HELGA HEMALA-FISCHER
GABRIELE WEISHÄUPL
HANNS MEILHAMER
FREDL FESL
MATTHIAS LISSE
SCHWESTER AVITA
YVONNE HOLTHAUS
GUDRUN ZOLLNER
Menschen über Menschen kreuzen unseren Lebensweg. Manche begleiten uns ewig, andere tauchen blitzartig auf und verschwinden wieder in der Masse des Alltäglichen. Und dann gibt es da plötzlich die, die eine Spur hinterlassen. Sie müssen weder mit einem verwandt, verschwägert, befreundet oder persönlich bekannt sein: Manchmal genügt es für mich, den Bruchteil einer Lebensgeschichte zu erfahren und mit einem Mal glüht Faszination in mir auf.
Faszination für Menschen, die sich in meinen Augen vom grauen Einheitsbrei abheben: Weil sie mutig und ohne Zögern auch unsichere Wege zum Ziel in Kauf nehmen, weil sie mit schier unglaublicher Widerstandskraft dem Schicksal trotzen, weil sie es wagen, ihr Glück nicht von den Gedanken anderer abhängig zu machen.
Spätestens wenn mich dieser Eindruck erfasst, dann möchte ich in eine Lebensgeschichte eintauchen. Bei den Menschen, über deren Leben ich in diesem Buch schreibe, war es so. Dabei stand für mich weniger das Handwerk des Porträtierens mit all seinen Regeln aus dem journalistischen Lehrbuch im Vordergrund, wie ich es als hauptberufliche Redakteurin kenne.
Die Geschichten in diesem Buch sind allesamt Lieblingsprojekte und mit viel Zeit, Gesprächen und Herzblut entstanden. Ohne starre Vorgaben oder Gesetze. Der einzige Rahmen, den ich mir gesteckt habe, war ein Bezug der Porträtierten zu meiner Heimat Niederbayern.
Die Geschichten sind ein Kondensat all dessen, was mich selbst ungemein bereichert: Allen voran die Erkenntnis, dass ohne Schattenseiten auch nicht das Licht mit Erfolg, Zufriedenheit und Glück möglich wäre. Die Aura der Unverwundbarkeit, die authentische Menschen ausstrahlen, inspiriert mich immer wieder von Neuem: Leben bedeutet seiner Intuition zu folgen.
Lassen auch Sie sich inspirieren.
Ihre Monika Bormeth
Es ist nur ein schmaler Papierstreifen, dennoch trägt er eine besondere Botschaft. Das Geschriebene stammt aus Tagebucheinträgen. Die Verfasserin wollte es in handlicher Form immer bei sich haben. In feiner Schreibschrift steht mit Tinte auf weißem Untergrund: „Heute ist der Tag, wo ich endlich den Vertrag in der Hand halte, nun darf ich tanzen, tanzen, TANZEN. Menschen Freude bereiten, das will ich!“ Helga Hemala-Fischer hat diese Sätze am 28. Juli 1956 geschrieben. Damals hat sie ihren ersten Bühnenvertrag bekommen und hatte noch keinen Doppelnamen. Der Mann, dessen Namen sie später dem ihrigen hinzufügte, war aber bereits in ihr Leben getreten. Helga Hemala war gerade einmal 15 Jahre alt und ahnte noch nicht, dass die Liebe zu ihm und zur Bühne jeden ihrer Lebensabschnitte begleiten würde.
„Wo fang ich an? Wo fang ich nur an?“ Helga Hemala-Fischer schüttelt gedankenversunken den Kopf. Soll sie das wirklich machen? Über ihr Leben erzählen? Ist es überhaupt möglich, ein halbwegs vollständiges Bild davon zu zeichnen? Allein auf dem Tisch liegen unzählige Fotos, kleine und große, bunte und schwarz-weiße. Dazu seitenweise Zeitungskritiken, Theaterplakate, Briefe, Aufzeichnungen. Und das ist nur ein Bruchteil. Helga Hemala-Fischer hat über 30 Ordner mit Dokumenten und Briefen aus über 60 Jahren Bühnenleben angelegt. Sie spricht nur wenige Sätze, dann kommt ihr wieder ein Erinnerungsstück in den Sinn, das sie aus einem anderen Zimmer holt. Ihre Schritte sind leichtfüßig. Es wirkt ein bisschen so, als würde sie jeden Moment eine Pirouette vollziehen und zu einem Tanz ansetzen. Helga Hemala-Fischer hat ein Leben für die Bühne gelebt und sie tut es noch.
Sie war Tänzerin, Tanzsoubrette, Schauspielerin, Sängerin, Choreographin, Regisseuse und vieles mehr. Noch heute gibt sie an sechs Tagen die Woche Unterricht an ihrer Ballettschule in Eggenfelden. Als Ehefrau des mittlerweile verstorbenen Adi Fischer, erster Intendant des einzigen landkreiseigenen Theaters in Deutschland, hat Helga Hemala-Fischer das Theater an der Rott wesentlich mitgeprägt. Es war eine Station von vielen in einer Vita, die man als gelebten Mädchentraum beschreiben könnte.
Was Helga Hemala-Fischer über ihre Kindheit erzählt, ist eine Mischung einerseits aus Zuständen, die man sich heute nicht mehr vorstellen könnte, und andererseits bilderbuchähnlichen Schilderungen. Als Helga Hemala kam sie am 29. Oktober 1940 im schlesischen Bielitz zur Welt. Ihre Eltern Eduard Hemala und Margarete Hemala, geborene Pientka, hatten bereits eine dreieinhalbjährige Tochter namens Irmgard. Helga Hemala wurde in den Zweiten Weltkrieg hineingeboren. Harte Zeiten, jedoch: „Ich habe von den widrigen Umständen kaum etwas zu spüren bekommen.“
Helga Hemala wuchs auf mit der musischen Ader der Mutter und deren Leidenschaft fürs Theater und mit einem Vater, der als Kaufmann Wert auf solide Existenzgrundlagen legte, aber seinen Kindern auch Liebe zur Natur vermittelte. Insbesondere Letzteres hatte bleibenden Einfluss. Helga Hemala-Fischer, gefragt nach ihren schönsten Kindheitserinnerungen, schwärmt noch heute als Erstes von den Streifzügen mit dem Vater durch den Wald. Seien es die unbeschwerten Ausflüge ins Grüne gewesen oder die Wanderungen, um das Nötigste für den täglichen Alltag heranzuschaffen: Beeren, Pilze und säckeweise Tannenzapfen, liebevoll „Pockerl“ genannt, zum Heizen im Winter. Das Werden der Natur zu beobachten, hat Helga Hemala-Fischer bereits damals als Geschenk begriffen. Noch heute sieht sie die Bäume in ihrem Garten wie Fabelwesen, lässt sich inspirieren von der Bewegung der Blätter – die in ihren Augen alle tanzen.
Kindheit bedeutete aber auch Flüchtlingstransporte, die Enge von Baracken, die Begrenztheit der Mittel. An Bielitz hat sie nur spärliche Erinnerungen, sieht allerdings noch heute den Lastwagen vor ihrem geistigen Auge, mit dem die Familie aus Schlesien abtransportiert wurde.
Der Vater im Kriegsdienst, die Mutter mitten im Winter mit ihren zwei Töchtern auf der Flucht in eine ungewisse Zukunft. Zwei Koffer als einziges Gepäck. Über Wien führte sie ihr Weg nach Brückl in Kärnten und letztlich Sekirn am Wörthersee, wo die Hemalas schließlich für einige Jahre Heimat fanden.
Für Eduard Hemala, der nach dem Kriegsdienst zurück zu seiner Familie kehrte, stand die berufliche Orientierung an erster Stelle. War er vor dem Krieg in Bielitz Eigentümer einer Kartonagenfabrik und Buchbinderei, wurde er danach als Vertreter für Farben und Lacke zu einem Handelsreisenden.
Die kleine Helga wurde in Sekirns Nachbarort Reifnitz eingeschult. Es begann eine Zeit, in der die vom Vater vermittelte Liebe zur Natur weiter aufblühen konnte. Die Schüler durften ein Beet anlegen und sich eine Pflanze aussuchen. Helga wählte Astern, um die sie sich liebevoll kümmerte. Für den sonntäglichen Besuch der berühmten Kirche Maria Wörth fertigte Mutter Margarete, eine geschickte Hobbynäherin, für ihre Töchter Kleidchen aus weißem Leinen, bestickt mit buntem Kreuzstich.
„Ich hatte immer einen Hang zum Schönen“, erinnert sich Helga Hemala-Fischer. Als Kind ist sie, ein Buch unter den Arm geklemmt, gerne in den gegenüberliegenden Wald gelaufen und zum Lesen auf den höchsten Baum geklettert. „Das habe ich unzählige Male getan.“ Auch war sie bereits im frühen Alter sehr tierlieb. Zeit ihres Lebens hat sie danach Hunde als Haustiere gehalten.
Dass sie einen künstlerischen Beruf ergreifen könnte, wäre ihr in diesem Alter nicht in den Sinn gekommen, obgleich Theater und Musik einen hohen Stellenwert bei der Mutter hatten. Viel hat sie mit ihren Kindern gesungen, ganze Schulhefte waren mit Liedtexten von Opern, Operetten und Schlagern beschrieben. Es huscht ein Lächeln über Helgas Gesicht und mitten im Gespräch fängt sie an zu singen.
Sah sie als Kind eine Bühnenaufführung – das muss noch in Bielitz gewesen sein – verblüffte Helga die Erwachsenen nicht selten mit der Gabe, im Nachhinein markante Passagen wiedergeben zu können. Bei einem ihrer Theaterbesuche, es war „Die gold’ne Meisterin“ von Edmund Eysler, verzückte sie die Zuschauer, als sie während der Pause das eben gehörte Lied „Portschunkula, Portschunkula, wie schön bist du bei Nacht…“ schmetterte. Scheu vor den Blicken anderer hatte die sonst ruhige Helga dabei nicht, im Gegenteil. Der „Sonnenschein“, wie sie damals von vielen Bekannten genannt wurde, empfand Freude daran, die Leute zu unterhalten.
Während die Schwester ein Instrument lernen durfte, blieb Helga dies verwehrt. Sie träumte von einem Akkordeon, musste aber zu jedem Weihnachtsfest den schuldbewussten Blick der Mutter ertragen, wenn diese der Tochter sagte: „Helgele, das Christkindl hatte wieder kein Geld gehabt.“
1950 übersiedelte die Familie von Sekirn nach Klagenfurt in die Getreidegasse 11. Arbeitsam hat Helga Hemala-Fischer ihre Eltern in Erinnerung. Sie sieht heute noch den Vater vor sich, wie er am Boden knieend mit Rasierklingen das Parkett abzog, um das Zimmer so schön wie möglich zu gestalten.
Helga Hemala-Fischer klappt eine Spieldose auf. Sie ist alt, aber der Klang rein: Der Kaiserwalzer. Dieses Stück sollte noch viel Bedeutung haben. Es war nach dem Umzug nach Klagenfurt, als zum 40. Geburtstag ihres Vaters ein Fest ausgerichtet wurde. Die Mutter lieh in einem Musikgeschäft Plattenspieler und Schallplatten aus und bastelte für Helga ein Tutu aus Krepppapier. Von Ballett hatte das Mädchen damals noch keine Ahnung, konnte lediglich das tun, was ihr ihr Gefühl zur Musik eingab. Als sich die Kleine zu den Takten des Kaiserwalzers zu bewegen begann, staunten die Gäste. Mehr noch. Eine Freundin der Mutter war fest überzeugt: „Die muss ins Ballett.“ Dieser Frau hat sie ihr ganzes Berufsleben zu verdanken, ist Helga Hemala-Fischer heute überzeugt.
Der Anfang war hart. Als die Mutter mit ihrer bereits elfjährigen Tochter in der renommierten Klagenfurter Kunsttanzschule von Tanzmeisterin Trude Haslinger vorstellig wurde, war diese keineswegs so angetan wie die Gäste bei der Geburtstagsfeier. „Wie alt bist du? Elf? Viel zu alt“, lautete ihr Urteil, das Helga die Tränen in die Augen trieb. Als die Ballettmeisterin das sah, fragte sie: „Ja sag mal, was machst du mit den Armen, wenn du tanzt?“ Das war Helgas Chance. Mit ihren Armbewegungen wusste sie die gestrenge Ballettmeisterin zu überzeugen. Fortan stellte sich Helga jede Trainingsstunde an der Ballettstange hinter das beste Mädchen, um von diesem zu lernen, übte jede freie Minute und besah sich mit noch größerer Aufmerksamkeit alles, was sich ästhetisch zu bewegen vermochte. Denn das war das Credo von Tante Trude, wie die Mädchen ihre Ballettmeisterin liebevoll nannten: Sich die Natur ansehen und die Ästhetik der Bewegungen für sich adaptieren. Beispielsweise die von Schmetterlingen, Bienen und Blättern. „Alles tanzt“, sagt Helga Hemala-Fischer. Und in der Stimme schwingt Melodie mit.
Nach der Hauptschule besuchte die junge Helga eine Handelsschule, auf der sie sich das Rüstzeug für einen kaufmännischen Beruf aneignen sollte – das war der Wunsch des Vaters. Die Freizeit gehörte dem Ballett. Sie war 15 Jahre alt, als das Stadttheater Klagenfurt mit „Wiener Blut“ die erste Operette im Spielplan hatte. Ausgerechnet für den Kaiserwalzer suchte das Theater junge Tänzerinnen zur Verstärkung. Ballettmeisterin Liselotte Mracek, zuständige Choreographin, sah sich an der Kunsttanzschule Haslinger nach geeignetem Nachwuchs um. Nur sechs Mädchen wurden gebraucht. Helga Hemala war dabei. Was sie gemacht hätte, wenn die Wahl nicht auf sie gefallen wäre? Sie weiß es nicht. Heute wäre ihr Leben vielleicht ein völlig anderes.
Die Operette, die am 24. September 1955 Premiere feierte, war ein Erfolg. Und noch etwas anderes war bedeutend. Helga stand zum ersten Mal Adi Fischer gegenüber. Er war zehn Jahre älter, kam vom Grazer Opernhaus, war Schauspieler und wurde in Klagenfurt als Operettenbuffo verpflichtet. Sie sah in ihm den Mann ihres Lebens. Ein bildschöner, junger Mann – und ein verheirateter Familienvater mit einem kleinen Sohn, wie sie später erfuhr.
Obgleich Helga immer wieder ins Theater fuhr und instinktiv die Begegnung mit Adi Fischer suchte, hegte sie keinerlei weitere Absicht. Ihre Schwärmerei war die rührende Zuneigung eines unschuldigen Mädchens, das nicht im Traum daran dachte, sich in eine Ehe einmischen zu wollen. „Ich wollte immer alles, was gut für ihn und seine Familie war.“ Zwar erwiderte Adi Fischer nicht umgehend Helgas Zuneigung, jedoch hat er ihr „viel Herz“ entgegengebracht, wie sie heute sagt. „Der erste Händedruck – 14 Tage nicht Händewaschen, habe ich mir vorgenommen.“ Sie lacht.
Es war wie eine Belohnung in doppelter Hinsicht, dass Helga Hemala nach „Wiener Blut“ ein weiteres Mal als Elevin am Theater mitwirken durfte. Professor Fritz Klingenbeck, Intendant des Klagenfurter Theaters, engagierte sie für die Operette „Der Opernball“ von Richard Heuberger, deren zweiter Akt mit einem Can Can endete, bei dem die Tänzerinnen in die Arme eines Bühnenpartners fielen. Gespannt warteten die Mädchen darauf, wem es zukommen würde, sie aufzufangen. Für Helga Hemala, die wegen der Handelsschule nicht bei jeder Probe dabei sein konnte, war es eine besondere Überraschung. Sie glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen, als sie Choreographin Lilo Mracek sagen hörte: „Bei dir kommt der Adi Fischer.“ Für Helga Hemala war das wie Weihnachten und Ostern zusammen.
Während die Bühne immer mehr zu ihrem Lebensmittelpunkt wurde, neigte sich die zweijährige Handelsschule dem Ende entgegen. Zeitgleich ergab sich die Möglichkeit, eine Reifeprüfung im Fach Ballett abzulegen. Trude Haslinger gab den Anstoß dazu und bereitete ihre Mädchen intensiv darauf vor, lehrte sie nicht nur die Praxis, sondern gab ihnen auch das nötige Rüstzeug in Sachen Tanzgeschichte. Helga Hemala war begeistert und reiste mit acht Mitstreiterinnen in die Universitätsstadt Graz zur Prüfung. Schon bei der Ankunft wurde Helga fast schwindelig, als sie eine Tänzerin beim Spitzentanz beobachtete und dabei merkte, wie viel es noch zu lernen galt.
„Wir hatten unter anderem einen Walzer einstudiert. Als die Musik erklang, habe ich alles um mich herum vergessen. Meine Arme sangen und meine Beine tanzten.“ Neun Mädchen aus Klagenfurt und neun aus Graz nahmen an der Reifeprüfung teil, nur fünf bestanden. Helga war dabei! Wieder waren es insbesondere ihre Armbewegungen, die überzeugten, wie sie später erfuhr.
Die Klagenfurter Choreographin Mracek fragte Helga daraufhin, ob sie nicht Tänzerin werden wolle. Eduard Hemala, der seine Tochter gerne in einem soliden, kaufmännischen Beruf gesehen hätte, war nicht begeistert. Erst die Tatsache, dass das Theater seinem Helgele sogar die volle Tänzerinnengage – nicht die Gage einer Elevin – anbot, überzeugte auch den Kaufmann in ihm. 1300 Schilling könnte seine Tochter in einem Büro nicht verdienen. Diese Monatsgage war mit einem Mal doch eine andere Hausnummer als die 15 Schilling, die es für eine Vorstellung von „Wiener Blut“ gegeben hatte. Am 28. Juli 1956 hielt Helga Hemala schließlich den Bühnendienstvertrag in Händen und verfasste den legendären Tagebucheintrag: „Nun darf ich tanzen, tanzen, TANZEN. Menschen Freude bereiten, das will ich.“
Einzig die Reaktion von Adi Fischer war eine große Enttäuschung. Er riet ihr von einer Bühnenkarriere ab – wohl im Wissen um die Herausforderungen, die einem solch ein Beruf abverlangt. Aber Helga vertraute ihrer Intuition: Am 1. September 1956 trat sie ihr Engagement als Tänzerin im Stadttheater Klagenfurt an. „Tanzen – sich zur Musik zu bewegen – das war einfach mein Traum.“
Die erste Operette, bei der sie unter Vertrag mitwirkte, war „Die lustige Witwe“ von Franz Lehár. Margarete Hemala hat ihrer Tochter damals einen kleinen Teddybären als Glücksbringer auf den Schminktisch gestellt. Helga hat diesen über Jahrzehnte zu jeder Vorstellung mitgenommen. Es gibt ihn noch heute.
Es blieb nicht bei Klagenfurt. Intendant Professor Klingenbeck hatte mittlerweile das Angebot erhalten, das Salzburger Landestheater zu übernehmen. Er bot Helga Hemala an, mit ihm zu kommen. Trotz ihrer Zweifel, ob sie wohl mit anderen Profitänzerinnen Schritt halten könne, sagte sie zu. Nicht zuletzt weil auch Adi Fischer als Operettenbuffo für Salzburg engagiert wurde. Ab August 1957 war sie dann Tänzerin und Schauspielerin unter Vertrag.
Professor Klingenbeck sah großes Potenzial in Helga Hemala und förderte sie stetig. Adi Fischer nahm seine junge Kollegin weiterhin als sympathisches Mädchen wahr. Mehr vorerst nicht. Seine Ehe war zu diesem Zeitpunkt zwar schon ins Wanken geraten, allerdings nicht Helgas wegen. „Er hat das Leben genossen“, resümiert Helga Hemala-Fischer, die durchaus zugeben muss, dass ihr Liebster ein „Don Juan“ war. Verurteilt hat sie sein Verhalten, trotz vieler Tränen, nie. Weder damals als schwärmender Teenager noch heute als Witwe nach über 50 Jahren Ehe. „Man kann den Charakter eines Menschen nicht ändern“, sagt sie nachdenklich. Der Krieg habe ihrem Mann, Jahrgang 1930, die Jugend genommen. Er habe leben wollen, einfach nur leben: „Und er hat sich keine Gelegenheit dazu entgehen lassen.“
Das erste Balletttraining in Salzburg hat Helga Hemala-Fischer noch vor Augen, als wäre es gestern gewesen. Obwohl sie ihr Bestes gab, konnte sie mit den erfahrenen Profitänzerinnen, einige kamen von der Ballettakademie in Wien, tatsächlich nicht Schritt halten. Nach der Probe nahm die Ballettmeisterin Professor Dr. Hanna Kammer sie beiseite und fragte: „Mädele, willste nicht oder kannste nicht?“ Ein Urteil, das mitten ins Herz traf. Was tun? Als die Tränen getrocknet waren, suchte Helga sich Hilfe. Bereits am nächsten Tag stand sie bei dem jugoslawischen Solotänzer Boris Tonin zum Privatunterricht an der Ballettstange. Das war nicht immer leicht. Als sie einmal schwer erkältet den Privatunterricht absagen wollte, entgegnete Boris Tonin ungerührt: „Du müssen schwitzen, du werden gesund.“ Es dauerte ein Jahr, dann hatte sie es geschafft: Nicht nur, dass sie von nun an mit den anderen Tänzerinnen mithalten konnte, sie durfte sogar immer wieder als Solistin auftreten.
Helga war keine 19 Jahre alt, als der Direktor noch mehr als den Tanz in ihr sah. In Schauspiel und Märchen hatte er sie bereits eingesetzt. Helga durfte einige Rollen spielen und war dabei positiv aufgefallen. Ende September 1958 bat er sie um ein Vorsingen. Die junge Tänzerin sollte Soubrette werden. Das bedeutete, künftig nicht nur zu tanzen, sondern auch zu singen und zu spielen. Fritz Klingenbeck bezuschusste ihren Gesangsunterricht am Mozarteum. Am 18. Juni 1959 legte Helga die Prüfung für das neue Fach Soubrette ab. Von nun an war Adi Fischer ihr Spielpartner und Regisseur. Ihre erste Operette als Tanzsoubrette, „Die Csárdásfürstin“, ging 35 Mal vor begeistertem Publikum über die Bühne.
Nun erfüllte Helga sich auch ihren Kindheitswunsch, ein Musikinstrument zu lernen, und nahm Klavierunterricht.
Ihre Karriere entwickelte sich stetig weiter. Die erste Anfrage fürs Fernsehen kam noch im selben Jahr. Man suchte eine Besetzung für die Rolle der Ida in der Verfilmung der Strauss-Operette „Die Fledermaus“. Als Helga Hemala-Fischer bei dem bekannten Regisseur Kurt Wilhelm in München vorsprach, erfuhr sie zum ersten Mal, dass in der Branche manchmal Dinge gefordert wurden, die ihr fremd waren. Der Regisseur bat sie um Fotos – freizügige Fotos. Helga Hemala lehnte augenblicklich ab. „Wenn das nötig ist, um zu Film oder Fernsehen zu kommen, verzichte ich gerne darauf.“ Ihre strikte Entschlossenheit schien Kurt Wilhelm zu imponieren. Sie bekam die Rolle ohne Fotos – und ohne dass jemals wieder etwas dieser Art von ihr verlangt wurde. „Natürlich braucht man auch ein wenig Glück, um im rechten Moment an die richtigen Menschen zu geraten, aber in jedem Fall wollte ich mit meiner Kunst und meinem Können die Bühne erobern.“
Es zeichneten sich weitere Veränderungen ab. Helgas Förderer, Professor Klingenbeck, hatte vor, das Theater zu verlassen, und der nächste Intendant zeigte wenig Interesse an Operetten. Daher beschloss Helga, sich an eine Agentur zu wenden. Zum Vorsingen fuhr sie in einem vollbesetzten Zug nach Wien – die ganze Fahrt ohne Sitzplatz mit einem Gipsbein. Kurz zuvor hatte sie in der Operette „Der Opernball“ (Helga spielte die Hosenrolle des „Henri“) einen folgenschweren Unfall. Die Handlung sah ein Stolpern über eine Treppe vor. Helga stolperte wirklich, fiel die lange Freitreppe herunter und blieb für einige Augenblicke reglos liegen. Der Kapellmeister war verunsichert, begann dann aber dennoch mit der Musik. Helga Hemala-Fischer rappelte sich auf und spielte die restliche Vorstellung zu Ende – wie ihr das gelang, kann sie heute nicht mehr sagen. Diagnose: Bänderriss. Der Direktor war verzweifelt: So schnell gab es keinen Ersatz. Er bat Helga trotz ihrer Schmerzen, noch zwei weitere Vorstellungen zu spielen, und sie tat es. Im Anschluss erst bekam sie den Gips, mit dem sie dann nach Wien zum Vorsingen fuhr. Dieses meisterte sie trotz widriger Umstände bravourös. Die diversen Theaterdirektoren, die bei der renommierten Agentur Starker zugegen waren, amüsierten sich köstlich über ihre „gipsbeinige“ Darbietung der „Riquette“ aus der Operette „Victoria und ihr Husar“: „Wenn Sie so tanzen, dann glauben wir Ihnen gerne, dass Sie eine Tanz-Soubrette sind.“ Zurück in Salzburg wurde es Helga auch während ihrer Genesungszeit nicht langweilig. Die Chefsekretärin war erkrankt und Helga sprang kurzerhand ein. Die Maschinenschreibkenntnisse aus der Handelsschule kamen ihr nun zugute.
Neben ihrer Verpflichtung als Tanzsoubrette war Helga Hemala mittlerweile auch als Choreographin tätig. Darüber hinaus wurden sie und Adi Fischer 1961 für die geplante Gründung der Operettenfestspiele nach Bad Ischl geholt, heute bekannt als Lehár Festival.
Weitaus bedeutender aber wurde ein anderer Ort. Nach vielen Angeboten, die sich aus ihrem Vorsingen bei der Agentur Starker ergaben, entschied sich Helga Hemala-Fischer schließlich 1962 für ein Engagement am Stadttheater in Luzern. In Bad Ischl war sie ganz nebenbei auch noch weitere drei Operettensommer tätig. Das Schweizer Publikum eroberte sie im Sturm. Sie erwies sich als begierig, zu lernen. Zu jeder Herausforderung sagte sie mit Begeisterung „Ja“, bei jedem neuen Regisseur ließen sich neue Erfahrungen sammeln. Obwohl als Soubrette engagiert, waren nun auch im Schauspiel ihre Leistungen gefragt. So lernte sie beispielsweise, von einem Tag auf den anderen, Stoffe wie die Elise, Tochter des Geizigen Harpagons von Molière. Helga Hemala-Fischer erinnert sich an einen Monat, in dem sie 27 Vorstellungen mit sechs verschiedenen Rollen aus Operette, Schauspiel und Märchen absolvierte. Noch heute schüttelt sie fragend den Kopf darüber: „Ich weiß nicht, wie ich das alles eigentlich geschafft habe.“
Autogrammanfragen kamen, Blumen wurden abgegeben, immer wieder Geschenke in die Garderobe gebracht. „Ich wurde vom Publikum verwöhnt. Ich habe alles, was ich an Einsatz gegeben habe, doppelt und dreifach zurückbekommen.“
Adi Fischers Weg hatte mittlerweile in eine ganz andere Richtung geführt, ins niederbayerische Rottal. Eine Gruppe von Sängern der Liedertafel Massing war von der Vorstellung der Operette „Die Gold‘ne Meisterin“ in Salzburg so angetan, dass sie im Anschluss den Regisseur am Bühnentürl erwarteten und mit einem Sängerspruch empfingen. Weil die Massinger selbst in absehbarer Zeit eine Aufführung der „Gold‘nen Meisterin“ planten, baten sie Adi Fischer um Unterstützung. Er sagte sofort begeistert zu. „Für solche Projekte war er immer zu haben“, sagt Helga Hemala-Fischer rückblickend. Dirigent und Kapellmeister der Liedertafel Massing war damals Otto Hofmeister – zugleich Architekt des sich bereits im Rohbau befindlichen, ersten landkreiseigenen Theaters Deutschlands: das Theater an der Rott. Der damalige Landrat Ludwig Ostermeier erwies sich nicht nur federführend bei der Etablierung dieser Kulturstätte, er war es auch, der Adi Fischer die Intendanz anbot. Anfangs nur für zwei Spielzeiten – es sollten 33 weitere folgen.
Von der ersten Minute an war Luzern für Helga Hemala eine neue Heimat. Berge, Seen, Sonne und Begegnungen, die sie ein Leben lang prägen sollten. So zum Beispiel ihre erste Unterkunft bei einer älteren Dame, die wie eine Mutter für sie war. Es dauerte eine Weile, bis Helga das Schicksal von Frau Mühlemann erfuhr: Deren Tochter – auch sie wäre zu diesem Zeitpunkt 22 Jahre alt gewesen – lebte nicht mehr. Sie war gestorben, nachdem sie den Kampf gegen die Leukämie verloren hatte. Als Frau Mühlemann Helga eines Tages mit dem Namen der verstorbenen Tochter ansprach, offenbarte sich die ganze Geschichte. Das Schicksal dieser Mutter hat Helga Hemala-Fischer nie losgelassen. Seit langer Zeit unterstützt sie nun schon die José Carreras Leukämiestiftung, zugunsten derer sie seit ein paar Jahren auch Benefizauftritte mit ihren Ballettschülerinnen veranstaltet.
Adi Fischer, mittlerweile geschieden, hatte inzwischen längst erkannt, dass er nicht ohne Helga leben wollte und machte ihr einen Heiratsantrag. Die Hochzeit fand am 22. Dezember 1962 statt. Tags zuvor hatte Adi in Eggenfelden noch einen Auftritt der Wiener Sängerknaben zu betreuen und Helga spielte in Luzern im Stück „Einen Jux will er sich machen“ von Johann Nestroy passenderweise bereits die Rolle der „Frau von Fischer“. Ihr Liebster kam wegen des üppigen Schnees erst kurz vor der Trauung an, zudem waren die Eheringe nicht rechtzeitig geliefert worden, sodass die beiden kurzerhand ein paar Messingringe im nächstbesten Kaufhof erstanden. Die Hochzeit fand am Vormittag statt, mittags gab es ein feines Essen und bereits am Nachmittag stand Helga wieder auf der Bühne. Als „Aschenbrödel“, beseelt von dem Gedanken, ihren Prinzen im wahren Leben nun für immer an ihrer Seite zu wissen. Abends sang sie den Liebesgott Amor in der Premiere der Operette „Orpheus in der Unterwelt“ von Jaques Offenbach.
Künftig lebte das Paar eine Fernbeziehung über 500 Kilometer. Es zeichnete sich ab, dass eine Entscheidung im Raum stand. Helga wollte nicht, dass ihr Mann die Intendanz in Eggenfelden aufgab und beschloss, Luzern zu verlassen. Ihr Rückzug löste eine Welle des Bedauerns beim Publikum aus. Eine Gruppe Theaterbesucher kündigte gar an, man habe Beziehungen zur Polizei und wolle dafür sorgen, dass die beliebte Schauspielerin und Soubrette die Stadt nicht verlassen dürfe.
Jeder Abschied ist ein bisschen wie Sterben. Dass ihr Fortgang aus Luzern eine schwierige Entscheidung war, ist Helga Hemala-Fischer heute noch anzumerken. Dass sie das niemals aussprechen würde, ist klar für sie. Schließlich beinhaltete dieser Abschied auch einen Neubeginn. Sie war bei ihrem Adi. Nichtsdestotrotz fuhr sie zumindest einmal im Jahr auf Gastspiele in Luzern, Innsbruck oder Bern oder auf Tournee.
Das Ende ihrer Spielzeit in Luzern war überschattet von einem traurigen Ereignis. Am 16. Mai 1965 starb Eduard Hemala. „Helgele, eines Tages werd‘ ich dich auf der Bühne sehen“, hat ihr der Vater stets gesagt. Es kam nie dazu. Helga Hemala-Fischer stand trotz Todesnachricht an diesem Sonntagabend auf der Bühne. „Ist das nicht eine Ironie des Schicksals?“, hat sie damals in ihr Tagebuch geschrieben, angesichts der Tatsache, dass ausgerechnet die Operette „Das Land des Lächelns“ mit dem bezeichnenden Liedtext „… lächeln trotz Weh und tausend Schmerzen…“ aufgeführt wurde.
Am 29. Oktober 1969, an ihrem 29. Geburtstag, erfuhr Helga Hemala-Fischer, dass sie Mutter werden sollte. Die Worte ihres Mannes klingen ihr noch heute in den Ohren: „Was wird aus My fair Lady?“ Es war das erste Mal, dass Adi Fischer ein Musical in das Programm des Theaters an der Rott aufgenommen hatte – und seine Frau sollte die Hauptrolle der Eliza Doolittle spielen. Mittlerweile war sie, wie damals in Luzern, fester Bestandteil der Aufführungen in Eggenfelden. Das Publikum verehrte sie. Also hat sie die Eliza gespielt, bis zum sechsten Monat ihrer Schwangerschaft. Bei der Premiere war sie so schwer erkältet, dass sie kaum das Orchester hören konnte. „Ich habe dennoch gespielt“, sagt sie. „Danach saß ich stundenlang auf der Bettkante und habe geweint.“ Das Kind zu bekommen, stellte sie niemals in Frage, hatte sie doch immer von sechs Kindern geträumt. Am 12. Juni 1970 kam ihre Tochter Claudia Christine Fischer zur Welt.
1972 bekam die Familie erneut Zuwachs. Alexander Otto Fischer wurde am 29. März geboren. Bis zum Ende des siebten Monats ihrer Schwangerschaft stand Helga Hemala-Fischer auf der Bühne. Eine ihrer letzten Aufführungen war die Titelrolle im Schneewittchen. Während sie im gläsernen Sarg lag, die Hände auf dem Bauch gefaltet und bemüht, den Bauch beim Atmen kaum sichtbar zu heben oder zu senken, machte sich Alexander in ihrem Inneren gerne bemerkbar. „Der achte Zwerg“, sagt sie mit einem Lachen.
Als sie 1980 noch einmal schwanger wurde, behielt Helga Hemala-Fischer es vorerst für sich. Einzig die mittlerweile zehnjährige Tochter Claudia machte sie zu ihrer Vertrauten. Ließ sie den Kopf an ihren Bauch legen und das Baby spüren. Helga wollte die Schwangerschaft und das aufkeimende Muttergefühl einfach nur genießen, ohne stets an ihre Bühnenverpflichtungen, die sie sowieso wahrnahm, erinnert zu werden. Sie wartete lange. Erst als sie während einer Aufführung einen Kostümwechsel verneinte, in dem Bewusstsein, dass ihr das erforderliche Kleid nicht mehr passen würde, waren alle im Bilde. Am 11. August 1980 wurde Barbara Lucia Fischer geboren.
Helga Hemala-Fischer hat auf ihren Mann zählen können. „Wenn ich im Ballettsaal zu unterrichten oder zu choreographieren hatte, hat Adi in dieser Zeit die Kinder versorgt.“ Hatten beide Aufführungen, wurden die Kleinen einfach ins Theater mitgenommen, wo sie in der Kostümschachtel hinter der Bühne schliefen. Helga und Adi hatten immer versucht, den Spagat zwischen Bühne und Elternrolle zu meistern.
Anfangs in Eggenfelden zu Hause, zog die Familie schließlich nach Hebertsfelden, wo Helga Hemala-Fischer heute noch wohnt. Ihre drei Kinder leben in Wien und in München und sind mittlerweile alle in künstlerischen Berufen tätig. Claudia ist Sängerin und Regisseurin, Alexander arbeitet als Musik- und Tanzpädagoge sowie als Zauberer und Barbara hat sich der Kunst des Malens verschrieben.
1965 begann für Helga Hemala-Fischer beruflich ein zusätzliches Kapitel. Es war die Geburtsstunde ihrer Ballettschule, in der sie heute noch jeden Werktag zugegen ist, unterrichtet und Aufführungen organisiert.
Auf dem Spielplan des Theaters an der Rott stand im September 1965 die Operette „Rose von Stambul“ von Leo Fall. Für die Choreographie brauchte Helga Hemala-Fischer junge Balletttänzerinnen. Woher nehmen? Helga sah sich in den örtlichen Gymnastikgruppen des Turnsportvereins um, wählte die Begabtesten aus und studierte mit ihnen die Tänze ein. Es war der Beginn eines Triumphzugs. Durch Helga Hemala-Fischer entstand ein Ensemble, das in den folgenden Jahren in Opern, Operetten, Musicals, Märchen und Ballettabenden eingesetzt werden konnte.
Gegenüber dem Theatergebäude wurde in einem ehemaligen Sitzungssaal des Landratsamtes ein großer Ballettsaal mit Spiegel errichtet. Hier begann Helga Hemala-Fischer, Unterricht zu geben. Es war der Grundstein dafür, dass Eggenfelden eine Anlaufstelle für Ballettbegeisterte wurde. Manche Schüler nahmen Fahrten von bis zu 50 Kilometern auf sich, um nach Eggenfelden ins Training zu kommen. „Ich kann vieles vermitteln, weil ich das Glück hatte, selber so viel lernen zu dürfen“, sagt Helga Hemala-Fischer. Das Besondere an ihrer Schule ist die Tatsache, dass Bühnenauftritte stets fester Bestandteil des Programms waren. Ob Groß oder Klein, alle wurden in Märchenaufführungen, Operetten und Ballettabenden eingesetzt. Klassisches und Modernes standen auf dem Spielplan. Ein „Nussknacker“ von Tschaikowsky ebenso wie Prokofjews „Peter und der Wolf“ oder Mozarts „Kleine Nachtmusik“. „Wir führten Werke wie ‚Die Puppenfee‘, ‚Coppélia‘ oder ‚Ein Amerikaner in Paris‘ auf“, erzählt Helga Hemala-Fischer. „All unsere Ballettabende – und das war das Außergewöhnliche – wurden von den Münchner Symphonikern in großer Orchesterbesetzung begleitet.“
Das Theater an der Rott und die Ballettschule profitierten wechselseitig voneinander. Zwischen Fotobüchern und alten Programmheften zieht Helga Hemala-Fischer ein besticktes Tuch heraus. Wer von Ballett nichts versteht, sieht eine kurios anmutende Anordnung von weißen Strichen und Kreuzchen auf blauem Untergrund. Es ist die Choreographie eines Tanzes, welche die Schüler der Lehrerin als Dankeschön auf eine Decke gestickt haben. Helga Hemala-Fischer hat immer Handlung in Tanz verwandelt. „Musik ist für mich Bewegung.“ Diese Gabe hat ihr viele Einsätze auch außerhalb von Eggenfelden beschert. Choreographieren zählt heute noch zu ihrer großen Leidenschaft. „Von da drin muss es kommen“, bekräftigt sie und legt ihre Hand auf die Brust. „Das Herz ist das Wichtigste.“
Ein Ort, an dem man einfach sein darf, und die Sorgen vor der Tür lässt – so sieht Helga Hemala-Fischer ihre Ballettschule. „Kommst du, weil du möchtest, oder weil du geschickt wirst?“ Diese Frage ist die erste, die sie Neuzugängen stellt. Dennoch sind in ihrem Spiegelsaal alle von Herzen willkommen. Sie würde kein Kind wegschicken. Helgas Gabe besteht darin, die Stärken des Einzelnen zu erkennen und entsprechend zu fördern.
Was Helga Hemala-Fischer zu vermitteln vermag, umfasst weit mehr als nur klassisches Ballett. Jazztanz, Modern Dance, Steppen, Charakter- und Nationaltänze, Formation. In allen Sparten ist sie zuhause. So wurde Helga Hemala-Fischer beispielsweise von der Rock’n’Roll-Formation „Dancing Baloos“ 2010 um Hilfe gebeten. Während dieser gemeinsamen Zeit stand die Gruppe ganze zehn Mal auf dem Treppchen. Die Erfolge dokumentierten die Tänzer in einem Album, das sie Helga Fischer zum Andenken überreichten.
Einige von Helga Hemala-Fischers Mädchen haben den Tanz zu ihrem Beruf gemacht. Ob sie nun regelmäßig auf der Bühne stehen oder selbst Schulen eröffnet haben – Helgas Arbeit als Pädagogin trägt Früchte. Das macht sie stolz. Als Tanzlehrer seine Kenntnisse weiterzugeben, hält sie noch immer für eine sehr schöne Art, sich professionell dem Tanz zu widmen. Von einer reinen Bühnenkarriere würde sie heutzutage abraten. „Es ist ein knallhartes Geschäft geworden. Menschen werden zu Maschinen gemacht, die Technik ist wichtiger als alles andere.“ Dabei komme es nicht immer auf Perfektion an. Herz und Seele müssten dabei sein.
Manchmal bedauert es Helga Hemala-Fischer, die zwar via Facebook und Instagram Kontakt mit ehemaligen Schülern in aller Welt hält, dass sich Kommunikation so sehr verändert hat. Handgeschriebene Briefe zählen zu ihren größten Schätzen. Es bedeutet ihr ungemein viel, mit alten Weggefährten auf diese Art im Austausch zu stehen. Ihre Freundschaften pflegt sie über Jahrzehnte hinweg: „61 Jahre Freundschaft, ja, das gibt es wirklich!“, erzählt sie.
Viele von ihr hochgeschätzte Kollegen leben mittlerweile nicht mehr. Etwa der Wiener Dirigent und Musikwissenschaftler Professor Kurt Pahlen. Mit ihm hat sie 16 Jahre beim österreichischen Musik- und Kulturfestival Carinthischer Sommer und sechs Jahre bei den Lenker Festwochen in der Schweiz zusammengearbeitet. Pahlen würdigt Helga Hemala-Fischer in seinen handgeschriebenen Widmungen als große Künstlerin. Sein Lexikon über die Opern der Welt und viele weitere seiner gut 60 Bücher bewahrt Helga auf. „Menschen hinterlassen Spuren in deinem Herzen.“
Seit die Ballettschule gegründet wurde, ist Helga Hemala-Fischer nahezu täglich dort im Einsatz. Dass sie am 10. September 1991 das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen bekommen hat, schreibt sie besonders ihrem Engagement für die Jugend zu. Der damalige Kultusminister Hans Zehetmair lobte Helga Hemala-Fischers Verdienste an Kunst und Kultur sowie ihr ausgeprägtes pädagogisches Geschick und ihre mitreißende Begeisterung.
„Wir haben den Namen Eggenfelden mit dem Ballett über die Grenzen Niederbayerns hinausgetragen“, ist Helga Hemala-Fischer überzeugt. Beispielsweise in das südfranzösische Carcassonne, mit dem Eggenfelden seit Jahrzehnten eine Städtepartnerschaft hat. 40 Tanzeinlagen hatte die Ballettschule seit 1973 für die gemeinsamen Festlichkeiten bereits erarbeitet.
Auch im polnischen Breslau hat man getanzt. Es war der Ballettabend „Aschenbrödel“, der mit einem über 50-köpfigen Ensemble dargeboten wurde. Die Begeisterung des Publikums zeigte sich von nicht enden wollendem Applaus bis hin zu stehenden Ovationen.
Im Theater an der Rott sind die legendären Märchenvorstellungen hervorzuheben, die nahezu immer ausverkauft waren, und das bei keineswegs wenigen Vorstellungen. 30 Mal wurde „Pippi Langstrumpf“ aufgeführt, ebenso häufig das „Dschungelbuch“. Die Inszenierungen waren auf die Bühne gebrachte Kinderträume. Unzählige Tänze, detailverliebte Kulissen, aufwendige Kostüme, die Handlungen zauberhaft. „Diese einfachen Dinge, die so zu Herzen gehen wie ein Märchen, können den Menschen, ob groß oder klein, immer noch Freude bereiten“, ist Helga Hemala-Fischer überzeugt. 2015 hatte sie mit „Dornröschen“ das 38. Märchen seit 1965 auf die Bühne gebracht und damit das letzte am Theater an der Rott.
Inzwischen organisiert Helga Hemala-Fischer mit ihrer Ballettschule eigene Veranstaltungen. Seit einigen Jahren finden beispielsweise Aufführungen im großen Kursaal von Bad Füssing sowie im Artrium im nahegelegenen Bad Birnbach statt. Doch ist es über die Jahre nicht einfacher geworden, mit Kindern und Jugendlichen solche Produktionen zu erarbeiten. Die Freizeitmöglichkeiten sind auch auf dem Land zahlreicher geworden, die schulischen Verpflichtungen intensiver. Um choreographieren zu können, braucht Helga ihre Schüler mehrmals die Woche für Proben. Ohne die gesamte Gruppe vor sich zu haben, wird es schwierig, etwas auf die Beine zu stellen. „Es ist, als würde man einen Kuchen backen. Alle Zutaten müssen vorhanden sein, sonst kommt nichts Ordentliches dabei heraus.“
Als ihr Mann noch lebte, war das Haus der Fischers stets für jeden offen. So manches Ensemblemitglied verbrachte beispielsweise Weihnachten bei der Familie. Die Generalprobe für die Operette hatte immer am 22. Dezember stattgefunden, am 24. Dezember wurde dann nachmittags noch ein Märchen gespielt. Da blieb für auswärtige Kollegen keine Zeit mehr, abends nach Hause zu fahren. Jeder, der alleine war, wurde herzlich aufgenommen. „Da war richtig Leben hier“, erinnert sich Helga Hemala-Fischer.