Dunkle Seiten
Dämonenliebe
Wenn Leidenschaft Leiden schafft…
Bernd Daschek, Albertine Gaul,
Isabell Hemmrich, Celin Aden, Carlos Carrillo, Glauconar Yue, Lisa-Katharina Hensel, Christopher Jahn, Stefan Lochner
und Anna Schröder
Twilight-Line Medien GbR
Dunkle Seiten
Obertor 4
D-98634 Wasungen
https://www.twilightline.com
1. Auflage, 2021
ISBN: 978-3-96689-039-7
© 2021 Twilight-Line Medien GbR
Alle Rechte vorbehalten.
Bernd Daschek
Hexenliebe
Albertine Gaul
Verbotene Leidenschaft
Isabell Hemmrich
Die Fremde im grünen Kleid
Celin Aden
Erlebnispark Meereswelt
Carlos Carrillo & Glauconar Yue
Das bleiche Mädchen von Übersee
Lisa-Katharina Hensel
Schattenbrüder
Christopher Jahn
Schatten in der Finsternis
Stefan Lochner
Die Fabrik
Anna Schröder
Die Hexe im Kornfeld
Bernd Daschek
»Hast du Zeit?«, fragte sie mich, als hätte meine Antwort nicht schon festgestanden; seit Wochen kreiste sowieso alles nur um sie. Möglicherweise war ihre Frage ein Rest von Höflichkeit oder gar Respekt, denn nach meiner Bestätigung, folgten bereits Anordnungen: »Dann fahren wir zu einer Freundin und bringen ihr nen Tisch vorbei. Sie wohnt jetzt in … Na, such dir das selbst raus! Wir übernachten dann bei ihr und fahren am nächsten Tag wieder nach Hause.«
Auf der Fahrt zum kleinen Städtchen bohrte ich mit meiner Neugier Löcher in ihren Bauch: »Woher kennt ihr euch denn?«
»Wir sind im selben Haus groß geworden und waren immer füreinander da, richtige Freundinnen halt. Als sie dann wegzog, haben wir uns geschrieben, ziemlich oft sogar. Na, manchmal ist sie schon ein wenig eigenartig, aber sei bitte nett zu ihr. Ich möchte wegen dir nicht schon wieder Ärger haben. Sie heißt übrigens Sabrina! Ich finde den Namen doof, doch sie ist ganz stolz darauf. Also, lass dir nichts anmerken und sei einfach mal nett!«
»Ich versuche immer nett und höflich zu sein …«
»Ha, meine Eltern ziehen schon ein langes Gesicht, wenn ich dich mitbringe. Wie konntest du es wagen …, wie bist du bloß auf die Idee gekommen, meinem Vater zu widersprechen? Und das nicht nur einmal! Er ist schließlich mein Vater. Der hat immer recht! Warum geht das nicht in deinen Kopf?«
Ja, warum? Weil es von mir schon ein Höchstmaß an Toleranz und Höflichkeit bedurfte, beim faschistoiden Proletengesülze deines Vaters nicht auszurasten, und ihm nicht zu sagen, wie deutlich sich doch seine rassische Überlegenheit in dem Bild des fetten, ständig saufenden, auf der Couch scheinbar festgewachsenen Familientyrannen widerspiegelt.
Lieber Schatz, ich hatte bei diesem Nichtskönner doch schon verloren, als er erfuhr, dass ich bei derselben Firma in der Hierarchie mindestens fünf Stufen über ihm stehe. Sicher noch ein Beweis für die Weltverschwörung gegen ihn. Zum Glück blieb das und vieles mehr nur in meinen Gedanken. Ich versuchte also, höflich zu sein: »Sabrina klingt hübsch, finde ich.«
»Schöner als Monika?«, sie schaute mich tief an. Ich brauchte gar nicht hinzusehen, sondern spürte es. Genau wie sie gespürt hatte, wie mein Gewissen kämpfte, als ich mir beim Nachdenken über ihren Vater auf die Zunge biss.
»Natürlich nicht! Kein Name ist schöner als Monika!«
»Wenn du jetzt irgendwo ranfährst, mich glücklich machst, dabei immer wieder meinen Namen nennst, dann …«
Der nächste Waldparkplatz war unserer.
Dabei hauchte, flüsterte und stöhnte ich bestimmt hundert Mal ihren Namen, bis »Moni« zu einem Urschrei wurde.
»Ich glaube dir, mein Süßer! Mein süßer, wilder Micha! Du gehörst mir!«, sagte sie, nachdem wir weitergefahren waren. Nicht ein »zu mir«, nein, ich gehörte ihr ganz, und ein Teil von mir war glücklich darüber.
Nach einigem Suchen fanden wir das Haus mit der winzigen Mansardenwohnung, in der Sabrina lebte. Die Mädchen umarmten sich heftig, und Sabrina schaute mich tiefgründig über Monis Schulter hinweg an. Ihr Blick kam mir so vertraut vor und vermittelte ein »zu Hause Gefühl«; ein Erahnen von geistiger Heimat. Kurz dachte ich, dass ihre Augen plötzlich anfingen grün zu flimmern. Aber das musste wohl eine Lichttäuschung gewesen sein, wehrte ich den Gedanken sofort ab, denn beim zweiten Hinschauen leuchtete ihre Iris wieder stahlblau. Dieses Mädchen hatte etwas Faszinierendes, Geheimnisvolles.
»Bring doch den Tisch nach oben, Micha! Wir können dann schon ein bisschen quatschen. Ne, Sabrina?«
Sabrinas Einwand, dass sie mir doch helfen wolle, verwarf Monika umgehend: »Lass mal, ist ein starker Kerl, mein Micha! Der schafft das auch allein!«
Obwohl mir die schmale Treppe schon Sorgen machte, stimmte ich zu: »Ja, ja, ich krieg das schon hin!«
Der nach oben gewuchtete Tisch wurde gleich mit einer Runde frischen Kaffee eingeweiht. Während Sabrina von ihren Minijobs erzählte, versuchte ich meine Gedanken zu sortieren. Dieses schlanke, fast hagere, blonde Mädchen mit dem leichten esoterischen Touch war alles andere als »mein Typ«, sondern ziemlich das Gegenteil von dem, was mich an Monika fesselte, die mit ihrem langen schwarzen Haar, dem unwiderstehlichen Rehaugenblick und ihrer sportlichen Figur genau meiner Vorstellung einer Traumfrau entsprach. Sicher, Sabrina strahlte eine für mich sehr attraktive Form von Intellektualität aus. Daraus ließ sich aber kaum dieses Geborgenheitsgefühl erklären. Da war noch etwas anderes.
»Ich muss dann leider noch mal weg! Es gibt da eine Aushilfsstelle, wo ich mich vorstellen kann. Bei den Fahrzeiten der Busse hier dauert das aber eine Weile«, unterbrach Sabrina meine Gedankengänge.
»Micha kann dich fahren, ist doch bequemer!«, meinte Monika.
Mich beschlich ein Gefühl, dass dies so von Sabrina geplant war. Eine Gelegenheit, mir Klarheit zu verschaffen.
»Den Weg kennst du?«, fragte ich sicherheitshalber zurück.
Nach ein paar Kilometern sagte sie plötzlich: »Ich kenne viele Wege, Micha, oder sollte ich besser STROMER sagen?«
Ich stieg voll in die Eisen. Die Reifen quietschten. Wir wurden in die Gurte gepresst. Mein Herzschlag stieg auf 180. »Woher weißt du das? Das ist doch kein Zufall! Woher kennst du diesen Namen?« Mein Kampfname zur Zeit der Hausbesetzungen, der zum Ehrentitel wurde: Stromer, der Elektriker, der alles reparieren, in Gang bringen konnte.
»Wir haben gemeinsame Freunde«, antwortete Sabrina.
»Ich habe keine Freunde mehr in der Szene. Das ist vorbei!«
»Es gibt Schnittmengen! Denk an die andere Revolution, von freier Liebe!«, lenkte Sabrina meine Gedanken um. »Ja, denk an liebe, nette Menschen, die ein Büchlein verfasst haben, in dem du stehst und alle, denen man vertrauen kann.«
»Was soll das für ein Buch sein?«
»Gleich, Micha, da drüben ist ein Gasthof, ich kenne die Besitzerin, und wir bekommen den Kaffee kostenlos.«
Es war doch kein Zufall, dass wir hier zum Stehen kamen. »Gibt es etwas, das du nicht planst oder vorhersiehst?«
»Nein, gibt es nicht, zumindest wenig, sehr wenig! Und, bekomme bitte jetzt keinen Schreck!« Sabrina drehte sich zu mir um. Ihre Augen leuchteten in einem durchdringenden Grün. Die Pupillen waren olivenförmig wie Schlangenaugen. Sie hatten jedoch nichts Bedrohliches. Das Gefühl, welches mir warm den Rücken runterlief, war Vertrauen, unbedingtes Vertrauen. Da mein Glaube an Übersinnliches gegen Null tendierte, fand ich das zunächst urkomisch: »Ha, ha, willst du mich jetzt hypnotisieren, um mich dann …?«
»Könnte ich«, unterbrach sie mich, »will ich aber nicht. Aber das dann, das möchte ich schon gern! Prima, dass du nicht schreiend wegläufst. Ein Schisser biste also nicht.«
»Und was ich für ein Schisser bin. Aber mit so einem Horrorquatsch kann mich niemand erschrecken. Gut, hast mich beeindruckt. Du kannst die Kontaktlinsen wieder rausnehmen.«
Sabrina legte ihre Hand aufs Kinn und begann, mit dem Zeigefinger mehrmals dagegen zu tippen: »Ok, überzeugt habe ich dich noch nicht. Hm, dann schau mich mal genau an!«
Sie schloss für eine Sekunde die Augen. Als sie die Lider wieder hochschlug, waren die Iris blau und die Pupillen rund. Mir fiel vor Staunen die Kinnlade herunter. Von verschiebbaren Kontaktlinsen hatte ich noch nie gehört.
Nachdem Sabrina feststellte, dass ihre kleine Show Eindruck bei mir hinterlassen hatte, schüttelte sie sich kräftig.
»Alles klar mit dir?«, fragte ich besorgt.
Lächelnd schaute sie mich an: »Ja, schon in Ordnung! Den Übergang kann ich noch nicht so perfekt. Da blitzt es noch kräftig im Hirn. Los komm, wir haben viel zu bereden!«
Sabrina nahm meine Hand und führte mich zum Gasthaus.
Margot, die Wirtin, begrüßte uns beide gleich mit Küsschen, brachte Kaffee und Kuchen an den Tisch: »Sabrinas Freunde sind auch meine. Fühl dich wohl, junger Mann! Das andere ist auch vorbereitet!« Margot kniff Sabrina in die Wange. »Du weißt, meine kleine süße Hexe, ich tu alles für dich!«
Ich war nur noch verwirrt: »Kleine Hexe, das andere? Wer bist du, Sabrina? Engel, Teufel? Und wie funktioniert der Trick mit den grünen Augen?«
»Vielleicht alles – und doch nichts davon. Ich will dich auf den rechten Weg zurückbringen!« Dann schaute sie mich an, schloss die Augen und öffnete sie gleich wieder. »DAS IST KEIN TRICK!«, donnerten ihre Worte in mein Hirn, ohne dass sie dafür die Lippen bewegen musste. Erst als der Hall im Kopf verklungen war, erkannte ich die grünen Schlangenaugen.
»Ok, ok, kein Trick. Erklär’s mir doch einfach, ohne mein Gehirn in Brei zu verwandeln!« Schrecken und Neugier wechselten sich bei mir ab.
Sabrina nahm meine Hand, streichelte sie zärtlich und fing an zu erzählen: »Alles begann genau hier. Eines Tages tauchte eine Frau auf und legte Margot ein Baby in die Arme. Die Frau sagte, dass Margot ein guter Mensch sei, der wisse, was zu tun ist. Dann meinte sie nur noch, sie müsse jetzt wieder zurück und verschwand in einem Lichtblitz. Margot rief natürlich sofort beim Jugendamt an. Eine Dame kam, sah sich das kleine Mädchen an und telefonierte gleich mit meinen späteren Eltern, sagte ihnen, dass sie wegen des Adoptionsantrages für einen Säugling anriefe.«
Aha, dachte ich, nette Geschichte für eine anonyme Adoption.
Nicht nur, um meinen skeptischen Blick zu beantworten, sondern auch, um mir zu zeigen, dass sie meine Gedanken lesen kann, fuhr Sabrina fort: »Ja, vermutete ich auch erst. Aber jetzt kommt das Abgefahrene. Die Jugendamtstante konnte gar nichts von meinen Eltern wissen, keine Akte, keine Telefonnummer. Ist doch ein ganz anderes Bundesland. Eine innere Stimme soll ihr gesagt haben, wen sie anrufen soll, und wie die Nummer lautet. Meine Eltern wussten irgendwie an dem Abend, dass bald das Telefon klingelt. Irre, nicht?«
Ich nickte. Überzeugt hatte mich das trotzdem nicht: »Wer hat dir denn erzählt, wie die Adoption zustande kam?«
»Meine Eltern, als es so weit war, es sich nicht mehr verheimlichen ließ. Es begann, als ich meine erste Peri…, na, zur Frau … Du weißt schon, mit Beginn der Pubertät. Das, was da mit mir geschah, oder besser, was ich nun konnte: Dinge mit Gedankenkraft bewegen und so.«
Wie in Stephen Kings Carrie: Telekinese, Pyrokinese. Relativ erklärbare Parapsychologie, analysierte ich im Kopf.
»Ja, so wie bei Carrie! Nur hab ich keine Messer durch die Luft fliegen lassen oder Häuser versenkt. Nee, viel wichtiger war, dass ich anderen meinen Willen aufzwingen konnte. Mama musste mir mitten in der Woche einen Kuchen backen und andere solche Scherze. Da redeten meiner Eltern mit mir, erzählten von meiner mysteriösen Herkunft und ich lernen müsste, meine besonderen Kräfte für etwas Gutes einzusetzen. Sagt dir der Begriff Anderswelt etwas?«
Ach herrjeh, keltische Mythologie. Klar, darüber hatte ich schon mal was gelesen, aber es hat mich nicht weiter interessiert. Warum auch? Esoterischer Krimskrams!
Damit mir bewusst wurde, dass es mich zu interessieren hat, ließ Sabrina ein Kuchenstück schweben. Mein Mund stand offen und es flog hinein. Den Sahnesprüher hob sie mit Gedankenkraft an. Dieser zog darauf eine Spur über den Kuchen, der aus meinem Mund ragte, und meine Nase. Sabrina beugte sich vor und küsste mir die Sahne von Mund und Gesicht. Überzeugt davon, nun mein Interesse geweckt zu haben, fragte sie: »Du weißt, was ein Übergang ist?«
»Mmpf!«
Sie gestatte mir gnädig: »In Ordnung, schluck erst runter!«
Nachdem der letzte Bissen und Sabrinas süßer Kussgeschmack meinen Mund verlassen hatten, gab ich mein bescheidenes Wissen zum Besten: »Man glaubt, dass sich Portale öffnen, durch die Götter und Menschen in Verbindung treten können.«
»Nicht schlecht! Ich bin der Beweis. Und ich nehme dich mit in diese Anderswelt. Dann helfe ich dir bei deinem Problem, und du hilfst mir, in dieses Buch zu kommen!«
»Was habe ich für ein Problem? Was ist mit dem Buch?«, fragte ich ungeduldig.
Sie kramte in ihrer Tasche, zog einen Ringbuchordner heraus und gab ihn mir. Neugierig schlug ich ihn auf und erkannte, dass es sich um A4 Kopien von Doppelseiten handelte, die vermutlich aus einem handschriftlich verfassten Notizbuch stammten. Ohne Einleitung oder Erklärung, welchen Zweck dieses Buch hatte, begann es gleich mit dem ersten Eintrag: Vorname, Nachname, evtl. Deck- oder Spitzname, Adresse, usw., dann folgte ein kleines Dossier über die Person. Gespannt suchte ich meinen Namen und musste über das lachen, was dort stand. »Das bin ich nicht, Sabrina. Es ist völlig übertrieben!« Ich gab ihr den Ordner zurück.
Sabrina fluchte: »Micha, Stromer, so viel Gutes habe ich über dich erfahren. Das willst du verschenken, an Monika?«
»Ich liebe sie! Was soll das, sie ist doch deine Freundin?«, fragte ich verdutzt.
»Eben drum! Sie ist kein schlechter Mensch, nur ein bisschen fehlgeleitet. Kein Wunder bei der Familie! Sie manipuliert alle mit ihrem Zauberblick, spielt mit ihnen. Du liebst sie nicht, du bist ihr hörig! Deshalb kannst du ihr nicht helfen. Lass das andere machen, mich zum Beispiel! Du musst weg von ihr, sonst geht all das Gute in dir kaputt!«
»Möglich, aber es ist schön, wieder lieben zu können…«
»Hör auf! Was ist im Bett bei euch? Befriedigt dich das?«
»Woher weißt du das denn wieder? Mehr braucht sie nicht, sagt sie, und wenn sie das glücklich macht …«
Sabrina sprang auf, knutschte mich wild und streichelte Stellen, die meinen Widerstand zusammenbrechen ließen. »Wir gehen jetzt rauf ins Zimmer, sind uns ganz nah, vereinigen uns, und ich nehme dich dabei mit in die Anderswelt!«
***
Sie nahm mich wirklich beim Liebesspiel mit. Es ist mir unmöglich, dies zu beschreiben, ein Schweben, ein Abtauchen, wild und sanft zugleich – irre!
Als ich dann erschöpft, aber richtig zufrieden neben ihr lag, fragte ich: »Und nun? Das war zwar absolut … irgendwas Fantastisches, ich glaube aber trotzdem nicht, dass ich von Moni loskomme! Zeig mir den Weg, kleine Hexe!«
Fast empört richtete sich Sabrina auf: »Das war mehr als irgendwas Fantastisches! Hast du fünf Hände und drei Zungen? Wäre wirklich schade um dich!« Dann schmunzelte sie. »Kleine Hexe gefällt mir! Wenn du deine Hörigkeit zu Moni verlierst, trägst du mich dann in dieses Buch ein?«
»Was ist dir daran so wichtig? Mach das doch selbst!«
»Du verstehst es immer noch nicht, es ist das Who is Who der Freie-Liebe-Bewegung. Nur wenige dürfen Nachträge machen.« Sie schlug das Buch auf und zeigte auf die vorhandenen Nachträge, die alle eine bestätigende Unterschrift trugen.
»Gut, abgemacht!« Ich reichte ihr die Hand. Sie schlug ein.
»Nach unserem kleinem Ausflug in die Anderswelt dürfte es dir nicht schwer fallen, heute Nacht etwas länger bei Moni… Du wirst spüren, dass ich bei dir bin, während du bei ihr sein müsstest. Das wird reichen, den Rest überlass mir!«
***
Gesagt, getan. In der Nacht folgte ich ihren Anweisungen.
Es war erstaunlich! Ich fühlte Sabrinas Nähe, als ich Monika liebte, ausdauernd, sehr ausdauernd.
Dann meinte ich ein Kichern aus Sabrinas Bett zu hören. Ich konnte nur noch an Sabrina denken. Der Bann war gebrochen!
Am nächsten Morgen schlug ich vor, Sabrina zu weiteren Vorstellungsgesprächen zu fahren. Es wurde ein langer Ausflug, denn wir fanden viele Stellungen. Kurz bevor wir wieder zurückkamen, sollte ich auf einem Parkplatz anhalten. »War schön mit dir, auch außerhalb der Anderswelt. Eins gönne ich mir noch!«, meinte Sabrina und schritt zur Tat.
Zurück in Sabrinas Wohnung lautete meine erste Frage: »Wo ist das Buch?« Sie gab es mir, und ich begann zu schreiben.
Monikas Blick wanderte verwirrt zwischen Sabrina und mir hin und her. »Was ist hier los?«
Sabrina flüsterte etwas in ihr Ohr.
»WAAS!« Ein Aufschrei drang aus Monikas Kehle, der von einem intensiven Kuss Sabrinas gestoppt wurde.
Völlig konsterniert setzte sich Monika und fand erst nach einigem Luftschnappen wieder Worte: »Du, du hast mit meiner Freundin gepennt! Ich konnte dich auch noch schmecken bei ihrem Kuss! Warum? Was sollte das?«
»Ach, liebste Moni«, antwortete ich gelassen, »ich mag dich sehr, lasse mich auch gerne von dir verzaubern, aber ich gehöre nicht dir. Das wollte mir Sabrina zeigen, und es ist ihr gelungen!« Ich reichte das Buch herüber, und Sabrina las vor: »Sabrina Fischer, genannt kleine Hexe …«
Monika hatte ihr Gesicht in den Händen vergraben, die ich behutsam löste und sie anschaute. »Worum du mich bittest, werde ich gern erfüllen, aber befiel mir nichts mehr! Ich lasse mir auch nicht mehr den Mund verbieten, penne mit wem ich will. Es liegt an dir, mich so anzunehmen, wie ich bin!«
»So gut war ich? Hast du das süß geschrieben!«, unterbrach Sabrina und las stolz den Schluss vor: »Die kleine Hexe bringt mit ihrem Zauber verirrte Seelen nach Hause zurück. Ich habe ihr meine Heimkehr zu verdanken. Diese Rettung werde ich nie vergessen. Bestätigt Micha, genannt Stromer.«
Albertine Gaul
Langsam senkte sich die Dunkelheit über den kleinen Ferienort an der Ostseeküste. Elise Kruger merkte nichts davon, denn sie war damit beschäftigt, im Keller ihres Arbeitgebers C. Schmidt & Söhne, einem Bestatter, die Leiche einer Frau zu schminken und für die Beerdigung vorzubereiten.
„Bist du bald fertig mit der Frau?“, fragte ihr Chef Clemens Schmidt, der im Büro den Telefondienst übernommen hatte. „Gleich kommt noch ein Toter, der alte Herr Kachel. Kannst du ihn annehmen und ihn für die Beerdigung vorbereiten? Ich muss dringend weg.“ Bittend sah er sie an, seine weißen Haare standen in alle Richtungen und seine goldene Nickelbrille saß schief auf seiner großen Nase.
Elise sah auf und nickte. „Kein Problem“, sagte sie. Wenn er sie so bat, konnte sie ihm nichts abschlagen „Frau Weller ist so weit fertig. Haben sich für Morgen nicht ihre Angehörigen angekündigt?“
„Exakt“, erwiderte Clemens. „Sie kommen gegen zehn Uhr zur Verabschiedung. Sie sieht lebendiger aus als zu ihren Lebzeiten. Gute Arbeit, Elise. Kai und Jonas bringen unseren neuen Gast. Ich schließe das Büro und mache mich auf den Weg zu meinem Termin. Bist du sicher, dass du zurechtkommst?“
„Fahren Sie ruhig. Ich warte, bis die beiden Herrn Kachel bringen und schließe anschließend das Geschäft ab“, antwortete Elise.
Seit sie vor einem halben Jahr ihre Lehre zur Bestattungsfachkraft abgeschlossen hatte, vertraute ihr Clemens Schmidt immer mehr Aufgaben an. Es machte ihr nichts aus, bis tief in der Nacht zu arbeiten oder am Wochenende Bereitschaftsdienst zu machen. Dies war genau der Beruf, den sie sich immer gewünscht hatte. Ihre erste Lehre zur Bankkauffrau absolvierte sie nur, da sie ihrer Großmutter ein Versprechen gegeben hatte. Aber bereits nach einem Jahr merkte sie, dass Zahlen und Geldmittel nicht ihre Welt waren. Trotzdem beendete sie die Lehre und sah sich danach nach einem anderen Beruf um. Der Tod ihrer Großmutter brachte sie mit Clemens Schmidt zusammen, der damals eine Assistentin benötigte.
„Sehr gut. Wir sehen uns Morgen“, meinte Clemens und verabschiedete sich.
Elise beendete ihre Arbeit und verfrachtete die Leiche anschließend in den Kühlraum. Kurz darauf klingelte es und die beiden Fahrer Kai Rogge und Jonas Wegner brachten ihren letzten Gast für heute.
„Hier sind die Papiere“, sagte Kai Rogge. „Der Totenschein vom Arzt, die Freigabe der Polizei. Man hat ihn in seinem Haus gefunden. Soweit ich gehört habe, gibt es keine Angehörigen.“
„Er war ein Eigenbrötler“, erklärte Elise. „Im Ort hatte niemand wirklich mit ihm Kontakt. Bringt ihn in den Keller, ich bereite ihn für die Beerdigung vor.“ Sie nahm die Papiere und gab den Weg in den Keller frei.
Kai und Jonas Wegner schleppten die Bahre mit dem alten Mann in den Keller und Elise folgte ihnen. Nachdem sie den Toten auf den Metalltisch gelegt hatten, wo die junge Frau ihn für die Beerdigung vorbereiten konnte, verabschiedeten sie sich von ihr.
Nachdenklich betrachtete Elisa ihren neuen Gast und bemerkte die blauen Flecken im Gesicht der Leiche, den wilden grauen Bart, die verfilzten Haare und die schmuddelige Kleidung des Toten. Eine Sargkarte gab es bei dem alten Mann nicht, daher hatte sie freie Hand bei ihrer Arbeit.
„So sehen wir uns wieder, Herr Kachel“, flüsterte sie. „Sie erinnern sich sicher nicht mehr an mich, aber ich war diejenige, die ihre Kirschbäume geplündert hat. Damals hatte ich Angst vor ihnen, heute fürchte ich mich nicht mehr.“ Sie dachte daran, wie der Alte mit wütendem Gesicht aus dem Haus gestürmt war und ihr mit Tod und Teufel gedroht hatte. Nur wegen einer Hand voll Kirschen!
Sie umrundete ein weiteres Mal den Tisch und entschied sodann, wie sie dem Mann zu einem ansehnlichen Äußeren verhelfen würde. Gerade wollte sie sich zu ihren Instrumenten wenden, als das Licht in dem Raum zu flackern begann und schließlich ganz ausfiel.
Fluchend tastete sich Elise an der Wand entlang, um zum Ausgang und in den Flur zu gelangen. Dort gab es einen Sicherungskasten, den sie erreichen wollte. Sie war fast an der Tür, als eine leise Stimme sie stoppte.
„Elise“, flüsterte es hinter ihr und die junge Frau fuhr erschrocken herum. War der Alte womöglich gar nicht tot? Ein schwaches Glühen umgab den Tisch.
Sie konnte die Leiche nur schemenhaft sehen, aber hinter ihm nahm sie einen Schatten wahr. Er war einen Kopf größer wie sie, breitschulterig und der Kopf wirkte nicht menschlich.
„Elise“, ertönte es erneut.
„Wer…“, stotterte Elise perplex. „Wer sind sie?“
Zitternd drückte sie sich gegen die Wand, denn sie dachte an Einbrecher und dass sie ganz allein in dem Gebäude war.
Das Wesen begann sanft zu leuchten und sie konnte die Gestalt deutlicher sehen. Statt eines menschlichen Kopfes hatte es ein Bisonhaupt, einen menschlichen Körper mit Armen und Beinen, Klauen und lange Eckzähne. Dichtes Fell umgab seinen Leib, der in Stiefeln, Hosen und einem zerfetzten Hemd steckte.
„Wo bin ich?“, erkundigte sich das Wesen mit dunkler Stimme. „Na los, sag schon!“ Seine Stimme wurde herrischer.
„Im Ort Waldhude. Er liegt an der Ostseeküste“, erwiderte Elise und tastete nach der Wand in ihrem Rücken. Sie spürte den Türrahmen unter ihren Fingern und atmete erleichtert auf. Ihre Rettung war wenige Schritte entfernt. Vorsichtig schob sie sich zur Seite.