Impressum
© 1976/2021 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-96688-137-1
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Albuquerque läßt Scheiterhaufen zusammentragen – für vier Arwenacks
Smoky spürte durch den zerschlissenen Stoff des Hemdes die rauhe, feuchte Mauer. Im Gefängnis stank es derart, daß er meinte, das Bewußtsein zu verlieren.
Er war allein und hatte, wenn er nicht irrte, nur noch seinen Tod vor sich.
Er und seine drei Gefährten befanden sich nach einer langen Hetzjagd in der Hand der erbitterten portugiesischen Feinde. Männer, die Moslems in Schweinehäute einnähten, würden auch dieses Versprechen in die Tat umsetzen: Die vier Arwenacks auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen.
Ihr Tod war beschlossene Sache. Und der Hoffnungsfunken war winzig klein …
Jacinto da Foz – der Vertreter und Erste Sekretär des Dom Alonso de Albuquerque verhört völlig ergebnislos die vier gefangenen Arwenacks.
Smoky, Stenmark, Jan Ranse und Al Conroy – schmachten im Kerker von Malakka und wissen, daß sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden sollen.
Don Juan de Alcazar, Dan O’Flynn und Bill – schaffen es, mit den vier gefangenen Freunden den ersten Kontakt aufzunehmen.
Philip Hasard Killigrew – ist mit seiner Rest-Crew zum Warten verdammt, was sie alle den letzten Nerv kostet.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Dan O’Flynn drückte sich tiefer in den Schatten eines Mangobaumes und ließ das massive Gebäude nicht aus den Augen. Es bestand aus großen Bruchsteinen, hellen Ziegeln und wuchtigen Balken. Jetzt, in der Flut des grellen Sonnenlichts am Mittag, waren vor den meisten Fenstern die schwarzen Schlagläden geschlossen. Im Staub des Marktplatzes schlief ein magerer Hund mit räudigem Fell.
Hinter den dicken Mauern des portugiesischen Bauwerks steckten, wahrscheinlich zusammen mit vielen Malaien, die vier gefangenen Seewölfe. Stenmark, Al Conroy, Jan Ranse und Smoky befanden sich in der Gewalt von Albuquerque, der die Engländer haßte bis aufs Blut.
Die Mittagshitze hatte nicht nur die Portugiesen aus den Gassen und von den Plätzen Malakkas in den Schutz der kühlen Räume getrieben, sondern auch die meisten malaiischen Bewohner. Zwischen den weißgekalkten Mauern einer Gasse, fast genau gegenüber von Dan, stand Juan de Alcazar. Er hob kurz die Hand und deutete zu dem Gefängnisbau.
Dan O’Flynn nickte und beobachtete weiter die Häuser, den Platz, die Fassade der Kirche und alle anderen Bauten, die zeigten, wie stark die Portugiesen in das Leben der Malaien eingegriffen hatten. An vielen Stellen wurden neue Gebäude hochgezogen. Hier gab es Gräben und tief ausgeschachtete Löcher für massive Fundamente, dort standen Gerüste, und ein Teil des Platzes war von Pflaster bedeckt. Träge hingen portugiesische Flaggen über den Dächern.
Der Spanier ging entlang der Mauer, bog nach rechts ab und versuchte, zur Rückseite des großen Gefängnisbauwerks zu gelangen. In dem kantigen Haus schienen in den oberen Stockwerken Portugiesen zu wohnen und zu residieren. Höchstwahrscheinlich auch der gefürchtete Albuquerque mit seinen wichtigsten Leuten. Aber das würden die drei Mann der Jollencrew bald herausgefunden haben.
Jetzt bewegte sich auch Dan. Er zog sich hinter den Baum zurück, ging in scheinbarer Ruhe an einigen Hausfronten vorbei und hoffte, daß ihn die mehr als unzureichende Verkleidung nicht verraten würde. Aber die wenigen Einwohner kümmerten sich nicht um ihn.
Er schlenderte unbehelligt bis zur nächsten, breiteren Querstraße und schaute sich um. Auch hier hatten die Fremden bereits Fuß gefaßt. Die Einwohner von Malakka kämpften längst nicht mehr und schienen ihren Frieden mit den Eindringlingen gefunden zu haben.
Dan zuckte mit den Schultern und näherte sich in großem Bogen wieder der Rückseite des großen Platzes. Er zermarterte sich den Kopf nach einer Möglichkeit, die vier Kameraden aus der Gewalt der Portugiesen zu befreien. Vielleicht fanden sie noch ein paar Bundesgenossen unter den Malaien von Malakka, aber das war auch alles.
„Jedenfalls muß Hasard alles erfahren. Und zwar so schnell wie möglich“, murmelte Dan und ging weiter, den Kopf gesenkt und unter dem Rand des großen Hutes aus Strohgeflecht hervorspähend.
Er merkte sich den Standort der größeren Häuser, den Verlauf der Gassen, die Lage der Plätze, die neuen oder weniger neuen Magazine der Portugiesen und die Hütten aus Lehmziegeln, in denen die meisten Malaien hausten. Dabei blieb er im Schatten von dickstämmigen Kokospalmen und roch immer wieder aus offenen Fenstern und Türen, welches Essen über dem Feuer zubereitet wurde.
Das Land rund um die Stadt war bewaldet und hügelig, ein paar staubige Straßen verloren sich zwischen Feldern und Gärten, von denen nur wenige von Mauern umgeben waren. Der Fluß, der sich auf der anderen Seite des Hauptplatzes durch die Stadt wand, führte wenig Wasser.
Dan erreichte einen langgestreckten Platz, mehr eine breite Straße, von einer doppelten Reihe Palmen gesäumt. Sie befand sich an der Rückfront des Gefängnisses, lag halb im Schatten des vorspringenden Daches und ließ durch Fundamente, Mauern und Ziegelreihen, die zum Trocknen ausgelegt waren, seine Bestimmung deutlich erkennen. Auch hier wurden Häuser gebaut, aber sicher nicht für die einstige Stadtbevölkerung.
Don Juan stand halb in einer Hecke versteckt und musterte die schrägen, gemauerten Schächte, die zu winzigen Fenstern in den Gewölben des Gefängnisses hinunterführten. Aus dem Bauwerk erklang Stimmengewirr. Ein Mann fluchte unbeherrscht in portugiesischer Sprache. Eine Frau zeterte, und das Kläffen eines Hundes dröhnte aus einem gemauerten Raum dreimal so laut ins Freie.
Dan überquerte den Platz, blieb neben Don Juan stehen und sagte: „Viel mehr werden wir nicht erfahren. Wir müssen Hasard verständigen. Hauen wir ab, bevor die Kerle ihre Häuser wieder verlassen.“
„Bill wird auch schon ungeduldig sein“, antwortete Don Juan. Er trug ebenfalls einen Strohhut, ein zerknittertes Hemd und einen breiten Stoffstreifen über dem Gürtel mit der auffallenden Schließe.
„Vielleicht wissen Pang und Puhan einen Ausweg“, meinte Dan. „Los. Zurück nach Tanjong, Juan.“
„Aye, Sir“, sagte der Spanier. „Und dann nichts wie weg zum Treffpunkt.“
„Die Zeit ist schon jetzt knapp“, sagte Dan und deutete nach Westen. Die Männer verschwanden im Gewirr von Hütten und Mauern, schmalen Gassen und Hecken und gingen mit weitausgreifenden Schritten an den Rückfronten von halb verfallenen, leergeräumten Lagerschuppen in die Richtung des Kanals, der vom Fluß zum Meer führte. „Ich kann mir denken, daß dieser verdammte Albuquerque einen kurzen Prozeß für die beste Lösung hält.“
„Dazu wird uns wohl noch einiges einfallen, nicht wahr?“ Don Juan wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht.
„Wahrscheinlich. Unsere vier Freunde haben es vermutlich nicht sonderlich bequem. Aber sie leben noch.“
„Wenn’s nach den Portus geht, nicht mehr lange.“
Die Hitze hing in der staubigen Luft. Vom Fluß, vom Kanal und vom Meer wehten faulig riechende Schwaden heran. Feuchtigkeit waberte unter den Baumkronen, die sich über den niedrigen Hütten ausbreiteten.
Dan und Juan befanden sich nach einem schnellen Marsch von einer Viertelstunde fast außerhalb des Städtchens. Von den Fischern wußten sie, daß diese Ansammlung von Hütten, die sich um einige Schuppen gruppierten, Tanjong hieß. Die Hütten standen auf halb vermoderten Baumstämmen am Kanal. Zwischen den Fischerbooten war die Jolle versteckt, in der Bill wartete.
Hier gab es weit und breit nicht die kleinste Spur der portugiesischen Besatzung. Juan und Dan eilten den sandigen Pfad hinunter zu den Hütten und turnten über die moosbedeckten Quader am Kanalrand neben der Mauer des Schuppens. Ihre beiden malaiischen Fischerfreunde hockten vor den Netzen und besserten sie aus.
Keuchend und schwitzend näherten sich die beiden Seewölfe, winkten zu Bill hinüber und setzten sich auf ein kieloben aufgebocktes Kanu.
„Wir brauchen ein paar Männer mit scharfen Augen in der Stadt, Puhan“, sagte Dan und knotete das dünne Lederband des Hutes auf. „Es geht um unsere Freunde im Gefängnis.“
„Ihr habt sie gesehen?“ fragte Puhan und verzog sein kleines, rundes Gesicht in tausend Falten.
„Nein. Wir waren dort, haben die Straßen und Häuser gesehen und ein Gebäude, in das wir weder mit List noch mit Gewalt hineinkommen. Aber vielleicht kennst du jemanden, der jemanden kennt, der dort Diener ist oder auf die Gefangenen aufpaßt, oder einen anderen, der uns helfen kann.“
„Hier in der Stadt kennt jeder jeden“, sagte Pang. „Wir hören uns um.“
„Ihr habt euch schon verdammt gut umgehört“, sagte Don Juan. „Und wir haben es ziemlich eilig.“
Plymmie war aus der Jolle gesprungen, fegte entlang des Kanals und warf Dan beinahe von seinem unsicheren Sitz. Bill schlenderte heran und zeigte ein bekümmertes Gesicht.
„Schlimme Neuigkeiten?“ fragte er.
Dan hob die Schultern und schüttelte den Kopf.
„Nichts Besonderes“, erwiderte er. Seit die kleine Besatzung der Jolle das Ende der Jagd auf die vier Seewölfe und den Abtransport bis zum Hafen von Malakka mitangesehen hatte, wuchs die Sorge um die Freunde. „Aber es ist auch noch nichts zu sehen von irgendwelchen hochnotpeinlichen öffentlichen Verhören oder etwa einem Scheiterhaufen. Puhan! Wir müssen weg, zu unserem Schiff zurück.“
„Ihr kommt wieder?“
„Natürlich. So schnell wie möglich“, versprach Dan. „Wir brauchen dann noch ein paar Fetzen, denn wir müssen wie eure Leute aussehen. Sonst schnappen uns die Portugiesen, deine besonderen Freunde.“
Seit sie seine beiden Töchter, die er einigermaßen gut hätte verheiraten können, mit Gewalt bekehrt hatten, haßte Puhan die Portugiesen. Er spuckte in den Kanal und erwiderte: „Hier seid ihr sicher. Hier zeigen sie sich fast nie, die Hunde.“
„Das wissen wir. Danke fürs Verstecken“, entgegnete der Spanier. „Hast du das Boot klar, Bill?“
„Die Leute von Puhan und Pang haben mir alles gegeben, was wir brauchten. Sie sind gastfreundlich und wollen uns helfen. Wir sollen es den Portus richtig zeigen. Am liebsten hätten sie’s, wenn wir die Kerle aus der Stadt jagen.“
Dan O’Flynn zeigte zum Hafen. Dort reckten sich die Masten der Karavelle in den Himmel.
„Das werden wir nicht schaffen. Auch nicht, wenn Hasard mit der Schebecke vor uns hersegelt.“
Er beugte sich vor und legte seine Hand auf die nackte Schulter des Fischers. Bisher hatten weder er noch seine beiden Kameraden den geringsten Grund gehabt, den Fischern zu mißtrauen.
Leise sagte er: „Hört zu, ihr beiden. Wir legen jetzt ab und treffen unsere Leute auf dem Dreimaster. Wir, mit der Jolle, kehren wieder hierher zurück und verstecken uns bei euch. Sagt es den anderen. Das große Schiff kommt wahrscheinlich in der Nacht. Ihr könnt versuchen, den Leuten, aber nur euren Vertrauten, das zu sagen: wir kehren zurück, um die Gefangenen zu befreien. Wenn sie flüchten können, dann versteckt sie. Helft ihnen bitte.“
„Ich versprech’s“, sagte Puhan und legte die Hand auf den Griff seines Dolches.
„Ich weiß nicht, wann wir wieder hier sind“, erklärte Don Juan. „Vielleicht schon in der Nacht.“
„Wir sind mit Lampen draußen und fischen“, erwiderte Pang und nickte. „Kommt nur. Bei uns seid ihr sicher.“
„Das wissen wir.“
Dan hatte Plymmie getätschelt, stand auf und verabschiedete sich von den Fischern, die ungerührt ihre Netze geflickt und geknotet hatten, die braune Haut voller Fischschuppen. Inzwischen brannte den Seewölfen die Zeit unter den Nägeln. Sie eilten das letzte Stück am stinkenden Kanal entlang, enterten in die Jolle und stießen sie ab. Plymmie setzte mit einem Sprung in den Bug des schaukelnden Bootes. Don Juan packte die Pinne, während Bill mit dem Riemen stakte und der Bug sich langsam auf die Brandungswelle zudrehte.
Don Juan rief seinen Kameraden zu: „Entlang der Küste auf Südkurs. Solange, bis wir auf die Schebecke treffen. Ich schätze, daß sich Hasard vor den Karavellen ebenfalls versteckt hält.“
„Das ist ganz sicher“, sagte Bill und deutete auf die Sachen zwischen den Duchten. „Die Fischer haben uns gut ausgerüstet. Ich habe ihnen ein paar Münzen gegeben. Ich glaube, es waren indische Rupien.“
Dan O’Flynn verstaute den Riemen und setzte das Segel. Die Jolle nahm mehr Fahrt auf und glitt nach Südwesten. Der Wind ging in kurzen, harten Böen, das Rauschen der Brandung wurde lauter. Vor Malakka betrug der Tidenhub mehr als vier Ellen, und eine Gezeitenströmung setzte mit etwa zwei Seemeilen nach Südosten.
An der Kimm schoben sich die Inseln vor Pulau Panjung ins Blickfeld. Es war eine Gruppe mäßig hoher, stark bewaldeter Eilande. Möglicherweise boten sie gute Verstecke, nicht einsehbar vom Hafen Malakkas, aber ebensogut konnten sich dort auch portugiesische Karavellen verstecken.
„Was meinst du, Juan?“ fragte Dan, nachdem die Jolle durch die Brandung gegangen war, „ob wir uns dort umsehen?“
Die Palmen, Hausdächer, Fahnenstangen und Masten der portugiesischen Schiffe wurden kleiner, der Hafen verschwand langsam hinter der Kimm und dem weißen Schaum der anrollenden Wellen.
Don Juan streckte die Beine aus und stemmte die Fersen gegen die Ducht. Mit dem Daumen deutete er über die Schulter zur Hafenbucht Malakkas.
„Es war abgesprochen, daß wir im Süden der Insel oder des Landes auf die Schebecke treffen sollen. Also nicht zwischen den Inselchen dort drüben. Andererseits – was wissen wir, wie es den anderen inzwischen ergangen ist. Vielleicht haben sie sich tatsächlich nach dort verholt. Wie gehen wir vor, Admiral Dan O’Flynn?“ fragte er. Als er an die vier Freunde im portugiesischen Kerker dachte, wünschte er, die Jolle könne fliegen wie eine Möwe.
„Weiß ich auch nicht“, knurrte Dan. „Bin ich Hellseher?“
Don Juan suchte durch den Kieker die unregelmäßige Linie der Brecher, der Gischt und der Brandung ab, die gegen die Strände und Ufer der Inseln schlugen. Weder zwischen den Inseln, die sich hintereinander in immer helleren Graufärbungen abzeichneten, noch vor dem Hintergrund des Waldes über den Stränden konnte er die Masten oder den Rumpf der Schebecke sehen. Aber er entdeckte auch kein Anzeichen dafür, daß dort Karavellen lauerten.
„Die Inseln sind näher bei Malakka als jeder denkbare Treffpunkt“, sagte Bill aus der Vorplicht des Bootes.
„Du meinst“, antwortete Dan, „daß die Portus unsere Crew dann schon längst entdeckt hatten?“
„Und dann wäre hier auch längst eine Schießerei im Gang“, bestätigte Bill.
Die Jolle lag ruhig in den Wellen und segelte mit guter Fahrt nach Südwesten, eineinhalb Seemeilen von der Backbordküste entfernt. Vor der Kulisse des Landes waren nur die Segel von Fischerbooten und einigen breitgebauten Lastschiffen zu sehen, die meist auf Malakka zukreuzten.
Dan schwieg und nahm den Kieker nicht mehr vom Auge. Einige Minuten später sagte er, hörbar aufgeregt: „Ich glaube, wir haben einen Verfolger.“
„Siehst du Gespenster?“ fragte Bill, stand auf und hielt sich am Fall fest. „Etwa die alte Dschunke achteraus?“
„Genau die meine ich. Ist aber keine alte Dschunke“, erwiderte Dan und gab Bill das Spektiv.
„Hast recht“, sagte er schließlich. „Das ist eine Balor. Ein Schiff, wie es die Seeräuber hierzulande gern benutzen. Und da sehe ich gerade, daß der Kahn die portugiesische Flagge führt. Kann das ein Zufall sein? Ich meine, daß sie in unserem Kielwasser segeln?“
„Also haben die Portus das Piratenschiff gekapert. Aber woher wissen sie von uns?“
Bill und Dan wechselten einen langen Blick, dann versuchte Dan eine Erklärung. Die Balor mit dem riesigen Dreiecksegel war natürlich schneller als die Jolle und holte langsam, aber stetig auf.
„Woher sie von uns wissen? Entweder haben sie uns gesehen, als wir am Hafen vorbeigesegelt sind? Schließlich sehen wir nicht gerade wie kleine, braunhäutige Malakka-Fischer aus. Vielleicht ist auch Plymmie inzwischen als Teil der Seewölfe-Crew bekannt. Oder aber es ist wirklich ein Zufall, und sie haben nur denselben Kurs.“
Don Juan sagte laut: „Das werde ich gleich ändern. Näher zum Land. Einverstanden?“
„Natürlich. Aber keine auffällige Kursänderung.“
„Nein. Gewiß nicht.“
Nacheinander betrachteten sie schweigend und lange den Bug und das Segel des Verfolgers. Im schwankenden runden Bild vor den Linsen erkannten sie nach und nach mindestens zwei schlanke Geschützrohre, wahrscheinlich Halbculverinen, und in der Mannschaft befanden sich mindestens fünf bewaffnete Portugiesen mit glänzenden Helmen. Ob nun der schnelle Piratensegler die Jolle verfolgte oder nicht, stand nicht fest. Aber dieses Schiff war höllisch gefährlich. Wieder bewegte Don Juan die Pinne um ein paar Finger und legte den Kurs mehr nach Backbord.
Dann sagte er: „Du solltest deinen frischen Proviant austeilen, Bill. Mein Magen knurrt. Und Durst habe ich schon seit dem Ablegen.“
„Sofort, Señor“, erwiderte Bill dienstbereit und schwang seine Beine über die Ducht. „Das hätte mir auch schon früher einfallen können.“
Bis zum Einbruch der Dunkelheit, die ihnen besseren Schutz und größere Sicherheit vor dem Verfolger geben würde, verstrichen noch mehr als sechs Stunden. Diese Zeitspanne würde genügen, daß die Balor bequem aufholen konnte. Rettung gab es nur in unmittelbarer Landnähe. Die Küste rückte fast unmerklich näher und zugleich auch die anderen kleinen Boote in den Buchten und vor der Brandung.
Bill schlug die feuchten Tücher auseinander und faltete die nassen, grünen Blätter auf. Er reichte einen doppelt handgroßen Krug herum und teilte Chapattis oder ähnliche Fladenbrote aus, Früchte und große, dünne Scheiben gewürzten Fisches, der fast völlig ohne Gräten war. Plymmie schlabberte gierig aus dem Wassernapf und kaute auf dem Fladen herum. Langsam verging eine Viertelstunde nach der anderen, und die Jolle gelangte immer mehr in Landnähe.
Schweigend tranken und aßen die drei Männer in der Jolle. In kurzen Abständen warfen sie Blicke zu dem Verfolger, der bisher seinen Kurs noch nicht geändert hatte, und suchten an der Küste eine Geländeform, die ihnen Schutz versprach. Die Unruhe stieg, und in den Mägen der drei Männer bildeten sich harte Klumpen. Es ging um viel mehr, nicht nur um ihre Flucht und ihr eigenes Leben.
Ständig pendelten ihre Gedanken zwischen der Crew auf der Schebecke und den vier Seewölfen im Kerker hin und her. Sicherheit gab es wenig oder keine, sagte sich Don Juan de Alcazar, aber an diesem Nachmittag oder in dieser Nacht würde Albuquerque ihre Freunde nicht hinrichten lassen. Was er brauchte, war das auffallende Spektakel einer möglichst langen, qualvollen öffentlichen Anklage.