Nora Gold

 

Die

geheimnisvolle Reise

der Kaja D.

 

Roman

 

Auflage 2/März 2015
© 2015 Nora Gold

vertreten durch:

KuK Bieder, Theatergassen 7, 96047 Bamberg
www.norasimpressionen.com

www.facebook.com/norasimpressionen
Cover: satz+layout Regine Ade

www.satzlayout.com
unter Verwendung des Fotos: © carpinet – Fotolia.com
Lektorat: Marie-Luise Wagener

 

Alle Rechte vorbehalten.
Nachdruck – auch in Auszügen –

nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin

1.

 

Edinburgh, Schottland

 

Dass ich Moritz umgebracht habe, war kein Zufall, sondern die logische Folge der vorangegangenen Ereignisse. Das war das einzig Tröstliche daran. Dass das Unfassbare vom Standpunkt der Logik wenigstens einer Gesetzmäßigkeit unterlag. Denn die Logik gab die Schritte vor, sie sagte: wenn, dann. Mir half sie, die ersten Stunden nach Moritz‘ Tod zu überstehen. Bis zu dem Moment, in dem jede Logik außer Kraft gesetzt schien.

Meine Beziehung zu Moritz war von Anfang an etwas Besonderes gewesen. Ira behauptete, Moritz sei mein Schicksal. Große Worte waren schon immer typisch für sie. Ira kannte auch nicht Moritz‘ Geheimnis. Und jetzt war er schon vierundzwanzig Stunden lang tot. Vielleicht auch länger. Mein Zeitgefühl war seitdem vollkommen in Unordnung geraten. Rastlos lief ich durch die Straßen in dieser fremden Stadt und überlegte, was als nächstes zu tun sei. Aber mein Kopf war leer und ich konnte keinen zusammenhängenden Gedanken fassen. Außerdem wurde der Schmerz in meinem Arm langsam unerträglich. Zwischendurch machte mich mein Magen immer wieder lautstark darauf aufmerksam, dass ich seit fast zwei Tagen nichts mehr gegessen hatte. Und kaum etwas getrunken. Ich musste unbedingt in eins dieser Restaurants gehen. Danach würde ich weitersehen.

2.

 

An der Nordsee - ein paar Wochen früher

 

Ich hatte Moritz an einem Sommertag kennengelernt. Einem stürmischen Sommertag, um genau zu sein. Ich war wieder auf der Insel, wie mehrmals im Jahr. Es waren immer nur ein paar Tage, eine ganze Woche war schon echter Luxus. Natürlich wohnte ich nicht in einem der teuren Hotels. So viel warf die Agentur schließlich nicht ab, dass ich mir das hätte leisten können. Vielleicht kam das später noch.

Diesmal hatten die Sonnengierigen jedenfalls Pech gehabt. Der Himmel an diesem Teil der Nordseeküste war grau und blieb es. Dazu war es kalt, obwohl der Frühsommer längst begonnen hatte. Es stürmte seit dem Tag meiner Ankunft, wie mir die Hotelbesitzerin schon zweimal unter die Nase gerieben hatte. Als hätte ich den wolkenverhangenen Himmel vom Festland mitgebracht. Vermutlich erntete ich darum kaum Blicke, wenn ich morgens den Frühstücksraum betrat. Ich war schuld am geflohenen Sommer.

Mich störte das Wetter kaum, ich war trotzdem den ganzen Tag über draußen. Nur wenn die Regenschauer zu heftig wurden, ließ ich mich mit den wenigen anderen Unerschrockenen vom Strand zurück ins Trockene fegen. Die Restaurants, Cafés und Bars waren so voll, dass es an ein Wunder grenzte, noch einen Platz zu ergattern. Vor allem die Bars waren beliebte Auffangbecken und fast jeder, der hier landete, fand einen Grund, Prosecco oder noch lieber Champagner zu trinken. Dabei wurde viel und erfolgreich geflirtet. Wenn auch die meisten dieser Kontakte auf dem Festland keinen Bestand hatten.

Ich wollte nicht flirten, sondern am Strand wandern, am liebsten kilometerweit, und den Wellen zuschauen, wie sie sich an stürmischen Tagen überschlugen und in windstillen Zeiten friedlich auf dem Sand ausliefen. Und abends wollte ich noch ein Glas Wein trinken und dabei Pläne für den nächsten Tag schmieden. Meine letzte Beziehung hatte mich einiges an Kraft gekostet. Wie meistens. Darum hatte ich mir an meinem ersten Abend auf der Insel den feierlichen Schwur gegeben, meine Energie von jetzt an lieber in die Agentur zu stecken. Zumindest in den nächsten Monaten.

Tom und ich hatten unsere Beziehung inzwischen erfolgreich in eine Freundschaft verwandelt. Zu meiner Überraschung war mir das leichter gefallen als Tom. Es hatte wohl sein Ego gekränkt, dass ich nicht wochenlang mit verquollenen Augen herumgelaufen war. Doch ich war wirklich nicht traurig über das Ende unserer Beziehung. Außerdem erfüllte Tom die Rolle des guten Freundes viel besser als die des Partners. Bei seinen Freundschaften war er treu. Eigentlich hatte mich Toms notorisches Fremdgehen auch zu unseren Beziehungszeiten nie tief getroffen. Das mochte daran liegen, dass ich ihn nicht wirklich geliebt habe. Wir waren ein schönes Paar gewesen, wie Ira und sogar meine Eltern immer betont hatten. Doch für mich war Tom wahrscheinlich immer nur ein guter Freund gewesen.

An diesem Tag gab es fast nur Regenperioden. Besser gesagt, die Sonne ließ sich überhaupt nicht blicken. Am Strand waren noch weniger Menschen als an den Tagen zuvor. Auch ich hatte einen Moment überlegt, direkt in eins der schönen Cafés zu gehen und es mir dort mit einem Buch, ganz viel Cappuccino und roter Grütze gemütlich zu machen. Dann zog es mich aber doch wieder zum Strand hinunter. Es war gerade Flut, sodass ich durch den hohen Sand wandern musste. Ich entschied, mit dem Wind zu gehen. Dann bekam ich den Regen zumindest nicht ins Gesicht.

Ich sah Moritz schon von Weitem. Im Gegensatz zu mir lief er gegen den Wind und musste sich richtig anstrengen. Dabei sah er wild und bildschön aus vor den sich aufbäumenden Wellen. Der Wind zerrte an seiner Kleidung und drückte den Stoff immer wieder an seinen Körper, sodass ich erkennen konnte, wie durchtrainiert er war. Moritz‘ Gesichtsausdruck war düster, aber seine Haltung war lebendig und zeigte etwas Jungenhaftes. Bestimmt schaute er wegen des schlechten Wetters so miesepetrig drein, dachte ich damals. Klar, dass ich das dachte. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt ja noch nichts von ihm.

Er trug Jacke und Leinenhose, beide waren schwarz. Die Schuhe trug er in der Hand, sodass seine nackten Füße Abdrücke im Sand hinterließen. Seine Kleidung schien typisch für die Insel. Wer dazugehören wollte, demonstrierte, dass er sich Klamotten leisten konnte, deren Preis so hoch war, wie die Monatsgehälter der meisten anderen Menschen. Beispielsweise einer Kassiererin oder einer Freiberuflerin mit Agentur für Pressearbeit und Marketing. Wie ich. Mein Monatsgehalt reichte nicht einmal für so eine Jacke, ganz zu schweigen von der passenden Hose dazu. Aber meine finanzielle Situation war eindeutig meine Schuld. Ich hatte unbedingt Philosophie studieren müssen, gegen den Rat meiner gesamten Familie und meiner Freunde. Und wofür? Um anschließend Sätze sagen zu können, dass wir durch Zufall und ohne vorherbestimmten Sinn ins Leben geworfen würden. Das stammte von Sartre. Ungefähr zumindest. Und es hatte mich im letzten Schuljahr vor dem Abi so beeindruckt, dass ich es unbedingt studieren wollte. Wie sehr hatte ich damals meine Freunde bedauert, die Logopäden, Juristen, Verwaltungsangestellte und Zahnmediziner wurden. Würden sie heute meinen Kontostand kennen, wäre es an ihnen, mich zu bedauern. Aber heute glaubte ich auch nicht mehr an Zufälle. Dafür waren die Gesetze der Logik zu klar und nachvollziehbar. Logisch eben. Dies war zumindest eine sinnvolle Erkenntnis aus meinem Philosophiestudium. Darum würde ich auch nie mehr sagen, dass wir zufällig in dieses Leben und in unsere Situationen geworfen werden. Hätte Sartre erlebt, was ich mit Moritz erlebt habe, hätte er bestimmt seine Theorie geändert. Aber ich schweife ab.

Es lag wohl an Moritz‘ Blick, dass er Menschen auf Anhieb beeindruckte. Das ging nicht nur mir so, wie ich noch feststellen sollte. Sein Blick schien bis auf den Grund der Seele zu schauen, selbst wenn Moritz einen gar nicht ansah. Seine Augen fielen schon aus der Entfernung auf. Ich ertappte mich an diesem stürmischen Nachmittag sogar bei dem Gedanken, dass ich ihm folgen und ihn wie zufällig ansprechen könnte. Und dieser Gedanke verursachte bei mir eine Unruhe, die mir bislang unbekannt war.

Nachdem Moritz und ich aneinander vorbeigelaufen waren, ohne, dass mich sein Blick auch nur gestreift hätte, wanderte ich noch eine halbe Stunde lang tapfer durch den nassen, hohen Sand. Erst als ich vollkommen durchgefroren und nass war, beschloss ich, den Strand zu verlassen und auf dem Dünenweg zurückzugehen. Das ging deutlich schneller. Der Grund, warum ich bis auf die Haut nass war, lag an meiner Regenjacke, die über die Nähte den auftreffenden Regen bereitwillig ins Jackeninnere weiterleitete. Bei den Edeljacken, die man hier in den einschlägigen Geschäften kaufen konnte, passierte solch ein Malheur natürlich nicht.

Nach zwanzig Minuten erreichte ich mein Lieblingsrestaurant, ein Holzhaus mit einer riesigen Fensterfront zur Meerseite. Es war nah an die Düne gebaut und lag auf halber Höhe zwischen Strand und Promenade. Ich liebte es. Nirgendwo sonst auf der Insel konnte man das Tosen und Stürmen des Meeres so direkt von einem warmen Platz aus beobachten.

Als ich den Raum betrat, waren alle Tische besetzt. Enttäuscht wollte ich schon wieder gehen, als mir eine junge Frau etwas zurief, das ich im allgemeinen Lärm nicht verstand. Sie gehörte zu einem dunkelhaarigen, attraktiven Mann, der jetzt aufstand und auf seinen Platz deutete. Erfreut nickte ich den beiden zu und bahnte mir einen Weg an den anderen Gästen vorbei. Die beiden zogen bereits ihre Jacken an. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, wie der Mann dabei wie zufällig die linke Brust der Frau streifte. Die Frau grinste ihn kurz an und sprach dann auf einen dieser großen, unglaublich schmalen Hunde ein, der dösend unter dem Tisch lag. Der Hund richtete sich daraufhin zur vollen Größe auf. Sein helles Fell schimmerte nass, was ihn noch schmaler erscheinen ließ.

Als das Paar mit dem Hund an mir vorbeiging, lächelte mir die Frau noch einmal freundlich zu und ich lächelte tapfer zurück. Der Anblick glücklicher Paare im Urlaub war trotz allem für mich nicht wirklich angenehm. Ein schneller Check in den Raum bestätigte das übliche Bild. Ich saß wieder einmal als Einzige allein an einem Tisch. Zum Glück hatte ich meinen Roman griffbereit im Rucksack. Mein kleiner Retter. Ich setzte mich auf den Platz, auf dem zuvor der Mann gesessen hatte - die Sitzfläche war noch warm - und sah nach draußen auf die immer stürmischer werdende See. Die Wellen hatten jetzt hohe weiße Schaumkronen und brachen sich schon weit draußen.

Der Kellner kam und ich bestellte ein Glas Rotwein, dazu einen großen Salat. Der Rotwein würde mich müde machen und bei diesem Wetter war Schlafen nicht die schlechteste Idee. Ich zog mein Buch aus dem Rucksack und lehnte mich zurück. Draußen heulte und fegte der Wind um die Holzwände und übertönte sogar die Gespräche im Raum. Schon nach wenigen Minuten war ich in der Geschichte, einem Thriller, der von Seite zu Seite spannender wurde. Es passierte selten, dass mich eine Handlung so in ihren Bann zog. Heute nahm ich nicht einmal den Kellner wahr, sondern wunderte mich nur, als plötzlich das Glas Rotwein vor mir stand. Ich nahm einen Schluck und vertiefte mich weiter in meinen Roman.

„Ob das heute noch mal aufhört?“

Die Stimme klang jung und ein bisschen frech und sie redete offenbar mit mir. Erstaunt hob ich den Kopf und prallte zurück. Da war er wieder, der Mann vom Strand. Er stand direkt vor mir und grinste mich an.

„Ist an Ihrem Tisch noch ein Platz frei?“, fragte er und zeigte dabei zwei makellose Zahnreihen. Aus seinen dunklen Locken tropfte Regenwasser. Einige Tropfen liefen an seinen Wangen entlang.

„Sogar noch drei Plätze“, erwiderte ich ein bisschen zu schnell. Ich konnte kaum meinen Blick von ihm wenden. Warum er mich so irritierte, verstand ich selbst nicht. Normalerweise hatte ich keinerlei Probleme mit dem Flirten, auch nicht mit attraktiven Männern. Aber jetzt wäre ich am liebsten direkt davongerannt. Stattdessen fing ich an, eine meiner Haarsträhnen zu zwirbeln, die lang und schwarz herunterhingen. Damit sie besser trocknen konnten, hatte ich vor ein paar Minuten die Spange gelöst, mit der ich meine Haare hier an der See immer hochsteckte.

„Sie glühen ja richtig vom Wind“, redete der Mann weiter und setzte sich auf den Stuhl mir gegenüber. Sein Pullover hatte dieselbe Farbe wie seine Augen. Graublau.

„Dann haben wir ja etwas gemeinsam“, sagte ich, um meine Verlegenheit zu überspielen und fasste mir dabei wie zufällig ins Gesicht. Tatsächlich, meine Wangen glühten, was sicher nicht nur am Wind lag. Im selben Moment fragte ich mich, ob noch mehr Menschen außer mir mit Ende Zwanzig ständig rot würden. Ich kannte jedenfalls niemanden. Bei meiner Schneewittchenhaut fiel es außerdem richtig auf.

„Merlot oder Dornfelder?“ Der Mann zeigte auf mein Glas. Auf den Oberseiten seiner Finger ringelten sich vorwitzig dunkelblonde Härchen. Ich konnte kaum meinen Blick davon lösen und bemerkte das leider erst, als ich sein Grinsen sah. Gut, dass ich bereits rot war.

„Dornfelder“, antwortete ich schnell und nahm einen Schluck aus meinem Glas. Als ich wieder aufschaute, sah er mich noch immer mit diesem intensiven Blick an, dem ich kaum standhalten konnte. Ich benahm mich unsicherer als eine Vierzehnjährige bei ihrem ersten Date. Falls es heute überhaupt unsichere Vierzehnjährige gab.

„Sind Sie schon lange hier?“

Um seine Augen bemerkte ich jetzt einen dunklen Zug, der ihm etwas Unnahbares gab.

„Knapp eine Woche. Und Sie?“ Was für eine blöde Frage. Als ob mich interessierte, wie lange er hier war. Ich sollte lieber fragen, ob er allein hier war oder mit Freundin.

Stopp! Ich wollte nicht flirten. Wirklich nicht!

„Seit vorgestern.“

„Und wie lange bleiben Sie noch?“ Die nächste sinnlose Frage von mir.

„Ich fahre übermorgen wieder zurück, es war nur ein verlängertes Wochenende.“

Da war sie, die erste Gemeinsamkeit zwischen uns. Auch ich musste übermorgen wieder nach Hause.

Er schien meine Gedanken erraten zu haben. „Woher kommen Sie?“

„Aus Nordrhein-Westfalen, aus der Nähe von Essen. Und Sie?“

„Köln“, sagte er und wandte sich dem Kellner zu, um auch ein Glas Dornfelder und dazu eine Portion Rote Grütze mit Vanillesoße zu bestellen.

„Ich heiße übrigens Moritz. Moritz Rosemann.“ Wieder dieser unergründlich intensive Blick.

„Kaja Dorn“, erwiderte ich.

Aus der Nähe wirkten seine Sachen gar nicht mehr wie der Zugangscode in den erlesenen Kreis der Reichen. Moritz war alles andere als uniform. An seinem Halsausschnitt waren ein paar Stiche der Naht aufgegangen und an seinem linken Ärmel hatten sich trockene Blätter verfangen, als hätte er sich durch dichtes Grün gekämpft. Seine Haare hingen nass und zerzaust ins Gesicht und wirkten dadurch vermutlich dunkler, als sie es in trockenem Zustand waren. Ich fragte mich, ob er sich seiner Wirkung auf Frauen nicht bewusst wäre oder ob ihn das einfach nicht interessierte. Vermutlich letzteres. Er hatte es nicht nötig, mit seinem Gegenüber zu spielen, um sich auszutesten.

Als Moritz die Ärmel seines Pullovers ein Stück nach oben schob, kamen karamellfarbene Haare an seinen langen, sehnigen Unterarmen zum Vorschein. Ich zwang mich, nicht darauf zu starren. Wenn seine Haare auf dem Kopf wieder trocken sein würden, hätten sie bestimmt dieselbe Farbe.

„Sind Sie zum ersten Mal hier?“

Offenbar sah man mir an, dass ich mir die Insel eigentlich nicht leisten konnte.

„Ich komme seit zehn Jahren mindestens einmal pro Jahr her. Meistens öfter“, sagte ich und sah ihn an.

Mein Tonfall schien ihn zu überraschen. „Ich dachte nur … Die meisten hier sehen irgendwie gleich aus. Schöne Fassade und so weiter.“

„Vielen Dank! Ich habe nicht vor, bei einem Model-Contest mitzumachen.“ Jetzt schwang Ärger in meiner Stimme. Einen Moment war ich sogar versucht aufzustehen, an der Theke zu bezahlen und erhobenen Hauptes das Restaurant zu verlassen. Doch etwas hielt mich auf meinem Platz fest. Auf Moritz‘ Gesicht erschien jetzt ein Lächeln. Aber nur kurz, dann wurden seine Züge gleich wieder ernst.

„Sie wären aber ein Gewinn für jeden Model-Contest, so, wie Sie jetzt aussehen“, begann er erneut. Noch immer dieser Blick.

„Als komische Nummer? Nein danke!“ Ich kramte nun doch nach meinem Portemonnaie.

„Sie machen den Eindruck, als würden Sie ein Geheimnis bewahren.“

Sicher, den heiligen Gral, dachte ich grimmig. Der Knabe hörte sich plötzlich an, als wäre er hundert Jahre alt. Mindestens. Dazu passte auch sein schon wieder düster umwölkter Blick. Nur sein Gesicht war viel zu jung. Ich schätzte ihn auf Mitte dreißig.

„Ah, ein Poet!“, erwiderte ich spitz.

Plötzlich berührte er meine Hand, die auf der Tischplatte lag. „Bitte entschuldigen Sie! Ich wollte Sie mit meiner Bemerkung nicht kränken.“

Seine Hand lag noch immer auf meiner und diese spontane Berührung traf mich wie ein Blitz. Ich spürte seine Wärme, die sich schnell in meinem Arm ausbreitete. Und in meinem Gesicht. Meine Wangen wurden jedenfalls schon wieder glühend heiß. Moritz hatte es ebenfalls bemerkt, denn jetzt spielte ein leichtes Grinsen um seinen Mund. Langsam zog er seine Hand wieder fort.

„Ich habe das ernst gemeint mit dem Geheimnis“, sagte er. „Aber kaum jemand scheint heute noch Geheimnisse zu mögen.“ Der dunkle Schatten um seine Augen wirkte jetzt noch intensiver.

Hatte er sich gar nicht über mich lustig gemacht? Zu meiner eigenen Überraschung löste sich meine Verärgerung langsam wieder in Luft auf.

Mit einem versöhnlichen Lächeln schlug Moritz einen lockeren Ton an und begann, von seinen Erlebnissen auf der Insel zu erzählen. Er hatte sich wirklich in der Botanik verfangen. Augenzwinkernd berichtete er von einer Pause unter einem dichten Blätterdach, nachdem er vorher fast die halbe Insel umrundet hatte.

„Sind Sie nicht nass geworden?“, fragte ich überrascht.

„Nur ein bisschen. Der Süden der Insel war heute trockener als dieser Teil.“ Lachend deutete er auf seine Haare. Seine Stimme klang so jung. Und er hatte das schönste Lachen, das ich je gehört hatte. Vielleicht weil es bei ihm so rar war, wie ich noch feststellen sollte.

„Und was machen Sie, wenn Sie nicht gerade eine Insel erkunden?“, fragte ich, nachdem er seinen Bericht beendet hatte.

„Ich teile mir eine Kanzlei mit zwei Kolleginnen.“

„In Köln?“

„Ja. Und Sie?“

„Ich teile mir mit niemandem eine Agentur für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.“

„Kann man davon leben?“ Der dunkle Schatten um seine Augen war nun wieder verschwunden. „Immerhin können Sie sich regelmäßige Urlaube hier an der Nordsee leisten.“

„Mehr oder weniger.“ Ich deutete auf meinen nassen Pullover und er stimmte in mein Lachen ein, obwohl er die Anspielung auf meine undichte Jacke bestimmt nicht verstand.

 

Wir waren die letzten Gäste, die an diesem Abend das Restaurant verließen. Der Kellner atmete erleichtert auf, als er endlich hinter uns abschließen konnte. Der Wind hatte sich in der letzten Stunde zu einem Sturm entwickelt und es kostete mich einige Anstrengung, die Treppe hinauf zur Promenade zu steigen, ohne nach hinten oder zur Seite gerissen zu werden. Plötzlich spürte ich einen Arm, der sich langsam unter meinen schob.

„Damit Sie nicht davonfliegen“, raunte Moritz mir ins Ohr.

Ich drehte mich um und zuckte erschrocken zurück, als ich sein Gesicht so dicht neben meinem sah. Noch ein paar Zentimeter und unsere Nasen hätten sich berührt. Ich konnte sogar den Geruch seiner Haut riechen, nach Sand und Salz. Und nach ihm. Schnell drehte ich mich um und konzentrierte mich wieder auf die Treppenstufen.

„Haben Sie morgen schon etwas vor?“, fragte er, nachdem wir heil oben angekommen waren.

„Nein“, erwiderte ich wahrheitsgemäß und ärgerte mich im nächsten Moment über meine unüberlegte Antwort. Ich wollte meinen letzten Urlaubstag in aller Ruhe und allein genießen. Noch einmal richtig ausschlafen, durch die Geschäfte bummeln, in die alte Dorfkirche gehen, eine lange Wanderung am Strand machen und anschließend noch ein Abschiedsglas in meinem Lieblingsrestaurant trinken. Das war mein Ritual für letzte Tage auf der Insel und ich liebte es. Doch ich hatte noch einen Grund für meine Abwehr. Dieser Mann beunruhigte mich.

„Haben Sie Lust auf eine Radtour?“, fragte Moritz und sah mich an. Sein Gesicht war wieder dicht vor meinem. Welche Frau hätte keine Lust auf eine Radtour mit so einem Mann? Nur jemand wie ich konnte jetzt auf die Idee kommen, sich eine Ausrede einfallen zu lassen. Dabei hatte ich, nüchtern betrachtet, überhaupt keinen Grund. Im Gegenteil. Ich gab mir innerlich einen Ruck.

„Habe ich“, hörte ich mich antworten, „und sogar schon eine Idee, wohin wir fahren könnten.“

„Schön. Dann schlage ich vor, dass wir uns morgen Früh bei dem Fahrradverleih dort vorn treffen.“ Moritz deutete in die Richtung, in der auch mein Hotel lag. Direkt daneben war ein Fahrradverleih.

„Um neun?“ Der Mann war es offenbar gewohnt, Nägel mit Köpfen zu machen.

„Ich plädiere für zehn Uhr“, versuchte ich die Abfahrtzeit hochzuhandeln und augenblicklich wurde sein Schmunzeln breiter.

„Gut, dann also zehn Uhr. Eine gute Nacht und bis morgen!“ Unvermittelt drehte er sich um und ging zügig auf eins der teuren Hotels direkt an der Promenade zu. Ich sah ihm einen Moment nach, bevor ich mich auf den Weg zu meinem Hotel machte, das natürlich weiter entfernt vom Strand lag.


3.

 

Der nächste Morgen brachte den ersten Sonnenschein seit Tagen, zusammen mit einem strahlend blauen Himmel. Ich war schon vor neun Uhr mit meinem Frühstück fertig und ärgerte mich, dass ich die Tour mit Moritz auf zehn Uhr verschoben hatte. Doch ich nutzte die verbleibende Zeit, um zu telefonieren. Ira jammerte mir vor, dass Marc sie gestern Abend schon wieder allein gelassen habe und stattdessen lieber mit seinen Kumpels um die Häuser gezogen sei.

„Oh, entschuldige, meine Liebe. Du bist ja jeden Abend allein“, beendete sie schließlich ihr Gejammer. Offenbar hatte Ira wieder ihren Angriffstag. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, warum ich eigentlich mit ihr befreundet war. Ich hatte mich schon so oft über sie geärgert und musste eigentlich ständig mit irgendwelchen Angriffen rechnen. Ira schien das für ihr Ego zu brauchen. Meist schluckte ich meinen Ärger hinunter und überhörte ihre Spitzen. Von meiner Verabredung erzählte ich ihr aber nichts. So, wie sie gerade gelaunt war, hätte das garantiert die nächste Attacke bedeutet.

Darum verabschiedete ich mich schnell von ihr und rief noch meine Eltern an. Sie wollten am nächsten Tag für einige Monate in die USA fliegen. Ihre Arbeit für den gemeinsamen Verlag konnten sie schließlich überall auf der Welt erledigen. Darum hatten sie sich vor fünf Jahren ihren Traum von einem Leben an der nördlichen Westküste der USA erfüllt und lebten nun das halbe Jahr dort und die andere Zeit in Köln. Wir versprachen uns zum Abschied, alle paar Tage zu mailen und zu skypen. Das taten wir ohnehin immer. Dieses Gespräch war jedenfalls deutlich entspannter verlaufen.

Gut gelaunt machte ich mich kurz vor zehn Uhr endlich auf den Weg zum Fahrradverleih. Moritz stand bereits vor dem Laden und diskutierte mit dem Inhaber. Er trug eine weiße Leinenhose, ein schwarzes Poloshirt und eine kurze schwarze Lederjacke und sah darin zum Anbeißen aus. Ich selbst fand mich plötzlich in meinen Shorts, dem Neckholder-Shirt und der kurzen Jeansjacke nur noch halb so schick wie vor dem Spiegel im Hotelzimmer.

„Guten Morgen“, rief Moritz mir zu und wandte sich wieder an den Mann aus dem Fahrradverleih.

„Lust auf ein Tandem?“, fragte er mich unvermittelt.

„Keine Ahnung“, erwiderte ich perplex. Ich war noch nie Tandem gefahren.

„Wir haben aber gerade keins vorrätig“, mischte sich der Mann aus dem Laden ein.

„Auch gut. Ein Tandem wäre vielleicht doch nicht das Richtige für zwei Einzelgänger“, erwiderte Moritz. „Wir nehmen also zwei Räder.“

Ich schluckte. Die Bemerkung über die Einzelgänger hatte bei mir ziemlich ins Schwarze getroffen. Der Gedanke lenkte mich für die nächsten Minuten ab, so dass ich gar nicht mitbekam, als die Räder bereits startklar vor uns standen.

„Ich muss noch bezahlen“, sagte ich.

„Schon erledigt“, zwinkerte Moritz mir zu. Er strich sich ein paar Locken hinter das Ohr, die ihm immer wieder ins Gesicht fielen. „Ich möchte Sie heute gerne einladen.“

„Einzelgänger zahlen ihre Rechnungen grundsätzlich selbst. Um unnötige Abhängigkeiten zu vermeiden“, erwiderte ich und holte mein Portemonnaie heraus.

Moritz wehrte ab. „Heute sind wir ja ausnahmsweise mal zu zweit, also darf ich Sie auch einladen.“

Diese Logik erschloss sich mir zwar nicht ganz, doch ich willigte schließlich ein.

„Dann werde ich Ihnen jetzt einen schönen Weg zeigen“, sagte ich.

Moritz schien einen Moment lang tatsächlich überrumpelt zu sein. „Das wollte ich eigentlich übernehmen.“

„Sie durften bereits bezahlen“, erwiderte ich forsch. „Außerdem ist dies meine Insel, seit vielen Jahren schon. Und heute ist mein letzter Tag hier.“

„Meiner wohl nicht?“, antwortete er amüsiert.

„Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Mein Weg dauert vier Stunden. Wenn er Ihnen nicht gefällt, fahren wir anschließend noch Ihren“, sagte ich übermütig.

Der Himmel war noch immer strahlend blau und ohne jede Wolke.

„Vorsicht, Kaja! Ich könnte Sie beim Wort nehmen.“

„Das hoffe ich doch“, erwiderte ich und radelte los.

Die erste Viertelstunde fuhren wir schweigend nebeneinander her. Nachdem wir den kleinen Ort hinter uns gelassen hatten, führte der Radweg durch Dünen, die mit Strandhafer und Wildrosen bewachsen waren. Von hier konnte man das Meer nicht sehen, sodass es den Anschein hatte, als ginge die herb-schöne Landschaft endlos weiter. Die Rosen fingen gerade an zu blühen und verströmten schon jetzt ihren unvergleichlichen Duft. Ihre hellen bis kräftigen Rosatöne gaben der rauen Landschaft einen zarten Anstrich. Zwischendurch waren auch ein paar weiße Blütenköpfe darunter. Ich liebte die Insel zu jeder Jahreszeit, aber die Rosenblüte war einfach am schönsten.

Der Weg schlängelte sich nun bergauf und ich musste mich anstrengen, um mit Moritz‘ Tempo mitzuhalten. Wie ich vermutet hatte, war er richtig durchtrainiert. Strecken wie diese gehörten vermutlich zu seinem täglichen Feierabendprogramm. Ich geriet bei dem langen Anstieg jedenfalls richtig ins Schwitzen. Als wir endlich die Anhöhe erreicht hatten, bedeutete mir Moritz, rechts auf einen der kleinen Pfade abzubiegen, die in die Dünen und von dort hinunter zum Strand führten. Wir stiegen von den Rädern und schoben sie hintereinander her den schmalen Weg entlang. Statt auf Moritz‘ sehenswerte Rückenansicht versuchte ich, mich auf die schöne Umgebung zu konzentrieren. Der Duft der Wildrosen war jetzt noch intensiver als auf dem Radweg.

Plötzlich bückte sich Moritz und umschloss eine besonders große Blüte mit seiner Hand. „Ich kenne keine Blume, die so ist wie die Rose“, sagte er leise, „sie ist eins der stärksten Symbole.“

Hatte der Mann etwa eine romantische Ader? Ich hoffte inständig, nicht gleich rot zu werden.

„Damit meine ich natürlich nicht diesen Liebeskitsch“, fuhr Moritz fort und ließ den Rosenkopf wieder los.

Also doch keine Romantik. Aber was konnte er sonst mit der Bemerkung gemeint haben?

„Mal schauen, ob das Meer noch da ist. Die Räder stellen wir am besten hier ab, wenn wir sie nicht durch den tiefen Sand tragen wollen.“ Moritz machte eine Bewegung in Richtung Strand, der noch immer unsichtbar hinter der Dünenkette lag, und schob sein Fahrrad hinter eine Bank. Es war die letzte am Weg, bevor der Bewuchs aufhörte und der Sand anfing.

„Kommen Sie, ich habe ein Schloss dabei.“

Ich schob mein Rad neben seins und streifte dabei leicht seinen Arm. Die Berührung ging wie ein elektrischer Impuls durch meinen ganzen Körper. Irritiert verharrte ich einen Moment in der Bewegung. Moritz sah mich kurz an, holte dann ein Fahrradschloss aus seinem Rucksack und kettete die beiden Vorderräder zusammen.

„Auf ewig verbunden“, sagte er lachend und ich hoffte inständig, nicht schon wieder rot zu werden.

„Hoffentlich nicht“, erwiderte ich schnell. „Sonst wird der Heimweg schwierig.“

„Apropos Heimweg“, begann Moritz, als wir durch den weichen Sand nach unten zum Strand mehr rutschten als liefen. „Sind Sie eigentlich mit dem Auto hier?“

„Mit dem Zug“, erwiderte ich und beschleunigte meinen Schritt.

„Und damit wollen Sie vermutlich morgen wieder zurück?“

„Ich hatte nicht vor, zu laufen. Warum erinnern Sie mich an so einem schönen Morgen an die Abreise?“

Mein Tonfall war wohl ein wenig harsch gewesen, denn Moritz sah mich fast erschrocken an.

„Entschuldigung, ich wollte Ihnen damit nicht den Tag verderben“, sagte er ernst. „Eigentlich wollte ich nur fragen, ob ich Sie mitnehmen kann.“

Augenblicklich bedauerte ich meine heftige Reaktion. Er wollte mir einen Gefallen tun und ich raunzte ihn dafür an. Andererseits wusste ich nicht, was ich von seinem Vorschlag halten sollte.

„Ich habe schon eine Fahrkarte“, sagte ich darum schnell, kam mir aber im nächsten Moment reichlich blöd vor.

„Soweit ich weiß, kann man die zurückgeben.“ Sein Blick fixierte mich. „Ich dachte nur … Wenn wir zusammen fahren, haben wir beide Unterhaltung.“ Sein Gesichtsausdruck hatte jetzt ins Schelmische gewechselt.

„Aber“, wollte ich erneut Bedenken einwerfen, entschied mich dann aber schnell anders. Vor allem, weil mir die Argumente fehlten. „Also gut, ich nehme Ihr Angebot an.“

Er hatte Recht, es war wirklich viel schöner, zu zweit zu fahren. Auf jeden Fall ginge es mit dem Auto schneller.

 

Als wir am Meeressaum angekommen waren, kam uns ein Läufer entgegen. Er trug schwarze Sportkleidung, die wie eine zweite Haut saß. Warum er diese Kleidung trug, war offensichtlich. Sein Körper hatte die idealen Maße, ein Typ wie Michelangelos David. Und jeder sollte möglichst viel davon sehen.

„Eine fast perfekte Form“, sagte Moritz und ich brauchte einen Moment, um zu kapieren, dass er nicht den Jogger meinte. Moritz‘ Aufmerksamkeit galt etwas, das er auf dem Boden entdeckt hatte. Er bückte sich und hob einen runden weißen Stein auf, der wie eine dicke Murmel aussah. Seine Oberfläche glänzte in verschiedenen Weißtönen. Fasziniert hielt Moritz ihn gegen die Sonne und drehte ihn ein paar Sekunden in der Hand.

„Den schenke ich Ihnen“, sagte er unvermittelt und hielt mir den Stein hin.

Der Stein war kalt und nass, doch meine Finger umschlossen ihn wie einen kostbaren Schatz.

„Ich würde gern ein paar Fotos von diesem fantastischen Meer machen“, sagte Moritz. „Und von dem Himmel.“

Von hinten waren weiße Wolken aufgezogen, die gleich über uns wegziehen würden. Ein wunderschönes Bild.

„Es macht Ihnen doch nichts aus? Ich brauche höchstens eine Viertelstunde.“ Moritz hatte schon begonnen, in seinem Rucksack nach dem Fotoapparat zu kramen.

„Nein, natürlich nicht“, erwiderte ich schnell. „Ich genieße so lange den Blick auf das Meer von den Dünen dort vorn.“ Ich deutete in die Richtung, in die ich gehen wollte.

„Dann treffen wir uns oben wieder“, sagte Moritz und zog eine teure Kamera hervor.

Ich wandte mich ab und ging zügig in die angekündigte Richtung. Ein bisschen ärgerte mich schon, dass er mich so einfach stehen ließ. Andererseits war heute der erste wirklich schöne Tag zum Fotografieren und diese Gelegenheit durfte man nicht verpassen. Ich suchte mir einen Platz in einer Mulde, von wo aus ich einen weiten Blick auf den Strand hatte.

Nachdem ich eine Weile einem Hund zugeschaut hatte, der immer wieder begeistert ins Wasser rannte und dabei von einer jungen Frau angefeuert wurde, schloss ich die Augen und hielt mein Gesicht in die Sonne. Darüber musste ich sogar ein paar Minuten eingedöst sein, das laute Rauschen der Wellen brachte mich schnell zurück in die Wirklichkeit. Ich sah hinunter zum Strand. Moritz stand noch immer am Meeressaum und fotografierte. Von hier oben sah er aus wie ein kleiner Junge, der interessiert die Welt erkundete. Ab und zu bückte er sich und hob etwas auf, um es kurz darauf zurück ins Meer zu werfen. Automatisch huschte ein Lächeln über mein Gesicht. Dieser Mann hatte etwas an sich, das andere Menschen dazu brachte, ihn beschützen zu wollen. Und genau das lag vermutlich ganz und gar nicht in Moritz‘ Interesse. Vielleicht war das auch der Grund, warum er zwischendurch so unnahbar und abweisend wirkte. Hier stoppte ich meine Gedanken. Schließlich kannte ich Moritz erst seit gestern und diese Begegnung würde schon morgen ihren Abschluss finden.

Ich lehnte mich nach hinten und schaute in den Himmel. Die Wolken zogen jetzt in großen Gebirgen über den blauen Himmel, untermalt vom Kreisen der Möwen. Durch die weißen Ungetüme bekamen Himmel und Strand eine viel größere Tiefe als es der blaue Himmel allein vermocht hätte. Ich wollte diesen wunderbaren Anblick ganz tief in mich einsaugen, dann konnte ich ihn bei Bedarf im Alltag immer wieder hervorzaubern. Ich schloss die Augen eine Weile, doch das laute Kreischen einer Möwe, die dicht über meinem Kopf segelte, schreckte mich erneut auf und ich schaute ihr eine Weile nach, bevor ich meinen Blick wieder den Strand entlang wandern ließ. Moritz war offenbar ein Stück gelaufen, denn ich entdeckte ihn weiter entfernt von der ursprünglichen Stelle. Noch immer war er ins Fotografieren vertieft.

Ich legte mich auf den Rücken und verfolgte die ziehenden Wolken über mir, bevor ich wieder zum Strand hinuntersah. Doch jetzt konnte ich Moritz nirgends mehr entdecken. Meine Augen wanderten rechts und links den Strand entlang. Vergeblich. Ob er schon zu den Rädern gegangen war? Ich wollte gerade aufstehen, als ich ihn schließlich doch sah. Er stand ein wenig entfernt vom Wasser, hatte sein Telefon am Ohr und sprach lebhaft hinein. Er schien verärgert. Das erkannte ich an der Art, wie er gestikulierte.

Als ich aus meiner Mulde hervortrat, kam mir Moritz mit schnellen Schritten entgegen. Sein Blick war düster. Ich befürchtete, er hätte eine schlechte Nachricht erhalten und müsste die Radtour abbrechen. Doch er nickte mir wortlos zu und wir gingen schweigend zurück zu unseren Rädern. Als ich in die Tasche meiner Shorts fasste, spürte ich den Stein in meinen Händen und ein warmes Gefühl durchfuhr mich.

Nachdem wir unsere Fahrräder auseinandergekettet hatten, zog Moritz seine Schuhe aus und schüttelte den Sand heraus. Ich ertappte mich dabei, wie ich auf seine schlanken, nackten Füße starrte. Niemals zuvor hatten Füße eine so erotische Wirkung auf mich gehabt. Ich musste mich richtig zwingen, in eine andere Richtung zu schauen. Wir fuhren den Dünenweg weiter bis zum nördlichsten Punkt der Insel. Da Moritz noch immer schwieg, konnte ich meinen Gedanken nachhängen. Als wir schließlich am Ziel ankamen, bog ich zum Hafen ab. Ich kannte dort ein kleines Fischrestaurant. Wir hatten Glück und fanden sogar draußen einen freien Tisch.

„Übrigens“, begann Moritz, als vor jedem von uns eine Lachslasagne und ein Glas Weißwein standen, „mein Weg wäre genau derselbe gewesen wie Ihrer.“

Seine gute Laune war wieder zurück, wie ich erleichtert feststellte. Augenzwinkernd sah er mich an. Sein lockiges Haar hing ihm ins Gesicht und gab ihm etwas Wildes. Der Vormittag in der Sonne hatte sein Gesicht leicht gebräunt, er sah jetzt tatsächlich noch schöner aus als gestern. Dabei leuchteten seine Augen in der Sonne blau und sein intensiver Blick bewirkte, dass ich einen Moment aufhörte zu atmen. Vielleicht hatte er es bemerkt, denn Moritz zog die linke Augenbraue hoch und schmunzelte.

„Und ich hatte mich schon auf vier weitere Stunden in die andere Richtung gefreut“, erwiderte ich und sah jetzt scheinbar interessiert zu einem älteren Ehepaar hinüber, das über irgendetwas miteinander in Streit geraten war.

„Ich habe Sie doch schon einmal gewarnt, dass ich Sie beim Wort nehmen könnte“, sagte Moritz und für einen kurzen Augenblick wusste ich nicht, ob sein plötzlich ernstes Gesicht einen erneuten Stimmungswechsel bedeutete. Ich widmete mich schnell meiner Lasagne, während ich weiter seinen Blick auf mir spürte. Dieser Mann irritierte mich. Nicht, weil er so unverschämt gut aussah. Ich war schon anderen schönen Männern begegnet. Doch die meisten von ihnen waren so in sich selbst verliebt gewesen, dass ich sie nur noch langweilig finden konnte. Bei Moritz war das anders. An ihm war etwas, das ich nicht verstand und das mich auf seltsame Weise beunruhigte. Sein Blick hatte bisweilen etwas tief Melancholisches und noch etwas anderes, für das ich keinen Ausdruck fand.

„Ich möchte auf dem Rückweg beim Hünengrab vorbeifahren“, sagte er nun.

„Sie kennen es?“

„Natürlich“, erwiderte er nüchtern.

Nachdem wir das Restaurant verlassen hatten, schlenderten wir noch bis zum Ende der Hafenmole. Ich bemerkte, dass Moritz unablässig zum Horizont blickte, dorthin, wo Himmel und Meer aneinanderstießen. Wieder sprach er kein Wort, bis wir schließlich umkehrten, auf unsere Räder stiegen und uns auf den Rückweg machten.

Wir fuhren etwa eine Stunde, als Moritz unvermittelt anhielt.

„Hier geht es hinunter zum Hünengrab“, sagte er knapp und schaute an mir vorbei. „Ich möchte jetzt gern dorthin fahren.“

Jetzt wandte er mir den Blick zu und ich erschrak über die Dunkelheit in seinen Augen.

„Ist es unverschämt, wenn Sie ab hier allein zurückfahren?“

Wie bitte? Natürlich, ist es unverschämt, mich hier einfach so abzuservieren, hätte ich ihm am liebsten entgegengeschrien. Doch ich beherrschte mich und stammelte eine halbwegs höfliche Floskel. Was bildete sich der Typ ein? Ließ mich hier einfach stehen, nachdem er mich zu dieser Radtour eingeladen hatte. Es mochte ja sein, dass er meiner überdrüssig war, aber warum musste er so unhöflich werden? Die Fahrt hätte ohnehin keine Viertelstunde mehr gedauert.

„Da können wir ja beide froh sein, dass wir kein Tandem genommen haben.“ Diese sarkastische Bemerkung konnte ich mir nicht verkneifen. Ich nickte ihm noch einmal zu und wollte weiterfahren, doch da hielt er meinen Fahrradlenker fest.

„Kaja, einen Moment noch! Treffen wir uns morgen um zwölf Uhr an meinem Hotel?“ Ein kurzes Lächeln glitt über sein Gesicht.

Ich sah ihn mit hochgezogenen Brauen an und erwiderte erst einmal nichts.

„Dann hätten Sie noch ein paar Stunden länger auf Ihrer Insel“, begann er zögernd, „Ihr Zug geht doch bestimmt sehr früh. Außerdem wollten wir doch zusammen zurückfahren.“ Wieder traf mich sein Blick.

„Ja, schon“, erwiderte ich lahm. „Ich dachte nur, Sie haben vielleicht Ihre Pläne geändert. Ich meine, es wäre kein Problem. Ich habe ja meine Fahrkarte.“

„Haben Sie es sich anders überlegt?“, fragte er leise.

Nein! Ich habe mir gar nichts anders überlegt, ich reagiere nur auf deinen Rückzug, hätte ich ihm am liebsten ins Gesicht gerufen. Doch ich schwieg.

„Es würde mich wirklich freuen!“ Noch immer schaute er mich direkt an und für einen kurzen Moment glaubte ich ihm sogar.

„Hm, also gut, dann morgen um zwölf“, erwiderte ich schnell, weil mir nichts Besseres einfiel.

Sein Gesicht hellte sich auf. „Schön! Dann bis morgen … Und genießen Sie diesen letzten Abend auf der Insel.“

„Ihnen auch einen schönen Abend“, sagte ich schnell.

„Hm, vielleicht“, erwiderte er und seine Stimme klang plötzlich rau.

Ich dachte, er würde sich von mir abwenden, stattdessen strich er mir eine Strähne aus dem Gesicht und schob sie sanft hinter mein linkes Ohr. Die Berührung traf mich wie ein Stromschlag. Und sie passierte so schnell, dass ich nicht einmal den Kopf zurückziehen konnte. Ohne ihn anzusehen nickte ich ihm noch einmal zu und fuhr dann hastig los.

4.

 

Nachdem ich das Rad zurückgegeben hatte, ging ich noch auf ein Glas Rotwein in das Restaurant an der Düne. Heute hatte ich jedoch keine rechte Freude an meinem abendlichen Ritual. Ich saß auf der windgeschützten Terrasse und bemerkte erst zwei Stunden später, dass ich die ganze Zeit durch die Glasscheibe auf das Meer gestarrt hatte, während in meinem Kopf die Frage kreiste, wie ich Moritz am besten wieder absagte. Etwas an diesem Mann war eigenartig und ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass ich mich besser von ihm fernhalten sollte. Inzwischen war es vollkommen dunkel geworden und außer mir saß niemand mehr hier draußen. Schnell brachte ich das Glas zurück ins Restaurant und ging zu meinem Hotel.

Nachdem ich meine Tasche gepackt hatte, legte ich mich ins Bett und zog die Decke über den Kopf. Hoffentlich konnte ich überhaupt einschlafen. Die Gedanken tanzten noch immer ziemlich unsortiert durch meinen Kopf. Allen voran die Frage, warum mich Moritz hatte stehen lassen, aber trotzdem wollte, dass ich morgen mit ihm führe. Ich hatte ihm doch eine Brücke gebaut, damit er die Verabredung fallen lassen konnte. Ohne eine Antwort zu finden, starrte ich in die Dunkelheit. Wäre es nicht schon so spät gewesen, hätte ich Ira angerufen. Auch auf die Gefahr hin, wieder eine dumme Bemerkung zu kassieren. Aber um diese Zeit schlief Ira längst, ihr Wecker klingelte morgens immer schon um fünf Uhr.

Das vertraute Piepsen meines Telefons meldete den Eingang einer neuen SMS. War Ira doch noch wach? Schnell griff ich nach dem Telefon und öffnete die Nachricht.

Du bist noch schöner, wenn du rot wirst.

Nur dieser Satz. Kein Absender. Die angezeigte Telefonnummer kannte ich nicht. Augenblicklich spürte ich, wie mein Herz bis zum Hals schlug. Von wem kam diese Nachricht? Vielleicht von Tom unter fremder Nummer? Ausgeschlossen! Die Zeiten, in denen Tom mir Liebesbotschaften schickte, waren lange vorbei. Außerdem war ihm nie aufgefallen, dass ich ständig rot wurde. Vermutlich war er farbenblind. Nein, Tom kam definitiv nicht als Absender in Frage. Sollte die Nachricht etwa von …? Mein Herz klopfte noch schneller. Doch das war leider auch ausgeschlossen. Ich hatte Moritz meine Telefonnummer nämlich gar nicht gegeben. Eine Sekunde schwebte mein Finger über der Anruftaste, doch dann legte ich das Telefon fort. Was war, wenn ein Stalker dahintersteckte? Dann wäre ein Gegenanruf das Dümmste, was ich machen könnte. Andererseits war es ziemlich unwahrscheinlich, dass ich einen Stalker hatte. Schließlich hätte ich das doch längst bemerken müssen. Ich entschied, dass die Nachricht für jemand anderen bestimmt und nur versehentlich bei mir gelandet war. Kurz musste ich sogar über mich lachen, weil mich die wenigen Worte so durcheinandergebracht hatten. Ich wollte die Nachricht löschen, doch mein Finger stoppte, bevor er die Lösch-Taste erreicht hatte.

Wenn sie doch für mich bestimmt war? In dieser Nacht träumte ich zum ersten Mal von Moritz.

5.

 

Als ich am nächsten Tag pünktlich um zwölf Uhr auf dem Parkplatz von Moritz‘ Hotel erschien, packte er gerade eine Tasche in einen roten Alfa Romeo Spider. Ich traute meinen Augen nicht. Das war ein echter Oldtimer. Und dazu auch noch ein Spider.

„Na, gut geschlafen?“, fragte Moritz fröhlich.

Das Dunkle und Melancholische war heute aus seinem Blick verschwunden. Seine Haare trudelten wild um den Kopf und seine intensiv braune Gesichtsfarbe zeigte, dass er die letzten Stunden am Strand verbracht hatte. Auch heute war wieder ein herrlicher Sommertag, nur nicht so windstill wie der Vortag.

„Das ist ja ein echter Rundheck!“ Ohne auf seine Frage einzugehen, machte ich ein paar Schritte um den wunderschönen Wagen mit den Stoßstangen aus glänzendem Chrom. „Ich schätze Baujahr 64?“

„1963.“ Man hörte Moritz‘ Stimme die Verblüffung an. „Woher kennen Sie sich so gut mit alten Autos aus?“

In seinem Blick entdeckte ich jetzt sogar Bewunderung.

„Während der Semesterferien habe ich auf Oldtimer-Messen gejobbt. Für eine Firma, die Ersatzteile für Alfas verkauft“, klärte ich ihn auf.

Er sah mich noch immer unverwandt an.

„Ist schon ärgerlich, dass wir jetzt fahren müssen“, sagte ich, nur um etwas zu sagen. Sein Blick irritierte mich.

„Müssen wir das wirklich?“

Immer noch dieser Blick. Ich hoffte inständig, dass ich nicht wieder rot würde.

„Was treibt uns denn an?“ Moritz‘ Stimme klang jetzt dumpfer und wie aus dem Nichts war der dunkle Schatten wieder da.

„Sollen wir nicht einfach noch ein bisschen bleiben?“

War die Frage etwa ernst gemeint?

„Wie Ihr Kalender aussieht, weiß ich nicht. Aber ich habe um neun Uhr morgen Früh einen wichtigen Termin bei einem Kunden“, konterte ich. „Und ich kann mir nicht erlauben, ihn zu verlieren.“

Er sah mich noch immer an. „Ja, so ist das mit der Arbeit. Immer ist sie wichtiger als die meisten anderen Dinge.“ Mit einer abrupten Bewegung drehte er sich zu mir um und griff nach meiner Tasche. Erschrocken zuckte ich zusammen. Im ersten Moment hatte ich tatsächlich geglaubt, er wollte mir wieder eine Strähne hinter das Ohr streichen wie gestern. Zu allem Überfluss wurde ich jetzt wirklich rot. Doch Moritz hatte sich zum Glück schon wieder seinem Auto zugewandt, um mein Gepäck darin zu verstauen.

Eine halbe Stunde später standen wir mit dem roten Alfa zwischen schwarzen bis dezent grauen Limousinen und schicken Cabrios auf dem Autoreisezug und ließen uns zurück auf das Festland schaukeln. Wir hingen beide schweigend unseren Gedanken nach, während draußen die Deichlandschaft langsam an uns vorbeizog.

„Mögen Sie Emil Nolde?“, fragte Moritz, nachdem wir eine halbe Stunde später in den Zielbahnhof eingelaufen waren und darauf warteten, vom Zug fahren zu können.

„Wieso?“, fragte ich.

„Ganz in der Nähe ist ein wunderschönes Museum“, erwiderte er. „Ich würde es Ihnen gerne zeigen.“

„Mit anderen Worten, Sie wollen selbst dorthin?“

Schmunzelnd und ohne weiteren Kommentar folgte er dem Schild, das den Weg zum Museum im nächsten Ort wies. Bereits zehn Minuten später waren wir dort und Moritz stellte den Wagen in der Nähe des kleinen Museums ab, das einmal das Wohnhaus von Emil Nolde gewesen war. Seine Hand streifte kurz meinen Arm. Ob es Absicht war oder eine zufällige Berührung, konnte ich nicht sagen. Doch es fühlte sich wieder so an, als würde mich ein Blitz durchzucken und augenblicklich ging mein Atem schneller. Hoffentlich hatte Moritz dieses kleine Gewitter in mir nicht bemerkt. Während ich ausstieg, vermied ich vorsichtshalber jeden Blickkontakt mit ihm.

„Hey, warten Sie doch!“, rief er hinter mir her, als ich mit großen Schritten auf das Museum zuging.

Hoffentlich dachte er nicht, ich liefe vor ihm davon. Obwohl er damit nicht ganz falsch lag. Also verzögerte ich meinen Schritt, dass Moritz mich einholen konnte. Er legte wie selbstverständlich seinen Arm um meine Schulter und ich hoffte inständig, nicht zur Salzsäule zu erstarren. Kein Zweifel, dieser Mann brachte mich aus dem Konzept. In seiner Gegenwart benahm ich mich wie ein kleines Mädchen. Als ich zurückschaute, um seinem Grinsen zu begegnen, war sein Blick jedoch wieder düster und starr nach vorn gerichtet.

Die Nolde-Bilder waren ein Traum. Sie berührten mich tief. Die Farben waren so intensiv und eindringlich, ich liebte sie vom ersten Moment an. Moritz, der diesen Abstecher vorgeschlagen hatte, zeigte jedoch mit keinem Lächeln oder Wort, dass er den Aufenthalt genoss. Doch er verweilte lange vor jedem Bild. Ich wünschte ihm, dass ihre Heiterkeit ein wenig auf ihn abfärbte.

Als wir eine Dreiviertelstunde später wieder im Auto saßen, schwieg Moritz noch immer und starrte mit ernstem Gesicht auf die Straße. Ich betrachtete derweil die vorbeifliegende Landschaft. Ich liebte den Norden und freute mich, dass der Weg zur Autobahn so lang war. Auf den Landstraßen fühlte ich mich der Natur deutlich näher. Irgendwo auf dieser Strecke musste ich jedoch trotz der lauten Fahrgeräusche des Oldtimers eingeschlafen sein. Ich wurde jäh geweckt, als Moritz mich fragte, ob er an der nächsten Raststelle halten solle. Überrascht öffnete ich die Augen und bemerkte, dass wir schon auf der Autobahn waren.

„Ein Kaffee wäre doch nicht schlecht, oder?“, sagte Moritz.

Fünf Kilometer später tauchte ein Rastplatz auf. Im Restaurant tranken wir jeder einen großen Kaffee, Moritz hatte sich dazu ein Stück Kuchen geholt, ich ein belegtes Brötchen. Außerdem hatte er eine Zeitung gekauft, in der er intensiv las, während ich in Gedanken bei meinem morgigen Termin war. Der Kunde wollte, dass ich ihm eine Pressekampagne vorbereitete und mir war noch ein Punkt eingefallen, den ich unbedingt im Konzept ergänzen musste. Moritz‘ erneutes Schweigen war mir darum sehr angenehm. Auch, dass er sich hinter seiner Zeitung verbarrikadiert hatte. Tom hatte mich regelmäßig zur Weißglut gebracht, wenn er beim Essen eine Zeitungswand zwischen uns aufgebaut hatte. Bei Moritz hingegen war ich froh, dass ich auf diese Weise seinem intensiven Blick entging.