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Louise Michel

DIE PARISER
COMMUNE

Aus dem Französischen
von Veronika Berger
Die Gedichte übersetzte Eva Geber

mandelbaum verlag

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT DER ÜBERSETZERIN

VORWORT VON LOUISE MICHEL

1DIE AGONIE DES KAISERREICHS

IDas Erwachen

IIDie Literatur am Ende des Kaiserreichs – Friedensbekundungen

IIIDie Internationale – Ihre Gründung und die Prozesse gegen sie – Die Proteste der Internationalisten gegen den Krieg

IVVictor Noirs Begräbnis – Rochefort erzählt die Affäre

VDer Prozess von Blois

VIDer Krieg – Offizielle Depeschen

VIIDie Affäre von La Villette – Sedan

2DIE REPUBLIK DES 4. SEPTEMBER

IDer vierte September

IIDie nationale Reform

IIIDer 31. Oktober

IVVom 31. Oktober zum 22. Januar

VDer 22. Januar

VIEinige Republikaner in Armee und Flotte – Die Pläne von Rossel und Lullier

VIIDie Versammlung von Bordeaux – Der Einmarsch der Preußen in Paris

VIIIWeltweite Erhebungen für die Freiheit

IXDie Frauen von 1870

3DIE COMMUNE

IDer 18. März

IIDie Lügen von Versailles – Das Manifest, das Zentralkomitee

IIIDie Affäre des 22. März

IVDie Proklamation der Commune

VErste Tage der Commune – Die Maßnahmen – Das Leben in Paris

VIDer Angriff von Versailles Unveröffentlichter Bericht von Hector France und Cipriani über den Tod von Flourens

VIIErinnerungen

VIIIDie Flut steigt

IXDie Commune in der Provinz

XDie Armee der Commune – Die Frauen von ’71

XILetzte Tage der Freiheit

XIIDie Freimaurer

XIIIWie Blanqui gegen den Erzbischof und andere Geiseln ausgetauscht werden sollte

XIVDas Ende

4DAS BLUTBAD

IDer Kampf in Paris – Das Schlachten

IIDer kalte Jagdanteil

IIIDie Festungen Satory und Versailles

IVDie Gefängnisse von Versailles – Die Pfähle von Satory – Verurteilungen

5SEITDEM

IGefängnisse und Pontons – Die Reise nach Neukaledonien – Rocheforts Flucht – Das Leben in Neukaledonien – Die Rückkehr

IIDie Rückkehr

ANHANG

IBericht von Béatrix Excoffon

IIBrief eines Gefangenen von Brest

IIIVon den Verbannten aus dem Londoner Exil 1874 veröffentlicht

NACHWORT

Auszüge aus dem Memorandums eines Verlegers Von Paul-Victor Stock

GLOSSAR

VORWORT DER ÜBERSETZERIN

Als Louise Michel La Commune 1895 ihrem Verleger übergab, lagen die Ereignisse, die sie darin beschreibt, bereits 24 Jahre zurück. Zwischen der blutigen Maiwoche und der Fertigstellung des Buches standen Einkerkerung, Prozess, Deportation und die Rückkehr in ein paranoides, immer noch vom Ausgang des Deutsch-Französischen Krieges gebeuteltes, vom Militär beherrschtes Frankreich. Auf dem Schiff in die Verbannung erkennt sie, dass sie, nach allem, was sie erlebt und gesehen hat, Anarchistin geworden ist, weil jegliche Macht verflucht ist, weil auch der Redlichste, Ehrenvollste entweder von der Macht korrumpiert werden muss, wenn er schwach ist, oder an ihr sterben muss, weil er sich aufopfert.

Letzteres war vielen ihrer Mitstreiter und Mitstreiterinnen widerfahren: Sie hatten sich ehrenvoll verhalten, zu ehrenvoll, wie Michel in diesem Buch nicht aufhören wird zu betonen, denn sie hatten nicht mit der Rachsucht der Bourgeoisie gerechnet, die in blutigem Vernichtungswillen enden musste, sie hatten geglaubt, man könne auf Augenhöhe verhandeln, sich mit Humanismus und geistiger Größe die Freiheit verdienen.

Louise Michel will mit ihrer Commune all diesen Menschen ein Denkmal setzen, sie will dem Vergessen entgegenwirken, vor allem will sie zukünftigen Generationen ein Vermächtnis hinterlassen, damit sie verstehen, lernen und manche Fehler nicht mehr machen müssen; aber auch damit sie glauben können: an den Fortschritt der Menschheit, an ihren Mut, an die Kraft, mit der Völker immer wieder aufgestanden sind, aufstehen und aufstehen werden, um gegen Unrecht zu kämpfen.

Sie realisiert dieses Projekt mit großer Akribie, mit besonderer Redlichkeit und Genauigkeit, denn wir sollen uns mit ihrer Hilfe an alles erinnern. Niemand, der in diesem unglaublichen Kraftakt, den die Commune darstellt, eine Rolle spielte, soll vergessen werden. Und das nimmt Louise Michel so ernst, dass sie nicht müde wird, Namen zu nennen, von Angeklagten in den Prozessen gegen die Erste Internationale, von Anwesenden bei wichtigen Beschlüssen, von Kämpfern und Kämpferinnen, von Toten. Sie will alle gleichermaßen genannt haben, denn es kommt im Ernstfall nicht nur auf jeden, auf jede an, sondern vielmehr muss auch jeder, jede gewürdigt werden, damit Gerechtigkeit geschehen kann. Einem heutigen Leser, einer Leserin der Gegenwart, vor allem im deutschsprachigen Raum, werden sicherlich einige dieser Namen nichts bedeuten, weshalb über viele von ihnen, soweit sie uns nachverfolgbar waren, im Glossar am Ende des Buches weitere Informationen nachzulesen sind.

Louise Michel holt weit aus, um zu erklären, was der Commune voranging, warum es zu einer Commune kommen musste. Wir lesen im Briefverkehr von Offizieren mit dem Kriegsministerium, damit wir begreifen, dass dieser Krieg für Frankreich von vornherein verloren war. Wenn wir sehen, welche Auswirkungen der verlorene Krieg in den Köpfen vieler Franzosen und Französinnen zeigte, welche tiefe Verbitterung und Feindschaft diese Niederlage hinterließ, dann verstehen wir vielleicht, dass dieser Exkurs in den Dschungel militärischer Depeschen wichtig gewesen sein mag, um darüber aufzuklären, dass der wirkliche Feind der französischen Bevölkerung die eigene Regierung war.

Louise Michel war Lehrerin, und sie unterrichtete gern, vielmehr noch erfüllte sie aber der Wille zu kämpfen. Nicht ohne Augenzwinkern und Selbstironie beschreibt sie sich als Frau mit der Flinte in der Hand. Wir können regelrecht sehen, wie sie aufblüht, wenn sie draußen im Feld steht, auf einem Hügel, der gerade beschossen wird, in einem Graben, in den Granaten einschlagen. Da spürt sie sich und lebt, gerade weil das Sterben so nahe kommt. Ihr Zorn gegen die Mächtigen kann manchmal in Übermut umschlagen, wenn sie den Tod herausfordert, wenn sie Richter provoziert, sie mögen sie doch hinrichten lassen, damit endlich klar würde, was von einer Regierung zu halten sei, die sich an Frauen vergreift.

Michels Buch lässt uns sehr nahe an die Geschehnisse herankommen, die der Commune vorangingen, und es lässt uns die Ereignisse hautnah miterleben, die sie formten und die zu ihrem Untergang führten.

Wir hören die Zwischenrufe der Internationalisten während der Prozesse und können nicht umhin, über deren Klarsicht und Klugheit zu staunen: Es war alles bereits da, man wusste, was Kapitalismus bedeutete, man wusste, wozu er fähig war und wovor man sich schützen sollte. Man wusste auch, wie staatliches Spitzelwesen funktionierte, und man genoss den Wortwitz, mit dem man sich diesem System entgegenstellte.

Wir dürfen an den Entscheidungen der Kommunarden und Kommunardinnen teilhaben und uns daran freuen, dass es hier, wenn auch für so kurze Zeit, möglich war, Strukturen der Gleichberechtigung zu verwirklichen.

Wir müssen leiden, wenn wir lesen, auf welche Weise das Projekt Commune zerschlagen wurde, wenn wir erfahren, wie Menschen an dem, was sie mitansehen mussten, verrückt wurden, weil sie bis dahin an Menschlichkeit geglaubt hatten.

Wir sehen, hören und fühlen, wie vor 150 Jahren Menschen für ein besseres Leben, eine bessere Welt gekämpft haben, und wir stehen am Ende dankbar auf, weil sie es auch für uns getan haben.

Für die Übersetzerin stellte die Stilvielfalt in Michels Buch durchaus ebenso eine Herausforderung dar wie das Faktum, dass Michel eine zeitgenössische Leserschaft vor Augen hatte, der sie bestimmte Details der französischen Politik, bestimmte Namen nicht erst erklären musste, da sie noch gegenwärtig waren. Auch hier soll das Glossar dienlich sein. Die Begriffe, die Sie im Glossar erklärt finden, sind im Text mit einem Sternchen versehen.

Louise Michel konnte in glühender Leidenschaft für eine Sache entbrennen; dann bediente sie sich einer sehr lyrischen, expressiven, ja durchaus exaltierten Sprache. Da sie Lyrikerin war, was sie mit Victor Hugo eng verband, der ihre Gedichte sehr schätzte, wird jedes Kapitel mit ein paar Versen eingeleitet und in vielen Kapiteln begleiten Gedichte den Bericht. Eva Geber hat diese Gedichte mit feiner Feder übersetzt und, wo es ohne Verdrehung des Inhalts ging, auch deren Reim und Rhythmus ins Deutsche herübergerettet.

Mögen Michels Aufzeichnungen über die Pariser Commune uns helfen, ein klareres Bild vom Kampf für eine bessere Zukunft zu erhalten.

VERONIKA BERGER, Oktober 2020

An der Mauer stehend, vor der man im Mai 1871 die Kommunarden erschoss, sende ich meinen Gruß an jene Toten, mit denen man heute die Massengräber füllt: an die Märtyrer auf dem Montjuich, an die Armenier, deren Kehlen durchschnitten wurden, an Spaniens unterworfene Massen, an die vielen Menschen, die man in Mailand und andernorts abgeschlachtet hat, an Griechenland, das man unter das Joch gezwungen hat, und an Kuba, das nicht müde wird, sich immer wieder zu erheben, sowie an das edle Volk der Vereinigten Staaten, das für die Freiheit kämpft, um dieser heldenhaften Insel beizustehen.

Da man uns nun nicht mehr erlaubt, diese Dinge laut auszusprechen, widme ich diesen Toten mein Buch. Aus jeder Seite steigt, wenn man sie hebt wie die Platte auf dem Grab, das es zu öffnen gilt, die Erinnerung an sie empor.

L. MICHEL, Paris, den 10. Juni 1898

VORWORT

Wenn das Volk, heute noch still,

Brüllt wie der Ozean,

Zu sterben bereit ist und will,

Bricht die Commune sich Bahn.

Wir werden kommen, ohne Zahl,

Rächende Geister verlassen die Nacht,

Wir werden kommen von überall,

Hand fest in Hand – wir sind erwacht.

Der Tod wird das Banner tragen;

Die schwarze Fahne voll von Blut;

Und purpurn blühen wird die Erde,

Frei unter des Himmels Glut.

L. M., Chanson des prisons, Mai ’71

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist die Commune reif für die Geschichte.

Aus der Distanz von 25 Jahren zeichnen sich die Fakten unter ihrem wahren Antlitz ab.

Weit hinter dem Horizont häufen sich die Ereignisse heute auf ähnliche Weise, mit einem Unterschied, dass nämlich damals vor allem Frankreich erwachte, heute aber die Welt es tut.

Wenige Jahre vor seinem Ende klammerte sich das röchelnde Kaiserreich an alles: an den Grashalm wie an den Felsen; der Fels selbst bröckelte, das Kaiserreich klammerte sich mit blutenden Krallen umso stärker an, dauerte fort, auch wenn unter ihm nur noch der Abgrund gähnte.

Schließlich fiel es, zermalmt von dem Berg, der mit ihm fiel.

Seit Sedan* leben wir in einer gespenstischen Zeit, und wir selbst sind Schreckgespenste, da wir durch so viele Tote hindurch unser Leben gelebt haben.

Diese unsere Epoche ist der Prolog zu jenem Drama, das die Ausrichtung menschlicher Gesellschaften grundlegend verändern wird. Unsere Sprache ist unvollkommen und vermag die Größe unserer Vergangenheit und zugleich ihre Schrecken nicht wiederzugeben; diese Vergangenheit verschwindet und vermischt sich mit der Zukunft, die vor uns aufsteht. In diesem Buch habe ich versucht, das Drama von 1871 wieder aufleben zu lassen.

Eine Welt, die aus den Trümmern der alten, sterbenden Welt emporsteigt.

Ja, die heutige Zeit ähnelt wohl dem Ende des Kaiserreichs, ähnlich die heftige Gewalt der Repression, die scharfe Wildheit, mit der blutige Gräueltaten begangen werden, die man von einer grausamen Vergangenheit abkupfert.

Als ob irgendetwas die übermächtige Anziehungskraft verhindern könnte, die der Fortschritt auf uns ausübt! Man kann Gedanken weder mit Kanonenkugeln töten noch ihnen Daumenschrauben anlegen.

Das Ende kommt bald, je realer die ideale Zeit erscheint, stark und schön, wirklicher als alle erfundenen Geschichten, die ihr vorangingen.

Je schwerer die Gegenwart, je mehr sie die Massen zu zerquetschen sucht, umso schneller werden diese der Befreiung entgegeneilen.

Dieses Buch zu schreiben bedeutet, die schrecklichen Tage wieder zu erleben, in denen die Freiheit uns mit ihrem Flügel streifte, als sie sich vom Schlachthof erhob; es bedeutet, das blutige Grab wieder zu öffnen, in dem die schöne Commune sich unter einer tödlichen Feuerkuppel zu ihrer Vermählung mit dem Tod, zu einer roten Märtyrerhochzeit schlafen legte.

Für diese ihre schreckliche Größe, für ihren Mut in der letzten Stunde seien ihr die Skrupel, sei ihr das übergroßer Ehrbarkeit geschuldete Zögern verziehen.

In den Kämpfen, die noch kommen werden, wird man diese großzügige Zurückhaltung nicht mehr finden, denn wenn ein Volk unterliegt, lässt man es wie Schlachtvieh ausbluten; was man also finden wird, ist unerbittliche Pflichterfüllung.

Auf der Seite von Versailles1 gab es eine winzige Handvoll Toter, doch ein jeder davon verursachte tausende Opfer, die er auf dem Altar seiner Vorfahren schlachtete. Auf der Seite der Commune gab es Opfer ohne Namen, ohne Zahl; man konnte die Leichen auf den Haufen nicht zählen; die offiziellen Listen gaben 30.000 zu, aber der Wahrheit entsprechen wohl 100.000 und mehr.

Obwohl man die Toten karrenweise wegbrachte, gab es ohne Unterlass neue Leichenberge; wie Weizen, der haufenweise zur Aussaat bereitliegt, wurden sie hastig verscharrt, und die Fliegenschwärme rund um die Massengräber versetzten die Schlächter in Angst und Schrecken.

Einen Augenblick lang hatte man gehofft, im Frieden Erlösung zu finden; die Welt wartete und wartet immer noch auf die Marianne* unserer Väter, die Schöne, wie sie sie nannten. Wir erhoffen sie noch schöner, da sie sich so lange Zeit lässt.

Hart sind die Etappen, sie werden nicht ewig dauern. Ewig ist der Fortschritt, der neue Ideale auf den Horizont schreibt, wenn das erreicht sein wird, was gestern utopisch schien.

Denn diese unsere abscheuliche Zeit hätten jene Menschen paradiesisch genannt, die ihre Beute und ihre Lagerstatt gegen große Raubtiere verteidigen mussten.

Wie auch die Zeit der Höhlen verging, wird unsere Zeit verschwinden; gestern wie heute, eine tot wie die andere.

Während all der Nachtwachen ließen wir die vergangenen Freiheitskämpfe gern immer wieder aufleben, und so erinnern wir uns nun in Erwartung eines neuen Aufbruchs an die Tage der Commune und an die 25 Jahre, die uns vom Massengrab von 1871 bis zur gerade aufgehenden Morgenröte länger scheinen als ein ganzes Jahrhundert.

Heroische Zeiten brechen an; die Massen versammeln sich wie Bienenschwärme im Frühling; die Barden stehen auf und singen von den neuen Taten, und das Mai-Gespenst2 wird seine Stimme unter all den Waffen erheben, die dem Morgen entgegenschauen.

London, am 20. Mai 1898

1Auf der Seite der unter Thiers gegen die Commune vorgehenden Versailler Republikaner.

2Das Mai-Gespenst ist das Gespenst des Massakers an den Kommunarden im Mai 1871.

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1

DIE AGONIE DES KAISERREICHS

I

Das Erwachen

Das Empire siecht dahin und tötet nach Laune.

In seinem Haus, wo der Boden nach Blut riecht,

regiert es; aber im Äther tönt als leises Raunen

die Marseillaise. Die Sonne geht auf im blutroten Licht.

L. M., Chanson des geôles

Frankreich schien tot in dieser Nacht des Entsetzens, die seit Dezember über dem Dritten Kaiserreich* lag. Aber immer dann, wenn Nationen gleichsam wie im Grab schlafen, regt sich im Geheimen das Leben, dehnt sich aus und verzweigt sich. Ereignisse rufen hinaus, antworten einander wie Echos, wie eine vibrierende Saite, die eine weitere in Schwingung versetzt.

Das Erwachen aus diesem Scheintod ist grandios, und die langsam in evolutionären Prozessen gereiften Veränderungen brechen nun auf.

Nun werden alle Wesen von einem Hauch eingehüllt, der sie zusammenführt, der sie trägt, so dass die Tat dem Willen vorauszugehen scheint. Die Ereignisse überschlagen sich, und in dieser Stunde werden Herzen geschmiedet wie Schwerter in lodernder Hitze.

Dort, wo die Wirbelstürme Himmel und Erde zu einer einzigen Nacht zusammenwachsen lassen, wo Fluten, die wie aus menschlicher Brust ächzen, ihre weißen Schaumkrallen unter dem Brüllen des Windes wütend gegen die Felsen werfen, dort fühlt man sich inmitten entfesselter Elemente in die Tiefe der Zeit zurückgeschleudert.

Im Sturm der Revolution schaut man hingegen nach vorn.

Die Überschrift dieses Kapitels mag vermitteln, was die Menschen, die sich für den Freiheitskampf entschieden hatten, am Ende des Kaiserreichs empfanden.

Die Freiheit kam über die Welt, die Internationale war ihre Stimme und schrie über alle Grenzen hinweg die Forderungen der Enterbten hinaus.

Polizeikomplotte wurden aufgedeckt und zeigten ihre im Hause Bonaparte erdachten Machenschaften:

Die Zerschlagung der Römischen Republik*, die hässliche Kehrseite der chinesischen und mexikanischen Expeditionen*, das Andenken an die Toten des Staatstreichs, all dies formte den traurigen Marsch für jenen, den Victor Hugo »Napoleon den Kleinen« nannte und der bis zum Bauch seines Pferdes in Blut watete.

Überall stieg wie in einer Flutwelle das Elend, und es waren nicht die Kredite an die Gesellschaft des kaiserlichen Prinzen, die groß dafür verantwortlich waren, obwohl Paris schwere Steuern für diese Gesellschaft zahlte und immer noch um die zwei Millionen Schulden hat.

Napoleon III. umgab ein unüberwindlich scheinendes Bollwerk bestehend aus dem Terror, der rund um den Elysée-Palast tobte, während man darin feierte, aus der Legendenbildung des Ersten Kaiserreichs und weil sieben Millionen Stimmen ihn aus Furcht oder Bestechlichkeit gewählt hatten.

Der Mann mit dem verschleierten Blick hoffte ewig fortzudauern, doch die Festungsmauer bekam Risse und durch jenen von Sedan kam schließlich die Revolution.

Niemand von uns dachte damals, dass es etwas geben könnte, das den Verbrechen des Kaiserreichs gliche.

Jene Zeit und die unsere ähneln einander, wie Rochefort es ausgedrückt hat, wie zwei Blutstropfen.

In jener Hölle sangen, wie heute, die Dichter das Lied von Leben und Tod, die einen in glühenden Strophen, die anderen mit bitterem Lachen.

So viele unserer damaligen Lieder sind heute aktuell.

Das Brot ist teuer, an Geld fehlt’s sehr,

Herr Haussmann lässt die Mieten heben,

Das Regime geizt und gibt nichts her,

Nur Spitzeln mag es gerne geben!

Das lange Fasten drückt sie nieder,

Die Armen, und nimmt alle Kraft.

Und doch kann’s sein, die müden Glieder

Fühl’n sich zum Widerstand erwacht!

Tanzen wir den Bonaparte,

Wir sind es nicht, die sich vollfressen,

Tanzen wir den Bonaparte,

und statt Essen

setzen wir Geigen auf die Karte!

J.-B. CLÉMENT

Wir waren nicht um Worte verlegen, wenn es darum ging, den Machthabern ihre Schandtaten an den Kopf zu werfen.

Das Lied der »Badinguette«* brachte die kaiserlichen Banden dazu, vor Wut zu brüllen.

Freunde der Macht,

Wollt ihr wissen,

Wie Badinguette

Mit einem Schlag

Zufällig

zu Madame César gerät?

Die Schöne lebte in Spanien,

Ganz hinten.

Ah! Wie genießt sie es, Champagner

Zu trinken!

Freunde der Macht, etc.

Ob mein Volk schreit oder flucht –

mir ist’s gleich!

Wer in England Schnüffler wurde,

dann Henker,

wird ohne Skrupel und ganz leicht

Zuhälter.

Freunde der Macht, etc.

HENRI ROCHEFORT

Zu den freudigen Erinnerungen an unsere Gefängniszeit zählt dieses Badinguette-Lied, das wir, eine große Zahl gefangener Frauen, eines Abends auf dieser Baustelle in Versailles aus vollen Kehlen hinausschmetterten, zwischen zwei rauchenden Lampen, die unsere auf dem Boden ausgestreckten, gegen die Mauern gelehnten Leiber beleuchteten. Die Soldaten, die uns bewachten und für die das Kaiserreich noch fortdauerte, empfanden zugleich Entsetzen und Wut. Wir würden, so brüllten sie, einer exemplarischen Strafe unterzogen, weil wir Seine Majestät den Kaiser beleidigt hätten.

Auch folgendes Couplet, das vom Volk direkt aus den Fetzen, die von des Kaisers Kleidern überblieben, herausgeschüttelt worden war, besaß die Macht, unsere Bezwinger in Rage zu versetzen:

Die zwei und das ganze Packel,

Vater und Mutter Badingue

Und Badinguet, der kleine Lackel!

Die Überzeugung, das Kaiserreich würde weiterbestehen, hielt sich in der Versailler Armee derart hartnäckig, dass ich davon, wie zweifellos auch viele andere, in meiner Anklageschrift, die mir im Straflager von Versailles ausgehändigt wurde, in Kenntnis gesetzt wurde:

Gemäß dem Bericht und der Ansicht des Herrn Berichterstatters und den Schlussfolgerungen von Monsieur, dem Kaiserlichen Kommissar, der dazu tendiert, die Angeklagte vor den 6. Kriegsrat zu stellen usw.3

Die Regierung meinte, es würde sich nicht auszahlen, die Formulierung zu ändern.

Lange empörten wir uns über die Bereitschaft der Massen, sich in den letzten stürmischen Jahren von Napoleon III. mit dem Leiden abzufinden. Wir, die Enthusiasten der Befreiung, sahen diese so lange im Voraus kommen, dass unsere Ungeduld größer war. Ich erinnere mich an Fragmente dieser Zeit.

Denen, die Sklaven bleiben wollen

Da das Volk will, dass des Kaiseradlers Schwingen

Über seine Erniedrigung wachen,

Da es schläft, zerschmettert von eisigen Winden

Seiner ewigen Knechtschaft;

Dass man sie würgt, woll’n alle, immer wieder,

Die Brust dem Messer darbieten,

Dann, Freunde, werfen wir den Henker nieder,

Wir werden die Herde befrei’n!

Ein Einziger ist Legion, gibt er sein Leben,

Nachdem er allen ruft sein Adieu:

Einzeln geh’n wir, denn Mut kann erschrecken,

Wir haben das Schwert und das Feuer!

Schluss mit Feigheit, Feige sind Verräter;

Ja, trink, iss, schlaf, Meute;

Da du warten willst, wart, schleim dich ein bei den Herr’n.

Hast du noch nicht genug Tote?

Das Blut deiner Kinder färbte die Erde,

Schlaf im Kerker, stumm jede Wand.

Schlaf, sieh, Biene für Biene drängt sich als Herde

Das heroische Volk vom Stadtrand!

Montmartre, Belleville, ihr kühnen Legionen,

Kommt, Zeit ist’s für ein Ende.

Auf! Die Schmach wiegt schwer, schwerer die Ketten.

Auf! Dafür zu sterben ist schön!

L. M.

Oh! Wie lange schon hätte man sich das blutende Herz aus der Brust reißen wollen, um es dem kaiserlichen Monster ins Gesicht zu schleudern!

Wie lange schon sprachen wir, kalt entschlossen, diese Verse der Châtiments*:

Harmodius, es ist Zeit,

Du kannst diesen Mann ruhigen Gewissens schlagen.

So hätten wir es gemacht, so wie man einen störenden Stein von den Geleisen entfernen würde.

Damals hatte die Tyrannei nur einen Kopf, der Traum einer Zukunft hüllte uns ein. Der Dezembermann* schien uns das einzige Hindernis auf dem Weg zur Freiheit zu sein.

3Zu dieser Zeit, also nach der Niederschlagung der Commune 1871, herrschte in Frankreich bereits die Republik unter Thiers.

II

Die Literatur am Ende des Kaiserreichs – Friedensbekundungen

Raben, kommt. Kommt ohne Zahl.

Ihr werdet alle satt.

L. M., Chansons de ’78

Die seit zwanzig Jahren in der Stille gärende und aufgestaute Wut wurde überall hörbar; Die Gedanken befreiten sich von ihren Ketten, Bücher, die bislang nur geheim nach Frankreich gelangt waren, wurden plötzlich in Paris verlegt. Das Kaiserreich erschrak und setzte sich eine Maske auf, es ließ sich »liberal« nennen, aber niemand glaubte daran, und jedes Mal, wenn es an ’894 erinnern wollte, dachte man an ’525.

L’Échéance de ’69 (»Das Zahljahr ’69«) von Rogeart fasst die bereits ab ’66 herrschende allgemeine Stimmung zusammen.

»Die Niederlage von ’69«6, so sagte er, »ist ein Schicksalsdatum«. Mit einer Stimme erwartet man ’69 das Ende des Kaiserreichs. Man erhofft die Freiheit, wie Millenaristen die Rückkehr des Messias erhofften. Man weiß es, wie ein Astronom das Gesetz einer Sonnenfinsternis kennt; man muss nur seine Uhr ziehen und das Phänomen beobachten, während man die Minuten zählt, die »Frankreich noch vom Licht trennen«.

Die tieferen Ursachen liegen im konstanten und unabänderlichen Gegensatz zwischen den Neigungen der Regierungen und denen der Gesellschaft, in der permanenten Vergewaltigung aller Interessen der Regierten, im Widerspruch zwischen dem, was die Regierenden sagen und tun. In der Berufung auf die Prinzipien von ’89 und der Anwendung jener von ’52.

In der Notwendigkeit für Regierende, Krieg zu führen, vor allem Eroberungskriege, die ein existenzielles Prinzip der militärischen Monarchie darstellen, und in der Unbeliebtheit des Eroberungskrieges, der Annexion, der Plünderung und Invasion in einem Jahrhundert der Arbeit, der Industrie, der Bildung, einem etwas vernünftigeren Jahrhundert, als es die vorhergehenden waren.

In der Notwendigkeit, politische Polizei und politische Verwaltungsapparate einzusetzen, in einem Land, in dem die Regierung gegen die Nation kämpft, in einer Notwendigkeit, die Verwaltung und Polizei entehrt, die Missetäter beruhigt, aber ehrliche Menschen entmutigt.

ROGEART, Echéance de ’69, bei V. PARENT,

10, Montagne de Sion, 1866

In ebendiesem Werk schreibt Rogeart weiter:

Wir erleben einerseits eine spürbare Ausdehnung des Volkswillens und zugleich die Rückkehr kaiserlicher Unterdrückung; wenn etwas auf der einen Seite zusammengedrückt wird, während es sich von der anderen Seite her ausdehnt, dann ist klar, dass die Maschine in die Luft fliegen wird.

Ich sehe diesen Todeskampf wie Sie auch und ich will nicht warten. Die Volksmeinung wächst tatsächlich schnell, unwiderstehlich, ich gebe es zu, aber warum sollen wir dem Strom sagen: »Das bringt dich nicht schneller voran?«

Das Kaiserreich liegt im Sterben, das Kaiserreich ist tot, und mit solchen Aussagen hält man es am Leben. Es geht darum, ihm den Gnadenstoß zu versetzen, nicht ihm beim Röcheln zuzuhören. Wir sollten ihm nicht den Puls fühlen, sondern zum letzten Aufgebot blasen.

ROGEART, ebenda

Antonin Dubost, seitdem Siegelbewahrer, Justizminister der 3. Republik, Chronist der »lois scélérates«*, schrieb damals in Les Suspects, einem Werk, das über die Verbrechen des Kaiserreichs berichtete:

Als wir ihre Namen aufschrieben, war uns, als sähen wir ihre Köpfe, einen nach dem anderen, unter der Axt des Henkers fallen. Uns diesem Akt der Wiedergutmachung widmend, wollten wir das Andenken an die Toten rächen.

Die Stunde war gekommen, in welcher sie, ohne Motiv, ohne Erklärung, ohne Urteil in die Kerker der Macht geworfen und nach Cayenne oder Afrika transportiert werden würden.

ANTONIN DUBOST, 1868

Die Financiers, denen Napoleon III. Mexiko ausgeliefert hatte, erhofften von einem weiteren Eroberungskrieg7 neue Beute, die sie verschlingen könnten. Dieser Krieg versetzte dem Kaiserreich den Todesstoß. Einzelne ließen sich mitreißen, wie man etwa Meuten zur Jagdzeit mitziehen kann, aber weder die Fanfaren der Blechmusik noch die Versprechen der Pfaffen konnten die Massen begeistern, also stimmte das Kaiserreich die Marseillaise an. Nun standen sie auf, bewusstlos, und sangen, weil sie glaubten, mit der Marseillaise die Freiheit zu erlangen.

Denunzianten und Dummköpfe schrien: »Auf nach Berlin! Auf nach Berlin!«

»Auf nach Berlin!«, wiederholten die Leichtgläubigen, während sie sich vorstellten, den Deutschen Rhein zu singen, wenn sie dort ankämen. Aber diesmal konnte unser Glas den Rhein nicht fassen und es war unser Blut, in dem die Hufe der Pferde ihre Abdrücke hinterließen.

Die Financiers betraten die Bühne, einer von ihnen, Jecker, war bereits hinlänglich bekannt. Rochefort spricht in Les Aventures de ma vie folgendermaßen über ihn:

Man weiß, vielleicht aber weiß man es auch nicht mehr, dass dieser Finanzmann, korrupt wie übrigens alle Finanzmänner, der Regierung von General Miramont zu einem drei- bis vierhundertfach erhöhten Wucherzins allerhöchstens fünfzehnhunderttausend Francs geliehen, allerdings fünfundsiebzig Millionen in Schuldscheinen zurückerhalten hatte. Als der Präsident der mexikanischen Republik, Juarez, an die Macht kam, verweigerte er natürlich die Auszahlung der Schuldscheine, deren Unterschriften auf solch unverschämte Weise abgepresst worden waren.

Jecker, ausgestattet mit seinen papierenen fünfundsiebzig Millionen, ging zu Morny*, dem er dreißig Prozent Prämie versprach, wenn er den Kaiser dazu überredete, von Juarez die Einhaltung des Vertrags mit Miramont zu verlangen.

1870 hatte ich den Auftrag, Papiere, die man in den Tuilerien gefunden hatte, zu sichten, welche nach der Flucht der Kaiserin und ihrer Diener, von denen die Mehrheit versprochen hatte, für sie zu sterben, zurückgelassen worden waren, und ich fand den materiellen Beweis für die Verstrickung Mornys in diese Affäre: Er hatte uns nach dem Versprechen Jeckers, ihm von den fünfundsiebzig Millionen zweiundzwanzig zu überlassen, in einen die Freiheit zerstörenden Krieg verwickelt, der uns mehr als eine Milliarde kosten und Sedan vorbereiten würde.

Dieser Jecker, ein Schweizer, hatte von heute auf morgen die französische Staatsbürgerschaft erhalten, und es war in seinem Namen, dass dem tapferen Juarez die Forderung unterbreitet wurde. Diese Vorgangsweise wurde übrigens in annähernd exakt gleicher Weise bei der tunesischen Expedition wiederholt.

H. ROCHEFORT8

Einige Zeit nach dem Mexikokrieg schlug ein amerikanisches Duell* zwischen dem Journalisten Odysse Barot und dem Financier Jecker umso höhere Wellen, als Barot, den man im Voraus bereits für tot erklärte, da er eine Kugel in die Brust erhalten hatte, sich plötzlich wohler befand und sich schließlich ganz erholte, wobei er verkündete, dass die Feinde des Kaiserreichs zwar ein hartes, aber auch ein zähes Leben hätten. Seither hat man Finanzgeschäfte gesehen, die noch monströser waren als die in jener Zeit. Angesichts der Kriegstreiberei fanden Demonstrationen für den Frieden statt, an denen Studenten, Internationalisten und Revolutionäre teilnahmen.

Folgende Verse, die ich eine Nacht danach schrieb, vermitteln einen Eindruck davon:

Friedenskundgebung

Es ist Abend, wir marschieren in langen Reihen,

Rufen: Frieden! Frieden! entlang den Boulevards.

Im Schatten lauern die sklavischen Meuten.

Oh Freiheit! Kommt niemals dein Tag?

Und das Pflaster, die Stöcke schlagen es schwer,

Dumpf wiederhallend, der Verbrecher weicht nicht;

Blut soll auffrischen den welkenden Lorbeer,

Dazu braucht er Kampf, auch wenn Frankreich dran bricht.

Verfluchter! Fühlst du sie vor des Palastes Fenster?

Es ist dein Ende! Dein Albtraum zeigt, wie alles zerbirst,

So zieht durch Paris der Zug deiner Gespenster.

Hörst du’s? Im Paris, dessen Blut du trinken wirst?

Und der Marsch, skandiert von dem seltsamen Takt,

Zieht quer durch das Schlachtfeld, gleich einer Herde;

Und hundertfach schwenkt Caesar die Phalanx,

Um Frankreich zu schlagen, schärft er sein Schwert.

Da es Kämpfe geben muss, man will ja den Krieg,

Volk, den Kopf gekrümmt, trauriger als der Tod,

Nur zusamm’ gegen den Tyrann führt der Sieg:

Für Bonaparte und Wilhelm dasselbe Los!

L. M., 1870

Da Rochefort in der Marseillaise9 geschrieben hatte, dass der Weg nach Berlin kein einfacher militärischer Spaziergang werden würde, zerstörten Agenten, die man »Blouses blanches«10 nannte, weil sie sich als Arbeiter verkleideten, und die eine aufgebrachte Menschenmenge ohne Bewusstsein mit sich zogen, die Druckmaschinen der Zeitung.

Und doch übertönte der Schrei »Frieden! Frieden!« manchmal das »Auf nach Berlin!«, das die imperialen Banden grölten:

Paris entfernte sich mehr und mehr von Bonaparte; der Adler bekam Blei in die Flügel.

Die Revolution rief alle, die jung, voller Leidenschaft und intelligent waren. Oh! Wie schön war damals die Republik!

Rocheforts Lanterne leuchtete die Tiefen der Räuberhöhle aus. Über allem schwebte die eherne Stimme der Châtiments:

Läutet heute die Totenglocken,

das Brummen von Notre-Dame,

Heute läutet die Totenglocken

und morgen die des Sturms.

VICTOR HUGO, Châtiments

Malon zeichnete ein sehr präzises und wahrheitsgetreues Bild vom Ende des Kaiserreichs:

Zu jener Zeit krachte das Korsett, in dem die Menschheit erstickte, an allen Enden; ein unbekanntes Zittern bewegt beide Welten. Das indianische Volk revoltiert gegen die englischen Kapitalisten. Nordamerika kämpft für die Befreiung der Schwarzen und triumphiert. Irland und Ungarn bewegen sich. Polen erhebt sich. Die liberale Opposition in Russland erzwingt erste Schritte zur Befreiung der slawischen Bauern, während junge Russen, begeistert von Tchernichenski, de Herzen und Bakunin, sich für die soziale Revolution stark machen.

Deutschland, bewegt durch Karl Marx, Lassalle, Boeker, Bebel und Liebknecht, tritt in die sozialistische Bewegung ein. In ehrfürchtiger Erinnerung an Ernest Jones* und Owen* vereinigen sich die englischen Arbeiter. In Belgien, in der Schweiz, in Italien und Spanien werden sich die Arbeiter bewusst, dass ihre Politiker sie betrügen, und suchen nach Wegen, ihre Situation zu verbessern.

Die französischen Arbeiter erwachen aus der Starre, in die sie seit Juni und Dezember verfallen sind. – Allenthalben verstärkt sich die Bewegung und die Proletarier vereinigen sich, um ihre noch vagen, aber bereits leidenschaftlichen Forderungen zu stellen.

J.-B. MALON, 3. Niederlage des Proletariats, Seite 2

Alle intelligenten Menschen bekämpften den Krieg: Michelet schrieb einem befreundeten Journalisten folgenden Brief zur Veröffentlichung:

Lieber Freund,

niemand will etwas von diesem Krieg wissen, wir werden ihn führen und werden Europa glauben machen, dass wir ihn wollen.

Das ist ein Überraschungsschlag und ein Winkelzug.

Millionen Bauern haben gestern ihr Kreuz blind gesetzt. Warum? Als sie meinten, eine Erschütterung vermeiden zu können, vor der sie Angst hatten, glaubten sie da, für den Krieg, für den Tod ihrer Kinder zu stimmen?

Es ist abscheulich, diese unbesonnene Stimmabgabe auszunutzen.

Aber das Allerschändlichste, der Tod einer jeden Moral wäre, dass Frankreich dies alles seinen Gefühlen, seinen Interessen zuwider mit sich machen ließe. Lassen wir das Volk abstimmen, aber diesmal ernsthaft! Befragen wir sowohl die Reichsten wie auch die Ärmsten, die Städter wie die Landbevölkerung; lasst uns die Nation fragen, jene, die gerade erst eine Mehrheit schufen, die ihre eigenen Versprechen vergessen hat: Jedem von ihnen hatte man gesagt: »Ja! aber vor allem kein Krieg!«

Sie erinnern sich nicht, aber Frankreich erinnert sich, und es wird mit uns eine Depesche der Brüderlichkeit für Europa unterzeichnen, des Respekts für Spaniens Unabhängigkeit.

Lasst uns die Fahne des Friedens pflanzen. Krieg nur denen, die den Krieg auf dieser Welt wollen.

MICHELET, 10. Juli 1870

Der große Historiker konnte wohl kaum ignorieren, dass die Mächtigen es nicht gewohnt sind, sich der Vernunft zu beugen. Nur Gewalt im Dienste des Rechts, angewandt gegen Napoleon III. und gegen Bismarck, hätte deren Komplott gegen all die Menschenleben beenden können, die den Krähen zum Fraß vorgeworfen werden sollten.

Am 15. Juli wurde der Krieg erklärt! Marschall Lebeuf verkündete am nächsten Tag, dass es der Armee bis zum letzten Gamaschenknopf an nichts mangele!

41789: Beginn der Französischen Revolution.

51852: Dezemberputsch Napoleons III., mit dem er sich unumschränkte Macht holte.

6Bei den Wahlen von 1869 kamen die regierungsnahen Kandidaten auf 4,4 Millionen Stimmen. Für die Opposition stimmten über 3,3 Millionen Wähler.

7Gemeint ist der bevorstehende Deutsch-Französische Krieg.

8Direkt aus Henri Rochefort, Abenteuer meines Lebens, Band I, autorisierte deutsche Bearbeitung von Heinrich Conrad, Verlag von Robert Lutz, Stuttgart, 1900, Seiten 249 bis 264. Die Rechtschreibung ist der neuen angepasst worden.

9Von Rochefort herausgegebene Zeitung.

10»Weißblusen«.

III

Die Internationale – Ihre Gründung und die Prozesse gegen sie – Die Proteste der Internationalisten gegen den Krieg

Die Polen leiden, aber es gibt eine Nation auf der Welt, die man noch mehr unterdrückt: das Proletariat.

Gründungssitzung der ERSTEN INTERNATIONALE

am 28. September 1864

Am 28. September 1864 fand in der Londoner Saint Martin’s Hall eine Versammlung statt, die man wegen Polen* einberufen hatte. Delegierte aus allen Ländern zeichneten ein derart eindrucksvolles Bild von der Verzweiflung der Arbeiter, dass man entschied, das allgemein menschliche Leid als gemeinsame Sache der Entrechteten zu betrachten.

Das war die Geburtsstunde der Internationale und dank der in den letzten Jahren des Kaiserreichs gegen sie angestrengten Prozesse entwickelte sie sich schnell.

Wenn man knapp vor ’71 die staubige Treppe dieses Hauses in der »Corderie* du Temple« hinaufstieg, wo die Sektionen der Internationale sich versammelten, meinte man tatsächlich, die Stufen eines Tempels zu erklimmen. Es war in der Tat ein Tempel, nämlich der des Friedens in einer freien Welt.

Die Internationale hatte ihre Manifeste in sämtlichen Zeitungen Europas und Amerikas veröffentlicht. Aber das – wohl aus realistischer Selbsteinschätzung heraus übernervöse – Kaiserreich beschloss, sie als Geheimgesellschaft zu betrachten.

Nichts war sie weniger als das, hatten ihre Sektionen sich doch in aller Öffentlichkeit formiert; dennoch wurde dies als illegaler Zusammenschluss gewertet.

Als Verbrecher und Staatsfeinde erschienen die Internationalisten erstmals am 26. März 1868 vor der 6. Kammer des Pariser Strafgerichts, der Delesveaux vorsaß. Es waren 15 Angeklagte:

Chémalé, Tolain*, Héligon, Murat, Caméliat, Perrachon, Fournaise, Dantier, Gautier, Bellamy, Gérardin, Bastier, Guyard, Delahaye und Delorme.

Die beschlagnahmten Unterlagen schienen eine extreme Gefahr für die Staatssicherheit darzustellen. Leider traf das gar nicht zu. Tolain präsentierte die allgemeinen Schlussfolgerungen aus der Sicht der Angeklagten folgendermaßen:

Was Sie gerade seitens der Staatsanwaltschaft gehört haben, beweist am besten, welche Gefahr den Arbeitern droht, wenn sie die Fragen untersuchen wollen, die ihre ureigenen Interessen darstellen, wenn sie danach trachten, einander aufzuklären und schließlich die Wege zu erkennen, auf denen sie bisher als Blinde dahingewandert sind.

Was auch immer sie anstellen, mit welchen Vorsichtsmaßnahmen sie sich auch zu schützen versuchen, wie sehr sie auch Vorsicht und guten Willen zeigen, sie werden immer bedroht, verfolgt und der Strafverfolgung ausgesetzt werden.

Dieses Mal wurden sie ihr ausgesetzt, wie immer, aber das Urteil fiel mild aus, wenn man es mit denen vergleicht, die noch folgen sollten.

Jeder der Angeklagten musste 100 Francs Strafgebühr zahlen und die Internationale wurde aufgelöst, was den besten Weg darstellte, sie größer zu machen.

Da die Tribunale in Frankreich die einzige Tribüne darstellten, wurde jedes Urteil zu jener Zeit gut erinnert. Vor Gericht wurden die Prinzipien, nach denen die Internationale funktionierte, offengelegt: Ihre Mitglieder erklärten, dass sie ihre Energie nicht mehr darauf verschwenden wollten, Herren zu sortieren oder für die Wahl von Tyrannen zu kämpfen. Jedes Individuum in dieser freien Gruppierung war frei.

Es war bewegend anzusehen, wie diese wenigen Menschen sich in den Tribunalen dem Kaiserreich entgegenstellten. Tolain, der üblicherweise die Conclusio sprach, endete diesmal so:

Das Wort »willkürlich« verletzt Sie. Aber was ist uns denn passiert? Eines Tages stieg ein verdrossener Beamter aus dem Bett, irgendein Ereignis erinnerte ihn an die Vereinigung der Internationale, und da er trotzdem immer noch alles schwarz sah, wurden wir, gestern noch unschuldig, plötzlich und ohne es zu wissen zu Schuldigen. Also drang man mitten in der Nacht in die Wohnungen derer ein, die man als die Chefs auszumachen glaubte, als ob wir unsere Mitglieder anführen würden, während wir ganz im Gegenteil bestrebt sind, uns von ihrem Geist inspirieren zu lassen, ja ihre Entscheidungen zu verwirklichen. Man hat alles durchsucht und alles möglicherweise Verdächtige mitgenommen, man fand nichts, das zu irgendeiner Anklage führen konnte. Man findet bei der Internationale nur, was jedermann bekannt ist und was schon längst überall publiziert worden ist.

Geben Sie also zu, dass der Prozess, den man uns heute macht, ein tendenziöser ist, der nicht dazu dient, uns für begangene Delikte zu verurteilen, sondern für welche, die wir einmal begehen könnten.

Erinnert das nicht an die modernen Prozesse gegen Anarchisten, die man auch Schurkenprozesse nennt?

Das Urteil wurde bestätigt, obwohl, wie jeder sehen konnte, die als geheim eingestuften Unterlagen allesamt publiziert worden waren.

Die Propaganda durch das Tribunal machte die Internationale umso beliebter und am folgenden 23. Mai erschienen neue Vorgeladene unter denselben Anschuldigungen, die an Perfidie fast an die »lois scélérates« heranreichten.

Die Vorgeladenen waren Varlin*, Malon, Humber, Grandjean, Bourdon, Charbonneau, Combault*, Sandrin und Moilin.

Sie erklärten, dass sie aktive Propagandisten der Internationale seien, und Combault äußerte seine persönliche Ansicht, dass Arbeiter das Recht hätten, sich um ihre eigenen Belange zu kümmern. Delesveaux rief aus: »Es ist ein Kampf gegen das Recht!« »Es ist, im Gegenteil, der Kampf für das Recht«, konterte Combault, dem seine Mitangeklagten beipflichteten.

Die Zitate, die die Richter aus den konfiszierten Unterlagen vortrugen, wurden zu Waffen gegen sie selbst, wie etwa der Brief des Doktor Pallay der Universität Oxford, in dem stand, dass Elend nicht durch das Auslöschen der Elenden verschwinden solle, sondern durch Teilnahme aller am Leben. »Die Antike«, so schrieb er, »starb, weil sie die Wunde der Sklaverei in ihrer Flanke trug. Das moderne Zeitalter bereitet sein eigenes Ende vor, wenn es weiterhin glaubt, dass alle arbeiten und verzichten müssen, um Luxus für einige wenige zu beschaffen.«

Als man, wie üblich, die Internationale als aufgelöst erklärte und die Angeklagten zu je drei Monaten Gefängnis und 100 Francs Bußgeld verurteilt wurden, ahnte man einen anderen Prozess voraus. Da die Unterlagen der Internationale vom Untersuchungsrichter einbehalten wurden, gaben Combault, Murat und Tolain ihre Buchführung in einem im Réveil veröffentlichten Brief bekannt (ein erschwerender Umstand, der als Beweis dafür herhalten sollte, dass sich die Internationale mit Geheimnissen umgab und die Medien kontrollierte).

Im Folgenden kommen wir zu den großen Prozessen:

Da jede Auflösung der Internationale direkt zu einer Vermehrung ihrer Mitglieder führte, gab es im letzten Prozess 37 Angeklagte, obwohl er, aus einer mir nicht erfindlichen Neigung zu runden Zahlen, der »Prozess der dreißig« genannt wurde.

Sie wurden in zwei Kategorien eingeteilt: in jene, die man als Chefs bezeichnete, und die andere, die man Anhänger nannte, ohne dass man recht wusste, warum, denn die Anklagen lauteten gleich.

Die erste Gruppe bestand aus Varlin, Malon, Murat, Johannard, Pindy, Combault, Héligon, Aviral, Sabourdy, Colmia, auch Franquin genannt, Passedouet, Rocher, Assi, Langevin, Pagnerre, Robin, Leblanc, Carle und Allard.

Die zweite aus: Theisz, Collot, Germain Casse, Ducauquie, Flahaut, Landeck, Chalain, Ansel, Berthin, Boyer, Cirode, Delacour, Durand, Duval*, Fournaise, Frankel, Girot und Malezieux.

Aulois war der Staatsanwalt, Lachaux, Bigot, Lenté und Rousselle waren die Verteidiger. Laurier sollte allgemeine Betrachtungen präsentieren.

Man hörte schreckliche Details über die Ermittlungsergebnisse; über die Gefahr, die daraus erfolgte, wenn man diese Kriminellen ungestraft ließe, diese Verbrecher, welche Staat, Familie, Besitztümer, Vaterland und Napoleon III. obendrein bedrohten.

Es gab heftige Reden, die sich auf Streiks bezogen, welche man in der Marseillaise, der »Mentorin des Aufstands«, angekündigt hatte.

Varlin hatte am 29. April ’70 in den Räumen der Marseillaise gesagt:

Schon hat die Internationale Vorurteile überwunden, die die Völker trennten. Wir wissen, woran wir bei der Vorsehung sind, deren Vorliebe immer den Millionen galt. Der liebe Gott hat seine Zeit gehabt, jetzt ist es genug. Wir appellieren an alle, die leiden und kämpfen; wir sind die Kraft und das Recht; wir müssen uns selbst genügen.

Alle unsere Anstrengungen haben sich gegen die Ordnung der Gesetze, der Wirtschaft und der Religion zu richten.

Die Angeklagten pflichteten bei, Combault rief aus:

Wir wollen die soziale Revolution mit allen Konsequenzen!

Die dreitausend Personen, die sich in den Saal gequetscht hatten, standen auf und applaudierten und das vor Aufregung kopflose Tribunal mischte aus Wörtern wie »Pottaschepikrat«, »Nitroglyzerin«, »Bomben« und »in den Fingern einer Handvoll Individuen« und dergleichen mehr eine grauenhafte Pantscherei.

Avrial sagte:

Die Internationale ist keine Handvoll Individuen, sondern die große Masse der Arbeiter, die ihre Rechte fordert; es ist die Härte, mit der wir ausgebeutet werden, die uns zur Revolte treibt.

Es gab in einigen der konfiszierten Briefe Einschätzungen, die mit Anklagepunkten vermischt wurden, ohne dass man so recht verstand, was das bedeutete.

In einem Brief von Hins las man folgende prophetisch anmutende Botschaft:

Ich verstehe dieses Wettrennen um den Kirchturm der Macht nicht, das die Sektionen der Internationale veranstalten. Warum wollt ihr in diese Regierungen eintreten? Kameraden, lasst uns nicht dieses Ziel verfolgen!

Es gab Neueintritte direkt vor dem Tribunal: »Ich bin nicht Mitglied der Internationale«, sagte Assi, »aber ich hoffe, eines Tages dazuzugehören.« Er wurde auf der Stelle aufgenommen.

Man scheute aus Vorsicht davor zurück, die Anklage aufrechtzuerhalten, es wäre ein Komplott gegen das Leben Napoleons III. geschmiedet worden. Der Gedanke schwebte bereits in der Luft und man fürchtete, das Ereignis hervorzurufen.

Der Generalstaatsanwalt war derart verwirrt, dass er Vokabel aus der Arbeitswelt, die in einem von der schwarzen Kammer11 beschlagnahmten Brief verwendet wurden, als Geheimzeichen interpretierte: Das in Belgien übliche Wort »Genosse« wurde inkriminiert. Germain Casse und Combault drückten die Gedanken der Angeklagten aus:

Wir werden nicht versuchen, durch eine Lüge einigen Monaten Gefängnis zu entkommen; das Gesetz ist nichts mehr als eine Waffe im Dienst der Rache und der Leidenschaft; man kann es nicht mehr respektieren. Wir wollen, dass es der Gerechtigkeit und der Gleichheit unterstellt wird.

Er endete mit den Worten:

Erlauben Sie mir, Herr Generalstaatsanwalt, Sie mit den Worten meines Freundes Mallet zu warnen: Greifen Sie das Beil nicht an, diese Waffe ist schwer, Ihre Hand ist hinfällig und unser Stamm ist knorrig.

Combault wies die Behauptung des Gerichtshofs zurück, dass es in der Internationale Anführer und Geführte gäbe:

Jeder von uns ist frei und handelt frei; es gibt keinerlei Druck auf die Gedanken der Internationalisten … Es fällt mir darum umso schwerer zu verstehen, warum die Staatsanwaltschaft darauf besteht, uns Dinge vorzuwerfen, die wir nicht getan haben, wo sie doch gut zu tun hätte, uns für die Dinge anzuklagen, die wir zugeben getan zu haben: etwa die Propaganda für die Internationale, mit der wir ganz offen den Artikeln 291 und 292 zuwiderhandeln, mit denen die Auflösung der Vereinigung angeordnet wurde. Trotz dieser Auflösung versammelt sich das Pariser Bureau weiterhin.

Ich selbst habe mich noch nie so oft mit den Mitgliedern dieses Bureaus getroffen wie in den drei Monaten zwischen 15. Juli und 15. Oktober 1868.

Jeder von uns handelte von sich aus; wir tragen keine Ketten; jeder entwickelt seine Kräfte auf seine persönliche Weise.

Dieser Prozess war spannender als alle anderen. Chalin, der die gemeinsame Verteidigung vorbrachte, sagte aus, dass die Verurteilung der Internationale einen Angriff auf die Proletarier in aller Welt bedeutete.

Hunderttausende neue Mitglieder folgten innerhalb weniger Wochen dem Aufruf, beizutreten, als alle Delegierten im Gefängnis saßen oder verbannt wurden. Chalin sagte:

Es gibt in diesem Moment eine Art heiliger Allianz zwischen den Regierungen und den Reaktionären gegen die Internationale …

Mögen Monarchisten und Konservative zur Kenntnis nehmen, dass die Internationale der Ausdruck einer allzu richtigen