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ISBN: 9 783753 432564
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Afrika hat seine Geheimnisse und selbst ein weiser Mensch
wird diese nie verstehen.Er kann sie aber Respektieren.
Miriam Makeba
Ich kann mich an keinen Morgen in Afrika erinnern, an dem ich aufgewacht bin und nicht glücklich war.
Ernest Hemingway
Niemand kann dem Reiz Afrikas widerstehen.
Rudyard Kipling
Afrikanische Länder unter deutscher Flagge oder nach einer heute durch den Gebrauch des N- Wortes als rassistisch gebrandmarkten Bezeichnung des früheren Gouverneurs von Deutsch- Ostafrika von Rechenberg Negerländer unter deutschen Flagge, waren die Kolonien Deutsch-Ostafrika, Südwest, Togo und Kamerun.
Die Themen Rasse und Rassismus sind im Zusammenhang mit Kolonialpolitik und der Black Lives Matter Bewegung momentan zentrale Themen in der öffentlichen Diskussion1). Die Herkunft des Wortes Rasse ist nicht eindeutig geklärt. Erklärungsversuche weisen auf die lateinischen Substantive radix, Wurzel und auf generatio, Generation und Zeugungsfähigkeit hin. Der Terminus Rasse stammt ursprünglich aus der Tierzucht und wurde danach in der Biolgie auch zur Klassifizierung von Organismen verwendet.
Der Begriff Rasse findet sich heute nicht nur im Grundgesetz, sondern auch in völkerrechtlichen Abkommen wie in der Erklärung der Menschenrechte von 1948, in der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1950 und in der EU-Grundrechtscharta von 2009.
Nachdem die französische Regierung den Begriff Rasse im Jahre 1998 ersatzlos aus ihrer Verfassung gestrichen hatte, forderte die Partei Die Grünen nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd und dem weltweiten Erstarken der Black-Lives Matter Bewegung mit einer Änderung des Art.3 des Grundgesetzes ein Gleiches für die deutsche Verfassung. Diese Forderung griff nunmehr auch die Bundesregierung auf, indem sie bekräftigte: Das Grundgesetz muss vor Rassismus schützen, ohne dabei von Rasse zu sprechen. Nach einem ersten Entwurf soll der Artikel 3 des Grundgesetzes folgenden Wortlaut erhalten:
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft,seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen oder rassistisch benachteiligt oder bevorzugt werden.
Geblieben ist der Schutz vor rassistischer Benachteiligung, der zum Hauptanliegen der Black-Lives-Matter Bewegung geworden ist. Die Black-Lives Matter Bewegung (englisch für Schwarze Leben zählen) ist eine internationale Bewegung gegen Rassismus, die innerhalb der afroamerikanischen Gemeinschaft in den USA entstanden ist und sich gegen Gewalt gegen Schwarze bzw. People of Color einsetzt. Black Lives Matter organisiert regelmäßig Proteste gegen die Tötung Schwarzer durch Polizeibeamte sowie wie bei anderen rassistischen Problemen wie Racial Profiling und Polizeigewalt.
Die Bewegung begann 2013 mit der Benutzung des Hashtags Black Lives Matter in den sozialen Medien nach dem Freispruch von George Zimmermann nach dem Todesfall des afroamerikanischen Teenagers Trayvon Martin. Sie erreichte ihren vorläufigen Höhepunkt am 25. Mai 2020, nachdem der Afroamerikaner George Floyd im Verlauf einer gewaltsamen Festnahme in Minneapolis getötet worden war. Danach begannen ausgedehnte Demonstrationen gegen Polizeigewalt und Rassismus in zahlreichen Städten in den USA. Diese weiteten sich weltweit aus nach Australien, Asien und Europa. In Wien kamen trotz Corona am 4. Juni ca. 50.000 Menschen zur Demonstration Black Lives Matter Vienna gegen Rassismus und Polizeigewalt. Am 6. Juni 2020 demonstrierten nach Polizeiangaben ca. 15.000 Menschen in Berlin und bis zu 25.000 in Menschen gegen Rasismus trotz Corona.
In Großbritannien kam es am 7. Juni zu Großdemonstrationen. Dabei sürzten Demonstranten in Bristol die Bronzestatue des Politikers und Sklavenhändlers Edward Colston (1636-1721) vom Sockel ins Hafenbecken. In Richmond im US Bundesstaat Virginia stürzten Demonstranten ein Standbild des Seefahrers und Entdeckers Amerikas Christoph Kolumbus. In Antwerpen veranlasste die Stadtverwaltung am 9. Juni die Entfernung einer Statue Leopolds II. (1835-1909), der für die grausame belgische Herrschaft im Kongo Freistaat verantwortlich gemacht wird. In Hamburg beschmierten Unbannte das Bismarck Denkmal im Stadtteil Altona mit roter Farbe.
Statt weitere Statuen vom Sockel zu stoßen, sollte man sich kritisch mit Personen und rassistischen Meinungen auseinandersetzen. Dies gilt auch für die Person Kants, dem berühmtesten Philosophen der Aufklärung, dem vielfach Rassismus vorgworfen wird.
Die Black Lives Matter Bewegung führt auch zu den Ursprüngen von Rassismus, die sich bis zur Aufklärung und deren Vertreter, die Philosophen Immanuel Kant sowie Hegel als Philosophen der Aufklärung zurückverfolgen lassen 2). Kant hat nicht nur Rassen definiert, sondern auch eine Hierarchie von Rassen aufgestellt. Diese Thesen hat er jedoch im Laufe seines weiteren philosophischen Wirkens, bei dem im Zuge eines universalistischen und kosmopolitischen Denkens, welches jedem Menschen die gleiche Menschenwürde zumisst, aufgegeben. Seine Rassentheorie hat Kant in einem Aufsatz: Von den verschiedenen Rassen der Menschen in Kants gesammelte Schriften Bd. II S. 429-443 niedergelegt. Diese Theorie vertrat er vor allem auch in seiner Vorlesung zur Physischen Geographie. Nach Kant gehören Weiße und Schwarze zwar zu ein und derselben Naturgattung Mensch, wobei er die Gattung als die Tatsache der Zeugung von Nachkommen ansah. Schwarze und Weiße waren für Kant nicht verschiedene Arten von Menschen, jedoch verschiedene Rassen. Insgesamt teilte Kant die Menschheit in vier verschiedene Rassen ein, von denen er alle weiteren ableitete:
Zur ersten Rasse der Weißen zählte Kant neben den Europäern die Mauren, den türkisch- tartarischen Volksstamm und die Perser. Zur zweiten Rasse gehören die afrikanische Negerrasse, zur dritten die Reiterstämme östlich des Uralgebirges und zur vierten Rasse die Völker Indiens. Von diesen Rassen leitete Kant alle weiteren Volksstämme ab, z.B. die Amerikaner (Ureinwohner, Indianer) wegen der Ähnlichkeit in der Hautfarbe und dem bartlosen Kinn als eine noch nicht völlig eingeartete hunnische Rasse.
Kant ging dabei davon aus, dass alle Spielarten der Menschen im Menschen selbst schon vorhanden sein müssen. Sie würden dann durch ihre jeweilige Umgebung und Umwelt gleichsam hervorgebracht. Insoweit ist nach Ansicht Kants der Mensch schon für alle Bedingungen des Lebens geschaffen. Sonne und Luft seien die Ursache der Verschiedenheit der Menschen. Darüber hinaus sah Kant einen Zusammenhang zwischen körperlichen Eigenschaften und Charaktereigenschaften. Für Kant ist der Neger, welcher in feuchter Hitze beheimatet ist, einerseits stark, fleischig und gelenk, andererseits aber auch faul, weichlich und tändelnd. Diese angeborenen negativen Charaktereigenschaften können nach Kant nur durch Zwang gemäßigt werden.
Für die Entwicklung des Menschen ist für Kant vor allem die Lokalmodifikation entscheidend. Darunter versteht Kant die Anpassung der Menschen an den jeweiligen Boden, d.h. an seine Umgebung. Kant glaubt, dass es eine Stammgattung der Menschen gegeben habe, die verschollen oder noch nicht entdeckt sei. Den Ursprung dieses Menschen vermutet er im Norden, wo die Umgebung infolge einer glücklichen Mischung von Kälte und Hitze für die Entwicklung der Menschenrasse am günstigsten sei. Diesem Ideal kommt nach Kant der Nordeuropäer, zu dem er den Deutschen zählt am nächsten. Ausgehend von dieser Feststellung stellt Kant eine Stammgattungstabelle auf aus wertvollen, weniger wertvollen bis zu minderwertigen Menschenrassen.
Die Einwohner des gemäßigten Erdstriches, also die Europäer sind nach Ansicht Kants schöner an Körper, arbeitsamer, scherzhafter, gemäßigter in ihren Leidenschaften, verständiger als irgendeine andere Gattung der Menschen in der Welt. Die Menschheit gibt es nach Kant in ihrer größten Vollkommenheit in der Rasse der Weißen. Die gelben Indianer haben ein geringes Talent. Die Neger sind weit tiefer und am tiefsten steht ein Teil der amerikanischen Völkerschaften. Kant, der zeitlebens seine Heimatstadt Königsberg niemals verlassen hat, wird deshalb in seinem Leben niemals auf einen Afrikaner getroffen sein. Er kannte die unterschiedlichen, von ihm beschriebenen Rassen nur aus der damals in Preußen zugänglichen Literatur. Kants Schüler Friedrich Wilhelm Hegel kam zu ähnlichen Schlussfolgerungen. So schrieb Hegel:
Der Neger stellt einen Naturmenschen in seiner wilden und ungezähmten Natur dar. Wenn man ihn richtig verstehen und behandeln will, muss man allen Respekt vor Menschen, sowie Moralität und Gefühle beiseitelegen. Es ist nichts an das Menschliche anklingende in diesem Charakter zu finden.
Es wäre nun sicherlich falsch die rassistischen Ansichten Kants und Hegels damit zu entschuldigen, dass sie halt Kinder ihrer Zeit gewesen sind. Stattdessen muss man die kritischen rassistischen Stellen in ihren Werken diskutieren. Falsch wäre es jedoch im Rahmen der heutigen Rassismusdebatte unsere bedeutesten Philosophen der Aufklärung deswegen vom Sockel zu stürzen. Insbesondere sollten die Vorwürfe uns nicht von der Lektüre Kants und Hegels Klassiker abhalten. Hierzu gehören insbesondere seine bedeutenden Werke wie die Kritik der reinen Vernunft und die Kritik der praktischen Vernunft.
Im Zuge der heutigen Rassismusdebatte und der eingeforderten Political Correctness werden heute Statuen von Politikern und Kulturgrößen gestürzt, Bücher umgeschrieben, Mode- Kollektionen gemieden und Straßen umbenannt. Betroffen sind nicht nur Politiker, denen Beiträge bei der Kolonisierung Afrikas vorgeworfen werden, wie z.B. dem Reichskanzler Otto von Bismarck, dem deutschen Kaiser Wilhelm II. und dem Militär Lettow Vorbeck. Gefährdet sind neben den Statuen der Philosophen Hegel und Kant, auch die Statue von Richard Wagner, dem Antisemitismus vorgeworfen wird. Als fremdenfeindlich und rassistisch werden nicht nur das N-Wort, sondern darüber bisher im Alltag bislang als unverdächtig verwendete Bezeichnungen Zigeunerschnitzel, Onkel Tom, Mohrenkopf, Mohrenstraße, Negerkuss, der Nickneger in der Kirche, Negerkönig und Negerprinzessin bei Pippi Langstrumpf etc. Als rassistisch problematisch werden neuerdings selbst Krippenfiguren und Krippendarstellungen, insbesondere die Figur des dunkelhäutig dargestellten Weisen Melchior angesehen. In diesem Zusammenhang wird auch das sogenannte Blackfacing, das Schminken mit schwarzer Farbe im Karneval als rassistisch abgelehnt.
Als rassistisch bedenklich wird weiterhin das sogenannte Cultural Appropriation, zu deutsch: kulturelle Aneignung angesehen. Darunter versteht man die Bedienung an anderen Kulturen aus modischen oder kommerziellen Gründen. Dieser Vorwurf wird z. B. Modedesigner gemacht, soweit sie sich für ihre Kollektionen traditioneller afrikanischer Muster bedienen oder Leuten, die sich eine afrikanische Frisur wie Braeds oder Dreadlocks machen lassen. Das Ende der vom Soziologen Levent Tezcan in der taz als quasireligiösen Furor bezeichneten Erscheinungen, mit denen eine neue Generation People of Color jede auch noch so verborgene rassistische Regung in der Seele ausrotten will, ist offen.
Auf der anderen Seite wird zwar eine kritische Diskussion über die kolonialpolitische Vergangenheit Deutschlands und deren Auswüchse für notwenig erachtet, aber vor jeder Zensur und dem Auslöschen kultureller Erinnerungen in Form von Abreißen von Statuen nachhaltig gewarnt. Die heute beschworene Political Correctness, unter dem Begriff versteht man das Bemühen auch Minderheiten in der Sprache abzubilden alles zu vermeiden, was andere in irgendeiner Form verletzen oder diskrimieren könnte, wird von Kritikern als Vorform von Zensur abgelehnt. Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass der Korridor des Sagbaren aus Angst vor Verletzungen immer enger gesteckt wird. Soweit die Moral unsere Sprache dominiert, ist sicherlich die Meinungsfreiheit bedroht.
Trotz der aktuellen Rassismusdebatte galt Afrika in der deutschen Berichterstattung jahrzehntelang als vergessener Kontinent. Berichtet wurde vor allem über Afrika einerseits als Tier- und Touristenparadies, andererseits als Hölle für die Afrikaner selbst, voller Katastrophen wie Armut, Hunger, Seuchen, Staatskrisen und kriegerischen Auseinandersetzungen, kurzum für das reiche Europa ein Kontinent zum Vergessen. Vergessen und verdrängt wurde dabei vor allem, dass die reichen Europäer und deren Kolonialpolitik die Hauptschuld an diesem Elend trugen. Soweit die Europäer ein schlechtes Gewissen plagte, versuchten sie dieses mit der Aufforderung zur humanitären Hilfe und mehr Entwicklungshilfe zu besänftigen. Dies gilt in besonderem Maße auch für Deutschland und die Deutschen, in deren Bewusstsein Afrika und die koloniale Vergangenheit nur wenig präsent war.
Die Beschäftigung mit Afrika und dessen kolonialer Vergangheit sowie das Erinnern daran führt uns zum Begiff der Erinnerungskultur, unter der man den Umgang des Einzelnen und der Gesellschaft mit ihrer Vergangenheit und ihrer Geschichte versteht 3).
Im Zusammenhang mit der Erinnerungskultur stellt sich notwendigerweise die Frage: Was dürfen wir nicht vergessen? Beiträge einer Erinnerungskultur sind vor allem Denkmäler, Mahnmale und Gedenkstätten für Personen und historische Ereignisse, aber auch öffentliche Veranstaltungen wie Gedenktage, die begleitet sind von ritualisierten Formen wie Militärparaden und Kranzniederlegungen.
Zur Erinnerungskultur der kolonialen Vergangenheit Deutschlands in Afrika gehört bislang in erster Linie das Erinnern an Negatives und vor allem an Rassismus, wie an die Völkermorde der deutschen Schutztruppe an Hereros und Namas in Deutsch- Südwestafrika sowie an die am Maji- Maji Aufstand in Deutsch- Ostafrika beteiligten Afrikanern. Gerade in diesen Fällen beinhaltet die Erinnerungskultur erhebliche Konfliktpotentiale, z.B. bei der Frage nach der Entschädigung von Opfern oder auch bei der Rückgabe geraubter kolonialer Kulturgüter. Gerade in diesen Fällen kann die Erinnerungskultur ein Mittel sein, vergangene Konflikte aufzuarbeiten und letztlich zu überwinden.
So ist eine Erinnerungskultur und vor allem eine Aufarbeitung der Koloniegeschichte Deutschlands, das am Ende seiner Kolonialzeit sogar ein geschlossenes mittelafrikanisches Kolinialreich angestrebt hatte, bislang weitgehend ausgeblieben. Noch während des 2. Weltkrieges besaß der reaktionäre Reichskolonialbund fast zwei Millionen Mitglieder, welche die erneute Inbesitznahme der im Ersten Weltkrieg verlorenen Gebiete forderten und sich zu einem Einsatz in den früheren Kolonialgebieten bereit erklärten. Dies änderte sich erst mit dem verlorenen 2. Weltkrieg. Selbst in der deutschen Geschichtsschreibung wurde die Stellung und Verantwortung Deutschlands als Kolonialmacht entweder schlechthin geleugnet oder die Thematik angesichts der Verantwortung Deutschlands für den 1. und 2. Weltkrieg und deren Folgen sowie insbesondere für den Holocaust der Juden vernachlässigt. Vielfach hat man sich damit begnügt die Bewohner der Kolonien als rückständige hilflose Opfer zu bemitleiden sowie die Nachkommen der Kolonialherren als ahnungslose Nachkommen blutrünstiger Täter darzustellen und ihnen ein schlechtes Gewissen einzureden.
Die dem kolonialen Denken und der Kolonisierung zugrundeliegende Ideologie von der Vorherrschaft der Weißen, ihrem Staatswesen sowie ihren kulturellen und religiösen Werten ist heutzutage aktueller als je zuvor. Ein derartiges Gedankengut entwickelte sich im 19. Jahrhundert nicht nur in den Köpfen autokratischer Politiker und Militärs, sondern wurde selbst auch von Gelehrten und Intellektuellen vertreten,von denen damals vorkoloniale Förderorganisationen gegründet oder unterstützt wurden.
In dieser Ideologie zeigt sich die untrennbare Verbindung zwischen Kolonialismus und Rassisimus. Beide argumentieren mit der angeblich durch die Rasse bedingten Unterschiede zwischen Weißen und den Eingeborenen. Diese Unterschiede wurden festgemacht an der Sitte und Moral, den Kleidungs- und Ernährungsgewohnheiten, den kulturellen Bräuchen und der Einstellung zur Arbeit 4). Die Betonung der Unterschiede zwischen Weiß und Schwarz wurde verbunden mit negativen Urteilen über die Eingeborenen, die vielfach als wild, kulturlos, faul, schmutzig, dumm, unehrlich und unsittlich bezeichnet wurden. Durch diese den Eingeborenen als typisch zugeschriebenen Eigenschaften wurde der Kolonialismus durch die Kolonialherren gerechtfertigt. Für sie war der Kolonialismus eine Kultur- und Zivilisierungsmission. Dies wird deutlich aus der Beschreibung des Kolonialismus durch den ersten Leiter des Reichskolonialamtes, Staatssekretär Dernburg aus dem Jahre 1907:
Kolonisation heißt die Nutzbarmachung des Bodens, seiner Schätze, der Flora, der Fauna und vor allem der Menschen zugunsten der Wirtschaft der kolonisierenden Nation und diese ist dafür zu der Gegengabe ihrer höheren Kultur, ihrer sittlichen Begriffe, ihrer besseren Methoden verpflichtet. 5)
Im kolonialen Alltag zeigte sich der von Rassismus geprägte Kolonialismus vor allem in der strikten Trennung der Weißen und Schwarzen in getrennten Wohnvierteln, getrennten Schulen und Krankenhäusern. Die fehlende Aufarbeitung der Kolonialgeschichte ist neben der verfehlten Flüchtlingspolitik eine der Ursachen für ein zu beobachtendes Anwachsen des Rassismus gegenüber Afrikanern und anderen Ethnien und belastet damit das Verhältnis Deutschlands zu Afrika und den Afrikanern sowie zu anderen Staaten, die ehemalig deutsche Kolonien waren.
Eine Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte bedarf einer tiefgründigen Auseinandersetzung und Aussprache über Fragen und Probleme der Kolonialgeschichte gemeinsam mit den Bewohnern der ehemaligen Kolonien.
Die deutsche Kolonialgeschichte umfasst insgesamt einen Zeitraum von Mitte des 19. Jahrhunderts bis Mitte des 20. Jahrhunderts, nachdem die Kolonien als Folge des verlorenen 1. Weltkrieges gemäß dem Versailler Vertrag 1918 von Deutschland an die Siegermächte abgetreten werden mussten. Dieser Verlust führte bei den Deutschen zu einem Aufschrei der nationalen Empörung, selbst bei den vormaligen Kolonialgegnern. Diese hatten die Kolonien, die 1913 mit nur 0,6 % am deutschen Außenhandel beteiligt waren, schon immer für ein nationales Verlustgeschäft angesehen.
Der Ruf nach deutschen Kolonien war in den Staaten des 1815 gegründeten Deutschen Bundes und des 1833 gegründeten Deutschen Zollvereins ab den 1840 er Jahren von privater und wirtschaftlicher Seite erhoben worden.
Die ersten Rufe nach deutschen Kolonien wurden im Vergleich zu den klassischen Kolonialländern England und Frankreich erst sehr spät laut.Sie kamen nicht von staatlicher, sondern von privater und wirtschaftlicher Seite. 1815 in Verbindung mit der Gründung des Deutschen Bundes und vor allem nach Gründung des Deutschen Zollvereines. Von privater Seite erfolgte 1839 die Gründung der Hamburger Kolonialgesellschaft, welche für die Ansiedlung deutscher Auswanderer die östlich von Neuseeland gelegenen Chatham Inseln kaufen wollte sowie im Jahre 1842 die Gründung eines Vereins zum Schutze deutscher Einwanderer in Texas, der das Ziel verfolgte die deutschen Siedlungen in Texas zu einer Kolonie Neu Deutschland auszuweiten.
Die deutschen Kleinstaaten beschränkten sich in ihrem politischen Denken pragmatisch ausschließlich auf Europa und die dort gegebenen politischen Möglichkeiten. Ein Grund hierfür war vor allem das Fehlen einer schlagkräftigen deutschen Flotte, die für den Erwerb überseeischer Kolonien als absolut erforderlich angesehen wurde. Ein Vertreter dieser Ansicht war vor allem Graf Otto von Bismarck (1862-1879), der den Erwerb von überseeischen Kolonien zunächst strikt ablehnte. Man kann bei ihm schon von einer Kolonialphobie sprechen. Von Beginn an waren Kolonien für ihn nützliche Versorgungsposten für Beamte. Er verglich den Kolonialbesitz mit dem seidenen Zobelpelz in polnischen Adelsfamilien, die keine Hemden haben. Diese Ansicht vertrat Bismarck auch weiterhin, als Anfang der 1880 er Jahre es auch in Deutschland zu einer mächtigen Kolonialbewegung kam. So schrieb er an einen Kollegen, den preußischen Kriegs- und Marineminister Albrecht von Roon 6):
Einerseits beruhen die Vorteile, welche man sich von Kolonien für den Handel und die Industrie des Mutterlandes verspricht, zum größten Teil auf Illusionen. Denn die Kosten, welche die Gründung, Unterstützung und namentlich die Behauptung der Kolonien veranlasst, übersteigen sehr oft den Nutzen, den das Mutterland daraus zieht, ganz abgesehen davon, dass es schwer zu rechtfertigen ist, die ganze Nation zum Vorteil einzelner Handels- und Gewerbezweige mit erheblichen Steuerlasten zu belasten. Andererseits ist unsere Marine noch nicht weit genug entwickelt, um die Aufgabe nachdrücklichen Schutzes in fernen Staaten zu übernehmen.
Bismarck verwies weiterhin darauf, dass Deutschland anders als England oder Holland nicht über eine geschulte Bürokratie zur Verwaltung von Kolonien sowie keine Seeflotte verfüge. Einem Reichstagsabgeordneten gegenüber erklärte Bismarck im Jahr 1881:
So lange ich Reichskanzler bin, treiben wir keine Kolonialpolitik.
Gegenüber dem deutschen Afrikaforscher Eugen Wolf erklärte Bismarck:
Ihre Karte von Afrika ist ja sehr schön, aber meine Karte von Afrika liegt in Europa. Hier liegt Russland und hier liegt Frankreich und wir sind in der Mitte, das ist meine Karte von Afrika.
Statt auf den Erwerb von Kolonien setzte er auf den Erwerb von einzelnen Marinestützpunkten zum Schutz des Handels. Seine Haltung gegenüber dem Besitz von Kolonien änderte sich ab 1884 aus innen- und außerpolitischen Gründen, vor allem im Reichswahlkampf im Sommer und Herbst 1884 sowie aus Furcht vor einem Thronwechsel, bei dem er durch den starken Einfluss der aus England stammenden Kronprinzessin sowie des englischen Premiers Gladstone eine Etablierung eines parlamentarischen Systemes nach englischem Muster befürchtete. Diese Furcht wich erst, als das Kabinett Gladstone im Juni 1885 durch die konservative Regierung unter Robert Arthur Salisbury abgelöst wurde 7). Für andere europäische Großmächte, vor allem für England und Frankreich war der Erwerb überseeischer Kolonien ein wichtiger Bestandteil ihrer Politik zwischen dem ausgehenden 19. und der Mitte des 20. Jahrhunderts, dem Zeitalter des Imperialismus. Für sie hatte die weltweite Erschließung von Raum und Resourcen außerhalb Europas erste Priorität. Begünstigt wurde diese Haltung vor allem in Ländern wie England, Holland, Frankreich, Spanien und Portugal die von alters her Seefahrernationen waren. Begünstigt wurde die Entwicklung weiterhin durch die dynamische Entwicklung der Industrialisierung und Urbanisierung sowie von Verkehrs- und Kommunikationseinrichtungen in diesen europäischen Staaten. Unter diesen Staaten entwickelte sich schnell ein Wettbewerb und eine Rivalität um die weltweit besten Plätze. In diesen Wettbewerb konnte Deutschland erst sehr spät einsteigen, 1871 nach Gründung des Deutschen Reiches. Es entstand danach eine Art Torschlusspanik, weil Deutschland nur noch die Restposten übrigblieben, die letzten unerschlossenen Räume und Landstriche, an denen die etablierten europäischen Kolonialmächte nur wenig Interesse hatten.
Die Befürworter von Kolonien begründeten ihren Anspruch auf Kolonisierung unterentwickelter Länder außerhalb Europas mit ihrer moralischen Verpflichtung und mit dem ureigenen Auftrag diese armen, unterentwickelten Länder an ihrer Erfolgsideologie und den Segnungen ihres wissenschaftlich- technischen Fortschritts teilhaben zu lassen.
Nach der Reichsgründung von 1871 gewannen die Befürworter des Erwerbs von Kolonien und ihre Kolonialpropaganda immer mehr die Oberhand. Es entstanden verschiedene Kolonialgesellschaften wie 1873 die Afrikanische Gesellschaft in Deutschland, 1882 der Deutsche Kolonialverein sowie 1884 die Gesellschaft für Deutsche Kolonisation, die sich vehement für einen Platz an der Sonne und den Erwerb von Kolonien durch das Deutsche Reich einsetzten.
Als Argumente für eine Kolonialpolitik Deutschlands wurden vorgebracht 8):
Auf der Aktivseite ihrer kolonialen Bilanz standen der Bau von Schulen, an denen 120.000 Einheimische lernten, die Taufe von 150.000 Afrikaner und der Ausbau der Infrastruktur in den afrikanischen Kolonien. Sie wiesen mit Stolz daraufhin, dass während der deutschen Kolonialzeit insgesamt 3754 Kilometer Eisenbahnstrecke gebaut wurde. Bei ihrer Bilanz berücksichtigen sie dagegen nicht, dass die Kolonien wirtschaftlich ein Zusatzgeschäft waren, nur die Kolonie Togo trug sich finanziell selbst.
Bismarck verfolgte diese Diskussion von Beginn an mit der ihm eigenen Skepsis. Für ihn blieb seine europäische Gleichgewichtspolitik und die Präferenz für ein informelles Handelsimperiums, in dem deutsche Firmen Gelegenheit haben mit außereuropäischen Gebieten Handel zu treiben, wichtiger als jede Balgerei in und um Afrika. Einem Journalisten erklärte er im Jahre 1888 erneut:
Ihre Karte von Afrika ist ja sehr schön, aber meine Karte von Afrika liegt in Europa. Hier liegt Russland und hier liegt Frankreich und wir sind in der Mitte, das ist meine Karte von Afrika 9).
Bismarck präferierte damit ein informelles Handelsimperium, in dem deutsche Firmen mit außereuropäischen Gebieten erfolgreich Handel trieben und sie damit höchstens ökonomisch durchdrangen. Die Okkupation von Territorien oder den Aufbau einer eigenen Staatlichkeit lehnte er dagegen strikt ab.
Nach Meinung Bismarcks, die er in einem Brief an den preußischen Kriegs- und Marineminister von 1868 äußerte, beruhten die Vorteile, welche sich die Befürworter von Kolonien für den einheimischen Handel und die Industrie versprachen, zum größten Teil auf Illusionen, da die Kosten für eine Gründung, Unterstützung und Behauptung von Kolonien den Nutzen der Kolonien für Deutschland bei weitem übertreffen würden. Außerdem sei es nicht zu rechtfertigen die Steuerbürger zum Vorteil einzelner Handels- und Gewerbezweige zu erheblichen Steuerlasten heranzuziehen. Auch sei die deutsche Marine derzeit nicht in der Lage den Schutz der Kolonien sicherzustellen.
Im Jahr 1879 änderte Bismarck jedoch im Rahmen seiner Schutzzollpolitik zur Sicherung der deutschen Wirtschaft gegen ausländische Konkurrenz auch seine Kolonialpolitik. So versuchte er im April 1880 ohne Erfolg durch Einbringung seiner Samoavorlage in den Reichstag ein in Schwierigkeiten geratenes privates deutsches Kolonialhandelsunternehmen finanziell aufzufangen.
Die Motive für die Änderung der Kolonialpolitik lagen zum einen in Bismarcks Innenpolitik 10). Danach gab er vor allem aus wahltaktischen Gründen vor der bevorstehenden Reichstagswahl 1884 dem durch das Kolonialfieber in der Bevölkerung entstandenen öffentlichen Druck nach. Aber auch außenpolitisch versprach er sich durch das Mitziehen im Wettlauf der europäischen Großmächte die Stellung Deutschlands in Europa zu verteidigen. Trotz dieser Richtungsänderung änderte sich an Bismarcks liberal- imperialistischen Idealvorstellungen einer überseeischen Politik Deutschlands durch privatwirtschaftliche Initiativen und entsprechenden Schutzerklärungen für deutsche Handelsunternehmen nicht viel.
1884 stellte Bismarck nach englischem Vorbild mehrere afrikanische Besitzungen deutscher Kaufleute unter den Schutz des Deutschen Reiches. Die annektierten Territorien galten danach als Schutzgebiete und nicht als Kolonien. Dabei war zunächst beabsichtigt, die afrikanischen Territorien durch Kolonial- oder Konzessionsgesellschaften verwalten zu lassen. Als erstes Gebiet stellte Bismarck die Lüderitzbucht in Südwestafrika als Deutsch Südwestafrika unter den Schutz des Deutschen Reiches. Danach folgten Togoland und Kamerun sowie im Februar 1885 Gebiete in Ostafrika sowie das Kaiser- Wilhelmsland in Nordost-Guinea im Mai 1885.
Der Ausdruck Schutzgebiete deutet darauf hin, dass das Deutsche Reich sich zunächst in erster Linie als Sicherungsmacht in diesen Gebieten sah. Die wirtschaftliche Entwicklung, der Aufbau der Infrastruktur und Verwaltung der Gebiete wurden zumeist privaten Gesellschaften übertragen. Da diese jedoch in erster Linie an der Erzielung von Gewinnen interessiert waren, waren für die Befriedigung der Gebiete und den Aufbau der Infrastruktur längerfristig staatliche Investitionen erforderlich, die das Projekt deutsche Kolonie wie von vielen befürchtet zu einem riskanten und teuren Unternehmen und schließlich zu der befürchteten kolonialen Bruchlandung machte.
Die koloniale Strategie Bismarcks eines Kolonialreiches mit beschränkter Haftung scheiterte bereits zu Anfang an den alltäglichen Problemen und an einer Aneinanderreihung von unglücklichen Zufällen wie Naturereignisse und an dem Widerstand der einheimischen Bevölkerung gegen Enteignungs- und Unterdrückungsmaßnahmen. In den Augen der deutschen Bevölkerung waren die Kolonien ein Zuschussgeschäft und ein enormer Kostenfaktor, ohne eine Chance jemals Gewinne abzuwerfen, zumal die Afrikaner nicht gewillt waren sich freiwillig auf eine regelmäßige Lohnarbeit einzulassen. Durch das Schutzgebietsgesetz von 1886 behielt sich das Deutsche Reich die Oberhoheit und gewisse konkretisierte Eingriffsrechte hinsichtlich der Schutzgebiete vor. Damit reduzierte Bismarck das Engagement des Deutschen Reiches finanziell und organisatorisch auf ein Mindestmaß.
Dazu kamen zahlreiche Skandale, die sich die deutschen Kolonisatoren, vor allem Soldaten und Verwaltungsbeamte von Beginn an in ihrem Verhalten gegenüber der einheimischen Bevölkerung leisteten. Sie traten vielfach als Herrenmenschen gegenüber den Einheimischen auf, was vielfach auch auf die Unerfahrenheit der Deutschen in der praktischen Kolonisation zurückzuführen ist. Diese Erfahrung hatten die Briten und Franzosen den Deutschen voraus.
Das abschreckendste Beispiel war dabei Carl Peters, der in Deutschland als Symbolfigur des deutschen Kolonialismus galt, sich aber in Afrika zu einem weißen Monster entwickelte. Als Herrenmensch störte ihn die schleichende Aufwertung der einheimischen Bevölkerung, denen er nur eine Sklavennatur zubilligte. Für die weißen Ansiedler sah er die Gefahr zu verkaffern. Er hatte aus Eifersucht seine schwarze Geliebte mitsamt ihrem Liebhaber aufhängen lassen. Seine Kolonialverbrechen nutzten nicht nur seine Feinde, sondern überhaupt die Kolonialgegner in Deutschland zu einer Generalabrechnung über die deutschen Kolonialmethoden.
Am Ende der Schrecknisse, verursacht durch Deutschlands koloniales Versagen stand 1904 der Völkermord an den Hottentotten und den Hereros in Deutsch-Südwestafrika, mit dem der General der deutschen Schutztruppen von Trotha offenbar auf eine rein- weiße Kolonie spekulierte.
Unter Historikern ist umstritten, inwieweit die Verbrechen des Kolonialzeitalters als Vorläufer des Holocaust angesehen werden können 11).
Für eine Bejahung dieser Frage wird angeführt, dass Reichskanzler Bernhard von Bülow in einem Schreiben an den damaligen Oberbefehlshaber in Deutsch-Südwest Lothar von Trotha die Errichtung von Konzentrationslagern für die Unterbringung und Unterhaltung der Reste des Hererovolkes angekündigt hatte. Anders als die Konzentrationslager der Nazis waren die Konzentrationslager in Deutsch Südwest jedoch nicht als Vernichtungslager konzeptiert, sondern orientierten sich an den Lagern, in welchen die Engländer die Einheimischen in Südafrika gefangen hielten.
Nach der Abdankung Bismarcks im Jahr 1890, der 1889 sogar einen Rückzug Deutschlands aus der Kolonialpolitik erwogen hatte, ging die Kolonialpoltik unter Kaiser Wilhelm II. (1888-1918) jedoch in die andere Richtung. Am 1. April 1890 wurde innerhalb des Auswärtigen Amtes eine Abteilung für Kolonialpolitik, die Kolonialabteilung mit einem Kolonialdirektor als Leiter geschaffen. Erster Kolonialdirektor war Paul Kayser. Er vertrat die Kolonialpolitik im Reichstag und war gegenüber den Kolonien weisungsbefugt. Faktisch war er selbständig. Die Kritik an der Kolonialabteilung wuchs in Deutschland nach den Aufständen der Hereros und Namas in Deutsch- Südwest sowie dem Maji- Maji Aufstand in Deutsch- Ostafrika, die sich zu Kolonialkriegen ausgeweitet hatten. Die damit einhergehenden, geradezu explodierenden Kosten für die Verwaltung und die Schutztruppe machten eine grundlegende Reform der Kolonialpolitik und der Kolonialverwaltung erforderlich.
Dies zeigten auch die Reichtagswahlen, die Hottentottenwahlen genannt wurden, weil die Missstände in der Kolonialpolitik wahlentscheidend waren und den Sozialdemokraten herbe Verluste zufügten. Die daraufhin eingeleitete Reform in der Kolonialpolitik begann im Mai 1907 mit der Schaffung eines eigenständigen Reichskolonialamtes. Zum Ersten Kolonialstaatssekretär wurde der Bankier Bernhard Dernburg ernannt, der Direktor der Darmstädter Bank, die damals eines der bedeutesten deutschen Kreditinstitute war. Diesem gelang innerhalb kurzer Zeit es die Kosten für die Verwaltung der Kolonien einzudämmen und die deutsche Kolonialpoltik zu beruhigen.
Nachfolger von Dernburgs wurden Friedrich von Lindequist, ehemaliger Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika (1910-1911) sowie Wilhelm Solf, ehemaliger Gouverneur von Samoa (1911-1918) beide Experten in der Leitung der obersten Kolonialverwaltung. Aus dem Personalbestand der Kolonialabteilung rekrutierten sich die Verwaltungsbeamten in den Kolonien. Die oberste Spitze der Kolonialverwaltung bildeten die Gouverneure in den Kolonien, die Bezirksamtmänner, Distriktchefs und Leiter der verschiedenen Regierungsstationen.
Dabei handelte es sich vielfach um Personen, vor allem auch um Personen aus dem Adel, die es in der Heimat zu nichts gebracht hatten oder dort nichts galten oder in Skandale verwickelt waren. Unter ihnen war auch eine überdurchschnittliche Zahl homosexueller Männer, die wegen ihrer sexuellen Ausrichtung in Deutschland geächtet waren. Vielfach waren es die schwarzen Schafe der Familie, die sich in der Fremde bewähren sollten und deshalb in den Kolonien ihr Glück versuchten. Dort war es ihnen möglich eine Karriere zu machen, die in Deutschland nicht oder nicht mehr möglich war. Von Vorteil war für sie auch eine Befreiung vom Wehrdienst. Insoweit boten die Kolonien gerade derartigen Nonkonformisten etliche Möglichkeiten, die sie in Deutschland nicht hatten. Vielen gelang anschließend über den Mobilitätsvorsprung in der Fremde ein Aufstieg in die Elite nach der Rückkehr in die Heimat. Deutschland versuchte unter Kaiser Wilhelm II. mit seiner auf Expansion ausgerichteten Außenpolitik durch Erwerb weiterer Handelsvertretungen seinen Kolonialbesitz auszubauen. Dabei wurde der Standpunkt vertreten, Deutschland müsse als Nachzügler den ihm zustehenden Anteil am Kolonialbesitz von den anderen Kolonialmächten einfordern 12). Außerdem wurden von der deutschen Kolonialbewegung Gedanken einer Kreuzzugsbewegung ins Spiel gebracht, man müsse den Sklavenhandel in den Kolonien bekämpfen und die einheimische Bevölkerung von den muslimischen Sklaventreiber befreien 13).
Wegweisend für die deutsche Kolonialgeschichte wurde die Äußerung des damaligen Staatssekretär im Auswärtigen Amt, des späteren Reichskanzlers und preußischen Ministerpräsidenten Bernhard von Bülow innerhalb einer Rede vor dem deutschen Reichstag am 6. 12. 1897, das Deutsche Reich beanspruche als zu spät gekommene Nation seinen Platz an der Sonne 14). Damit beanspruchte er neben den Besitz von Kolonien auch ein Mitspracherecht in allen kolonialen Angelegenheiten. Von Bülow vertrat mit dieser allein auf das nationale Prestige ausgerichteten Politik eine völlig andere Sicht der Kolonien als vor ihm der Reichskanzler Otto von Bismarck.
Die Geltendmachung dieses Anspruches von Bülows bedeutete die Inkaufnahme von Eroberungskriegen unter körperlichen Misshandlungen und emotionaler Demütigung der okkupierten Länder sowie deren Enteignung.
Rechtlich wurden die deutschen Kolonien entsprechend Artikel 1 der Reichsverfassung nicht als Bestandteile des Deutschen Reiches angesehen, sondern als überseeische Reichsnebenländer. So waren die meisten Kolonien durch Okkupation an das Deutsche Reich gelangt, der anschließend durch Abschluss von Verträgen mit Eingeborenenhäuptlingen, Staaten oder mit deutschen Handelsunternehmen eine völkerrechtliche Scheinlegimation gegeben wurde. Völkerrechtlich waren derartige Verträge mit Eingeborenenhäuptlingen oder Handelsunternehmen unwirksam, weil sie keine Staaten im Sinne des Völkerrechts darstellten. Das Deutsche Kolonialrecht fügte sich im Wesentlichen aus Reichsgesetzen, Rechtsverordnungen, Verwaltungsverfügungen und Runderlassen zusammen.
Die koloniale Rechtsordnung war geprägt durch ein komplexes duales Rechts- und Gerichtssystem. Dieses war gekennzeichnet von der Ungleichheit zwischen Kolonisten, den Nichteingeborenen und Kolonisierten, den Eingeborenen. Zwischen beiden Personengruppen gab es verschiedene Rechtsordnungen mit unterschiedlichen Rechstsetzungs- und Rechstsprechungsorganen. Während für die Kolonisten gemeinhin reichsdeutsches oder preußisches Zivil- und Strafrecht angewandt wurden, bestimmten sich die Rechtsverhältnisse der Kolonisierten grundsätzlich nach dem jeweils eigenen lokalen Recht und in geringerem Umfang nach einem von den deutschen Kolonialbeamten entwickelten, sogenannten Bezirksleiterrecht.
Zum Recht der Kolonisten gehörte das Konsulargerichtsbarkeitsgesetz von 1879, welches die Fälle behandelt, in denen ein besonders ermächtigter deutscher Konsul in einem anderen Staat über dort lebende Reichsangehörige die Zivil- und Strafrechtspflege nach reichsdeutschen bzw. preußischen Vorschriften ausüben durfte,soweit dies ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen dem Deutschen Reich als Entsendestaat und der ausländischen Macht als Empfangsstaat vorsah.
Das Recht der Kolonisierten, d.h. der Eingeborenen bestimmte sich, soweit es keine gesetzlichen Vorschriften gab nach dem jeweiligen lokalen Gewohnheitsrecht. Dabei konnte es sich je nach Kolonie auch um religiöses oder ausländisches Recht bzw. lokales Bezirksleiterrecht gehandelt haben. Dabei war religiöses Recht dem Gewohnheitsrecht gleichgestellt. Bei dem Bezirksleiterrecht handelte es sich um von den lokalen deutschen Verwaltungsbeamten in ihrer Funktion als Bezirks- oder Stationsleiter im Rahmen ihrer Rechtsprechung als Eingeborenenrichter angewandte Rechtsgrundsätze. Diese stellten eine Mischung von deutschem und lokalem Recht dar.
Am 17. April 1886 wurde das Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete als gesetzliche Grundlage für das Recht aller deutschen Kolonialgebiete geschaffen. Dieses ermächtigte den Kaiser rechtliche Regelungen für die deutschen Kolonien durch Verordnungen zu erlassen. Dieses Verordnungsrecht konnte vom Kaiser auf den Reichskanzler sowie von diesem auf die Gouverneure in den Kolonien übertragen werden.Die Gerichtsbarkeit für Kolonisten war so geregelt, dass die Gerichtsbarkeit in erster Instanz durch den Kaiserlichen Bezirksrichter und das Kaiserliche Bezirksgericht ausgeübt wurde. Für Vorgänge,welche die Kompetenzgrenzen der 1. Instanz überstiegen, waren die Bezirksgerichte zuständig. Diese setzten sich aus dem jeweiligen Bezirksrichter als Vorsitzenden und zwei mit gleichwertiger Stimme versehenen Laienrichtern in zivilrechtlichen Streitigkeiten bzw. vier Schöffen in Strafsachen zusammen.Die Gerichtsbarkeit zweiter Instanz über die Kolonisten wurde vom Kaiserlichen Oberrichter bzw. von diesem zusammen mit Beisitzern als Kaiserliches Obergericht ausgeübt.
Die Gerichtsbarkeit für die Eingeborenen wurde von einheimischen Autoritäten und deutschen Verwaltungsbediensteten ausgeübt. Die Regelung strafrechtlicher Angelegenheiten beanspruchte Deutschland für sich. Bürgerlich rechtliche Streitigkeiten wurden von einheimischen Institutionen, bestehend aus lokalen Machthabern, religiösen Autoritäten oder einheimischen Verwaltungsbediensteten entschieden. Sie urteilten nach dem Gewohnheitsrecht oder nach dem jeweiligen religiösen Recht. Kontrolliert wurde diese Rechtsprechung der Eingeborenengerichte vielfach von deutschen Verwaltungsbeamten. Dadurch wurden vielfach willkürliche Urteile vermieden. Die Einreichung von Klagen und Beschwerden durch die Eingeborenen erfolgte mündlich in der jeweiligen lokalen Sprache an öffentlichen Gerichtstagen, die in den Bezirken in der Regel einmal pro Woche abgehalten wurden.Die Gerichtsbarkeit der Eingeborenen verlief in der Regel konfliktfrei. Die meisten Konflikte der Eingeborenen untereinander, vor allem auch kleinere Strafsachen konnten im Rahmen traditioneller Verfahren unter Heranziehung lokaler Rechtsvorstellungen gelöst werden.
Streitigkeiten zwischen Eingeborenen und Nichteingeborenen unterlagen der gemischten Gerichtsbarkeit. Ihre Lösung bereitete häufig ideologische und praktische Schwierigkeiten. Entscheidend für die Zuständigkeit des Gerichtes war der Gerichtsstand des Beklagten oder der des Angeklagten in Strafsachen. Der Kläger oder Ankläger hatte sich dem jeweiligen Prozessrecht des für den Beklagten oder Angeklagten zuständigen Gerichts zu unterwerfen. Dies war für die Nichteingeborenen häufig nachteilig, so dass in der Praxis häufig das Recht der nichteingeborenen Partei angewendet wurde.
Die Unterscheidung zwischen Eingeborenen und Nichteingeborenen hatte für die betroffenen Personen gravierende Auswirkungen. An sie knüpften das anzuwendende Recht, die zuständige Gerichtsbarkeit aber auch die Art der verhängten Strafe an. Eine Gleichheit der Kolonialbevölkerung war in der kolonialen Rechts- und Gerichtsordnung nicht vorgesehen. Die Unterscheidung setzte sich auch auf dem Gebiet der Strafvollstreckung fort.Straftaten von Nichteingeborenen wurden je nach Art und Schwere der Tat mit der Todesstrafe, mit Freiheitsstrafen oder Geldstrafen geahndet. Für Eingeborene standen neben diesen Strafen weitere Strafen wie die Prügelstrafe, Kettenstrafen, Zwangsarbeit oder die Unterbringung in sogenannten Besserungssiedlungen zur Verfügung. Die rechtliche Unterscheidung zwischen Eingeborenen und Nichteingeborenen trug damit erheblich zur Spaltung der kolonialen Gesellschaft bei.