Zum Buch
Wäre es möglich, ein Buch zu schreiben, wenn man jeden Tag nur eine Minute lang daran schreibt? Kann man fitter werden, indem man zu Anfang nur einen Liegestütz am Tag macht?
Die Tiny-Habits-Methode funktioniert so: Suche dir ein Verhalten aus, das du verändern möchtest, und mache es klein. So klein, dass es problemlos in deinen Tag passt. Und dann bringe es dazu zu wachsen. Dr. BJ Fogg ist der Gründer des »Behavior Design Lab« an der Universität Stanford und entwickelte dort 2007 sein weltberühmtes Verhaltensmodell, das seitdem Millionen von Menschen zu einem besseren Leben verholfen hat. Jetzt hat er endlich ein Buch darüber geschrieben und erklärt darin seine Methode: einfach, und in kleinen Schritten.
Zum Autor
DR. BJ FOGG Jahrgang 1963, ist promovierter Sozialwissenschaftler und Gründer des Behavior Design Lab an der Universität Stanford. Dort entwickelte er 2007 sein weltberühmtes Verhaltensmodell, das seitdem Millionen von Menschen zu einem besseren Leben verholfen hat. Neben seiner Forschungstätigkeit coacht er zudem erfolgreich Führungskräfte und leitet die Tiny Habits®-Academy. Er zählt laut Forbes zu den »10 New Gurus You Should Know« und lebt mit seiner Familie in Kalifornien und auf Hawaii.
Dr. BJ Fogg
Die Tiny Habits®-
Methode
Kleine Schritte, große Wirkung
Aus dem amerikanischen Englisch
von Felix Mayer
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Deutsche Erstausgabe Dezember 2021
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe: © 2021 by btb Verlag
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Copyright der Originalausgabe: © 2019 by Brian Jeffrey Fogg
Umschlaggestaltung: semper smile, München
Umschlagmotiv: © Shutterstock/donatas1205; kasha_malasha
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
978-3-641-24186-5
www.btb-verlag.de
www.facebook.com/btbverlag
Einleitung:
Veränderungen sind möglich (und können sogar Spaß machen)
1 Die Bestandteile menschlichen Verhaltens
2 Motivation – Die passenden Verhaltensweisen finden
3 Machbarkeit – so einfach wie möglich
4 Auslöser – Die Kraft des Nachdem
5 Gewohnheiten entstehen durch Emotionen
6 Von kleinen Gewohnheiten zu großen Veränderungen
7 Schlechte Angewohnheiten auflösen – ein systematischer Ansatz
8 Sich gemeinsam verändern
Schlussbetrachtungen:
Die kleinen Veränderungen, die alles verändern
Anhang
Für all die wunderbaren Menschen,
die mich bei meiner Arbeit inspiriert haben
Klein heißt gewaltig.
Das gilt zumindest für Veränderungen.
In den letzten zwanzig Jahren habe ich bemerkt, dass wir fast alle etwas in unserem Leben verändern wollen: Wir wollen uns gesünder ernähren, abnehmen, mehr Sport treiben, stressfreier leben, besser schlafen. Wir wollen bessere Eltern und bessere Partner sein. Wir wollen produktiver und kreativer werden. Aber das alarmierende Ausmaß an Übergewicht, Schlafstörungen und Stress, über das die Medien berichten (und dem ich auch während meiner Arbeit an unserem Institut in Stanford begegne), lässt erahnen, dass zwischen dem, was die Menschen wollen, und dem, was sie tun, eine tiefe Kluft besteht. Für diese Diskrepanz zwischen Wollen und Handeln werden alle möglichen Faktoren verantwortlich gemacht, meist aber geben wir uns selbst die Schuld. Längst haben wir die kritische Stimme der Gesellschaft verinnerlicht: »Es liegt nur an dir! Du solltest mehr Sport treiben, aber du machst es einfach nicht. Schäm dich!«
Ich will Ihnen sagen: Es liegt nicht an Ihnen.
Und: Positive Veränderungen vorzunehmen ist nicht so schwer, wie Sie glauben.
Populäre Irrtümer, falsche Vorstellungen und gut gemeinte, aber aus der Luft gegriffene Ratschläge führen seit Jahren dazu, dass wir an uns selbst scheitern. Wenn Sie schon einmal erfolglos versucht haben, in Ihrem Leben etwas anders zu machen, so denken Sie jetzt vielleicht: Es ist zu mühsam, echte Veränderungen zu bewirken, oder auch, dass Sie einfach nicht ausreichend motiviert waren. Beides ist falsch. Das Problem liegt nicht bei Ihnen, sondern in der Herangehensweise. Das ist etwa so, als wollten Sie eine Kommode zusammenbauen, bei der aber etliche Teile nicht mitgeliefert wurden und zu allem Überfluss dann auch noch die Bauanleitung fehlerhaft ist. In einem solchen Fall ärgern Sie sich natürlich, suchen die Schuld aber nicht bei sich selbst, sondern machen den Hersteller dafür verantwortlich. Vollkommen zu Recht. Wenn wir in unserem Leben etwas ändern wollen und dabei scheitern, machen wir jedoch so gut wie nie »den Hersteller« dafür verantwortlich. Wir suchen die Schuld immer bei uns selbst.
Sobald das Ergebnis unseres Handelns hinter unseren Erwartungen zurückbleibt, hat unser innerer Kritiker seinen großen Auftritt. Viele Menschen glauben, mit ihnen sei etwas nicht in Ordnung, wenn es ihnen nicht gelingt, produktiver zu werden, abzunehmen oder regelmäßig Sport zu treiben. Wenn wir nicht solche Versager wären, wären wir nicht gescheitert. Hätten wir das Trainingsprogramm minutiös befolgt oder wären unseren Vorsätzen treu geblieben, dann hätten wir Erfolg gehabt. Wir müssen uns einfach nur zusammenreißen und es besser machen. Oder?
Nein. Tut mir leid.
Wir selbst sind nicht das Problem.
Das Problem bei Veränderungen ist unsere Herangehensweise. Der Fehler liegt im System, nicht in unserer Person.
Sich bestimmte Gewohnheiten anzueignen und dadurch positive Veränderungen zu bewirken, ist nicht schwierig – wenn man die richtige Herangehensweise kennt: ein System, das berücksichtigt, wie die menschliche Psyche wirklich funktioniert, ein Verfahren, das Veränderungen leichter macht, sowie Methoden, die nicht auf Mutmaßungen oder falschen Annahmen beruhen.
Die gängigen Ansichten über Veränderungsprozesse sowie darüber, wie Gewohnheiten entstehen, führen dazu, dass wir unrealistische Erwartungen an uns selbst haben. Wir wissen, dass Gewohnheiten in unserem Leben eine wichtige Rolle spielen und dass wir generell mehr gute Angewohnheiten und weniger schlechte bräuchten. Und trotzdem fällt es uns schwer, etwas in unserem Leben zu verändern. Trotzdem glauben wir, es läge an uns. Alle Erkenntnisse aus meiner Forschung und meiner praktischen Erfahrung weisen allerdings darauf hin, dass diese Einstellung genau die falsche ist. Wenn Sie Ihr Verhalten ändern und Gewohnheiten entwickeln wollen, die Ihnen guttun, müssen Sie zuallererst einmal drei Dinge verinnerlichen:
Dieses Vorgehen mag befremdlich erscheinen. Ich weiß, dass manche Menschen eine Weile brauchen, um sich damit anzufreunden. Selbstkritik ist eine sehr spezielle Angewohnheit. Oftmals gehen unsere Gedanken ganz automatisch in diese Richtung – wie ein Schlitten, der in einer bereits ausgefahrenen Bahn zu Tal saust.
Mit der Tiny-Habits-Methode (»Methode der kleinen Gewohnheiten«) schlagen Sie einen anderen Weg ein. Schon bald wird Schnee die gewohnte Bahn des Selbstzweifels bedecken, und der neue Weg wird derjenige, den Sie regelmäßig gehen. Das wird nicht lange dauern, denn mit dieser Methode etablieren Sie Veränderungen, weil Sie sich gut fühlen, und nicht, weil Sie sich schlecht fühlen. Dabei brauchen Sie weder besonders viel Willenskraft, noch müssen Sie sich Rechenschaft ablegen oder sich Belohnungen in Aussicht stellen. Sie müssen auch nicht bestimmte Dinge soundso viele Tage lang wiederholen. Solche Herangehensweisen lassen außer Acht, wie Gewohnheiten sich wirklich einschleifen, und stellen daher keine wirksamen Methoden dar, um Veränderungen zu erreichen. Außerdem führen sie oft dazu, dass wir frustriert sind.
Dieses Buch kann Ihnen helfen, die Angst vor Veränderungen abzulegen, und – was viel wichtiger ist – es zeigt Ihnen, wie Sie mühelos und sogar mit Freude die Kluft überwinden zwischen dem Menschen, der Sie jetzt sind, und dem Menschen, der Sie sein wollen – wie tief diese Kluft auch sein mag. So können Sie lernen, Ihre alte Herangehensweise zu verabschieden und durch ein grundlegend anderes System zu ersetzen, mit dem Sie Veränderungen erreichen können.
Das Verfahren, das ich Ihnen im Folgenden vorstelle, basiert nicht auf Spekulationen. Vielmehr habe ich es über viele Jahre hinweg bei über vierzigtausend Menschen in der Praxis erprobt und dabei immer weiter verfeinert. All diese Leute habe ich persönlich begleitet und dabei Woche für Woche Daten gesammelt. Ich weiß, dass diese Methode funktioniert. Sie räumt mit falschen Vorstellungen auf, basiert auf Grundsätzen, die erwiesenermaßen gültig sind, und ersetzt starre Regeln durch prozesshaftes Vorgehen. Was der Mitbegründer von Instagram, ein ehemaliger Student von mir, über menschliches Verhalten gelernt hat und womit er eine revolutionäre Internet-Plattform entwickelt hat, das werden auch Sie lernen – und mit denselben Methoden revolutionäre Veränderungen in Ihrem Leben und im Leben von anderen herbeiführen. Das bringt Sie nicht nur persönlich weiter, sondern macht sogar noch Spaß. Sobald Sie aufhören, sich zu bewerten, können Sie Ihr Verhalten wissenschaftlich beobachten. Die Lust am Erforschen und Entdecken ist eine Voraussetzung für den Erfolg, nicht einfach nur ein Nebeneffekt.
BEHAVIOR DESIGN
Willkommen in der Welt des Behavior Design! Mit diesem Begriff bezeichne ich das von mir und meinem Forschungsteam entwickelte umfassende System, das es erlaubt, menschliches Verhalten zu verstehen und einfache Methoden zu entwickeln, um das eigene Leben zu verändern. Anfangs trug unsere Arbeit zur Entwicklung innovativer Produkte bei, die heute täglich Millionen von Menschen helfen, sich fit zu halten, Kosten zu reduzieren, ihre Autos effizient zu steuern und vieles mehr. Nachdem wir die Erfahrung gemacht hatten, dass unsere Methoden in Wirtschaftsunternehmen zu erfolgreichen Lösungen führten, richtete ich meine Aufmerksamkeit auf den Menschen als Individuum: Wie können wir selbst unser Verhalten verändern? Mich interessierten jene Veränderungen, die die Menschen aus eigenem Antrieb bewirken wollen. Und als ich in den Spiegel sah, entdeckte ich vieles, was verbessert werden konnte. Also beschloss ich, das zu tun, was jeder übermotivierte Wissenschaftler irgendwann einmal macht: Ich unterzog mich einem Selbstversuch.
Ich spielte nach Lust und Laune mit den Verhaltensweisen herum, die ich in mein Leben integrieren wollte. Ich nahm mir bekloppte Dinge vor, die mir fabelhaft gut gelangen, wie etwa: zwei Liegestütze nach jedem Toilettengang. Ich probierte vermeintlich vernünftige Dinge aus, die völlig danebengingen, wie etwa: jeden Tag nach dem Mittagessen eine Orange essen. Wenn es mit einer neuen Gewohnheit nicht klappte, beugte ich mich über meine Schemata und versuchte herauszufinden, woran es lag. Mit der Zeit erkannte ich Muster. Ich ging Vermutungen nach, drehte mich im Kreis und kaute dieselben Gedanken immer wieder durch.
Obwohl ich selbst Verhaltensforscher war, musste ich erst lernen, in meinem eigenen Leben Gewohnheiten zu etablieren. Das ging nicht mühelos und wie von selbst, sondern war ein bewusster und gezielter Vorgang. Doch je mehr Übung ich darin bekam, desto mehr wurde aus dieser Schwäche eine Stärke, und nach sechs Monaten hatte ich mein Leben spürbar verändert. Ich hatte zehn Kilo abgenommen und fühlte mich kräftiger und gesünder. Meine Arbeit erledigte ich so produktiv und effizient wie nie zuvor. Ich aß Eier mit Spinat zum Frühstück und Blumenkohl mit Senf als Nachmittagssnack und strich alles vom Speiseplan, was mir nicht guttat. Ich begann jeden Tag mit einer Reihe aufmunternder kleiner Gewohnheiten, und um besser schlafen zu können, änderte ich (am laufenden Band) mein Leben und meine Umgebung. Während ich – mit allerlei Irrungen und Wirrungen – mein Leben neu ordnete, stellte ich fest, dass mein Elan immer größer wurde und es mir immer besser gelang, Veränderungen herbeizuführen. Die geballte Kraft Dutzender neuer, meist kleiner Gewohnheiten bewirkte eine richtige Transformation. Meinen neuen Zustand beizubehalten fiel mir überhaupt nicht schwer. Veränderungen auf diese Weise zu bewirken, fühlte sich ganz natürlich an und machte obendrein einen Riesenspaß.
Ganz begeistert von den Ergebnissen dieses Selbstversuchs, fing ich im Jahr 2011 an, anderen meine Methode beizubringen. Meine Forschungsarbeit zeigte, dass dieser Ansatz auch bei anderen Menschen Erfolg hatte und ihr Leben veränderte. Aus einem skurrilen Selbstversuch auf dem Gebiet des Behavior Design wurde zu meiner Überraschung und Freude die Tiny-Habits-Methode, die sich bis heute vielfach bewährt hat – ein schneller und simpler Weg zur persönlichen Veränderung.
Lassen Sie mich an diesem Punkt eines richtigstellen: Wissen allein reicht nicht aus, damit wir unser Verhalten ändern. Das ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dem auch wohlmeinende Psychologen aufsitzen. Ihm liegt folgende Annahme zugrunde: Wenn wir den Menschen nur die richtigen Informationen geben, verändert das ihre Einstellung, und das wiederum führt dazu, dass sie ihr Verhalten ändern. Ich nenne das den »Informations-Handlungs-Trugschluss«. Viele Produkte und Programme (und wohlmeinende Psychologen) wollen die Menschen bilden, um dadurch ihr Verhalten zu ändern. Auf Konferenzen hört man dann Sätze wie: »Würden die Leute die Fakten kennen, dann würden sie sich anders verhalten!«
Wenn Sie an Ihre eigenen Erfahrungen zurückdenken, werden Sie rasch erkennen, dass Wissen allein noch nie Ihr Leben verändert hat. Und das ist ganz bestimmt nicht Ihre Schuld.
Seit 2009 beschäftige ich mich mit der Frage, wie Gewohnheiten entstehen. Dabei habe ich festgestellt, dass es nur drei Wege gibt, um dauerhafte Veränderungen zu erreichen:
oder
Eine wahrhafte Erleuchtung bei uns selbst (oder anderen) zu bewirken ist schwierig, wahrscheinlich sogar unmöglich. Also sollten wir diese Option verwerfen, außer wir besitzen übersinnliche Fähigkeiten (was bei mir nicht der Fall ist). Aber es gibt Hoffnung: Die beiden anderen Methoden können zu dauerhaften Veränderungen führen, wenn wir uns an das richtige Vorgehen halten. Mit der Tiny-Habits-Methode können wir lernen, die Kraft unserer Umgebung und der kleinen Schritte auf neuartige Weise zu nutzen.
Alles fängt damit an, dass wir positive Gewohnheiten etablieren, und wenn wir erst einmal kleine positive Gewohnheiten etabliert haben, können wir schon bald weitaus größere daraus entwickeln. Wenn Sie einmal verstanden haben, wie diese Methode funktioniert (und warum sie funktioniert), können Sie damit auch einmalige große Veränderungen herbeiführen. Sie können unliebsame Gewohnheiten ablegen. Sie können laufend neue Verhaltensweisen sammeln, die Sie sich schon immer angewöhnen wollten.
Dieses Buch wird Sie bei all diesen Formen der Verhaltensänderung begleiten.
Im Kern besteht die Tiny-Habits-Methode aus folgenden Schritten: Sie suchen eine Verhaltensweise aus, die Sie sich aneignen wollen, machen sie klein, platzieren sie an einer Stelle in Ihrem Leben, an die sie gut passt, und sorgen dafür, dass sie wächst. Wenn Sie auf lange Sicht etwas an Ihrem Leben ändern wollen, fangen Sie am besten klein an. Und zwar aus folgenden Gründen.
Klein heißt schnell
Zeit. Nie haben wir genug, und immer hätten wir gern mehr. Weil wir uns ständig unter Zeitdruck fühlen, essen wir während der Autofahrt Burger, aus denen die Soße tropft, und halten Telefonkonferenzen ab, während wir mit unseren Kindern am Strand sitzen. Dieser Druck führt zu einer knauserigen Einstellung: Weil wir befürchten, die neuen positiven Gewohnheiten aus Zeitmangel nicht pflegen zu können, versuchen wir uns gar nicht erst an Veränderungen. Täglich dreißig Minuten Sport treiben? Jeden Abend eine ausgewogene Mahlzeit zubereiten? Vergessen Sie’s. Keine Zeit, keine Zeit, keine Zeit.
Wenn Sie wollen, können Sie sich natürlich mit Selbstbeschimpfung zu Veränderungen antreiben. Sie können sich das Leben aber auch sehr viel einfacher machen.
Sie können zum Beispiel klein anfangen.
Beginnen Sie mit kleinen Handlungen, die nicht länger als dreißig Sekunden dauern. Daraus werden rasch neue Gewohnheiten, die dann ganz natürlich wachsen. Wenn Sie klein anfangen, können Sie große Veränderungen herbeiführen, ohne sich sorgen zu müssen, ob Sie dafür die Zeit haben werden. Für den Anfang rate ich dazu, mit drei sehr kleinen Verhaltensweisen anzufangen, oder auch nur mit einer. Wenn Sie unter großem Stress stehen und eigentlich keine freie Minute haben, ist diese Methode genau die richtige für Sie. Auch wenn Sie sich noch so fest vornehmen, eine wohltuende Gewohnheit zu entwickeln – es wird Ihnen nicht gelingen, wenn Sie in zu großem Maßstab anfangen. Wenn Sie gleich aufs Ganze gehen, wird sich die neue Gewohnheit wahrscheinlich nicht einschleifen. Klein anzufangen ist für viele Menschen nicht nur der beste Weg, sondern wahrscheinlich auch der einzig erfolgversprechende.
Klein kann sofort beginnen
Wenn Sie im Kleinen vorgehen, können Sie mit sich selbst und Ihrem Leben klar Schiff machen. Und Sie können jetzt damit anfangen, egal, in welchem Zustand Ihr Leben ist – ob Sie sich aussichtslos im Kreis drehen oder ob Sie eigentlich glücklich sind, aber nur zurzeit etwas gestresst. Wir alle kämpfen mit bestimmten Umständen unseres Lebens, mit Denkweisen, die uns behindern, oder mit Launen unserer Seele, mit denen wir uns selbst im Weg stehen. Wir können uns davon frustrieren lassen und uns dafür schämen, aber wir können diesen Zustand auch knacken.
Ich werde Ihnen in diesem Buch nicht vorschreiben, welche Gewohnheiten Sie sich aneignen sollen, sondern ich zeige Ihnen eine Methode, mit der Sie jede beliebige Gewohnheit etablieren können. Welche, das entscheiden Sie. Jetzt aber will ich eine Ausnahme machen. Mein Vorschlag: Machen Sie ab sofort jeden Morgen ein bestimmtes kleines Ritual. Es ist ganz simpel und dauert gerade mal drei Sekunden. Ich nenne es das Maui-Ritual.
Wenn Sie sich morgens im Bett aufsetzen und die Füße auf den Boden stellen, sagen Sie: »Das wird ein großartiger Tag.« Während Sie diese fünf Worte aussprechen, versuchen Sie, sich optimistisch und positiv zu stimmen.
Im Tiny-Habits-Format sieht diese Formel so aus:
In den zurückliegenden Jahren haben Tausende Menschen auf meine Anregung hin das Maui-Ritual zu einem Teil ihres Lebens gemacht, und die Auswirkungen waren hocherfreulich. Auch bei mir selbst hat es wunderbar funktioniert. Mithilfe des Maui-Rituals können Sie auf der Stelle – und mit minimalem Aufwand – in eine bessere Zukunft starten.
Wenn Sie möchten, können Sie das Ritual leicht variieren. Manche Menschen verändern den Wortlaut und sagen etwa: »Heute wird es richtig klasse!« oder »Los geht’s. Dieser Tag wird prima!« Suchen Sie sich ruhig die Variante, die Ihnen am meisten liegt. Einige sagen ihren Satz auch zu einem anderen Zeitpunkt, etwa wenn sie morgens in den Spiegel schauen. Für mich wäre das nichts. (Ich vermeide es, morgens als Erstes in den Spiegel zu sehen. Grässlich …) Aber wenn das Ritual an dieser Stelle am besten in Ihren Tagesablauf passt, dann machen Sie es so.
Ich würde Ihnen raten, mit der klassischen Version anzufangen, wie sie hier auf dem Formelkärtchen steht, und sie dann, falls erforderlich, abzuändern.
Zu meinem morgendlichen Maui-Ritual gehört auch, dass ich ein paar Sekunden innehalte, nachdem ich den Satz gesagt habe. Ich bin zu dem Zeitpunkt noch nicht wirklich wach, und ich will dem Gedanken Zeit geben, mit mir gemeinsam aufzustehen.
Wenn Sie das Maui-Ritual in Ihr Leben integriert haben und morgens einmal ahnen, dass der Tag alles andere als großartig wird, sollten Sie Ihren Satz trotzdem sagen. Ich lasse ihn nie aus, auch nicht an Tagen, an denen ich schon morgens erschöpft bin, mich überfordert fühle oder dem bevorstehenden Tag mit Sorge entgegensehe. Wenn ich nach dem Aufwachen auf der Bettkante sitze, versuche ich immer, optimistisch zu sein. Und wenn ich das Gefühl habe, mir damit etwas vorzumachen, verändere ich den Wortlaut oder meine Intonation und sage zum Beispiel: »Das wird ein großartiger Tag – irgendwie.«
Dieses Ritual hilft mir auf wundersame Weise, auch an meinen schwärzesten Tagen. Wenn ich mir voller Bedenken den bevorstehenden Tag ausmale, dann öffnet dieser Satz – selbst wenn ich ihn mit hörbarer Skepsis ausspreche – eine Tür, hinter der die Ahnung aufscheint, es könnte doch noch irgendwie ein guter Tag werden. Und meistens wird es dann auch ein guter Tag.
Das Maui-Ritual ist eine simple Übung, die Sie jeden Morgen nur drei Sekunden kostet. Mit seiner Hilfe können Sie erfahren, wie leicht es ist, einen ersten Schritt zu machen, und darüber hinaus lernen Sie das, worauf es am meisten ankommt, wenn Sie Ihr Verhalten ändern wollen: sich erfolgreich zu fühlen.
Klein heißt sicher
Ein Freund von mir hat eine kleine Tochter. Sie heißt Willa, ist achtzehn Monate alt und macht gerade buchstäblich die ersten Schritte in die Welt. Als sie einmal bei uns zu Besuch waren, lief Willa in der Hofeinfahrt herum, immer auf der Jagd nach meinem Hund Millie. Dabei geriet sie andauernd ins Stolpern und fiel hin. Bordsteine zu erklimmen und Kanalgitter sicher zu überqueren, ist für ein Kleinkind eine knifflige Angelegenheit, aber Willa stand immer wieder auf. Wenn sie stürzte, schrie sie manchmal leicht auf, tat sich dabei aber nie weh, also ließen wir sie weiter herumtollen. Hätte dagegen ich als Erwachsener laufen lernen müssen und wäre dabei alle paar Meter aufs Pflaster geschlagen, ich hätte mir eine Menge Schrammen zugezogen. Einem Menschen meiner Größe – ich bin etwa eins fünfundachtzig – tut so ein Sturz ordentlich weh.
Ähnlich verhält es sich, wenn wir neue Gewohnheiten in unser Leben integrieren wollen. Wenn Sie etwa mit Yoga anfangen wollen, haben Sie mehrere Möglichkeiten, die alle ein unterschiedlich hohes Risiko bergen. Sie können einmal einen Sonnengruß machen, beim Yogastudio um die Ecke ein unlimitiertes Monatsabo abschließen oder für ein paar Wochen zu einem Retreat nach Indien fliegen. Bei jeder Variante investieren Sie unterschiedlich viel Zeit und Geld und haben andere Erwartungen. Wer noch nie einen Fuß auf eine Yogamatte gesetzt hat, wird allerdings wohl kaum nach Indien aufbrechen. Warum ist das so? Wir ahnen intuitiv, dass wir uns damit möglicherweise übernehmen, und in der Regel tun wir uns schwer, etwas Neues anzufangen, dem wir nicht gewachsen sind. Wenn ich mich auf den sanften Wellen vor Cove Park auf Maui kaum auf dem Surfbrett halten kann, werde ich mich nicht an die Wellenberge vor Jaws auf der anderen Seite der Insel herantrauen. Denn wahrscheinlich würde ich mich dabei verletzen, dadurch jedes Selbstvertrauen in Sachen Surfen verlieren und mich nicht einmal mehr in eine gemäßigte Brandung wagen. Warum sollte ich mich diesem Risiko aussetzen? Diese Vorstellung ist nicht besonders verlockend. Und deshalb bleibe ich lieber in Cove Park.
Bei der Tiny-Habits-Methode ist Risiko kein Thema. Klein kann auch bedeuten: im Verborgenen. Sie können Veränderungen in Ihrem Leben vornehmen, ohne dabei einen Riesenzirkus zu veranstalten. Dann kann Ihnen niemand dazwischenfunken, und Sie verspüren weniger Erfolgsdruck.
Weil die Methode beliebig anpassbar ist und Sie dabei nur kleine Verhaltensweisen einüben, besteht auch kein Risiko, dass Sie emotionalen Schaden nehmen. Wenn Sie nach dieser Methode vorgehen, können Sie nicht scheitern. Vielleicht stolpern Sie hin und wieder, aber dann stehen Sie einfach wieder auf und gehen weiter. Das ist kein Scheitern, sondern Teil des Prozesses.
Kleines kann groß werden
In den letzten zwanzig Jahren habe ich immer wieder festgestellt, dass es nur einen nachhaltig erfolgreichen Weg gibt, um Großes zu erreichen: klein anfangen. Als Beispiel will ich Ihnen die Geschichte von Amy erzählen, einer früheren Studentin von mir. Sie kümmerte sich zu Hause um ihre Kinder und versuchte gleichzeitig, eine Firma für Bildungsmedien zum Laufen zu bringen. Sie war begeistert von der Vorstellung, ihre eigene Chefin zu sein und einem Beruf nachzugehen, der sie wirklich erfüllte. Aber sie hatte eine Menge zu erledigen: Mitarbeiter einstellen, Büroräume suchen, sich im Steuerrecht orientieren. Dringendes schob sie auf, wie etwa den Abschluss von Verträgen, und beschäftigte sich lieber mit Dingen, die ihr Spaß machten, wie etwa dem Entwurf des Firmenlogos. Dabei geriet sie mit der Erstellung des Businessplans immer mehr in Verzug, und der Gedanke, womöglich mit ihrem Vorhaben zu scheitern, lähmte sie. Amy wollte ihre Firma voranbringen und nahm sich immer wieder fest vor, sich demnächst an die großen Brocken zu wagen, doch Monate später hatte sie ihren Worten noch immer keine Taten folgen lassen.
Was Amy blockierte, war ein weit verbreiteter Irrtum im Hinblick auf Veränderungen: die alles beherrschende Vorstellung, man müsse klotzen und nicht kleckern. In unserer heutigen Welt wollen wir alle andauernd etwas erreichen und uns sämtliche Wünsche auf der Stelle erfüllen. Es fällt uns schwer zu akzeptieren, dass etwas nur schrittweise vorangeht, und erst recht fällt es uns schwer, selbst nur schrittweise vorzugehen. Aber genau das ist die Voraussetzung, um auf lange Sicht substanzielle Veränderungen zu erreichen. Die meisten Menschen sind frustriert und verlieren den Mut, wenn Dinge nicht auf der Stelle passieren. Das ist verständlich und normal. Aber es führt fast unweigerlich zum Scheitern.
Mithilfe der Tiny-Habits-Methode lernte Amy, dass man einen riesigen Wal am besten verspeist, indem man immer nur ein kleines Stückchen davon isst (so wie Melinda Mae in dem gleichnamigen Gedicht von Shel Silverstein). Sie verwarf das Klotzen und entschied sich für das Kleine. Jeden Morgen, nachdem sie ihre Tochter in den Kindergarten gebracht hatte, fuhr sie auf dem Weg nach Hause rechts ran und notierte auf einem Post-it-Zettel eine Aufgabe. Nur eine. Es war immer etwas, was sie sofort erledigen konnte: eine Marketing-Mail verschicken, einen Termin für eine Besprechung festlegen, die Einleitung zu einem Patientenleitfaden entwerfen. Indem sie sich darauf konzentrierte, nur eine bestimmte Aufgabe zu notieren, löste sie eine Kettenreaktion aus, die sie durch den ganzen Tag trug. So gelang es ihr schließlich, ihre Firma marktreif zu machen. Das Gefühl, erfolgreich zu sein, begleitete sie, während sie nach Hause fuhr und auf der Klappe des Handschuhfachs das Post-it flatterte. Nachdem sie ihr Auto in der Einfahrt abgestellt hatte, schnappte sie sich den grellpinken Zettel, nahm ihn mit ins Haus und verschaffte sich mit wenig Aufwand rasch Erfolg.
Eine solche kleine Handlung (ein winziger Bissen vom Wal) mag Ihnen anfangs noch bedeutungslos erscheinen, aber sie verleiht Ihnen den Elan, den Sie brauchen, um sich größeren Herausforderungen zu stellen und auf diese Weise schneller zum Erfolg zu kommen. Und kaum haben Sie sich’s versehen, ist der Wal auch schon verputzt.
Klein verlässt sich weder auf Motivation noch auf Willenskraft
Im Gewirr der Stimmen, die uns erklären wollen, wie wir unser Verhalten ändern können, finden sich etliche, die in die Irre führen. Seien Sie misstrauisch. Auch viel zitierte wissenschaftliche Theorien helfen nicht unbedingt dabei, dem eigenen Leben in der Wirklichkeit eine neue Form zu geben.
Wie Sie wahrscheinlich wissen, ist in diesem Zusammenhang häufig von Motivation und Willenskraft die Rede. Viele Menschen bemühen sich, diese beiden seelischen Vermögen zu steigern und auf hohem Niveau zu halten. Das Problem ist nur: Motivation und Willenskraft sind schwer zu fassen und unterliegen ständigen Schwankungen. Daher kann man sich nicht auf sie verlassen.
Das lässt sich gut an folgendem Beispiel veranschaulichen. Juni, eine Frau aus Chicago, war so motiviert, Veränderungen anzustoßen, wie ich es noch nie zuvor bei einem Menschen erlebt hatte. Sie war süchtig nach Zucker. Diese Sucht stellte eine Gefahr für ihre Gesundheit und das Funktionieren ihrer Familie dar, und ihr drohte deswegen sogar der Verlust ihres Jobs. Sie moderierte bei einem Radiosender die Morgensendung, hatte einen zum Bersten gefüllten Terminkalender und war ständig auf Achse. In der Mittagspause nahm sie sich keine Zeit, etwas zu essen, sondern kippte stattdessen bei Starbucks einen Caramel Macchiato hinunter. Sie glaubte, sie bräuchte den Zucker, um in der Hektik des Studioalltags zu bestehen. Sie glaubte, die dafür nötige Energie könnte sie sich nur mit Aufputschmitteln beschaffen, und ihre Lieblingsdroge war Eis – insbesondere in den Geschmacksrichtungen Bubblegum und Cookie Dough. Wenn sie nach Hause kam, fiel sie völlig erschöpft aufs Sofa, während ihre beiden Kinder am Computer spielten.
Ein paar Jahre bevor ich Juni kennenlernte, war ihre Mutter an Diabetes gestorben. Das hätte ein Warnsignal sein und ihr mehr als genug Motivation verleihen können. Doch stattdessen unterdrückte sie den Schmerz mit immer mehr Bubblegum-Eis. In jenem Sommer nahm sie fünfzehn Pfund zu. Kurz darauf wurde auch bei ihren beiden Schwestern Diabetes festgestellt. Dann verstarb ihre Großmutter, die ebenfalls an Diabetes gelitten hatte. Die Krankheit raffte ein Mitglied ihrer Familie nach dem anderen dahin. Nachdem Juni ihre Sucht jahrelang abgetan hatte (»Ich bin nun mal eine Naschkatze«), erkannte sie, dass sie in einer gefährlichen Situation steckte. Sie hatte die Kontrolle verloren.
Mit dieser Erkenntnis schoss ihre Motivation nach oben. Sie versuchte es ein paarmal mit kaltem Entzug, was auch gut funktionierte – etwa einen Tag lang. Oder zwei. Dann verließ sie der Mut, sie fühlte sich schlecht, stürzte sich wieder auf Süßes und trieb ihren Zuckerspiegel wieder in die Höhe.
Juni glaubte, der Kampf gegen ihre Sucht sei eine Frage des Willens und sie selbst zu schwach, um der Begierde zu widerstehen. Dieser Gedanke frustrierte und verunsicherte sie, denn sie hatte sich immer für äußerst willensstark und zielstrebig gehalten – sonst hätte sie es nie zur Moderatorin bei einem großen Radiosender gebracht. Nichts ist jedoch weiter von der Wahrheit entfernt als die Vorstellung, es sei nur eine Frage des Willens, mit einer Gewohnheit zu brechen. Kurz nachdem Juni aus beruflichen Gründen an einem meiner Intensivseminare zum Thema Behavior Design teilgenommen hatte, sah sie sich auch ihr Privatleben näher an und stellte fest, dass ihre Zuckersucht keine persönliche Schwäche war, sondern eine Art Fehler im System. Dass ihre Motivation stark schwankte, war nicht ihre Schuld; sie war deswegen kein schlechter Mensch.
Nachdem Juni einen der wichtigsten Grundsätze des Behavior Design verstanden hatte – Einfache Schritte verändern das Verhalten –, machte sie einen erneuten Versuch und legte sich eine gewisse Anzahl von Gewohnheiten zurecht, die von kleinem Ausmaß, aber großer Wirkung waren und ihr schließlich halfen, ihre Zuckerabhängigkeit ein für alle Mal loszuwerden. Sie organisierte ihre Umgebung neu, indem sie ihre Vorräte an Süßigkeiten durch Snacks ersetzte, die zwar weniger Zucker enthielten, die sie aber trotzdem gern aß, und nicht durch für den Anfang so unattraktive Ersatzmöglichkeiten wie Selleriesticks oder Karotten. Sie verschrieb sich ein Trainingsprogramm sowie bestimmte Essgewohnheiten, die ihre Gier nach Zucker verdrängten oder zumindest zügelten. Außerdem stellte sie fest, dass sie oftmals reflexartig zu Zucker griff, wenn sie sich mit ungelösten Problemen trug. Also gewöhnte sie sich weitere Verhaltensweisen an – immer, indem sie klein anfing –, um mit ihren Gefühlen auf positivere Art umzugehen. Wenn sich Kummer bemerkbar machte und sie darin zu versinken drohte, nahm sie das als Auslöser, um einen Eintrag in ihr Tagebuch zu machen oder sich von einer Freundin trösten zu lassen anstatt von einem Schokoriegel. Entscheidend bei all dem war, dass Juni jedes Mal, wenn sie eine neue Gewohnheit einführte, mit Offenheit und Mitgefühl für sich selbst an die Sache heranging. Hin und wieder griff sie noch zu Zucker, doch sie betrachtete diese Rückfälle nicht als Charakterschwäche, sondern als Lehren, die ihr die Schwachstellen ihres Vorgehens aufzeigten und ihr halfen, es in Zukunft besser zu machen.
Indem Sie kleine Veränderungen einführen und die Erwartungen niedrig halten, umgehen Sie so wankelmütige Gesellen wie Motivation und Willenskraft. Alles, was klein ist, lässt sich leicht ins Werk setzen – und Sie brauchen sich daher nicht auf den notorisch unzuverlässigen Faktor Motivation zu verlassen.
Kleines bewirkt große Veränderungen
Zur Tiny-Habits-Methode gehört es, Erfolge so richtig zu feiern, auch wenn sie noch so klein sind. Auf diese Weise beeinflussen Sie die neurophysiologischen Prozesse in Ihrem Gehirn und verwandeln bewusste, gezielte Handlungen in automatisierte Gewohnheiten. Indem Sie Ihre Erfolge ausgiebig genießen, sorgen Sie dafür, dass sich neue Gewohnheiten einschleifen, und Sie steigern Ihre Motivation, auf diesem Weg weiterzumachen. Woche für Woche sehe ich bei den Menschen, die ich bei Veränderungsprozessen begleite, entsprechende Ergebnisse. Doch das ist noch nicht alles: Mit dieser Methode lernen Sie auch, sich im Leben wohlzufühlen. Die Fähigkeit, sich auf die Schulter zu klopfen, anstatt sich selbst zu verprügeln, schlägt Wurzeln, die mit der Zeit das eigene Leben verändern.
Als Linda den ersten Tiny-Habits-Samen pflanzte, wirbelte gerade ein orkanartiger Sturm durch ihr Leben. Vor etwa zehn Jahren, lange bevor sie Tiny-Habits-Coach wurde, fiel ihre Welt auf tragische Weise in Trümmer. Ein Sohn starb an einer Überdosis Drogen, bei einer Tochter wurde eine bipolare Störung festgestellt, und der familieneigene Betrieb ging zunehmend den Bach hinunter – und das alles innerhalb weniger Jahre. Mitten in dieser ohnehin schon niederdrückenden Phase ihres Lebens musste Linda erfahren, dass ihr Mann an Demenz erkrankt war. Während sie sich daranmachte, die Firma wieder auf Vordermann zu bringen, erkannte sie, in welchem Ausmaß die Krankheit sein Urteilsvermögen beeinträchtigt hatte. Die falschen geschäftlichen Entscheidungen, die er getroffen hatte, drohten in Verbindung mit der anhaltenden Rezession innerhalb weniger Monate zum Konkurs zu führen. Sie verloren all ihre Ersparnisse, ihr Haus und die Pferderanch, mit der sie sich einen Traum erfüllt hatte. Wohl nur wenige Menschen haben je eine solche Ansammlung von Katastrophen erlebt. Aber Linda blieb keine Zeit, zu verzweifeln oder in Schockstarre zu verfallen. Sie musste sich um die Kinder kümmern und eine Firma vor dem Bankrott retten. Von Gram erfüllt, hatte sie jedoch keine Zeit, sich zu grämen, und versank schon bald in einer Depression.
Wie befreit man sich aus einem solchen Tief? Als Linda anfing, die Tiny-Habits-Methode anzuwenden, bat sie Gott jeden Morgen um Kraft. Sie wollte, dass es ihr besser ging. Sie wollte aufstehen können. Sie wollte für ihre Kinder da sein. Aber sie schaffte es kaum, morgens die Füße aus dem Bett zu heben. Als sie die Tiny-Habits-Methode entdeckte, litt sie vor allem unter dieser morgendlichen Antriebslosigkeit. Sie wollte den Tag voller Hoffnung anfangen, nicht voller Verzweiflung. Nachdem sie verschiedene Techniken ausprobiert hatte, fand sie ein Ritual – das Maui-Ritual –, das ihr, wie sie sagt, »buchstäblich das Leben gerettet hat«. Dieser kleine Kniff wurde zum Wendepunkt. Jeden Morgen nach dem Aufwachen stellte sie die Füße auf den Boden und sagte laut die oben erwähnten fünf Worte: »Das wird ein großartiger Tag.«
Schon bald fühlte sich ihr Leben anders an. Deutlich anders.
Klein anzufangen war für Linda der einzig gangbare Weg. Sie hatte nur eine Chance, wenn sie mit Kleinem beginnen und dann zu Größerem übergehen würde, und sie brauchte etwas, was dafür sorgte, dass sie sich gut fühlte. Das Maui-Ritual hatte weitere neue Gewohnheiten zur Folge, die dazu führten, dass sie sich erfolgreich fühlte. Dadurch wurde sie produktiver und wieder rundum gesund und hatte genug Kraft, um für ihre Kinder da zu sein. Das Wichtigste an ihren neuen Gewohnheiten war jedoch, dass diese sich wie kleine Samen einer besseren Zukunft in den Bruchstellen ihres Lebens festsetzten und dort wuchsen und gediehen. Und wenn neue Brüche auftraten, brauchte sie nur auf ihr Leben zu blicken, und schon wurde ihr wieder bewusst, dass sie dafür sorgen konnte, sich erfolgreich zu fühlen. Und sie war ja auch erfolgreich. Überall um sie herum blühten die Beweise. Sie musste ihren Garten einfach nur weiter gießen.
Seit sechs Jahren ist Linda nun als Tiny-Habits-Coach tätig. In dieser Zeit hat sie Tausende Menschen begleitet. Sie liebt ihre Arbeit. Sie wäre die Letzte, die behauptet, in ihrem Leben sei alles in Butter, aber wenn sie heute aufwacht, fühlt sie sich nicht mehr bleischwer. Sie weiß, dass Kleines große Veränderungen bewirken kann. Also richtet sie sich morgens auf, stellt die Füße auf den Boden und sagt diese fünf Worte: »Das wird ein großartiger Tag.«
Die Struktur kleiner Gewohnheiten
1. Der Ankermoment
Eine bestehende Angewohnheit (z. B. Zähneputzen) oder ein Geschehnis (z. B. das Klingeln des Telefons). Der Ankermoment erinnert Sie an die neue kleine Verhaltensweise.
2. Die neue Tiny Habit
Eine vereinfachte Version der Gewohnheit, die Sie neu einführen wollen, etwa einen Zahn mit Zahnseide reinigen oder zwei Liegestütze machen. Die Tiny Habit folgt unmittelbar auf den Ankermoment.
3. Feiern des Erfolges
Etwas, wodurch Sie sich ein positives Gefühl verschaffen, wie etwa der Satz: »Das habe ich klasse gemacht!« Den Erfolg feiern Sie unmittelbar nach der neuen Tiny Habit.
Anker
Tiny Habit
Feiern
Kleines beginnt mit einem Schlüssel
Ich bin nicht einfach eines Morgens aufgewacht und habe beschlossen, das Prinzip der kleinen Schritte ins Extrem zu treiben. Davor stand die Erkenntnis, wie menschliches Verhalten wirklich funktioniert.
Nach über zehnjähriger Forschung auf dem Gebiet des menschlichen Verhaltens fand ich 2007 den Schlüssel, der mir die Tür zu diesem Geheimnis öffnete. Die Lösung war erstaunlich einfach. Anfangs konnte ich kaum glauben, dass vor mir noch niemand darauf gekommen war, aber jetzt ist mir klar, dass manche Geheimnisse wie Rätsel sind. Wenn man die Lösung nicht kennt, scheinen manche Rätsel unmöglich zu knacken zu sein. Aber wenn man die Lösung einmal gefunden hat, ist alles sonnenklar.
Die Lösung, die ich gefunden habe, erlaubt es, menschliche Verhaltensweisen zu entschlüsseln und gezielt zu steuern.
Alle menschlichen Verhaltensweisen.
Die Zahnbürste an einer anderen Stelle aufbewahren. Jeden Morgen vor dem Frühstück die Spülmaschine ausräumen. Abends den Rasen sprengen. Zwei Kniebeugen machen, während die Kaffeemaschine läuft. Mittwochs den Müll rausbringen. Rauchen. Nicht rauchen. Auf die Uhr schauen. Auf dem Telefon nach der Uhrzeit sehen. Um drei Uhr morgens Fotos auf Instagram posten. Den Partner begrüßen, wenn man von der Arbeit nach Hause kommt. Die Betten machen. Die Betten nicht machen. Schokolade essen. Keine Schokolade essen. Dieses Buch lesen. Dieses Buch nicht lesen. Sich endlich etwas angewöhnen, was man sich schon seit Jahren vorgenommen hat. Sich endlich etwas abgewöhnen, was man schon seit Jahren sein lassen will.
Manche dieser Verhaltensweisen sind gute Angewohnheiten. Andere nicht.
Alle diese Verhaltensweisen setzen sich jedoch aus denselben Bestandteilen zusammen. Das Zusammenspiel dieser Bestandteile bestimmt jede einzelne unserer Handlungen. Sie sind die grundlegenden Elemente menschlichen Verhaltens.
In diesem Buch erläutere ich die Modelle des Behavior Design, die Ihnen dabei helfen werden, menschliches Verhalten zu verstehen. Außerdem beschreibe ich die von mir entwickelten Methoden, mit denen Sie Ihre persönlichen Gewohnheiten modellieren können. Eine Auflistung aller Modelle und Methoden finden Sie im Anhang im Abschnitt »Behavior Design: Modelle, Methoden und Maximen«.
Diese Modelle und Methoden gründen auf Forschungsergebnissen der Verhaltenswissenschaft sowie verwandter Fachgebiete. Weitergehende Informationen finden Sie auf tinyhabits.com/references.
In den einzelnen Kapiteln dieses Buches beschreibe ich alle Übungen, die Sie kennen müssen, um Ihre Gewohnheiten zu verändern. Wenn Sie mehr davon möchten, finden Sie weiteres Material unter tinyhabits.com/resources.
Wenn Sie erst einmal gelernt haben, die Bestandteile menschlichen Verhaltens aufeinander abzustimmen, sind Sie in der Lage, jede Ihrer Verhaltensweisen zu ändern. Und das bedeutet, dass Sie nie wieder in eine Sackgasse geraten und endlich der Mensch werden können, der Sie schon immer sein wollten. Ich weiß, das klingt toll, aber auch gewaltig und ein bisschen verrückt. Keine Sorge, ich werde Sie auf diesem Weg begleiten. Ich habe schon Tausenden Menschen dabei geholfen, ihr Leben zu verändern. Was ich daraus gelernt habe, werde ich im Folgenden mit Ihnen teilen.
Womit fangen wir nun an? Betrachten wir zunächst den Schlüssel, der uns die Tür zu dem Geheimnis öffnet:
Das Fogg-Verhaltensmodell.
Kleine Übungen, um mit der Tiny-Habits-Methode anzufangen
Wenn Sie die Tiny-Habits-Methode erlernen wollen, fangen Sie am besten auf der Stelle an. Schieben Sie es nicht auf. Fangen Sie mit dem Maui-Ritual an, das ich oben beschrieben habe, und nehmen Sie auch die folgenden Übungen mit dazu. Versuchen Sie bei all dem nicht, perfekt zu sein. Legen Sie einfach los, und lernen Sie Schritt für Schritt dazu. Machen Sie sich keinen Druck, und bleiben Sie entspannt. Seien Sie flexibel, und genießen Sie es!
Übung Nr. 1: Zahnseide
Sicher haben Sie Ihre Zähne schon einmal mit Zahnseide gereinigt. Aber vielleicht haben Sie es sich – wie die meisten Menschen – nicht zur Gewohnheit gemacht. Sie haben den Vorgang nicht automatisiert. Mit dieser Übung können Sie das ändern, indem Sie den Fokus auf die Routine legen und nicht auf den Umfang der Gewohnheit.
1. Schritt: Besorgen Sie sich Zahnseide, die Ihnen liegt. Vielleicht müssen Sie verschiedene Produkte ausprobieren, bis Sie dasjenige finden, das Ihnen am meisten zusagt.
2. Schritt: Legen Sie die Zahnseide auf die Ablage über dem Waschbecken, am besten neben die Zahnbürste.
3. Schritt: Wenn Sie nach dem Putzen die Zahnbürste wieder an ihren Platz gelegt haben, reißen Sie ein Stück von der Zahnseide ab.
4. Schritt: Reinigen Sie mit der Zahnseide den Zwischenraum zwischen zwei Zähnen. Nicht mehr.
5. Schritt: Sehen Sie in den Spiegel, lächeln Sie, und freuen Sie sich darüber, dass Sie eine neue Gewohnheit in Ihr Leben gebracht haben.
Hinweis: Wenn Sie möchten, können Sie in den folgenden Tagen auch mehrere Zähne reinigen, aber betrachten Sie alles, was über einen Zahn hinausgeht, als Fleißaufgabe. Damit tun Sie mehr als nötig.
Übung Nr. 2: Die tägliche Ration Schokolade
Geringe Mengen dunkler Schokolade können die Gesundheit fördern. Gewöhnen Sie sich an, jeden Tag ein Stückchen zu essen.
1. Schritt: Kaufen Sie eine Tafel dunkle Schokolade, von der Sie meinen, dass sie gesundheitsfördernd ist.
2. Schritt: Essen Sie morgens ein kleines Stück davon, nachdem Sie Kaffee getrunken oder Ihr Frühstück zu sich genommen haben. Das Verhaltensmuster könnte so lauten: Nachdem ich morgens gefrühstückt habe, werde ich noch ein kleines Stück gesunder Schokolade essen.
3. Schritt: Genießen Sie die Schokolade und freuen Sie sich darüber, dass Sie eine gesundheitsfördernde Gewohnheit in Ihr Leben integriert haben.
Hinweis: Bei dieser Gewohnheit sollten Sie den Umfang nicht erweitern. Betrachten Sie sie eher wie ein Bonsaibäumchen: klein, aber anregend.
Übung Nr. 3: Sich daran erinnern, dass Veränderungen am besten gelingen, wenn man sich gut fühlt
Wenn Sie nur einen einzigen Gedanken aus diesem Buch beherzigen, dann diesen: Veränderungen gelingen am besten, wenn wir uns gut fühlen, und nicht, wenn wir uns schlecht fühlen. Damit Sie diesen Grundsatz verinnerlichen, habe ich diese Übung für Sie entwickelt.
1. Schritt: Schreiben Sie folgenden Satz auf einen Zettel: »Veränderungen gelingen mir am besten, wenn ich mich gut fühle, und nicht, wenn ich mich schlecht fühle.«
2. Schritt: Kleben Sie den Zettel auf Ihren Badezimmerspiegel oder an eine andere Stelle, an der Sie ihn häufig sehen.
3. Schritt: Lesen Sie den Satz regelmäßig.
4. Schritt: Beobachten Sie, wie diese Erkenntnis Ihr Leben beeinflusst (und die Menschen in Ihrer Umgebung).