Da war nur ein Sehen, die Augen, die jenseits von Zeit-Raum sahen. Da war eine undurchdringliche Würde und ein Friede, der das Wesen aller Bewegung, allen Handelns war. Keine Tugend berührte es, denn es war jenseits aller Tugend und Sanktionen des Menschen. Da war Liebe, die äußerst vergänglich war, und so hatte sie die Zartheit aller neuen Dinge, verletzlich, zerstörbar, und doch war sie jenseits von all diesem. Sie war unvergänglich, unnennbar, das Nichtwissen. Kein Gedanke konnte sie je durchdringen; kein Handeln konnte sie je berühren. Sie war »rein«, unberührt, und so immerfort sterbend schön.

All dies schien sich auf das Gehirn auszuwirken; es war nicht mehr wie zuvor. (Denken ist etwas so Triviales, notwendig, aber trivial.) Aus diesem Grund scheint sich die Beziehung geändert zu haben. Wie ein furchtbarer Sturm, ein vernichtendes Erdbeben den Flüssen einen neuen Lauf gibt, die Landschaft verändert, sich tief in die Erde gräbt, so hat es die Konturen des Denkens eingeebnet, die Form des Herzens verändert.

21.

 

Das ganze Geschehen geht weiter wie gewöhnlich, trotz Erkältung und Fieber. Es ist heftiger geworden und hartnäckiger. Man fragt sich, wie lange der Körper es noch aushält.

Gestern, als wir ein schönes enges Tal hinaufwanderten, seine steilen Ränder dunkel von Kiefern und grünen Feldern voller wilder Blumen, senkte sich plötzlich, ganz unerwartet, denn wir sprachen von anderen Dingen, ein Segen auf uns nieder, wie ein sanfter Regen. Wir wurden sein Mittelpunkt. Er war sanft, drängend, unendlich zart und friedlich und umhüllte uns mit einer Kraft, die jenseits aller Schuld und Vernunft war.

Früh heute Morgen, beim Aufwachen, ein veränderlich unveränderlicher, reinigender Ernst und eine Ekstase, die keine Ursache hatte. Sie war einfach da. Und während des Tages, was immer man auch tat, war sie da, im Hintergrund, und sie kam direkt und unmittelbar hervor, wenn man still war. Es war eine Dringlichkeit und Schönheit in ihr.

Keine Einbildungskraft oder Sehnsucht könnte jemals einen solch tiefen Ernst erfassen.

22.

 

Beim Warten in der dunklen stickigen Praxis des Arztes kam dieser Segen, den keine Sehnsucht herbeirufen kann, und erfüllte den kleinen Raum. Er war noch da, als wir wieder fortgingen. Ob der Arzt es gespürt hatte, ist unmöglich zu sagen.