Erkundungen im
Alten und Neuen Testament
mit Illustrationen
von Christiane Becker
Vorwort
Teil 1: Die biblische Landkarte – Wege in die Bibel
Als Reisegruppe unterwegs: Verschiedene Zugänge zur Bibel
Ein Logbuch – von uns für Sie
Die Bibel als ganzes Buch lesen – Reisevorbereitungen (Teil 1)
Zurück in die Vergangenheit – Reisevorbereitungen (Teil 2)
Teil 2: Erkundungen im Alten Testament
Weg-weisend und fundierend – Einführung in die Tora
Mit Rucksack und Zelt den Sternen folgen – Das Buch Genesis
Durch Panzerglas geeint: Ein topographisches Streiflicht aus Hebron
Eine lange Reise mit „schwerem Gepäck“ – Das Buch Exodus
Der Nicht-Ort: Ein topographisches Streiflicht auf dem Sinai
Eine Reise in die Vergangenheit – Einführung in die Geschichtsbücher
Neues von den Royals – Die Samuelbücher
Eine theologische Geburt: Das topographische Streiflicht aus Betlehem
Eine Adventure-Tour mit Promi-Begleitung – Das Buch Tobit
Schutzgeister und Gottvertrauen: Ein topographisches Streiflicht aus dem British Museum in London
Einmal nach Betulia und zurück – Das Buch Judit
Schön sein: Das topographische Streiflicht aus der Krypta der Dormitio Abteikirche in Jerusalem
Eine Reiseapotheke für den Lebensweg – Einführung in die Bücher der Weisheit
Eine Reise in das Innere – Das Buch Ijob
Ursprung: Das topographische Streiflicht aus einem östlichen Land
Eine klangvolle Reise: Das Buch der Psalmen
Du deckst mir den Tisch: Ein topographisches Streiflicht zu Psalm 23
Mit einem Weisheitslehrer auf Glücks- & Sinnsuche – Das Buch Kohelet
Turn, turn, turn: Ein politisches Streiflicht zum Steine- und Blumenwerfen
Theo-Logie als Provokation: Die Botschaft der Propheten
Kurzurlaub mit Jesaja(s) – Sieben Tagebucheinträge
Mausoleum für ein Buch: Ein topographisches Streiflicht aus dem „Shrine of the Book“
Prophet(s) for future – Das Buch Amos
Wenn Säulen zittern: Das topographische Streiflicht aus Samaria
Teil 3: Erkundungen im Neuen Testament
Mit Jesus unterwegs – Ausflüge in die Evangelien
Mit Jesus bergwandern, Boot fahren und mehr – Das Evangelium nach Matthäus
Von Gestrüpp überwuchert: Das topographische Streiflicht vom Berg der Seligpreisungen
„Im Anfang war das Wort“ – Eine Reise durch das Johannesevangelium
Ganz ohne Wasserzauber: Das topographische Streiflicht vom Betesda-Teich
„Bis ans Ende der Welt“ – In der Apostelgeschichte unterwegs
Wo seine Füße standen: Das topographische Streiflicht von der Himmelfahrtsmoschee
Sie haben Post! – Einführung in die neutestamentliche Briefliteratur
Gewichtige Korrespondenz mit Schliff – Die beiden Briefe an die Gemeinde in Korinth
In der Stadt der vielen Götter: Das topographische Streiflicht aus Korinth
Ordnung muss sein – auch auf Reisen: Die Pastoralbriefe
Vom Hirten zur Hierarchie: Das topographische Streiflicht aus Rom
Eine apokalyptische Achterbahnfahrt mit Happy End – Die Offenbarung des Johannes
Auf Blei geschrieben: Das topographische Streiflicht aus der Unterwelt
Teil 4: Angekommen: Ein Nachwort
Mit dem „Logbuch Bibel“ möchten wir Sie zu einer Expedition in die Bibel einladen und Ihnen dazu einen hilfreichen Reisebegleiter an die Hand geben. Wir haben unsere sehr unterschiedlichen Zugänge zu den biblischen Texten zusammengeführt und daraus ein Angebot erarbeitet, das sich an all diejenigen wendet, die Lust haben, einfach in der Bibel zu lesen oder sich grundsätzlicher und intensiver mit dem Buch der Bücher auseinanderzusetzen. Die einzelnen Beiträge verknüpfen biblisches Basiswissen mit den persönlichen Begegnungen mit biblischen Texten. Anhand ausgewählter Beispieltexte wird man so durch die einzelnen Teile der Bibel geführt und mit den vielfältigen Entwürfen vertraut gemacht. Die Erklärungen der geschichtlichen Hintergründe der Bibel sowie besondere Illustrationen und Grafiken machen das Buch zu einer kurzweiligen und verlässlichen Informationsquelle. Beiträge zu außergewöhnlichen Orten, die eine besondere Rolle im jeweiligen biblischen Buch spielen, regen das Fernweh an. Insgesamt entsteht ein Leitfaden, der die Bibel für die alltägliche Praxis aufbereitet und einen selbstständigen Umgang mit den Texten eröffnet.
Wir freuen uns, dass das Zusammenführen unserer Reisetätigkeiten in der Bibel Aufnahme im Verlag Katholisches Bibelwerk gefunden hat und bedanken uns für die produktive und unkomplizierte Zusammenarbeit. Bedanken möchten wir uns auch bei Laura Müller für vorbereitende Arbeiten an der KHSB sowie bei Dr. Bettina Wellmann für manche weisheitliche (Wort)Inspiration.
Nun wünschen wir Ihnen eine anregende Lektüre und hoffen, dass Sie Ihre eigenen Wege in die Bibel finden.
Ihre Reiseleitung
Andreas Leinhäupl – Andrea Pichlmeier – Christian Schramm – Christiane Becker
Wenn sich mehrere Individualreisende einer Reisegruppe anschließen, ist das ein Wagnis, als zeitweilige Reiseleiterin kann die Autorin dieser Zeilen ein Lied davon singen. Nun sind vier Individualisten dieses Wagnis eingegangen und haben sich zu einer Gruppe zusammengeschlossen, um gemeinsam die Bibel zu bereisen und ihre jeweiligen Erkundungen in einem „Logbuch“ zu dokumentieren.
Ein Logbuch wurde ja ursprünglich in der Seefahrt geführt, um über die täglich zurückgelegte Strecke einschließlich besonderer Vorkommnisse Protokoll zu führen. Im Unterschied zu einem Tagebuch war das Logbuch verpflichtend zu führen, um im Ernstfall als Beweismittel zu dienen, ähnlich der Blackbox heutiger Flugzeuge.
Nun mag sich der Leser oder die Leserin fragen, was es beim Bereisen der Bibel denn zu beweisen gebe. Beweisen lasse sich in der Bibel doch nichts, weil die Bibel gar nicht bewiesen werden will. Sie lädt ein zur Begegnung: mit bekannten und unbekannten Personen an bekannten und unbekannten Orten, mit nicht erwartbaren Ereignissen und besonderen Vorkommnissen. Auf diese Begegnungen haben wir uns eingelassen, jeder und jede für sich, zwei Männer und zwei Frauen, eine Künstlerin und drei Theologen, die auf verschiedene Weise in Bibelwissenschaft und Bibelpastoral tätig sind. Wir stammen aus Norddeutschland und aus Süddeutschland und sprechen verschiedene Dialekte, und wir haben sehr unterschiedliche Erfahrungen mit der Bibel und verschiedene Zugänge zu ihr, die unsere Wahrnehmung und unser Urteil unvermeidbar und unverwechselbar prägen. Das soll kein Schaden sein.
In seiner Dankrede zur Verleihung des Georg-Büchner-Preises 19991 formulierte der Schriftsteller Arnold Stadler – auch er übrigens ein erfahrener „Bibelreisender“ – drei Fragen, die der Autorin dieser Zeilen zu einer Art „hermeneutischem Schlüssel“, einem Schlüssel also zum Verstehen von Erfahrungen und Widerfahrnissen geworden sind. Sie lauten:
Was habe ich für einen Platz bekommen?
Was habe ich gesehen?
Was kann ich bezeugen?
Jeder und jede von uns hat einen Platz bekommen, den kein anderer einnehmen kann, weil er nun schon einmal besetzt ist, von uns. Das gilt nicht nur für die vier Autor*innen, sondern auch für die Leser und Leserinnen dieses Buches. Dieser Platz ermöglicht eine bestimmte Perspektive (und verhindert andere). Unsere Lebenserfahrung und auch unser Wissen sind perspektivisch. Wir können nie alles sehen. Das aber, was wir sehen, kann möglicherweise kein anderer sehen, und es wäre daher ein unwiederbringlicher Verlust fürs Ganze, wenn wir unsere Sicht nicht dokumentieren würden. Wir sind dazu verpflichtet. Wir sind verpflichtet, ein Logbuch zu führen und nicht nur das weitaus weniger verbindliche Tagebuch, im Bild gesprochen.
Gleichzeitig ist zu sagen, dass der eigene, perspektivische Beitrag immer nur „Zeugnis“, nie die umfassende Wahrheit sein kann. Aber was heißt schon „nur“. Die Aussagen von Zeugen dienen als Beweismittel vor Gericht. Jede Perspektive zählt.
Es zählt die Perspektive des Theologen und die der Künstlerin. Der Hochschulprofessor blickt anders auf einen antiken Text als der Familienvater, der diesen Text als spannende Geschichte seiner Tochter erzählt. Die zeitweise Auslandsdeutsche nimmt grundsätzlich gern die Außenperspektive ein, auf Länder, auf Traditionen, Positionen und Religionen, auch die eigenen. Die Künstlerin sieht Dinge, die andere nicht sehen, und macht sie sichtbar. Das sind wir.
Wir haben, jeder und jede auf seine und ihre spezifische Weise, biblische Bücher erkundet und diese Erkundungen in unserem „Logbuch“ dokumentiert. Wir haben versucht, die Texte als Landschaften zu begreifen und sie entsprechend zu kartographieren. Wir haben auch versucht, sie „on ground“, in der geographischen Wirklichkeit (nicht nur) der sogenannten biblischen Länder zu verorten. Davon erzählt jeweils das „topographische Streiflicht“. Es erzählt von Streifzügen auf verschiedenen Landgängen der Autorin dieser Zeilen, die tatsächlich so stattgefunden haben. Und schließlich haben wir Bilder gemacht, nicht mit dem Fotoapparat, sondern mit dem Zeichenstift der Künstlerin unter uns, die sah, was die Bibelwissenschaftler unter uns nur mit Worten beschreiben konnten. Aber was heißt wiederum „nur“.
Auf diese Weise ist ein vielfältiges Panorama entstanden, nüchtern und sachlich, aber auch in Eindrücken und Assoziationen schwelgend, wissend, staunend. Wir sind, das ist zu sagen, nie zusammen losgezogen, sondern ausgeschwärmt, jeder und jede für sich, und haben dann unsere Entdeckungen zusammengetragen und in das gemeinsame Logbuch einsortiert. Dieses Logbuch liegt nun vor Ihnen. Es ist nicht aus einem Guss, sondern erwachsen aus den akribischen Erkundungen einer vierköpfigen Reisegruppe, die sich Ihnen nun im Einzelnen vorstellen möchte:
Seitdem ich vor gefühlten Ur-Zeiten im ersten Semester des Theologiestudiums zufällig in einen „Grundkurs Bibel“ hineingerutscht bin, lassen mich die Texte aus dem Ersten und Neuen Testament nicht mehr los. Wenn ich nach meiner bibel-theologischen Herkunft gefragt werde, gebe ich unumwunden zu, dass ich diesbezüglich ein „Münsteraner Gen“ habe. Hier war das „Theologietreiben“ insgesamt durch und durch biblisch motiviert, eben nicht nur bloße Vermittlung und Aufnehmen von Inhalten, sondern es war so etwas wie ein Lebensentwurf, von dem ich mit Büchern wies diesem ein klein wenig weitergeben möchte. Die Bibel begleitet mich seither sowohl privat als auch beruflich und ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit bibelwissenschaftlichen und bibelpastoralen Fragestellungen. Daraus haben sich neben der Lehrtätigkeit an verschiedenen Universitäten – inzwischen an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin – sehr innovative und umfängliche diözesane Projekte in verschiedenen pastoralen Handlungsfeldern ergeben. Mein Arbeitsschwerpunkt liegt im Bereich der angewandten Theologie aus biblischer Perspektive und ich arbeite an einer biblisch fundierten Grundlage für pastorale Struktur- und Handlungskonzepte. Hierfür gehe ich immer wieder auf die Suche nach offenkundigen und verborgenen Highlights in den biblischen Büchern, nach roten Fäden, die die zweiteilige Bibel durchziehen – und ich freue mich über die ganz unterschiedlichen und doch gemeinsamen Pfade, die wir hier in diesem Buch zusammengetragen haben.
Vielleicht liegt es daran, dass ich an einer Landesgrenze aufgewachsen bin und den größeren Teil meines Lebens an Landesgrenzen verbracht habe: Ich habe den Platz in der Mitte immer gescheut, ob im Klassenzimmer oder in der Kirche. Dafür habe ich gern Grenzen überschritten und von außen auf die Dinge geblickt, staunend über das Fremde im Vertrauten, aber auch mit heimlichem Vergnügen über manche Skurrilitäten. Ich habe früh angefangen, Sprachen zu lernen und zu reisen. Mein Studium der Theologie, der Bibelwissenschaften und der biblischen Archäologie hat mich mehrfach ins Ausland geführt, ein großer Teil meiner Freunde lebt in anderen Ländern. Nach einem zweijährigen Aufenthalt an der Jerusalemer École biblique habe ich angefangen, hin und wieder, Reisegruppen durchs Heilige Land zu begleiten. Meine Aufgabe als Reiseleiterin sah ich darin, das Land zu „beschriften“, und es wurde mir zunehmend bewusst, dass dies bereits Ungezählte vor mir getan hatten. Wenn alle Worte aller Menschen, die je ihren Fuß auf dieses Land gesetzt haben, plötzlich sichtbar werden könnten, dachte ich mir, dann müssten die Steine, die Berge und Flüsse unter den Schichten von Geschichten geradezu verschwinden. Aber dies ist auch ein Wesenszug biblischer Texte: Sie „beschriften“ Orte, Ereignisse, Erfahrungen. Sie wurden ihrerseits wieder und wieder kommentiert, d.h. „beschriftet“. Und nun habe ich, wie auch meine drei „Mitreisenden“, einen weiteren Kommentar hinzugefügt. Einen, den es so vorher noch nicht gegeben hat.
Ich reise gerne – so richtig leibhaftig von Ort zu Ort, sofern Corona das zulässt, und auch in Texte hinein. Alte Steine und alte Texte haben es mir besonders angetan, kurz gesagt: Ich bin ein Antiken-Fan. Wo diese Begeisterung für Vergangenes herkommt? Das habe ich mich auch schon oft gefragt. Auf jeden Fall haben mein Theologiestudium und besonders auch meine Studienzeiten im Heiligen Land diese Leidenschaft noch verstärkt. Dabei schaue ich mir auch Einzelheiten gerne genau an, gehe den Dingen auf den Grund, grüble und forsche nach – sowohl bei Steinen als auch bei Texten. Zugleich schätze ich Leichtfüßigkeit im Leben und Schreiben, freue mich an Humor und bin begeistert, wenn der Staub vergangener Jahrhunderte weggepustet wird, dies aber nicht staubtrocken daherkommt. Und (persönliche) Schätze in biblischen Texten mit anderen Menschen suchen – das ist ein Herzensanliegen von mir sowohl an der Universität als auch im Bistum Hildesheim.
Als ich mich dieser Bibelreisegruppe anschließen durfte, habe ich als erstes ein neues Skizzenbuch gebunden und in Bildern gefragt und formuliert, was das wohl für eine Reise werden mag. Das ist meine Weise auf die Welt zu schauen: Bei einer neuen Idee oder Entdeckung kribbelt es in meinen Fingern, sie in Bildern auszudrücken. Ich zeichne, mache Collagen und spiele mit Schrift, Druck und Farbe. Das Arbeiten und Gestalten mit Papier ist momentan der Schwerpunkt meiner künstlerischen Tätigkeit. An dieser Reise durch die Bibel hatte ich Entdeckerfreude. Ich habe vieles unterwegs mit dem Zeichenstift erkundet und in Bildern notiert. Auch gelesen, recherchiert und nachgedacht (Theologin bin ich nämlich auch) oder nach den Bildern in den Worten meiner Mitreisenden gesucht. Und dann habe ich die Entdeckungen des Tages aufgezeichnet. Ich muss zugeben, ich liebe Details! Diese habe ich am biblischen Wegesrand entdeckt und beim Herumspielen mit den Bildmotiven von Karten, Entdeckungsreisen, (Spiel)-Plänen und Infografiken. Daraus sind die Illustrationen für dieses Buch entstanden. Mein persönlicher Blickwinkel und zugleich eine Einladung für eigene Entdeckungen.
1In: A. Stadler, Erbarmen mit dem Seziermesser. Über Literatur, Menschen und Orte, Köln (DuMont-Buchverlag) 2000. 25.
Das Logbuch Bibel will zweierlei: Einerseits dokumentiert es unsere biblischen Reiseerfahrungen, unsere Entdeckungen und Erkenntnisse – das, was wir als Höhepunkte bei unseren Erkundungen erlebt haben und was wir von unseren Reisen als Andenken mitbringen. Andererseits will es Sie zu eigenen Reisen und Entdeckungstouren in die Bibel motivieren sowie darauf einstimmen und vorbereiten. Von daher ist das Buch, das Sie zu lesen beginnen, beides: Logbuch und Reiseführer in einem. Am Ende sollen Sie gut gerüstet sein, selbst ins Buch der Bücher aufzubrechen; zugleich wollen wir, indem wir von unseren Erkundungen erzählen, Ihre Reiselust wecken und Appetit auf die Bibel machen.
Zwar sind wir vier jeweils einzeln durch die Bibel gereist, doch haben wir uns zwischendurch auch mehrfach getroffen, unsere Reiseerfahrungen miteinander geteilt und an einem gemeinsamen Konzept für dieses Logbuch gefeilt. Sie halten nun das Ergebnis in Ihren Händen, das in seinen einzelnen Teilen die je individuelle Handschrift trägt, das aber zugleich eine Einheit bildet. Die einzelnen Elemente verbinden sich im Logbuch Bibel zu einer Einheit, ja treten in einen Dialog miteinander.
Da wären zum einen die Grafiken und Illustrationen von Christiane Becker, die einen eigenen Zugang zu den biblischen Büchern eröffnen und so manchen Schatz erschließen, der mit schnöden Worten blass und farblos bliebe.
Da wären zum anderen die Reiseblogeinträge von Andrea Pichlmeier, die topographischen Streiflichter, die uns – passend zum jeweiligen biblischen Buch – zu den unterschiedlichsten Zielen in der heutigen Welt entführen und auf ihre eigene Weise zum Nachdenken anregen und das Fernweh wecken.
Da wären zum Dritten die kurzen Einführungen von Andreas Leinhäupl und Christian Schramm in die Teile des biblischen Kanons (Tora, Geschichtsbücher, Weisheit, Propheten, Evangelien, Briefe), die zur Orientierung und Reisevorbereitung dienen. Und viertens finden sich die Erkundungen der beiden Letztgenannten in unterschiedlichen biblischen Büchern, die Zeugnis von bewegten persönlichen Bibelreisen inkl. Highlights und Geheim-Tipps geben. Die Beiträge zu den biblischen Büchern orientieren sich grob an folgenden Hauptakzenten: Basisdaten (als Reisevorbereitung), Sehenswürdigkeiten und Highlights (durchaus in persönlicher Auswahl und Profilierung), Souvenirs (das, was wir von unseren Reisen mitbringen – u. a. Erkenntnisse, Einsichten, Überraschendes, Ermutigendes …).
Daneben finden sich, quer durch das Buch verteilt, immer wieder anregende Einsprengsel für Sie: a) Tipps (z. B. Lesenswertes, Sehenswertes, Hörenswertes); b) Kleiner Sprachführer (Begriffserklärungen oder ein wenig hebräische oder griechische Sprachkunde) – dezent eingesetzt; c) Souvenirs (jeweils gegen Ende der Beiträge). Und mit die wichtigste Kategorie, die sich als roter Faden durch das Buch zieht: d) Logbucheinträge. Hier präsentieren wir uns wichtige, für das jeweilige Thema bedeutsame, überraschende, prägende, kurz gesagt: (be-)merkens- und bedenkenswerte Bibelzitate – unsere biblischen Funde bei unseren Reisen durch die Bibel. Für Sie zur Anregung – und verbunden mit der Einladung, Ihre ganz persönlichen Logbucheinträge bei Ihren biblischen Entdeckungstouren zu notieren.
Auf Literaturangaben verzichten wir im Logbuch Bibel weitestgehend und bewusst – abgesehen von den im Buch verstreuten (Lese-)Tipps. Eine umfängliche Literaturliste wäre kaum hilfreich, zudem bliebe sie immer unvollständig. Damit wollen wir Sie nicht belasten. Zugleich basiert dieses Logbuch aber fundamental auf Literatur sowie auf prägenden Exeget*innen, bei denen wir studiert, von denen wir per Lektüre viel mitgenommen haben. Das kann und soll nicht geleugnet werden – unsere Erkundungen sind davon beeinflusst und durchzogen. Wer sich in der Exeget*innen-Szene etwas genauer auskennt, der wird an der ein oder anderen Stellen herauslesen können, wer prägend im Hintergrund steht.
Bevor wir uns auf den Weg zu verschiedenen Erkundungen im Ersten und Neuen Testament machen, möchten wir stichwortartig noch einige inhaltliche Vorbemerkungen loswerden, auf die wir auf unseren Reisen immer mal wieder zurückkommen werden.
Kleiner Sprachführer: Bibel
Das Wort „Bibel“ kommt vom griechischen Begriff „biblia“, der wiederum der Plural von „biblion“ ist, was übersetzt soviel heißt wie „Buch“, „Schriftstück“, „Dokument“, und in der Mehrzahl dann eben „Bücher“.
Die Bibel ist kein Buch aus einem Guss, sie ist auch nicht nur „ein“ Buch, sondern eine ganze Bibliothek. Die Bücher des Ersten und Neuen Testament sind über einen langen Zeitraum entstanden (ganz grob gesagt etwa von 800 v.Chr. – 130 n. Chr.) und haben in der uns heute vorliegenden Form jedes für sich eine mehr oder weniger lange Entstehungsgeschichte, d.h. sie sind nicht von einem Autor geschrieben, sondern durch Prozesse der mündlichen und schriftlichen Überlieferungen und deren Weiterentwicklungen gewachsen.
Der größere erste Teil der christlichen Bibel ist auch dem Judentum heilig. Was für das Christentum das Alte (oder Erste) Testament ist, ist für das Judentum dessen heilige Schrift, die Bibel Israels. Judentum und Christentum sind mit diesem gemeinsamen Teil allerdings unterschiedliche Wege gegangen und auch die Konzeption und Reihenfolge ist verschieden: Die ursprüngliche jüdische Bibel besteht aus drei Teilen (Tora, Nevi’im=Propheten, Ketuvim=Schriften, wodurch das Kunstwort TaNaK entsteht). Einige uns bekannte Schriften sind hier noch nicht vorhanden: Tobit, Judit, 1/2 Makkabäer, Weisheit, Jesus Sirach, Baruch sowie Teile der Bücher Ester und Daniel; sie sind allesamt erst in der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel, der sogenannten Septuaginta, hinzugekommen, sind im Original in Griechisch geschrieben und werden von daher „deuterokanonisch“ (= zweiter Kanon) genannt. Die Zusammenstellung des christlichen Alten Testaments greift auf den Gesamtumfang der Septuaginta zurück und ist in vier Teile unterteilt (Tora, Bücher der Geschichte, Bücher der Weisheit, Bücher der Propheten) und weist auch eine etwas andere Logik auf als die hebräische Bibel (siehe unten).
Das Neue Testament ist dann ausschließlich christlich geprägt. Die Bücher dieses Teils der Bibel entstehen in einer Zeit, in der sich die Gruppen und Gemeinden, die sich zu Jesus von Nazaret als dem Messias und dem Sohn Gottes bekennen, Schritt für Schritt aus dem Judentum emanzipieren und eigene Wege ausloten. Aber sie tun das eben auf der Grundlage des Alten Testaments und sie können auch nicht darauf verzichten, sondern greifen immer wieder auf diese Schriften zurück, zitieren sie und legen sie für ihre eigene Situation aus.
Und nun die Frage: was ist eigentlich „alt“ und was ist „neu“?
Gegenüber dem weit verbreiteten Vorurteil, das Alte Testament sei der verstaubte und überholte Teil der Bibel, der dort verkündete Gott sei ein Gott der Rache und der Strafe, die behandelten Themen seien düster, es rechtfertige Krieg und Frauenunterdrückung … und das Neue Testament würde demgegenüber durch Jesus von Nazaret Rettung und Heil bringen und schlimmsten Falls sogar den Alten Bund überbieten, sind doch erhebliche Zweifel anzumelden. Das „Alte“ ist eben nicht überholt, sondern zunächst einmal zeitlich vor dem Neuen Testament angesiedelt. Gottes erste Liebe gilt dem Volk Israel und die Bücher des Alten Testamentes beschreiben ja gerade die Grundlagen, die Geschichte und die Perspektiven dieses Volkes. Und mehr noch: das „Alte“ in der christlichen Bibel verweist auf die Kontinuiät zwischen dem Gottesvolk Israel und dem Christentum. Das zweite würde es ohne das erste nicht geben, die Offenbarung Gottes in Jesus von Nazaret wäre ohne das Alte Testament nicht verständlich. Und nicht ohne Grund finden wir im ersten Teil unserer Bibel das Alte und darauf aufbauend erst das Neue Testament. Der Alttestamentler Erich Zenger hat deshalb den Begriff „Erstes Testament“ stark gemacht … und wir möchten diese Bezeichnung gerne mit auf unsere Reisen nehmen.
Kleiner Sprachführer: Der „Kanon“ der Bibel
Das griechische Wort kanon bedeutet „Messschnur“, oder „Regel“, „Standard“. Im Blick auf die Bibel bezeichnet der Begriff „Kanon“ die Gesamtheit aller in diesem Buch versammelten Schriften. Seit dem 4. Jahrhundert n.Chr. liegt der Kanon der christlichen Bibel in der uns bekannten Form vor. Erst im Jahre 1546 fand auf dem Konzil von Trient die Dogmatisierung des Kanons statt, d.h. von hier an darf weder etwas hinzugefügt oder weggenommen werden. Der Kanon umfasst alle Bücher des Alten und Neuen Testaments, die dem frühen Christentum wichtig gewesen sind. Welche Bücher aufgenommen wurden und wie sie angeordnet worden sind, ist das Ergebnis eines langen Aushandlungsprozesses. Der Kanon stellt somit auch ein wichtiges Glaubenszeugnis und ein echtes Stück Kontinuität dar.
|
Altes Testament |
Neues Testament |
Grundlage |
Tora |
Evangelien |
Vergangenheit |
Bücher der Geschichte |
Apostelgeschichte |
Gegenwart |
Bücher der Weisheit |
Briefe |
Zukunft |
Bücher der Propheten |
Offenbarung |
Die beiden Teile der einen, zweigeteilten christlichen Bibel sind parallel aufgebaut und verfolgen eine gemeinsame Idee: Die Tora beschreibt Schöpfung, Befreiung aus Ägypten, Landnahme, Bundesschluss und Erhalt des Gesetzes am Sinai. Die Evangelien beinhalten Leben und Lehre Jesu als gründende Erzählungen für die christlichen Gemeinden. Die Bücher der Geschichte zeigen, wie es Israel mit dieser Tora erging. Die Apostelgeschichte erzählt vom Schicksal der ersten christlichen Gemeinden und von den Aposteln, die das Evangelium Jesu zu verwirklichen suchten. Die Bücher der Weisheit laden den einzelnen ein, mit ihrer Hilfe die Weisheit zu suchen und einen Weg zu finden, die Tora lebensfördernd umzusetzen. Die neutestamentlichen Briefe geben Hilfen für das Leben in den Gemeinden und des einzelnen. Die Schlussteile beider Buchteile wenden den Blick in die Zukunft. Die Bücher der Propheten sowie die Offenbarung entwerfen die Vision von der Vollendung der Welt und Geschichte.
Neben vielen anderen thematischen roten Fäden, die das Erste und das Neue Testament durchziehen, bildet das Schöpfungsthema eine Grundachse und nicht zuletzt auch einen Rahmen um die gesamte Bibel: Die beiden Eckbücher Genesis und Offenbarung fungieren dabei als eine Klammer, die im Wesentlichen durch schöpfungstheologische Komponenten formatiert ist. Das wird vor allem beim Blick auf den Anfang der Genesis und das Ende der Offenbarung deutlich: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ (Gen 1,1) – „Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde“ (Offb 21,1); „Gott nannte das Licht Tag, und die Finsternis nannte er Nacht“ (Gen 1,5) – „Nacht wird es dort nicht mehr geben … denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie“ (Offb 21,23–25). Diese und weitere Stichwortverbindungen zeigen den übergreifenden Zusammenhang zwischen Erstem und Neuem Testament: Der Gott des Anfangs wird die Welt auch vollenden. Was mit Israel begonnen hat, wird in und durch Jesus von Nazaret auf die Völkerwelt ausgeweitet, sodass alle an der Erneuerung der Welt – also an der „neuen Schöpfung“ – teilhaben.
Wenn wir dann noch einen Blick in das Johannesevangelium wagen, das ja mit den Worten „Im Anfang war das Wort“ (Joh 1,1) beginnt, also eine klare Stichwortverbindung zum Anfang des Buches Genesis herstellt, und im gesamten Prolog (Joh 1,1–18), wie auch darüber hinaus an vielen anderen Stellen (vgl. nur die Hochzeit zu Kana) mit schöpfungstheologischen Methaphern arbeitet, wird recht schnell deutlich, welchen notwenigen und engen Zusammenhang das Erste und das Neue Testament aufweisen.
Wenn man heute eine Bibel aufschlägt, muss man sich darüber im Klaren sein, dass man eine „Über-Setzung“ liest, d.h. man ist von vornherein mit einer Interpretation der hebräischen oder griechischen Originalschriften des Ersten oder Neuen Testaments konfrontiert. Der Markt der Übersetzungen ist sehr groß: es gibt Bibelübersetzungen, die sich sehr stark am Originaltext orientieren (Münchener Neues Testament), oder solche, die die biblische Botschaft eher in eine heutige, zeitgemäße und verständliche Sprache übertragen, oder solche (Gute Nachricht Bibel, Basisbibel), die auf spezielle Adressatengruppen (Kinder, Jugendliche, Familien, Kirchennahe, Kirchenferne etc.) zugeschnitten sind (Wir erzählen die Bibel), oder solche, die bestimmte Aspekte von Gerechtigkeit oder politischem Engagement als Perspektive haben (Bibel in gerechter Sprache). Wie auch immer: Sie haben die Qual der Wahl und damit auch die Gelegenheit, die für Sie und Ihr Anliegen „richtige“ Bibelübersetzung auszusuchen. Probieren Sie es einfach aus. Testen Sie verschiedene Übersetzungen und finden Sie „Ihre“ Bibel!
Wir legen für unsere Reiseunternehmungen die „neue Einheitsübersetzung 2016“ zugrunde. Diese Übersetzung, die nach einem zehnjährigen Arbeitsprozess die ursprüngliche Einheitsübersetzung aus den 80er Jahren ablöst und vom Katholischen Bibelwerk herausgegeben wird, berücksichtigt viele neue Erkenntnisse der Bibelwissenschaft und der Exegese. Sie versucht, die ursprünglichen Sprachbilder und Formulierungen der biblischen Texte ins Heutige zu übertragen und ringt auf diese Weise darum, den aktuellen kulturellen Horizont unserer Sprachgemeinschaft in eine vitale Beziehung zu den biblischen Urtexten zu setzen. Die Einheitsübersetzung bildet die textliche Grundlage für Gottesdienste sowie für alle möglichen Einsätze im pastoralen und schulischen Bereich.
Wenn wir in die Bibel reisen, dann verlassen wir das 21. Jahrhundert und machen eine Zeitreise, z. T. mehrere Jahrtausende zurück. Wobei wir in zeitlicher Perspektive grundsätzlich unterscheiden müssen, in welcher Zeit ein biblisches Buch, eine biblische Erzählung spielt, und in welcher Zeit das Buch/die Erzählung (vermutlich) entstanden ist, verfasst wurde. Letzteres ist meist schwierig zu ermitteln und umstritten. Ein gutes Beispiel vom Beginn der Bibel: Gen 1 erzählt von der Schöpfung als Ursprung von allem; hier befinden wir uns in einer mythischen Ur-/Vorzeit (s. Genesis). Aufgeschrieben wurde diese Erzählung vermutlich im 6. Jh. v. Chr.
Wenn uns diese Unterscheidung klar ist, dann sind wir gut für die nun anstehende Zeitreise gewappnet. Hierfür bieten viele Bibelausgaben hilfreiche Informationen in Form von Zeittafeln, Königslisten, Ereignisübersichten etc. im Anhang. Und es gibt zahllose Bücher zur alt- und/oder neutestamentlichen Zeitgeschichte. Damit möchte und kann ich nicht konkurrieren. Ich möchte Sie im Folgenden vielmehr mit den zwei, drei entscheidenden Basisdaten vertraut machen.
Grob gesprochen können wir die alt- und die neutestamentliche Zeit unterscheiden, wobei der Übergang fließend und der Umfang deutlich unterschiedlich ist: Was meist als alttestamentliche Zeit bezeichnet wird, umfasst mehrere Jahrtausende (ca. 2000 bis 1. Jh. v. Chr.), wohingegen die Zeit des Neuen Testaments ein gutes Jahrhundert (ca. 30 bis 150 n. Chr.) ausmacht. Beide Epochen sind jeweils durch eine Katastrophe gezeichnet, die als prägender Einschnitt identifiziert werden kann.
Für die alttestamentliche Zeit ist das Jahr 587/586 v. Chr. zentral: Die Babylonier erobern – als aufstrebende Großmacht – Jerusalem und zerstören den Tempel. Damit endet auf lange Sicht die Phase der Eigenstaatlichkeit Israels; unmittelbar schließt sich das Babylonische Exil an. Dieser Einschnitt ist nicht nur markant und existenziell verstörend, sondern führt auch zu einer verstärkten Sammlung und Sicherung der eigenen (Erzähl-)Traditionen, auch in schriftlicher Form. Zudem setzt eine beeindruckende Literaturproduktion ein – Krisen und Katastrophen wollen bewältigt werden, auch literarisch. Für das Volk Israel stellt sich angesichts der rauchenden Trümmer des Tempels die Gottesfrage mit äußerster Brisanz, denn in altorientalischer Logik gedacht: Der eigene Gott JHWH hat sich als schwächer erwiesen als die Götter der Feinde (Babylonier) – ergo schließen wir uns den stärkeren Göttern an. Das wäre das normale Vorgehen. Doch in der Zeit des Babylonischen Exils passiert genau das Gegenteil: Hier entsteht die Überzeugung, dass es nur einen Gott gibt, nämlich JHWH – wir haben es mit der Geburtsstunde des biblischen Monotheismus zu tun („Ein-Gott-Glaube“).
Mit Blick auf die alttestamentlichen Schriften werden in der Folge vorexilische, exilische und nachexilische Traditionen unterschieden, wobei nahezu alle alttestamentlichen Bücher eine nachexilische (redaktionelle) Überarbeitung erfahren haben (s. Amos). Das Babylonische Exil endet gegen 539 v. Chr. – anschließend kann auch der Tempel wiederaufgebaut werden.
Für die neutestamentliche Zeit, die mit dem Auftreten, dem Kreuzestod und der Auferstehung Jesu von Nazaret ansetzt (30er Jahre des 1. Jh. n. Chr.), ist es erneut die Eroberung Jerusalems und die Zerstörung des Tempels, die als einschneidendes Datum zu notieren ist: 70 n. Chr.; die erobernde Großmacht sind diesmal die Römer. Auch diese Krise und Katastrophe bleibt nicht ohne literarischen Nachhall, besonders auch in den vier Evangelien lässt sich diesbezüglich Zahlreiches aufspüren.
Mit diesen beiden Jahreszahlen – 587/586 v. Chr. und 70 n. Chr. – hätten wir die zwei entscheidenden Dreh- und Angelpunkte der biblischen Zeit vor Augen, aus biblischer Perspektive versteht sich. Alles andere lässt sich dem zuordnen bzw. ordnet sich dem unter.
Wer literarische Ausflüge in die Bibel plant, muss für sich das genaue Ziel klären. Das ist gar nicht so einfach, denn die Bibel ist nicht nur ein dickes, sondern auch ein äußerst vielfältiges Buch – besser gesagt: eine umfängliche Büchersammlung. Da ist guter Rat teuer: Was lohnt sich? Was muss ich gesehen, sprich: gelesen haben?
Unabhängig davon, dass favorisierte Reiseziele zu einem Gutteil immer subjektiv und Geschmackssache sind – das gilt sowohl für literarische als auch für reale –, gibt es in der Bibel selbst durchaus eine (auch wertende) Gewichtung zwischen einzelnen Teilen. Einzelne Kanonteile sind so grundlegend, so elementar im biblisch-kanonischen Selbstverständnis, dass sie bei keiner Bibelreise fehlen sollten – idealerweise starte ich hier.
Im Alten Testament sind dies die ersten fünf Bücher, die zu den unverzichtbaren Basics zählen: die Tora, der Pentateuch oder die fünf Bücher Mose genannt. Damit beginnt nicht nur die Bibel, sondern mit dem Beginn der Tora beginnt schlechterdings alles – wird hier doch von der Schöpfung erzählt (s. Genesis).
Auch die Anfänge des Volkes Israel finden sich in der Tora, weshalb die Tora die zentrale Gründungsurkunde für die jüdische Religion, ja für das jüdische Volk darstellt und folgerichtig im Synagogengottesdienst (heute) eine wichtige Rolle spielt. Die Tora wird als Bahnlesung von vorne bis hinten gelesen. Es gibt sogar ein eigenes Fest im jüdischen Festkalender, an dem ausgelassen mit den Tora-Rollen in der Hand gefeiert wird: Simchat Tora, das „Fest der Torafreude“. An diesem Tag wird der letzte Toraabschnitt im Synagogengottesdienst gelesen – und unmittelbar danach wieder der erste. Das soll versinnbildlichen: Die Tora ist ewig wie Gott; die Toralesung endet nie.
Doch mag der eine oder die andere Bedenken gegenüber einer Reise in die Tora haben, da es hier so gesetzlich zugehen würde. Dieses verbreitete Vorurteil hängt damit zusammen, dass der hebräische Begriff „Tora“ im Griechischen mit „Nomos“ (so die Septuaginta) und im Lateinischen mit „Lex“ (so in der Vulgata zu finden) wiedergegeben wird.
Für „Lex“ und „Nomos“ ist die hauptsächliche Übersetzung „Gesetz“. Sind also die fünf Bücher Mose quasi „Gesetzesbücher“? Und ein „Fest der Gesetzesfreude“ klingt eher nicht nach einer reizvollen Partyeinladung.
Allen Zweiflern und Skeptikerinnen sei zum einen ein persönlicher Besuch in der Tora empfohlen. Zum anderen kann ein Hinweis ermutigend mit auf den Weg gegeben werden: Tora kann zwar auch mit „Gesetz“ übersetzt werden, doch ist das Bedeutungsspektrum viel weiter. Tora meint ebenso „Lehre“, „(An-/Unter-) Weisung“ – und mit Blick auf die vorrangige Verwendung in der Bibel lässt sich das noch zuspitzen: Tora ist die „Weg-Weisung Gottes“ – Zielperspektive: ein gelingendes Leben, Heil und Segen in Fülle, Wohlergehen, Schalom. Ps 1,1–3 bringt dies treffend auf den Punkt.
Logbucheintrag: „Selig der Mensch, der … sein Gefallen hat an der Weisung des HERRN, bei Tag und bei Nacht über seine Weisung nachsinnt. Er ist wie ein Baum, gepflanzt an Bächen voll Wasser, der zur rechten Zeit seine Frucht bringt und dessen Blätter nicht welken. Alles, was er tut, es wird ihm gelingen.“ (Ps 1,1–3)
So gesehen: Ein „Fest der Freude über die Lebensweisung Gottes“ ist eine äußerst attraktive Feiergelegenheit.
Fünf Bücher umfasst die Tora (Genesis = Gen, Exodus = Ex, Levitikus = Lev, Numeri = Num, Deuteronomium = Dtn) und siedelt sich damit zahlenmäßig zwischen Bestsellern wie „Herr der Ringe“ (3 Bände) und „Harry Potter“ (7 Bände) an. Alle, die sich eine komplette Durchreise vorgenommen haben, können dies unter verschiedenen Blickwinkeln tun. Zwei finde ich besonders ergiebig.
Die Tora kann als Erzählung vom Volk Israel auf dem Weg gelesen werden – und zwar auf dem langen Weg in die Freiheit. Während im Buch Gen die Vor- und Entstehungsgeschichte präsentiert wird, geht es diesbezüglich in Ex (s. Exodus) richtig los. Ex, Lev, Num und Dtn nehmen uns mit auf einen spannend-spannungsreichen Weg mit vielen Höhen und Tiefen, mit Freud und Leid, mit Murren und Jubel. Ein Lernweg – für das Volk Israel ebenso wie für Gott.
40 Jahre, so die biblische Überlieferung, ist das Volk unterwegs: aus dem Sklavenhaus Ägypten – durch die Wüste – Richtung Gelobtes Land – Sackgassen und Umwege inklusive. Also: Wanderfreund*innen werden hier auf ihre Kosten kommen. Wobei auch längere Zeit pausiert wird. Hier sind Bergsteiger*innen gefragt: Ein (textlich) längerer Stopp wird mittendrin am Gottesberg Sinai (manchmal als Berg Horeb bezeichnet) eingelegt.
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