Die Rückkehr der Engel

(L.I.L. Liga Intelligenter Lebewesen)

Science Fiction Roman

von Roland A. Toonen

Die Rückkehr der Engel

© 2019 Roland A. Toonen

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Für

Linus

Du bist mein strahlender Mahu-Ruuhn-Kristall.

Du hast mir die Kraft geschenkt dieses Buch zu schreiben.

Wenn wir einmal nicht zusammen sind, schließe ich die Augen und du bist bei mir.

Die Rückkehr der Engel

(L.I.L. Liga Intelligenter Lebewesen)

von Roland A. Toonen

Kapitel 1.

„ Krass, da hat was den Eifelturm zerlegt!“

Ich schaute vom Spielfeld auf das Pad, das Tek mir unter die Nase hielt. Nur undeutlich war etwas zu erkennen, das aussah wie der Eifelturm, dessen obere Hälfte sich langsam zur Seite neigte.

„Ist wieder so ein Fake, oder?“ Missmutig gab ich das Teil zurück.

In der gegnerischen Kurve des Stadions brach tosender Beifall aus. Irritiert blickte ich auf das Spielfeld zurück. Unsere Plätze waren ziemlich weit oben, fast in der Mitte des Spielfeldes. Von hier hatte man zwar eine klasse Übersicht, konnte aber kaum Einzelheiten erkennen. Da war man eine Sekunde abgelenkt schon machten die anderen einen Touchdown. Mir war sowieso schleierhaft wie wir mit dieser Mannschaft bis ins Endspiel der Uni-Meisterschaft gekommen waren.

„Hast du das gesehen?“

„Was?“, fragte Tek ohne von ihrem Pad aufzusehen. Noch immer wischte sie hektisch darauf herum. „Warte, ich hab`s gleich.“

Niemand, der ihr zum ersten Mal begegnete, hätte vermutet, dass sie ein Super-Nerd war. Selbst jetzt, das langen rote Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, in dem viel zu weiten Mannschaftstrikot, unter dem sich ihre schlanke Figur nur erahnen ließ und der alten Jeans, sah sie verdammt gut aus. Nur die schwarze Brille mit den übergroßen Gläsern gab einen Hinweis auf ihr wahres Ich. Na ja, möglicherweise konnte ein Mädchen mit einem Namen wie ‚Tekla Gilligan‘ nicht anders als Technische Computerwissenschaften zu studieren.

„Hey Tek, solltest du mit dem Ding nicht lieber Aufnahmen vom Spiel machen?“

„Die Loser kacken doch sowieso ab. Spiel dich mal nicht so auf. Auch wenn du den besten Sportblog schreibst, den die Uni je hatte, bist du doch nur wegen dem da hier.“

Ich folgte ihrem Blick zu dem riesigen Bildschirm-Würfel in der Mitte des Stadions. Durch

eine abenteuerliche Konstruktion von Stahlseilen, verbunden mit dem Dach, das sich über die Zuschauerplätze spannte, schien er in der Luft zu schweben.

Die Nahaufnahme zeigte einen Spieler der den Football gefangen hatte. Noch bevor er zu Boden gerissen werden konnte schleuderte er das Teil in die linke Feldhälfte.

„Das ist doch nicht Noah! Schau mal genau hin! Der da ist doch viel kleiner. Es gibt nur einen in der Mannschaft der mit links wirft …“

„Noah! Der Typ da ist Rechtshänder und nicht mal einer von unseren Jungs, ich weiß.“ Tek kicherte boshaft. Sie liebte es mich zu necken und ich fiel immer wieder darauf rein.

„Hier dieses Mal offiziell.“ Sie hielt mir breit grinsend das Pad unter die Nase.

Verärgert griff ich nach dem teuren Teil und starrte auf den Live-Stream. Das Logo eines namhaften Nachrichtensenders wurde in der linken Ecke eingeblendet. Zunächst war nicht mehr zu sehen als ein sich bewegender leuchtender Punkt am nächtlichen Himmel über Paris. Dann eine verwackelte Nahaufnahme von etwas, das einen Feuerschweif nach sich zog. Das Bild wechselte zu einer erstaunlich klaren Aufnahme des Eifelturms.

Ich zuckte zusammen als das flammende Objekt oberhalb der ersten Plattform einen der Pfeiler zerschmetterte, einen zweiten rammte, um unbeeindruckt seine Flugbahn beibehaltend in eine Parkanlage einzuschlagen. Kurz wechselte die Einstellung. Zwischen verwehenden Rauschschwaden war ein flüchtiger Blick auf einen kupferfarbenen Zylinder zu erhaschen. Anschließend war wieder das verbliebene Wahrzeichen der Pariser Weltausstellung von 1889 zu sehen. Ich hielt den Atem an als sich die Spitze langsam in Richtung des zerstörten Pfeilers neigte. Obwohl das Pad stumm geschaltet war glaubte ich das schrille Kreischen sich verbiegender Stahlträger zu hören. Funken sprühten wo sich nacktes Metall berührte und mit tonnenschweren Kräften aneinander rieb. Immer weiter neigte sich der Turm bis er unaufhaltsam auf dem Boden aufschlug.

„Wow, ein Terroranschlag mit einer Rakete?“ ich gab Tek das Pad zurück.

„Glaube ich nicht. Von wo sollte jemand denn ein so großes Teil abgeschossen haben, ohne dass es bemerkt worden wäre?“ Sie schüttelte so heftig den Kopf, dass der Pferdeschwanz nur so hin und her wedelte.

„Ein Flugzeug?“

„Quatsch! Nicht mal eine Militärmaschine ist so schnell, dass sie nur als Feuerschweif zu sehen ist.“

„Was war es denn dann, Miss Superschlau?“ nörgelte ich angepisst.

„Überleg doch mal. Ein Objekt mit so einer kinetischen Kraft kann doch nur ein Meteor oder etwas anderes aus dem All sein.“

„Na klar, ein UFO etwa? Ist ja auch viel logischer als Rakete oder Flugzeug.“

„Richtig! Hätte nicht gedacht, dass du es so schnell schnallst. Für einen Jungen bist du gar nicht mal so dumm“ Erst als Tek mein breites Grinsen sah, bemerkte sie die Ironie in meiner Stimme.

„Arschloch!“ Erbost machte sie sich wieder über ihr Pad her.

Vorbei an dem Bildschirm-Würfel und den ultrahellen Flutlichtern, die das Spielfeld taghell erleuchteten, schaute ich nachdenklich nach oben in das kleine Oval des nächtlichen Himmels. Nur ein paar Sterne konnten sich gegen die künstliche Helligkeit behaupten.

Mein Blick heftete sich an einen Lichtpunkt, der sich zu bewegen schien. Normalerweise wäre er mir bestimmt nicht aufgefallen. Aber durch das, was ich gerade gesehen hatte waren meine Sinne geschärft und warteten nur darauf etwas Ungewöhnliches zu sehen. Unruhig rutschte ich auf meinem Sitz herum. Das Teil wurde tatsächlich größer und kam eindeutig auf das Stadion zu. Ich tippte Tek aufgeregt auf die Schulter.

„Mit ‚irgendwas aus dem All‘ meinst du doch wohl nicht so was, oder?“

„Wow, das glaub ich jetzt nicht.“ Mehr brachte Tekla nicht heraus als sie sah, was ich entdeckt hatte.

Der Lichtpunkt wurde schnell größer. Selbst mit bloßem Auge war jetzt ein leuchtender Schweif auszumachen, den er hinter sich her zog. Gebannt hingen unsere Blicke an dem ungewöhnlichen Teil. Auf einmal ging alles so schnell, dass ich nur einen Teil von dem mitbekam was um mich herum geschah.

Ein Lichtblitz zuckte für einen Sekundenbruchteil auf und blendete mich. Das Objekt hatte einen Teil der Dachkonstruktion getroffen und mit sich gerissen. Gleichzeitig hörte ich das Bersten von Metall und den Aufprall mitten im Stadion. Das Ding durchpflügte den Rasen bis zur Torlinie bevor es zum Stillstand kam.

Nur gut, dass sich das Spielgeschehen gerade auf die linke Hälfte konzentrierte. So wurden nur zwei der Sportler von dem Einschlag in Mitleidenschaft gezogen. Wie welke Blätter im Herbstwind wurden sie umher gewirbelt.

Es herrschte atemlose Stille. Einige Zuschauer hatten sich von ihren Plätzen erhoben und starrten gebannt zum Ende der Furche. Als nichts passierte rannten zwei Sanitäter auf den Platz. Ein zögerlicher Applaus stellte sich ein als einer der auf dem Boden liegenden Spieler sich wankend aufraffte und ins Publikum winkte. Noch unsicher auf den Beinen wurde er von einem Kameraden gestützt und verließ das Spielfeld. Dem anderen schien es nicht so gut zu gehen. Eine Trage wurde geholt.

Lautes Knistern und erschreckte Schreie lenkten meinen Blick auf das beschädigte Dach. Einzelne Bruchstücke lösten sich und fielen herunter auf die Tribüne. Die Zuschauer versuchten sich in Sicherheit zu bringen. Zum Glück kam es aber nicht zu einer Panik.

Ein Knall ließ nicht nur mich zusammenzucken. An der Stelle, an der sich das unbekannte Ding in die Erde gebohrt hatte spritzten Gras, Dreck und eine gebogene kupferfarbene Platte hoch in die Luft. Im Zentrum dieses Chaos bewegte sich etwas.

Ich war viel zu weit vom Geschehen entfernt, um Einzelheiten zu erkennen. Die Gestalt, die sich schnell zur Mitte des Spielfeldes bewegte, erinnerte mich im ersten Moment an eine übergroße Ameise. Eine der Stadionkameras fing ein Bild der Kreatur ein. Für einige Sekunden erschien verschwommen ein Kopf auf den riesigen Monitoren.

Ein Helm mit Schutzvisier wie Piloten von Militärflugzeugen ihn trugen, darunter eine Art bizarrer Atemmaske. Es ging alles so rasch, aber ich hätte schwören können, dass aus dem Helm zwei Fühler herausragten, die sich schnell bewegten. Bestimmt spielten mir meine überreizten Sinne nur einen Streich.

Die verbliebenen Spieler brachten sich in Sicherheit. Es war bestimmt kein beruhigender Anblick zu sehen wie dieses Ding auf einen zustürmte.

Das Wesen blieb stehen. Erst jetzt konnte ich erkennen, dass es vier Arme hatte und etwas in seinen oberen Händen hielt. Ein roter Energiestrahl zuckte daraus hervor und schlug fauchend in die Absperrung am Spielfeldrand. Das Material glühte auf und verschwand. Nur eine Rauchwolke blieb zurück. An dieser Stelle war der Zuschauerbereich nun nicht länger vom Spielfeld getrennt. Schon fauchten weitere Energiestrahlen durch das Stadion. Einige schlugen dicht vor der Tribüne ein. Andere mitten in die voll besetzten Ränge.

Das ehrfürchtige Schweigen wurde von einer aufbrausenden Welle entsetzter Aufschreie hinweggespült. Zuschauer, die bis jetzt noch auf ihren Sitzen ausgeharrt hatten, sprangen auf. Panisch hasteten die Menschenmassen in die Gänge und strömten den Ausgängen entgegen.

Ein Seitenblick genügte, um festzustellen, dass Tek das gleiche dachte wie ich: sich mit der drängelnden Masse aus dem Stadion treiben zu lassen war gefährlicher als abzuwarten bis sich die erste Aufregung gelegt hatte.

Die Plätze um uns herum leerten sich schnell. Die oberen Sitzreihen im gesamten Stadion lagen schon verlassen da. Nur der zurückgelassene Müll zeugte noch von den Menschen, die vor wenigen Augenblicken hier das Spiel beobachtet hatte.

Ich konnte es kaum glauben als genau dort einer der roten Strahlen einschlug. Geschmolzene Plastiksitze und zertrümmerter Beton flogen umher.

„Ich glaube wir sollten besser in Deckung gehen.“ Tekla zeigte auf die hüfthohe Betonumrandung der Treppe mit dem Schutzgeländer unter uns. An den Seiten drängelten die Menschen vorbei um den Ausgang zu erreichen.

„Okay, bleibt wohl nur der direkte Weg.“

Tek nickte. Sie verstaute noch ihr Pad in der Umhängetasche während ich schon über die erste Reihe der roten Sitze nach unten kletterte. Ich blieb stehen und streckte die Hand aus, um ihr behilflich zu sein.

„Das schaff ich schon. Sieh mal lieber zu, dass du nicht auf die Fresse fällst.“ Schon war sie an mit vorbei. Manchmal fragte ich mich, wieso zur Hölle ich ausgerechnet mit ihr befreundet war.

Unten angekommen hockten wir uns hinter die dicke Betonwand und spähten darüber hinweg. Krachend schlug ein Energiestrahl hinter uns ein.

„Scheiße!“ war alles was ich herausbekam.

„Ohne mich wärst du jetzt gut durchgegrillt, Alter.“

Ich wollte etwas Unschönes erwidern, aber da blieb mir die Spucke weg. Über dem Stadion war etwas aufgetaucht, was meine Aufmerksamkeit fesselte. Es sah genauso aus wie eine dieser fliegenden Untertassen auf den unzähligen UFO-Postern.

„Hey Alter, was …“ Jetzt hatte auch Tekla das Teil gesehen.

Scheinbar schwerelos schwebend hing die blau leuchtend Scheibe in der Luft. Mehrere rote Energiestrahlen zuckten von unten herauf und trafen das UFO. Verblüfft sahen wir uns an.

„Ich dachte die Untertasse und das Ding da unten gehören zusammen“ flüsterte Tek.

„Auch eine Super-Nerd wie du kann sich mal irren“ gab ich genau so leise zurück. Diese Bemerkung brachte mir einen Boxhieb ein.

„Aua!“ Theatralisch rieb ich mir die Schulter. Innerlich musste ich breit grinsen. Tekla boxte nur wenn sie keine passende Antwort parat hatte. Das passierte leider viel zu selten.

Die Stadionkamera hatte den außerirdischen Schützen eingefangen. Auf dem großen Bildschirm wirkte die heran gezoomte Gestalt wie aus einem schlecht animierten Horrorfilm.

Der behelmte Kopf mit den schmalen Schultern und den dünnen Armen wirkte fast normal. Aber das zweite Paar Gliedmaßen in Höhe der Menschlichen Hüfte zerstörte diesen Eindruck Augenblicklich. Genauso wie die krasse Einschnürung und das langgezogene Becken darunter. Es war beinduckend wie schnell sich das Wesen auf den kurzen Beinen fortbewegte.

Der Bildausschnitt wechselte wieder. Ich hatte nicht erkennen können ob das Alien Kleidung trug oder dies sein eigentlicher Körper war. Dafür sah ich jetzt die Polizisten, die sich unbemerkt herangeschlichen hatten. Sie sprangen aus ihrer Deckung hervor und schossen.

Das Wesen schien dies wenig zu beindrucken es feuerte weiter auf den Diskus am Himmel.

Verblüfft beobachtete ich wie der nun blitzschnell um 90 Grad nach vorne kippte und sich dann mehrfach um seine vertikale Achse drehte. Nun sah das Ufo ganz und gar nicht mehr wie eine fliegende Untertasse aus. Es erinnerte mich stark an ein übergroßes Jo-Jo. In der Einkerbung zwischen den beiden runden Scheiben befand sich im Gegensatz zu dem Geschicklichkeitsspiel aber keine aufgewickelte Schnur. Genau hier schwebte ähnlich wie um den Saturn ein schmaler Ring. Es war nicht zu erkennen wie -oder ob er überhaupt- mit dem Flugobjekt verbunden war. Am Außenrand war er gezackt wie ein Zahnrad, wobei jeder dritte Zahn zweimal so lang war wie die übrigen.

Der Ring begann langsam zu rotieren und schwenkte auf seinen Angreifer ein. Dabei wechselte er die Farbe, von dem hellen Blau in ein leuchtendes Magenta. Ich zuckte zusammen als aus einem langen Zacken, der genau auf den Angreifer am Boden zeigte, ein Energiestrahl herausschoss. Das Alien sprang rechtzeitig zur Seite. Schon brodelte flüssige Glut an der getroffenen Stelle am Boden.

Der Ring drehte sich weiter und feuerte aus der nächsten Spitze. Es war bizarr mit anzusehen wie immer mehr glühende Pfützen das Spielfeld bedeckten. Ich hätte dem Wesen mit den kurzen Beinen nicht zugetraut so schnell zu sein. Wie ein Floh hüpfte es umher und wich den immer schneller aufeinander folgenden Strahlen aus.

Aber dann machte es einen tragischen Fehler. Es blieb eine Sekunde zu lange stehen, um einen Schuss aus seiner Waffe abzufeuern. Mit offenem Mund starrte ich auf die Stelle, an der es gerade noch gestanden hatte. Eine kurz aufflammende Feuersäule war alles was von dem Alien blieb.

„Interessant. Während sich der Ring dreht laden die Waffen wieder auf und sind einsatzbereit wenn sie sich wieder auf ihr Ziel richten. Man erkennt es deutlich daran, dass die langen Zacken nach dem abfeuern wieder blau werden und während der Rotation ins Magenta wechseln.“

Ich starrte Tekla fassungslos an. Während da unten ein Wesen -warum auch immer- um sein Leben gekämpft und verloren hatte analysierte sie regungslos die fremde Technik.

Ich wollte etwas sagen wurde aber von dem gemächlich zu Boden schwebenden Ufo abgelenkt. Ein Raunen ging durch das noch immer bis über die Hälfte gefüllte Stadion. Die Rotation des Rings verlangsamte sich und er nahm wieder seine ursprüngliche Farbe an. Knapp bevor eine der langen Spitzen den Rasen berührte kam das Fluggerät zum Stillstand.

„Das Teil sieht aus wie die Darstellung der Sonnenscheibe in antiken Kulturen“ murmelte Tek neben mir.

„Ja, oder ein blinkender Stern.“

„Was ja wohl dasselbe ist.“

Ich brummte missmutig etwas vor mich hin. Was sich schnell als Riesenfehler herausstellte.

„Die Sterne am Nachthimmel sind nichts anderes als das Licht weit entfernter Sonnen. Auf einem anderen Planeten würde man unsere Sonne auch nur als kleinen Lichtpunkt wahrnehmen, wenn überhaupt“ dozierte das Mädchen neben mir als würde sie gerade einen Vortrag an der Universität halten. Mit einem Finger schob sie die nach vorne gerutschte Brille zurück an ihren Platz.

„Ja, Frau Professor. Aua!“ Schon wieder traf ein Boxhieb meine Schulter. Diesmal noch kräftiger ausgeführt als der erste. Ich schielte zu Tekla hinüber. Deshalb bekam ich nicht mit wie sich in dem Flugobjekt eine Öffnung bildete. Als meine Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen auf dem Spielfeld zuwandte wurde eine durchsichtige Rampe heraus gefahren. Durch das helle Leuchten, das sie ausstrahlte, konnte ich nur vermuten ob sie aus festem Material bestand oder ob es sich um eine Art von Kraftfeld handelte.

Die Menschen im Stadion verharrten regungslos an ihren Plätzen. Es herrschte eine gespannte Stille. Gebannt starrten alle auf die Öffnung, in der sich ein Schatten abzeichnete.

Es dauerte nur wenige Sekunden, die mir aber wie eine halbe Ewigkeit vorkamen. Als die Gestalt heraus trat und erhaben die Rampe herunter schritt, hätte ich fast laut aufgelacht. Nicht nur, dass dieses Ufo zunächst wie eine fliegende Untertasse ausgesehen hatte. Auch dieses Wesen sah aus wie die Aliens auf den Postern.

Es war sehr schlank. Beine und Arme länger als die eines Menschen. Der Kopf oval mit zwei übergroßen dunklen Augen. Die ganze Erscheinung strahlte in der gleichen Farbe wie das Flugobjekt.

Einige Meter von der Rampe entfernt blieb das fremde Wesen stehen. In Höhe seiner Schultern begann es zu flimmern. Zwei durchscheinende Kraftfelder in einem tiefen Blau breiteten sich hinter ihm aus. Als sie ihre volle Größe erreicht hatten ähnelten sie überdimensionierten Flügeln. Das Wesen breitete theatralisch die dünnen Arme aus und erhob sich in die Luft. Zwei oder drei Meter über dem Spielfeld stoppte die Aufwärtsbewegung. Anmutig drehte dich die Gestalt einmal um seine eigene Achse, als wollte es sagen, seht alle her: ich bin es. Ein Raunen ging durch die Menge.

Vereinzelt hörte ich Ausrufe wie: „Ein Engel!“ oder „Unsere Retter!“.

Von irgendwo her war ein zaghafter Applaus zu hören. Schnell breitete er sich wie eine Welle über das ganze Stadion aus und wurde rasch lauter.

„Echt jetzt? Die glauben doch wohl nicht, dass das ein Engel ist?“, murmelte ich vor mich hin.

„Nicht so wie ich mir einen vorstellen würde. Aber wer weiß denn schon wie die wirklich aussehen? Und? Hat er uns vor diesem Horror-Alien gerettet, oder nicht?“

„Keine Ahnung, was da unten los war. Aber ich …“

Um die ausgebreiteten Hände des Lebewesens bildeten sich leuchtende Kugeln. Von ihnen breitete sich eine Unzahl feiner Strahlen aus. Die unteren Sitzreihen wurden in eine fahle Helligkeit getaucht, wie durch die Lichtkegel zweier großer Scheinwerfer.

Der Applaus ebbte ab. Eine gespenstige Stille breitete sich aus und ließ das Geschehen noch unwirklicher erscheinen.

Ich blinzelte, weil ich glaubte meine Augen würden mir einen Streich spielen. Um besser sehen zu können was sich da unten abspielte wagte mich hinter meiner Deckung hervor. Aber die grünen Nebelschwaden, die sich über den Zuschauern am Spielfeldrand gebildet hatten, blieben. Gemächlich setzten sie sich in Bewegung und krochen auf das fremde Wesen zu.

Entsetzte Aufschreie waren zu hören. Ich konnte nicht erkennen was sich unter den immer heller funkelnden Strahlen abspielte. Es kam Bewegung in die betroffene Menschenmenge. Fluchtartig verließen sie ihre Plätze.

Als das Licht weiter wanderte brach eine Panik aus. Ohne Rücksicht versuchte sich jeder in Sicherheit zu bringen bevor er von dem bläulichen Flimmern erfasst werden konnte.

In diesen Tumult zuckte erneut ein Lichtblitz und blendete mich. Es kam mir wie ein Déjà-vu vor. Ich hörte erneut das Bersten von Metall und einen Aufprall. Eine weitere Kapsel durchpflügte das Spielfeld.

Die Lichtkegel erloschen schlagartig. Das Engelswesen drehte sich ruckartig in Richtung des Aufschlages. Es bewegte die Arme nach vorne bis sich die Handflächen berührten. Die blauen Kugeln vereinten sich zu einer. Das Leuchten wechselte zu Magenta und ein Energiestrahl schoss heraus. Auch der Ring des Flugobjekts setzte sich wieder in Bewegung und feuerte auf die Einschlagsstelle. Ein wahres Inferno aus Energie tobte an diesem Punkt.

Es kam zu einer heftigen Explosion. Ich dachte dadurch wäre das aufgeschlagene Ding zerlegt worden. Aber aus dem glühenden Erdreich, das herumspritzte, katapultierte sich wie schon bei dem ersten Objekt, eine gebogene Deckplatte heraus.

Ich staunte als ich bemerkte, dass sich der Passagier an der Innenseite festklammerte, um so dem sicheren Tod zu entkommen. Im Scheitelpunkt der Flugbahn löste sich das ameisenähnliche Wesen von dem kupferfarbenen Teil und sprang auf das Stadiondach.

Unten hatte man von der Aktion nichts bemerkt. Von seinem erhöhten Standort zielte der Außerirdische auf das immer noch wild auf die gleiche Stelle feuernde Wesen.

Volltreffer! Sein Gegner wurde herumgewirbelt. Wie ein Geschoss prallte er gegen eine Absperrung und blieb regungslos liegen.

Das Flugobjekt stellte das Feuer mit den unteren Spitzen ein und schwenkte in eine neue Position. Fast gleichzeitig schossen die ersten Energiestrahlen aus den oberen Zacken.

Das Wesen auf dem Dach wich geschickt aus und feuerte zurück.

Ich schreckte zusammen als mich eine Hand am Hosenbund packte und zurück hinter die Betonwand zog. Tekla schaute mich nur kopfschüttelnd an.

Ich lugte wieder über den Rand unserer Deckung. Das Ameisending landete erneut einen Treffer. Ein Stück des rotierenden Rings wurde zerfetzt. An der Stelle erlosch das Leuchten und der Teil wurde Schwarz. Er feuerte noch einen Energiestrahl ab dann blieb er ruckend stehen.

Ich atmete tief durch. Was für ein Chaos. Flüchtende Menschen, Explosionen, Aliens.

Ich zuckte zusammen. Das Engelswesen hatte sich wieder aufgerappelt und schoss eine Salve von Energiestrahlen in die Luft. Dabei war es so schlau nicht auf seinen flinken Gegner sondern auf das Dach zu feuern.

Ein Teil brach ab und riss das Ameisenwesen mit sich in die Tiefe. Ohne Rücksicht darauf zunehmen, dass die Fehlschüsse in die Tribüne mit den flüchtenden Menschen einschlugen feuerte das Wesen am Boden so lange weiter bis es einen Treffer landete.

Danach herrschte Ruhe auf dem Schlachtfeld. Keine weiteren Energiestrahlen zuckten durch die Luft. Keine Explosionen dröhnten mehr in den Ohren.

Das Engelswesen breitete wieder seine Arme aus. Die Schwingen aus Kraftfeldern erschienen. Es erhob sich erneut in die Luft und richtete die Kegel blauer Strahlen auf die flüchtenden Menschenmassen.

„Bin ich denn total verpeilt? Hier geht die unglaublichste Sache des Jahrhunderts ab und ich mache keine Aufnahmen für meinen Blog.“ Tekla griff in ihre Umhängetasche.

„Scheiße!“

„Was ist? Hast du deinen kleinen Liebling etwa nicht aufgeladen?“ fragte ich schadenfroh.

„Mein Pad! Es ist nicht da. Ich muss es beim Runterklettern irgendwo verloren haben.“ Das rothaarige Mädchen sprang entsetzt auf.

Ich packte Tek am Shirt und zog sie in die Deckung zurück.

„Aber da unten wird doch nicht mehr rumgeballert“ jammerte sie.

„Verdammt, du bleibst hier! Ich suche dein Pad!“ Meine Stimme duldete keinen Widerspruch. Mir war selbst nicht klar woher dieser Anfall von Heldenmut kam. Ich sprang auf und lief geduckt zu der Treppe, die nach oben führte und lugte in die leicht gekrümmte Sitzreihe. Nichts außer Pappbechern und Müll. Also weiter. Ich war schon fast bis zu der zerstörten Stelle gekommen da sah ich etwas Schwarzes auf einem der Plastiksitze liegen.

Na endlich. Ich schlängelte mich durch den schmalen Gang. Zum Glück es war tatsächlich das verlorene Pad.

WUMS!

Irgendetwas krachte in meiner Nähe. Ich war viel zu froh über meinen Fund, um es richtig zu bemerken. Ich nahm das Pad und wollte mich auf den Rückweg machen.

WUUMMS!

Dieses Mal war das unheilvolle Geräusch lauter. Gleichzeitig spürte ich ein Vibrieren durch die dicken Sohlen meiner Sportschuhe. Beunruhigt drehte ich mich um. Nicht weit von mir war von der Tribüne nicht mehr viel übrig. In der Außenwand des Stadions klaffte ein Loch, durch das ich den Parkplatz erkennen konnte. Mit einem flauen Gefühl im Magen schielte ich zum Spielfeld.

Der Ring des getroffenen UFOs hatte sich wieder in Bewegung gesetzt. Zu meinem Entsetzen hatte er die Schussrichtung beibehalten. Noch immer feuerten die oberen Zacken. Dabei drehte sich das Flugobjekt immer noch langsam um seine Achse.

WUUUMMMS!

Der Energiestrahl war noch näher an mich heran gekommen und zerlegte einen weiteren Teil des Stadions. Na klasse! Ich drehte mich um und rannte los. Verdammt, der Wirkungsbereich der Waffe war enorm. Ich würde es nicht rechtzeitig schaffen über die Treppe nach unten zu entkommen. So schnell es ging hastete ich weiter durch die nächste Sitzreihe.

WUUUMMMS!

Scheiße, das war dicht hinter mir. Plastikteile und Betonsplitter flogen mir um die Ohren. Zu dicht. Der nächste Energiestrahl würde mich treffen. Obwohl es unsinnig war, warf ich mich in panischer Angst zu Boden.

Jetzt! Ich schützte meinen Kopf mit den Armen und hielt die Luft an.

Keine Explosion, keine Hitze, kein Energiestrahl. Es blieb ruhig. Ich zählte bis zehn. Nichts passierte.

Ungläubig spähte ich über den Rand der roten Plastiksitze nach unten. Ich starrte genau auf den geschwärzten Teil des zerstörten Rings. Erleichtert ließ ich, laut hörbar, die angehaltene Luft aus meinen Lungen entweichen. Ich dankte dem Ameisenwesen für den Treffer, der mir nun unverhofft das Leben gerettet hatte. Ich zuckte erschrocken zusammen als der Ring sich noch einmal weiter bewegte. Ein Zittern ließ ihn erbeben als kämpfe er gegen eine unsichtbare Kraft an, die ihn festhielt.

Wahrscheinlich suchte sich die aufgestaute Energie, die nicht mehr abgestrahlt werden konnte, einen anderen Weg. Blitze und Entladungen zuckten auf. Ehe mir klar wurde was gleich passieren würde, explodierte einer der Zacken. Ein Lichtblitz blendete mich. Ohrenbetäubender Lärm hallte durch das Stadion. Noch bevor ich wieder in Deckung gehen konnte wurde ich von einer Druckwelle erfasst. Ich segelte durch die Luft. Wild mit den Armen rudernd sah ich einen Betonpfeiler auf mich zukommen. Mit voller Wucht prallte ich mit ihm zusammen. Schmerzen durchfuhren meinen Körper, es wurde dunkel um mich herum und ich verlor das Bewusstsein.

Kapitel 2

Undurchdringliche Schwärze, eintöniges Rauschen, Schmerzen. Mir wurde allmählich bewusst, dass ich noch unter den Lebenden weilte. Aus der Dunkelheit schälten sich hellere Flächen heraus, Umrisse wurden erkennbar. Das Stadion!

In zähen Tropfen kehrte die Erinnerung in meinen brummenden Schädel zurück. Ich versuchte meinen schmerzenden Körper zu bewegen. Betonbrocken und anderer Schutt polterten von mir herunter. Die dazu passenden Geräusche drangen nur dumpf durch das Rauschen in meinen Ohren. Die Explosion hatte wohl mein Gehör in Mitleidenschaft gezogen, dass ich überhaupt noch etwas hören konnte war wohl ein gutes Zeichen.

Vorsichtig erhob ich mich. Bevor meine zitternden Beine ihren Dienst versagten, ließ ich mich in einen der Sitze fallen, die das Inferno auf wundersame Weise unbeschadet überstanden hatten. Erleichtert merkte ich wie sich mein Sehvermögen wieder besserte.

Nur noch einer der vielen Flutlichtmasten war in Betrieb. Der Lichtkegel erleuchtete einen kleinen Teil des Spielfeldes und tauchte den Rest des Stadions in gespenstige Schatten.

Vereinzelt sah ich die Schemen anderer Zuschauer. Puh, ich war zum Glück nicht der einzige Überlebende. Ich wollte um Hilfe rufen, brachte aber nur ein heiseres Krächzen heraus. In der Totenstille, die im Stadion herrschte, hätte mich trotzdem jemand müssen. Aber keiner der Schatten bewegte sich. Eine dichte Staubwolke wehte über die Tribüne hinweg. Als ich wieder etwas sehen konnte waren auch die Schatten verschwunden. Lag es an meinen getrübten Sinnen, oder ging hier etwas Seltsames vor?

Über dem Spielfeld hing noch immer der große Bildwürfel. Eines der Verbindungsseile war gerissen. Der übergroße Monitor hing schief und schaukelte im Wind. Zu meinem Erstaunen funktionierte er noch immer. Er zeigte die Stelle des Spielfeldes, die noch immer beleuchtet wurde und die Uhrzeit.

Wow, das war doch nicht möglich. Ich schaute auf die Uhr an meinem Handgelenk. Sie zeigte das gleiche an. Ich war fast eine Stunde bewusstlos gewesen.

Ich untersuchte meinen geschundenen Körper. Keine ernsthaften Verletzungen. Nur meine linke Schulter schmerzte höllisch wenn ich den Arm bewegte. Noch mal Glück gehabt.

Neben mir auf der Treppe lag etwas, dass meine Aufmerksamkeit erregte. Ich rappelte mich auf, um nachzusehen.

Das Pad! Kaum zu glauben: außer einem kleinen Sprung in einer der Ecken was das Teil unversehrt.

Tekla!

Wie durch eine geöffnete Schleuse strömten meine Erinnerungen.

Ich schob das Pad in den Hosenbund und stolperte mehr als dass ich ging die Gasse entlang. Ohne das Geländer hätte ich die Treppe nicht bewältigen können. Unten angekommen musste ich mich erst orientieren. Schon von hier aus konnte ich sehen, dass von der Betonumrandung, hinter der wir Schutz gesucht hatten, nicht mehr viel übrig war. Ich bahnte mir einen Weg durch die Trümmer. So schnell mich meine zitternden Beine tragen konnten wankte ich auf unsere Deckung zu. Einmal klappte ich zusammen und brauchte einige Minuten, um wieder genügend Kräfte zu sammeln.

„Tekla!“ rief ich heiser als ich schon ziemlich nahe war. Keine Antwort, Scheiße.

Endlich hatte ich mein Ziel erreicht. Unter den Trümmern konnte ich die Farben des Mannschaftstrikots erkennen. Mit klopfendem Herzen machte ich mich daran, die Betonbrocken zur Seite zu räumen. Der Körper darunter bewegte sich.

„Tekla!“

„Lennox, bist du das?“

„Ja, warte.“ Ich ackerte, um das Mädchens frei zu legen.

„Scheiße, wo warst du denn so lange?“, fragte sie benommen.

„Die Explosion von dem Ufo hat mich vor eine Wand geknallt. Da bin ich liegen geblieben und habe erst mal ne Runde gechillt.“

„Ich dachte schon, ich muss hier abkacken.“ Tek versuchte mühsam den Oberkörper aufzurichten. Ich half ihr so gut ich konnte. Meine Schulter brannte wie Feuer. Mit zusammen gebissenen Zähnen machte ich weiter und entfernte weitere Trümmerteile.

„Nur gut, dass ich nicht im letzten Sommer in so eine Lage geraten bin, da hättest du mich bestimmt nicht ausgebuddelt.“ Sie kicherte kurz, dann bekam sie einen Hustenanfall. Kein Wunder bei der staubigen Luft.

„Stimmt, da hätte ich sogar noch einige Steine drauf gepackt.“

Ich erinnerte mich nur zu gut an den letzten Sommer. Tekla war zu dieser Zeit die von mir am meisten gehasste Person auf dem Campus. Sie hatte es geschafft, Professor Dunkel-Heusel von diesem Platz zu verdrängen.

„Hammer! Ich wusste nicht, wie heftig es war. Nur weil ich mich an Noah ran gemacht habe? Ich hatte echt nicht geschnallt, dass du hinter ihm her warst.“

„Der Nullchecker hat es bis heute noch nicht gemerkt“ grummelte ich.

„Nur seinen Sport im Kopf. Wir sind viel zu gut für diesen Vollpfosten“ schimpfte Tek.

Ich musste lachen. Zuerst hatten wir uns wegen Noah angefeindet, dann waren wir als Verschmähte die dicksten Freunde geworden.

„AUA! Vorsicht, meine Bein.“ Ich wuchtete den letzten der großen Brocken hoch und warf ihn soweit ich konnte zur Seite.

In einem Katastrophenfilm war diese Stelle, an der jemand unter einem Trümmerstück eingeklemmt war, sagen wir: heiß. Der Held musste sich - meist unter Zeitdruck - etwas einfallen lassen, um die Person im letzten Moment zu retten. Mit einigen meist zu gut aussehenden Wunden im Gesicht und im schlimmsten Fall einem verstauchten Knöchel kamen sie davon.

Im echten Leben war das anders. Weder romantisch noch sexy.

Ich starrte auf die rostige Eisenstange, die Teklas linken Oberschenkel durchbohrt hatte. Getrocknetes Blut färbte die Jeans und den Boden darunter in einem dunklen Rot.

Zuerst war ich geschockt, dann aber doch eher erleichtert weil Tek relativ wenig Blut verloren hatte.

„Scheiße, wie ist das denn passiert?“

„Ich dachte nur unter Trümmern begraben zu werden ist etwas langweilig. Da habe ich mir das als Highlight ausgedacht“ beantwortete Tek meine Frage sarkastisch. Ich musste Grinsen. Wenn sie schon wieder so mies drauf seine konnte war noch nicht alles verloren. Sie rutschte ein wenig zurück, um sich mit dem Rücken gegen den unbeschädigten Teil des Betonsockels zu lehnen.

Dabei brach die Wunde wieder auf. Ein Rinnsal frischen Blutes lief am Hosenbein hinunter.

Den Schmerz unterdrückend presste sie keuchend die Zähne aufeinander.

„Sieht schlimm aus, was? Kannst du das Teil irgendwie raus ziehen?“

Die geriffelte Stange hatte das Bein durchbohrt und ragte an beiden Seiten eine Handbreit heraus. An dem einen Ende hafteten noch kleine Betonbrocken, das andere war total verbogen.

„Auf keinen Fall! Da brauche ich erst einen Bolzenschneider oder so was.“

Aus dem Augenwinkel sah ich etwas über den beleuchteten Teil des Spielfeldes huschen. Für einige Sekunden war die Gestalt auf dem schief hängenden Bildschirm zu erkennen. Ich sprang auf und winkte hektisch mit den Armen. Das hätte ich lieber bleiben lassen. Ein höllischer Schmerz durchzuckte die verletzte Schulter.

„Hey, hier sind wir. Hier oben! Wir brauchen Hilfe!“

Tekla zerrte an meinem Hosenbein.

„Bist du total bekloppt, Alter? Wenn das eins von den Aliens ist?“

Ich ging in die Hocke und grinste sie breit an.

„Ich glaube nicht, dass eines der Dinger so schnell Footballfan geworden ist und sich in ein Trikot gezwängt hat. Schon gar nicht in eines unserer Mannschaft, das machen doch nur Loser wie du.“

Tekla schaute mich mit zusammen gekniffenen Augen an und holte aus. Ich wich zurück.

„Nicht auf den Arm! Der ist sowieso schon hinüber. Ich mache mich mal vom Acker und hole Hilfe.“

„Okay, ich bewege mich nicht von der Stelle und warte hier auf dich.“

„Du kannst hier genau so wenig weg wie Leonardo als er an dieses Rohr gekettet war. Da fand ich den Satz schon reichlich bescheuert.

„Du hast auch ‚Titanic‘ gesehen?“

„Äh, nur diese eine Stelle.“

„Na, aber sicher doch.“

„Ich bin so schnell wie möglich mit Hilfe zurück. Ach, hier“ ich zog das Pad aus dem Hosenbund.

„Das funktioniert ja noch! Lennox, du bist der größte.“ Tek presste das Pad an ihre Brust und lächelte mich glücklich an. Dann schloss sie erschöpft die Augen. Ich schlich leise davon.

Vorsichtig machte ich mich durch das Halbdunkel auf den Weg nach unten. Überall war dieser rote Staub. Manche von der Zerstörung verschont gebliebenen Sitze waren fast gänzlich darunter begraben. Ich nahm eine Handvoll von dem Zeug. Es fühlte sich an wie feinster Sand, rieselte durch meine Finger und wurde von einem Windstoß davon geweht. Sand war kühl, dieses rote Pulver fühlte sich irgendwie warm und weich an.

Je tiefer ich kam, desto dicker wurde die Schicht auf den Treppenstufen. Meine Schritte knirschten als würde ich durch frisch gefallenen Schnee laufen. Nachdem ich endlich unten angekommen war wurde es noch unheimlicher.

Das Spielfeld erinnerte mich an Aufnahmen der Marsoberfläche. Einige längliche Hügel rechts von mir ließen erahnen, was da unter dem roten Staub verborgen war. Ein Schauer durchrieselte mich. Zu deutlich waren die Umrisse menschlicher Körper zu erkennen. Behutsam ging ich weiter.

Das Ufo hatte sich beim Absturz bis zur Hälfte in den Boden gebohrt. Der noch sichtbare Teil ragte schräg daraus empor. Ich kam auf meinem Weg ziemlich nahe an dem außerirdischen Fluggerät vorbei. Nun, da es nicht mehr in dem hellen blauen Licht strahlte, sah es nicht mehr so erhaben und anmutig aus. Seine Hülle bestand aus einem schmutzigen, dunkelgrünen Material. Der schwebende Ring hatte sich in der Ausbuchtung zwischen den beiden Scheiben verkeilt. Er war viel dicker und breiter als ich gedacht hatte. Die einzelnen Spitzen waren alles andere als Strahlen einer Sonne. Eine Vielzahl unterschiedlichster Bauteile türmte sich zu einem Pyramidenartigen Gebilde auf, aus deren Spitze ein längliches Rohr herausragte. Noch immer flimmerte ein magentafarbenes Lichtspiel in seinem Inneren.

Ich machte einen großen Bogen um den unheimlichen Waffenring.

Ich fühlte mich wie auf einem fremden Planeten. Das außerirdische Fluggerät neben mir. Die Stille. Der rote, staubbedeckte Boden lag unberührt vor mir. Ich kam mir vor wie das erste menschliche Wesen in einer unbekannten Welt.

Als ich in den von einem einsamen Flutlichtmast erhellten Bereich trat, sah ich die Abdrücke von Sportschuhen. Sie führten in Richtung der Mannschaftsräume.

Genau dahin wollte ich auch. Ich folgte den Spuren, die zu meiner Erleichterung eindeutig ein menschliches Wesen hinterlassen hatte. Der Untergrund wurde uneben und hügelig.

Über mir erklang ein unheilvolles Scheppern. Erschrocken blickte ich nach oben. Aber da war nichts zu sehen. Ich befand mich genau an der Stelle, wo das ameisenähnliche Alien mit dem Stadiondach in die Tiefe gestürzt war. Mit unsicherem Blick meine Umgebung erforschend ging ich weiter.

Unter meinem linken Fuß gab etwas nach. Ich geriet ins Stolpern und fiel hin. Als ich mich wieder aufrappelte sah ich worüber ich ins Straucheln geraten war. Unter den Trümmern hatte der Wind einen Teil des Alien Körpers frei gelegt. Eigentlich erkannte ich es nur an seiner fremdartigen Kleidung und der Hand, die aus dem roten Staub herausragte.

Die Finger waren kürzer und zierlicher als meine und wirkten fast menschlich. Der Eindruck wurde aber von zwei kräftigen Daumen zu Nichte gemacht. Die Hand war erstaunlich symmetrisch. Daumen, vier Finger, Daumen.

Ein guter Filmemacher hatte mal gesagt, dass es uns Menschen unheimlicher erscheint wenn etwas oder jemand nur eine Kleinigkeit von der Norm abweicht als etwas völlig Fremdes.

Hier war es genauso. Hätte das Alien drei große Klauen oder Tentakel als Greifwerkzeuge besessen, hätte mich das nicht so außer Fassung gebracht wie eine fast menschliche Hand mit einem zusätzlichen Daumen.

Ich musste mich zwingen nicht länger auf das tote Wesen zu starren. Der Tunnel zu den Mannschaftsräumen, der unter der Tribüne hindurch führte war nicht mehr weit. Ich stapfte tapfer weiter durch den pulverartigen Sand. Als ich den Eingang erreicht hatte starrte ich in die dunkle Unterführung hinein. Eine Leuchtstoffröhre, nur noch an dem Kabel der Zuleitung hängend, baumelte von der Decke. In einer ganzen Reihe von Leuchtkörpern war sie die einzige, die noch, wenn auch gelegentlich flackernd, Licht spendete. Durch die Bewegung wanderten bizarre Schatten über die Wände. Ich konnte nicht weiter als bis zu der Leuchtstoffröhre in den Gang hinein sehen. Alles was dahinter war blieb mir verborgen.

Was, wenn sich da drinnen noch eines der Aliens aufhielt? Ein kalter Schauer rieselte mir den Rücken entlang. Ich sah mich nach etwas um, dass ich als Waffe benutzen konnte. Mein Blick fiel auf einen der länglichen Hügel unter dem sich schwach die Konturen eines Menschen abzeichneten. Das musste einer der Polizisten sein, der sich an den Außerirdischen heran geschlichen hatte. Ich ging hinüber und suchte nach seiner Knarre. Ganz wohl war mir dabei nicht. Aber noch weniger gefiel es mir, völlig wehrlos einem dieser Aliens gegenüber zu treten. Nach einigem Suchen fand ich tatsächlich eine Pistole. Es war das erste Mal, dass ich so ein Teil in den Händen hielt. Bevor ich mich in den dunklen Gang wagte sollte ich wohl besser erst einmal testen wie man damit umging.

In Filmen hatte ich das schon tausendmal gesehen, so schwer konnte es also nicht sein. Ich zielte auf etwas im meiner Nähe und wollte meinen ersten Schuss abgeben, aber der Abzug bewegte sich keinen Millimeter.

Na klar, die Waffe war bestimmt noch gesichert. Ich fand etwas, das sich bewegen ließ und drückte es nach unten. Das Magazin flutschte aus dem Griff. Mit einem dumpfen Geräusch landete es genau vor meinen Füssen. Scheiße!

Na ja, durch dieses Missgeschick stellte ich immerhin fest, dass ich genug Munition hatte. Ich steckte das Magazin wieder an seinen Platz zurück. Nach einigem Suchen fand ich an der Seite der Pistole einen kleinen Hebel. Noch einmal suchte ich mir ein Ziel. Dieses Mal blockierte der Abzug nicht.

Klick!

Verdammt, war die Knarre im Arsch oder was? Ich dachte angestrengt nach. Sicherung, Munition, in den Filmen machten die doch noch was. Entsichern und durchladen.

Na toll, aber wie? Ich hantierte ungeduldig an der Waffe herum. Aha, das Oberteil ließ sich nach hinten ziehen. Mit einem leisen Klacken schnellte es wieder nach vorn.

Nächster Versuch. Ein lauter Knall. Der harte Ruck riss meine Hand nach oben. Etwas wurde getroffen und fetzte auseinander. Und das alles geschah irgendwie gleichzeitig.

Erschrocken rieb ich mein schmerzendes Handgelenk. Scheiße, dabei konnte man sich ja was verstauchen. So eine Knarre war ja voll gefährlich und bei weiten nicht so spielerisch zu handhaben wie es auf der Kinoleinwand aussah. Okay, ich würde die Pistole beim nächsten Schuss wohl besser mit beinen Händen halten.

Ich stand wieder vor dem Tunnel und atmete tief ein. Was würde mich in der Dunkelheit erwarten? Ein ungutes Gefühl beschlich mich. Erneut knirschte und knackte etwas bedrohlich über mir. Es gab einen lauten Knall, dann ein Sirren in der Luft. Erschrocken wirbelte ich herum und starrte nach oben.

Zum Glück erfüllten sich meine schlimmsten Befürchtungen nicht. Es war weder eines der leuchtenden Fluggeräte am Himmel aufgetaucht, noch eine der Kapseln auf dem Boden eingeschlagen.

Eines der Stahlseile hatte sich gelöst. Der Bildschirmwürfel sackte ein Stück in die Tiefe. Durch den Ruck rissen zwei weitere Kabel aus den Verankerungen. Der Würfel bewegte sich wie ein übergroßes Pendel genau in meine Richtung. Zunächst noch träge, dann aber schnell an Geschwindigkeit zunehmend schwang er durch die Luft.

Ich rannte los. Die dicke Schicht von rotem Staub bremste meinen verzweifelten Lauf. Ich setzte meine letzten Kräfte ein, um in den Tunnel zu gelangen.

Im gleichen Moment, in dem ich den Eingang erreichte krachte die Konstruktion aus Stahl und übergroßen Bildschirmen mit einem ohrenbetäubenden Getöse zu Boden.

Ich spürte die Erschütterung durch die Sohlen meiner Schuhe. Eine dichte Staubwolke schoss in den Tunnel. Hustend und nach Luft ringend lehne ich mich mit dem Rücken an die Wand, die Armbeuge vor den Mund gepresst. Nur mühsam konnte ich durch den Stoff meiner Jacke atmen.

Als der Staub sich etwas gelegt hatte schaute ich nach draußen. Genau dort, wo ich eben noch gestanden hatte war alles verwüstet. Der letzte noch unzerstörte Bildschirm explodierte. Glas, Funken und Elektronikteile flogen in alle Richtungen durch die Luft. Elektrische Entladungen zuckten an den Metallstreben entlang. Dann wurde es wieder ruhig.

Der aufgewirbelte Staub mischte sich mit dem schwarzen Rauch, der von dem Trümmerhaufen aufstieg.

Erst jetzt bemerkte ich wie meine Beine zitterten. Ich rutschte an der kühlen Wand entlang bis mein Hinterteil den Boden berührte.

Hatte sich denn heute alles gegen mich verschworen? Schon zum zweiten Mal war ich dem Tod nur knapp von der Schippe gesprungen. War das Pech? Oder etwa Glück, weil mich der Sensenmann schon zweimal verpasst hatte?

Ich konnte endlich wieder frei durchatmen. Mein rasender Pulsschlag beruhigte sich ein wenig. Ich blieb noch eine Weile sitzen, um neue Kräfte zu sammeln, dann rappelte ich mich wieder auf. Noch immer ein wenig wacklig auf den Beinen, die Pistole in der rechten Hand, machte ich mich daran, das Innere des Tunnels zu erkunden.

Nachdem ich an der schaukelnden Leuchtstoffröhre vorbei war umfing mich tiefste Dunkelheit. Vorsichtig tastete ich mich weiter. Nach einigen Schritten machte ich einen matten Lichtschein aus. Leise schlich ich darauf zu.

Ich kam zu einer Kreuzung. Der Gang zu meiner linken war schwach erleuchtet. Die Entscheidung fiel mir nicht schwer. Hier würde ich mich zuerst umsehen.

Duschen, Toilette, Umkleideraum für die Spieler und eine Abstellkammer.

Ich konnte mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass es im gegenüber liegenden Gang nicht anders aussah. Da ich hier nichts Brauchbares gefunden hatte konnte ich mir eine Suche in der Dunkelheit wohl sparen. Ich tastete mich weiter den Hauptgang entlang. Mein Glück, dass ich nur im Schneckentempo vorankam, sonst wäre ich vor die Schwingtür geknallt, die mir plötzlich den Weg versperrte. Als ich hindurch ging änderte sich die Geräuschkulisse. Ich musste einen großen Raum betreten haben. Einen Gemeinschaftsraum, eine Empfangshalle oder so was. Meine Schritte hallten dumpf von den weit entfernten Wänden zurück.

Ich tastete über die Flächen neben der Tür und fand einen Schalter. Ein tiefes Brummen ertönte. Für eine Sekunde flammte eine Leuchtplatte an der hohen Decke auf. Es gab einen Knall und das Teil explodierte. Ich hörte wie die Glassplitter auf den Boden rieselten. Der unerwartete Lichtblitz hatte mich zwar geblendet, aber in der knappen Sekunde hatte ich erkennen können, dass ich mich wirklich in einer Halle befand.

Ich fragte mich, wo die Person geblieben war, die ich auf dem Spielfeld gesehen hatte.

Bei meiner Suche war mir niemand begegnet. Keine ungewöhnlichen Geräusche oder andere Anzeichen, dass außer mir jemand hier war.

Hatte der Spieler das Stadion schon längst verlassen? Lauerte hier etwa eines der Aliens? War er längst zu seinem Opfer geworden und mich erwartete ein ähnliches Schicksal?

Meine Gedanken überschlugen sich. Die wildesten Theorien schossen mir durch den Kopf.

In diesem Moment erfüllte wieder dieses Brummen die Luft. Eine Leuchtplatte am anderen Ende der Halle begann flackernd ihren Zweck zu erfüllen.

Genau vor mir zeichnete sich ein dunkler Schatten ab. Größer als ich, mit bizarren, eindeutig nicht menschlichen Konturen, eine Extremität erhoben, um auf mich einzuschlagen. Noch eine Art von Alien?

Reflexartig ruckte meine Rechte mit der Waffe nach oben. Ich ignorierte den Schmerz in meiner linken Schuler und umklammerte die Knarre mit beiden Händen. Mein Zeigefinger berührte den Abzug. Ich zielte und schoss.