Maaza Mengiste
Der Schattenkönig
Roman
Aus dem amerikanischen Englisch von
Brigitte Jakobeit und Patricia Klobusiczky
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Maaza Mengiste, 1971 in Addis Abeba geboren, lebt in New York. 2020 war sie Writer-in-residence am Literaturhaus Zürich. Ihr Roman ›Der Schattenkönig‹ stand auf der Shortlist für den Booker Prize.
Brigitte Jakobeit lebt in Hamburg. Sie übersetzt William Trevor, Celeste Ng und Patti Smith und wurde mit dem Übersetzerpreis der Ledig-Rowohlt-Stiftung ausgezeichnet.
Patricia Klobusiczky übersetzt William Boyd, Michael Donkor, Petina Gappah und Marie Darrieussecq. Sie lebt in Berlin.
Als Mussolini 1935 in Äthiopien einfällt, trifft er auf einen unerwarteten Widerstand: Krankenpflegerinnen, Köchinnen, Dienstmägde. Bereit, sich mit ihren Brüdern und Vätern gegen die Faschisten zu behaupten. Die junge Hirut, eine Waise in den Diensten eines Offiziers von Kaiser Selassie, ist eine von ihnen. Als Selassie sich ins englische Exil flüchtet, droht Äthiopien mit seinem Anführer auch die Hoffnung zu verlieren. Und ausgerechnet Hirut findet einen Weg, das Land zu inspirieren. An der Seite des Schattenkönigs, einem armen Musikanten, der dem Kaiser zum Verwechseln ähnlich sieht, rettet sie ihre Heimat vor der Selbstaufgabe und wird kurz zur Herrin ihres Schicksals.
Deutsche Erstausgabe
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel ›The Shadow King‹ bei W. W. Norton & Company, Inc. in New York.
© 2019 by Maaza Mengiste
© der deutschsprachigen Ausgabe: 2021 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Umschlaggestaltung: Lübbeke Naumann Thoben, Köln
Umschlagmotiv: plainpicture/Design Pics/Brandon Tabiolo und 123rf.com
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eBook-Herstellung: Fotosatz Amann, Memmingen (01)
eBook ISBN 978-3-423-43941-1 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-28292-5
Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website http://www.dtv.de/ebooks
ISBN (epub) 9783423439411
Für meine Mutter
für deine Liebe, für alles
Für meinen Vater
weil du mich nie verlässt, auch wenn du fort bist
&
Für Marco
ohne den dies alles nicht möglich gewesen wäre
… daß wir auch künftig zum Gesange werden der späteren Menschheit.
– Homer, Ilias
Weh dem Land der Heuschreckenschwärme / jenseits der Flüsse von Kusch.
– Jesaja, 18.1
Woher befiel dich die bitt’re Qual der göttlichen Gabe?
Du weißt zu singen, was Schauder weckt.
Singst es mit schrillem Schrei,
singst es mit vollem Ton,
sage, woher du die Künste der Seherkraft empfingst.
– Aischylos, Agamemnon
WARTEN
Sie will sich nicht erinnern, aber nun ist sie hier, und die Erinnerung liest Knochen auf. Sie ist zu Fuß und mit dem Bus nach Addis Abeba gekommen, durch ein Gebiet, an das sie seit fast vierzig Jahren lieber nicht denkt. Sie ist zwei Tage zu früh dran, aber sie wird auf ihn warten, auf dem Boden in dieser Ecke des Bahnhofs, die Metallkiste auf dem Schoß, den Rücken an die Wand gelehnt, unbeweglich wie ein Wachposten. Sie trägt ihr gutes Kleid, nicht das für jeden Tag. Ihr Haar ist ordentlich geflochten und glänzt, die lange schartige Narbe, die sich wie eine kaputte Kette vom Halsansatz über ihre Schulter zieht, ist sorgsam verdeckt.
In der Kiste sind seine Briefe, le lettere, ho sepolto le mie lettere, è il mio segreto, Hirut, anche il tuo segreto. Segreto, Geheimnis, meestir. Du musst sie für mich aufbewahren, bis ich dich wiedersehe. Jetzt geh. Vatene. Schnell, bevor sie dich erwischen.
Und da sind Zeitungsausschnitte über den Krieg zwischen ihrem Land und seinem. Sie weiß, er hat sie vom Beginn im Jahr 1935 bis fast zum Ende 1941 geordnet.
In der Kiste sind Fotos von ihr, einige sind im Auftrag Fucellis entstanden, und Ettore hat sie mit seiner akkuraten Handschrift beschrieben: Una bella ragazza. Una soldata feroce. Den Rest hat er aus freien Stücken aufgenommen, gesammelte Andenken aus dem Leben der ängstlichen jungen Frau, die sie in jenem Gefängnis war, hinter Stacheldraht, eingeschlossen in angstvollen Nächten, aus denen sie sich nicht befreien konnte.
In der Kiste liegen die vielen Toten, die auf Wiederauferstehung drängen.
Fünf Tage lang ist sie gereist, um hierher zu kommen. Sie hat sich durch Kontrollpunkte mit nervösen Soldaten geschoben, vorbei an verängstigten Dorfbewohnern, die im Flüsterton eine Revolution vorhersagten, vorbei an gewalttätigen Studentenprotesten. Sie hat eine Parade junger Frauen beobachtet, die mit erhobenen Fäusten und Gewehren am Bus vorbeimarschierten, der sie nach Bahir Dar brachte. Sie haben sie angestarrt, eine in die Jahre gekommene Frau in einem langen tristen Kleid, als wüssten sie nichts von jenen, die ihnen vorausgingen. Als wären sie die ersten Frauen, die Waffen tragen. Als hätten nicht einige der größten Kriegerinnen Äthiopiens den Boden unter ihren Füßen errungen, Frauen namens Aster, Nardos, Abedech, Tsedale, Aziza, Hanna, Meaza, Aynadis, Debru, Yodit, Ililta, Abeda, Kidist, Belaynesh, Meskerem, Nunu, Tigist, Tsehai, Beza, Saba und eine Frau, schlicht die Köchin genannt. Hirut murmelte die Namen dieser Frauen, während die Studentinnen vorbeimarschierten, und jeder Name warf sie weiter in die Zeit zurück, bis sie wieder auf zerklüftetem Boden stand, umgeben von Qualm und Schießpulver, halb erstickt in dem stechenden giftigen Gestank.
Erst, als ein alter Mann sich neben sie setzte und am Arm packte, wurde sie in den Bus und in die Gegenwart zurückgeholt: Wenn schon Mussoloni den Kaiser nicht loswerden konnte, wie wollen es diese Studenten schaffen? Hirut schüttelte den Kopf. Auch jetzt schüttelt sie den Kopf. Sie ist so weit gereist, um diese Kiste zurückzugeben, um sich von dem Schrecken zu befreien, der sie plötzlich wieder überwältigt. Sie ist gekommen, um sich von den Geistern loszusagen und sie zu vertreiben. Sie hat keine Zeit für Fragen. Sie hat keine Zeit, die Aussprache eines alten Mannes zu verbessern. Ein Name zieht immer einen anderen nach sich: Nichts reist allein.
Von draußen bohrt sich die Sonne wie eine Faust durch das staubige Bahnhofsfenster von Addis Abeba. Sie taucht ihren Kopf in Wärme und legt sich auf ihre Füße. Ein Luftzug weht in den Raum. Hirut blickt auf und sieht, wie eine junge Frau in ferenj-Kleidung durch die Tür kommt, in der Hand einen abgewetzten Koffer. Hinter ihr erhebt sich die Stadt. Hirut sieht die lange unbefestigte Straße, die zurück ins Zentrum führt. Drei Frauen balancieren Holzbündel auf dem Kopf. Da, gleich hinter dem Kreisverkehr, zieht eine Prozession von Priestern vorbei, wo einst, 1941, Kriegerinnen gewesen waren, und sie eine von ihnen. Die flache Metallkiste, so lang wie ihr Unterarm, wird kühl auf ihrem Schoß und liegt schwer wie ein sterbender Körper an ihrem Bauch. Sie verlagert ihr Gewicht und fährt die starren, spitzen Kanten des verrosteten Metalls nach.
Irgendwo in einem Winkel dieser Stadt versteckt, wartet Ettore zwei Tage darauf, sie zu sehen. Im schummrigen Licht eines kleinen Arbeitszimmers sitzt er an seinem Schreibtisch, über eines seiner Fotos geneigt. Oder er sitzt in einem Sessel, umgeben vom selben Licht, das ihre Füße umspielt, und starrt in Richtung seines geliebten Italia. Auch er zählt die Stunden, beide sehen dem vereinbarten Tag entgegen. Hirut betrachtet die sonnenhelle Schneise, die durch die Schwingtür fällt. Als die Tür sich langsam wieder schließt, hält sie die Luft an. Addis Abeba schrumpft zu einem Splitter und schlüpft aus dem Raum. Ettore sackt zusammen und versinkt erneut in Dunkelheit. Dann fällt die Tür endgültig zu, Hirut ist wieder allein in diesem hallenden Raum und umklammert die Kiste.
Sie spürt eine alte Angst wieder aufkeimen. Ich bin Hirut, ermahnt sie sich, Tochter von Getey und Fasil, geboren an einem gesegneten Erntetag, geliebte Frau und liebende Mutter, eine Soldatin. Sie atmet aus. Es hat so lange gedauert, hierher zu kommen. Fast vierzig Jahre eines anderen Lebens hat es gedauert, um sich langsam daran zu erinnern, wer sie einst war. Die Reise zurück begann so: mit einem Brief, dem ersten, den sie je erhalten hat:
Cara Hirut, man sagt mir, dass ich dich endlich gefunden habe. Man sagt mir, du bist verheiratet und lebst an einem kleinen Ort, den man auf keiner Karte findet. Angeblich kennt dieser Bote dein Dorf. Er will dir meine Nachricht übergeben und mir deine Antwort zurückbringen. Bitte komme nach Addis. Schnell. Hier sind Unruhen, und ich muss weg. Ich kann nur nach Italien gehen. Sag mir, wann ich dich am Bahnhof treffen soll. Sei vorsichtig, sie haben sich gegen den Kaiser erhoben. Bitte komm. Bring die Kiste mit. Ettore.
Der Brief ist mit dem ferenj-Datum datiert: 23. April 1974.
Die Schwingtür öffnet sich erneut, und diesmal ist es einer der Soldaten, die sie hier und da auf dem Weg in die Stadt gesehen hat. Ein junger Mann, der den Lärm von draußen mit hereinbringt. Er trägt ein neues Gewehr nachlässig über den Rücken geschlungen. Seine Uniform ist weder zerrissen noch geflickt. Sie ist sauber und passt wie angegossen. Sein Blick ist zu beflissen, als dass er je einen sterbenden Landsmann gesehen, die Bewegungen zu schneidig, als dass er je echte Erschöpfung gespürt haben könnte.
»Das Land den Bauern! Es lebe das revolutionäre Äthiopien!«, ruft er, und die Luft entweicht aus dem Raum. Tollpatschig wie ein Kind hebt er das Gewehr, er weiß, dass man ihn beobachtet. Er zeigt auf das Foto von Kaiser Haile Selassie über dem Eingang. »Nieder mit dem Kaiser!«, ruft er und schwenkt das Gewehr von einer Seite des unruhigen Bahnhofs zur anderen.
Der Warteraum ist überfüllt, voll von Menschen, die aus der aufgewühlten Stadt wegwollen. Sie holen erschrocken Luft vor diesem uniformierten Jungen, der den großen Mann markiert. Hirut betrachtet das Bild von Kaiser Haile Selassie: Ein würdevoller, zartgliedriger Mann blickt in die Kamera, traurig und majestätisch in seiner medaillenbehängten Militäruniform. Auch der Soldat sieht hoch, da er nichts als seine eigene Stimme nachhallen hört. Unsicher tritt er von einem Fuß auf den anderen, macht schließlich kehrt und rennt zur Tür hinaus.
Die Toten pulsieren unter dem Deckel. So lange haben sie sich angesichts Hiruts Wut erhoben und sind wieder zu Staub zerfallen, sind der Scham gewichen, die Hirut noch immer lähmt. Jetzt hört sie ihre Stimmen, und sie erzählen ihr, was sie bereits weiß:
Der wahre Kaiser dieses Landes lebt auf einem Bauernhof und bestellt das winzige Stück Land neben ihrem. Er hat nie eine Krone getragen, ist allein und hat keine Feinde. Er ist ein stiller Mann, der einst eine Nation gegen ein stählernes Ungeheuer anführte, und sie war seine treueste Soldatin: die stolze Wächterin des Schattenkönigs. Erzähle es ihnen, Hirut. Jetzt oder nie.
Die Toten werden lauter: Wir wollen, dass man uns hört. Wir wollen, dass man uns nicht vergisst. Wir wollen, dass man unsere Namen kennt. Wir geben erst Ruhe, wenn man um uns trauert. Hirut öffnet die Kiste.
Es sind zwei Stapel Fotos, beide mit dem gleichen zarten blauen Band geschnürt. Auf einen hat er in geschmeidiger Handschrift ihren Namen geschrieben, die Buchstaben groß und rund auf dem Papier, das den Stapel umschließt. Hirut löst das Band, und zwei Bilder fallen heraus, zusammengeklebt vom Alter. Eines zeigt den französischen Fotografen, der im nördlichen Hochland unterwegs war und fotografierte, ein Strich von einem Mann mit einer riesigen Kamera. Auf der Rückseite steht Gondar, 1935. Über diesen Mann wissen wir so viel: Er ist ein ehemaliger Bauzeichner aus Albi, ein gescheiterter Maler mit aalglatter Stimme und kleinen blauen Augen. Er ist nicht weiter wichtig, bis auf das, was die Erinnerung über ihn hergibt. Aber er ist in der Kiste und gehört zu den Toten, die auf ihrem Recht bestehen, die wollen, dass man sie kennt. Und eines müssen wir noch erwähnen: Da ist auch ein Foto von Hirut, aufgenommen von diesem Franzosen. Ein Porträt, entstanden, als er im Haus von Aster und Kidane zu Besuch war und um ein Bild von den Dienstboten bat, weil er es mit anderen Fotografen tauschen oder gegen eine neue Filmrolle einwechseln wollte. Hirut wendet den Blick ab. Sie will ihr Bild nicht sehen. Sie will die Kiste schließen, um uns zum Schweigen zu bringen. Aber es ist da, und auch diese jüngere Hirut will kein stilles Grab.
Hirut. Mit ihrem offenen Gesicht, dem neugierigen Blick. Sie hat die hohe Stirn ihrer Mutter und den geschwungenen Mund ihres Vaters. Ihre hellen Augen sind wachsam, aber gelassen, und von goldenem Licht gesprenkelt. Sie neigt sich leicht nach vorn, ein hübsches Mädchen mit schlankem Hals und hängenden Schultern. Sie ist auf der Hut, ihre Haltung merkwürdig steif, ohne die ihr eigene natürliche Eleganz, deren sie sich noch viele Jahre nicht bewusst sein wird. Sie blickt von der Kamera weg und bemüht sich, nicht zu blinzeln, ihr Gesicht der sengenden Sonne zugewandt. Man sieht sofort ihr hervortretendes Schlüsselbein und den narbenlosen Hals, der aus dem V-Ausschnitt ihres Kleides ragt. Dieses Bild bewahrt für immer die unberührte Haut auf ihren Schultern und ihrem Rücken. Es ist der einzige Beleg für den makellosen Körper, mit dem sie sich einst sorglos wie ein Kind bewegte. Und seht, im Hintergrund, weit weg und kaum zu erkennen, steht Aster und beobachtet die Szene, eine elegante Linie, die Licht durchschneidet.
INVASION
Hirut hört Aster ihren Namen rufen, mit einer Stimme, die sich vor Erregung zu überschlagen droht. Hirut blickt vom träge brennenden Feuer auf, das sie in einer Ecke des Innenhofs schürt. Sie kauert auf einem Hocker neben einem Haufen Zwiebeln, die darauf warten, geschält zu werden. Hinter ihr in der Küche ist die Köchin und zerhackt Fleisch für das Abendessen. Aster sollte eigentlich ihren Kaffee im Bett trinken, eingepackt in eine weiche Decke, dabei vielleicht aus dem Fenster blicken und ihre Blumen betrachten. Eigentlich sollte es ein ruhiger Morgen sein. Die unerwartete Störung lässt Hirut erstarren. Dann ruft Aster wieder nach ihr, diesmal so laut und angespannt, dass die Köchin ihr schnelles Hacken unterbricht, der Morgengesang der Vögel verstummt, und sogar der große Baum vor dem Tor scheint den leichten Wind abzufangen, dass kein Blatt sich rührt. Einen Moment lang hält alles inne.
Was habe ich denn angestellt? Hirut spürt, wie ihr die Hände zittern.
Die Köchin lehnt sich erschrocken aus der Küchentür: Sie ist in unserem Zimmer. Sie zeigt in Richtung des Dienstbotenquartiers. Was will sie da? Schnell, steh auf.
Hirut lässt den Zweig fallen, mit dem sie in den Kohlen stochert, und rappelt sich auf. Der Gedanke nimmt Gestalt an: Aster ist im Dienstbotenquartier. Sie ist in diesem winzigen Verschlag, den Hirut sich mit der Köchin teilt, dem Ort, den sie am Abend aufsuchen, um ihre Dienstfertigkeit abzulegen und zu schlafen. Ein Raum, abgetrennt vom vielzimmrigen Haus, in dem Aster mit ihrem Mann Kidane lebt. Ein Raum, der kein Raum ist, ein Zimmer, das weniger als ein Zimmer ist. Eine dunkle Höhle, für endlose müde Nächte gegraben. Nicht dazu bestimmt, dass man sie bei Tageslicht sieht. Nicht für jemanden bestimmt wie Aster.
Sie ist dort?, fragt Hirut.
Aster ist noch nie dort gewesen. Die ältere Frau lehnt sich aus der Tür, die kräftigen Arme an den Rahmen gestemmt, und schaut den schmalen Weg entlang, der zum Dienstbotenquartier führt, als hätte sie Angst, die sichere Küche zu verlassen. Ist Kidane schon zurück?
Hirut schüttelt den Kopf. Kidane ist vor Tagesanbruch auf dem Pferd weggeritten.
Dann sind nur wir da, sagt die Köchin. Sie hat mit Kidane gestritten, als ich seine Sachen zusammengepackt habe.
Hirut möchte der Köchin sagen, dass Aster eigentlich im Bett sein sollte. Sie sollte stillliegen, um die Schmerzen ihrer Monatsblutung zu lindern. Sie und die Köchin sollten wie gewohnt den Tag durcharbeiten, bis das Himmelsgewölbe sternenschwer über ihnen hängt.
Geh schon, los. Die Köchin tritt in die Küche zurück und sieht Hirut eindringlich an, das Messer schlaff in der Hand. Sie soll ihre Nase nicht in unsere Sachen stecken, fügt sie hinzu und rückt das Tuch auf ihrem Kopf zurecht, streicht die wenigen grauen Haarsträhnen zurück, die darunter hervorlugen.
Die Köchin spielt auf das Gewehr an, das Hiruts Vater ihr kurz vor seinem Tod gegeben hat. Außer diesem Gewehr, dem Kleid, in dem sie hierherkam, und der kleinen Halskette, die sie trägt, kann Hirut nichts auf der Welt ihr Eigen nennen.
Alles ist versteckt, sagt sie, weil die Köchin ungewöhnlich nervös wirkt.
Wieder ruft Aster nach ihr, aus dem fordernden Ton spricht inzwischen zügelloser Zorn.
Die Köchin neigt sich vor, als würde sie von der Stimme gezogen. Geh!, schreit sie. Und antworte ihr endlich!
Hirut wirbelt herum. Ich komme schon! Sie eilt zum Dienstbotenquartier.
Sie steht an der Tür der Kammer und sieht zum ersten Mal, wie schrecklich klein, wie schäbig und karg der Raum ist, den sie seit fast einem Jahr ihr Zuhause nennt. Im Halbdunkel wirkt Aster in ihrem schönen Habescha-Gewand zu groß für diesen engen Raum, in den kaum etwas passt. Er ist weniger als eine Schachtel, ein luftloses, von Lehm, Stroh und Dung umschlossenes Loch. Es gibt keine richtige Tür, keine Fensterscheibe. Hirut und die Köchin schlafen auf dünnen Matratzen, die sie aufrollen müssen, um sich bewegen zu können. Über die schmalen Maueröffnungen sind nur Fetzen von weggeworfenen Decken genagelt, Lumpen, die Staub und Dunkelheit abfangen. Es ist ein Raum für zwei Menschen, die gezwungen wurden, ihr Leben einer Frau und ihrem Mann vollkommen anzupassen. Er wurde nicht für jemanden gebaut, der an schöne Kleider gewöhnt ist und an frische Luft, die durch seidene Vorhänge weht.
Wo warst du?, fährt Aster sie an. Ihr kurzes Haar bildet einen perfekten Bogen in dem schwachen Sonnenband, das über ihrem Kopf durch das Fenster fällt. Das milde Licht pinselt einen warmen Schimmer auf ihre glatten Wangen. Sie steht an der einzigen Stelle, wo Sonne in den Raum kommt, durch ein winziges Loch, nicht größer als Hiruts Kopf, wie nachträglich aus der Wand geschlagen. Jeden Morgen hakt die Köchin eine Seite des zerrissenen Vorhangs an einen Nagel, um den Raum zu lüften, und jeden Abend nimmt sie ihn vom Haken, um ihn wieder vor das Loch zu hängen.
Wo ist die Halskette? Gib mir meine Halskette.
Hirut sieht einen schwachen Sonnenstreifen zu Asters Füßen, als stünde auch er der Frau zu Diensten. Sie steht mit gesenktem Kopf da, als Aster sich auf Hiruts Seite des Raums zwängt.
Er will dich nur in Schutz nehmen. Aster hebt Hiruts Matratze an und lässt sie wieder fallen, wischt sich die Hände am Zipfel des Kleides ab, das in dem düsteren Raum zu weiß wirkt. Dann hebt sie die kleine Kiste hoch, in der Hirut und die Köchin ihre wenigen Habseligkeiten aufbewahren, und schüttet den ärmlichen Inhalt aus. Er sagt, er hat sie verloren, aber ich weiß, sie ist hier.
Aster lässt die Kiste fallen und späht nach unten, streicht mit der Hand die Vorderseite ihres langen Kleides glatt. Sie ist eine anmutige Frau mit weichem Fleisch, wo Hirut nur Kanten und Knochen hat. Sie ist nicht viel größer als Hirut, doch auf dem unebenen Boden erscheint sie riesig und imposant.
Meine Mutter hat mir die Kette gegeben, damit ich sie meinem Mann zur Hochzeit schenke. Ich weiß, dass er sie nicht einfach verloren hat. Sie kneift die Augen zusammen und blickt auf Hirut hinab. Er verheimlicht mir etwas.
Hirut lässt die Schultern hängen, wie die Köchin es ihr beigebracht hat. Am liebsten würde sie sagen, dass es nicht ihre Schuld ist, wenn Aster sich mit ihrem Mann Kidane streitet. Es ist nicht ihre Schuld, dass er freundlich zu ihr ist, sie kann nichts dafür, dass Aster deswegen weint.
Ich weiß nicht, wo die Kette ist, sagt sie. Sie weiß, dass Aster in den ersten Tagen der Trauer um ihren einzigen Sohn viele Sachen weggeworfen hat, darunter ihre schönsten Kleider und Umhänge, sogar Schmuck. Sie zündete den Haufen im Freien an und schlug sich auf die Brust, während sich die Flammen langsam in die Gegenstände fraßen. Der Köchin zufolge sucht Aster immer noch nach Sachen, weil sie nicht mehr weiß, was sie alles verbrannt hat. Ich habe die Kette nie gesehen, fügt Hirut hinzu.
Ich soll also glauben, dass Kidane sie weggeworfen hat? Dann lacht sie. Oder willst du mir weismachen, dass er sie dir geschenkt hat?
Laut Hiruts Mutter war Kidane für sie wie ein Bruder und Freund. Manchmal sagte sie sogar: Hirut, er ist wie mein Sohn, auch wenn der Altersunterschied gar nicht so groß ist. Ich habe für ihn gesorgt, als seine Mutter starb. Ich habe ihn auf dem Rücken getragen, als ich selbst fast noch ein Kind war. Er und ich, wir sind zusammen aufgewachsen. Dieser Mann war gut zu mir, und wenn ich einmal nicht mehr bin, wird er für dich sorgen. Und weil ihre Mutter ihn so geliebt hatte, kam Hirut nach dem Tod ihrer Eltern in dieses Haus und hatte ihn schon ins Herz geschlossen. Es ist nicht ihre Schuld, dass auch er sie liebt, dass er sie Kleine nennt, Kleine Schwester und Rutiye.
Weißt du, was wir mit Dieben machen?, fragt Aster. Im Dämmerlicht ist die Schönheit, die sie immer so stolz zur Schau stellt, schwer auszumachen: die hellen Augen und hohen Wangen, die vollen Lippen und der schlanke Hals, der zu Schultern hinabführt, die noch nie das erdrückende Gewicht von Wasserkrügen und Feuerholz getragen haben. Wenn ich sie hier finde, wird dir auch Kidane nicht helfen können.
Hirut weiß, was mit Dieben geschieht. Sie hat die erbarmungswürdigen Jungen und Männer auf dem Markt betteln sehen, dürre Gestalten, denen Bein und Hand fehlt, die Augen noch immer geweitet vom Schock des grausamen Verlusts. Ein bitterer Geschmack steigt ihr in die Kehle.
Aster hebt Hiruts Matratze auf, rollt sie aus und löst die Schnur von dem Laken um das Gewehr. Die Köchin sagte, Aster würde es ihr wegnehmen, wenn sie es entdecken würde, aber Hirut hätte nie gedacht, dass Aster dieses Loch betreten würde, das nur Dienstboten vorbehalten ist. Sie dachte, bestimmte Orte wären unter Asters Würde. Hirut kann kaum atmen, als sie sieht, wie die Schnur herunterfällt. Es ist so lange her, seit sie zu Hause war, so lange her, dass sie noch wusste, wie es ist, sich frei bewegen zu dürfen, zu tun, was getan werden muss, und nicht, was verlangt wird. Früher war sie mehr gewesen als eine Dienerin. Sie war ein Mädchen gewesen, das furchtlos beanspruchen durfte, was ihr rechtmäßig gehörte.
Und dann sagt Aster: Was ist das? Sie steht noch immer unter dem Fenster, die Decke und das Gewehr in der Hand.
Ein strenger Geruch, an den Hirut sich nie gewöhnt hat, weht vorbei. Er kommt von einem kleinen Steinhaufen am Eingang, wo Kidane als Junge das Schlachten von Schafen für besondere Anlässe erlernt hat. Unter diesen Steinen verläuft ein seichter Graben, in den früher das Blut floss. Genau das riechst du, sagte die Köchin zu ihr, als sie neu ins Haus kam. Das alte Blut, du wirst dich daran gewöhnen. Im Raum hängt noch immer der Gestank von Blut, von verzweifelten Tieren, von Pisse und Kot, die sie angst- und ahnungsvoll in den Boden sickern ließen.
Wem gehört das Gewehr?
Es gehört mir, antwortet Hirut.
Das Gewehr war der wertvollste Besitz von Hiruts Vater. Es war zu groß für die kleine Kiste, deshalb hatte Hirut es in den Haufen aus Stroh und Decken gesteckt, der ihr als Matratze dient, ein großes Laken darübergelegt, das sie an den Ecken verknotet, damit es nicht verrutscht. Wenn sie abends besonders müde ist, legt sie sich so hin, dass sie das Gewehr an ihrer Seite spürt, und stellt sich vor, es wäre der Arm ihrer Mutter.
Aster hält das Gewehr ans Licht. Es ist alt, sagt sie. Sie fährt mit einem Finger über die fünf Kerben im Lauf, Markierungen, die Hiruts Vater zufolge der Zahl der Italiener entsprachen, die er getötet hatte. Weißt du, wie man es benutzt? Sie betrachtet es, prüft, wie es in der Hand liegt. Mein Vater hat es mir beigebracht, genau wie meinem Bruder. Sie presst den Kolben an die Schulter und richtet mit einer Hand den Lauf aus. Woher hast du es?
Von zu Hause, antwortet Hirut.
Zu Hause: fünf Kilometer weit weg von diesem Ort, diesem Haus, das man als Haus von Aster und Kidane kennt. Fünf Kilometer: eine Entfernung, die Hirut erst später begreifen wird, wenn sie erkennt, dass man alle Dinge, selbst die verlorenen, vermessen und auf Papier festhalten kann. Jetzt, als sie an der Schwelle zu ihrem winzigen Zimmer steht und Aster ansieht, begreift sie, dass die Entfernung zu dem Stück Land, auf dem die Gebeine ihrer Eltern ruhen, auch dann nicht geringer würde, wenn sie dorthin zurückgehen könnte. Sie ist weit weg von zu Hause.
Zu Hause, wiederholt sie. Mein Vater hat es mir gegeben.
Dann spürt Hirut eine Hand auf ihrer Schulter. Sie dreht sich um, und da steht Kidane, umgeben von hellem Nachmittagslicht.
Was machst du hier? Seine Gestalt füllt die Tür aus und dämpft das Licht. Ein dünner Schweißfaden läuft an seinem Hals entlang und verdunkelt seine weiße Tunika. Der untere Rand seiner Reithose ist schmutzig; ein Blatt hängt am Saum. Was ist passiert?
Frag sie, wo sie die Halskette versteckt hat.
Kidane forscht in Hiruts Gesicht, dann wendet er sich wieder an seine Frau. Woher hast du das Gewehr? Er ist überrascht. Gehört es der Köchin?
Es gehört ihr, sagt Aster. Dann hustet sie und rümpft die Nase. Hier drin stinkt es. Sie waschen sich nicht.
Gib es ihr zurück. Kidane sagt das in dem Ton, den er anschlägt, wenn er Gehorsam erwartet. Es gehört dir nicht.
Asters Lachen schneidet durch den Raum. Du lässt also zu, dass sie die Befehle des Kaisers missachtet? Laut deinem Anführer gehört es jetzt den Truppen von Äthiopien.
Kidane wischt sich den Hals mit einem Taschentuch und steckt es in seine Tasche. Er klopft sich den Staub von der Reithose. Offenbar denkt er nach. Dann sagt er: Kleine, darf ich es mir ansehen?
Er wartet, bis Hirut nickt, ehe er Aster das Gewehr abnimmt. Er hält es in beiden Händen und hebt es genau so wie Aster an die Schulter, genau so, wie Hiruts Vater es ihr gezeigt hat.
Ein Wujigra, sagt er. So eins benutzte mein Vater in der Schlacht von Adua, als wir den Italienern zum ersten Mal gegenüberstanden. Es muss mindestens vierzig Jahre alt sein, vielleicht eher fünfzig. Er hebt es höher und sieht am Lauf entlang, richtet ihn zur Tür hinaus in den Innenhof, als könne er noch weiter sehen, durch Wände und am Tor vorbei bis zu Hiruts so viele Kilometer entferntem Zuhause. Hast du Patronen?
Hirut kennt den Inhalt der Kiste auswendig, der um Asters Füße verstreut liegt: das Ersatztuch der Köchin, geknotet um drei Maria-Theresien-Taler und zwei blaue Knöpfe; das Kleid, in dem Hirut ankam und aus dem sie herausgewachsen ist; ein Stück Kohle, das sie zum Zeichnen benutzt; ein kaputter Keramikteller mit rosafarbenen Blumen, er gehört der Köchin; der angeschlagene Griff eines Wasserkrugs, der ebenfalls der Köchin gehört; und eine Patrone, die Hirut gehört.
Wo sind die Patronen? Kidane senkt das Gewehr. Wie viele hast du?
Es gibt nur diese eine Patrone. Es gab immer nur eine Patrone, und sie gehört zu diesem Gewehr, und dieses Gewehr gehört ihr. Sie musste ihrem Vater versprechen, beides getrennt aufzubewahren, bis ihr wirklich Gefahr droht, und dann, mein Kind, hältst du es, wie ich es dir beigebracht habe, und zielst auf das Herz, wie ich es dir gezeigt habe, dann musst du nichts fürchten, außer du lässt deinen Feind am Leben.
Ich wusste nicht mal, dass sie so etwas hat. Aster stemmt die Hände in die Taille, und im Halbdunkel sieht Hirut, wie ihr Kinn zittert und ihr auf Kidane gerichteter Blick zwischen Zärtlichkeit und Unbehagen schwankt. Was hast du damit gemacht?
Nicht jetzt. Kidanes Stimme ist ein Flüstern. Kleine. Er räuspert sich.
Ich brauche dieses Gewehr. Weißt du, dass es bald Krieg gibt?
Der Krieg ist das einzige Thema, über das die Köchin und die anderen Dienstboten sprechen, wenn sie sich auf dem Markt treffen. Sie scharen sich zusammen und flüstern von befreiten Sklaven und Befreiung durch die ferenj-Armee. Hirut schüttelt den Kopf.
Sie lügt, sagt Aster. Schau. Sie hält ein Blatt Papier hoch.
Es ist eines der Flugblätter, die über dem ganzen Markt verstreut sind. Hirut wusste nicht, dass die Köchin eines hatte. Sie wusste nicht, dass die Köchin so etwas versteckt hielt.
Das war in der Decke der Köchin. Die Italiener haben solche Zettel aus ihren Flugzeugen abgeworfen. Ich habe davon gehört. Sie erzählen den Leuten, dass sie frei sein werden, wenn sie sich der ferenj-Seite anschließen.
Kidane nimmt das Stück Papier und hält es ans Licht. Eine schiefe Zeichnung schimmert von der Rückseite durch. Ein dürrer Bettler in Ketten kniet vor einem Mann mit einem großen Kopf und Krone. Darunter, unter einer Reihe von Worten, steht derselbe Bettler da, von seinen Ketten befreit, die zerschmetterte Krone des Kaisers zu seinen Füßen. Der Bettler, nunmehr mit einem leichten Bauchansatz, winkt mit steif erhobenem Arm und strahlendem Lächeln einem Soldaten zu.
Die Italiener wollen eine Revolte anzetteln, bevor sie versuchen, unser Land einzunehmen, sagt Aster. Mussoloni will, dass die Leute seiner Armee beitreten.
Aber sie können nicht lesen. Kidanes Blick wandert zwischen dem Flugblatt und dem Gewehr hin und her.
Die Bilder verstehen sie. Aster schleudert die Decke der Köchin beiseite und sucht weiter, schüttelt die Matratze. Staubwölkchen breiten sich um sie aus. Und, was sagst du jetzt?
Hirutje, sagt Kidane. Ich brauche das Gewehr. Wir ziehen in den Krieg und brauchen alle verfügbaren Waffen. Die Italiener haben viel mehr als wir. Er sieht sie mit seinen freundlichen Augen an, und seine Bitte ermutigt sie zu sagen:
Mein Vater hat es mir geschenkt. Er wollte, dass ich es immer in meiner Nähe behalte.
Wenn wir nicht jede Waffe in diesem Land sammeln, werden wir verlieren, bevor der Krieg beginnt, sagt Kidane. Er lockert nicht den Griff um das Gewehr und gibt es ihr nicht, sondern hält es weiter fest in beiden Händen. Der Kaiser persönlich hat jeden aufgefordert, seine Waffen zur Verfügung zu stellen. Er hat es im Radio gesagt. Wir müssen ihm gehorchen. Auch dein Vater wäre dazu bereit, wenn er noch am Leben wäre.
Nein. Es gehört mir. Sie sieht ihm in die Augen, und das nicht zum ersten Mal: Die Freundlichkeit ist jetzt einer Strenge gewichen, die ihr neu ist, einem Tadel, der etwas verschleiert, das sie nicht versteht. Aber Hirut denkt nur an den Tag, an dem ihr Vater ihr das Gewehr gab, als er mit unnatürlich hohlen Wangen bereits geschwitzt und gezittert hat. Sie wird das Gewehr nicht hergeben.
Du bekommst es wieder. Ich verspreche es, sagt Kidane. Er ist wieder freundlich, sanft.
Hör auf, mit ihr zu reden, als könnte sie logisch denken, sagt Aster und greift nach dem Gewehr. Nimm es einfach.
Sie ist noch ein Kind. Kidane zieht das Gewehr weg.
Ein Kind. Aster hält inne. Ein Kind. Sie neigt sich Kidane zu. Glaubst du, mir ist nicht aufgefallen, dass du sie genau ein Jahr nach dem Tod unseres Sohnes hergeholt hast? Ihre Stimme ist leise, aber von einer Bitterkeit, die Kidane einen Schritt zurücktreten lässt.
Er legt eine Hand an den Türrahmen und sagt leise: Ihre Eltern waren tot. Ich hatte es Getey versprochen, sie war wie eine Schwester für mich.
Aster starrt ihre Hände an, sie zögert, was für sie ungewöhnlich ist. Sie kam genau ein Jahr nach Tesfayes Tod, sagt sie. Aster hebt den Kopf und wiederholt es mit mehr Nachdruck. Du hast sie nach der Trauerzeit hierhergebracht. Damit du tun konntest, was du wolltest, ohne dass darüber geklatscht wird.
Sie kam an dem Tag hierher, als ihre Eltern begraben wurden. Sie konnte sonst nirgendwohin. Kidane holt tief Luft, um nicht die Fassung zu verlieren.
Du hast sie hergebracht, um mich zu beleidigen. Aster legt kurz eine Hand auf ihren Bauch und nimmt sie schnell wieder weg. Du hast sie hergebracht, um mich auf meinen Platz zu verweisen.
Beide zeigen sich gleich unerbittlich, als hätten sie schon oft so gestritten, als wären sie müde, könnten aber nicht anders.
Die Halskette ist nicht hier, sagt Kidane schließlich. Ich habe sie vor langer Zeit verloren, das weißt du genau.
Und sie ist kein Kind mehr. Erinnere dich an mich in ihrem Alter.
Kidane sieht seine Frau an, er wirkt verunsichert und presst die zuckenden Lippen zusammen. Dann sagt er leise, so leise, dass Hirut glaubt, nur sie würde es hören: Sie ist Geteys Tochter. Dann verlässt er den Raum mit Hiruts Gewehr, und nach einem langen Blick folgt ihm Aster.
Sie waren beide hier drin? Die Köchin lehnt an der Wand und zupft am Kragen ihres verschlissenen Kleides. Schweißperlen rollen ihr am Hals entlang. Sie wischt sich mit dem Handrücken über Kinn und Brust. Schau mich nicht so an, murmelt sie.
Hirut sitzt mit umschlungenen Knien in der Mitte des Raums und vergräbt das Gesicht in ihrer Armbeuge.
Hat sie schon wieder nach dieser Kette gesucht?, fragt die Köchin. Sie steht jetzt über Hirut, breitbeinig wie immer, und ohne aufzublicken weiß Hirut, dass sie die Hände in die Hüften stemmt und das Kinn nach vorne reckt. Sie stellt die Kiste aufrecht hin und hält dann vor der entrollten Matratze inne. Was haben die zwei hier gewollt?
Hirut blickt hoch. Das runde Gesicht der Köchin ragt drohend über ihr auf.
Der Mund der Köchin beginnt zu zittern. Warum ist alles durcheinander? Sie breitet die Arme aus und dreht sich langsam und fassungslos im Kreis. Dann sinkt sie auf die Knie, schiebt die Hand in die Strohfüllung und fängt an, es in Klumpen herauszuziehen und zu verstreuen. Nein, sagt sie.
Hirut beobachtet sie dumpf und erinnert sich an einen alten, dicken Vogel, den sie einmal tot von einem Baum fallen sah.
Warum hast du mich nicht gerufen? Die Matratze der Köchin liegt leer auf ihrem Schoß. Mein Flugblatt. Sie neigt sich langsam zur Seite, bevor sie sich aufrichtet. Du hast zugelassen, dass sie es mitnehmen. Hast du denn nur an dich gedacht?
Hirut dreht sich zu ihr und sieht ihr verkrampftes Gesicht, den steifen Rücken. Sie versteht nicht, wovon die Köchin redet. Du kannst dir ein anderes besorgen. Dann gleitet ein Anflug von Bitterkeit in ihre Stimme. Er hat mein Gewehr genommen.
Ist das alles, was für dich zählt?, sagt die Köchin.
Beide sitzen schweigend da und sehen sich in dem unordentlichen Raum um. Über dem Kopf der Köchin flackert ein Lichtstrahl an schwebenden Staubteilchen vorbei. Zu ihren Füßen sammelt sich kein Lichtkegel wie bei Aster. Über ihren Schultern schimmert nicht die Sonne und taucht sie in goldenes Licht wie Kidane. Sie ist die Köchin: untersetzt und beleibt, in einem tristen Kleid und dem immer gleichen fleckigen Tuch kniet sie in einem Raum, der alles enthält, was sie besitzt.
Ich war jünger als du, als ich hierherkam. Die Köchin sagt das so leise, dass Hirut sich vorneigen muss, um sie zu hören. Mein Vater wurde von den Leuten getötet, die uns verschleppt haben, damit wir bei Reichen arbeiten. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Sie spricht leise und kummervoll. Du hältst dich für etwas Besseres. Einen Moment lang bleibt sie stumm. Aber ich bin stärker.
Tu ich nicht, sagt Hirut leise.
Auf mich können sie nicht verzichten. Die Köchin legt ihre Hand auf den Bauch und sackt zusammen. Sie ist in ihre Gedanken versunken und murmelt noch immer in diesem schmerzlich kratzigen Ton. Ich war nicht immer so. Schau mich an. Sie breitet die Arme wie Flügel aus und reckt das Kinn.
Hirut betrachtet die Hände der Köchin, ihre Knochen, die in alldem Fleisch verschwunden sind, die tiefen Brandwunden auf ihrer Haut, die Schwielen auf ihren Handflächen, die sich so rau anfassen. Ihre kurzen Fingernägel sind heute gelb verfärbt von der Gelbwurz, und auf ihrem Handgelenk glänzt ein Klecks rote Pfeffersauce wie frisches Blut. Sie ist vor Tagesanbruch aufgestanden, um Kidanes Essen einzupacken, bevor er sich auf den Weg machte, um Dorfbewohner für die Armee zu rekrutieren. Sie war die halbe Nacht auf, um das Essen vorzubereiten und Wasserkrüge aufzufüllen. Sie steht oft als Erste auf, geht als Letzte schlafen und arbeitet mit einer steten Beharrlichkeit, die Hirut nie hinterfragt hat. Sie kann sich die Köchin nicht anders vorstellen.
Du glaubst wohl, ich hatte früher keine Familie. Die Köchin liest ihre Gedanken. Glaubst du, ich wurde mit diesen Narben geboren?
Die Köchin hat noch nie über ihr früheres Leben gesprochen.
Manche von uns wurden mit Gewalt hierhergebracht, fährt die Köchin fort. Dieser Krieg wird uns helfen heimzukehren. Berhe und ich hätten nach Hause gehen können. Aber jetzt. Sie verstummt. Jetzt wissen sie Bescheid.
Berhe sagt, ich kann weggehen, wann ich will.
Das kurze Auflachen der Köchin klingt traurig. Als ich hierherkam, hat er mir das auch gesagt.
Das Gewehr war ein Geschenk meines Vaters. Hirut dreht sich zur Wand und blinzelt die Tränen weg.
Die Köchin lässt sich auf den Boden neben sie gleiten. Einsamkeit macht sich in dem langen Schweigen breit und bringt die beiden einander näher.
Du hast Berhe nicht gekannt, als er ein junger Mann war, sagt die Köchin schließlich. Er war so stolz, so stark. Sie zupft an ihren Nägeln. Sie haben seinen Vater hinter einem Pferd hergeschleift, und trotzdem hat er sich nicht ergeben. Er hat sich geweigert, ihnen sein Land zu überlassen, also haben sie es ihm zusammen mit seinem Sohn genommen.
Hirut erinnert sich an die Geschichten, die ihr Vater vom Krieg gegen die Italiener erzählt hat, die gleichen Italiener, die vor langer Zeit eine Niederlage erlitten haben und nun zurückkommen wollen. Diese ferenjoch?
Der Teufel hat schon immer in diesem Land gelebt, um Leute wie mich zu quälen. Die Köchin beruhigt sich und starrt zur Tür hinaus in den Hof. Am Tag, als du gekommen bist, sagt sie leise, hat Aster ihre Kleider verbrannt. Und auch die Blumen im Garten.
Hirut nickt. Sie erinnert sich an den kahlen Innenhof, die verkohlten Büsche und das schwarze Gras. Und jetzt fällt ihr noch etwas ein: An dem Tag, als sie ankam, empfing Aster sie schwarz gekleidet auf der Veranda.
Schaff sie aus meinem Haus fort, sagte sie zu Berhe.
Das ist die Tochter von Getey und Fasil, erwiderte Berhe. Sie hat heute beide begraben, sie hat niemanden mehr, Kidane hat sie hierhergebracht.
Und Aster hob eine zitternde Hand an ihr Gesicht. Berhe, sagte sie, will er das wirklich so regeln?
Kidane wusste nicht, was er tun sollte, fügt die Köchin hinzu. Als ihr kleiner Junge starb, war er ein gebrochener Mann, du würdest es nicht glauben. Dann bist du gekommen, und etwas hat sich verändert. Die Köchin schiebt mit ihrem Fuß einen Zweig zur Tür hinaus. Du kannst Aster an vielem die Schuld geben, aber nicht an allem.
Jeden Tag sucht Hirut beim Saubermachen nach ihrem Gewehr. Im Wohnzimmer hebt sie das Sofa an. Sie schüttelt die Vorhänge und den Teppich aus, schiebt das Radio nach beiden Seiten. Sie fährt mit der flachen Hand unterm Tisch entlang, hebt jeden der vier Stühle hoch und schaut auf der Unterseite nach. Sie bittet die Köchin, ihr beim Heben der Teffsäcke zu helfen, um ihr Gewicht zu prüfen, und seitlich an die Kalebasse mit der Injera-Mischung zu klopfen. Sie schaut im Sack mit den Kartoffeln und dem Beutel mit den Linsen nach. Sie sucht in den Rosenbüschen im Innenhof und den Heuhaufen am Pferdestall. Sie zerlegt Berhes ordentlichen Holzstapel an der Seite des Stalls und schichtet ihn wieder auf. Sie späht in den Wasserbrunnen außerhalb des Grundstücks. Sie kriecht unter die Veranda. Sie legt sämtliche Schals und Kleider in Asters Schränken neu zusammen. Obwohl ihr der Zutritt zu Kidanes Arbeitszimmer verboten ist, schleicht sie hinein und fegt, wenn er zu seinen Kriegstreffen aufbricht. Sie macht gründlich und sorgfältig sauber, bis jedes Zimmer glänzt, bis alle Tafelaufsätze aus Silber und Kupfer schimmern wie ein glimmendes Feuer.
Aster wirkt angespannt und beobachtet sie argwöhnisch. Kidane steht auf und geht weg, sobald sie den Raum betritt. Die Köchin sagt jeden Abend: Aber die Zimmer sind doch schon sauber, es reicht. Sie sagt: Sie haben das Gewehr einem von Kidanes Rekruten gegeben. Sie sagt: Berhe, sorg dafür, dass sie aufhört. Aber Berhe folgt ihr still, wenn sie die ausgetretenen Wege außerhalb des Grundstücks nochmals überprüft, mit einer unendlichen Traurigkeit auf seinem wettergegerbten Gesicht. Eines Tages dann, Wochen später, hält er sie am Tor auf, nimmt sie in den Arm und flüstert ihr ins Ohr: Was verloren ist, ist weg, mein Kind, was verloren ist, macht Platz für etwas Neues. Aber dennoch scheuert sie, wischt Staub, poliert, fegt und fängt immer wieder von vorne an, als wäre es nie erledigt worden, und mit jedem neuen Tag wächst die Angst.
Das Gewehr ist verschwunden. Als hätte es nie existiert. Als wäre das Leben in diesem Haus alles, was sie bisher gekannt hat, als wäre sie schon immer dieses ungeliebte Mädchen gewesen. Bald wird sie sich eingestehen müssen, dass es nirgendwo ist. Es ist in einen Spalt gerutscht, der Mädchen genauso schnell verschluckt, wie er Waffen verschlingt. Sie hat das Gefühl, zu verschwinden, spürt, wie ihre Knochen weich werden und unter ihrer Haut schwimmen. Sie erwacht wie im Fieber, überzeugt, dass unsichtbare Hände sie fortschleppen, und sie, wehrlos ohne Waffe, zu schwach ist, um sich dem Feind zu stellen. Es tut mir leid, Abbaba, sagt sie jeden Abend. Sie entschuldigt sich bei ihrem Vater und wartet dann, bis die gleißende Sonne mit ihrer wütenden Hitze die Dunkelheit wegbrennt.
Asters Halskette: Eines Tages findet Hirut sie tief hinten in der oberen Schublade von Kidanes Schreibtisch, diesem herrlich geschnitzten Holztisch, auf dem sich jetzt immer Landkarten und Zeitungen stapeln und ein Porträt ihres Sohnes steht, des kleinen Tesfaye. Hirut zieht rasch die Hand aus der Schublade und dreht sich um. Das dicke goldene Kreuz an der prachtvollen Kette liegt schwer und massiv in ihrer zitternden Hand. Sie entgleitet ihr und fällt klirrend wie ein Säckchen mit Münzen auf den Boden, und als sie die Kette klopfenden Herzens rasch aufhebt, atmet etwas in dem Raum. Sie wirbelt herum: Vor ihr stehen die beiden Stühle gegenüber dem Schreibtisch, an der Wand hängt das ausgeblichene Foto von Kidanes Vater und ein zweites von Kidane und Aster in jüngeren Jahren. Auf dem Schreibtisch stapeln sich noch dieselben Dokumente und Zeitungen, obenauf ein Bild von marschierenden Männern sowie ein Bild von Kaiser Haile Selassie, der sie vorwurfsvoll ansieht. In der Ecke lehnt noch dasselbe Schwert. Nichts hat sich bewegt, aber Hirut hat das Gefühl, als ob die Wände sich ausdehnen und eine Hand ihr die Kette wegnehmen will, deshalb umklammert sie sie noch fester und rennt weg.
Sie versteckt die Kette neben dem Stall, in einem Loch, das sie unter Berhes Holzstapel gräbt. Sie macht weiter sauber. Sie sucht weiter nach dem Gewehr. Hirut verbringt die Tage in dem Bewusstsein, dass man sie sieht und im Auge behält, dass sie ein seltsamer Anblick in diesem Haus ist, das durch ihre gründliche Arbeit glänzt. In der Nacht jedoch kostet sie die Veränderung aus, lässt ihr Herz höher schlagen und lächelt triumphierend in sich hinein. Still streichelt sie die Stelle neben sich, wo einst das Gewehr lag, dann schließt sie die Augen und träumt von einem Mädchen, das auf einem Berg steht und mit dem Gewehr in der Hand triumphierend auf die gefallenen Feinde blickt.
Und dann ist es leicht, ganz leicht, wieder und immer wieder etwas zu entwenden. Was sie entwendet: eine gelbe Perle, ein Stück rote Seide, eine goldene Quaste, fünf Gummibänder, sechs Taler, einen abgebrochenen Bleistift, ein verrostetes Taschenmesser, einen zerfledderten Schirm, ein Hufeisen, einen kleinen Bernstein, einen Handspiegel, einen Weihrauchkessel, eine zierliche Kaffeetasse mit Goldrand, ein Stempelkissen, einen kaputten Kompass, eine gefaltete Landkarte, eine ledergebundene Miniaturbibel, zwei geschlossene Amulette, ein handtellergroßes Holzkreuz, einen grünen Wollschal, ein Stück von einer filigranen Goldkette, einen glänzenden blauen Stein, einen Brocken Speckstein, einen Brieföffner mit Silbergriff, einen Weinpokal, sechs Streichholzschachteln, zwei zerdrückte Zigaretten, eine leere Pillendose, ein Lederarmband, eine Uhr ohne Armband, eine Fliegenklatsche aus Rosshaar, einen Fächer, einen Aschenbecher, einen Stoß gestempelter Dokumente, zwei gefaltete Briefumschläge, einen Holzkreuzanhänger, einen Lederkreuzanhänger, zwei Silberketten, ein Stück schwarzen Samt, eine ausrangierte Garnspule, ein grünes Zwirnknäuel, einen winzigen verbogenen Rahmen, eine Perlenkette, eine Umhängetasche aus Leder, eine Teetasse aus Glas, einen Löffel mit Goldgriff, ein handgroßes Bild von Jesus Christus, ein Kinderarmband, einen Kneifer, silberne Fußspangen, einen goldenen Ohrring, einen schwarzen Schal mit Goldstickerei, einen Feldstecher, einen schlichten schwarzen Schal, ein Paar goldene Ohrringe mit Rubinen, ein dazu passendes Armband, und einen funkelnden Rubinring.
Sie vergräbt die Gegenstände zusammen mit der Halskette spätabends, entstapelt leise das Feuerholz und stapelt es dann akkurat wieder auf. Sie ist vorsichtig und schwelgt im aufregenden Gefühl, etwas zu besitzen, der Diebstahl war befreiend und hat sie mutig gemacht. Sie hat keine Angst mehr, am Radio zu verweilen, wenn Kidane Ankündigungen und Ansprachen in einer Sprache lauscht, die, wie sie bald begreift, Französisch heißt. Wenn er sich in seinem Arbeitszimmer mit Aster unterhält, wartet sie im Flur. Sie hört neue Wörter: Völkerbund, Mussolini, England, Mauser, Artillerie, Dampfschiffe. Sie hört, wie er seiner Frau Befehle erteilt, als wäre sie seine Dienerin: Kümmere dich um die Vorräte, besorge ausreichend Wasser für drei Tage, verschwende keine Zeit auf die Schals, überlass den anderen Frauen das Stricken, sag ihnen, sie sollen sich bereit machen, bald ist es so weit. Hirut schiebt die unnötigen Einzelheiten beiseite und horcht auf den Namen des Gewehrs, das ihrem Vater und nach ihm ihr gehörte: Wujigra.
Wujigra: Auch bekannt als Fusil Gras. Ursprung: Französisch. Ein 11-Millimeter-Einzelladergewehr, das zuverlässig und zielgenau trifft, eine robuste Waffe, die Kälte, Regen und wiederholter, schneller Schussfolge standhält. Pass auf, wie ich es mache, Hirut, bleib still sitzen und schau mir zu. Um die Patrone zu laden, öffnet ihr Vater die Kammer. Dafür zieht er an einem kleinen Hebel auf einer Seite des Laufs. Hirut betrachtet den Hebel. Er glänzt und ist glatt, ein silberner Knopf so rund wie ein Vollmond. Siehst du das? Er hebt die rechte Hand. Diese Hand benutzen alle guten Soldaten bei dieser Waffe. Hirut ballt ihre linke Hand zur Faust. Es ist die Hand, die sie am liebsten benutzt. Die Hand, die ihre Mutter seit einiger Zeit festbindet. Sie sieht genau hin und muss ihm recht geben: Der Schaft des Wujigra ist nichts für linkshändige Kämpfer. Wenn sie also eine Soldatin wird, denkt sie an diesem Tag mit ihrem Vater, muss sie mit ihrer rechten schießen, der Hand, die sich weigert, wenn sie etwas mit ihr machen will. Die linke Hand, sagt ihre Mutter, ist die Hand des Teufels. Es ist die Hand, die Diebe benutzen, und du bist keine leyba. Diese Hand benutzt man für Dinge, bei denen dir niemand zusehen sollte, Hirut. Du darfst nicht mit ihr essen. Mit dieser Hand tust du nur die geheimsten Dinge. Hirut ist zu jung für Geheimnisse, sie ist zu jung, um zu wissen, dass manches verborgen bleiben sollte.