Rainer Haak
Schön, dass es dich gibt
Knaur eBooks
Rainer Haak
wurde in Hamburg geboren. Nach dem Theologiestudium und einigen Semestern Medizin war er u. a. als Jugendpfarrer für über 80 Gemeinden aktiv. Seit 1990 ist er hauptberuflich als freier Schriftsteller tätig. Die Gesamtauflage seiner Bücher liegt bei über neun Millionen Exemplaren.
www.rainerhaak.de
© 2021 der eBook-Ausgabe bene! eBook
© 2021 bene! Verlag
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Lektorat: Andrea Langenbacher und Stefan Wiesner
Covergestaltung: Maike Michel
Coverabbildung: Shutterstock / Liliana_Danila
ISBN 978-3-96340-189-3
Draußen fror ein dunkler, regnerischer Novembertag vor sich hin. Bei mir im Wohnzimmer war es warm und gemütlich. Ich hatte mir endlich einmal die kleine rote Kiste vorgenommen, in der sich unsortierte Fotos aus vielen Jahren stapelten. Schnell war ich eingetaucht in alte Erinnerungen.
»Wie haben wir uns doch alle verändert!«, dachte ich immer wieder und wurde fast etwas wehmütig. »Hier, sie war damals noch ein Kind und ist heute schon selbst Mutter. Wie schön, dass ich bei vielen Menschen miterleben durfte, wie sie heranwuchsen und älter wurden.«
Ich kramte weiter. Plötzlich entdeckte ich eine junge Frau, die übermütig in die Kamera lächelte. »Wer war das noch mal?« Ich hatte keine Ahnung. Nach der Kleidung zu urteilen, war das Foto schon etliche Jahre alt.
Schließlich fiel es mir ein. »Das war Uta, bestimmt!« Uta war eine gute Freundin, aber irgendwann haben wir uns aus den Augen verloren. Ich habe nie wieder etwas von ihr gehört.
Dann hielt ich das Hochzeitsfoto eines jungen Paares in der Hand. Ich war damals zur Hochzeit eingeladen. Wieder musste ich überlegen, wer die beiden waren. Mir fielen nur noch die Vornamen ein.
Noch mehrmals tauchten Personen auf, die mir einmal nahestanden und denen ich schon lange nicht mehr begegnet bin. Dabei waren wir doch damals gut befreundet, haben fröhliche Abende miteinander verbracht und etliche Erfolge und Enttäuschungen miteinander geteilt.
Wie kam es dazu, dass wir uns voneinander entfernt haben? Einige Freundschaften sind nach einem Umzug eingeschlafen, andere endeten nach einer heftigen Auseinandersetzung. Mal hatten sich die Interessen geändert, mal war anderes wichtiger, als den Kontakt zu halten.
Ich war nicht traurig, als ich die Fotos wieder in die Kiste legte. Eher dankbar. In allen Lebensabschnitten gab es Menschen, denen ich mich verbunden fühlte, mit denen ich gelacht, diskutiert und Abenteuer erlebt habe.
Ob ich versuchen sollte, wieder Kontakt mit ihnen aufzunehmen? Ich überlegte kurz, dann dachte ich an die vielen Freunde, die heute mein Leben bereichern. »Lass es gut sein!«, sagte ich zu mir und klappte die rote Kiste mit einem Lächeln wieder zu.
Wir sind schon lange befreundet.
Ich erinnere mich an so vieles:
Wir haben gemeinsam …
… den alten Schuppen renoviert.
… die lustige Gartenparty vorbereitet.
… für die wichtige Prüfung gelernt.
… vegane Kochrezepte ausprobiert.
… eine unvergessliche Fahrradtour unternommen.
… den bitteren Abschied betrauert.
… deinen Lieblingssong gesungen.
… über den Sinn des Lebens diskutiert.
… die Geburtstagsüberraschung vorbereitet.
… Scherben eingesammelt.
… das alte Motorrad repariert
und einen riesigen Schokoladenkuchen gebacken.
Irgendwann haben wir gemeinsam festgestellt:
Freundschaft kann erstaunlich vielfältig sein.
Sandra war wieder einmal völlig übermüdet und fühlte sich schrecklich einsam. Ganz in Gedanken versunken, schlenderte sie durch die Einkaufsstraße. Als sie um die Ecke ging, stutzte sie. Der Eckladen hatte fast ein Jahr lang leer gestanden. Sie erinnerte sich noch an den ausgeblichenen Hinweis in Orange: »Zu vermieten!«, der monatelang im Schaufenster hing. Jetzt strahlte der Laden in neuem Glanz. Sandra freute sich, dass sich endlich jemand getraut hatte, hier sein Glück zu versuchen.
Im Schaufenster lächelten einige Frauen und Männer. Ihre Porträtfotos waren dort ausgestellt. »Wie nett!«, dachte sie. »Vielleicht ist das ein Fotoladen?«
Dann fiel ihr das große Plakat zwischen den Bildern auf. »Suchen und finden Sie den Menschen, mit dem Sie gern einen Kaffee trinken und über alles reden können. Überlassen Sie Ihre Freundschaften nicht dem Zufall!«
Sandra war irritiert. Ob es sich um eine Art Partnervermittlung handelte? Ihre Neugier war geweckt. Sie wollte es jetzt wissen. Mutig betrat sie den Laden.
Eine junge Frau, die ihr gewinnend zulächelte, begrüßte sie. »Herzlich willkommen! Was können wir für Sie tun?«
Sandra sah sich im Laden um. Überall lächelten ihr vorteilhaft fotografierte Menschen entgegen. »Worum geht es hier im Laden, äh, in dem Ausstellungsraum?«
Die junge Frau kam näher. »Die meisten Menschen haben heutzutage das Problem, nur noch sehr schwer Freunde zu finden. Wir kürzen die Suche für sie ab. Freundschaft ist unsere Mission.«
Sandra sah sich einige Fotos an. »Nett sehen die aus.«
Die Mitarbeiterin nickte zustimmend. »Ja, die sind alle erstklassig. Die warten auf gute Freundschaften. Was wünschen Sie sich, einen Freund oder eine Freundin?«
Sandra schluckte. Dann flüsterte sie: »Gern eine Freundin.«
»Dann erzählen Sie doch bitte, was versprechen Sie sich von der Freundin und Ihrer neuen Freundschaft?«
Sandra überlegte kurz. »Sie sollte bereit sein, mich zu verstehen. Sie sollte mich schätzen und zu mir halten. Sie sollte zu mir stehen, egal was passiert. Sie sollte ...«, Sandra überlegte wieder, »... also Humor sollte sie schon haben. Und sportlich sollte sie sein. Vielleicht auch gern zusammen mit mir kochen.«
Die junge Frau gab Sandra ein Stück Papier. Darauf stand groß »Gutschein«. Sie lächelte mindestens so freundlich wie die Menschen auf den Fotos. »Wir finden etwas für Sie. Das ist schließlich unsere Mission, unsere Leidenschaft. Kommen Sie morgen mit diesem Gutschein wieder.«
In der nächsten Nacht hatte Sandra lauter verrückte Träume. Sie lief mit einem Einkaufswagen durch eine Menschenansammlung und suchte sich lauter Freundinnen aus.
Gleich morgens ging sie wieder in die Innenstadt. Was so eine Vermittlung wohl kosten wird, überlegte sie. Auf der Rückseite des Gutscheins stand in kleiner Schrift: »Sagen Sie selbst, was es Ihnen wert ist!«
Aufgeregt erreichte sie den neuen Laden an der Ecke. Sie traute ihren Augen nicht. Der Laden war leer. Im Schaufenster klebte ein ausgeblichenes Plakat in Orange: »Zu vermieten!«
Ein herzliches Lächeln,
ein offener Blick,
eine einladende Hand,
ein verständnisvolles Wort,
ein offenes Herz …
Oasen in der Wüste unserer Welt,
Orte, wo das Leben einlädt,
Rast zu machen.
Susanne hatte die Pause dringend gebraucht. Der Kaffee schmeckte lecker. Jetzt war es aber dringend Zeit, die Unterlagen abzugeben. Sie stand auf. »Hoffentlich wird alles gut!«, sagte sie mit einem leichten Seufzen und verließ das kleine Café.
Als sie sich schon ein ganzes Stück vom Café entfernt hatte, hörte sie ein angestrengtes Keuchen hinter sich. »Du hast deinen Rucksack am Tresen vergessen!« Susanne bekam einen Schreck. Aufgeregt öffnete sie den Rucksack. Gott sei Dank, die Unterlagen waren noch da!
Aber der Engel war schon wieder verschwunden. Er sah so ähnlich aus wie der junge Mann, der ab und zu im Café aushilft.
So ein Pech! Der Bus zum Hauptbahnhof war gerade abgefahren und der nächste kam erst in einer halben Stunde – zu spät! Alice stand da mit ihrem Koffer und sah verzweifelt aus. Plötzlich hielt ein großes Auto neben ihr. »Kann ich Sie mitnehmen?«
Am Bahnhof wünschte ihr der Engel noch eine gute Reise. Er sah aus wie der Filialleiter aus der Bank bei ihr um die Ecke.
Harald ging mit unsicherem Schritt am Fluss entlang. Zum Glück sah er eine Bank. Jemand saß schon dort. »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«, fragte er. Seine Augen waren feucht. Er konnte die Person nicht richtig erkennen. »Gern!«, antwortete jemand mit tiefer Stimme.
Nach einiger Zeit begann Harald zu reden. Er erzählte von seiner großen Liebe. Mehrmals musste er eine Pause machen, weil seine Stimme versagte. Der Mann hörte zu, ohne etwas zu sagen. Harald redete immer weiter. Es tat ihm gut. Schließlich sagte er: »Danke, dass Sie mir zugehört haben! Das habe ich jetzt gebraucht.«
Der Engel erhob sich und ging den Weg zum Fluss hinunter. An jedem Papierkorb machte er halt. Einmal fischte er eine Pfandflasche heraus.
Wann ist Ihnen zum letzten Mal ein Engel begegnet? Kam er Ihnen bekannt vor? Wer weiß, vielleicht hat er sich sogar extra für Sie verkleidet.
Für zwei Stunden im selben Abteil.
Am Ende kam es uns vor,
als würden wir uns schon
eine Ewigkeit kennen.
Auf einer Feier erblickt.
Irgendwie kamen wir ins Gespräch.
Plötzlich sagtest du:
Wir sind ja Seelenverwandte!
Das Paket war viel zu groß.
Du hast einfach mit angepackt.
Jetzt sitzen wir im Café
und reden über viel zu große Pakete.
Hinter dir in der Warteschlange.
Wir haben gelacht wie alberne Kinder.
Der Nächste, bitte!
Schade, du bist schon dran!
Wo geht es zum alten Schloss?
Du hast mir den Weg gezeigt
und plötzlich gingen wir gemeinsam
durch die ehrwürdigen Räume.
Du kamst aus dem Laden
und hast mich angesprochen.
Ich weiß nicht warum.
Wir konnten kein Ende finden.
Eine kurze Pause am Brunnen.
Du sitzt schon da.
Das Wasser tut gut.
Dein Lachen sprudelt noch lange.