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Fünf Tage im Dezember

Buch

Am 7. Dezember 1941 greifen japanische Luftstreitkräfte Pearl Harbor an und zwingen so die USA in den Krieg gegen Japan. Fünf Tage später erklärt Hitler, dessen Truppen bereits verlustreich an mehreren Fronten in Europa kämpfen, den USA den Krieg und treibt diese zum Kriegseintritt in Europa. Was hat Hitler zu diesem Schritt bewogen, der das Ende seiner Herrschaft einleitete? Welche Überlegungen, welche Ängste und Hoffnungen bewegten die Akteure der wichtigsten kriegführenden Mächte? Auf der Basis wenig bekannter Dokumente und Aufzeichnungen schreiben die Historiker Simms und Laderman erstmals die dramatische Geschichte dieser fünf Tage im Zweiten Weltkrieg.

Autoren

Brendan Simms ist Professor für die Geschichte der internationalen Beziehungen am Department of Politics and International Studies der Universität Cambridge. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geopolitik Europas und die Geschichte Deutschlands im europäischen Kontext. Daneben publiziert er in Zeitschriften und Zeitungen zu aktuellen geo- und europapolitischen Themen. Bei DVA erschien zuletzt »Hitler. Eine globale Biographie«.

Charlie Laderman ist Dozent für Internationale Geschichte am King’s College in London. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte ist die Geschichte der Vereinigten Staaten und ihrer internationalen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert.

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Brendan Simms
Charlie Laderman

FÜNF TAGE IM
DEZEMBER

Von Pearl Harbor bis zur
Kriegserklärung Hitlers an die USA –
Wie sich 1941 das Schicksal
der Welt entschied

Aus dem Englischen von
Klaus-Dieter Schmidt

Deutsche Verlags-Anstalt

Die Originalausgabe dieses Buches erschien 2021 unter dem Titel
Hitler’s American Gamble. Pearl Harbor and Germany’s March to Global War
bei Basic Books, New York.

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Copyright © 2021 Brendan Simms und Charlie Laderman

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2021

Deutsche Verlags-Anstalt, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Covergestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Covermotive: Shawshots /Alamy Stock Foto (Cover);
Bettman /Getty Images (Rückseite)

Lektorat: Jonas Wegerer, Freiburg

Satz und E-Book Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-26914-2
V001

www.dva.de

Inhalt

Die Zeitzonen

Einleitung

1

Ursprünge.
Die anglo-amerikanische Hegemonie und ihre Gegner

2

Die Welten am 6. Dezember 1941

3

Sonntag, 7. Dezember 1941

4

Montag, 8. Dezember 1941

5

Dienstag, 9. Dezember 1941

6

Mittwoch, 10. Dezember 1941

7

Donnerstag, 11. Dezember 1941

8

Die Welt am 12. Dezember 1941

Dank

Anmerkungen

Bibliografie

Personenregister

Die Zeitzonen

02:30 Honolulu, Hawaii

08:00 Washington, D.C.

14:00 London

15:00 Berlin, Vichy, Rom, Libyen

16:00 Moskau

20:00 Chongqing

20:30 Britisch-Malaya

21:00 Hongkong

22:00 Tokio

Einleitung

Die fünf Tage zwischen dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor und Hitlers Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten waren so nervenaufreibend wie wenige andere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie gehören aber auch zu den am wenigsten verstandenen. Nach dem vorherrschenden Narrativ hat der japanische Angriff unweigerlich zum Ausbruch eines wahrhaft weltweiten Konflikts geführt. Nach dieser Ansicht schmolz der amerikanische Widerstand gegen eine Kriegsteilnahme sowohl im Pazifik als auch in Europa am 7. Dezember 1941 einfach weg. »An diesem Tag endete für jeden Realisten der Isolationismus«, behauptete der strikt antiinterventionistische und mit dieser Bemerkung häufig zitierte Senator Arthur Vandenberg später.1 Bestärkt werden die Verfechter dieser Auffassung von keinem Geringeren als Winston Churchill, der nach dem Krieg bekannte, er habe in der Nacht, nachdem er von dem japanischen Angriff erfahren hatte, »dankbar den Schlaf des Gerechten« geschlafen, denn jetzt habe er gewusst: »Die Vereinigten Staaten beteiligen sich aktiv am Krieg und sind auf Leben und Tod engagiert. Damit hatten wir dennoch gesiegt!«2

Zur Zeit des Geschehens betrachtete Churchill den amerikanischen Eintritt in den Krieg gegen Deutschland jedoch keineswegs als ausgemachte Sache. Und mit dieser Ungewissheit war er nicht allein. Überall auf der Welt versuchten Politiker und Militärführer zu verstehen, was in Hawaii passiert war und wohin dies führen würde. Tatsächlich dauerte es nach dem Angriff auf Pearl Harbor fast hundert Stunden, bis sich die Situation von selbst klärte – fünf zermürbende Tage, an denen das Schicksal der Welt in der Schwebe hing. Am Ende war es Hitler, der den Vereinigten Staaten am 11. Dezember den Krieg erklärte, und nicht umgekehrt. Bei denjenigen, die sich an diese Ereignisse erinnern, gilt Hitlers Kriegserklärung als unerklärlicher strategischer Fehler, der den Untergang seines Regimes besiegelte. In Wirklichkeit war sie jedoch ein bewusstes Glücksspiel auf der Grundlage von geopolitischen Überlegungen sowie seiner Einschätzung des Kräfteverhältnisses in Bezug auf Menschen und Material und vor allem seiner Besessenheit von den Vereinigten Staaten und ihrem weltweiten Einfluss.

Die Welt, wie sie sich am 12. Dezember 1941 darbot, war eine Woche zuvor und sogar noch nach dem Angriff auf Pearl Harbor nicht unvermeidlich gewesen. Vor dem Dezember 1941 waren Asien, Europa und Nordafrika Schauplätze eines verheerenden Konflikts gewesen, aber die Kämpfe tobten, weitgehend auf den jeweiligen Kontinent begrenzt, auf der eurasischen Landmasse und den sie umgebenden Ozeanen. Zwischen Pearl Harbor und Hitlers Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten vergingen fünf Tage, an denen über die Zukunft dieser voneinander getrennten Kämpfe entschieden wurde und die Großmächte gezwungen waren, sich einem von zwei Lagern anzuschließen.3 In dieser Zeitspanne bildete sich eine neue globale Frontstellung heraus, die den Gang des Konflikts auf dramatische Weise ändern und weit über den Krieg hinaus nachwirken sollte. Die Folgen dieser Entwicklung spüren wir noch heute.

Churchills Handlungen und Äußerungen in dieser Zeitspanne zeugten eher von Anspannung und Besorgnis als von triumphaler Erleichterung. Kaum hatte er die Nachricht vom Angriff auf Pearl Harbor erhalten, plante er eine Reise nach Washington. Wie er König Georg VI. mitteilte, wollte er sicherstellen, dass der Nachschub aus den Vereinigten Staaten, von dem die britische Kampffähigkeit abhing, »nicht mehr leidet, als, fürchte ich, unvermeidlich ist«.4 Als Heer und Marine der USA in der Nacht des 7. Dezember sämtliche Rüstungslieferungen an ausländische Regierungen einstellten, um genügend Material für den eigenen Krieg im Pazifik zu haben, vertiefte sich seine Besorgnis. Aus Washington warnte der britische Botschafter, Lord Halifax, dass Roosevelt zögere, Churchills geplantem Besuch zuzustimmen, da die amerikanische Öffentlichkeit ganz auf Japan fokussiert sei und ein erheblicher Teil der Amerikaner nicht glaube, dass ein zusätzlicher Konflikt mit dem Deutschen Reich nötig sei. So schrieb Senator Vandenberg am 8. Dezember in sein Tagebuch, dass Interventionsgegner jetzt zwar den Krieg gegen Japan billigten, aber an ihren Grundüberzeugungen festhielten.5 Nichts sprach dafür, dass sie eine breitere Kriegführung gutheißen würden.

Roosevelt war sich der Stimmung im Land bewusst. Über ein Jahr lang hatte er sich vorsichtig bemüht, seine Landsleute von der Gefahr, die von Hitler ausging, zu überzeugen. Er hatte die Vereinigten Staaten als »Arsenal der Demokratie« etabliert, das den gegen Hitler kämpfenden Verbündeten so viel Hilfe zukommen ließ, wie politisch möglich war. Den japanischen Ambitionen im Pazifik hatte er weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Doch jetzt, am 7. Dezember 1941, befanden sich die Vereinigten Staaten nicht mit dem nationalsozialistischen Deutschland, gegen das Roosevelt so viele Ressourcen mobilisiert hatte, sondern mit Japan im Krieg. Eine sofortige Kriegserklärung an Deutschland wäre in einer Zeit, in der die Aufmerksamkeit und die ganze Wut der Nation auf Japan gerichtet waren, politisch höchst riskant gewesen.

Obwohl die Depeschen, die zwischen Berlin und Tokio hin und her gingen – und vom amerikanischen Nachrichtendienst abgefangen und entschlüsselt wurden –, nahelegten, dass Deutschland auf jeden Fall in einen Krieg Japans gegen die Vereinigten Staaten eintreten würde, war Hitlers Reaktion nicht so leicht vorauszusagen. Die Nationalsozialisten, schrieb Roosevelts Redenschreiber Robert Sherwood später, seien zwar »den Japanern gegenüber durch Verträge verpflichtet« gewesen, hätten aber »vordem schon bewiesen, dass sie sich in der Rücksicht auf ihr eigenes Interesse durch solche bürgerlich-demokratischen Bedenken nicht gern stören ließen«.6

Die japanische Führung war sich ebenso wenig sicher, dass Hitler sein Wort halten würde. Der Kaiser und einige Vertreter der japanischen Elite hatten wiederholt die Befürchtung geäußert, dass Hitler, der die Japaner immerhin als »niedere Rasse« eingestuft hatte, sich mit den anderen »weißen« Mächten – den »angelsächsischen« Vereinigten Staaten und Großbritannien mit seinem Empire – versöhnen würde, so dass Japan allein kämpfen müsste.7 Tatsächlich herrschte in Berlin in der Frage, ob man Japan helfen sollte, das »weiße« Empire niederzuringen, eine beachtliche Ambivalenz, auch wenn Hitler sich im Lauf des Krieges in zunehmendem Maß als Verteidiger der globalen »Habenichtse« gegen die »angelsächsischen« »Besitzenden« stilisiert hatte.

Darüber hinaus wiesen Hitlers Berater darauf hin, dass Deutschland nicht verpflichtet sei, seinen Verbündeten durch eine eigene Kriegserklärung zu unterstützen, da Japan nicht angegriffen worden sei, sondern den Konflikt mit den Vereinigten Staaten selbst heraufbeschworen habe. Außerdem erfuhr Hitler von seinen Diplomaten, dass Roosevelt gleichzeitige Feindseligkeiten im Pazifik und Atlantik vermeiden wolle und daher nicht beabsichtige, Deutschland den Krieg zu erklären. Wenn man also einen formalen Kriegszustand verhindern könne, werde Großbritannien aufgrund der amerikanischen Konzentration auf Japan möglicherweise jede größere Hilfe aus Washington verlieren und stünde den Achsenmächten im Atlantik allein gegenüber. Blieben die Konflikte getrennt, hätte Deutschland möglicherweise einen Vorteil gegenüber Großbritannien und der Sowjetunion erlangt.

Aus Moskauer Sicht kam Pearl Harbor zu einem Zeitpunkt, als sich im Krieg mit Deutschland das Blatt zu wenden schien. Stalins Meisterspion Richard Sorge hatte bereits aus Tokio gemeldet, dass Japan beabsichtige, gegen die Anglo-Amerikaner vorzugehen, und nicht gegen die Sowjetunion, und der Angriff rechtfertigte Stalins Entscheidung, einen erheblichen Teil der im Fernen Osten stationierten Truppen nach Westen zu verlegen, um sie dort gegen die Deutschen einzusetzen. Dennoch löste Pearl Harbor im Kreml tiefe Besorgnis aus. Denn erstens würden die Amerikaner auf eine Kriegserklärung gegen Japan drängen und die Sowjetunion so in einen Zweifrontenkrieg stürzen, und zweitens bestand die Gefahr, dass sich aufgrund der neuen Aufgaben der Streitkräfte sowohl der Vereinigten Staaten als auch des Britischen Empires die lebenswichtige Militärhilfe des Westens für die Sowjetunion verringern würde.

Die Welt hielt den Atem an. Auch der Diplomat George Kennan, der damals an der US-Botschaft in Berlin stationiert war, wurde von der allgemeinen Verunsicherung aufgrund der Unvorhersehbarkeit der Lage erfasst. Da das NS-Regime alle Kommunikationswege unterbrochen hatte, konnten er und seine Kollegen lediglich darüber spekulieren, ob ein Krieg zwischen Deutschland und Amerika unmittelbar bevorstand. Ihnen blieb nur, die Frage zu diskutieren, ob sie ihre diplomatischen Codes und vertraulichen Dokumente verbrennen sollten, damit sie nicht dem Feind in die Hände fallen konnten. »Vier Tage lebten wir in quälender Ungewissheit«, bekannte Kennan später.8

Hitler erlöste Roosevelt, die amerikanischen Interventionsbefürworter und die Alliierten am 11. Dezember schließlich von ihrer Ungewissheit. Seine Kriegserklärung gegen die Vereinigten Staaten verschmolz zwei potenziell getrennte Kriegshemisphären zu einem wahrhaften Weltkrieg. Während weltweit nahezu alle politischen Führer anfangs verwirrt und besorgt auf Pearl Harbor reagierten, war der Angriff für Hitler, wie ein Historiker angemerkt hat, ein Augenblick »mörderischer Klarheit«.9 Die furchtbaren Folgen bekamen nicht nur die Kombattanten und die Zivilbevölkerungen überall auf der Welt zu spüren, sondern auch die europäischen Juden. Hitler war überzeugt, dass Roosevelt, der internationale »plutokratische« Kapitalismus und das »Weltjudentum« sich verbündet hatten, um ihn zu vernichten. Die Juden waren in seinen Augen aber nicht nur für die Handlungen des US-Präsidenten verantwortlich, sie konnten auch als Waffe gegen ihn eingesetzt werden. Drei Jahre hatte er die europäischen Juden explizit als Geiseln gehalten, um Amerikas Wohlverhalten zu erzwingen. Aufgrund seiner konspiratorischen Weltsicht mit einem vermeintlich weltweiten jüdischen Einfluss im Mittelpunkt glaubte er, die Androhung von weiterer Gewalt gegen die europäischen Juden, insbesondere diejenigen in Mittel- und Westeuropa, würde ihren angeblichen Agenten, Roosevelt, davon abschrecken, direkt in den Krieg einzugreifen.

Hitler hatte seine genozidalen Absichten zwar schon vor dem Dezember 1941 auf brutale und barbarische Weise demonstriert. Die Ermordung von mindestens einer Million überwiegend sowjetischer Juden war Beweis genug für seine seit Langem verfolgten Absichten. Aber Millionen von west- und mitteleuropäischen Juden waren Ende 1941 noch am Leben, wenn auch in höchster Gefahr. Ihre systematische Vernichtung wurde von NS-Führern bereits seit einiger Zeit diskutiert, aber über Zeitpunkt und Vorgehensweise war noch nicht entschieden worden, und vor allem hatte der »Führer« der Parteiführung noch keinen Auftrag erteilt. Nach der Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten sollte er das Schicksal der europäischen Juden unauflöslich mit dem Abbruch der deutsch-amerikanischen Beziehungen verknüpfen. Seine berüchtigte »Prophezeiung«, die er 1939 erstmals verkündet und danach mehrmals wiederholt hatte, ein Weltkrieg werde die Auslöschung des Judentums nach sich ziehen, war für jemanden mit einer radikal-antisemitischen Weltanschauung ihrem Wesen nach eine Vorhersage, die sich selbst erfüllte. Nach dem 11. Dezember 1941 ging er daran, seine apokalyptische Vision in vollem Umfang umzusetzen.

Was Hitler betraf, waren die Würfel gefallen, aber in Washington und London hingen die Dinge noch in der Schwebe. Anfang Dezember 1941 schien der Verlauf der Geschichte noch offen zu sein, und dieses Gefühl der Ungewissheit blieb auch nach Pearl Harbor bestehen. Im Lauf der Zeit sollten sich die Beteiligten allerdings auf eine Weise an die Ereignisse erinnern, die von ihrem späteren Ausgang geprägt war. Memoiren und Geschichten wurden im Licht der letztendlichen Niederlage der Achse gegen die »Große Allianz« geschrieben. Im Rückblick schien das Schicksal der Achse unvermeidlich zu sein, und so erschienen auch die ungewissen Ereignisse, die es herbeiführten, als unvermeidlich.10 Diese Spannung zwischen Entschlossenheit und Zufall macht die fünf Tage zwischen dem 7. und 11. Dezember 1941 zu einem derart dramatischen Zeitabschnitt, und sie ist der Grund, weshalb wir die Uhr zurückdrehen und auf die Tage, Stunden und Minuten schauen müssen, um der Wahrheit dieser Augenblicke auf die Spur zu kommen.

Wirkungsvolle Narrative wie Churchills »Schlaf des Gerechten« haben unsere Erinnerung an diesen Zeitabschnitt verzerrt. Tatsächlich wurde die Geschichte schon umgeschrieben, noch bevor das Jahr 1941 vorüber war. Tage zählten. So trug auch der Meinungsforscher Hadley Cantril, auf dessen Umfragen Roosevelt sich bei bedeutenden politischen Entscheidungen stützte, zu dem Eindruck bei, dass eine amerikanische Kriegserklärung an Deutschland nach dem Angriff auf Pearl Harbor unvermeidlich war. In seiner Darstellung der amerikanischen öffentlichen Meinung rund um den Zweiten Weltkrieg gab er ein angeblich vom 10. Dezember 1941 stammendes Umfrageergebnis wieder, dem zufolge eine überwältigende Mehrheit von 90 Prozent der Befragten dafür war, dass Roosevelt den Kongress aufforderte, Deutschland ebenso wie Japan den Krieg zu erklären.11 Historiker haben seither auf diese Umfrage verwiesen, um ihre Ansicht zu untermauern, die Amerikaner hätten nach Pearl Harbor in Bezug auf den Krieg mit Deutschland eine eindeutige Meinung vertreten und die Kriegserklärung durch Roosevelt habe, unabhängig davon, was Hitler tat, unmittelbar bevorgestanden.12 Doch Cantrils Datumsangabe ist irreführend. Die Frage wurde zwar am 10. Dezember formuliert, den Befragten aber erst zwei Tage später vorgelegt, also einen Tag nach Hitlers Kriegserklärung. Die massive Zustimmung zum Kriegseintritt der Vereinigten Staaten in Europa war daher nicht verwunderlich. Die Amerikaner, denen diese Frage zwischen dem 12. und 17. Dezember gestellt wurde, bestätigten im Grunde nur, was ihre Regierung bereits getan hatte, indem sie Hitlers Kriegserklärung noch am selben Tag mit einer Kriegserklärung beantwortete.13

Fünf folgenreiche Tage lang, während in Regierungskanzleien und Lagezimmern überall auf der Welt die Uhren tickten, dachten die politischen Führer unweigerlich an den letzten großen Konflikt zurück, den viele von ihnen, entweder als Soldat oder als Staatsmann, aus erster Hand erlebt hatten. Um die Geisteshaltung dieser Männer wirklich zu verstehen, muss man nachvollziehen, wie sich das globale strategische Bild in dem knappen Vierteljahrhundert seit dem Ersten Weltkrieg verändert hatte und wie diese mächtigen Männer die Veränderung mitgestaltet und wahrgenommen hatten. Wir beginnen in diesem Buch deshalb damit, dass wir den Aufstieg einer anglo-amerikanischen Welthegemonie nachvollziehen, den die selbst ernannten »Habenichtse« des internationalen Systems, Japan, Italien – ein weiteres faschistisches Regime, das in territorialer Expansion den Weg zum Großmachtstatus sah – und vor allem das Deutsche Reich, so leidenschaftlich bekämpften.

Im Mittelpunkt dieses Buchs stehen vorwiegend die Kraftzentren der Ereignisse, einerseits die Schlachtfronten, aber auch die politischen Winkelzüge und die Schlagzeilen, die von den Staatsführern, der Presse, dem Militär und der breiten Öffentlichkeit in den großen Hauptstädten der Welt produziert und rezipiert wurden. Bei ihrer Darstellung stützen wir uns auf häufig außer Acht gelassene Quellen insbesondere aus Deutschland, Großbritannien und den Vereinigten Staaten, den Hauptakteuren unserer Geschichte. Von besonderer Bedeutung sind dabei der Schriftverkehr des deutschen Auswärtigen Amts; die Akten und Dokumente, die die Bereitstellung und Verteilung der amerikanischen Militärhilfe betreffen, die – von anderen Analytikern dieses kritischen Zeitraums häufig übersehen – enthüllen, wie stark der neue amerikanisch-japanische Krieg die überlebensnotwendigen Rüstungslieferungen an Großbritannien und die Sowjetunion gefährdete; die Dokumente der inneren politischen Gegner Roosevelts; und die Äußerungen führender Amerikaner in Deutschland und Italien, die stärker als die meisten die »quälende Ungewissheit« dieser folgenschweren Tage empfanden. Außerdem haben wir Tagebücher, Memoiren, Zeitungsartikel und andere Berichte von Personen aus allen großen Kriegsteilnehmerländern herangezogen, um zu zeigen, wie gewöhnliche Menschen in aller Welt die Ereignisse dieser fünf Tage wahrnahmen und erlebten.

Wir beschwören in diesem Buch die Ungewissheit dieser fünf entscheidenden Tage in der Weltgeschichte herauf. Es ist die erste derart detaillierte Untersuchung dieser Zeitspanne.14 Statt eines geografischen Ansatzes vollziehen wir in einer wahrhaft globalen Nonstop-Erzählung Stunde für Stunde und manchmal Minute für Minute nach, was an jenen Tagen geschah. Das Schicksal der Welt hing von in verschiedenen Ländern getroffenen Entscheidungen ab, aber zwischen dem 7. und 11. Dezember 1941 war Großbritannien das einzige Land, das sowohl im Atlantik als auch im Pazifik Krieg führte. Deshalb beginnt jeder Tag jeweils um 0 Uhr in London, während es in Berlin und Rom bereits 1 Uhr, in Moskau 2 Uhr und in Tokio 8 Uhr ist. In Washington steht die Uhr zu diesem Zeitpunkt erst auf 18 Uhr des vorherigen Tages. Aufgrund dieser detaillierten Herangehensweise können wir das Drama und die Komplexität der Ereignisse quer über vier Kontinente und über ein halbes Dutzend Zeitzonen in ihrer Entwicklung der Reihe nach und manchmal simultan darstellen. Was sich an diesen fünf Tagen abspielte, war folgenschwerer als jede andere diplomatische Krise des 20. Jahrhunderts, denn sie verwandelte den zweiten großen Flächenbrand des Jahrhunderts in einen Krieg, der noch zerstörerischer und weltumspannender war als der erste. Indem wir die vorherrschende deterministische Auffassung dieses entscheidenden Wendepunkts im Zweiten Weltkrieg infrage stellen, ist es uns möglich, die Gründe für Hitlers, wie sich herausstellte, größten strategischen Fehler zu erhellen und die Umstände des Aufstiegs der Vereinigten Staaten zur Weltmacht in einem neuen Licht zu zeigen.

1

Ursprünge. Die anglo-amerikanische Hegemonie und ihre Gegner

Am 11. Dezember 1941 trat Hitler vor den »Großdeutschen Reichstag«. Vier Tage waren vergangen, seit Japan seinen verheerenden Überfall auf Pearl Harbor unternommen und eine ganze Reihe von Angriffen auf amerikanische und britische Besitzungen in Asien in Gang gesetzt hatte. Japan befand sich nun im Krieg mit den Vereinigten Staaten und dem Britischen Empire, aber seine Beziehungen zu den anderen Achsenmächten, Deutschland und Italien, waren ungefestigt. Die Konflikte in Asien und Europa waren noch nicht wirklich verbunden. Die Vereinigten Staaten waren ein Kombattant in Ersterem, aber formell nicht in Letzterem. Im Dreimächtepakt hatten sich Deutschland, Italien und Japan verpflichtet, einander im Angriffsfall beizustehen. Waren sie der Aggressor, waren sie, wie die anderen Großmächte sehr wohl wussten, zu nichts verpflichtet. Während aus Stunden Tage wurden, wartete die Welt auf Hitlers Reaktion. Als er endlich zu sprechen begann, konnte außerhalb seines engsten Kreises niemand sicher sein, was er sagen und welche Konsequenzen daraus erwachsen würden.

Nachdem er sich lang und breit den verschiedenen Kriegsfronten gewidmet hatte, kam Hitler schließlich auf Amerika zu sprechen. Zunächst erklärte er, dass es keinen Grund gebe, warum Deutschland und die Vereinigten Staaten, die »völkisch« verwandt seien und keine entgegengesetzten nationalen Interessen hätten, miteinander im Streit liegen sollten. Dennoch, fuhr er fort, habe Washington 1917, ohne provoziert worden zu sein, das Deutsche Reich angegriffen und bereite sich jetzt erneut darauf vor. Im Fall des vorherigen Konflikts habe der amerikanische Präsident, Woodrow Wilson, unter dem Einfluss »einer Gesellschaft interessierter Finanziers« gestanden, die sich »erhöhte Geschäfte erhofften«. An dem Elend, welches das deutsche Volk nach dem Ende des Krieges durchlitten habe, seien in erster Linie Wilson und die hinter ihm stehende Clique schuld. Auch wenn Hitler es bei dieser Gelegenheit nicht weiter ausführte, war die Katastrophe des Ersten Weltkriegs das Schlüsselerlebnis in seinem Leben gewesen, und seine erste Begegnung mit Amerikanern auf dem Schlachtfeld hatte seine Weltsicht dauerhaft geprägt.1

Da wiederum offene Feindseligkeiten mit den Vereinigten Staaten bevorstanden, fragte er vor dem Reichstag scheinbar entrüstet: »Welches ist nun der Grund, dass … sich wieder ein Präsident der Vereinigten Staaten findet, der erneut seine einzige Aufgabe darin sieht, Kriege entstehen zu lassen und vor allem die Feindschaft gegen Deutschland bis zum Kriegsausbruch zu steigern?« Für ihn war die Antwort klar: Beide Konflikte seien von der »gleichen Kraft inspiriert« und »durch zwei Männer der USA angefacht worden …, nämlich durch den Präsidenten Wilson und durch Franklin Roosevelt«. Mit der »Kraft« meinte er das »internationale Finanzjudentum«, das wiederum am Werk sei und den amtierenden Präsidenten, Roosevelt, dazu bewege, in Wilsons Fußstapfen zu treten. Anders als das Kaiserreich, das den Schlag passiv abgewartet habe, schwor Hitler, zuerst zuzuschlagen. Dann verkündete er den Beginn offener Feindseligkeiten gegen die Vereinigten Staaten. Erst jetzt war der Krieg zum »Weltkrieg« geworden.2

Es war fast 25 Jahre her, seit der letzte große internationale Konflikt durch den Kriegseintritt der Vereinigten Staaten zum Weltkrieg geworden war. Während Europa vom Krieg verheert wurde, hatte US-Präsident Wilson fast drei Jahre lang alles getan, um sein Land aus ihm herauszuhalten. 1915 hatte er von Deutschland das Versprechen erhalten, dass es seine aggressive U-Boot-Offensive im Atlantik aussetzen werde. Doch im Januar 1917, als die alliierte Blockade Deutschland an den Rand der Niederlage brachte und alliierte Truppen mit Munition aus amerikanischen Fabriken auf deutsche Soldaten schossen, verkündete die vom Militär kontrollierte deutsche Regierung die Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Boot-Kriegs. Aber selbst danach erklärte Wilson Deutschland nicht sofort den Krieg; er wusste, wie stark die antiinterventionistische Stimmung in der Bevölkerung war – insbesondere im Mittleren Westen –, und wollte kein gespaltenes Land in den Krieg führen. Dann fing man jedoch ein Telegramm ab, in dem der deutsche Außenminister Arthur Zimmermann für den Fall eines deutsch-amerikanischen Krieges ein Bündnis mit Mexiko vorschlug, und als darauf deutsche U-Boote amerikanische Schiffe versenkten, blieb Wilson, sosehr es ihm widerstrebte, keine andere Wahl mehr: Im April 1917 führte er die Vereinigten Staaten in den Krieg, weil die Welt »für die Demokratie gesichert« werden müsse, und er revolutionierte, indem er es tat, die Weltpolitik.3

Am Beginn des Ersten Weltkriegs waren die Vereinigten Staaten unbestritten die größte Industrienation der Welt, die mehr Kohle und Erdöl förderte als jedes andere Land, ein Drittel der weltweit hergestellten Güter produzierte und ein Fünftel der globalen Wirtschaftsleistung erbrachte. Sie besaßen die drittgrößte Kriegsmarine der Welt, und obwohl ihr Heer, selbst nach den Maßstäben mittelgroßer europäischer Staaten, klein war, besaßen ihre Streitkräfte ein enormes Ausbaupotenzial. In einer Zeit, als die Stahlproduktion als Schlüsselindikator künftiger militärischer Fähigkeiten angesehen wurde, war die amerikanische Produktion so groß wie diejenige der vier nachfolgenden Länder zusammengenommen.4 Wie sich Winston Churchill erinnerte, hatte sein damaliger Kabinettskollege, Außenminister Edward Grey, die amerikanische Vorkriegswirtschaft mit »einem gigantischen Dampfkessel« verglichen und hinzugefügt: »Wenn er erst einmal angeheizt ist, werden der von ihm entwickelten Kraft keine Grenzen gesetzt sein.«5

Nach dem Kriegseintritt nahmen die Industrieproduktion im Allgemeinen und die Rüstungsproduktion im Besonderen rasant zu. Mit der Macht ihres amerikanischen Verbündeten im Rücken, brachten die Alliierten Deutschland im November 1918 schließlich dazu, um Frieden zu ersuchen. Von den Großmächten gingen, abgesehen von Japan, nur die Vereinigten Staaten deutlich gestärkt aus dem Krieg hervor. Während des Konflikts und unmittelbar nach seinem Ende brachen das deutsche, das russische, das österreichisch-ungarische und das osmanische Reich zusammen. Selbst die Sieger Großbritannien und Frankreich hatten große Verluste zu verzeichnen.6 Die Vereinigten Staaten indes besaßen jetzt eine in der Weltgeschichte beispiellose wirtschaftliche Macht, und sie hatten zum ersten Mal interveniert, um den Gang der Ereignisse auf dem europäischen Kontinent mitzubestimmen.7 Ihr Präsident schien entschlossen, eine neue Weltordnung zu schaffen, mit dem Völkerbund als zentraler Einrichtung und den Prinzipien von offener Diplomatie, nationaler Selbstbestimmung, Rüstungskontrolle und Freiheit der Meere sowie einer liberalen Handelsordnung als Grundlage.8

Der Krieg hatte das Schreckgespenst amerikanischer Macht geschaffen, aber politische Spaltungen offenbarten umgehend seine Grenzen. Nachdem Wilson auf der Pariser Friedenskonferenz zu Konzessionen gezwungen war, um die Zustimmung der Alliierten zum Versailler Vertrag und zur Völkerbundakte zu erhalten, vermochte er den von den Republikanern beherrschten Kongress nicht dazu zu bewegen, den Vertrag zu ratifizieren und der neuen Weltorganisation beizutreten. Die republikanischen Regierungen, die in den nächsten zwölf Jahren die amerikanische Politik bestimmten, schränkten die internationale Rolle der Vereinigten Staaten weiter ein. Während sie auf der Washingtoner Konferenz von 1921/22 zur maritimen Abrüstung in Ostasien beitrugen und die amerikanische Wirtschaftsmacht einsetzten, um Bedingungen zu schaffen, die Europa in den 1920er Jahren eine relative Stabilität bescherten, waren die Präsidenten dieser Zeit – mit Zustimmung einer überwältigenden Mehrheit der Amerikaner – entschlossen, keinerlei internationale politische Verpflichtungen einzugehen.9 Sie hielten die Vereinigten Staaten vom Völkerbund fern, dessen dominante Mächte, Großbritannien und Frankreich, nach Ansicht vieler amerikanischer Politiker einen unmoralischen Imperialismus pflegten, der ihre eigenen engen nationalen Interessen über das breitere Ziel internationaler Harmonie stellte und auf einem ungerechten Arrangement bestand.10

Da die Vereinigten Staaten sich im Grunde von einer führenden Rolle auf internationalem Parkett verabschiedet hatten, fiel die Aufgabe, die zerbrechliche politische und wirtschaftliche Weltordnung aufrechtzuerhalten, größtenteils Großbritannien zu. Aber der Erste Weltkrieg hatte einen enormen Tribut gefordert. Der Konflikt hatte Londons Vorherrschaft in der internationalen Finanzwirtschaft gebrochen und Großbritannien zum Schuldner der Vereinigten Staaten gemacht.11 Dennoch war das Vereinigte Königreich, obwohl es die industrielle Überlegenheit seiner großen Zeit, der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, verloren hatte, seinen europäischen Konkurrenten weiterhin wirtschaftlich überlegen. Sein politisches System hatte den Krieg besser überstanden als diejenigen in Kontinentaleuropa und sich 1918 der aufkommenden Massendemokratie angepasst. Es stand an der Spitze eines Empires, das seine größte territoriale Ausdehnung erreicht hatte, in dem sich allerdings auch – insbesondere in Indien und Ägypten – antikoloniale Nationalbewegungen im Aufwind befanden und die Dominions – Australien, der Irische Freistaat, Kanada, Neufundland, Neuseeland und Südafrika – in zunehmendem Maß Autonomie genossen und im Konfliktfall nicht mehr automatisch als Bundesgenossen herangezogen werden konnten. Im ersten Nachkriegsjahrzehnt war Großbritanniens weltweiter Einfluss jedoch unerreicht, und da die Vereinigten Staaten sich selbst ins Abseits gestellt hatten, wurde es von seinen strategischen Konkurrenten in so gut wie jeder diplomatischen Frage als zentrale Macht angesehen.12

Die anglo-amerikanischen Beziehungen der Zwischenkriegszeit waren zwar ambivalent – wozu auch eine ernst zu nehmende Marinerivalität in den 1920er Jahren beitrug –, und im Rückblick ist klar, dass die hegemoniale Verschiebung von Großbritannien nach Amerika bereits im Gang war,13 aber für einen großen Teil der übrigen Welt hatte es den Anschein, als gäbe es ein auf einem gemeinsamen Erbe sowie gemeinsamen strategischen, ökonomischen und »rassischen« Interessen beruhendes anglo-amerikanisches oder »angelsächsisches« Kondominium.14 Britische Staatsmänner hatten gehofft, dies in ein formales anglo-amerikanisches Bündnis umwandeln zu können, das nach dem Ersten Weltkrieg die Weltangelegenheiten regeln würde. Aber die Amerikaner machten ihnen, indem sie die Mitgliedschaft im Völkerbund ablehnten, einen Strich durch die Rechnung, wobei ihre Entscheidung zumindest zum Teil darin begründet war, dass viele von ihnen argwöhnten, Großbritannien würde die weltpolitischen Ideale nur für seine eigenen selbstsüchtigen Ziele ausnutzen.15 Zudem fanden viele amerikanische Politiker und Geschäftsleute, dass die britische Vorherrschaft den US-Interessen außerhalb der westlichen Hemisphäre recht dienlich war, solange sie amerikanischen Unternehmen einen gleichrangigen Zugang zu den Weltmärkten eröffnete. Kaum jemand brachte dies so klar zum Ausdruck wie der amerikanische Generalgouverneur der Philippinen, der Ende der 1920er Jahre die Notwendigkeit betonte, »das Angelsachsentum … im Westpazifik, im Fernen Osten, in Indien« zu verteidigen.16 Wie wir sehen werden, wurde diese Hegemonie sowohl von Völkern der formalen und informellen »angelsächsischen« Reiche als auch von europäischen und asiatischen Mächten, die eigene Reichsambitionen verfolgten, leidenschaftlich abgelehnt. Im Hass und Neid auf das »angelsächsische« Weltsystem waren sich deutsche Rassisten, japanische Expansionisten, sowjetische Kommunisten und antikoloniale Aktivisten einig.

Unterdessen träumte in Deutschland der Führer der Nationalsozialisten, Adolf Hitler, der in den 1920er Jahren noch relativ unbekannt war, von einer Welt, in der das Deutsche Reich dem Britischen Empire und den Vereinigten Staaten gleichgestellt wäre. Er fürchtete und bewunderte die »Angelsachsen«, wie er sie nannte, ebenso wie die Macht des internationalen Kapitalismus, den er mit dem »Weltjudentum«, aber auch mit Anglo-Amerika assoziierte. Nach seiner Ansicht war Deutschland durch die Auswanderung der »besten« Elemente des Volks, welche die Neue Welt als »Kulturdünger« befruchteten, »rassisch« ausgehöhlt worden. Diese ausgewanderten Männer waren dann, wie Hitler glaubte, im Ersten Weltkrieg als feindliche Soldaten zurückgekehrt, um das Deutsche Reich zu geißeln. Außerdem gab er einer vermeintlichen Verschwörung zwischen Großbritannien, Amerika und »jüdischer Plutokratie«, die das Deutsche Reich durch die Seeblockade ausgehungert, es durch kommunistische Unterwanderung im Innern geschwächt und mit seinen Männern und Granaten auf dem Schlachtfeld überwältigt habe, die Schuld an der deutschen Niederlage. Die Deutschen, klagte er, seien von den Siegern »vernegert« und auf den Status von »Sklaven« auf einer »Plantage« zurückgeworfen worden.17

Während des gesamten Jahrzehnts beschäftigte sich Hitler intensiv mit der Wirtschaftsmacht, den natürlichen Ressourcen, der territorialen Ausdehnung und den vermeintlichen »rassischen« Qualitäten der Vereinigten Staaten. »Man solle sich ein Beispiel an Amerika nehmen!«, verkündete er während seiner Haft nach dem gescheiterten Putsch von 1923.18 Im Mittelpunkt seines unveröffentlichten Zweiten Buchs von 1928 stand die überwältigende Macht Anglo-Amerikas, insbesondere der Vereinigten Staaten. »In der amerikanischen Union«, erklärte er, »ist ein neuer Machtfaktor entstanden von Ausmaßen, der die gesamten bisherigen Kraft- und Rangordnungen der Staaten über den Haufen zu werfen droht« und es selbst mit dem Britischen Empire aufnehmen könne.19 Diese Auffassung überlebte den Wall-Street-Crash von 1929 weitgehend unbeschadet. Mit einem Blick auf die Liste von Deutschlands Rivalen stellte er im Februar 1931 fest, dass die Vereinigten Staaten – »ein Riesenstaat mit unendlichen Produktionsmöglichkeiten« – insbesondere seit dem Ersten Weltkrieg zu einem »Konkurrenten auf dem Weltabsatzmarkt« geworden seien.20 Wenn Deutschland sich nicht als Gegengewicht zu dieser Macht zu etablieren vermochte, würde es, wie Hitler fürchtete, in der äußeren Unterjochung verbleiben, zu der es durch den Ausgang des Ersten Weltkriegs verdammt war.

Als Lösung schwebte ihm vor, den »jüdischen Einfluss« aus Deutschland zu entfernen und im Osten neuen »Lebensraum« zu erobern, in den die deutsche Auswanderung kanalisiert werden sollte. Als er 1933 an die Macht kam, ging er umgehend daran, die Juden zu isolieren, das Land aufzurüsten und, anfangs ohne auf Widerstand zu stoßen, die niedrig hängenden Früchte zu ernten, indem er das Rheinland besetzte, Österreich ans Deutsche Reich »anschloss« und das tschechische Sudetenland schluckte.21

Auf der anderen Seite der Welt befand sich Japan auf einem ähnlichen Weg. Wie das Deutsche Reich hatte es sich im Eiltempo zur Großmacht entwickelt, indem es 1895 das kränkelnde China und 1905 das mächtige Russland besiegte und 1910 Korea annektierte. Wie Deutschland hatte es diesen Kurs vor allem eingeschlagen, um nicht unter eine äußere Herrschaft zu geraten. Im Gegensatz zu Deutschland gehörte es zwar zu den Siegermächten des Ersten Weltkriegs, aber wie dieses fühlte es sich in zunehmendem Maß vom Westen behindert und gedemütigt, insbesondere durch die amerikanische Entschlossenheit, China nicht zu einer japanischen Kolonie werden zu lassen, sondern darauf zu beharren, dass die »Tür« für jeglichen Handelsverkehr »offen« bleiben müsse. Trotz des britisch-japanischen Bündnisses von 1902, das zeigte, dass wenigstens für die Briten die Rasse strategischen Erwägungen untergeordnet war,22 und obwohl US-Präsident Theodore Roosevelt die Japaner zur Zeit des Russisch-Japanischen Krieges als »weiße Rasse ehrenhalber« anerkannt hatte,23 wurde der japanische Vorschlag, das Prinzip der Rassengleichheit der Mitgliedsstaaten in die Völkerbundcharta aufzunehmen, 1919 von den etablierten Mächten abgelehnt.24 Japan war es freilich weniger um die Verpflichtung auf ein abstraktes Gleichheitsprinzip gegangen als vielmehr in erster Linie darum, japanische Auswanderer zu schützen. Die amerikanische und europäische Furcht vor einer ungezügelten Einwanderung machten dieses Zugeständnis unmöglich.25

Die Zurückweisung hinterließ bei der japanischen Elite eine tiefe Wunde, die vom weißen Rassismus, den viele ihrer Angehörigen auf Reisen und bei diplomatischen Missionen aus erster Hand erlebt hatten, vertieft wurde. Zu ihnen gehörte Fürst Konoe Fumimaro, der in der kritischen Zeit vor Pearl Harbor mehrmals japanischer Ministerpräsident werden sollte. »Die Weißen – insbesondere das angelsächsische Volk –«, schrieb er 1919, »verachten farbige Menschen im Allgemeinen.«26 Eine japanische Zeitung konstatierte eine »angelsächsische Vorherrschaft unter Missachtung der Rassengleichheit«.27 Da sich Japan gegen die weiße Dominanz auflehnte, sprach der afroamerikanische Aktivist James Weldon Johnson vielen in Asien und überall auf der Welt aus der Seele, als er das Land als »größte Hoffnung der farbigen Rasse auf der Welt« bezeichnete.28 Die globale »Rassengrenze« festzulegen oder zu überwinden, bildete für die Herausforderer einen immer wichtiger werdenden Aspekt des bevorstehenden Kampfs.

In den Augen der japanischen Führung verkörperte der Washingtoner Flottenvertrag von 1922, der die zahlenmäßige Unterlegenheit der japanischen Marine festschrieb, die empfundene Diskriminierung. Ihrer Wahrnehmung nach war das kaiserliche Japan von der kommunistischen Sowjetunion und dem Britischen Empire »umzingelt«, aber der »Feind Nummer eins« waren die Vereinigten Staaten.29 Außerhalb Japans teilten viele diesen Eindruck. Weldon Johnson, zum Beispiel, behauptete, der Flottenvertrag habe den Zweck, »Japan zu isolieren und es stärker der Gnade der beiden großen angelsächsischen Nationen auszuliefern«.30 Das amerikanische Einwanderungsgesetz von 1924, das sich gegen die Einwanderung aus Asien und Osteuropa richtete, verstärkte die japanische Demütigung zusätzlich. Es war sowohl ein psychologischer als auch ein politischer Schlag, da die Auswanderung für das übervölkerte Japan ein wichtiges demografisches »Sicherheitsventil« darstellte. Die Zurückweisung durch den Westen verlieh dem japanischen »Panasianismus« Auftrieb, das heißt der Idee, das japanische Kaiserreich könne zum Vorreiter der Emanzipation der asiatischen Völker von weißer Bevormundung werden.31

Aber Tokio war kein Vorkämpfer der globalen Rassengleichheit. Japan wollte zum einen die Anerkennung seines »zivilisierten« Status, und zum anderen wollte es nicht selbst kolonisiert werden. Beide Ziele unterstrich es dadurch, dass es seinerseits Kolonien erwarb. Deshalb schmerzten westliche Einwände gegen seine Kolonisierung Chinas so sehr. »Lesen Sie unsere Geschichte«, verlangte der japanische Gesandte beim Völkerbund Anfang der 1930er Jahre. »Wäre das amerikanische Volk mit einer solchen Kontrolle des Panamakanals einverstanden? Würde das britische Volk sie in Ägypten erlauben?«32 Der schwelende Konflikt zwischen Japan und den »angelsächsischen Mächten« war also sowohl ein traditioneller territorialer als auch ein neuer »rassischer« Kampf.33

Japan litt jedoch unter einem Mangel an Rohstoffen für seine Industrie und Rüstung. Wie Hitler glaubte die japanische Führung, die Lehren aus den deutschen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg gezogen zu haben.34 Um seinen Rohstoffmangel zu beheben, versuchte Japan durch territoriale Expansion nach China Autarkie zu erlangen, angefangen mit der Besetzung der Mandschurei im Jahr 1931, die weithin als Versuch einer kleinen Macht verstanden wurde, aus seiner untergeordneten Stellung aufzusteigen. Das kaiserliche Japan war, wie Stanley Hornbeck, der Leiter der Fernostabteilung des US-Außenministeriums, es 1934 ausdrückte, einer der »Habenichtse« der Welt, deren Zusammenprall mit »Besitzenden« wie den Vereinigten Staaten unausweichlich war.35 Ihren Höhepunkt erreichte diese japanisch gewendete »Lebensraum«-Politik sechs Jahre später mit dem umfassenden Angriff auf China, mit dem der Zweite Japanisch-Chinesische Krieg begann, in dem Japan sowohl auf die Truppen des von Großbritannien und Amerika unterstützten Nationalistenführers Chiang Kai-shek als auch auf die damals noch obskure kommunistische Bewegung Mao Zedongs traf.

Eine Zeit lang war Hitlers Japanbild für jemanden, der die Überlegenheit der »weißen Rasse« predigte, erstaunlich positiv.36 In seinem in den 1920er Jahren verfassten Manifest Mein Kampf behauptete er, während des Russisch-Japanischen Krieges mit Japan sympathisiert zu haben. Außerdem äußerte er sich anerkennend über die japanische Marine- und Außenpolitik, die er der ineffektiven Politik des Deutschen Kaiserreichs gegenüberstellte. Er betrachtete die Japaner ebenfalls als Opfer jüdischer Machenschaften und bewunderte, wie sie sich »europäische Wissenschaft und Technik mit japanischen Eigenarten« aneigneten. Aber es schwang auch eine gewisse Skepsis mit, wenn er etwa erklärte, ohne »weitere arische Einwirkung« von außen würde der japanische Aufstieg nicht weitergehen. Sie zeigte sich auch darin, dass er bis in die späten 1930er Jahre zögerte, Japan über China zu stellen, das von Wehrmacht und Auswärtigem Amt bevorzugt wurde.37 Beispielsweise weigerte sich Hitler zunächst, die japanische Annexion der Mandschurei anzuerkennen.

Das faschistische Italien war seinerseits entschlossen, bei einer globalen Neuverteilung der Macht nicht zu kurz zu kommen. 1922 ergriff der frühere Sozialist Benito Mussolini mit dem Versprechen die Macht, den »verstümmelten Sieg«, mit dem Italien als Alliierter im Ersten Weltkrieg beschieden worden war, durch innere Umgestaltung und äußere Expansion in einen echten Sieg zu verwandeln.38 1935 griff Italien Abessinien an und besetzte schließlich das ganze Land. Mussolinis Augenmerk galt vor allem dem Mittelmeer, das er, wenigstens rhetorisch, zu einem »italienischen Meer« machen wollte, womit er Frankreich und Großbritannien den Fehdehandschuh hinwarf. Die Flotte wurde massiv ausgebaut, so dass sie auf dem Papier einen formidablen Feind der überdehnten Royal Navy mit ihren Stützpunkten in Gibraltar, Malta und Alexandria darstellte. Mussolini behauptete, er strebe »weder Monopole noch Privilegien« an, sondern verlange lediglich von »jenen Ländern, die bereits angekommen sind [die Vereinigten Staaten, das Britische Empire und Frankreich], die befriedigt und konservativ sind«, nicht zu versuchen, »die geistige, politische und ökonomische Expansion des faschistischen Italien zu blockieren«.39 Es war dieselbe »Habenichts«-Rhetorik, die Hitler und die Japaner benutzten.

Die drei Herausforderermächte begannen zusammenzuarbeiten. Im Oktober 1936 rückten Deutschland und Italien durch einen Freundschaftsvertrag näher zusammen. Kurz darauf bemerkte Mussolini, die Weltpolitik drehe sich jetzt um die »Achse« Berlin–Rom, und der Begriff bürgerte sich ein. Im November 1936 folgte ein deutsch-japanischer Vertrag, der »Antikominternpakt«. Ursprünglich richtete er sich gegen die Sowjetunion, im Lauf der Zeit aber auch in zunehmendem Maß gegen Großbritannien und die Vereinigten Staaten. Es wurde üblich, von Deutschland, Italien und Japan kollektiv als den »Achsenmächten« zu sprechen. Kurz nach der Unterzeichnung des Abkommens mit Japan notierte der NS-Propagandaminister Joseph Goebbels in seinem Tagebuch: »Der Führer meint, die Früchte dieses Abkommens werden erst in fünf Jahren reifen. Er treibt wirklich Politik auf ganz weite Sicht.«40 Diese Voraussage sollte sich als erstaunlich genau herausstellen.

In den Vereinigten Staaten verfolgten viele Politiker ebenso desillusioniert wie betrübt, wie die Macht dieser aggressiven Regime zunahm und sie immer enger zusammenrückten. Nur knapp zwei Jahrzehnte, nachdem ihre Nation einen Kreuzzug unternommen hatte, um die Welt »für die Demokratie zu sichern«, hatten die Amerikaner wenig Vertrauen in ihre Fähigkeit, einer gestürzten Welt aufzuhelfen, und kaum Interesse daran, es zu tun. Insbesondere Europa galt als von Natur aus kriegsversessen, und man war weithin der Ansicht, dass die Vereinigten Staaten sich nicht noch einmal in die Angelegenheiten dieses gottverlassenen Kontinents hineinziehen lassen sollten.41 Dem lag natürlich das tief ins amerikanische Bewusstsein eingeprägte Bild eines wesensmäßig korrupten und hierarchischen Kontinents zugrunde, den so viele Amerikaner oder deren Vorfahren hinter sich gelassen hatten.42 Auf jeden Fall waren die meisten Amerikaner aufgrund der Stärke ihres Landes und seiner günstigen, durch zwei Ozeane von den Sturmzentren Europa und Asien getrennten Lage überzeugt, dass ihre Sicherheit auch dann kaum in Gefahr war, wenn dort Diktaturen die existierende Ordnung umstürzten. Eine Untersuchungskommission, die zwischen 1934 und 1936 unter Leitung des republikanischen Senators Gerald Nye tätig war, kam zu dem Ergebnis, dass Rüstungsunternehmen und Banken an Amerikas Eintritt in den vorangegangenen Konflikt schuld gewesen seien; deren Hilfslieferungen an die Alliierten hätten die deutsche U-Boot-Kampagne provoziert. Der vom Nye-Bericht ausgelöste öffentliche Aufschrei veranlasste den Kongress, eine Reihe von Gesetzen zu verabschieden, die Kredite an kriegführende Staaten verboten, ein verpflichtendes Waffenembargo über alle Kriegführenden verhängten und Reisen auf Schiffen kriegführender Länder untersagten.43

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