Laura Jane Williams
Tausche Koffer gegen Liebe
Roman
Aus dem Englischen von Nadine Lipp
Knaur eBooks
Laura Jane Williams wurde 1986 in Derbyshire, England, geboren. Ihre Texte sind in zehn Sprachen in fünfzehn Ländern erschienen und wurden in Magazinen und Zeitschriften publiziert – vom Guardian über Glamour, Stylist, Closer, The Metro bis hin zum Telegraph. Zuletzt hat sie bei der Grazia und bei Red als Kolumnistin gearbeitet. Mit einem Grinsen im Gesicht sagt sie von sich selbst, dass sie Liebesromane für Zyniker schreibt.
Folgende Romane der Autorin sind bereits erschienen:
Dein Lächeln um halb acht
Say yes – Perfekter wird’s nicht
Deutsche Erstausgabe September 2021
Knaur Taschenbuch
© 2021 Just Show Up
© 2021 der deutschsprachigen Ausgabe Knaur Verlag
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Birthe Vogelmann
Florale Elemente im Innenteil: dinadankersdesign/Shutterstock.com
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: Collage unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com
ISBN 978-3-426-46214-0
Für Charlotte Jacklin und Sabah Khan,
die ich mit meinen Büchern stets zu beeindrucken versuche.
Izzy
Vom Rücksitz des Taxis aus kann ich zweifelsfrei vermelden: Das wird die Hochzeit des Jahres! Das liegt einfach in der Luft, und das Licht erzeugt die perfekte Stimmung. Während wir auf einer staubigen Schlängelstraße toskanische Hügel rauf- und runtersausen, immer an Weinbergen vorbei, leuchtet die Sonne hell und gelb und lässt alles wie eine Filmkulisse wirken. Eine noch schönere Kulisse, als sie sich ein Regisseur für ein La-dolce-vita-Setting ausdenken könnte. Ah, und wenn ich »sausen« sage, dann meine ich sausen. Pietro, der Fahrer, weiß offenbar nichts davon, dass es in Italien gemächlich zugeht.
»Chianti ist sehr … bella«, rufe ich ihm über das Motorengeräusch hinweg zu. Er sieht mich im Rückspiegel an, nimmt den Fuß aber nicht vom Gaspedal.
»Kii-an-tii«, unterstreicht er mit einer Handbewegung die Betonung der Silben und korrigiert meine Aussprache. Während des Flugs habe ich mir ein paar Italienischlektionen angehört, ein Michel-Thomas-Sprachkurs. Ich wollte mir ein paar Basics draufpacken, aber es ist wirklich schwierig, eine Sprache zu üben, ohne die Wörter laut zu wiederholen. Eine solche Show wollte ich aber in einem voll besetzten Flieger nicht abziehen. Dafür ergreife ich jetzt meine Chance.
»Kii-an-tii«, ahme ich ihn nach.
»Brava«, sagt Pietro, und ich vermute, dass das »gut« heißt, denn er sagt es mit einem zufriedenen Nicken.
Das ganze Jahr über habe ich für dieses Wochenende gespart. Schon letztes Weihnachten, als die Einladung auf meiner WG-Fußmatte im beschaulichen Putney gelandet ist, wusste ich, dass es sich lohnen würde. Der Umschlag war mit einem rubinroten Wachssiegel und den verschlungenen Initialen »S« und »A« versiegelt. Der Karton, auf den die Einladung gedruckt war, war so dick und schwer, dass ich ihn beinahe mit zwei Händen halten musste. Ich habe Sarah während meines Auslandssemesters in Toronto kennengelernt, und sie wiederum hat Adriano getroffen, als sie nach dem Uni-Abschluss für eine Zeit nach Rom gegangen ist, um dort Englisch zu unterrichten. Adriano stammt aus Yorkshire (hat aber sizilianische Urgroßeltern, daher sein exotischer Name); Sarah ist Kanadierin. Sie leben inzwischen gemeinsam in Toronto. Für ihre Hochzeitsfeier haben sie sich Norditalien ausgesucht – die Weinregion, aus der der Wein stammte, den sie bei ihrem ersten Date getrunken haben …
Jaja, ich weiß. Das klingt alles eine Spur zu märchenhaft und macht einen völlig … kirre! Im Leben einer Grundschullehrerin aus Süd-London sind heiße Dates vor schicker Trattoria-Kulisse oder vor dem Kolosseum extrem rar gesät. Dank E-Mail und Facetime konnte ich trotz der Entfernung an Sarahs Leben teilnehmen. Auf Instagram folge ich ihr auch. Meinen überbordenden Neid kann ich nur dadurch in Schach halten, dass sie so nett ist. Sarah vergisst nie einen Geburtstag und weiß, wann sie einen Blumenstrauß schicken muss, obwohl ein ganzer Ozean uns trennt. Sie ist eine wunderbare Freundin, die sich rein zufällig in einen Mann verliebt hat, der aussieht wie Ken und auch noch so romantisch ist, dass er ihr einen Heiratsantrag mit einem Flashmob am Trevi-Brunnen gemacht hat.
»Du allein?«, fragt Pietro, als wir abbiegen und die Auffahrt zum Hochzeitsanwesen sich kilometerweit hinzuziehen scheint. Die Sonne spielt hinter den Zypressen Verstecken, die den Wegesrand säumen und mit ihren Schatten die Luft dankeswerterweise abkühlen.
»Ich allein«, bestätige ich und grinse breit, um zu zeigen, dass es mir damit sehr gut geht. Und, ganz ehrlich, das tut es auch.
Bis zum Beginn des Sommers war ich davon ausgegangen, dass Doug mitkommen würde, wie man das nun mal von seinem Freund erwartet. Aber bei der Vorstellung, wie ich ihn auf dieser Reise würde bei Laune halten müssen, stieg mein Unbehagen stetig an. Es würde das letzte Wochenende vor Schulbeginn sein. Und für mich wäre es der absolute Höhepunkt einer Sommerpause, die ich mit Nachhilfestunden und Babysitten vollgepackt habe, um meine Finanzen aufzubessern. Ich habe immer gedacht, Doug wäre lustig und selbstironisch, aber dann stellte sich heraus, dass Doug ein … nun ja … ich will nicht »mieses Arschloch« sagen, obwohl das es genau trifft. Er hat ständig davon geredet, dass es in Italien Ende August so heiß sei, er hat mehrmals gefragt, ob ich das ganze Geld wirklich für sechsunddreißig Stunden Urlaub ausgeben wolle, wenn ich doch eigentlich für eine Anzahlung für ein Eigenheim sparen sollte. Er hat es einfach nicht verstanden, und je näher der Abflug rückte – mein wunderschönes, um siebzig Prozent reduziertes Rixo-Kleid war schon in dem eleganten Handgepäckkoffer verstaut, den ich mir von meiner Schwägerin geliehen hatte, und ich hatte frische Strähnchen im Haar, die ich im schicksten Laden der Stadt hatte machen lassen –, desto mehr wurde mir klar, dass Doug mich einfach nicht verstand. Denn für mich gibt es nichts Schöneres! Was ist das Einzige, das besser ist als Urlaub? Die Urlaubsplanung! Ich bin jene Freundin, die zwei Wochen im Voraus einen Tisch im Restaurant reserviert und die nächsten vierzehn Tage damit verbringt, die Speisekarte zu googeln und über die Getränkekarte nachzudenken. Meiner Meinung nach gehört die Vorfreude genauso dazu wie das eigentliche Erlebnis – ganz zu schweigen von den Fotos und Erinnerungen, die man hinterher hat. Also deutete ich leicht an, dass wir möglicherweise doch nicht so gut zueinanderpassen würden. Er kann sich nicht für Dinge begeistern und hält Enthusiasmus für eine Schwäche. Es heißt doch immer, dass man sich, wenn man verliebt ist, mehr wie man selbst fühlt – und nicht weniger. Und mit Doug hatte ich begonnen, meine Leidenschaft fürs Leben auf das misanthropische Elend zu reduzieren, mit dem er durch seins geht. Da reise ich doch lieber allein als mit dem Ballast eines Typen, der denkt, der Gipfel eines gefährlichen Lebens sei es, Pommes und Kartoffelbrei zu bestellen.
»Izzy!«
Mein Herz schwillt vor Freude an. Ich erkenne ihre Stimme, obwohl Pietro gleich nach dem Anhalten begonnen hat, in rhythmisch-eifrigem Singsang mit einem Hotelangestellten zu plappern. Anastasia! Sie war damals die einzige weitere Studentin von meiner Uni, die das gleiche Auslandssemester gemacht hat wie ich. Wir haben uns aber erst in Toronto kennengelernt. Ihr hat es dort so gut gefallen, dass sie bei der erstbesten Gelegenheit wieder nach Kanada gegangen ist. Das ist jetzt sechs Jahre her.
Als ich aus dem Auto steige, umarmt sie mich fest und kreischt mir aufgeregt ins Ohr, während sie meine Schultern festhält. »Ist das zu fassen, dass wir hier sind? Dieser Ort, das ist wie eine Mischung aus der Burg, in der Tom Cruise Katie Holmes geheiratet hat – ihre Ehe ruhe in Frieden –, und der Festung, in der die Volturi-Vampire leben. Ich habe mich heute Morgen buchstäblich verlaufen.«
Ich nehme vage wahr, wie der Hotelangestellte mein Gepäck zur Rezeption bringt, und werfe ihm einen Blick zu, um ihn wissen zu lassen, dass ich es registriert habe. Ich bin bei der Hochzeits-Location angekommen! Es ist eine toskanische Burg mit riesigen, festungsartigen Mauern und einem makellosen Innenhof. Alles wirkt so mittelalterlich, dass ich staune, niemanden in Kettenhemd und mit Schwert herumlaufen zu sehen.
»Die Website wird diesem Ort nicht gerecht. Das ist das nobelste Anwesen, das ich je gesehen habe«, rufe ich theatralisch aus.
»Sag ich doch!«, fällt mir Anastasia ins Wort und hakt sich bei mir unter. Sie senkt die Stimme und fügt hinzu: »Ich glaube, ihre Großeltern bezahlen das alles.«
Ich sollte es nicht gut finden, dass Anastasia eine solche Klatschtante ist, aber genau deshalb mag ich sie. Sie weiß immer über die besten und intimsten Details Bescheid. Es sind immer Sachen, bei denen man denkt, dass man sie gar nicht wissen will, bis sie davon erzählt, und dann will man unweigerlich mehr wissen.
»Komm«, fährt sie fort, »lass uns was trinken! Ich will dir Kat vorstellen. Ich habe ihr, na logo, alles über dich erzählt. Sie ist unten am Pool.«
Ich schaue auf die Uhr. Noch vier Stunden bis zur Trauung und noch drei bis zum Empfang, also habe ich noch mindestens eine Stunde Zeit, bevor ich mich fertig machen muss. Das Zimmer hat ein Vermögen gekostet, und ich habe, um die Trennung zu feiern, ein Upgrade gebucht: King Suite statt Doppelzimmer! Doug wäre vollkommen entsetzt. Solange ich hier bin, will ich mindestens ein luxuriöses Schaumbad genießen, ein Glas eisgekühlten Champagner in der Hand, und die »Going to the Chapel«-Playlist hören, die ich extra zusammengestellt habe, um in Stimmung zu kommen.
»Sie bringen deine Sachen auf dein Zimmer, du musst dir darüber keinen Kopf machen«, fügt Anastasia hinzu.
»Dann mal los!«, sage ich und stelle fest, dass sich Schweißperlen auf meiner Stirn bilden. Es ist die heißeste Zeit des Tages, über dreißig Grad, sogar hier, in der Hügellandschaft. »Vielleicht sollte ich meinen Badeanzug holen. Oder meinst du, es fällt jemandem auf, wenn ich mich im BH sonne?«, scherze ich. »Er ist schwarz.«
Anastasia gackert vergnügt, während sie so tut, als würde sie mir ins Dekolleté schauen.
»Ich bestehe darauf!«, kichert sie. »Mir sind schon mindestens drei Gäste aufgefallen, die genau dein Typ sind, also können wir gleich loslegen und ihre Aufmerksamkeit auf dich lenken.«
Ich bin nicht unbedingt auf der Suche nach einer Affäre. Sollte es sich aber zufällig ergeben, hätte ich rein gar nichts gegen einen Flirt mit einem gut aussehenden Mann einzuwenden. Wenn man als Single auf einer Hochzeit ist, gehört das doch zum Spaßpaket dazu, oder etwa nicht? Ganz zu schweigen von dem Fall, dass man als Single auf einer Hochzeit in einer toskanischen Burg ist, kurz nachdem eine Beziehung zu Ende gegangen ist, die schon vor Monaten hätte enden sollen. Ich bin hier, um Spaß zu haben, ich will endlich wieder unbekümmert sein. Ich bin bereit.
»Oh«, sage ich lachend, »na, das passt ja perfekt zu meinen Zielen für dieses Wochenende!«
»Das habe ich mir schon gedacht«, schießt Anastasia zurück, und wir johlen und freuen uns auf das, was uns erwartet.