Stephanie Schulte-Busch | Isabel Neitzel
Kindliche Erzählkompetenzen
Ein Ratgeber für Sprachtherapeut*innen und Pädagog*innen
RATGEBER
für Angehörige, Betroffene und Fachleute
Stephanie Schulte-Busch | Isabel Neitzel
Kindliche Erzählkompetenzen
Ein Ratgeber für Sprachtherapeut*innen und Pädagog*innen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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1. Auflage 2021
ISBN 978-3-8248-1284-4
eISBN 978-3-8248-9924-1
© Schulz-Kirchner Verlag GmbH, 2021
Mollweg 2, D-65510 Idstein
Vertretungsberechtigte Geschäftsführer:
Dr. Ullrich Schulz-Kirchner, Martina Schulz-Kirchner
Titelfoto: © Prostock-studio – Adobe Stock
Lektorat: Doris Zimmermann
Umschlagentwurf und Layout: Petra Jeck/Susanne Koch
Druck und Bindung: Plump Druck & Medien GmbH,
Rolandsecker Weg 33, 53619 Rheinbreitbach
Printed in Germany
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| Relevanz des Erzählens für die kindliche Entwicklung
Das Erzählen (Narration) ist eine Kulturtechnik und fester Bestandteil unserer sozialen Interaktion. Der Austausch mit unseren Mitmenschen im Alltag sowie in Schule und Beruf ist Ausdruck unserer sozialen Eingebundenheit. Auch für Kinder ist das Gespräch über Alltagserlebnisse ab früher Kindheit ein wichtiges Ausdrucksmittel. Untersuchungen zeigen, dass Defizite in der Erzählkompetenz die Interaktion und das Spiel mit Gleichaltrigen erschweren können. In diesem Kapitel wird die Bedeutung des Erzählens für das soziale Miteinander im Sinne der Teilhabe und für die Entwicklung in Schule und Bildungssystem dargestellt.
Bedeutung für die Teilhabe
Anderen Menschen aus seinem Leben zu erzählen und von ihren Erlebnissen zu hören, ist in unserer Gesellschaft von hoher Bedeutung. Sich mit anderen Menschen auszutauschen, ist damit nicht nur wichtig für das eigene Wohlbefinden, sondern auch für die soziale Teilhabe (Partizipation). Die Teilhabe stellt nach der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen (ICF-CY) ein elementares Ziel dar. Im ICF-Modell können unterschiedliche Einflussbereiche miteinander in Beziehung gesetzt werden. Dazu gehören neben den körperlichen Voraussetzungen eines Kindes (Körperfunktionen und -strukturen) auch konkrete Alltagshandlungen (Aktivitäten) und das Eingebundensein in das Umfeld (Teilhabe). Diese einzelnen Komponenten interagieren miteinander und beeinflussen sich somit gegenseitig. Diese Wechselbeziehung wird in Abbildung 1 anhand von Beispielen aus dem kindlichen Alltag dargestellt.
Die Bedeutung des Erzählens für das einzelne Kind hängt stark von seinen persönlichen Eigenschaften sowie von seinem sozialen Umfeld ab. Ein Kind, das sehr neugierig und kommunikativ ist, wird das Erzählen im Alltag sicherlich intensiver nutzen als ein zurückgezogenes und eher schüchternes Kind. Beide Kinder sind jedoch gleichermaßen Teil einer sozialen Umwelt und interagieren in diesem System. Ihre Persönlichkeitsmerkmale (Personenbezogene Faktoren) und ihr Umfeld (Umweltfaktoren) beeinflussen sie dabei.
Abb. 1: ICF-Modell (DIMDI, 2005) mit Beispielen zum Thema Erzählen
Praxisbeispiele:
Linus ist sechs Jahre alt und wurde im Sommer eingeschult. Seit er in die Schule geht, berichtet er seiner Mutter häufig von den Erzählungen der anderen Kinder im Morgenkreis. Auch er erzählt nach Aussage der Lehrerin gerne von seinen Erlebnissen am Wochenende. Linus‘ Mutter unterstützt ihn bei seinen Erzählungen durch Nachfragen und lässt ihm ausreichend Zeit. Dadurch wird das Erzählen aus der Schule ein fester Teil seines Tagesablaufs.
Maja ist acht Jahre alt und fährt das erste Mal auf eine Jugendfreizeit. Am Anfang hat sie großes Heimweh und zieht sich zurück. Als sich die Mädchen in ihrem Zimmer eines Abends Gruselgeschichten erzählen, fürchtet sich eines der anderen Mädchen. Maja möchte sie aufheitern und erzählt, dass sie sich früher sehr vor den dunklen Schatten in ihrem Zimmer gefürchtet habe, seit einiger Zeit aber gar keine Angst mehr im Dunkeln habe. Diese persönliche Geschichte verbindet die beiden Mädchen und macht sie zu Verbündeten.
Bedeutung für Schule und Bildungsweg
Auch für die schulische Laufbahn ist das Erzählen von hoher Bedeutung. Bereits im Kindergarten können Kinder erste basale Erzählungen produzieren. In der Grundschule wird das Erzählen dann als unterrichtsrelevante Fähigkeit zunehmend vorausgesetzt. Sei es in der Erzählrunde am Morgen oder im Rahmen von Arbeitsaufträgen – eine lebendige und strukturierte Erzählweise wird positiv aufgefasst und dient damit auch als Bewertungsgrundlage für Pädagog*innen. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Erzählkompetenzen als Indikator für die schulische Entwicklung herangezogen werden können, besonders für die Schriftsprache und das sinnentnehmende Lesen, aber auch für die mathematischen Fähigkeiten. Der schriftliche Ausdruck, z. B. in Form von Aufsätzen oder Fantasiegeschichten, ist eine häufig genutzte Aufgabenstellung im Elementarbereich. Die Anforderungen werden hierbei mit jeder Klassenstufe und je nach Schulform komplexer.
Bedeutung des Erzählens für die Schullaufbahn
■ Interaktion und Austausch mit Mitschüler*innen
■ Mündliche Erzählungen als Anforderungen im Unterricht
■ Schriftliche Erzählungen in Form von Aufsätzen und Arbeitsaufträgen
■ Erzählkompetenz als Ressource für eine positive schulische Entwicklung