Mord im Dorfwirtshaus

Kriminalroman

Lore Macho


ISBN: 978-3-99074-147-4
1. Auflage 2021, Marchtrenk, Österreich
© 2021 Verlag federfrei

Auf www.federfrei.at finden Sie unser umfangreiches eBook-Angebot!

Umschlagabbildung:
© Sonja Macho
Lektorat:
N. Paul
Satz und Layout:
Verlag federfrei

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch auszugsweise - nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder nicht lebenden Personen sind reiner Zufall und nicht beabsichtigt.
Sollte Ihnen, lieber Leser, liebe Leserin, doch etwas bekannt vorkommen, zeigt das nur, dass Sie über mehr Fantasie verfügen als ich.

Inhalt

»Jedes Ding hat drei Seiten.

Eine positive, eine negative und eine komische.«

Karl Valentin

 

Kapitel 1

 

»Josef Maria!«

Frau Krügerl, die Wirtin des Klein Schiesslinger Dorfwirtshauses, schlank, mittelgroß, mit einem feschen blau gemusterten Dirndl und Spitzenbluse bekleidet, ist eben dabei, das Gästezimmer für Roswitha und Konrad Mörsebrink aus Essen vorzubereiten, die sich kurzfristig entschlossen haben, bei ihnen im Dorfwirtshaus ein paar Tage auszuspannen.

Die Betten sind bezogen, frische Handtücher liegen bereit und der Raum ist gut durchgelüftet. Nur einen frischen Obstkorb und eine Flasche Grünen Veltliner zur Begrüßung der neuen Gäste muss ihr Mann, Josef Maria Krügerl, noch aus dem Keller holen und aufs Zimmer stellen. Und dazu braucht er, wie immer, ellenlang Zeit. Mit der Stammtischrunde zu schnapsen geht bei ihm wesentlich rascher vonstatten und macht obendrein Spaß. Da ist er in seinem Element, und solche Runden lassen zusätzlich die Kassa klingeln. Wenn so richtig schön geschimpft, geflucht und gelacht wird, trocknen verständlicherweise die Hälse aus, und das verlangt wiederum ordentlich Nachschub an G’spritztem, Wein oder Bier. Und wenn es höher als hoch hergeht, auch den einen oder anderen Schnaps. Ganz selten Mineralwasser. Wenn die Dörfler krank sind, bleiben sie daheim im Bett und lassen sich von ihren Angetrauten gesund hätscheln.

Frau Krügerl lässt noch einmal einen kritischen Blick durch den Raum schweifen. Auf dem kleinen Tisch, mitten auf einem runden Häkeldeckchen, steht ein Keramikkrug mit gelb blühenden Forsythienzweigen und auf der Anrichte an der linken Wand ein dunkelviolettes, üppig blühendes Usambaraveilchen. Die Kopfpolster sind gut durchgeschüttelt und glatt gestrichen, und durch das weit geöffnete Doppelfenster mit Blick in den sonnigen Innenhof dringt Vogelgezwitscher. Es ist Ende März, ein sanftes Frühlingslüfterl weht Wölkchen über den blauen Himmel und bauscht leicht die Vorhänge auf. Für diese Jahreszeit ist es wieder einmal zu warm. Wahrscheinlich schneit es dann im April, um die Temperaturen auszugleichen. Ordnung muss schließlich sein!

 

Frau Krügerl hat für ihre deutschen Besucher Zimmer Nummer drei gewählt. Es ist ruhiger als die beiden anderen Gästezimmer, deren Fenster sich auf die Hauptstraße von Klein Schiessling öffnen. Dort herrscht untertags ziemlich reger Straßenverkehr. Vor allem dann, wenn die mit Granitblöcken schwer beladenen Laster aus dem nahe gelegenen Steinbruch durchdonnern und Lärm, Staub und Gestank verbreiten. Als kleine Entschädigung dafür bekam Klein Schiessling die Tafel »Gesunde Gemeinde« verliehen, sie prangt groß und unübersehbar hinter beiden Ortstafeln. Das für die neuen Gäste vorgesehene ruhige Hofzimmer verfügt außerdem über einen separaten Zugang. Es ist gemütlich über den Innenhof des Wirtshauses zu erreichen, ohne die Gaststube betreten zu müssen. Die beiden anderen Zimmer des Dorfwirtshauses stehen zurzeit leer, es ist ja noch keine Urlaubssaison. Erfahrungsgemäß trudeln die ersten Gäste mit der warmen Jahreszeit, also mit Sommerbeginn, ein. Da haben auch die meisten Heurigenlokale geöffnet, die Besucher können unter Nussbäumen im Freien sitzen und sämtliche Schmankerln der Klein Schiesslinger Winzer verkosten.

»Wo bleibt er denn nur?«, murmelt sie vor sich hin und ruft neuerlich nach ihrem Mann.

Doch auch das zweite »Josef Maria« bleibt ungehört.

»Wo treibt sich dieser Kerl schon wieder herum?«

Griesgrämig geht sie auf die Suche. Und weil sie annimmt, er holt das Begrüßungsgeschenk für die Gäste, stapft sie hinunter in den Keller. Plötzlich bleibt sie auf der untersten Stufe unvermittelt stehen.

»Ja, geht’s noch?«

Anstatt sich um Wein und Obstkorb zu kümmern, sitzt Josef Maria gemütlich auf einem umgedrehten Bierfass und hält ein Glas Rotwein in der Hand. Als er seine Frau erblickt, prostet er ihr freundlich zu.

Ja, hat sie der noch alle? Dem fehlt doch eine Schaube im Oberstübchen!

»Josef Maria!«

Energisch wischt sie mit ärgerlicher Handbewegung sein Zugeproste von sich, verschränkt die Arme vor der Brust und funkelt ihn böse an.

Der Wirt des Klein Schiesslinger Dorfwirtshauses hat in den letzten Jahren beträchtlich an Fülle zugelegt. Sein Bauch wölbt sich unter der weißen Schürze, die einstmals stolze Haarpracht ist schütter geworden und seine dicken roten Bäckchen schwab­beliger. Lächelnd blickt er seiner lieben Frau Gemahlin ins grimmige Gesicht.

»Du sitzt da herum, während ich oben auf den Obstkorb und die Flasche Wein warte? Die Gäste werden gleich da sein und nix ist fertig! Wie immer halt! Was denkst du dir eigentlich dabei?«

»Aber das ist doch schnell geschehen«, wendet er besänftigend ein.

»Der Korb liegt da drüben, das Obst ist gleich eingeschlichtet und die Flasche Grünen Veltliner brauch’ ich auch nur aus dem Fach zu nehmen.«

Am Gesichtsausdruck seiner Frau kann er jedoch erkennen, dass sie damit ganz und gar nicht einverstanden und im Augenblick mit ihr auch nicht gut Kirschen essen ist. Deshalb erhebt er sich mühevoll, platziert sachte das Weinglas hinter sich auf einer Stellage, streicht die weiße Schürze glatt und wandert murrend in das hintere Kellerabteil, wo Weine der ortsansässigen Winzer lagern, um vorerst einmal eine Flasche für die deutschen Urlauber auszusuchen. Den Rest mit dem Obstkorb kann er ja später noch erledigen.

 

Die Wirtin des Dorfwirtshauses, Frau Krügerl, heißt eigentlich Clementine. Da sie diesen Vornamen jedoch nicht ausstehen kann – erinnert er sie doch stets an eine saure Zitrusfrucht – und zusätzlich gegen Kosenamen jeglicher Art allergisch ist, wird sie von allen der Einfachheit halber Frau Krügerl genannt.

Josef Maria rief sie vor ihrer Ehe liebevoll Tinchen, was sie ihm mit zunehmendem Alter strikt verboten hat.

Nun rauscht sie mit wehendem Dirndlrock über die ausgetretenen Kellerstufen zurück, durchquert die Gaststube und jagt weiter in den Oberstock, um in Zimmer drei zu verschwinden. Geräuschvoll lässt sie die Türe hinter sich ins Schloss fallen.

Kurz nach ihr erreicht Josef Maria keuchend und mit hochrotem Kopf das Gästezimmer und stellt die Flasche Grünen Veltliner neben den Krug mit den gelb blühenden Zweigen ab.

»Ich geh’ dann noch einmal in den Keller und hole den Obstkorb.«

Die Türe von Zimmer drei gleitet sanft hinter ihm ins Schloss und Frau Krügerl stiert ihrem Angetrauten grimmig hinterher.

»Den konntest nicht auch gleich mitbringen?«, murrt sie und platziert verärgert zwei Weingläser neben der Flasche, während ihr Mann zurück in den Keller stapft. Hoffentlich vergisst er nicht wieder die Hälfte. Resigniert schüttelt sie ihren Kopf mit den brünetten, dauergewellten Löckchen.

Männer!!!

In der Gaststube ist wenig los, nur der Dorfboss von Klein Schiessling, Bürgermeister Alfons Pummerl, brütet am Stammtisch vor sich hin. Sein kariertes Flanellhemd wirkt zerknittert und das Kragenzipferl ist nach innen gebogen. Sonst sind im Moment keine gravierenden Toilettenfehler festzustellen, weil er sitzt und seine Hose vom Tisch verdeckt ist. Um ihn bei Laune zu halten und weil er von der vielen Arbeit ohnehin müde geworden ist, lässt sich der Wirt, nachdem er auch den Obstkorb brav und folgsam im Gästezimmer abgeliefert hat, neben ihm auf die Bank fallen. Seinen guten Tropfen hat er aus dem Keller mitgenommen. Immerhin ist dieser Blauburger von Gemeinderat und Winzer Michael Rieslinger. Und dessen Weine sind in der gesamten Region wegen ihrer besonders guten Qualität äußerst begehrt. Es käme einer Todsünde gleich, auch nur einen einzigen Tropfen davon zu vergeuden.

»Was gibt’s Neues, Bürgermeister? Ärger in der Gemeinde?«

Alfons Pummerl hebt das vor ihm stehende Weinglas, steckt seinen Riechkolben hinein, nickt zustimmend und macht einen Schluck, bevor er mit einem brummigen Ja antwortet.

»Ja? Was ja, Bürgermeister? Hast Ärger auf der Gemeinde?«

Josef Maria Krügerl kennt zwar die Wortkargheit seines Dorfbosses, hätte aber im Moment doch gerne gewusst, was ihn bedrückt.

»Was meinst damit?«, wiederholt er deshalb und rückt seinen Allerwertesten zurecht.

»Na alles halt!«

Aha!

»Aber das ist ja nix Neues, Bürgermeister.«

Krügerl will gerade sein Glas in Richtung Pummerl erheben und ihm zuprosten, stockt jedoch in der Bewegung, weil seine Frau an ihm vorbeifegt und die Eingangstüre sperrangelweit aufreißt. Beide Männer stieren erstaunt zur Tür, durch welche sich eine kleine, zierliche blonde Frau mittleren Alters schiebt. Sie ist bekleidet mit einer beigefarbenen Marlenehose, hellen Sneakers und einem weißen T-Shirt mit der Aufschrift »Heio­pei«.

»Griaß Gott!«

Frau Krügerl heißt den Gast willkommen. Oder muss man, wie gelangweilte Feministinnen verlangen, die Gästin sagen?

Irgendwann sollte genug sein mit diesem Vermurksen und Verunglimpfen unserer deutschen Sprache. Sonst muss man sich wirklich fragen, wohin das führt, wenn im Restaurant nicht allein nach dem Ober, sondern in Zukunft auch nach der »Oberin« gerufen werden muss. Oh, Verzeihung! Dieser Titel ist ja bereits vergeben.

 

Frau Krügerl eilt die Stufen auf die Straße hinunter, um auch einen Mann, der soeben aus einem dunklen Audi klettert, zu begrüßen. Langsam dämmert es Herrn Krügerl, dass es sich bei den Ankommenden um seine deutschen Gäste handeln könnte. Mühsam erhebt er sich und streckt der Dame seine Pranke entgegen.

»Griaß Gott!«

Alfons Pummerl dreht sich behäbig um und nickt kurz in Richtung Tür.

»Mörsebrink! Roswitha Mörsebrink!«

Das »Heiopei«-T-Shirt kommt freudestrahlend auf Josef Maria zu, ergreift seine Hand und schüttelt sie wie einen Zwetschkenbaum bei der Ernte.

»Mein Mann, Konrad!«

Sie dreht sich um und deutet auf einen schlanken, großen und dunkelhaarigen Mann mit krummer Nase, der, zwei pralle Koffer schleppend, die Gaststube hinter Frau Krügerl erreicht.

»Konrad Mörsebrink!«

Lächelnd lässt er beide Koffer sinken, schnappt zunächst Frau Krügerls Hand, danach die Wirtspranke und drückt sie platt.

»Einen schönen guten Tag allseits!«

»Herzlich willkommen in Klein Schiessling«, erwidern Herr und Frau Krügerl hocherfreut im Chor. »Wir wünschen Ihnen einen schönen Aufenthalt bei uns.«

Eilig wuselt Josef Maria hinter die Theke, schenkt zwei Glaserln Grünen Veltliner ein und reicht sie freudestrahlend Roswitha und Konrad Mörsebrink.

»Prost!«

 

Die deutschen Gäste betreten anerkennend ihr Zimmer. Frau Mörsebrink startet sofort zum Fenster, atmet tief die frische Luft ein und klatscht in die Hände.

»Schön haben Sie es hier.«

»Ja«, erwidert Frau Krügerl. Sie steht dicht hinter ihr und genießt ebenfalls die frische Luft.

»Das Zimmer ist ruhig, und wir dachten, der Ausblick in den Innenhof gefällt Ihnen sicher besser als der auf die doch manchmal ganz schön laute Dorfstraße.«

»Das ist sehr nett von Ihnen«, wirft der Mann ein.

Seine Frau dreht sich um und lacht Frau Krügerl freudestrahlend ins Gesicht.

»Vielen Dank, Frau Wirtin. Vielen, lieben Dank.«

 

Überglücklich räumt die kleine, quirlige Roswitha alle Koffer aus, schlichtet Unterwäsche und Oberbekleidung in den großen, breiten Kasten aus dunklem Eichenholz, danach werden sämtliche Toilettenartikel ins Bad befördert.

»Wir haben Glück, Konrad. Der Entschluss, uns hier einzumieten, war grandios. Wie sind wir nur auf diesen schönen Ort gekommen?«

Konrad Mörsebrink enthält sich einer Antwort und lobt stattdessen das gemütliche, sonnige Zimmer, die Aussicht und auch das strahlend schöne Wetter.

»Hier wird es uns sicher gefallen, Roswitha!«

Schweigend beobachtet er seine Frau, wie sie ihre Cremetiegel auf der Etagere im Bad schlichtet: Tagescreme, Nachtcreme, Augencreme, Gesichtsserum, daneben Parfüm, zahlreiche Schminkutensilien, Haarshampoo, Haarfestiger, Haarspray …

»Wo ist eigentlich dein Rasierwasser, Konrad?«

»Mein Rasierwasser? Das hast doch du eingepackt!«

Roswitha durchsucht den zweiten Koffer und wird fündig.

»Ah, da ist es.«

Auch dieses wichtige Utensil wird im Bad verstaut, danach gesellt sich Roswitha Mörsebrink zu ihrem Mann und strahlt ihn an.

»Was fangen wir nun mit dem schönen Tag an, Konrad?«

»Wir könnten uns ein wenig die Umgebung ansehen«, schlägt er vor und mustert seine Frau. »Die barocke Kirche aus dem 18. Jahrhundert soll imposant sein. Und einen Spaziergang durch die Kellergasse mit ihren Heurigenlokalen und die Weinberge rund um den Ort sollten wir auch unbedingt in unser Besichtigungsprogramm einplanen.«

Schockiert blickt Roswitha ihren Mann an.

»So viel auf einmal?«

»Was der alles will«, denkt sie, schlüpft aus der eleganten Marlenehose und in eine enge, dunkle Jeans. Das weiße T-Shirt mit dem Aufdruck »Heiopei« behält sie an. Immerhin hat sie dieses zuletzt in Essen in einer Boutique erstanden und umgehend zu ihrem Lieblingsshirt erklärt. Und dies nicht nur deshalb, weil ihr Mann sie seit geraumer Zeit »Heiopei« nennt.

Das Shirt ist hübsch, knittert nicht, lässt sich gut waschen und ist im Nu wieder trocken. Und den Aufdruck findet sie trotz allem witzig. Was will man mehr?

 

Kapitel 2

 

Pfarrer Miroslav Jankovic, der seit einigen Jahren die Gemeinde Klein Schiessling betreut, sitzt gebeugt über dem Schreibtisch und bastelt an seiner Sonntagspredigt. Jede Woche muss er sich etwas Neues einfallen lassen, um die Gottesfürchtigkeit seiner Schäflein zu pflegen, sie vor allem auf den richtigen Weg zu lenken, was nicht einfach ist, gehen ihm doch schön langsam die entsprechenden Bibelzitate aus.

»Liesel!«

»Ja, Herr Pfarrer?« Die Köchin, die bereits seinen geistlichen Vorgänger betreut hat, baut sich vor dem Schreibtisch auf.

»Geh, Liesel«, meint er, »hast eine Idee, worauf ich in meiner kommenden Sonntagsrede eingehen könnt‘? Manchmal hab‘ ich das Gefühl, meine Schäflein entgleiten mir. Vor allem die Jugend, Liesel! Die jungen Leute lassen mich manchmal stark an meiner Kompetenz zweifeln.«

»Ja mei, Herr Pfarrer! Wenn S’ mich so direkt fragen?«

Liesel zieht Dackelfalten in ihre Stirne und wiegt den Kopf.

»Fällt dir nix ein?«

Pfarrer Miroslav Jankovic ist unzufrieden.

»Denk halt nach, Liesel«, setzt er hinzu und spielt mit seinem Kugelschreiber.

Er rollt ihn mit der rechten Handfläche auf der Schreibtischplatte hin und her und schaut seiner Köchin erwartungsvoll ins Gesicht.

»Wie wäre es denn, Herr Pfarrer, wenn Sie darauf hinweisen würden, dass unser schöner Ort sehr friedlich ist. Immerhin hatten wir, Gott sei‘s gedankt, schon längere Zeit keinen Mord mehr im Dorf.«

»Um Himmels willen, Liesel! Verschrei das nur nicht. Ich trau’ unseren lieben Dörflerinnen und Dörflern allerhand zu. Und du weißt selbst, wenn sie längere Zeit in ihren Kellern bei mehreren Glaserln Wein verbracht haben, sind sie unberechenbar.«

»Aber Herr Pfarrer«, widerspricht Liesel, »das stimmt so nicht ganz. Immerhin ist die Frauenquote unter den dörflichen Mördern drastisch angestiegen. Und die sitzen nicht in den Kellern herum und … und bechern eins nach dem anderen.«

Sie streicht energisch ihre Küchenschürze glatt und Pfarrer Jankovic gibt sich damit zufrieden. Vorerst einmal zumindest! Denn ganz traut er dem Frieden in seiner Gemeinde nicht.

Immerhin kann er die männlichen Schäflein besser beurteilen als seine Köchin, sitzt er doch oft genug mit denen im Dorfwirtshaus oder in den Weinkellern beisammen und … bechert, wie Liesel es so treffend ausgedrückt hat.

»Aber was anderes, Liesel!«

»Ja, Herr Pfarrer?«

Das Glattstreichen der Schürze wird kurz unterbrochen und Hochwürden aufmerksam betrachtet.

»Was sind denn das für Leute, die seit ein paar Tagen im Dorfwirtshaus wohnen? Ist dir da irgendetwas aufgefallen? Weißt du da was darüber?«

»Nein, Herr Pfarrer. Warum?«

Langsam faltet Pfarrer Miroslav Jankovic seine Hände wie zum Gebet und legt das Kinn drauf.

»Es ist doch noch gar keine Saison für Urlauber«, überlegt er laut. »Was die wohl hier um diese Jahreszeit in Klein Schiessling wollen?«

»Ja mei, Herr Pfarrer. Erstens ist es bei uns sehr schön und zweitens sind das nicht die einzigen Urlauber. In Eggenburg ist auch ein kurioses Pärchen abgestiegen, hat mir die Köchin von Hochwürden erzählt. Angeblich aus Frankfurt am Main. Zumindest das Autokennzeichen ist von dort. Die haben das kleine Haus Richtung Stoitzendorf gemietet. Es hat früher dem alten Kittlinger gehört und steht seit dessen Tod bereits längere Zeit leer.«

»Merkwürdig, Liesel. Findest du nicht auch? Gleich mehrere Urlauber aus Deutschland zu so einer ungewöhnlichen Jahreszeit? Und das Kittlinger-Häusel? Das ist doch nicht einmal besonders schön!«

»Mich wundert heutzutag’ gar nix mehr, Herr Pfarrer. Die Menschheit spielt verrückt! Unser Herrgott hat halt, wie’s so schön heißt, einen großen Tiergarten.«

Nun stolziert sie endlich zurück in ihre Küche, um das Gemüseputzen fortzusetzen, bei dem sie Pfarrer Jankovic gestört hat.

»Was hat er denn nur, unser Herr Pfarrer?«, grübelt sie, während eine Karotte nach der anderen sorgfältig geschnitten wird. »Sonst ist er doch auch optimistisch und hält nur das Beste von seiner Herde. Das wird doch kein schlechtes Omen sein?«

Nachdenklich befördert sie Karotten und Lauch in eine Pfanne, in der das Fett bereits heiß geworden ist.

 

Miroslav Jankovic schickt unterdessen einen tiefen Stoßseufzer gen Himmel, nachdem er mit dem Satz aus Psalm 36,6,

»Herr, deine Gnade ist so weit wie der Himmel,

und deine Treue reicht so weit, wie die Wolken ziehen«,

seine Sonntagsrede zu Ende geschrieben hat.

Zufrieden lehnt er sich zurück.

»Aber«, überlegt er eine Weile später, »was geschieht mit der Treue des Herren eigentlich bei wolkenlosem Himmel?!?«

Erschrocken wischt er diesen, eines Gottesmannes unwürdigen Gedanken, unverzüglich aus dem Kopf.

Wie kann er nur?

Sinnierend wandert er in sein Gotteshaus hinüber, betritt ehrfürchtig die heilige Halle, taucht zwei Finger in das Weihwasserbecken, bekreuzigt sich, kniet auf der kleinen Holzbank vor dem rechten Seitenaltar nieder und beginnt, Gott für diesen frevlerischen Gedanken um Vergebung zu bitten. Und weil er schon einmal dabei ist, schiebt er gleich noch ein Gebet hinterher, in welchem er für seine Dörfler um Frieden bittet:

»Herr, bewahre sie davor, allzu mörderische Gedanken mit sich herumzuschleppen. Herr, bewahre sie davor, diese gar in Taten umzusetzen, bewahre sie davor … bewahre … Herr … davor …«

Dabei sinkt sein Kopf immer tiefer auf die Brust und er schlummert ein.

 

Roswitha und Konrad Mörsebrink weilen bereits seit Tagen in Klein Schiessling und konnten sich nun endlich dazu durchringen, die Umgebung zu erkunden. Bis jetzt haben sie ihr schönes Zimmer mit Blick in den Innenhof und das gute Essen Frau Krügerls genossen. Roswitha Mörsebrink hat sich meistens nach dem ausgiebigen Abendessen ein wenig die Füße vertreten, während ihr Mann in der Gaststube das Fernsehprogramm verfolgte.

Aber heute wollen sie alles nachholen.

Konrad Mörsebrink wirft über sein blau kariertes Hemd einen leichten hellblauen Pullover mit Zopfmuster, der gut zu seiner dunklen Jeans passt, und seine Frau, ebenfalls mit Jeans bekleidet, hat sich wieder für ihr weißes »Heiopei«-Shirt entschieden.

Sie verlassen ihre Unterkunft durch die Gaststube, wo sie den Wirtsleuten zuwinken, peilen die gegenüberliegende stattliche Kirche von Klein Schiessling an und folgen den Stufen, die zum Gotteshaus hinaufführen. Ehrfurchtsvoll öffnen sie die in den Angeln leise quietschende, schwere Holztüre und werden augenblicklich von Weihrauchdämpfen empfangen, in die sich leises Schnarchen mischt.

Frau Mörsebrink fröstelt leicht, ist es doch im Inneren des Gotteshauses saukalt. Warum hat sie nicht wie Konrad einen Pullover mitgenommen? Sie schaut sich um und deutet in Richtung des rechten Seitenaltars. Ein Mann in schwarzer Soutane, den Kopf weit nach vorne gebeugt, die Hände vor der Brust zum Gebet gefaltet, sägt leise vor sich hin.

»Wahrscheinlich ist Hochwürden während des Gebets eingeschlafen«, flüstert sie ihrem Mann ins Ohr.

Dieser nickt geistesabwesend.

Auf leisen Sohlen bewegen sie sich, von intensivem Weihrauchgeruch begleitet, Richtung Hauptaltar, bleiben kurz davor stehen, drehen sich um und bestaunen die prunkvolle Orgel, die vor ein paar Jahren allein durch aufopfernde Spenden der Klein Schiesslinger Bevölkerung komplett restauriert werden konnte und nun wieder in vollem Glanz erstrahlt. Danach wendet sich das Ehepaar der Apsis zu und betrachtet die üppig mit Gold verzierten Schnitzereien. Große Steinvasen, gefüllt mit bunten Tulpen, stehen auf weißen Spitzenläufern und vermitteln Würde und einen Hauch von Frühling.

Das schwere Holztor hinter ihnen quietscht neuerlich.