

Tanz der Rivalen
Gejagte
Halo Fulbright

WREADERS E-BOOK
Band 84
Dieses Buch ist auch als Taschenbuch erschienen
Vollständige E-Book-Ausgabe
Deutsche Erstausgabe
Copyright © 2021 by Wreaders Verlag, Sassenberg
Druck: BoD – Books on Demand, Norderstedt
Umschlaggestaltung: Emily Bähr
Lektorat: Hannah Koinig, Annika Wenninger
Satz: Lena Weinert
www.wreaders.de
ISBN: 978-3-96733-167-7
Jedes Mal, wenn Jack die Augen schloss, spürte er es auf seiner Haut wie eine frische Sommerbrise – ein sanftes Kitzeln, das ihm eine Gänsehaut bereitete. Jedes Mal, wenn Jack die Augen schloss, spürte er Schauer über Schauer, die einander seinen Rücken hinab jagten und ihm den Atem raubten. Jedes Mal, wenn Jack die Augen schloss, musste er sich auf die Unterlippe beißen, um still zu bleiben, musste er sich zwingen, ganz besonders tief Luft zu holen und sie auch wieder aus seinen Lungen zu entlassen.
Denn jedes Mal, wenn Jack die Augen schloss, erinnerte er sich an Clarke Johnson und alle Sünden, die er je begangen hatte, gemeinsam mit Jack. Er erinnerte sich an seine heißen Hände, stark und doch weich, an seine goldenen Augen, das gepflegte Gesicht, die strahlend weißen Zähne, die er mit jedem kleinen Grinsen entblößte und er erinnerte sich auch an seinen Geruch und das Gefühl von seiner Haut, seinen Lippen, seinen Berührungen.
Sein Herz pochte in diesem Moment lautstark in seiner Brust, hämmerte von innen gegen die Wände, die es schon immer gefangen hielten. Seine Pupillen waren gefährlich geweitet, die Augen dunkel und voller Begierde und Erinnerungen. Es hatte lange gedauert, bis er es sich selbst endlich eingestanden hatte. Denn Jack Wright liebte Clarke Johnson – er liebte diesen verdammten Mistkerl. Doch konnte man es ihm wirklich verübeln?
»Nichts ist so süß und unschuldig wie unsere gemeinsame Sünde«, flüsterte er mit bebenden Lippen und der Klang seiner Stimme erfüllte die Nachtluft wie ein gespenstischer Nebelschleier – ihm stockte der Atem und er schluckte. Vielleicht verlor er gerade den Verstand, aber alles in ihm sehnte sich nach Clarke. Jede Faser seines Körpers, jeder Muskel und jedes Glied. Er erzitterte ein wenig und schüttelte den Kopf.
Verflucht sei dieser Mann, dass Jack nicht eine Nacht in seinem Bett liegen konnte, ohne an ihn denken zu müssen. Nicht eine Nacht, in der Jack nicht an irgendeine andere Nacht denken musste, die sie zusammen verbracht hatten.
Ihm spukte das eine Mal im Kopf herum, da hatte Clarke ihn in das Schlafzimmer geführt und grinsend zu dem Fensterbrett geblickt, auf dem zahlreiche Messer gelegen hatten – bei ihrem Bad im Mondlicht hatten die Klingen silbern geleuchtet und Jacks Körper und Geist mit Adrenalin und Lust gefüllt. Kurz darauf hatte Clarke die Augen des Polizisten verbunden – der Stoff samtig und weich, eine liebkosende Berührung auf Jacks Haut. Er erinnerte sich noch, wie sein schlagendes Herz seine Brust zum Beben gebracht hatte, so stark, dass er die Schärfe der Messer nur zu gut gespürt hatte. Oder sein springender Kehlkopf, der die Gefahr wohl als Einladung gesehen hatte.
Jack fluchte. Er wollte nicht daran denken – er wollte nicht immer daran denken, wollte nicht immer alleine in seinem Bett liegen und sich nach Clarke sehnen, nach seinem selbstgefälligen Grinsen und seinem muskulösen Körper. Und nach seinen Waffen. So verrückt das auch klang, Jack mochte sie, irgendwie. In ihrer ersten gemeinsamen Nacht hatte Clarke ihm das bereits mehr als deutlich gemacht und seitdem war so gut wie kein »Spielchen« ohne sie vergangen. Doch so sehr Clarke die Dinger liebte, war Jack seltsam klar, dass er sie ohne Jacks Einverständnis und Wohlbefinden nicht nutzen würde. Das war zwar einerseits beruhigend, gab ihm andererseits aber zu denken.
Bin ich verrückt? Wieso finde ich Waffen heiß?
Einmal hatte Clarke die Mündung seiner Pistole an Jacks Lippen gepresst und ihm ein leises Stöhnen entlockt, obwohl er ihm nur den Mund hatte verbieten wollen. Doch gegrinst hatte der Verbrecher trotzdem und dann hatte er Jack geküsst.
Jack leckte sich die Lippen, bevor er sich fluchend aufsetzte und die Augen schloss. Tief atmen – ein, aus, ein aus. Er wollte seinen Körper, der ihm inzwischen etwas entglitten war, wieder unter Kontrolle bekommen. Schweißperlen rannen über seinen Rücken und da regte sich noch mehr. Wie jeden Abend, den er alleine verbrachte, hoffte er nämlich, dass Clarke noch kommen und ihn überraschen würde. Und wie sonst auch hoffte er, dass Clarke ihn nie, niemals in diesem Zustand sehen würde – zumindest nicht, ohne dass Clarke ihn aktiv zu verantworten hatte, nicht nur passiv. Diese Genugtuung gönnte er dem Verbrecher einfach nicht. Manchmal glaubte Jack, dass Clarke sich selbst für einen Gott hielt. Er verstand, wieso.
Sein Handy vibrierte und sandte einen elektrischen Strom durch Jacks Adern – es kribbelte wohlig unter seiner Haut und vor lauter Aufregung zitterten seine Finger sogar ein wenig, als er nach dem Gerät griff. Es war erstaunlich kalt im Vergleich zu seinem erhitzten Körper.
»Hey Kleiner«, las er mit rauer Stimme vor, was auf dem Display stand. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. »Ich hoffe, du wartest schon auf mich. Du kannst mir nichts vormachen. Ich weiß, dass du an mich denken musst.«
Jack wurde rot und er stieß widerwillig ein leises Schnauben aus – fühlte sich ertappt, vielleicht auch ein wenig beschämt. Doch wie konnte man sich beschämt fühlen, wenn es einem ganz warm und angenehm im Magen wurde? In Jacks Augen blitzte etwas auf, als er die nächste Nachricht von Clarke sah. Er grinste.
»Ich werde in ein paar Stunden bei dir sein, aber vorher habe ich noch etwas zu erledigen. Ein paar Geschäfte in einer alten Kirche. Es würde dir hier sicherlich gut gefallen ;) Ein Ort, an dem ich auf besonders kreative Gedanken komme.«
Jack stöhnte leise auf und wenn es irgendwie möglich war, wurde sein Gesicht noch ein wenig mehr rot. Dann schrieb er seine Antwort und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
»Wir beten normalerweise nur im Schlafzimmer, Clarke.«
Solche Bemerkungen würde er sich in der Öffentlichkeit nie sagen trauen – so einer war er nicht. Clarke hingegen …
Es dauerte einige Sekunden, bis das Handy sich erneut regte.
»Das habe ich anders in Erinnerung, Kleiner. Wenn dem deiner Meinung nach nicht so ist, sollten wir das schleunigst ändern. Darüber können wir später in aller Ausführlichkeit reden. Ich muss los, Kleiner.«
Jack lächelte und ließ sich wieder in das weiche Bett fallen. Sein Blick wanderte zu dem Fenster und dann entschied er sich, den Verbrecher ein wenig zu überraschen. Er erhob sich also wieder und suchte nach den Messern und Pistolen, die Clarke am liebsten hatte. Er holte die Handschellen und die Seile, die Augenbinden und die Kerzen. Er stellte alles auf den kleinen Tisch, der mitten im Zimmer stand. Dann setzte er sich wieder auf das Bett, ein Leuchten in den Augen.
Er sehnte sich nach der Sünde, die Clarke Johnson verkörperte.
Nach der Kontrolle, die ihm der Mann nahm.
Und nach seinen Lippen.
Clarke trug ein Lächeln auf den Lippen, das seine Augen zum Strahlen brachte und sicherlich ein Zeichen der Vorfreude war – seit er in der Früh aufgestanden war, hatte er Jack nicht mehr gesehen und ihre letzte gemeinsame Nacht war schon ein paar Tage her. Die letzten Male war er nur sehr spät nach Hause gekommen.
Ja, Clarke war der Meinung, dass Rückhalt in vielen Dingen ein ganz neues Feuer tief in einem entfachen konnte und etwas zu missen, machte es meist noch besser, als es ohnehin schon war. Aber Jack wollte er auf keinen Fall seltener sehen als nötig – ein einziger Tag war für ihn bereits schlimm genug, füllte seine Brust mit einem brennenden Verlangen und einer Sehnsucht, die ihm den Atem raubten.
Das Problem war nur, dass Clarke eben einfach viel zu tun hatte – unverändert gehörten ihm die meisten Verbrecher der Stadt, mehr oder weniger. Und die, die nicht sein waren, musste er überwachen lassen oder selbst im Auge behalten und notfalls sogar stoppen, falls sie zu brutal wurden und etwas taten, das Clarkes großzügige Moral verbot.
Auch heute war es für ihn wieder an der Zeit gewesen, ein paar Waffenhändler aus dem Verkehr zu ziehen, die eine recht große Gang versorgten – eine neue Gruppe, von der Clarke noch nicht allzu viel wusste. Doch sie bereiteten ihm Sorgen und er hatte sich schon länger um sie kümmern wollen, was Dank mangelnder Informationen nie funktioniert hatte.
Besagte Waffenhändler hatten sich mit einem Vertreter der Gang in einer Kirche getroffen, um einen bereits länger geplanten Deal durchzuziehen. Clarke selbst war auch vor Ort gewesen, um sie zu stoppen. Noch immer tropfte heißes Blut von seinen Fingern, befleckte den Boden und hinterließ eine Spur, die nicht unbedingt vom Tod zeugte, aber zumindest von starken Schmerzen und Qualen. Allerdings waren diese nicht die seinen gewesen. Clarke hatte sich heute für seine Wurfdolche entschieden, aber der Nachteil an ihnen war, dass man sie den Toten – oder auch den »nur« Verletzten – wieder entnehmen musste. Seine Hände waren also blutrot, aber die Kleidung hatte keinen Fleck abbekommen, saß recht am Platz und auch so hatte er keine Kratzer abbekommen.
Die Unglücklicheren in diesem Kampf lebten allerdings noch – Jack zuliebe. Das hatte sich der Polizist von Clarke gewünscht und wie könnte er ihm jemals etwa abschlagen? Und so landete er mit den Gedanken nun doch bei seinem Jack und sein Herz schlug augenblicklich etwas schneller, so wie sich auch seine Schritte beschleunigten.
Er machte einen Zwischenstopp auf dem Weg zu seinem Haus und besuchte einen Freund – wenn man einen alten Verbrecher, der inzwischen mehr oder weniger im Ruhestand war, denn als einen Freund sah. Doch auch bei solchen musste Clarke sicherstellen, dass sie noch loyal waren und keinen Mist bauten, und ganz davon abgesehen gab es dort ein Waschbecken – Clarke wollte sich frisch machen und das schon vor seiner Ankunft bei Jack. Aus Eitelkeit? Nun – vielleicht.
Schließlich befand er sich doch auf dem Heimweg und der Gedanke daran, was er alles mit seinem Polizisten anstellen würde, jagte Wellen der Erregung und freudige Schauer durch seinen Körper.
Inzwischen hatten sich die kleinen Härchen auf seiner Haut bereits aufgestellt und während er lief, blendete er nach und nach mehr von seiner Umwelt aus – er schwelgte in Erinnerungen.
Clarke spürte eine heiße Hand auf seiner Haut. Finger, die sanft seinen Tattoos folgten und seinen gezeichneten Körper erkundeten. Darauf folgten Lippen, die die Stellen liebkosten. Er erschauderte ein wenig und ein warmes Gefühl brach über ihn wie eine Welle. Äußerlich ließ er sich nichts davon anmerken, aber in seinem Inneren jagte ein verführerisches Gefühl das nächste und er konnte in diesem Toben kaum atmen.
Jack war … umwerfend. Er hatte einen starken Willen und verfolgte seine Ziele auf seine ganz eigene Art und Weise, aber wenn es ums Bett ging, gehörte er Clarke. Oder? Von ihrer ersten Begegnung an hatte der Polizist versucht, ihn zu besiegen – ihn unterzukriegen. Und noch immer hatte Jack nicht aufgegeben, aber das Ganze war mehr zu einem Spiel um die Macht gewonnen. Ein Spiel, bei dem der Gewinner schon von Anfang an bestimmt schien – ein Spiel nur zum Spaß, da sie beide den Ausgang bereits kannten und sich doch gerne miteinander maßen.
»Du versuchst, mich zu kontrollieren, aber dabei gehöre ich schon längst dir«, flüsterte Clarke und sein hauchfeiner Atem bildete ein kaum sichtbares Wölkchen in der frischen Nachtluft. Er lächelte und ein Kribbeln breitete sich auf seinem gesamten Körper aus, überzog ihn mit einer Gänsehaut. Er warf seinen Kopf in den Nacken und grinste.
»Du weißt es nicht, Kleiner, aber du könntest alles von mir verlangen.«
In Clarkes Augen war Jack mehr als nur perfekt – er wollte alles für ihn tun, alles. Und auch wenn er die Initiative ergriff und sich die Kontrolle nahm, die er wollte, so handelte er doch immer zu Jacks Gunsten.
Jack.
Er konnte es kaum erwarten. Seine Schritte wurden noch etwas größer und schneller und nun dauerte es wirklich nicht mehr lange, bevor er vor seinem Haus stand. Er sperrte die Tür auf und trat ein. Es war still.
Nun ließ er sich allerdings doch etwas mehr Zeit, zwang sich zumindest dazu. Denn Jack hatte die Haustür sicherlich gehört und er wollte den Polizisten zappeln lassen – zumindest ein wenig. Nur ein wenig.
Gemächlich zog er seinen Mantel aus, auch wenn es ihm in den Fingerspitzen kribbelte. Er wollte nicht länger warten, aber noch ein paar Minuten mehr mussten drin sein.
Es verging eine ganze Viertelstunde – Clarke ließ sich im Badezimmer viel Zeit – bevor er auf das Schlafzimmer zutrat. Seine Lippen umspielte sein übliches Grinsen und seine Augen funkelten wie die eines Raubtieres, das auf der Lauer lag. Seine Finger schlangen sich um den Türgriff und dann betrat er den Raum. Als er Jack sah, weiteten sich seine Pupillen schlagartig und er blieb stehen.
Auf einem Tisch lagen all die Dinge, die Clarkes Herz schneller schlagen ließen – sogar seine liebsten Waffen. Jack saß auf dem Bett und trug einen Anzug. Das tat er, seit er kein Polizist mehr war, nur noch manchmal. Vermutlich aber, weil er wusste, dass Clarke ihn darin heiß fand.
Das Grinsen verschwand von Clarkes Miene und wurde ersetzt durch ein nachdenkliches Lächeln. Er straffte die Schultern und richtete sich ein wenig mehr auf. Mit einer lässigen Handbewegung flogen die Handschellen durch den Raum und Clarke griff nach ihnen. Dann nickte er auf den Boden zu seinen Füßen – ohne zu zögern, kniete sich der ehemalige Polizist dort hin.
Clarkes Atem beschleunigte sich ein wenig, sein Herz raste.
»Du siehst in dem Anzug gut aus, Kleiner.«
»Fang endlich an. Lass mich nicht noch länger warten.«
Clarke beugte sich zu ihm herab und fuhr ihm mit der Hand durchs Haar, bevor er sich wieder aufrichtete und ihn nun doch wieder grinsend betrachtete.
Seine Stimme war die Ruhe vor dem Sturm – eine Brise vor dem nahenden Untergang. Sanft wie Seide. Sie barg ein Versprechen, das zugleich auch eine Drohung war.
»Dein Wunsch sei mir Befehl.«
»Wieso muss ich dein Handlanger sein?« Jack war auf der Straße stehengeblieben und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. In seinem Blick lag Trotz.
»Weil du nicht mein Boss sein kannst, Kleiner«, erwiderte Clarke und drehte sich dabei mit einem leichten Grinsen um. In seinen Augen funkelte es und Jack konnte kaum erkennen, ob sein Freund amüsiert oder genervt von ihm war. Er drehte sich auf jeden Fall einfach um, das Thema war für ihn offensichtlich erledigt, und lief weiter. Jack schnaubte ein wenig und joggte ein paar Schritte, bis er wieder zu ihm aufgeschlossen hatte.
»Nein, wirklich. Wieso muss ich dein Handlanger sein?«
Clarke stieß scharf Luft durch seine Nase aus und lief einfach weiter, sagte keinen Ton.
»Clarke!«
Der Angesprochene blieb stehen und holte tief Luft, bevor er sich erneut umdrehte und Jack fest in die Augen sah.
»Das haben wir doch schon besprochen. Mehrmals. Und ich weiß, dass du es verstehst. Es gefällt dir nur nicht.«
»Es gefällt mir auch nicht«, meinte Jack mit einem seufzen und er griff nach Clarkes Handgelenk.
»Ich will nicht dein Handlanger sein … ich will nicht unwichtig sein und … einfach nur deinen Befehlen folgen. Das soll nicht mein einziger Zweck sein.«
Für eine Sekunde schlich sich wieder ein Grinsen auf Clarkes Gesicht.
»Normalerweise hast du nichts gegen meine Befehle, Kleiner.«
Jack rollte mit den Augen und der Verbrecher wurde schlagartig wieder ernst.
»Du bist nicht unwichtig. Und das ist auch nicht dein einziger Zweck. Nur … hier außen ist das so. Wenn du mit mir unterwegs bist. Du weißt, dass es zu deiner eigenen Sicherheit ist.«
»Ich kann auf mich selbst aufpassen. Ich muss nicht dein Handlanger sein.«
Clarke schüttelte ein wenig mit dem Kopf, bevor er bohrte: »Was würdest du denn sonst gerne sein, Kleiner, hm?«
»Dein Partner!«
Es war einen Moment lang still und die beiden starrten sich einfach nur an.
»Du bist – «
»Aber nicht hier draußen.«
»Hör zu, Kleiner.«
Clarke trat auf ihn zu und dieses Mal loderte ein drohendes Feuer in seinen Augen, doch Jack wusste aus Erfahrung, dass es Sorge verstecken sollte. Er war es nur leid … so verdammt leid!
»Es gibt eine neue Gruppe in dieser Stadt und das weißt du. Und du weißt auch, dass sie mich aus dem Weg räumen wollen. Wir haben rausgefunden, dass sie mich beobachten lassen. Wenn sie von uns erfahren, kann das ganz schnell schlecht für dich enden. Deshalb dürfen wir uns nicht verraten. Hier draußen bist du deswegen mein Handlanger.«
»Was sollten sie schon mit der Information anfangen?«
»Sie könnten dich benutzen, um an mich zu kommen.«
Jack lachte wenig amüsiert auf und schüttelte ein wenig mit dem Kopf.
»Das ist mir egal. Ich kann mich verteidigen. Und wieso sollte es dich überhaupt stören, ob … «
Jack keuchte auf, als er sich mit dem Rücken an eine Hauswand gepresst wiederfand. Die Luft wurde ihm schlagartig aus den Lungen gerissen und er starrte in Clarkes wütende Augen.
»Jack«, knurrte der Verbrecher und der ehemalige Polizist erschauderte. Clarke nannte ihn nur so, wenn er wirklich verärgert war.
»Du bist mir wichtig, Kleiner, verdammt! Und ich werde nicht riskieren, dass dir wegen mir etwas passiert. Wenn sie von uns erfahren und dich in die Finger bekommen, werden wir beide nicht mehr lange leben. Deshalb bist du mein Handlanger.«
Jack holte bebend Luft und er sah für einen Moment auf die Hand, die auf seiner Brust lag und ihn gegen die Wand drückte.
»Du wirst gefälligst tun, was man dir sagt. Sonst … «
»Sonst sperrst du mich in deinem Haus ein und ich darf es nicht mehr verlassen?«, spuckte Jack und dann breitete sich eine Totenstille zwischen den beiden aus. Sie starrten sich an, als würden sie sich jeden Moment die Gesichter zerfetzen. Dann sackte Jack seufzend nach hinten und schloss die Augen.
»Es ist nur so, dass … du bist so oft unterwegs wegen dieser Gruppe und nimmst mich so selten mit. Und wenn du mich dann mal mitnimmst – ich fühle mich nutzlos und …«
»Ich weiß. Aber nicht mehr für lange, Okay? Wir sind nah an ihnen dran. Wenn wir die Stadt von ihnen befreit haben, wird alles wieder so sein wie früher.«
Clarke bot ihm ein leichtes Lächeln an und Jacks Antwort darauf war ein kaum merkbares Nicken.
»Außerdem bist du nicht nutzlos. Du arbeitest immerhin aktiv daran, die Menschen davon zu überzeugen, dass es gute Magier gibt.«
»Ohne Erfolg.«
»Das stimmt nicht, Kleiner. Ein paar Menschen hast du doch schon überzeugt. Und der Rest wird folgen. Nur nicht den Mut verlieren.«
Clarke runzelte die Stirn und sah sich um, bevor er sich zu ihm beugte und ihm einen sanften Kuss auf die Lippen gab. Jack sehnte sich nach mehr, aber sie lösten sich sofort wieder voneinander und Clarke trat zurück.
»Und jetzt komm. Wir haben eine Aufgabe zu erledigen.«
Das stimmte. Die beiden hatten nämlich einen Magier ausgemacht, der seit einer Weile alle Banken und größeren Geschäfte der Stadt unsicher machte und ihnen sogar eine Heidenangst bereitete. Denn dieser besagte Magier war auf alles aus, was irgendwie wertvoll erschien – von Geld bis zu Schmuck war da wirklich alles dabei. Doch davon abgesehen war dieser Magier nicht einfach nur ein Magier, nein, er war ein ehemaliges Mitglied der Schwarzen. Clarke kannte seinen Namen zwar nicht, aber auf einigen Aufnahmen hatte er den Mann ganz klar erkannt und somit war er ins Visier der beiden gefallen.
Wenn Jack Clarkes Haus verließ – das er noch immer nicht ganz erkundet hatte – dann war das meist nur, um auf die Jagd zu gehen. Seine Beute war dabei ein jeder Magier, der Böses vollbrachte. Er wollte der Welt beweisen, dass Magier auch gut sein konnten. Er nahm die Verbrecher fest und brachte sie zur Polizei, bevor er sich selbst schnell wieder aus dem Staub machte. Meist ging er alleine auf diese Missionen und einige Male hatte ihn die Polizei beinahe erwischt, aber er war ihr letztendlich doch immer entkommen. Manchmal begleitete ihn allerdings Clarke und dann wusste Jack nie, ob er sich freuen sollte oder nicht. Natürlich schlug sein Herz schneller, wann immer er den anderen nur zu Gesicht bekam und ja, er liebte ihn noch immer und diese Gefühle schienen auch mit jedem Tag stärker zu werden. Aber Clarke fürchtete um Jacks Leben und sobald sie zusammen auf der Straße waren, verhielt er sich ihm gegenüber nicht mehr wie sonst immer – oder zumindest nur selten. Jack vermisste einfach die Tage, an denen alles so war wie immer. Ein leises Seufzen entfuhr ihm und Clarke drehte den Kopf. Ein schiefes Grinsen umspielte seine Lippen.
»Komm schon, Kleiner. Nicht so langsam. Du bist noch immer so langsam wie früher.«
»Ich bin nicht langsam. Du bist einfach schnell. Außerdem könntest du auch mit mir üben, wenn es dich so stört.«
Ein leiser Vorwurf schwang in seiner Stimme mit und Clarke nickte.
»Okay. Wenn du wirklich mit mir trainieren willst, solltest du dich aber auf was gefasst machen. Das wird nicht einfach und ich werde keine Rücksicht auf dich nehmen.«
Jack lächelte nun auch ein wenig, obwohl er am liebsten beleidigt gespielt hätte. Doch das fühlte sich jetzt tatsächlich an wie früher.
»Ich weiß, dass du keine Rücksicht auf mich nimmst. Ich habe noch immer diese verdammte Narbe von damals, als du mir dein Schwert …«
»Du warst eben einfach zu langsam. Da hätte ich unmöglich in der Bewegung stoppen können.«
»Dann hast du wohl zu langsam reagiert.«
Clarke lachte ein wenig, als Jack das sagte und er sah mit einem zufriedenen Ausdruck auf die Straße.
»Touché.«
Inzwischen kroch die Dunkelheit aus ihrem Versteck heraus und breitete sich in der Stadt aus. Der Himmel war bereits finster und kein Stern war zu sehen – selbst der Mond war von Wolken verdeckt worden und nur ein paar wenige Straßenlaternen hier und da beleuchteten den Weg. Jack wusste, dass Clarke die Dunkelheit liebte und sich in ihr heimisch fühlte. Er selbst verband sie mit ihren früheren Treffen bei Nacht – keine schlechte Erinnerung.
»Wo haben deine Leute ihn überhaupt gesehen? Das hast du mir noch nicht gesagt.«
»Am Hafen. Wir sind ja gleich da.«
Jack nickte und er sah sich um, fröstelte ein wenig. Es war eine kalte Nacht und auch sein Anzug war kaum hilfreich dabei – er fror trotzdem. Nach all der Zeit trug er, sobald er das Haus verließ, noch immer liebend gerne einen Anzug inklusive Krawatte. Auch wenn er eben nicht mehr für die Polizei arbeitete, das war ihm egal. Er mochte seinen Anzug. Was sich an seinem äußeren Erscheinungsbild ebenfalls nicht geändert hatten, waren die Augenringe. Er schlief zwar ein wenig mehr als früher, aber die meisten Nächte machte er noch immer mit Clarke oder mit seinem Computer durch – nein, keine Pornos. Er arbeitete, wirklich. Da er keinen Job mehr hatte, war es nun seine Aufgabe, die Welt von der Existenz der guten Magier zu überzeugen. Bisher nur mit mäßigem Erfolg. Kaffee war übrigens noch immer sein bester Freund.
»Vorsicht!«
Plötzlich packte Clarke Jack am Arm und riss ihn nach unten. Die beiden versteckten sich hinter einem geparkten Auto und sahen durch die Scheiben auf das offene Hafengelände, wo ein Mann mit feurig glühenden Händen einen großen Container bearbeitete. Offensichtlich wollte er ihn öffnen, um an den Inhalt zu gelangen.
»Ist er alleine?«, fragte Jack und seine Stimme war kaum ein hörbares Flüstern, das mit einem hellen Wölkchen in die Nachtluft entfloh. Clarke reagierte einige Sekunden lang nicht, bevor er nickte.
»Ja. Seine bisherigen Überfälle hat er immer ohne Komplizen durchgeführt.«
»Das muss nicht heißen, dass er jetzt auch nicht alleine ist. Wir sollten ihn noch einen Moment beobachten und …«
»No risk, no fun, Kleiner.«
Clarke grinste und erhob sich langsam, kam aus der Deckung hervor. Seine goldenen Augen ruhten auf Jack und da lag ein Funkeln in ihnen, das eiskalte Schauer über dessen Rücken jagte und ihn erzittern ließ. In seinen Händen tauchten plötzlich leuchtende Messer auf. Mal wieder wurde ihm bewusst, dass Clarke Johnson gefährlich war. Gefährlich und verdammt heiß.
»Clarke!«
Das Funkeln wurde heller.
»Hey, du da!«, rief Clarke und seine Stimme schallte auf dem gesamten Platz wieder und erst zwei Sekunden später wandte er den Blick ab und die beiden starrten auf den Mann, der in der Bewegung innegehalten hatte und ebenfalls zu ihnen herübersah. Jack konnte ihn kaum erkennen und wollte sich gerade aufrichten, als sich Clarke auf ihn schmiss und ihn zur Seite riss.
Ein gleißender Feuerball krachte in das Auto und warf es um. Die Flammen erwärmten die Luft und der Geruch nach Rauch brannte schon jetzt in Jacks Lungen. Das Auto hatte Feuer gefangen und das Benzin darin …
Er konnte sich kaum länger den Kopf darüber zerbrechen, denn Clarke packte ihn erneut und riss ihn nach oben. Ein breites Grinsen zierte sein Gesicht und er hielt triumphierend eines der Messer hoch.
»Los geht’s, Kleiner. Renn!«
Jacks Herz pumpte Blut durch seinen Körper und drohte zu explodieren. Er zitterte vor lauter Aufregung, als Adrenalin durch ihn schoss und ihn beim Laufen antrieb, schneller und schneller zu rennen. Nur schwer konnte er mit Clarke mithalten, der sicher noch nicht an seine Grenze gelangt war und nur Jack zuliebe so »langsam« rannte.
Laut krachend explodierte hinter ihnen das Auto und Glassplitter schossen durch die Luft. Die Druckwelle riss Jack beinahe von den Beinen und er strauchelte, wich gerade noch so einem der Container aus und dann trennte er sich von Clarke. Sie hatten sich nicht abgesprochen, aber so hatten sie es schon hunderte Male getan. Jack näherte sich dem Magier von vorne und Clarke würde ihn von hinten überraschen.
Jack flog über den Boden. Anders konnte man es kaum bezeichnen. Seine Füße berührten den Grund nahezu gar nicht und mit einem Mal verschwamm alles in seinem Blickfeld. Einzig alleine die flammenden Hände des Magiers konnte er noch wirklich wahrnehmen. Das war alles, was zählte. Und die Zeit hielt für einige Sekunden an, in denen er sich wappnete – mental. Dann ging alles ganz schnell.
Brennende Kugeln schossen auf ihn zu und er warf sich zur Seite, prallte mit der Schulter an einen Container und rollte sich ab. Vorwärts. Einfach nur vorwärts.
»Hände hoch!«, brüllte er und umgriff die Pistole in seinen Händen sicher und fest. Doch der Magier dachte nicht im Geringsten daran, aufzugeben und seine Geschosse verdoppelten ihre Größe. Er war auf jeden Fall geübter als die Meisten. So viel Magie zu verwenden war anstrengend. Aber auch Jack jagte Magier wie ihn seit Monaten, zusammen mit Clarke. Er hatte mehr Kondition und Kraft als je zuvor.
Im nächsten Moment sah er aus dem Augenwinkel eine Bewegung und fuhr herum. Dabei strauchelte er, stolperte über seine eigenen Füße. Das nutzte auch sein Gegner, denn die nächste Feuerkugel surrte geradewegs auf Jacks Beine zu. Mit einem Aufschrei sprang er zur Seite und prallte wieder gegen einen Container, aber nun verlor er das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Gleich bei seinem Aufprall erblickte er einen Hund – die Bewegung, die ihn abgelenkt hatte.
Er fluchte und setzte sich in Bewegung. Keine Sekunde zu früh, denn wo gerade noch sein Oberschenkel gewesen war, schlug erneut eine flammende Bedrohung ein. Halb krabbelnd halb rennend stob er nach vorne und zur Seite, schlüpfte hastig in den engen Raum zwischen zwei großen Containern. Die Hitze des Feuers trieb ihm Schweiß auf die Stirn und er keuchte.
Nach einem tiefen Atemzug legte er einen Finger auf den Abzug und lehnte sich vor, sah an dem Container vorbei auf den Magier. Er zielte und schoss, doch zwei weitere Feuerkugeln empfingen ihn und sein Schuss ging ins Leere. Sein Magazin war leer und er hatte keinen Ersatz dabei.
»Verdammt!«
Mit vor Aufregung zitternden Fingern steckte er die Waffe weg und ging in die Hocke. Vorsichtig lugte er erneut um die Ecke, doch er stand sofort wieder unter Beschuss und musste sich ein wenig zurückziehen. Mit seinem Rücken stieß er gegen einen weiteren Container – er war hier gefangen zwischen den eisernen Kästen. Sein einziger Ausweg würde ihn direkt in die Arme des Magiers leiten. Wo war Clarke?
»Okay, okay … du schaffst das, du schaffst das«, sprach er sich selbst im Flüsterton Mut zu und starrte dann auf seine Hände. Sie begannen mit dem Licht der Sterne zu leuchten. Er benutzte seine Kräfte nur selten und ungern. Er hatte keine Angst mehr davor, aber eine Pistole war ihm lieber. Nicht zu selten kritisierte ihn Clarke deshalb, aber das war ihm relativ egal. Nun hatte er allerdings keine Wahl.
Das Tier seiner Gedanken war dieses Mal ein Gepard – schnell und gefährlich, so wie es auch dieser Magier war. Das Seelenwesen katapultierte sich mit starken Hinterbeinen aus Jacks Versteck hervor und warf sich um die Kurve. Der ehemalige Polizist trat auch einige Schritte nach vorne. Er musste sehen, was geschah, um es steuern zu können.
Aus der Kehle des Magiers entwich ein leiser Schrei und er feuerte mit Kugeln nach dem Tier, das geschickt auswich und sich schließlich auf ihn warf. Jack sprintete hinterher.
»Oh mein Gott – mach das weg. Mach das weg! Es tötet mich!«
Erleichterung viel von Jacks Schultern und er kam vor dem Magier zu stehen. Das Seelentier löste sich in Luft auf, als hätte es nie existiert.
»Es tötet nicht. Nie«, murrte er und packte den anderen an der Schulter. »Außer ich will das. Sie sollten mich also nicht verärgern und das tun, was ich von Ihnen will.«
Er brauchte keine Antwort, um Gewissheit zu erhalten. Der Mann zitterte wie Espenlaub in Jacks Halt und er fühlte sich beinahe schlecht – aber es war nun mal ein Verbrecher, der seine Macht ausnutzte und anderen Menschen schadete. Das konnte er nicht durchgehen lassen. Außerdem war er viel zu beschäftigt, um ein schlechtes Gewissen zu haben – Clarke war noch immer nicht aufgetaucht und das war mehr als seltsam.
Gerade, als er nach ihm rufen wollte, hörte er Stimmen in seinem Rücken und fuhr herum. Vor ihm standen drei Männer. Einer davon Clarke, ein verschmitztes Grinsen auf den Lippen. Der zweite war Joey, ein guter Freund – ein schlaksiger Magier mit blauen Augen, der Jack bei der Suche nach Verbrechern half. Den dritten Mann kannte er nicht.
»Hast du mich vermisst, Kleiner?«
»Ja! Ich hätte deine Unterstützung gut gebrauchen können.«
»Offensichtlich hast du es auch ohne mich geschafft.«
Jack rollte ein wenig mit den Augen, er konnte nicht anders.
»Und wer ist das?«
Stirnrunzelnd rückte Joey die Brille auf seiner Nase zurecht und trat dann einen Schritt nach vorne. Er zeigte auf den Magier, der noch immer in Jacks Griff zitterte.
»Sein Komplize.«
Stoßartig atmete Jack durch die Nase aus und sein Blick wanderte wieder zu Clarke, der schief grinste.
»Ausnahmen bestätigen die Regel. Wie dem auch sei, wir sollten die beiden abliefern.«
Jack holte tief Luft und nickte dann. Die angestaute Wut in seinem Inneren entwich mit einem Mal wieder. Vielleicht versteckte sie sich aber nur tief in ihm, in irgendwelchen dunklen Ecken, die er noch nicht kannte. Es war ihm egal.
Seit Hunters Tod hatte sich kaum etwas verändert. Die Schwarze war zwar zerschlagen worden, aber viele Magier hatten entkommen können und trieben nun noch immer ihr Unwesen in der Stadt. Die Menschheit hielt alle Magier für böse, auch die eigentlich Guten. So wie immer. Aber eine Sache hatte sich dennoch geändert – Clarke kontrollierte zwar noch die Stadt, aber Jack war zum Jäger geworden. Gemeinsam mit Joey spürte er Magier und Verbrecher auf, die nichts Gutes im Sinn hatten. Sie jagten sie, nahmen sie fest und lieferten sie der Polizei aus. Das Ganze in der Hoffnung, zu beweisen, dass sie gut waren. Und manchmal, wie an diesem Tag, kam Clarke sogar mit.
»Geht klar. Zum Glück ist die neue Zentrale der ReMaB hier in der Nähe. Neulich mussten Joey und ich drei Typen durch die halbe Stadt führen … zu Fuß. Das war kein Spaß.«
Clarke lachte ein wenig und er trat auf Jack zu. Für einen Moment lang sahen sich die beiden fest in die Augen, bevor der ehemalige Polizist sich räusperte.
»Wir sollten geh-«
Von dem schrillen Geschrei der Polizeisirenen wurde er unterbrochen. Instinktiv fuhr er herum. Blaulicht flutete wie aus dem Nichts die kleine Fläche zwischen den ganzen Containern. Jack blinzelte gegen die Helligkeit an – er konnte kaum etwas erkennen, war zu geblendet.
Doch er hörte die ohrenbetäubenden Sirenen und er sah die schemenhaften Umrisse der Polizeiautos. Er hörte auch, wie Pistolen entsichert wurden und Schritte.
Schluckend ließ er den zitternden Magier los, der sich inzwischen hektisch wand und versuchte, die Situation zu überblicken. Doch dafür war es zu spät. Sie waren umzingelt.
Jack trat einen Schritt zurück und seine Schulter berührte die von Clarke. Auch Joey kam den beiden ein wenig näher – das roch er an dem strengen Parfum, das er immer in zu großen Mengen auftrug. Er registrierte das kaum, sein Fokus lag auf der Bedrohung direkt vor ihm.
Ein Mann trat vor die Scheinwerfer eines der Autos und Jack erkannte lediglich die schwarze Silhouette.
»Hier spricht der Leiter der ReMaB. Sie sind umstellt. Halten Sie die Hände über ihre Köpfe, sodass wir sie sehen können. Machen Sie keine ruckartigen Bewegungen, halten Sie still. Niemand muss hier verletzt werden, wenn Sie sich ruhig verhalten.«
Langsam drehte Jack den Kopf zur Seite und er und Clarke sahen sich an. Der Verbrecher griff nach seiner Hand und drückte sie kaum merklich, bevor er wieder losließ. Dann zerschnitt die Stimme des Polizisten die anhaltende Stille.
»Sie sind verhaftet.«
Jack holte tief Luft. Er wusste, was jetzt geschehen würde. Aus dem Augenwinkel sah er ein leichtes Zucken – er hatte nur darauf gewartet. Stück für Stück wanderten Clarkes Mundwinkel nach oben.
»Ich sagte Hände hoch!«
Vier der Angesprochenen taten nun augenblicklich wie befohlen, aber Clarke ließ auf sich warten. Er grinste ein wenig und rollte seine Schultern. Jack hasste es. Er hasste, wie sehr dieser Mann die Gefahr liebte. Mit einem stummen Blick brachte er seine Gefühle zum Ausdruck und schürte damit ein noch viel breiteres Grinsen. Clarke zwinkerte und seine Lippen formten ein Wort.
»Lauf!«
Sie stoben auseinander. Clarke und Jack stürmten in die eine Richtung, Joey in die andere – die verbliebenen Magier warfen sich nur auf den Boden, als Kugeln durch die Luft sausten. Es war ein riskantes Manöver und könnte ihren Tod bedeuten, aber Clarke schien seinen Spaß zu haben – und zugegebenermaßen war es nicht ihr erstes Mal.
Jack spürte das Ziehen in seinen Muskeln noch von der Jagd zuvor und er wusste ganz genau, dass er am nächsten Tag furchtbaren Muskelkater haben würde. Doch sein Herz pumpte schnell Adrenalin durch seine Venen und es war wie ein Rausch, der ihn auf seiner Flucht ganz und gar erfüllte. Er konnte dieses Mal sogar mit Clarke mithalten, mit Leichtigkeit. Fast verstand er, wieso der andere die Gefahr so sehr liebte. Es war die Aufregung, das Pochen in der Brust und das Kribbeln im Bauch – ein unvergleichliches Gefühl.
Die Schüsse verklangen, als Jack und Clarke zwischen den zahlreichen Containern einfach verschwanden und die Gerade wählten. Sie mussten schnell sein, während die Bullen in ihre Autos stiegen und zu ihnen aufholten. Dann konnten sie noch immer ausweichen und in Ecken biegen, in denen man nur zu Fuß konnte. Jetzt brauchten sie einen Vorsprung.
Es dauerte aber nicht lange, bis Jacks Fußsohlen brannten wie Feuer und er zu allem Übel auch schon die Reifen auf der Straße hören konnte. Sie hatten den Hafen inzwischen verlassen und schossen wie der Wind durch die äußeren Stadtteile – sie waren um diese Uhrzeit leer, als lebten dort nur Geister.
Jack hätte beinahe aufgeschrien, als er etwas direkt vor sich entdeckte – doch es war nur sein eigener Schatten. Nun waren die Autos direkt hinter ihnen und die Scheinwerfer brannten in ihren Rücken. Blut rauschte in Jacks Ohren und er warf einen Blick auf Clarke. So brenzlich war es schon lange nicht mehr gewesen. Sein Herz raste und seine Finger zitterten ein wenig. Alles zog an ihm vorbei, verschwommen und unscharf. Doch dann blieb er mitten auf der Straße stehen.
»Verdammt, Kleiner, was tust du?!«
Clarke fluchte und kam einige Meter nach Jack zum Stillstand, wirbelte dann aber schnell herum und sah zwischen ihm und den Autos hin und her.
»Wir müssen weiter!«
»Da rein«, zischte Jack und griff nach Clarkes Hand. Ein kleines Detail war ihm nicht entgangen; eine Gasse zu seiner Rechten, die viel zu schmal für ein Auto war.
»Okay, komm.«
Gemeinsam rannten sie hinein, augenblicklich umhüllt von Dunkelheit. Das hielt aber nicht lange an, da die Cops die Autos genau so parkten, dass die Scheinwerfer den schmalen Pfad erhellten. Autotüren krachten in den Rücken der Flüchtigen und sie beschleunigten ihre Schritte noch ein wenig mehr, auch wenn sie beide inzwischen ihr Limit erreicht und überschritten hatten.
Dann setzte Jacks Herz aus. Direkt vor ihm baute sich eine meterhohe Mauer auf – sie waren geradewegs in eine Sackgasse gerannt. Fluchend warf er sich dagegen und jagte auch seine Faust in die Wand.
Clarke hingegen reagierte ein wenig überlegter und riss an zwei Müllcontainern, die in der Nähe standen.
»Ich könnte hier etwas Hilfe vertragen, Kleiner!«
Mit vereinter Kraft schoben sie die Container zusammen und gingen dahinter in die Hocke. Sie hörten Schritte, die immer näherkamen. Warnende Schreie, lautes Atmen – ein Wirrwarr aus Geräuschen, aber immerhin die Sirenen raubten ihnen nicht mehr den Verstand.
»Okay, Kleiner. Mach deine Waffe bereit«, flüsterte Clarke. Auch er klang nun angespannt, sein Satz wurde von mehreren tiefen Atemzügen unterbrochen. Jack betrachtete ihn von der Seite und verlor sich einige Sekunden lang in seiner Schönheit – schweißnasse Strähnen klebten in seinem Gesicht und noch immer lag ein Lächeln auf seinen Lippen. Dann holte ihn die Realität mit erschreckender Grausamkeit wieder ein.
»Leer«, keuchte er, schnappte nach Luft.
»Wie, leer?«
»Mein Magazin ist leer!«
Clarkes Kopf fuhr herum und er starrte ihn mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Wut an.
»Bist du stark genug für eines deiner Wesen?«, fing er sich in Rekordzeit wieder und hob seine Augenbrauen leicht an. Als Jack nicht antwortete, rollte er mit den Augen. »Du solltest wirklich öfter üben. Du hast keine Kondition und Kraft, wenn es um deine Kräfte geht.«
»Tut mir leid.«
Die beiden funkelten sich einige Sekunden lang an, und Clarke wollte etwas sagen, aber dann wurde er unterbrochen.
»Ergeben Sie sich, oder wir eröffnen das Feuer!«
Jack nickte seinem Partner zu und er zog sich ein wenig zurück. Er studierte ihr Gefängnis – vielleicht fand er einen Ausweg.
»Nicht, wenn ich das Feuer zuerst eröffne«, rief Clarke hinter dem Container und Jack konnte ihn nahezu Grinsen hören. Ohrenbetäubendes Knallen und Krachen erfüllte die Luft und er ging in Deckung.
In Windeseile flogen Jacks Augen über die nackte Mauer. Sie mussten drüber kommen, irgendwie. Sonst würden sie sterben oder zumindest verhaftet. Hier und jetzt. Kein schöner Ort.
»Verdammt, hier muss doch irgendwas sein!«
Jack erhob sich ein wenig und trat näher an die Mauer. Einige Kugeln schlugen direkt neben ihm ein und er sprang zur Seite, presste sich flach an eine Hauswand. Sein Herz raste wie verrückt und Übelkeit bahnte sich ihren Weg von seiner Magengrube aus nach oben. Das Licht der Scheinwerfer drang nicht an den Mülltonnen vorbei und somit war es stockdunkel. Er sah nichts – nichts, was ihm irgendwie helfen konnte.
Erneut stieß er einen Fluch aus, dann ließ er seine Finger über die raue Mauer gleiten. Nichts. Das durfte nicht wahr sein. Also probierte er es nochmal – und er wurde fündig.
Er ertastete eine Vertiefung in dem Stein, ein kleines Loch. Es war groß genug, um einem Fuß Platz zu bieten. Vielleicht war es auch hoch genug, um … Schluckend platzierte Jack seinen Fuß in der Lücke und stemmte sich nach oben. Es reichte – sie würden es über die Mauer schaffen. Schnell ließ er sich wieder fallen und fuhr herum.
»Clarke, ich hab …«
Ein Schmerzensschrei zerriss die Luft und Jack erstarrte in der Bewegung.
»Wir haben ihn getroffen!«, rief einer der Polizisten und Jacks Herz setzte aus. Er hörte ein lautes Piepsen in seinen Ohren, als er sich auf die Knie fallen ließ und eine Hand auf Clarkes Bauch presste. Der schrie erneut auf und wand sich ein wenig, die Finger zitterten.
»Oh mein Gott – das sieht nicht gut aus, Clarke, das ist … das ist …«
Jack verstummte, als sich seine Augen mit Tränen füllten. Und wo war nur das Grinsen seines Partners mit einem Mal hin? Es lag nicht mehr in seinem Gesicht, das nun eine schmerzerfüllte Fratze bildete. Dennoch hatte Clarke genug Kraft, um seine Hand zu heben. Er reichte Jack mit zuckenden Fingern die Waffe.
Schluckend lugte der Polizist an der Mülltonne vorbei und schoss. Er wollte niemanden verletzen und es schmerzte ihn, aber Clarke musste leben. Er zielte auf die Beine. Doch nach wenigen Schüssen klackte die Waffe nur noch, wenn er den Abzug betätigte. Und überall war Blut – Clarkes Blut. Es war warm und glitschig und Jack spürte heißes Nass auf seiner Wangen.
»Ich ergebe mich nur ungern, Kleiner, aber manchmal muss man für sein körperliches Wohl Opfer bringen. Wenn wir … Meine Leute würden uns rausholen. Das weißt du, oder?«
»Halt die Klappe … spar dir deine Kräfte. Wir müssen über die Mauer!«
»Das Scheißteil ist hoch und glatt.«
Clarkes Stimme brach und es erschütterte Jack wie ein Erdbeben, aber er schüttelte den Kopf ein wenig.
»Nein, nein. Wir schaffen das. Da ist ein Loch, Clarke. Das müssen wir benutzen. Kannst du das – brauchst du …«
»Natürlich.«
Ächzend hievte Clarke sich auf die Beine und Jack presste sich flach auf den Boden, starrte an den Rädern der Container vorbei auf die Füße der Polizisten. Sie kamen näher, wenn auch langsam. Sie würden Clarke sehen.
Der Verbrecher trat auf die Wand zu und geriet ins Straucheln, stürzte gegen die große Barrikade und holte tief Luft.
»Hey, Kleiner …«
»Na los! Clarke, mach!«
Jack vernahm ein leises Schnauben und er erhob sich. Vorsichtig griff er nach Clarke und half ihm. Zitternd hievte sich der Verbrecher hoch. Mit einem Mal zerrissen erneut Schüsse die Nachtluft und Jack warf sich auf den Boden.