DAS BUCH
Die großen Internetunternehmen tun alles, damit wir als Nutzende im Netz versinken. Wir unterschätzen regelmäßig unsere Verweildauer auf den Online-Plattformen und hinterlassen eine Unzahl digitaler Fußabdrücke, die die Tech-Firmen reich machen.
Online-Plattformen wie auch Computerspiele haben jedes natürliche Ende abgeschafft, umgekehrt wird unser Lebensalltag durch die digitalen Dauerunterbrechungen zunehmend fragmentiert.
Als Psychologe erörtert Christian Montag die Frage, welche Persönlichkeitseigenschaften mit problematischem oder suchtähnlichem Nutzungsverhalten einhergehen. Aus wissenschaftlicher Perspektive diskutiert er neueste Entwicklungen wie »Internet der Dinge« oder den Einsatz von digitalen Plattformen und Künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen.
Detailliert geht er aber auch auf aktuell besonders dringliche Themen wie Filterblasen und Fake News ein, die eng mit dem Daten-Geschäftsmodell der Tech-Unternehmen verknüpft sind. Seine Vorschläge, wie wir digital unsere Selbstständigkeit wahren können, sind ebenso neu wie praktikabel.
DER AUTOR
Prof. Dr. Christian Montag ist Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm sowie Visiting-Professor an der University of Electronic Science and Technology of China (UESTC) in Chengdu, China. Er hat in Gießen Psychologie studiert und an der Universität Bonn promoviert und habilitiert. Seine Forschungsschwerpunkte sind die biologischen Grundlagen der Persönlichkeit sowie das Feld der Psychoinformatik. Als Experte ist Montag, der 2018 das Buch »Homo Digitalis« veröffentlichte, in Medien wie ARD, ZDF und RTL, SPIEGEL, Der Standard und The New York Times gefragt.
CHRISTIAN MONTAG
DU
GEHÖRST
UNS!
Die psychologischen Strategien
von Facebook, TikTok, Snapchat & Co –
und wie wir uns vor der großen
Manipulation schützen
Blessing Verlag
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Copyright © 2021 by Christian Montag
und Karl Blessing Verlag, München
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Satz: Leingärtner, Nabburg
Umschlaggestaltung: Bauer + Möhring, Grafikdesign Berlin
ISBN 978-3-641-27581-5
V002
www.blessing-verlag.de
Für meine Eltern Ingrid und Udo, die sich mit den
Tech-Konzernen nicht mehr auseinandersetzen müssen
Für meine Frau Susanne und meinen Bruder Thomas,
die sich den Tech-Konzernen nur schwer entziehen können
Für meine Tochter Hannah, die noch eine Zukunft
mit Privatsphäre haben soll
You can check-out any time you like,
but you can never leave.
The Eagles, Hotel California
Inhalt
Vorwort
Kapitel 1
Das Geschäftsmodell der Tech-Konzerne
Kapitel 2
Spiel, Spaß und Spannung? Über unsere Motivation, neue Technologie zu nutzen
Kapitel 3
Wie Menschenmassen mit Hilfe von Psychotricks auf den Apps und Webseiten der Tech-Unternehmen gehalten werden
Kapitel 4
Zeig mir deinen digitalen Fußabdruck, und ich weiß, wer du bist
Kapitel 5
Der*die gläserne Patient*in? Digital Phenotyping, elektronische Patientenakte, Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz
Kapitel 6
Werden wir durch die Vorselektion von Informationen durch die Tech-Konzerne manipuliert?
Kapitel 7
Internetnutzungsstörungen oder suchtähnliches Verhalten
Kapitel 8
Strategien gegen die Fragmentierung des Alltags und Einblicke in das Quantified-Self-Movement
Kapitel 9
Der Hotel-California-Effekt des Internets und was wir dagegen tun können
Nachwort
Danksagung
Literatur und Anmerkungen
Vorwort
Es gibt ein geflügeltes Wort in der Wissenschaft, das teilweise im Scherz und teilweise im Ernst verwendet wird, um zu beantworten, warum Wissenschaftler*innen sich ihrem jeweiligen Forschungsthema verschrieben haben: Research is Me-Search. Frei übersetzt lautet das Sprichwort, dass bei vielen Forschenden ihr gewähltes Thema immer auch eine Suche nach dem eigenen Ich einschließt. Keine Frage – ich gehöre mit Sicherheit auch zu der Gruppe derer, die sich ein Thema ausgesucht hat, das eng mit dem eigenen Leben verknüpft ist. Dies spiegelt sich in meinem Werdegang wider.
Schon Mitte der 1990er setzte ich mich intensiv mit dem World Wide Web (WWW) auseinander. Ich brachte mir damals selber bei, Webseiten zu programmieren. Nachdem ich die grundlegenden Kenntnisse erworben hatte, verfolgte ich schnell das Ziel, durch eine Webseite meine damalige Rockband zu promoten. Dies gelang erstaunlich gut, und der eigens erstellte Webauftritt gewann sogar im Jahr 2000 den MTV & Yahoo Online Music Award (für die beste Webseite einer Band ohne Plattenvertrag)1, der meiner Band von Smudo von den Fantastischen Vier überreicht wurde. Aus meiner Fähigkeit, Webseiten zu erstellen, wurde ein paar Jahre lang eine berufliche Tätigkeit, der ich als Selbstständiger und beim Kölner TV-Sender RTL nachging, bevor ich mit vierundzwanzig Jahren ein Studium der Psychologie aufnahm, um mich eine Zeit lang von dem Thema »Online« zu verabschieden.
Während meines Psychologiestudiums war ich natürlich nie komplett offline, dennoch war es ein völlig anderes Online-Zeitalter als heute – ohne »Insta«, ohne WhatsApp, allerdings dafür mit dem ersten Echtzeit-Messenger ICQ, der mich mit seinem »OhOh-Ton« bei jeder eingehenden Nachricht genervt hat. Wie es mit so vielen Dingen im Leben ist: Meine anfängliche Begeisterung für das WWW nutzte sich Mitte der 2000er-Jahre ein wenig ab, und ich musste feststellen, dass sich mit dem Aufkommen des Web 2.0 einige Dinge änderten.
Im Nachhinein kann ich die Veränderungen auch an der Geschwindigkeit festmachen, mit der ich persönlich auf E-Mails reagieren musste. Während in den 1990er Jahren die Antwort auf eine E-Mail ein paar Tage warten konnte, begann ich irgendwann auf jede Botschaft sofort zu reagieren. Verantwortlich für diese Tempoerhöhung der Online-Kommunikation, die auch den Stresslevel enorm erhöht, sind sicherlich auch die Social-Media-Konzerne und Entwickler der vielen bunten Apps auf dem Smartphone. Sie haben uns mit Hilfe des Systemdesigns auf ihren Plattformen dazu genötigt, jederzeit und an jedem Ort auf alles umgehend zu reagieren. Irgendwann fing ich an, das ungesunde WhatsApp-Prinzip auch auf E-Mails und andere Bereiche meines Lebens zu übertragen … wenn ich auf meine WhatsApp-Nachricht sofort eine Antwort erhalte, möchte ich natürlich auf eine E-Mail-Antwort nicht länger warten! Logisch.
Ehrlicherweise habe ich lange Zeit gedacht, dass irgendetwas an mir selber dafür verantwortlich ist, dass meine Online-Zeiten zu lang bemessen sind. In Höchstzeiten war ich pro Tag allein auf meinem Smartphone über drei Stunden unterwegs, letzte Woche hat mir die Bildschirmzeit-Funktion von Apple pro Tag glücklicherweise »nur« 1,17 Stunden rückgemeldet. Als Persönlichkeitspsychologe weiß ich, dass es tatsächlich Eigenschaften von Personen gibt, die mit längeren Online-Verweilzeiten und anderen Phänomenen wie Unbekümmertheit im Umgang mit den eigenen Daten zu tun haben. Beispielsweise habe ich durch meine Forschung nachweisen können, dass weniger gewissenhafte oder mehr neurotische Personen eher dazu neigen, eine exzessive Internetnutzung an den Tag zu legen. Neurotische Personen neigen unter anderem zu mehr Ängstlichkeit. Ist Neurotizismus aber nun eine Folge von einem Zuviel an Digital, oder neigen neurotische Personen grundsätzlich eher dazu, viel Zeit im World Wide Web (WWW) zu verbringen? Solche Zusammenhänge werde ich in diesem Buch ausführlich untersuchen.
Jenseits des Blicks eines Persönlichkeitspsychologen, bin ich aufgrund meiner wissenschaftlichen Erkenntnisse davon überzeugt, dass individuelle psychische Eigenschaften alleine nicht ausreichend erklären, warum 30 Jahre nach Gründung des WWWs im Jahr 1991 aktuell ca. 66 % der Menschheit online sind2 und davon mehr als drei Milliarden einen Service des Facebook-Konzerns nutzen.3 Mein Austausch mit unterschiedlichsten Wissenschaftsdisziplinen wie Informatik, Ökonomie oder auch Medizin forderte mich als Psychologe und Hirnforscher immer wieder heraus, eine neue Perspektive auf mein Forschungsthema einzunehmen. Dabei musste ich feststellen, dass es zu wenig ist, lediglich zu verstehen, wer aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur online zu welchen Verhaltensweisen neigt. Genauso bedeutsam ist es, die psychologischen Mechanismen aufzuzeigen, die darauf abzielen, Menschen unabhängig von ihrer eigentlichen Persönlichkeitsstruktur möglichst lange auf einem Online-Angebot zu halten: Und dies vonseiten der Tech-Konzerne immer mit dem Ziel, die anfallenden digitalen Fußabdrücke der einzelnen Nutzer*innen auswerten zu können, um jede*n ihrer Kund*innen besser Produkte verkaufen zu können.
In diesem Buch finden also beide Perspektiven ihren Platz: Auf der einen Seite untersuche ich aus psychologischer Perspektive verschiedene App-Elemente wie den Newsfeed bei Facebook, die Lesebestätigung (»Doppelhaken«) bei WhatsApp, die Story auf Instagram oder die Macht der Kurzvideos auf TikTok, um darzustellen, wie Online-Plattformen es schaffen, uns immer wieder auf ihre Angebote zurückkehren zu lassen. Auf der anderen Seite wage ich einen differentiell-psychologischen Blick auf verschiedene menschliche Eigenschaften, um zu verstehen, warum bestimmte Personengruppen besonders stark auf bestimmte App-Elemente reagieren. Welche Menschen sind zum Beispiel aufgrund ihrer Persönlichkeit anfällig dafür, über News-Apps und Social-Media-Kanäle in einer sogenannten Filterblase zu landen?
Ich werde darlegen, warum ich der Überzeugung bin, dass Tech-Konzerne eine gehörige Verantwortung dafür tragen, dass viele von uns durch die Nutzung der Online-Plattformen nicht nur abhängig4, sondern auch gläsern und intolerant werden. Zwar mag dies in unterschiedlichem Ausmaß geschehen, trotzdem sind Millionen von Menschen rund um den Globus betroffen. Mit dieser Einsicht veränderte sich übrigens auch mein Blick auf meine Aufgabe als Psychologe und Hirnforscher: Während in einem anderen Bereich meiner Forschung im Vordergrund steht, beispielsweise mit meinen Kolleg*innen an vorderer Front die biologischen Grundlagen der Persönlichkeit zu entschlüsseln5, geht es mir mit dem vorliegenden Buch vor allem darum aufzuzeigen, wie Tech-Konzerne uns dazu drängen, immer wieder auf ihre Plattformen zurückzukehren, damit wir dort unsere Online-Spuren hinterlassen. Damit geht es in diesem Bereich meiner Forschung darum, Wissen für die Allgemeinheit zu schaffen, welches den Tech-Konzernen schon lange bekannt ist, aber dort hinter hohen Mauern verbleibt. Ich versuche aus psychologischer Sicht zu erklären, wieso wir das Gefühl für Zeit und Raum verlieren, wenn wir durch diverse Newsfeeds scrollen, warum wir eine so enge Bindung zu unserer virtuellen Farm entwickeln, dass wir sogar bereit sind, Geld dafür auszugeben, und wie App-Entwickler*innen mit unserer Angst spielen, etwas zu verpassen.
Das lateinische Wort »manipulare« bedeutet »etwas in der Hand haben«. Tatsächlich haben die Tech-Konzerne uns mittlerweile in ihrer Hand, auch weil es kaum Alternativen zu ihren Plattformen gibt. Der Buchtitel spielt auch darauf an: Du gehörst uns! Das ist bedenklich: Denn nichts anderes als unsere psychische Gesundheit, unsere Privatheit und sogar unsere Demokratie stehen auf dem Spiel. Deswegen bin ich auch davon überzeugt, dass das in diesem Buch behandelte Themenspektrum alle angeht.
Ich möchte auch Antworten auf die Frage geben, wo gesunder digitaler Konsum aufhört und die Abhängigkeit beginnt und wie wir unsere Online-Zeiten besser managen können. Und ich gebe Tipps und Hacks, wie wir unseren digitalen Fußabdruck möglichst klein halten können. Denn so viel ist jetzt schon klar: Wir werden nicht verhindern können, bei der Nutzung von Social Media und Internet digitale Spuren zu hinterlassen. Wir haben es aber (noch) in der Hand zu beeinflussen, was mit diesen Daten geschieht. Und eventuell können wir sogar Geschäftsmodelle etablieren, die dem Raubbau an unseren Daten Einhalt gebieten. Einen Beitrag zur sinnvollen Debatte über unsere digitale Zukunft liefert vor allem das Kapitel 9.
Mein Buch richtet sich keinesfalls nur an Personen, die gerade einen Facebook-Service oder Ähnliches nutzen, sondern an alle, die heute in Deutschland in irgendeiner Form online sind (ca. 96 %)6 oder ein Smartphone haben (ca. 61 Millionen).7 Ich habe dieses Buch für alle Menschen geschrieben, die googeln oder eine Reise online buchen. Ich habe dieses Buch für alle geschrieben, die sich im Zeitalter des Überwachungskapitalismus8 durch den öffentlichen Raum bewegen. Und für die kommenden Generationen, damit sie noch eine Privatsphäre haben.