Buch
Prächtige Paläste, blutrünstige Herrscher – im Italien der Renaissance kämpfen große Familiendynastien um die Macht. Als Gabriele Condulmer, Spross der einflussreichen Venezianer, unter dem Namen Eugen IV. den Papstthron besteigt, bringt das die Feinde der Condulmer auf den Plan: Gemeinsam vertreiben die Mailänder Herzogsfamilien der Visconti und der Sforza Eugen IV. aus dem Vatikan. Der Papst entgeht nur knapp seiner Ermordung und flieht ins florentinische Asyl. Doch die Sforza schmieden bald neue Allianzen – zumal die Condulmer mächtige Unterstützer in Florenz gewinnen: niemand anders als die legendären Medici …
Autor
Matteo Strukul wurde 1973 in Padua geboren. Er hat Jura studiert und in Europäischem Recht promoviert. Seine Romane wurden für die wichtigen italienischen Literaturpreise nominiert. Strukul lebt mit seiner Frau Silvia abwechselnd in Padua, Berlin und Transsilvanien.
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Medici. Der Niedergang einer Familie. Historischer Roman
Das Geheimnis des Michelangelo. Historischer Roman
Matteo Strukul
Die Macht
der sieben Familien
Historischer Roman
Aus dem Italienischen
von Ingrid Exo und Christine Heinzius
Die Originalausgabe erschien 2019
unter dem Titel »Le sette dinastie«
bei Newton Compton editori, Rom.
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Deutsche Erstveröffentlichung November 2021
Copyright © der Originalausgabe © 2019 Newton Compton editori s. r.l., Roma
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2021
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
This edition published in agreement with the proprietor through
MalaTesta Literary Agency, Milan
Covergestaltung: UNO Werbeagentur München
Coverfoto: © FinePic®, München
Redaktion: Christina Neiske
BH · Herstellung: ik
Satz- und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN: 978-3-641-27132-9
V001
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Für Silvia –
meine wahre Liebe und stete Inspiration
Von der Höhe der Felsenburg überblickte der wilde Herr, wie der Adler von seinem blutigen Neste,
die Gegend ringsumher, wo nur ein Wanderer den Fuß hinsetzen konnte, während er über seinem Haupte kein lebendes Wesen mehr sich regen hörte.
ALESSANDRO MANZONI
Die Verlobten
Die bewusste Berechnung aller Mittel, wovon kein damaliger außeritalischer Fürst eine Idee hatte, verbunden mit einer innerhalb der Staatsgrenzen fast absoluten Machtvollkommenheit, brachte hier ganz besondere Menschen und Lebensformen hervor.
JACOB BURCKHARDT
Die Kultur der Renaissance in Italien
Inhalt
Die Geschlechter
Erster Teil
1418
Prolog
1427
1. Ein Wespennest
2. Maclodio
3. Die Obsessionen eines Herzogs
4. Im Pfeilhagel
5. Die Lagune
6. Die Niederlage
7. San Nicolò dei Mendicoli
8. Castor und Pollux
9. Die Flucht
10. Der Herold
1431
11. Der Tod des Papstes
12. Eine kompromittierende Unterhaltung
13. Konklave
14. Die Erpressung
15. Der Söldnerführer
16. Zweifel und Ängste
17. Lucrezia
18. Der Verdacht
19. Verhandlungen
20. Das blutige Pontifikat
21. Die Ungarn
1432
22. Zwei Bastarde statt einem
23. Konziliarismus
24. Das Schicksal ist besiegelt
25. Auf dem Weg zur Nachfolge
26. Im Vorzimmer
27. Erdrückende Beweise
28. Mastro Michele
29. Ein hinterhältiger Pakt
30. Die Tarotkarten
31. Das Schafott
32. Familienangelegenheiten
33. Nächtlicher Spaziergang
34. Der Apostolische Palast
35. Visconti und Sforza
36. Die Täuschung
1434
37. Goldfiorini
38. Polixenas Tränen
39. Die Flucht
40. Sforza, Medici und Condulmer
41. Der Pirat
42. Im Taubenschlag
Zweiter Teil
1441
43. Paolo di Dono
44. Campovecchio
45. Allianzen und Strategien
46. Die Hochzeit
47. Das Kartenspiel
48. Die Wölfin
49. Francesco und Bianca Maria
50. Die Zukunft im Blick
1442
51. Die Geschichte des Aquäduktes
52. Girifalco
53. Porta Santa Sofia
54. Die Kunst der Rede
55. Sin caridad
56. Die Welt verändert sich
57. Perpetua
58. Neapel
59. Treue
1447
60. Der letzte Atemzug
61. Familientreffen
62. Gabor Szilagyi
63. Tränen
64. Nachfolge
65. Leitern und Knüppel
66. Die Verteidigung Mailands
67. Die Wende
68. Eroberungshunger
69. Die schleichende Angst
70. Der Löwe
1448
71. Ein unvorhersehbares Einverständnis
72. Eine Frage der Perspektive
73. Raffinesse bei Hofe
Dritter Teil
1450
74. Die Revolte
75. Porta Nuova
76. Das Jüngste Gericht
77. Eine schwierige Erziehung
78. Ferrante
1454
79. Nach Konstantinopel
80. Bittere Erinnerungen
81. Nach Belgrad
82. Cosimo und Polixena
83. Nutzlose Reue
84. Schlechtes Gewissen
85. Gebete
1458
86. Das Testament
87. Borgia
88. Schwindende Macht
89. Die Ängste einer Mutter
90. Der Hidalgo
91. Isabella
1462
92. Ihr habt mich zur Königin gemacht
93. Dracula
94. Troia
1464
95. Letzter Wille
96. Zu spät
97. Die Welt ändert sich
98. Die Kunst des Wartens
Vierter Teil
1466
99. Halbdunkel
100. Blut und Regen
101. Gaspare da Vimercate
102. Die Rettung Galeazzo Marias
103. Das Primat
104. Die Befreiung
105. Der Hinterhalt
106. Verstärkung
107. Die Niederlage der Verschwörer
1468
108. Bianca Maria und Lucrezia
109. Ein unüberbrückbarer Abgrund
110. Phlegräische Felder
111. Für den Frieden
112. Das Versprechen
1471
113. Unzufrieden
114. Die Sorgen eines Pontifex
115. Gerico
1474
116. Die öffentliche Folter
117. Finstere Absichten
118. Überwältigende Leidenschaft
119. Schönheit und Grausamkeit
120. Dekadenz
121. Paolo
1476
122. Verschwörer
123. Vorahnung
124. Die Signora von Melzo
125. Santo Stefano
Anmerkungen des Autors
Dank
Glossar
Mailand (Visconti-Sforza)
Filippo Maria Visconti: Herzog von Mailand
Agnese del Maino: Mätresse von Filippo Maria Visconti
Maria von Savoyen: Ehefrau von Filippo Maria Visconti und Herzogin von Mailand
Pier Candido Decembrio: persönlicher Berater von Filippo Maria Visconti
Francesco Sforza: Condottiere und Herzog von Mailand
Bianca Maria Visconti: Tochter von Filippo Maria Visconti und Agnese del Maino, Herzogin von Mailand
Cicco Simonetta: Berater von Francesco Sforza
Braccio Spezzato: Leutnant unter Francesco Sforza
Michele da Besozzo: Mailänder Maler
Gaspare da Vimercate: Leutnant unter Francesco Sforza
Galeazzo Maria Sforza: Sohn von Francesco Sforza und Bianca Maria Visconti, Herzog von Mailand
Ludovico Maria Sforza, genannt »il Moro«: Bruder von Galeazzo Maria Sforza und Sohn von Francesco Sforza und Bianca Maria Visconti, Herzog von Mailand
Lucrezia Landriani: Mätresse von Galeazzo Maria Sforza
Bona von Savoyen: Ehefrau von Galeazzo Maria Sforza und Herzogin von Mailand
Caterina Sforza: Tochter von Galeazzo Maria Sforza und Lucrezia Landriani
Lucia Marliani: Mätresse von Galeazzo Maria Sforza
Lucrezia Aliprandi: Hofdame im Gefolge von Agnese del Maino
Gabor Szilagyi: Auftragsmörder im Dienst von Bianca Maria Visconti
Venedig (Condulmer)
Gabriele Condulmer: venezianischer Patrizier, zum Papst gewählt, nahm als Papst den Namen Eugen IV. an
Polixena Condulmer: venezianische Edelfrau, Schwester von Gabriele Condulmer
Niccolò Barbo: venezianischer Patrizier, Mitglied des Consiglio dei Dieci (Rat der Zehn), Ehemann von Polixena Condulmer
Pietro Barbo: Sohn von Niccolò Barbo und Polixena Condulmer, zum Papst gewählt, nahm als Papst den Namen Paul II. an
Antonio Condulmer: venezianischer Gesandter am französischen Hof
Antonio Correr: Cousin von Gabriele Condulmer, Kardinal von Bologna
Francesco Bussone, genannt »Carmagnola«: Oberbefehlshaber der venezianischen Armee auf der Terraferma (Gebiete Venedigs auf dem Festland)
Ferrara (Este)
Leonello d’Este: Marchese (Markgraf) von Ferrara, Sohn von Niccolò III. d’Este und Stella de’ Tolomei
Guarino Guarini: Magister, Inhaber des Lehrstuhls für Rhetorik, Latein und Griechisch an der Universität von Ferrara
Borso d’Este: Herzog von Ferrara, Sohn von Niccolò III. d’Este und Stella de’ Tolomei
Ercole I. d’Este: Herzog von Ferrara, Halbbruder von Borso d’Este
Florenz (Medici)
Cosimo de’ Medici, genannt »Il Vecchio« (der Alte): Herr über Florenz
Paolo di Dono, genannt Paolo Uccello: Florentiner Maler
Piero de’ Medici, genannt »Il Gottoso« (der Gichtige): Herr über Florenz, Sohn von Cosimo de’ Medici und Contessina de’ Bardi
Lorenzo de’ Medici, genannt »Il Magnifico« (der Prächtige): Herr über Florenz, Sohn von Piero de’ Medici und Lucrezia Tornabuoni
Braccio Martelli: Florentiner Adeliger, Freund von Lorenzo de’ Medici
Rom (Colonna und Borgia)
Antonio Colonna: römischer Adeliger, Fürst von Salerno, Oberhaupt des Zweigs der Genazzano
Odoardo Colonna: römischer Adeliger, Bruder von Antonio und Prospero Colonna
Prospero Colonna: römischer Adeliger, Bruder von Antonio und Odoardo Colonna, Kardinal
Stefano Colonna: römischer Adeliger, Oberhaupt des Zweigs der Palestrina
Sveva Orsini: römische Adelige, Ehefrau von Stefano Colonna
Chiarina Conti: römische Adelige, Mutter von Stefano Colonna
Imperiale Colonna: römische Adelige, Tochter von Stefano Colonna und Sveva Orsini, Ehefrau von Antonio Colonna
Salvatore Colonna: römischer Adeliger
Alonso de Borja (Alfonso Borgia): spanischer Adeliger, zum Papst gewählt, nahm als Papst den Namen Calixt III. an
Neapel (Aragón)
El Rey Alfons V. von Aragón, genannt »Il Magnanimo« (der Großmütige): König von Aragón, Souverän des Königreichs Neapel
Don Rafael Cossin Rubio: Hidalgo aus Medina del Campo, Hauptmann der Armee von Aragón
Ferdinand I. von Aragón, genannt »Ferrante«: König von Aragón, Souverän des Königreichs Neapel, Sohn von Alfons V. von Aragón und Gueraldona Carlino
Isabella von Clermont: Königin von Neapel, Ehefrau von Ferdinand I. von Aragón
Filomena: neapolitanische Frau aus dem Volk
Aniello Ferraro: neapolitanischer Pozzaro
Iñigo de Guevara: Hauptmann der aragonesischen Armee
Er wollte bis nach oben zur Turmspitze. Er wusste, dass es eine Ewigkeit dauern würde, aber er war wild entschlossen, es zu schaffen. Ein Soldat hatte angeboten, ihm zu helfen, doch den hatte er mit einem vernichtenden Blick gestraft.
Stufe für Stufe stemmte er sich mit seinen Stöcken hinauf. Das verlangte Kraft in den Armen – was ihm wahrlich nicht neu war. Er kam nur langsam vorwärts auf seinen dürren, schwächlichen Beinen. Mühsam stolperte er voran und presste Verwünschungen zwischen den Zähnen hervor, mit denen er sich selbst verfluchte und, mehr noch, seine Eltern, die ihn seit frühester Kindheit in diese Hölle aus Schmerz und Einschränkung gestoßen hatten.
Als er endlich die letzte Stufe erklommen hatte, war er schweißgebadet. Seine Arme zitterten fast von der schier übermenschlichen Anstrengung. Er stützte sich auf die Brüstung und ließ die Krücken fallen.
Groß und massig ragte der Eckturm empor und beherrschte den Ausblick. Der Himmel nahm die Farbe der Morgenröte an. Der kalte Winterwind blähte in Böen seinen Mantel. Filippo Maria zog ihn fest um die Schultern, der Wolfspelz am Kragen strich schmeichelnd über seine Wange.
Binasco. Etwa auf halber Strecke zwischen Mailand und Pavia. War dies nicht der perfekte Ort, um seinen Plan zur Ausführung zu bringen? Wo er doch diesen beiden Städten sein ganzes Leben geopfert hatte?
Er sah hinab in den tiefen Graben zu seinen Füßen. Jenseits davon standen kahle Bäume mit krummen Ästen, wie erstarrt vor Kälte. Etwas weiter entfernt ein paar halb verfallene Katen und Bauernhöfe. Er drehte sich um und richtete seinen Blick in den Hof der Burg, wo das Schafott auf sein Opfer wartete. Die Flammen der Fackeln leuchteten in der Morgenröte.
Er hasste Beatrice. Aus tiefster Seele. Er hatte sie heiraten müssen, weil Facino Cane ihn dazu gezwungen hatte. Der wollte Beatrice gut aufgehoben und in Sicherheit wissen. Den Mund voller Auswurf und Blut hatte er es auf dem Totenbett verlangt. Beatrice! Kein Leid sollte ihr widerfahren. Gewiss! Und er musste sie nun ertragen, seit sechs Jahren schon. Sechs endlose Jahre! Er hatte es hingenommen, dass sie ihn wie einen Diener behandelte, einen Untergebenen, einen Rotzlöffel, ihn, den zwanzig Jahre Jüngeren und einzigen legitimen Erben des Herzogtums Mailand. Er war ihr zu Diensten gewesen, hatte ihre Launen ertragen, die vielen Erniedrigungen. Und während er geduldig und lächelnd ihre Anweisungen entgegennahm, hatte sich in ihm ein Zorn eingenistet, der über die Jahre immer größer geworden war. Mit Billigung der Staatsmänner am Hofe, die der Überzeugung waren, dass er es zugunsten eines Gleichgewichtes der Kräfte, aus Vaterlandsliebe und Respekt vor den Toten täte. Beatrice, das miese Stück, war ihm von Nutzen gewesen: Sie hatte ihm vierhunderttausend Dukaten Mitgift eingebracht und Herrschaftsansprüche über Alessandria, Tortona, Casale, Novara, Vigevano, Biandrate, Varese und das gesamte Gebiet der Brianza. Er hatte sich von Kalkül und Opportunismus leiten lassen. So hatte er mit einem Schlag für das Herzogtum – sein Herzogtum – Ländereien, Männer und Ressourcen zurückgewonnen.
Doch nicht einen Augenblick lang hatte er vorgehabt, wirklich mit ihr zusammenzuleben. Sicher, trotz ihrer vierzig Jahre war sie noch schön. Und sie wusste, was einem Mann gefiel. Nur allzu gut! Allerdings war nicht er es, dem ihre Aufmerksamkeit galt. Nie. Er hatte immer gewusst, dass sie ihn betrog. Aber es war ihm nie gelungen, ihre Untreue zu beweisen. Die kleine Schlampe war schlau. Und deshalb verabscheute er sie. Doch im Verborgenen hatte er die Tage gezählt und verbittert auf seinen Moment gewartet.
Er war gewachsen in den sechs Jahren. Zwar war er nicht kräftiger und seine unnützen Beine nicht besser, sondern lediglich sein Bauch fetter geworden, und er hatte einsehen müssen, dass er hässlich und verkrüppelt war, doch eines war ihm gelungen, das Wichtigste überhaupt, das alle Zurücksetzung und Launen der Natur mit einem Mal wettmachte: Er war Herzog von Mailand geworden. Nicht der Bezeichnung nach. Aber faktisch. Er hatte seine Feinde ausgemacht, die erklärten ebenso wie die gefährlicheren, die hinter seinem Rücken Intrigen gegen ihn anzettelten, ihm aber lächelnd Honig ums Maul schmierten. Er hatte gelernt, ihnen allen zu misstrauen. Er hatte seinen Groll hinuntergeschluckt und so getan, als sei er ein vernünftiger und friedfertiger junger Mann, der bereitwillig die Beschlüsse des Consiglio di Provvisione zur Kenntnis nahm und wie ein braver Junge den Auffassungen der Hofpolitiker Folge leistete, als seien es Lebensweisheiten. Unterdessen nisteten sich Argwohn und Zorn in seinem schwarzen Herzen ein, das so hart war wie der dunkle Fels der Berge ringsum.
Und so hatte er in diesen sechs Jahren, in denen sie ihn alle mit gönnerhafter Herablassung und Bevormundung behandelt und seinen Zorn unterschätzt hatten, seine Waffen geschärft.
Dann hatte sich das Blatt erneut gewendet: Er hatte die Gesellschaftsdame von Beatrice kennengelernt, die viel schöner war als sie. Agnese del Maino hatte langes blondes Haar und Augen so blau wie der Himmel. Dieser Himmel, der soeben mit dem letzten Aufflammen der Morgenröte seine Farbe änderte. Wie hätte er einem Geschöpf so voller Feuer und Leidenschaft wie Agnese widerstehen sollen? Ihr bloßer Anblick brachte sein Blut in Wallung! Als ihm klar wurde, dass Agnese sich nicht vom äußeren Schein täuschen ließ und er ihre Bereitschaft und ihr Bestreben erkannte, Teil seines Lebens zu werden und eines Tages mit ihm gemeinsam zu herrschen, hatte er ihr alles geboten, was in seiner Macht stand. Sie hatte ihn fest zwischen ihre kräftigen, straffen Schenkel genommen und es wie wahnsinnig mit ihm getrieben. In diesen Nächten voll Sex und Raserei, voll Wonne und Qual, in denen er sie nahm und sich endlich wie ein Mann fühlte, flüsterte sie ihm Dinge ins Ohr, die nach und nach zu einem raffinierten und ruchlosen Plan heranreiften.
Zu guter Letzt hatte Filippo Maria ihn mit ihr gemeinsam umgesetzt. Er beschuldigte Beatrice des Ehebruchs mit einem seiner Dienstboten namens Michele Orombelli. Als sie das abstritt, bezichtigte er sie des Meineids und des Ehebruchs und beschuldigte sie, dass ihr der Erhalt der Abstammungslinie des Herzogtums nicht am Herzen liege. Daraufhin hatte er sie, ohne zu zögern, verurteilt. Orombelli hatte er in Ketten legen lassen. Nach einem Scheinprozess hatte er ihn vor Beatrices Augen von seinen Wachleuten in Stücke reißen lassen und den Hunden zum Fraß vorgeworfen. Danach hatte er befohlen, Beatrice zum Castello di Binasco bringen zu lassen, wo sie auf ihre Verurteilung warten sollte.
Und dort befanden sie sich nun.
Er schaute zum Horizont. Schließlich entschloss er sich mit unwilligem Blick auf die Treppe, wieder hinabzusteigen. Unter Mühen bückte er sich und hob die beiden Stöcke auf. Er spuckte aus. Dann machte er sich an den qualvollen Abstieg.
Als sie Beatrice hinausbrachten, regte sich kein Hauch. Es gab keine wartende Menge, nur den leeren Hof, gescheckt mit Flecken aus schmutzigem Schnee und Schlamm. Seine Bewaffneten hatten auf einer kleinen Bühne das Schafott aufgebaut. Der Henker wartete mit einer großen Axt in den Händen. Francesco Bussone, genannt Carmagnola, Hauptmann der mailändischen Truppen, überwachte, dass alles reibungslos vonstattenging. Er war groß, hatte lange braune Haare und einen dünnen Schnauzbart. Erbarmungslos und treu ergeben, war er bereit alles zu tun, um die Ländereien zurückzuerobern, die dem Herzogtum verloren gegangen waren.
Filippo Maria betrachtete Beatrice, überheblich wie eh und je, selbst im Angesicht des Todes, mit diesem hochmütigen, stolzen Blick, hart wie die Klinge eines Messers. Er sah ihr in die Augen, und es war ihm eine Genugtuung, den Blick nicht abzuwenden. Er lächelte. Sie würdigte ihn keines Wortes. Sie versuchte nicht, sich zu befreien, und protestierte nicht einmal ansatzweise, als die beiden Soldaten sie an den Armen ergriffen und sie dem Henker vor die Füße warfen.
Der packte sie rücksichtslos und fixierte ihren Kopf mit ein paar Seilwindungen auf einem Fass.
Die Sonne durchbrach die Wolken.
Die blassen winterlichen Strahlen tauchten den gesamten Hof in ein milchiges Licht. Beatrice sah weiter ihren Gemahl an – ohne ein Wort von sich zu geben und ohne den Blick von ihm zu wenden, im Gegenteil, sie heftete ihn auf ihn.
Der Henker hob die riesige Axt über den Kopf.
Nicht einmal die Ehre des Schwertes hatte er ihr gegönnt. Filippo Maria hatte dem Scharfrichter befohlen, ein Beil zu verwenden, das sonst den Schweinen und den räudigen Hunden vorbehalten war.
Der Herzog von Mailand klammerte sich an seine beiden Stöcke, die er in den Boden des Hofes bohrte.
Er verfolgte die Szene mit Genuss.
Nachdem er so lange darauf gewartete hatte, wollte er jetzt keinen einzigen Augenblick der Hinrichtung verpassen.
Der Scharfrichter ließ die gewaltige Axt herabsausen. Sauber durchtrennte die Klinge den Hals. Ein Strahl dunklen Blutes schoss als roter Regen heraus. Der vom Rumpf getrennte Kopf sprang beinahe davon und rollte unter die Streben der Bühne, um schließlich im schmutzigen Schnee und Matsch des Hofes zum Stillstand zu kommen.
Filippo Maria trat zum Kopf Beatrices. Er sah die hervorgetretenen Augen und die bläuliche Zunge. Dann warf er einen seiner beiden Stöcke zu Boden und packte den abgetrennten Kopf mit der freien Hand bei den Haaren. Das Blut troff aus ihm heraus, und so zog er eine scharlachrote Spur hinter sich her, als er sich mit ihm zum Schweinekoben begab.
Der Meinung bin ich nicht.« Angelo della Pergolas Blick blitzte auf. »Ich glaube nicht, dass Carmagnola sofort angreifen wird.«
»Wieso denkt Ihr das?«, fragte Francesco Sforza. Sein Blick verriet nicht die geringste Gemütsregung.
»Weil er sich nach seinem Sieg in Sommo eiligst auf die andere Seite des Oglio zurückgezogen hat, statt weiter vorzudringen«, erwiderte Angelo della Pergola mit Genugtuung.
Sforza, der viel jünger war als er, schüttelte den Kopf, als ob all seine Erwartungen enttäuscht worden seien.
Angelo della Pergola hasste Francesco Sforza. Er musste all seine Geduld aufbringen, um keinen Tobsuchtsanfall zu bekommen. Dieser junge Hauptmann führte sich einfach unerträglich auf. Er war beherrscht von der Arroganz der Jugend, gemäßigt nur durch eine beneidenswerte Fähigkeit zur Selbstkontrolle, die er in erstaunliche Kaltschnäuzigkeit umzuwandeln wusste. Er nutzte diese Begabung, um bei jeder Gelegenheit diesen wahren Hitzkopf von Carlo Malatesta, den frisch ernannten Oberbefehlshaber der Mailänder Truppen, aufzuwiegeln, der ihnen in diesem Augenblick amüsiert zuhörte.
Aber er hatte gewiss nicht jahrelang in Schlamm und Schnee gekämpft, um zum Gespött dieser beiden Jüngelchen zu werden, die es gar nicht erwarten konnten, fette Beute zu machen.
»Seht Ihr denn nicht«, sagte er an die beiden gewandt, »dass die Bedingungen denkbar ungünstig sind? Wir befinden uns in einer Ebene voller Sümpfe, umgeben von zugefrorenen Kanälen, und müssten auf allerschlechtestem Gelände gegen einen Mann wie Carmagnola antreten, der nicht zuletzt aufgrund seiner Vergangenheit allen Grund hat, nicht kämpfen zu wollen!«
»Genau aus diesem Grund glaube ich, dass wir leichtes Spiel haben werden, ihn zu vernichten. Unser Gegner zaudert. Umso besser! Machen wir seinen Männern den Garaus und sichern Filippo Maria Visconti einen leichten Sieg!«, dröhnte Malatesta und fügte verächtlich hinzu: »Worauf sollen wir Eurer Meinung nach denn noch warten?«
Angelo della Pergola traute seinen Ohren kaum. Diese beiden Bengel waren wirklich nicht in der Lage, einfach mal nachzudenken. Er hingegen, voller Schrammen und Narben, schlecht vernähter Wunden und immer noch nachwirkenden Schlägen, hatte so manches gesehen mit seinen zweiundfünfzig Jahren! Sie befanden sich gerade in der typischen Situation des Abwartens, in der keine der beiden Seiten den ersten Schlag führen will. Wer zuerst angriffe, würde sich selbst der Vernichtung preisgeben. Er hätte ganze Wälzer mit aufschlussreichen Beispielen dafür füllen können. Wenn er nur schreiben könnte. Selbst wenn er sich alle Mühe gäbe, sie zum Nachdenken zu bringen, würden unverkennbarer Argwohn und hartnäckiger Widerstand ihrerseits jeglichen Überzeugungsversuch zwecklos machen.
»Habt Ihr Angst, Hauptmann?«, fragte Carlo Malatesta ihn forsch. »Das könnte ich verstehen. Ihr seid müde, in Eurem Alter träumt Ihr gewiss nicht davon, Euch schon wieder ins Schlachtgetümmel zu schmeißen.«
In Angelo della Pergolas Augen blitzte es auf, im nächsten Moment griff er nach seinem Dolch und rammte ihn mit einer geschmeidigen Bewegung in den Tisch, der mitten im Raum stand. Es ging derart schnell, dass Malatesta kaum den Griff seines Schwertes zu fassen bekam.
Francesco Sforza hingegen blieb beneidenswert kaltblütig. Auch Carlo Malatesta hasste ihn. So selbstsicher wie er immer war. Eiskalt und distanziert sagte er immer das Richtige zum richtigen Zeitpunkt. Eine elegante Erscheinung mit diesen wunderbar gepflegten, seidigen Haaren. Ein eitler Stutzer. Bei dem würde er zu gern Hand anlegen, dass ihm sein Lächeln vergehen würde.
Im Augenblick aber teilte er seine Ansicht.
»Ich habe keine Angst – vor nichts und niemandem«, schrie der Alte. »Ich hätte nur gern, dass Ihr ab und an ein bisschen nachdenkt!«
»Ihr wagt es, die Stimme zu erheben?«
»Glaubt nicht, Ihr könntet mich beeindrucken, Malatesta. Die Tatsache, dass der Herzog beschlossen hat, Euch zum Oberbefehlshaber seines Heeres zu machen, gibt Euch noch lange nicht das Recht, mich zu beleidigen!«, knurrte der alte Hauptmann. »Ihr meint wirklich, ich hätte Angst? Nicht im Geringsten! Ich glaube jedoch, dass wir lieber erst mal gründlich darüber nachdenken sollten, ehe wir das Spiel Carmagnolas mitspielen. Er hatte nach Sommo definitiv die Möglichkeit, uns vernichtend zu schlagen, doch er hat es nicht getan. Er ist wütend, weil er von dem Herrn, dem er sein Leben gewidmet hat, im Stich gelassen wurde. Vielleicht ist er auch enttäuscht. Und das alles leid. Macht Euch doch mal klar: Er hat zehn Jahre lang unter dem Zeichen des Biscione gekämpft, er hat für Filippo Maria Visconti Ländereien und Städte zurückerobert, er wurde vom Herzog zum Herrn über Genua ernannt – und dann wird er plötzlich vor die Tür gesetzt. Das muss eine allzu herbe Enttäuschung gewesen sein. Doch trotz dieser Enttäuschung gelingt es ihm nicht, Mailand zu hassen. Trotz des Goldes, mit dem die Venezianer ihn überschüttet haben, zögert Carmagnola. Vielleicht gibt es noch eine Möglichkeit, sich mit ihm zu einigen und so unnützes Blutvergießen zu vermeiden.«
»Und ich sage, Ihr habt Angst, Hauptmann. Ich habe all Eure Beobachtungen angehört, doch nichts bringt mich davon ab, dass der wahre Grund für Eure ermüdende Ermahnung zur Vorsicht in Eurer Furcht besteht, Carmagnola auf dem Schlachtfeld gegenüberzutreten. Ich habe keine Angst vor ihm, wir sind stark, besser ausgerüstet, wir verfügen über acht Bombarden. Wenn Ihr nicht kämpfen wollt, dann bleibt hier, niemand verlangt von Euch, Eure kostbare alte Haut zur riskieren«, stieß Malatesta hervor und richtete den Zeigefinger auf Angelo della Pergola.
»Kommandant, kommt schon«, mischte sich Sforza ein, »wir sollten Ruhe …«
»Sagt mir nicht, ich solle Ruhe bewahren!«, unterbrach ihn Malatesta. »Wollen wir diese Schlacht wirklich eine Handvoll Männer aus der Lagune gewinnen lassen?«
Während Malatesta dieser letzten Frage nachhing und dabei die eigene Unrast bis aufs Letzte auskostete, schlug jemand den Vorhang vor dem Zelteingang zur Seite.
»Kommandant«, verkündete Guido Torelli, an Carlo Malatesta gewandt, »Carmagnolas Heer rückt vor!«
»Wo? An welcher Stelle im Feld?«
Torelli schien zu zögern. »Genau das verstehe ich nicht. Er schickt die Kavallerie geradewegs nach Urago. Niccolò da Tolentino ist der Anführer der Venezianer. Piccinino erwartet sie und steht zum Angriff bereit. Er wartet nur auf Eure Befehle.«
»Meine Herren«, schloss Carlo Malatesta, »die Würfel sind gefallen. Begebt Euch zu Euren Männern. Überwacht die Straße nach Orci Novi. Was mich angeht, werde ich mich schleunigst zu Piccinino begeben, um ihm Beistand zu leisten. Und um diese kleine Auseinandersetzung beizulegen.«
Die Straße durchschnitt den Sumpf wie ein glänzendes Band aus Regen und schlammiger Nässe, das mitten durch Kanäle und Morast führte. Tropfen, groß wie Silbermünzen, fielen vom Himmel. Niccolò Piccinino nahm mit seiner Kolonne aus Kavallerie und Infanteristen die gesamte Straße ein. Der Regen trommelte auf das Metall der Helme, die Abzeichen der Visconti, tränkte die Satteldecken der Pferde und überschwemmte die Straße, die dadurch noch rutschiger und tückischer wurde.
Piccinino sah eine Schar venezianischer Reiter näher kommen. Der Markuslöwe wehte vor einem bleiernen Himmel und schien jeden Moment losbrüllen zu wollen.
Im selben Augenblick hörte er hinter sich den Widerhall von Hufen – und sah, wie sich ein Ritter kühn und forsch durch die Reihen der Seinen bewegte. Er saß auf einem großen kohlrabenschwarzen Ross, dessen Satteldecke rot und gelb gewürfelte Streifen im Wechsel mit silbernen zierten – die Farben der Malatesta. Der Oberbefehlshaber des Visconti-Heeres hatte das Visier seines Helmes geöffnet, sein kräftiges Kinn war glatt rasiert und von Regentropfen benetzt.
Er hob die Hand mit dem eisernen Handschuh. »Nun, Niccolò, ist der Augenblick gekommen. Wir wollen diesem spärlichen Häufchen Venezianer doch wohl nicht die Ehre des ersten Angriffs überlassen?«
»Hauptmann«, wandte Piccinino ein, »genau das macht mich so misstrauisch und vorsichtig. Wie kann es sein, dass Venedig und Florenz nur so wenige Männer losgeschickt haben, um uns anzugreifen? Meine Spione sagen, dass es unseren Feinden nicht an Reitern und Fußsoldaten fehlt.«
»Warten, Niccolò? Und warum? Das wäre feige! Ich bin dafür, die Gruppe der Kavallerie auf der Straße zu belassen und die Infanteristen in zwei Flügeln ausscheren zu lassen. Sie werden vom Sumpf her vorrücken und den Feind seitlich angreifen. Wenn wir sie so in die Zange nehmen, werden wir diesen Dummkopf von Carmagnola, Niccolò Tolentino und ihre Männer schon in den Griff bekommen.«
»Aber …«
»Kein Aber«, schnitt ihm Carlo II. Malatesta das Wort ab und erteilte den Befehl, dass Infanteristen und Schildknappen seitlich ausschwärmen und über die Kanäle und das Sumpfland vorrücken sollten.
»Und nun«, wiederholte er, »ist der Moment gekommen anzugreifen.« Ohne sich noch länger aufzuhalten, senkte er das Visier, ließ den Morgenstern in der Luft kreisen und trieb sein Pferd zum Galopp.
Wie elektrisiert vom Anblick ihres Hauptmanns, der ganz ohne jede Furcht bereit war, den Tod herauszufordern, warfen sich auch die anderen Ritter geschlossen dem Feind entgegen, der sich nun seinerseits auf Malatesta und die Seinen zubewegte.
Fußsoldaten und Schildknappen begaben sich die Böschung hinab, schlossen mühsam zur Kolonne der Reiter auf und suchten sich, so gut es ging, ihren Weg durch Wassergräben und Morast.
Carmagnola lächelte. Von der Anhöhe, auf der er sich befand, sah er, dass Carlo II. Malatesta angebissen hatte. Der Plan ging also auf. Er grinste vorfreudig angesichts des vielversprechenden Auftakts dieses öden Nachmittags.
»In der Schlacht kann eine Überraschung ganz schön bitter sein, nicht wahr, Giovanni?«
Der Junge, Carmagnolas Helfer im Feld und sein persönlicher Knappe, nickte.
»Malatesta wird sich auf die paar Reiter stürzen, die ich ihm vor die Nase gestellt habe, aber er weiß noch nicht, was von hinten über ihn hereinbrechen wird. Ach, Giovanni, wie leid mir das tut, meinem Mailand diesen hässlichen Streich zu spielen! Doch Filippo Maria Visconti hat es so gewollt! Dieser junge Krüppel ist einfach undankbar. Neidisch auf die Erfolge, die ich für ihn eingeheimst habe, wollte er mich isolieren und verleugnen, verstehst du? Verleugnen, mich! Den größten Condottiere aller Zeiten!«
Giovanni nickte erneut. Voller Bewunderung schaute er auf Francesco Bussone da Carmagnola, den Grafen von Castelnuovo Scrivia.
»Für ihn habe ich Brescia, Orci Novi, Cremona, Palazzolo und schließlich sogar Bellinzona und Altdorf zurückerobert und dabei die gefürchteten Schweizer abgewehrt. Und wie hat er mir das vergolten? Indem er mich vom Hof entfernt hat. Ach, was für ein Dummkopf!«
»Hauptmann!«, unterbrach eine Stimme das Selbstgespräch, das Francesco Bussone wohl vor allem dazu dienen sollte, Enttäuschung und Bitterkeit zu überwinden, die ihm die Zurückweisung durch Filippo Maria Visconti zugefügt hatte.
»Was gibt es?«, erwiderte Carmagnola gereizt. »Ich erzählte Giovanni gerade von meinen Schicksalsschlägen, damit er etwas daraus lernt. Er weiß das übrigens sehr zu schätzen.«
Der Mann, der soeben die Kuppe des Hügels erklommen hatte, von dem aus der Hauptmann die Schlacht verfolgte, war ein Ritter, der einen kühnen Eindruck machte. So wie seine fein ziselierte Rüstung glänzte, schienen Schlamm und Regen ihr nichts anhaben zu können. »Und wie wollt Ihr das wissen«, fragte der Neuankömmling, »wo er doch stumm ist?« Wie um diesen Widerspruch noch zu betonen, konnte sich der Mann ein Grinsen nicht verkneifen.
Diese Frechheit löste bei Carmagnola einen Hustenanfall aus. Gleich darauf knurrte er: »Kümmert Euch um Euren Kram, Gonzaga. Und Giovanni weiß mit den Augen viel mehr zu sagen als andere, die ihr loses Mundwerk nicht im Griff haben. Nun, sind die Männer in Stellung? Wisst Ihr, was Ihr gleich zu tun habt?«
»Natürlich. Die Armbrustschützen sind schon auf Position, gut getarnt zwischen Schlamm und Morast, bereit, den Feind von den Flügeln her niederzumähen.«
»Na, dann ist es ja gut! Haltet Euch also nicht länger mit albernen Witzen auf. Kehrt zur Straße zurück und gebt das Zeichen. Sobald die Armbrustschützen das Fußvolk dezimiert und die Kolonne von Malatestas Reitern geschwächt haben, greift Ihr mit dem Großteil unserer Leute an und durchbrecht ihre Linien. Wenn wir es schaffen, die Mailänder aufzureiben, sie abzudrängen und auf der rechten Seite der Aufstellung zur Flucht zu zwingen, wird es uns auch gelingen, die vom anderen Flügel zu vertreiben, der unter der Führung von Sforza auf der Straße nach Orci Novi Aufstellung genommen hat. Auf diese Weise werden wir ihr Heer in zwei Teile zerschlagen wie Fleisch beim Schlachter. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
»Absolut.«
»Dann verliert keine Zeit. Tut, was ich Euch befohlen habe.«
»Natürlich, mein Hauptmann.« Ohne noch etwas hinzuzufügen, wendete Gianfrancesco Gonzaga sein Pferd und verließ den Hügel.
Carmagnola schüttelte den Kopf. »Immer muss ich alles selber machen. Wenigstens bist du da, Giovanni.«
Kaum kam die gegnerische Aufstellung in den Blick, hob Carlo II. Malatesta den Morgenstern und ließ ihn einen Augenblick später auf den Schild eines venezianischen Feindes donnern. Das Krachen war ohrenbetäubend. Die Auswirkung war so durchschlagend, dass der Mann zur Seite kippte; gleich darauf führte Carlo behände einen gigantischen zweiten Schlag, der den anderen völlig unvorbereitet traf. Die dornenbesetzte Kugel knallte gegen den Schultergurt und drang durch das Leder bis in das Fleisch des Mannes. Der Venezianer stieß einen unmenschlichen Schrei aus, und sein Blut lief in Strömen über das, was von der eisernen Brustplatte übrig war.
Malatesta riss den Morgenstern wieder an sich und entfernte dabei die Reste des Schultergurtes und der ledernen Gelenke der Rüstung, wodurch er den Oberarmknochen des Feindes freilegte. Er sah, dass Eisensplitter in seinem Fleisch steckten und erkannte, dass es genau der richtige Moment für den Gnadenstoß war. Also ließ er den Morgenstern erneut über dem Kopf kreisen und traf den Gegner ein drittes Mal, an der Seite.
Der Mann fiel vom Pferd, als die Eisendornen sich in seine Rüstung gruben.
Carlo ließ vom Morgenstern ebenso ab wie von seinem Opfer. Die Dornen hatten sich so tief ins Eisen gebohrt, dass es gefährlich gewesen wäre, sich die Waffe zurückholen zu wollen. Sie war ein tödliches Werkzeug, doch nicht leicht zu handhaben. Mehr als einmal hatte sie ihm Schwierigkeiten bereitet, dennoch mochte er auf sie nicht verzichten, denn vor allem beim ersten Angriff erlaubte sie ihm eine Schlaggeschwindigkeit, die die Feinde einschüchterte.
Er zückte das Schwert, während der Venezianer im Dreck verendete, in einer Pfütze aus Regen und Blut. Dann zog er die Zügel an, sodass das Pferd sich aufbäumte.
Er wollte Furcht verbreiten, in der Hoffnung, die Angst werde sich wie ein Fieber in den Reihen der Feinde ausbreiten.
Doch als sein Ross wieder auf allen vier Hufen über die schlammige Straße stampfte, sah er etwas, das ihn zutiefst erschütterte.
Und deshalb sollte ich also Eure Entscheidung bereitwillig akzeptieren, ohne auch nur einen Mucks von mir zu geben? Habe ich nicht jeden Tag um Euch gebangt? Habe ich nicht wie eine Furie um Euch gekämpft? Habe ich nicht an Eurer Seite gestanden, als es darum ging, einen Plan zu schmieden, wie Ihr von Beatrice loskommen könntet, ja sogar bei seiner Ausführung? Habe ich Euch nicht die schönste Tochter aller Zeiten geschenkt? Und habe ich nicht erst letztes Jahr eine weitere verloren? Habe ich nicht all das getan und ertragen, Hoheit, um Euch zu unterstützen, weil ich Euch mehr liebe als mein Leben?« Bei diesen Worten meinte man Blitze in den Augen Agneses zu sehen.
Gütiger Gott, wie schön sie war! Lieblich und stolz zugleich und deshalb unwiderstehlich. Agnese del Maino hatte sich die weiße Spitzenhaube vom Kopf gerissen und ihre langen blonden Haare gelöst, die in glänzenden goldenen Locken herabfielen. Die Perlen waren zu Boden gefallen und rollten unter den samtbeschlagenen Sessel und den fein intarsierten Tisch.
Er hätte sie in diesem Augenblick gern genommen, wenn er gekonnt hätte, aber Filippo Maria Visconti wusste, dass Agnese, hätte er auch nur gewagt, sie anzufassen, wie von Sinnen gewesen wäre. Also musste er ihr schmeicheln und ihr ruhig den Plan erklären, den er sich ausgedacht hatte.
»Mein Schatz, seid nicht so streng mit mir«, sagte er mit verhaltener Liebenswürdigkeit, »ich erkenne all die Verdienste an, die Ihr aufgezählt habt, und noch viele weitere, und doch müsst Ihr begreifen, wie wichtig diese Eheschließung für das Herzogtum ist. Die Allianz mit Amadeus VIII. von Savoyen brauche ich jetzt nötiger denn je, wo ein Mann wie Carmagnola sich gegen mich gewandt hat. Also werde ich Maria heiraten. Doch Ihr habt nichts zu befürchten, nichts wird mich von Euch trennen, denn Ihr und nur Ihr seid diejenige, die ich liebe.«
Der Herzog sagte diese Worte mit aller Aufrichtigkeit, zu der er fähig war. Dennoch war Agnese nicht zufrieden.
»Sicher, das sagt Ihr jetzt! Aber in ein paar Monaten, wenn die neue Gemahlin erst in Euren Armen liegt, fürchte ich, bleibt Euch kein Funken Verstand. Und was soll aus Bianca werden? Was wird sie davon halten, dass Ihr uns verlassen habt?«
Filippo Maria schüttelte den Kopf und seufzte. Er musste Geduld haben, sagte er sich. Er hievte sich mit aller Kraft aus seinem Lieblingsstuhl nach oben auf die Krücken, schleppte sich mühsam durch den Saal und nahm Zuflucht beim Feuer des Kamins. Verdammte Beine, dachte er. Wenn er doch wenigstens einen normalen Körper zur Verfügung hätte. Er unterdrückte einen verzweifelten Aufschrei. Während er sich mit der rechten Hand ans Kaminsims klammerte, streckte er die andere in Richtung der Flammen, als erwarte er, dass ihm die Wärme die richtigen Worte eingebe. Die Krücken fielen zu Boden.
Zumindest war eine Veränderung im Ton zu bemerken – Agneses Stimme, die zunächst schneidend gewesen war, war nun etwas weicher geworden. Ihr feuriger, kämpferischer Blick wirkte milder, die zarten Wimpern betonten diesen plötzlichen Wandel.
Sein Schweigen nutzend fuhr Agnese fort. »Ich bin nicht so unbedarft, dass mir nicht klar wäre, was Euch zu einem solchen Schritt veranlasst. Doch Ihr werdet meine Fassungslosigkeit nachvollziehen können. Bianca betet Euch an wie einen Heiligen, genau wie ich, Liebster, und unsere Feinde warten doch nur auf den richtigen Moment, um uns auseinanderzubringen. Auch wenn sich Amadeus von Savoyen heute Euer Freund und Verbündeter nennt, scheint er doch bereits die Voraussetzungen dafür zu schaffen, um schon morgen Euer Gegner zu sein. Und dass er Eurer Braut nicht einen Dukaten als Mitgift gibt, ist ein Umstand, den ich, gelinde gesagt, befremdlich finde.« Agnese ließ bei ihren Worten schlau einen fast sinnlichen Seufzer mitschwingen.
Filippo Maria bemerkte es. Er hing dem Gedanken nach, ob er durch Schweigen womöglich mehr erreichen würde als durch Reden oder gar den Versuch, sich durchzusetzen. Er kannte Agneses Temperament und wusste, dass sie sich in Momenten wie diesen ihre Sorgen von der Seele reden musste, ganz so, als könnte sie sie dadurch überwinden, dass sie sie aussprach. Er konnte jedoch nicht ewig schweigen, sonst würde er am Ende das Gegenteil von dem bewirken, was er zu erreichen hoffte. »Agnese«, begann er und wandte sich ihr zu, »ich verstehe vollkommen, was Ihr sagt, ich pflichte Euch sogar bei. Doch vertraut mir. Habe ich Euch jemals verraten, seit Ihr an meiner Seite seid? Habe ich Euch Grund gegeben, an mir zu zweifeln?« Bei der letzten Frage warf er ihr einen festen, entschiedenen Blick zu.
»Nein, mein Liebster.«
»Also beruhigt Euch!«, fuhr er bestimmt fort, ohne jedoch aggressiv zu werden. »Wenn ich tue, was sich tue, dann einzig und allein zu dem Zweck, uns einen mächtigen Verbündeten zu sichern. Dank dieser Eheschließung wird Amadeus VIII. von Savoyen uns Männer, Soldaten und Geldmittel für die Verteidigung Mailands zur Verfügung stellen. Neunundvierzigtausend Fiorini im Monat kostet mich dieser Krieg! Wenn man die monatlichen Einkünfte zusammenrechnet, kommt man, selbst wenn wir das Volk bis aufs Blut besteuern, nicht über fünfzigtausend Fiorini. Ihr seht selbst, über welch bescheidene Mittel wir dann für den ganzen Rest verfügen. Deshalb, Agnese, versucht mich doch bitte zu verstehen. Diese Ehe ist das Pfand, das ich Amadeus VIII. zahle, um unseren Besitz gesichert zu sehen. Venedig, Florenz, alle sind gegen mich!«
»Filippo, ich verstehe Euch ja.« Agnese trat zu ihm, nahm ihn bei den Händen und drehte ihn zu sich. »Wie auch sonst? Glaubt Ihr, ich sähe nicht, mit welch gierigem Blick die Serenissima Euch Euren besten Mann geraubt hat, indem sie ihm die Taschen mit Geld füllte? Und doch – versteht mich nicht falsch –, wart nicht Ihr selbst es, der Carmagnola des Hofes verwiesen hat? Habt Ihr ihn nicht zu Euch gerufen, dann im Hof warten lassen, um ihn schließlich nicht einmal zu treffen? Ich weiß, warum Ihr das getan habt. Doch Ihr müsst auch begreifen, dass Ihr in denen, die Euch treu ergeben sind, Groll erzeugt, wenn Ihr sie erniedrigt, einen Groll, der früher oder später zu Wut heranreift und zum Wunsch nach Rache, die beide noch gefährlicher sind als die Gier, die Ihr zu Beginn fürchtetet.« Bei diesen Worten drückte Agnese die Hände des Herzogs noch fester.