Afra Sturm / Christine Römer
Lexikologie
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
Das sich etablierende Fachwort Lexikologie stammt aus dem Griechischen (lexik’os = ‚sich auf das Wort beziehend‘ + logos = ‚die Lehre‘) und bedeutet wortwörtlich die Lehre, die sich auf das Wort bezieht.
„Norbert Röttgen wettert gegen ‚Lockerungsdrängler‘“; https://www.rtl.de/cms/norbert-roettgen-wettert-gegen-lockerungsdraengler-4529990.html; Zugriff 04.07.2020
Das robuste Wortschatztraining wurde im deutschen Sprachraum erstmalig von Kurtz (2012) übernommen, das sie gegenüber dem Original aber stärker mit Wörterbucharbeit verknüpft.
Im Text sind nicht nur Fremdwörter markiert, sondern auch weitere Ausdrücke wie Randgruppe, Rocker oder aus allen Schichten.
Die Faszination des Wortbeherrschens zeigt sich unter anderem an den Charakterisierungen von Personen als „Meister/-in des Worts“, „Wortführer/-in, „Wortverdreher/-in“ oder „Wortklauber/-in“. Die Fähigkeit, mit dem Wortschatz kompetent umgehen zu können, wird allgemein geschätzt und auch als hohe Kunst angesehen. Wörter und feste Wendungen, die Gegenstände der Lexikologie sind, können öffentliche Diskussionen auslösen und bestimmen. Jährlich werden im deutschsprachigen Raum Wörter bzw. Unwörter des Jahres gewählt, da den Wortschatzelementen Macht und Einfluss zugesprochen wird. Diese „Macht des Wortes“ zeigt sich auch darin, dass Wörter unser Denken und Handeln prägen. Wörter können Glück auslösen, irritieren, trösten, tief verletzen und vieles mehr.
Unser lexikologisches Buch ist eine Hilfe für das angemessene Beschreiben, Lernen und Lehren des deutschen Wortschatzes. Meister und Meisterinnen des Worts, die Konfuzius’ Aussage „Wer die Macht der Wörter nicht kennt, kann auch die Menschen nicht kennen“ verinnerlichen, mögen damit gedeihen.
Die nachfolgend angesprochenen Themen stehen im Zentrum dieser Publikation:
Das Lexikon (das lexikalische Wissen) ist eine zentrale Komponente der Sprachkompetenz, an die die Sprachverwender und -verwenderinnen oft zuerst denken, wenn sie über Sprache reflektieren. Auch in der medialen Öffentlichkeit wird dem Wortschatz mit Kampagnen wie zu den Wahlen zum Wort bzw. Unwort des Jahres Aufmerksamkeit gegeben, die zu gesellschaftlich kontroversen Diskussionen führen kann. Aber auch der Umgang mit Fremdwörtern oder die Notwendigkeit und Art der Feminisierung von Personenbezeichnungen führen immer wieder zu Diskussionen. Auffällig ist für die meisten Sprachbenutzer und -benutzerinnen auch, dass der Wortschatz dynamisch, im ständigen Wandel ist. Speziell im Umgang mit neuen oder veralteten Wörtern und Wendungen kann man Unsicherheiten beobachten. Dies trifft auch auf stilistische Beschränkungen zu, die aus dem verschiedenartigen grammatischen und pragmatischen Wissen, was in den Wortschatzeinheiten gespeichert ist, resultieren. Dieses Thema, das die aus den Varietäten erwachsenden Beschränkungen einschließt, wollen wir ebenfalls behandeln.
In den letzten Jahren hat zudem der Befund, dass Wortschatz ein wichtiger Prädiktor für den Schulerfolg ist, eine verstärkte Aufmerksamkeit erfahren, gerade in Zusammenhang mit Lese- oder Schreibkompetenzen. Zu klären ist deshalb u.a., welchen Beitrag der Wortschatz zum Textverstehen leistet. Zusätzlich wird der Frage nachgegangen, wie Wortschatz im Unterricht vermittelt werden kann, vor allem aber auch, welcher Wortschatz für die Vermittlung auszuwählen ist.
Das Lexikon ist formal und inhaltlich in sich strukturiert und sozial sowie regional gegliedert, weshalb man eigentlich nicht von dem einen Wortschatz sprechen kann. Ebenso ist es nicht richtig, sich das Lexikon als eine Wortliste vorzustellen. Diese Strukturiertheit und Komplexität zu vermitteln, hilft auch Wortschatzwissen zu erhöhen bzw. zu vertiefen.
Um die Lesbarkeit des Buches zu erhöhen, haben wir, was wir für besonders wichtig halten, durch Textkästen hervorgehoben. An einzelnen Stellen führen wir in einem Exkurs einen Aspekt etwas genauer aus – das ist jeweils als Exkurs gekennzeichnet –, was je nach Leseziel übersprungen werden kann. Zur Vertiefung der behandelten Gegenstände eignen sich die an jedes Kapitel angefügten weiterführenden Literaturhinweise. Ans Buchende wurden Lösungsvorschläge zu den gestellten Aufgaben und ein Glossar für wichtige lexikologische Fachwörter angefügt.
Jena und Zürich, Januar 2021 Christine Römer und Afra Sturm
Die Lexikologie ist erst um 1960 als selbstständige sprachwissenschaftliche Disziplin entstanden (Schippan 1992: 18). Seitdem hat sie ihr Objekt ständig erweitert:1 Die Lexikologie wird heute als „die Wissenschaft von Wort und Wortschatz einer Sprache“ (Wanzeck 2010: 11) bzw. „als linguistische Disziplin, die sich mit den Wörtern und dem Wortschatz befasst“ (Harm 2015: 9) definiert. Aus der Grammatiktheorie wurde die Definition „Die Lexikologie ist die Theorie des Lexikons“ (Schwarze/Wunderlich 1985: Einleitung 8) vorgeschlagen. Da die Wörter ein zentraler Bestandteil der menschlichen Sprachkompetenz sind, wird heute in die Objektbestimmung auch die mentale Repräsentation einbezogen.
Da sich auch die Morphologie, Psychologie und Literaturwissenschaft zentral mit Wörtern beschäftigen, gilt es auch die spezifischen lexikologischen Betrachtungsaspekte anzusprechen, wie in der nachfolgenden Definition:
Die Lexikologie (auch Wortkunde) ist eine linguistische Disziplin, die sich mit der Beschreibung und Analyse der Bedeutung und Struktur der Wörter, des Wortschatzes und deren mentaler Repräsentation beschäftigt.
Wörter werden in der Lexikologie in vielfältiger Hinsicht betrachtet. Zentral sind dabei:
Die Verbindung und Vernetzung der Wörter zu Wortschätzen.
Die Beschreibung der Kategorie Wort und seine Abgrenzung zu kleineren und größeren linguistischen Einheiten.
Die kognitive, soziale und kulturelle Verankerung des Wortschatzes.
Die Wortwurzel von Lexikologie ist Lexikon; sie ist mehrdeutig und bedeutet zum einen ‚Wortschatz einer Sprache‘ und zum anderen ‚Wörterbuch einer Sprache‘ (siehe weiter Kapitel 3.1). Das abgeleitete Wort Lexem wird für lexikalische Einheit verwendet.
Die Lexikologie untersucht die Wörter mit verschiedenen Methoden. Im Zentrum befindet sich die einzelsprachliche deskriptive Untersuchung zu einem Zeitpunkt (synchron). Mit der Entwicklung der Wörter über die Zeit (diachron) befasst sich die Etymologie. Jedoch bleibt die historische Dimension der Veränderungen im Wortschatz im Blickfeld bei den Untersuchungen, auch weil er ständig im Wandel ist. Die komparative Methode (Sprachvergleich) im Rahmen der Kontaktlinguistik kann ebenfalls hilfreich sein. Dies trifft speziell auf mehrsprachige Gesellschaften wie die Schweiz zu, wo mehrere Sprachen in ständigem Kontakt waren und sind. Bei der Erforschung des Sprachverhaltens von Migranten und Migrantinnen hat sich die Methode des synchronen Vergleichs auch bewährt.
Zur Beschreibung und Analyse von Wörtern werden folgende Methoden angewendet:
Introspektion: Hier geht man davon aus, dass die erstsprachliche Kompetenz der Untersuchenden Richtigkeitsurteile ermöglicht.
Informantenbefragung: Mit Fragebogen, die man nach bestimmten Kriterien entwickelt, ist es möglich, ausgewählte Zielgruppen zu befragen.
Sammlung von Belegstellen: Insbesondere umfassende Wörterbücher – so etwa der zehnbändige Duden – basieren auf Sammlungen authentischer Belege.
Elektronische Korpora: Man kann auch Daten nach speziellen Kriterien sammeln und in Korpora nach bestimmten Eigenschaften aufbereiten. Korpusuntersuchungen erlauben dabei Einsichten in die Verwendung von Wörtern, ihre Frequenz etc. Es existieren öffentliche Korpora, die kostenlose Online-Abfragemöglichkeiten zulassen. Dies trifft auf COSMAS II (Corpus Search, Management and Analysis System) vom Institut für Deutsche Sprache zu (www.ids-mannheim.de/cosmas2/); nach einer Anmeldung kann man in 569 Korpora recherchieren (Stand Dezember 2019). Sinnvoll ist dafür eine vorherige Information über Suchwerkzeuge und Abfragesprachen.
An einem Beispiel soll das gerade Besprochene illustriert werden: Man kann sich beispielsweise für das Farbadjektiv restbunt in der Wortgruppe „eine restbunte Daunenjacke“ interessieren, das der Neologismus-Server „Die Wortwarte“ am 10.12.2017 als neues Wort geführt hatte:
Stattdessen stoppt man als Mann an der Garderobe und sieht das ganze Elend der vergangenen Winter aufgereiht vor sich hängen: einen ausgebeulten Parka, einen kratzigen Dufflecoat, eine restbunte Daunenjacke, … (www.zeit.de/zeit-magazin/mode-design/2017-12/wintermaentel-maenner-mode-winter).
Methodisch kann man nun folgendermaßen vorgehen: Man fragt sich, ob man das Wort schon einmal gehört hat (Introspektion), danach kann man in Wörterbüchern nachschauen und Menschen aus dem Umfeld befragen. Auch Suchmaschinen wie Google, Bing oder Duckduckgo können eine erste Auskunft geben, wobei zu bedenken ist, dass die Ergebnisse weitgehend von kommerziellen Algorithmen abhängen. Überall kann man zum jetzigen Zeitpunkt feststellen, dass dieses Farbadjektiv unbekannt ist. Weitergehende Aktionen, wie das Erstellen von Fragebögen oder das Durchsuchen von Korpora, sind diesbezüglich deshalb nicht erforderlich. Das Suchen nach dem Wort restbunt macht jedoch sichtbar, dass relativ viele Wortbildungen mit dem Morphem rest existieren (Restbund von Büschen, Rest- und Abfallstoffe, Reststück, Kunstaktion Restgrün, …). Eine Suche im DWDS-Korpus (Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache; www.dwds.de) erbringt viele Einträge mit Rest-, jedoch nicht restbunt. Man könnte daraus nun eine Forschungsfrage nach der Bedeutung, dem Status und dem Auftreten von dem Morphem rest im Gegenwartsdeutschen ableiten. Hier ist es dann sinnvoll, mit der Erstellung eines Korpus (einer Beispielsammlung) zu beginnen. Dieses Korpus kann hinsichtlich linguistischer Charakteristika (wie Wortart, Wortbildungstyp) geordnet werden. Dafür ist es wichtig, dass man eine Vorstellung entwickelt, was Wortarten und Wortbildungsmuster sind.
Die Frage, welcher methodische Zugang sich eignet, wird manchmal zur Glaubensfrage (Herbst/Klotz 2003: 268). Entscheidend ist aber die Fragestellung: Fanselow (2009: 134) diskutierte hinsichtlich der Syntax den Zusammenhang von Empirie und Theorie, der auch für die Lexikologie relevant ist, und hob dabei hervor, dass „wir interessante Daten nur dann gewinnen, wenn uns eine Theorie leitet, die es erlaubt, die richtigen Fragen an die Sprache zu stellen.“
Um damit nochmals auf restbunt zurückzukommen: Die Frage, ob dieses Wort eine Einmalbildung oder ein neues Wort ist, wird methodisch eher über eine systematische Korpusabfrage, die bei Bedarf auch über einen längeren Zeitraum hinweg erfolgt, zu beantworten sein als über Introspektion. Wenn es aber darum geht, zu untersuchen, wie Lesende mit für sie unbekannten Ausdrücken in einem Text umgehen, wie sie sie interpretieren, dann sind andere Verfahren geeigneter (vgl. Kap. 8).
Während die traditionelle Sprachwissenschaft den Wortschatz vor allem als ein soziales und kulturelles Phänomen ansieht, geht man seit geraumer Zeit davon aus, dass er eine integrative Rolle für die Grammatik innehat und auch für Nachbardisziplinen wichtig ist (Schwarze/Wunderlich 1985: 8). Im Besonderen die kognitive Linguistik, die Psycho- und Computerlinguistik haben neue Ansätze und Methoden in die Lexikologie eingebracht.
Traditionell besteht eine enge Verbindung zur Lexikografie (Wissenschaft von den Wörterbüchern):
So wie die Lexikographie auf lexikologischen Arbeiten aufbaut, sind umgekehrt lexikologische Hypothesen- oder Modellbildungen in bestimmten Bereichen ohne Rückgriff auf Wörterbücher als Sammlungen des Wissens über Wörter kaum denkbar. (Schlaefer 2002: 9)
Die Korpuslinguistik, die Publizistik (Wörter und Unwörter des Jahres, Fremdwortgebrauch, politische Korrektheit), die automatische Sprachverarbeitung in der Computerlinguistik, die Dialektologie und die Soziolinguistik sind ebenfalls relevant. Aus einer schulischen Perspektive wird Wortschatz zudem etwa von Steinhoff (2009) als „Schaltstelle des schulischen Spracherwerbs“ gesehen, und zwar mit Bezug zu allen Kompetenzbereichen (Sprechen und Zuhören, Lesen, Schreiben).
Christoph Hein, ein deutscher Schriftsteller, hat sein 2019 erschienenes Buch „Gegenlauschangriff: Anekdoten aus dem letzten deutsch-deutschen Kriege“ betitelt. Das Wort Gegenlauschangriff ruft vielleicht Verständigungsprobleme auf. Mit welchen Methoden kann man diese beseitigen?
Elsen, H. (2013a). Linguistische Theorien. Tübingen: Narr.
Haß, U. & Storjohann, P. (Hrsg.). (2015). Handbuch Wort und Wortschatz. Berlin: De Gruyter. → Kapitel 1, 13 und 21.
Allgemein wird davon ausgegangen, dass der Wortschatz während der Schulzeit erheblich ausgebaut wird. Insgesamt kann dann auch gezeigt werden, dass schulische Wortschatzvermittlung einen messbar positiven Effekt auf den Wortschatz der Schüler und Schülerinnen hat, wie die Meta-Metaanalyse von Hattie (2012) belegt (siehe unten, Exkurs).
Um die Bedeutung des Wortschatzes in der Schule besser verstehen zu können, werden im Folgenden mehrere Aspekte kurz diskutiert:
die Verortung des Wortschatzes in den Bildungsstandards,
Wortschatz und Zusammenhänge in verschiedenen Leistungsbereichen,
Wortschatzerwerb und die Rolle der Schule.
Exkurs: Effektstärken und Meta-Analysen
Um die Wirksamkeit von Fördermaßnahmen zu überprüfen, werden in den Bildungswissenschaften Interventionsstudien durchgeführt, die mindestens zwei Förderansätze empirisch vergleichen. Als Ergebnis wird i.d.R. die Effektstärke berichtet, die jeweils die durchschnittliche Differenz zwischen den verglichenen Förderansätzen angibt. So könnte bspw. untersucht werden, ob eine situative oder eine eher systematische Vermittlung von Wortschatz die größere Wirkung hat. Ein Ergebnis einer solchen Untersuchung könnte sein, dass sich zugunsten der systematischen Vermittlung ein moderater positiver Effekt zeigt.
Als Konvention wurde festgelegt, dass Effektstärken von d=.20–.49 als klein, von d=.50–.79 als mittel bzw. moderat und von d≥.80 als groß gelten.
Meta-Analysen umfassen mehrere Interventionsstudien zu einem Bereich, sei es zum Bereich Lesen, Schreiben oder eben auch zu Wortschatz: Ziel dabei ist es, Tendenzen herauszuarbeiten, also zu untersuchen, ob ein positiver oder auch negativer Effekt über mehrere Studien hinweg für eine Fördermaßnahme vorliegt und wie groß dieser Effekt ist. Ähnliches trifft für Meta-Metaanalysen zu, die nicht einzelne Studien zusammenfassen, sondern mehrere Metaanalysen. Die erwähnte Meta-Metaanalyse von Hattie (2012) berichtet für die schulische Wortschatzvermittlung einen moderaten Effekt von d=.67.
Bildungsstandards formulieren zentrale Bildungsziele, die sich bspw. in nationalen Leistungsstudien überprüfen lassen (z.B. DESI oder IGLU in Deutschland oder ÜGK in der Schweiz). Gleichzeitig benennen sie auch die Kompetenzen, die die Schule den Schülern und Schülerinnen vermitteln muss, damit die zentralen Bildungsziele erreicht werden können (vgl. Grabowski, 2014). Die Bedeutung des Wortschatzes für die Schule wird im Wesentlichen also über Bildungsstandards und Kompetenzbeschreibungen festgelegt, die sich aber je nach Land unterscheiden können (zum Unterrichtsfach Deutsch vgl. auch Sturm, i.Vorb.). Dies wird im Folgenden kurz dargelegt.
In den deutschen Bildungsstandards für den Hauptschulabschluss sowie für den mittleren Schulabschluss wird die Bedeutung einer Wortschatzerweiterung für Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund hervorgehoben (KMK 2004: 7). Bezogen auf die Kompetenzbereiche wird Wortschatz nur im Zusammenhang mit dem Kompetenzbereich Sprechen und Zuhören erwähnt: So sollen die Schülerinnen und Schüler „über einen für die Bewältigung schulischer, beruflicher und gesellschaftlicher Sprechsituationen angemessenen Wortschatz verfügen“ (KMK 2004: 10). Im Bereich Lesen wird dagegen das Klären von Wortbedeutungen erwähnt. Damit liegt den Bildungsstandards insgesamt eine Konzeption von Wortschatzarbeit zugrunde, die die Wortschatzkompetenzen in den Dienst von Textrezeption und -produktion stellt (vgl. Kühn 2007 sowie Kap. 8).
In den Bildungsstandards für den Primarbereich wird Wortschatz dagegen nicht erwähnt. Dem Arbeiten an Wörtern wird aber bezogen auf das Untersuchen von Sprache und Sprachgebrauch ein hoher Stellenwert zugemessen. Das heißt, dass weniger der Ausbau von Wortschatz im Zentrum steht, sondern vielmehr analytische Fähigkeiten fokussiert werden, indem die Schülerinnen und Schüler Wörter sammeln und ordnen oder Möglichkeiten der Wortbildung kennen sollen. Bemerkenswert ist auch, dass im Bereich Lesen nur vom Nachschlagen von Wörtern die Rede ist (wenn Verstehensschwierigkeiten auftreten). Insgesamt deutet sich hier eine etwas andere Konzeption von Wortschatzarbeit an als in den Bildungsstandards für die Hauptschule oder den mittleren Schulabschluss.
In den Lehrplänen der verschiedenen Bundesländer wird dem Wortschatz jedoch ein größeres Gewicht eingeräumt. Ähnliches gilt für den Schweizer Lehrplan (D-EDK 2016): So hält dieser fest, dass Wortschatzförderung eine Aufgabe aller Fachbereiche ist; gleichzeitig wird für die Sprachhandlungsdomänen Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben im Fach Deutsch ausgeführt, welche Aspekte jeweils relevant sind, wie die folgenden Beispiele illustrieren:
Grundfertigkeiten Sprechen (bis Ende 2. Klasse): Die Schülerinnen und Schüler „können ihren produktiven Wortschatz aktivieren, um sich in verschiedenen Themen und Situationen sprachlich angemessen auszudrücken“ (D-EDK 2016, S. 28).
Grundfertigkeiten Schreiben (Klasse 3–6): Sie „können Wörter, Wendungen und Satzmuster in verschiedenen Schreibsituationen angemessen verwenden und ihren produktiven Wortschatz aktivieren“ (ebd.: 33).
Lesen – Sachtexte verstehen (Klasse 7–9): Die Schülerinnen und Schüler „können die Bedeutung von unbekannten Wörtern aus dem Kontext erschliessen, erfragen oder mit geeigneten Hilfsmitteln […] nachschlagen und damit ihren rezeptiven Wortschatz erweitern“ (ebd.: 23).
Wie dieser kurze Einblick offenbart, sind im Zusammenhang mit Wortschatz noch einige offene Fragen auszumachen – etwa hinsichtlich des curricularen Aufbaus oder der Verortung in einem Kompetenzbereich –, die letztlich auf theoretische wie auch empirische Lücken verweisen. Hinzu kommt: Bildungsstandards sowie Lehrpläne geben i.d.R. keine Hinweise zur Art der Vermittlung: Das ist Sache der Lehrpersonen bzw. der Ausbildungsstätten, die auch aufgefordert sind, neue wissenschaftliche Befunde aufzunehmen.