Buch
Riccardo Simonetti und seine Mutter Anna erzählen sehr persönlich von Riccardos Coming-out und davon, was es für die Eltern-Kind-Beziehung bedeutet, wenn das Kind von den Erwartungen der Eltern abweicht. Denn so freigeistig und bunt Riccardos Leben heute auch sein mag, so schwierig war es für ihn, sein konservatives Umfeld zu durchbrechen. Auch seine Mutter, die von einem streng katholischen Elternhaus geprägt wurde, musste einige Hürden überwinden, um voll und ganz zu ihrem Sohn stehen zu können. Entstanden ist ein sehr intimes Buch, das Einblick in die Perspektive des*der jeweils anderen gibt und zeigt, was Eltern und Kinder voneinander lernen können.
Autor*innen
Riccardo Simonetti, geboren 1993 in Bad Reichenhall, ist Entertainer, Autor, beliebtes Fernsehgesicht und einer der am häufigsten abgedruckten männlichen Prominenten in Deutschland. Seine Bekanntheit nutzt er dazu, sich für die Themen einzusetzen, die ihm am Herzen liegen. So setzt er sich für Gleichberechtigung und Toleranz ein und kämpft gegen Ausgrenzung und Vorurteile. 2019 wurde Riccardo Simonetti vom renommierten Forbes Magazin zu den »30under30«, den 30 einflussreichsten Menschen unter 30, gewählt. Zudem ist er LGBTQ*-Sonderbotschafter des Europäischen Parlaments.
Anna Simonetti ist die Mutter von Entertainer Riccardo Simonetti, hält sich aber weitgehend im Hintergrund und tritt nur selten öffentlich in Erscheinung. Geboren in Italien lebt sie heute in Riccardos ehemaliger Heimat Bad Reichenhall. Gemeinsam mit ihrem Sohn reflektiert sie nun ihre Mutter-Sohn-Beziehung mit allen schönen und herausfordernden Momenten und teilt somit erstmals ihre ganz eigene Sicht auf die Beziehung zu ihrem mittlerweile berühmten Sohn.
Riccardo und Anna Simonetti
Was mein Coming-out für uns bedeutete
Ein Buch über das Anderssein
Text Anna Simonetti
in Zusammenarbeit mit Lena Schindler
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Originalausgabe Oktober 2021
Copyright © 2021: Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlag: Uno Werbeagentur, München
Umschlagfoto: Max Menning
Fotos Umschlaginnenseiten: © privat
Redaktion: Lena Schindler
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
KW ∙ IH/SZ
ISBN 978-3-641-27626-3
V001
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»Wir widmen dieses Buch allen Eltern, die ihre Kinder mehr lieben als die Meinung anderer.«
Riccardo und seine Mama Anna
Inhalt
Vorwort
Papa don’t preach
Als die Scham in mein Leben kam
Ein Mann fehlt im Haus
Morgen fange ich damit an, ein anderer zu sein
Wir können doch über alles reden!
Du kannst nicht ändern, wer du bist
Wie geht es dir eigentlich?
Wendepunkt
Eine gemeinsame Reise
Bekenntnisse einer Highschool-Dramaqueen
Mein Glitzer-Junge
Das wichtigste Coming-out ist das vor dir selbst
»Ich stehe zu dir«
Coming-out in drei Schritten
Hört euren Kindern zu!
Die Zukunft ist jetzt
Die Kunst, loszulassen
Zeigt euch!
Aneinander wachsen
Wo bleibt der Zusammenhalt?
Mama in Vollzeit
Wo stehen wir heute?
Was ich noch loswerden möchte
Worterklärungen
Riccardos goldene Liste
RICCARDO SIMONETTI
VORWORT
»Mama, ich bin schwul!« – gleich mal vorweg: Diesen Satz hat meine Mutter nie wirklich von mir persönlich zu hören bekommen, obwohl sie bei weitem meine wichtigste Bezugsperson ist. Wieso? Das ist kompliziert. Wobei, vielleicht ist es auch gar nicht so kompliziert, vielleicht dachte ich das nur?
Wir leben in einer Gesellschaft, die eigentlich genug Freiheit und Raum zur individuellen Entfaltung bieten würde. Die Gesetze sind weitestgehend so gestaltet, dass man zumindest in Deutschland keine Konsequenzen dafür erwarten muss, man selbst zu sein. Aber irgendwie will es dann doch nicht so richtig ohne Schubladendenken klappen – obwohl wir es mittlerweile besser wissen sollten. Ist es da nicht völlig natürlich, dass man sich selbst oft davor fürchtet, in der Kategorie »anders« zu landen? Kriegt man das nicht sogar so beigebracht? Vielleicht sogar von den eigenen Eltern?
Meine sexuelle Orientierung war in meinem Leben etwas, das zu Konflikten geführt hat und wodurch ich immer wieder in Schubladen gesteckt wurde, in denen ich mich gar nicht wohl fühlte. Deshalb möchte ich in diesem Buch darüber schreiben. Vor allem über die Zeit, die ich gebraucht habe, um es zu akzeptieren. Um mich zu akzeptieren. Und darüber, was meine Mutter damit zu tun hat. Das heißt allerdings nicht, dass sich nur Menschen von diesem Buch angesprochen fühlen sollen, die genau dasselbe durchgemacht haben wie ich. Dieses Buch soll hoffentlich alle abholen und bestärken, deren Individualität sie in eine ähnliche Situation gebracht hat. Bei mir ist es mein Schwulsein, bei jemand anders vielleicht die Hautfarbe, die politische Meinung, die Religion, der Modegeschmack, das Gewicht, das Aussehen, die Gender-Identität oder etwas vollkommen anderes.
Egal, ob man es von zuhause so beigebracht bekommt oder erst irgendwann erlernt: Zu sich selbst zu stehen ist mutig! Und wenn man sich mit Statistiken über Mobbing auseinandersetzt, dann bleibt es das erst einmal leider auch. Um das zu verstehen, muss man kein schwuler Mann sein, wie ich es bin. Es kann schon reichen, die einzige Person im Raum zu sein, die eine andere Haltung vertritt. Deshalb ist es vielleicht auch nicht verwunderlich, dass man auf dem Weg zu echter Zufriedenheit manchmal auch unangenehme Momente hinter sich bringen muss, um zu verstehen, warum ein Leben, losgelöst von der Meinung anderer, wirklich erstrebenswert ist. Auf diesem Weg zur Zufriedenheit wird man sich selbst oft in Frage stellen, sich sogar schämen, so zu sein, wie man ist. Wir denken, wir müssen einem bestimmten Ideal entsprechen, um geliebt zu werden. Wir werden uns ändern wollen – bis wir irgendwann merken, dass das nicht möglich ist. Und wir müssen lernen, uns anzunehmen, bis wir das, wofür wir uns ursprünglich einmal verstecken wollten, lieben lernen und stolz darauf sind. Dieses Buch soll nicht nur eine Geschichte über Selbst-Akzeptanz erzählen, es soll auch zeigen, wie man andere Menschen akzeptieren kann – aus Liebe.
Dieses Buch soll von der Beziehung zwischen meiner Mutter und mir erzählen. Von unserer gemeinsamen Reise bis hierher und wie wir uns gegenseitig wahrgenommen haben. Doch vorher würde ich gerne etwas über meine Beweggründe für diesen privaten Einblick sagen. Dafür ist doch so ein Vorwort auch da, oder? Um ein Bild zu schaffen, das die Leserinnen und Leser darauf einstimmen soll, wer man ist und wie man sich fühlt.
Mein Name ist Riccardo Simonetti. Ich bin zu dem Zeitpunkt, als ich diese Zeilen tippe, 27 Jahre alt und komme ursprünglich aus Bad Reichenhall. Momentan lebe ich in Berlin. Meine Eltern kommen aus Italien, und ich bin in einem Frauen-Haushalt aufgewachsen, zusammen mit meiner Mama und meiner Schwester. Ich verstehe mich selbst als Entertainer und stehe auf der Bühne und vor der Kamera, seitdem ich vier Jahre alt bin. Ich bin ein schwuler Mann, der auf dem Land aufgewachsen ist, und ich würde behaupten, viele können sich vorstellen, dass das nicht unbedingt einfach war. Daher ist es nicht gerade natürlich für mich, Entscheidungen zu treffen, die eventuell nicht von Beifall begleitet werden. Applaus ist ein Weggefährte, den ich – wie viele andere schwule Männer auch – seit meiner frühesten Kindheit immer an meiner Seite haben wollte, vielleicht gerade weil so wenig Unterstützung von außen signalisiert wurde. Applaus gibt Bestätigung, Applaus gibt das Gefühl, richtig zu sein und etwas gut zu machen. Wer jedoch immer da war, unabhängig vom Beifall anderer, und immer geblieben ist, das ist meine Mama. Wie wichtig ihre Unterstützung für mich war, durfte ich erst viel später herausfinden.
Über mein Leben schreibe ich, seitdem ich 16 Jahre alt bin, und so habe ich bereits zwei Bücher veröffentlicht. Das erste, Mein Recht zu funkeln, ist ein Buch, in dem ich, vor Selbstbewusstsein strotzend, über meine persönlichen Konflikte mit der Gesellschaft schreibe und Erfahrungen mit Mobbing öffentlich bespreche. Mein Kinderbuch Raffi und sein pinkes Tutu soll Kindern und ihren Eltern beibringen, Toleranz zu leben und Anderssein nicht mehr als Schwäche wahrzunehmen.
Das alles klingt vermutlich sehr abgeklärt und ließ andere und vor allem mich selbst lange in dem Glauben, dass Selbstbewusstsein ein Zustand ist, den man erreicht und der dann unantastbar wird. Aber das stimmt nicht. Selbstbewusstsein kann sich binnen Sekunden verändern, und leider bleibt das auch so, selbst wenn man viele öffentliche Erfolge feiern darf. Durch das Feedback auf meine ersten beiden Bücher durfte ich sehr viel lernen. Über die Menschen, die unsere heutige Gesellschaft formen. Über diejenigen, die – wie ich – unter dieser Gesellschaft leiden und sich oft so fühlen, als gehörten sie nicht dazu. Und vor allem über mich selbst. Ich habe auch gelernt, dass Mädchen anders bewertet werden als Jungs und dass Intoleranz viele Gesichter hat.
Gerade bei meinem Kinderbuch konnte ich erleben, wie häufig Menschen es fast schon als bedrohlich empfunden haben, einem Kind beizubringen, dass gleichgeschlechtliche Liebe möglich ist – aus Angst, ihre Kinder könnten auch homosexuell werden. Vorsicht Spoiler: So läuft das mit der sexuellen Orientierung nicht! Denn ich bin beispielsweise in einer Welt aufgewachsen, in der es keinerlei schwule Identifikationsfiguren gab, und bin dennoch schwul geworden. Also funktioniert es auch umgekehrt nicht. Ich habe aber auch sehr viel über Dankbarkeit erfahren und noch einmal mehr zu schätzen gelernt, wie wertvoll mir das Verhältnis zu der wichtigsten Person in meinem Leben ist: meiner Mutter. Ein Verhältnis, das von außen oft beneidet wird, weil es so innig und vertrauensvoll wirkt. Das ist es auch tatsächlich, aber das kommt nicht von ungefähr.
Dieses Buch soll das Zustandekommen dieser besonderen Beziehung erklären, ganz einfach weil ich der Meinung bin, dass meine liebevolle Mama ein wunderbares Vorbild sein kann. Nicht weil sie in jeder Situation bedingungslos geliebt und perfekt reagiert hat, sondern weil sie dazugelernt hat – und das ist es, was letzten Endes einen wichtigen Unterschied macht. Das gilt nicht nur für Eltern homosexueller Kinder, sondern für alle, die sich ein besseres Miteinander wünschen. Der Gedanke hinter diesem Buch ist es, unsere Geschichte zu benutzen, um zu zeigen, dass Liebe immer kraftvoller ist als gesellschaftliche Normen. Und zwar nicht nur für Menschen, die in genau derselben Situation sind, wie wir es waren, sondern für alle, die sich manchmal eine*n Vermittler*in zwischen sich und ihren Eltern wünschen. Oder vielleicht sogar zwischen sich und der Gesellschaft? Es soll eine Brücke zwischen Eltern und ihren Kindern schlagen. Zwischen einer älteren und einer jüngeren Generation. Ich wünsche mir, dass sich »Kinder« beim Lesen dieses Buches von dem Bild lösen können, dass ihre Eltern perfekte Fabelwesen sind, und verstehen, dass diese auch nur die Kinder ihrer eigenen Eltern sind – und somit die Summe ihrer individuellen Erziehung und Erfahrungen.
Auf der anderen Seite hoffe ich sehr, dass die Eltern, die dieses Buch lesen, ein bisschen mehr verstehen können, was in ihren Kindern vorgeht, wenn sie sich anders fühlen und so weit weg von der Erwartung, die ihre Eltern oder auch die Gesellschaft vielleicht an sie haben. Und wer jetzt beim Lesen denkt, das alles würde ihn oder sie nicht betreffen, weil er oder sie nicht anders, sondern völlig normal ist, dem*der kann ich eines mit Sicherheit sagen: Wir alle kommen irgendwann im Leben an den Punkt, an dem wir aus dem Idealbild der Gesellschaft verschwinden. Spätestens, wenn wir älter werden und uns bewusst wird, wie oberflächlich die Welt mit Menschen umgeht, die eben nicht mehr diesem Ideal entsprechen. Dann sind wir dankbar, wenn wir mehr haben, auf das wir aufbauen können, als auf ein Selbstwertgefühl, das einzig und allein darauf basiert, wie andere uns bewerten. Jede*r profitiert von einer Umgebung, die das Individuum schätzt und diesem Raum zur Entfaltung gibt.
Ich selbst bin die Sorte schwuler Mann, dessen Sexualität schon für ihn gesprochen hat, bevor er es selbst in Worte fassen konnte. Und auch wenn mich das manchmal in Situationen geworfen hat, für die ich noch nicht bereit war – und davon werde ich in diesem Buch einige beschreiben –, so hat es mir geholfen, inzwischen kompromisslos ich selbst zu sein. Und dieser Prozess hat bis heute noch nicht aufgehört.
Für viele homosexuelle Männer spielt ihr Schwulsein keine grundlegende Rolle in ihrem Leben mehr, denn der schwule Mann ist ja in der Mitte der Gesellschaft angekommen, so heißt es. Doch gilt das wirklich für alle schwulen Männer oder nur für eine bestimmte Sorte? Eine, zu der ich nie gehört habe? Vermutlich müsste die These in Wahrheit lauten: Der schwule Mann ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, wenn er dem heteronormativen Idealbild eines Mannes entspricht, einem Idealbild also, das die Heterosexualität als soziale Norm setzt. Alle anderen Männerbilder stellen die Toleranz der Gesellschaft leider immer noch genauso auf die Probe wie früher schon. Homophobie ist nach wie vor eine Volkskrankheit, die versteckter auftritt als vor einigen Jahren noch, was sie dadurch weniger offensichtlich, aber mindestens genauso folgenreich sein lässt. Menschen haben heute oft begriffen, dass es nicht ausschließlich Verständnis regnet, wenn sie öffentlich ihren Unmut gegenüber Menschen der LGBTQIA*-Community aussprechen, dennoch spielt Homophobie in den Leben vieler queerer Menschen eine Rolle. Sie ist immer noch da trotz Ehe für alle, trotz des ein oder anderen schwulen Politikers, trotz der ein oder anderen queeren Identifikationsfigur in den Medien. Und Homophobie verletzt. Tag für Tag. Wie schwerwiegend diese Verletzungen sind, wird uns oft erst später oder manchmal auch gar nicht bewusst. Stattdessen lernen wir, damit klarzukommen und ein Leben um unsere Verwundungen herumzubauen, das uns in Komfortzonen steckt und uns den Glauben vermittelt, alle würden so denken wie wir in unserer sicheren Blase. Aber wie sicher ist man wirklich? Oder besser: Wie frei ist man wirklich, wenn es nicht jede*r von uns ist?
Alle, die sich irgendwie anders fühlen, werden wissen, wovon ich spreche. Gerade weil diese täglichen Diskriminierungen allgegenwärtig sind, ist es so wichtig, früh vermittelt zu bekommen, dass man keine Angst davor haben sollte, sein wahres Ich auszuleben. Ob das – wie in meinem Fall – heißt, schwul zu sein und ein anderes Männerbild zu verkörpern, oder eben eine andere Facette von Anderssein bedeutet, spielt keine Rolle. Eines ist gewiss: Egal, wie groß die Anstrengung auch sein mag, es wird keinem Elternteil gelingen, sein Kind komplett vor diesen Erfahrungen zu schützen. Zu wissen, dass seine Eltern einem beistehen und man sein Leid mit ihnen teilen kann, ist am Ende jedoch wertvoller und heilsamer als der Schaden, den diese Situationen anrichten.
Ich weiß nicht, ob es meiner Mutter und mir gelingen wird, durch das Erzählen unserer Geschichte die Gesellschaft so zu verändern, dass Homophobie signifikant weniger wird. Das ist vermutlich ein sehr ambitionierter Wunsch. Aber ich hoffe sehr, dass viele Menschen durch dieses Buch auf diese – mal kleineren, mal größeren – Verletzungen aufmerksam gemacht werden, und ich bin sehr froh, dass meine Mama sich entschlossen hat, diesen Weg mit mir zusammen zu gehen.
»Ich habe zwei Kinder, die ich bedingungslos liebe, beide gleich stark: Alessia und Riccardo. In diesem Buch soll es um die Beziehung zu meinem Sohn gehen, da sie mich auf besondere Weise herausgefordert hat …«
Anna Simonetti