Versicherung braucht Innovation.
Innovation braucht Versicherung.
Dr. Anja
Funk-Münchmeyer (Hrsg.)
Zukunftssicher
So geht Innovation an der Schnittstelle von Wirtschaft und Versicherung
Inhalt
Vorwort
Geleitwort
Teil 1
Mindset und Innovationsfähigkeit
Megatrends und Resilienz für die 2020er-Jahre
Andrea Brock
Alexander Meyer
Die Vision vom sicheren Unternehmen
Uwe Röniger
Vladyslav Moyerer
Markus Wagemann
Radikale Innovation – anders, aber notwendig!
Dirk Wirth
Distorted Risk Management: How Cognitive Biases Influence Human Decision-Making
Prof. Dr. Julia Arlinghaus, Melanie Kessler
Teil 2
Digitale Transformation und ihre Chancen, Risiken, Absicherung
Neue Lösungsansätze für Data Science und AI-Entwicklungen im Cloud-Umfeld
Tobias Gärtner
Dr. Tim Botzkowski
Autonomes Fahren und Haftungsfragen im Wandel
Dr. Thomas Goetting
Florian Läubli
Sinan Geylani
EaaS, Pay-per-X und Subscription treffen Maschinen-/Anlagenbau: Das Risiko der Anderen?
Manuel Zimmermann
Dr. Alexander C. H. Skorna
IoT-Claims-made – Ist es Zeit für eine neue Versicherungsfalldefinition?
Andre Bialowons
Best Practice: Der Weg zur Obliegenheitserfüllung mit neuen Technologien
Florian Waubke
Benedikt T. Brahm
Innovationen und neue Erkenntnisse zur Brandprävention in der Entsorgungswirtschaft
Dr. Ralf Utermöhlen
Dr. Daniel Melcher
Dr. Viktor Werwein
Teil 3
Impulse für das Risikomanagement
Datengetriebenes Risikomanagement: Hype oder Modell der Zukunft?
Andreas Berger
Störungen in der Supply Chain managen: Wie Datenaustausch entlang der Supply Chain zu einer Steigerung der Reaktionsfähigkeit führen kann
Volker Stich
Tobias Schröer, MSc.
Maria Linnartz, M.Sc.
Alisa Friedrich
Benedikt Moser
Supply Chain Risk Management: ESG-Risiken in der Lieferkette erkennen
Prof. Dr. Michael Huth
Frank Romeike
Dynamic Risk-Profiles for New Flexible Financing in International Trade
Fabio Manca
Stefan Reidy
Lars ter Veer
Teil 4
Versicherungswirtschaft von morgen
Wie IoT und digitale Ökosysteme die Rolle der Versicherer verändern
Jürgen Pollich
Platzierungsmechanismen von parametrischen Versicherungen
Lukas Schönach, M.Sc.
Dr. Bernhard Gahr, M.Sc.
Konzeption eines Bewertungssystems für Cyber-Versicherungen
Dr. Reiner Will
Romina Röpke
Alternative Versicherungslösungen – Parental Company Guarantees
Dr. Carolin van Straelen, LL.M.
Joachim F. Walch
Alles aus der Ferne
Ahmet Batmaz
New Pay im Versicherungsunternehmen
Prof. Dr. Klaus-Jürgen Jeske
Vorwort
Wie »sicher« kann Zukunft sein? Progressive Entscheidungen unter Unsicherheit versprechen neben Risiken doch vor allem Chancen und Möglichkeiten. Ähnliches gilt auch für Innovationen. Nicht jede einzelne neue Idee setzt sich im Markt durch oder zahlt sich am Ende für alle beteiligten Akteure aus. Dennoch bleibt die Bereitschaft notwendig, Veränderungen – ob nun disruptiv oder evolutionär – nicht nur zuzulassen, sondern aktiv mitzugestalten. Die Versicherungswirtschaft kann solche Innovationskraft unterstützen, indem sie passgenaue Absicherungslösungen schafft und so der Wirtschaft ein Fallnetz für neue Risiken, innovative Produkte und Geschäftsmodelle zur Verfügung stellt. Die vorliegenden Buchbeiträge geben hierfür sinnvolle Ansätze und stehen für Praxisbeispiele, in denen Innovation und Versicherung eine Symbiose bilden.
Innovation findet fruchtbaren Boden im gegenseitigen Austausch und Transparenz. Mit ZUKUNFTSSICHER möchte Funk gemeinsam mit Unternehmen und Teilnehmern aus der gesamten Versicherungswirtschaft Innovationsziele und -beobachtungen miteinander verzahnen, die über die Branchengrenzen hinweg alle Beteiligten bewegen. In Zusammenarbeit mit dem Murmann Verlag entstand so ein von Funk herausgegebenes Werk, das interdisziplinäre Einblicke in die Innovationstätigkeit an der Schnittstelle von Wirtschaft und Versicherung gewährt.
Ausgewählte Autorinnen und Autoren aus der Versicherungswirtschaft, der Technologiebranche sowie der Wissenschaft teilen ihre Ideen und Erfolgskonzepte in Kurzbeiträgen. So auch Funk. Mit unserem Kooperationspartner FairFleet geben wir Einblick in die Entwicklung einer neuartigen Inspektion von Windenergieanlagen mittels Drohnentechnologie. Außerdem beleuchten wir die Risikodimensionen von Equipment-as-a-Service-Modellen für Hersteller und Nutzer der Maschinen und zeigen Absicherungslösungen für diese Geschäftsmodellinnovation auf.
Inkrementelle Innovationen bei Produkt und Dienstleistungen sind in der Versicherungswirtschaft bereits Praxis. Zunehmend entfalten jedoch auch disruptive Innovationen aus anderen Wirtschaftszweigen heraus ihre Wirkung auf die Branche. Sie machen deutlich, dass zukunftsorientiertes Denken und Handeln Branchengrenzen überwinden muss. Funk als einer der führenden internationalen Versicherungsmakler und Risk Consultants in Europa verbindet aus diesem Grund die Welten von Kunden, Versicherern und Technologiepartnern. Unser Ziel ist es, Versicherungsinnovationen am konkreten Kundenbedarf auszurichten und damit Werte auch in Zukunft zu schützen: Innovation braucht Versicherung. Versicherung braucht Innovation.
Eine sichtbare Entwicklung in der Versicherungswirtschaft ist der Weg zu sogenannten komplementären Kooperationen mit Akteuren der eigenen, teils aber auch anderer Branchen. Etablierte Unternehmen bilden gezielte Initiativen mit Start-ups und anderen Technologieunternehmen, um neuen Kundenbedürfnissen im Zeitalter der Digitalisierung gerecht zu werden. Sensorik, künstliche Intelligenz bzw. Algorithmen für maschinelles Lernen, Internet-der-Dinge-Technologien und Cloud-Anwendungen sind nur einige Beispiele, mit denen sich eine hohe Risikotransparenz auch zur Schadenprävention und die Entwicklung neuer Absicherungsmechanismen verbinden lassen. Inspektionen mittels Drohnen vereinfachen die Aufnahme von Schäden in schwer zugänglichen Bereichen. Dies sind nur einige Beispiele für die im Buch enthaltenen Innovationsansätze.
ZUKUNFTSSICHER lebt von dem Engagement seiner Autor*innen, bei denen wir uns für ihre zukunftsweisenden Beiträge und Erfahrungen bei der Umsetzung von Innovationsthemen an der Schnittstelle zur Versicherungswirtschaft ganz herzlich bedanken.
Eine inspirierende Lektüre mit vielen Anregungen wünschen
Dr. Anja Funk-Münchmeyer
Geschäftsführende Gesellschafterin
Funk – Internationaler Versicherungsmakler und Risk Consultant
Dr. Alexander Skorna
Leiter Business Development
Funk – Internationaler Versicherungsmakler und Risk Consultant
Geleitwort
Liebe Leserinnen und Leser,
das Jahr 2020 hat uns alle vor nicht vorhersehbare Herausforderungen gestellt. Covid-19 hat starke Konstrukte, die über Jahrzehnte aufgebaut wurden, innerhalb weniger Wochen ins Wanken gebracht. Ausgeklügelte Lieferketten, die über die ganze Welt reichten, brachen zusammen. Überall dort, wo es möglich war, wurden Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt – Szenarien, mit denen die wenigsten von uns gerechnet haben und worauf kaum jemand vorbereitet war.
Doch dort, wo Hindernisse sind, ergibt sich auch immer die Gelegenheit, neue Lösungswege einzuschlagen. Vor allem die Möglichkeiten der Digitalisierung scheinen ein Schlüssel für viele der Herausforderungen zu sein: Die Produktion lässt sich remote aus dem Homeoffice überwachen und steuern, der Servicetechniker kann via Augmented Reality live bei der Problembehebung an der Maschine unterstützen, und vollautomatisierte Produktionshallen ermöglichen eine Reorientierung zum Insourcing. Zwingt uns die Pandemie, digitaler zu werden? Zumindest zwingt uns die Pandemie zum Umdenken!
Auch für die Versicherungsbranche bieten die derzeitigen Entwicklungen die Chance, bestehende Ansätze umzugestalten – denn mittlerweile geht es um mehr als nur die Versicherung von Assets oder deren Ausfall. Neue Fragestellungen eröffnen sich: Wie können Risiken einer ganzen Supply Chain abgesichert werden? Geht es zukünftig eher darum, Produktionsergebnisse anstelle von Produktionsmaschinen sicherzustellen? Können mithilfe von Sensorik und Internet-of-Things-Anwendungen Versicherungsrisiken gemindert werden?
Um sich der Herausforderung innovativer Geschäftsmodelle zu stellen, ist eine strategische Partnerschaft durchaus erfolgsversprechend, vor allem in der Industrie. Die Bündelung verschiedener Expertisen – Risiko- und Finanzierungslösungen vonseiten der Versicherungsgesellschaften und das Prozesswissen auf der Seite der Maschinen- und Anlagenbauer – schafft neue Inspiration für zukunftsweisende Geschäftskonzepte.
Ich möchte Sie dazu anregen, unser traditionelles Geschäft der Versicherung kritisch zu hinterfragen und mutig neue, innovative Wege einzuschlagen. Durch die Pandemie wurde eine nie zuvor da gewesene Dynamik in Gang gesetzt, denn uns wurde deutlich gemacht, dass auch altbewährte Konstrukte ihre Schwächen haben.
Die Ausgabe # 21 von ZUKUNFTSSICHER bietet Ihnen dafür Ideen und Erfolgskonzepte von Experten aus der Praxis. Lassen Sie sich, liebe Leserinnen und Leser, von dieser abwechslungsreichen Lektüre inspirieren.
Herzlichst
Prof. Dr.-Ing. Volker Stich
Geschäftsführer FIR e. V. an der RWTH Aachen
Direktor Cluster Smart Logistik
Teil 1
Mindset und Innovationsfähigkeit
Megatrends und Resilienz für die 2020er-Jahre
Andrea Brock, Alexander Meyer
⊲ Die Coronapandemie zeigt die Komplexität einer globalisierten Welt auf, ihre Grenzen, ihre Fehlentwicklungen. Die Unsicherheit ist entsprechend groß. Die Unvorhersehbarkeit auch. Denn kaum etwas scheint mehr sicher zu sein. Wie also sollte man am besten umgehen mit einer Phase der großen Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit? Das Konzept der Megatrends kann hier Orientierung bieten. Sie können helfen, die neue Realität besser zu verorten, sie besser zu verstehen und schließlich, ganz konkret, sein Unternehmen auf das neue Normal vorzubereiten, es durch das neue Normal zu führen.
Andrea Brock Hauptbevollmächtigte der QBE Europe SA/NV-Direktion für Deutschland. Mit mehr als 20 Jahren Erfahrung in der internationalen Versicherungswirtschaft ist Andrea Brock seit August 2019 Hauptbevollmächtigte der QBE Europe SA/NV – Direktion für Deutschland. Andrea Brock war zuvor in verschiedenen Managementpositionen unter anderem bei der Chubb, MS Amlin und AmTrust beschäftigt. Sie ist gelernte Versicherungskauffrau IHK und Betriebswirtin. Ihr Fokus liegt auf strategischem Business Development und Corporate Governance. Seit 14 Jahren ist sie in der internationalen Industrieversicherung tätig.
Alexander Meyer ist studierter Wirtschaftsjurist (LL. B.) Seit 2011 ist Alexander Meyer in der Versicherungswirtschaft mit Schwerpunkt Vertrieb und Consulting tätig, seit 2012 mit dem Schwerpunkt FOE und grenzüberschreitende Versicherungsprogramme. Von 2015 bis 2020 war er Vertriebsmanager der Advigon Versicherung – ein Unternehmen der HanseMerkur, mit Sitz in Vaduz. Alexander Meyer verantwortet seit 2020 den Bereich Market Management bei der QBE Europe SA/NV-Direktion für Deutschland mit dem Fokus Sales, Marketing und PR.
Ein außergewöhnliches, besonderes Jahr liegt hinter uns. Das Jahr 2020, dieses erste Jahr der 2020er-Jahre. Wir mussten erleben, wie eine Gesundheitskrise zu einer Menschheitskrise wurde, die das Leben aller weltweit sowohl beruflich wie auch privat auf den Kopf gestellt und überall auf der Welt in unterschiedlichstem Ausmaß großes Leid verursacht hat. Die Coronapandemie hat auch die Komplexität unserer globalisierten Welt aufgezeigt, ihre Grenzen, ihre Fehlentwicklungen. Und sie hat gezeigt, wie wichtig es für Unternehmen ist, zukünftig ihre eigene Resilienz zu hinterfragen. Also die Frage, wie sie mit vermeintlich unvorhersehbaren Risiken wie einer globalen Pandemie besser umgehen können.
Werden wir nun 2021 die Pandemie besiegen? Und wenn ja, wie wird die Welt nach Corona aussehen? Von einem »New Normal« ist die Rede. Doch wie wird sie aussehen, diese neue Normalität in diesem neuen Jahrzehnt, diesen auch hoffnungsvollen neuen 20er-Jahren? Was können Unternehmen und ihre Versicherer tun, um Resilienz gegenüber der Unvorhersehbarkeit unserer modernen Welt aufzubauen?
Die Unvorhersehbarkeit und die gleichermaßen mitschwingende Unsicherheit sind aktuell groß. Bereits 2019 zeigte der empirische QBE Unpredictability Index,1 dass die Welt in den letzten 30 Jahren unvorhersehbarer geworden ist. Dabei waren wirtschaftliche und unternehmerische Faktoren die Haupttreiber der Unsicherheit im letzten Jahrzehnt. Für Unternehmen bedeutet ein erhöhtes Risiko höhere Unsicherheiten und häufig unvorhergesehene Kosten. Vier von fünf befragten Unternehmen (78 Prozent) waren in den letzten zehn Jahren erheblich von einem oder mehreren unvorhersehbaren Ereignissen betroffen, wobei wirtschaftliche Ereignisse die schwerwiegendsten Auswirkungen hatten. Auch vor 2020 befand sich die Welt also in einer Phase der erhöhten Unvorhersehbarkeit. Mit der Coronapandemie ist nun ein Ereignis eingetreten, dessen Ausmaß noch nicht erfasst ist. Dementsprechend wächst die Unsicherheit. Überall. Im privaten wie im geschäftlichen, im gesellschaftlichen wie im politischen Umfeld. Wie also können Unternehmen und Versicherer am besten mit dieser neuen Phase der großen Unsicherheit umgehen? Obwohl diese zunimmt, gibt es Maßnahmen, die alle Unternehmen und ihre Partner wie ihre Versicherer ergreifen können, um mit optimalem Risikomanagement resilienter zu werden.
Hier kommt der Ansatz der Megatrends ins Spiel. Das Konzept der Megatrends kann helfen, die neue Realität besser zu verstehen und die Unsicherheit besser zu verorten, sie vielleicht sogar zu überwinden. »Megatrends sind die Veränderungen, die unser Leben bereits prägen und es noch länger tun werden. Als Entwicklungskonstanten der globalen Gesellschaft umfassen sie mehrere Jahrzehnte«, so das Zukunftsinstitut in Frankfurt, und weiter: »Ein Megatrend wirkt in jedem einzelnen Menschen und umfasst alle Ebenen der Gesellschaft: Wirtschaft und Politik sowie Wissenschaft, Technik und Kultur«.2
Tatsächlich denkt und sortiert sich QBE auch mithilfe der Megatrends. Gemeinsam mit AIRMIC, einem britischen Verband für Risikomanagement, haben wir die fünf essenziellen Megatrends für die jetzige Zeit definiert: das sich verändernde Umfeld der Digitalisierung (Cyber und IT), das Umfeld der politischen Rahmenbedingungen (Politik und Gesetze), das Umfeld der öffentlichen Wahrnehmung (Vertrauen und Reputation), das geopolitische Umfeld (Internationale Politik) und das Umfeld der uns immer deutlicher werdenden planetaren Grenzen (Klima und Umwelt).
In all diesen Bereichen ist eine Menge Bewegung. Die Veränderungen sind groß und verstärken sich gegenseitig. Streng genommen kann man diese Bereiche auch nicht wirklich voneinander getrennt betrachten. Und dennoch tun wir es, denn wir verstehen es als ein Konzept, mit dessen Hilfe wir Ereignisse im Gesamtbild besser verorten können. Es ist ein Weg, um das Gesamtkonstrukt unserer heutigen Welt besser zu greifen und folglich das Gefühl der Unsicherheit dadurch zu überwinden. Indem wir das große Ganze sortieren, wird es verdaulicher. Wir gehen schrittweise vor und können uns Umfeld für Umfeld an die Veränderungen anpassen oder, je nachdem, wo auf dem Zeitstrahl wir uns gerade zu befinden glauben, auf die zu erwartenden Veränderungen vorbereiten.
1. Das Umfeld der Digitalisierung (Cyber und IT)
Die Coronapandemie sollte die letzten Zweifler davon überzeugt haben, dass die Digitalisierung in hohem Tempo und in immer mehr Bereichen voranschreitet. So haben binnen Tagen Millionen von Arbeitnehmern ins Homeoffice wechseln können, was in der Regel so gut funktioniert, dass neue Arbeitsmodelle post Corona nachwirken werden. Mit der Automatisierung von Prozessen oder cloudbasierten Infrastrukturen schafft die Digitalisierung für Unternehmen neue Chancen für Innovation und Wachstum und sogar Resilienz.
Andererseits haben diese großen Veränderungen auch die Angreifbarkeit für Cyberattacken erhöht. Allein die bessere digitale Vernetzung innerhalb von Unternehmen erhöht logischerweise auch ihre Verletzlichkeit. Mit dramatischen Folgen: »Kriminelle Attacken auf Unternehmen verursachen in Deutschland Rekordschäden. Durch Sabotage, Datendiebstahl oder Spionage entsteht der deutschen Wirtschaft jährlich ein Gesamtschaden von 102,9 Milliarden Euro – analoge und digitale Angriffe zusammengenommen«, meldete etwa der Digitalverband Bitkom: »Der Schaden ist damit fast doppelt so hoch wie noch vor zwei Jahren.« 3 Das Gleiche gilt für Regierungen, die zunehmend Cyberattacken im Blick haben, sowohl auf politischer Ebene als auch hinsichtlich ihrer eigenen Bildungsstrukturen und ihrer Wirtschaft. Insbesondere internationale Unternehmen stehen hier vor der neuen Herausforderung, dass sich die jeweiligen nationalen oder regionalen datenschutzrechtlichen Vorschriften stark unterscheiden.
Der beste Weg, mit den Unsicherheiten in diesem Umfeld umzugehen, ist ein genaues Verständnis der jeweiligen national spezifischen datenschutzrechtlichen Richtlinien. Wenn nicht schon geschehen, sollten Unternehmen in diesem Jahr ihre IT-Sicherheit optimieren, um in Zeiten von Homeoffice als Unternehmen nicht nur voll funktionsfähig zu sein, sondern auch besser geschützt. Das Gleiche gilt für die zunehmende Digitalisierung von Produktionen. Auch diese können durch eine kluge IT-Absicherung die Gefahr eines Ausfalls im Falle eines Hackerangriffs reduzieren. Am wichtigsten aber bleiben die Menschen. Wer Mitarbeiter für den richtigen Umgang mit der IT schult, wird nicht nur das meiste aus der Digitalisierung für sein Unternehmen herausholen, sondern auch am besten mit neuen Unvorhersehbarkeiten umgehen, resilient sein.
2. Politische Rahmenbedingungen (Politik und Gesetze)
Eine der Grundideen der Europäischen Union ist die freie Beweglichkeit von Menschen, Arbeit, Kapital und Waren innerhalb der Union. Politische Rahmenbedingungen sollten kein Hindernis mehr für diese Freiheiten darstellen. Freiheiten für Unternehmen, nicht über sich ändernde oder variierende Vorschriften für den Handel mit Unionsmitgliedern nachdenken zu müssen. Doch spätestens das Brexit-Referendum im Juni 2016 hat gezeigt, dass diese Sicherheit selbst in der EU nicht für immer gegeben ist. Obgleich der Brexit Ende 2020 doch noch vertraglich geregelt werden konnte, war die Unsicherheit für britische Unternehmen und in UK ansässige internationale Konzerne über ganze viereinhalb Jahre sehr groß – vielleicht zu groß, um es nicht noch einmal erleben zu wollen. Rückblickend zogen viele in London ansässige internationale Firmen »rechtzeitig« nach Brüssel, Paris oder Frankfurt. Manch einer wünscht sich heute vielleicht , es getan zu haben. Unternehmen sollten folglich politisch wach bleiben, um rechtzeitig Tendenzen zu erkennen und möglichst früh ihre Strategien an die sich ändernden oder sich zu ändern drohenden politischen Rahmenbedingungen anzupassen.
Auch das Feld der datenschutzrechtlichen Richtlinien gehört hierzu. Denn auch wenn die EU 2018 mit der DSGVO eine einheitliche Verordnung für die Mitgliedsländer auf den Weg gebracht hat, ist deren Einhaltung für viele Unternehmen bis heute schwer und hat hierzulande zu hohen Bußgeldern geführt. So wurde erst kürzlich eine Strafe in Höhe von 35 Millionen Euro gegen den schwedischen Modehersteller H&M verhängt.4 Unternehmen sollten sich und ihre IT-Abteilungen entweder selbst schlau machen oder auf spezialisierte Dienstleister zurückgreifen. Eine gute Cybersicherheits-Governance kann zudem entscheidend sein für die Reduzierung der potenziellen D&O-Haftung.
3. Das Umfeld der öffentlichen Wahrnehmung (Vertrauen und Reputation)
Vertrauen und Reputation spielen heute für Unternehmen eine viel größere Rolle. Der traditionelle Shareholder-Value wird zunehmend von einem breiteren Stakeholder-Value ersetzt. Mit anderen Worten: Eine breitere Öffentlichkeit, nicht nur die am Unternehmen beteiligten Akteure, hat Interesse an den Unternehmen und kann ihren Wert beeinflussen. Die wachsende Bedeutung und der wachsende Einfluss der Reputation geht einher mit einer wachsenden Bedeutung von immateriellen Vermögensgegenständen. Laut MSCI machen diese heute sogar bis zu 80 Prozent des Wertes von S&P-500-Unternehmen aus.5 Reputation bestimmt also zunehmend Börsenwerte, was auch eine Studie der RapTrak Company zeigte.6
Wenn also die Reputation eine so große Rolle für Unternehmen spielt, sollte sie es auch für Risikomanager tun. Hier gibt es zwei zentrale Ansätze: Erstens sollte im Markt und in der Öffentlichkeit stets nach ersten Warnhinweisen Ausschau gehalten werden. Dazu gehört nicht nur die kritische Öffentlichkeit, sondern auch die Auswirkungen von Falschinformationen wie Fake-News-Kampagnen. Wer wachsam und ernsthaft seine Stakeholder und deren Stimmungen beobachtet, wird Störfeuer rechtzeig erkennen und sie entsprechend früh adressieren können. Dafür braucht es aber, zweitens, eine wichtige Allianz innerhalb der Unternehmen mit den jeweiligen Managern der Risikofelder, den Risk Ownern. Was bringt es etwa, wenn die Kommunikationsabteilung auf ein kritisches Thema hinweist und Ansätze vorschlägt, um entgegenzusteuern, die im Widerspruch zu der Kernstrategie des Unternehmens stehen? Risikomanager sind heute mehr denn je als Strippenzieher in Unternehmen gefragt. Wer es schafft, die Akteure der unterschiedlichen Bereiche für die Bedeutung von Reputationsrisiken zu sensibilisieren, wird für den Ernstfall besser vorbereitet sein oder ihn gar nicht erst erleben müssen.
4. Das geopolitische Umfeld (Internationale Politik)
Spätestens seit Corona wissen wir, wie stark vernetzt wir auf dieser Erde sind. Und wie stark Unternehmen den globalen Zeitläufen ausgeliefert sein können. Tatsächlich geht es hier um die Auswirkungen, die das Regierungshandeln anderer Länder auf Unternehmen haben können. Seien es die unterschiedlichen Reaktionen auf die Pandemie oder Strafzölle aufgrund von Handelsstreitigkeiten wie etwa im Konflikt zwischen den USA beziehungsweise der Trump-Regierung und dem Rest der Welt. Gerade die Trump-Ära hat gezeigt, wie unzuverlässig Handelsabkommen sein können, wenn Regierungschefs ihre verfassungsrechtlichen Grenzen testen. International hat der damit einhergehende Bruch in den transatlantischen Beziehungen viel Vertrauen zerstört und gezeigt, wie unvorhersehbar politische Rahmenbedingungen trotz aller Bemühungen sein können. Doch nicht nur wirtschaftliche, auch militärische Konflikte zwischen Staaten können sich mittelbar auf die Pläne von Unternehmen auswirken.
Unternehmen sind deshalb gut beraten, geopolitisch wach zu bleiben. Wer neue politische Entwicklungen in Drittländern mitbekommt, wer innenpolitische Unruhen oder Handelsstreitigkeiten verfolgt, der wird zwar nicht das Gefühl haben, das aufgewühlte Fahrwasser beruhigen zu können, aber immerhin es besser einzuordnen wissen und folglich seine Pläne und Strategien danach auszurichten. Dabei sollte der Blick stets auf die gesamte Wertschöpfungskette gerichtet sein. Auch der vermeintlich ferne Erzeuger eines verarbeiteten Rohstoffes oder der Bedarf eines nicht unmittelbar bekannten Endverbrauchers, für den die eigenen Kunden das erzeugte Produkt oder die gebotene Dienstleistung benötigen, können sich elementar auf das Unternehmen auswirken.
5. Das Umfeld der planetaren Grenzen (Klima und Umwelt)
Die Coronapandemie und die Klimakrise haben viele Gemeinsamkeiten. Sie wirken über Grenzen hinweg und betreffen alle Menschen, weshalb auch gerne von Menschheitskrisen gesprochen wird. Zudem wird die Klimakrise – noch – als eine »low frequency/high impact catastrophic risk« eingestuft, wobei die »low frequency« zunehmend infrage zu stellen ist. Die brennenden Wälder in Australien und Kalifornien sollten die letzten Klimaleugner zum Nachdenken gebracht haben. Mit anderen Worten: Die Klimakrise wird zunehmend zur »high freqency/high impact risk« – »I want you to panic«, sagte die weltbekannte Klimaaktivistin Greta Thunberg erstmals beim Weltwirtschaftsforum in Davos 2019.
Und dennoch fühlen sich Unternehmen nicht gut auf entsprechende Veränderungen in der Gesetzgebung vorbereitet, beziehungsweise nur 36,6 Prozent fühlen sich gut informiert, wie eine AIRMIC-Umfrage ergab. Darüber hinaus haben 51 Prozent noch nicht einmal hinterfragt, ob ihre Versicherungen sie im Falle einer umweltbezogenen Klage schützen würden.7
Andererseits steigt die Anzahl derjenigen Unternehmen, auch der großen, die sich auf das Ziel von null Emissionen bis 2050 festlegen. Es passiert also etwas. Und sicherlich trägt auch der »millennial socialism« dazu bei. Das heißt, der Druck der jungen Generation wird zunehmend gehört. Auch Regierungen überall auf der Welt haben begonnen zu handeln, wie etwa der in 2020 verabschiedete European Green Deal der Europäischen Kommission zeigte. Die Frage ist, ob es nun drastisch genug ist oder eben nicht und in welcher Geschwindigkeit Regierungen den Wandel zu einer Low-Carbon Economy verlangen werden. Unternehmen sollten nicht versuchen, auf Zeit zu spielen, um die Gefahr zu vermeiden, von beschleunigten gesetzlichen Änderungen überrumpelt zu werden.
Zunehmend an Bedeutung gewinnen dabei die Empfehlungen der 2017 gegründeten Expertenkommission »Task Force on Climate-related Financial Disclosures« (TCFD) der G20 zu einer einheitlichen Klimaberichterstattung für Unternehmen. Nicht nur Konsumenten und Regierungen, sondern auch Banken, Investoren oder Versicherungen werden vermehrt Fragen stellen, die über den CO2-Fußabdruck der Unternehmen hinausgehen. Unternehmen sind folglich am besten damit beraten, sich möglichst heute, spätestens zum erwarteten Post-Corona-Aufschwung anhand TCFD-bezogener Fragen zu orientieren und messen zu lassen. Oder anders gesagt: anhand der Fragen der nächsten Generation.
Megatrends strukturieren die Szenarioplanung, um bestmöglich auf unvorhersehbare Ereignisse vorbereitet zu sein. Auch solche, die hoffentlich nie eintreten werden. Die Coronapandemie hat gezeigt, dass es nicht reicht, am Status quo festzuhalten. Obwohl unvorhergesehene Ereignisse meist nicht in unserer Kontrolle liegen, ist es dennoch entscheidend, wie agil und flexibel wir ihnen entgegentreten und wie präventiv wir planen, um auch kurzfristig handeln zu können. Versicherungsunternehmen sind perfekt aufgestellt, um eine globale Übersicht über die Unternehmensgeschäfte und das Engagement in vielen Branchen zu haben und Megatrends frühzeitig zu erkennen. Für Unternehmen können sie die besten Praktiken zu Risikomanagementtechniken zusammenstellen, um erhöhtes ein Risiko und damit einhergehende Kosten zu vermeiden.
Megatrends helfen, notwendige Anpassungen zu erkennen und diese vorzunehmen. Schritt für Schritt. Umfeld für Umfeld. Darin liegen die Chancen. Chancen für die nun beginnenden neuen 20er-Jahre. Packen wir sie an!
Anmerkungen
1 QBE Europe SA/NV (2019): »The QBE Unpredictability Index«, Düsseldorf
2 Zukunftsinstitut (2020): »Megatrends«, https://www.zukunftsinstitut.de/dossier/megatrends, Stand: 11.01.21.
3 Bitkom (November 2019): Angriffsziel deutsche Wirtschaft: mehr als 100 Milliarden Euro Schaden pro Jahr, https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Angriffsziel-deutsche-Wirtschaft-mehr-als-100-Milliarden-Euro-Schaden-pro-Jahr
4 Heise online (Oktober 2020): »Datenschutz: Deutsche Rekordbuße von 35,3 Millionen Euro gegen H&M«, https://www.heise.de/news/DSGVO-Deutsche-Rekordbusse-von-35-3-Millionen-Euro-gegen-H-M-4917437.html
5 »Top risks and megatrends report 2020«, Airmic annual report survey.
6 »Top risks and megatrends report 2020«, Airmic annual report survey
7 »Top risks and megatrends report 2020«, Airmic annual report survey.