Impressum

Hasso Grabner

Abrechnung mit dem Teufel

 

ISBN 978-3-96521-421-7 (E-Book)

 

Umschlaggestaltung: Ernst Franta

 

Das Buch erschien 1967 als Heft 132 der ERZÄHLERREIHE im Deutschen Militärverlag Berlin

 

2021 EDITION digital

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1

Eine kleine, schmalhüftige Frau, ein wenig über die Zwanzig hinaus, geht durch die nächtlichen Straßen von Saigon. Ihr Schritt ist müde, unsicher. Viel Unlust liegt in ihren Bewegungen. Doch die Unlust rührt nicht daher, dass sie nicht weiß, was sie will. O nein, Phan thi Tu weiß genau, was sie will, sie ist nicht ohne Ziel, sie bewegt ein fester Vorsatz, und sie ist entschlossen, ihn in die Tat umzusetzen, nur wie, wann, wo, das ist in Dunkel gehüllt, viel dunkler als die Straßen der schlafenden Stadt.

Phan thi Tu sucht einen Mann, einen großen, starken, mächtigen Mann. Sie weiß zwar nicht, wo er wohnt, und noch viel weniger, wie sie an ihn herankommen kann, sie hat auch nur gehört, dass er in Saigon leben soll. Ihrem Vorhaben stehen also viele Faktoren entgegen, ihr fehlen alle Mittel und alle notwendigen Kenntnisse dazu, aber sie hat ihren Hass, der sie über die Straßen treibt, der sie vom fernen Da Nang nach Saigon gebracht hat, der ihr sagt: Phan thi Tu und Le ngoc Van können nicht beide unter dem Himmel Südvietnams leben, ja nicht zugleich auf dem ganzen Erdenrund. Le ngoc Van muss sterben!

Phan thi Tu kennt die Gesetze der Nationalen Befreiungsfront aus eigener Erfahrung zu gut, um nicht zu wissen, wie nachdrücklich stets vor Eigenaktionen gewarnt wird. In diesem Krieg kann man nur mit strengster Disziplin Erfolge erzielen. Das aber heißt, sich der großen Kampfgemeinschaft unterzuordnen. Doch der Hass treibt sie vorwärts.

Nun weiß sie nicht, wie es weitergehen soll. Sie ist schrecklich müde, und eine zweite lange Nacht auf den Straßen steht ihr bevor. Tu, noch sehr jung, verfügt über lange Erfahrungen in der konspirativen Arbeit, sie kennt die tausend kleinen Zeichen, die dem Uneingeweihten nichts sagen, die Gleichgesinnte aber verstehen. Damit ist heute jedoch nichts mehr anzufangen. Die Nacht hat ihre eigenen Gesetze, der Schläfrige schläft, der Wachsame verdoppelt seine Wachsamkeit. Heute Nacht kann Phan thi Tu keinen der Freunde finden. Sie muss durch die Straßen irren und den neuen Tag abwarten. Dann wird sie zweimal vierundzwanzig Stunden in der Stadt sein, ohne eine Spur von Le ngoc Van gefunden zu haben. Hohe Zeit, zu entscheiden, ob sie allein weitersuchen oder nicht doch zur Leitung Verbindung aufnehmen soll.

Zweimal vierundzwanzig Stunden, eine lange Zeit nutzlos vertan, denkt sie. Ihr Mann hat immer gesagt: Ein Tag, an dem wir dem Feind keinen Schlag versetzt haben, ist wie der Tag eines Toten. Was hat sie getan, seit sie Da Nang verlassen? Sie hat nur ihren Hass über lange Straßen getragen. Aber der in der Brust eingesperrte Hass versetzt keinem Feinde einen Schlag. Taten, wo sind deine Taten. Phan thi Tu?

Sie geht und geht.

Auf einem Schuttplatz findet sie eine alte Schlafmatte, an einer Baustelle Brocken von Teer. Sie setzt sich hin, zupft die Matte zu wolligen Flocken. Mit heißen Händen erweicht sie den Teer und schmiert die Wolle damit ein. Aus dem teerigen Zeug formt sie einen lockeren Ball, an der Oberfläche zerfasert und für Feuer empfänglich. In die Mitte packt sie einen Stein von der Größe einer Kinderfaust. Brandbomben solcher Art macht sie nicht das erste Mal, in Da Nang ist schon manche durch die Scheiben eines Verwaltungssitzes geflogen. Tu probiert ihr Produkt aus. Es flammt lichterloh auf, als sie ein Zündhölzchen daran hält. Mit den Händen drückt sie die Flammen aus, verstaut die Bombe in ihrem Tragetuch, dann läuft sie mit eiligen Schritten davon. Die Nacht wird nicht ohne Tat sein.

 

Gar so menschenleer, wie Phan thi Tu die Straßen erscheinen, sind sie nicht. In eine Hausecke gedrückt, warten drei Männer auf De Tham, der auch bald kommt. Der junge Bursche unter ihnen. Nguyen van Trong, ist darüber sehr froh, denn er kennt die beiden Leute nicht, mit denen er auf De Tham gewartet hat, diesen dafür aber recht gut. De Tham ist gleich ihm Schauermann im Hafen von Saigon-Cholon, ein prächtiger Kerl. De Tham, das fühlt der Junge schon lange, muss ein einflussreicher Mann in der Organisation sein, die sich FNL nennt, während sie von Radio Saigon und allen Zeitungen, ja in der ganzen Regierungspropaganda Viet-Cong genannt wird. Dieser De Tham hat gestern den jungen Kollegen Nguyen van Trong gefragt, ob er in der kommenden Nacht eine heiße Sache mit anpacken wolle, und Trong ist sofort bereit gewesen. Diese Bereitschaft kam nicht von ungefähr. Sie ist während der langen Zusammenarbeit mit De Tham und seinen Freunden herangereift, in schwerer, harter Arbeit auf den Piers von Saigon-Cholon. Damals, als Trong die Arbeit im Hafen aufnahm, hat er oft seinen Bruder Nguyen van Lam beneidet, der sein Brot als Wagenwäscher in der Garage der US-Military Aid and Advisory-Group verdient. Lams Arbeit ist angenehm, und auch die Sergeanten, die die Straßenkreuzer fahren, behaupten immer, einen besseren Job, als in der MAAG Wagen zu waschen, können die Vietnamesen in ganz Südvietnam nicht finden. Dagegen ist es auf den Piers von Saigon hart, das bisschen Lohn muss schwer verdient werden. Und doch hätte, nach einiger Zeit wenigstens, Trong nicht mehr mit seinem Bruder getauscht. Auf den Piers gibt es nämlich etwas, was es in den Garagen der US-Militärischen Hilfs- und Beratungsgruppe so leicht nicht geben kann: eine prächtige Kameradschaft. Es hat eine Weile gedauert, bis Trong gemerkt hat, dass die Kollegen nicht einfach nett zueinander sind, weil sie sich gut leiden können, sondern dass hinter ihrer Übereinstimmung eine gemeinsame Aufgabe steht.

Den Begriff „Viet-Cong“ kennt der Junge, seit er denken kann; im Dorfe sprechen die Leute davon, in der Stadt und im Rundfunk. Im Radio wird laufend berichtet, wie viele von diesen Viet-Cong umgebracht worden seien, so viele, dass eigentlich gar keine mehr leben können. Im Hafen von Saigon aber gibt es noch welche, nur nennen sie ihre Organisation nicht Viet-Cong, sondern Nationale Befreiungsfront. Diese FNL bestimmt ganz offensichtlich die Art der Beziehungen unter den Hafenarbeitern, und das ist gut. Die alten Docker erzählen, sie hätten sich früher um die Lasten geprügelt und sich nur im Laufschritt bewegt. Heute ordnet eine unsichtbare Hand Arbeitsfluss und Tempo, und wo sich früher einer allein mit einem Laststück geschunden hat, packen heute wie von selbst zwei zu. Es ist immer noch schwer genug für jeden, zu schwer manchmal für die schmalen Schultern Nguyen van Trongs. Und doch sieht er, es geht einigermaßen gerecht zu, und die Macht der Aufseher ist eingeschränkt. Von deren früherer Willkür wissen die alten Kollegen ein Liedchen zu singen, und wenn die FNL das heute verändert hat, ist die FNL gut. Schnell hat Trong die Gesetze kennengelernt, die die Männer der FNL befolgt haben wollen. Das erste heißt: Arbeite langsam, wenn amerikanische Schiffe mit Kriegsmaterial gelöscht werden müssen. Oder: Schrei nicht herum, wenn eine solche Last schief hängt, sie kann ruhig abstürzen, die Hauptsache ist, es kommt kein Kollege dabei zu Schaden. Oder: Ein Hafenkran muss nicht immer geschmiert werden: es ist nicht schlimm, wenn er nicht arbeitet. Komischerweise finden die Amerikaner nichts Außergewöhnliches an dieser Arbeitsauffassung der Schauerleute. Damit ist, sagen sie, das totale technische Ungeschick der Vietnamesen bewiesen, und das müsse so sein, denn technisches Geschick können nur die Amerikaner haben.

So ist Nguyen van Trong mit seinem Hafenarbeitergeschick einverstanden und mit der FNL in Übereinstimmung, noch ehe er wirklich weiß, was das ist: Nationale Befreiungsfront.