Impressum
© 1976/2021 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-96688-144-9
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Sie versuchen die Schiffbrüchigen zu retten – aber für die Arwenacks beginnen die Tage der Hinterlist
Jeder Stoß, jedes Knirschen und Krachen aus den Laderäumen und das grauenhafte Geräusch, mit dem der Kiel auf den Felsen zermalmt wurde, bedeuteten für Schipper Jens van Aacheren ein Stück Tod. Sein Schiff, voller kostbarer Gewürze und wertvoller Ladung, zerbrach Stück um Stück. Die „Wilhelm“ wurde zum Wrack. Und vierzig Männer mußten sterben. Holland lag unendlich fern, und der Tod war näher als je zuvor in seinem Leben. Beim nächsten Stoß, der das gestrandete Schiff erschütterte, erwachten die Lebensgeister des Kapitäns. Er durfte nicht aufgeben, er, Jens, gab nie auf. Er würde bis zum letzten Augenblick kämpfen. Für sein Schiff, seinen Reichtum und seine Crew würde er gegen jeden und alles kämpfen …
Jens van Aacheren – der Kapitän der „Wilhelm van Oranien“ erleidet Schiffbruch, aber er gibt nicht auf.
Edwin Carberry – gerät mit sechs Arwenacks an einen Brunnen der Eingeborenen – und Minuten später fallen alle sieben Mann um.
Clint Wingfield – der Moses der Arwenacks ist nicht nur ein pfiffiges Kerlchen, sondern übt auch kluge Zurückhaltung, wenn es brenzlig wird.
Philip Hasard Killigrew – leistet großzügig Hilfe und wird dann bitter enttäuscht.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitän Jens van Aacheren stieß einen lauten Fluch aus, aber der heulende Sturm riß ihm die Worte von den Lippen. Wieder fühlte er durch die Planken des Achterdecks, wie der Kiel zitterte und sich durchzubiegen schien, wie einzelne Planken brachen und die Erschütterungen die Fleute vom Ruder bis zum Vorsteven schüttelten.
Nur ein einziger Gedanke ging immer wieder wie eine Beschwörung durch seine Gedanken: So schnell bricht ein gutes Schiff nicht auseinander!
Und die „Wilhelm van Oranien“ war ein verdammt gutes Schiff. Sie war an zwei Stellen aufs Riff aufgekommen, und auch die letzte Flut hatte sie nicht heben können. Seit Stunden wütete dieser grauenhafte Sturm.
Jens van Aacheren hoffte inbrünstig, daß aus der nächtlichen, von Blitzen flackernd erhellten Finsternis eine riesige Woge heranrauschen und das gequälte Schiff von den Felsen schieben würde. Langsam in die Höhe und dann mit einem Schwung ins freie Wasser, das keine zwei Kabellängen entfernt war.
Jens klammerte sich an die Pfosten des Schotts. Sie hatten schon zwei Geschütze an Deck gemannt und über Bord gekippt. Nichts half, die Fleute saß fest, legte nach Backbord und Steuerbord über, schüttelte sich und krachte, und ab und zu setzte sie mit der vorderen Hälfte hart auf die knirschenden Felsen. Jedesmal gingen Geräusche und Erschütterungen durch den bauchigen Rumpf, als treibe man mit dem Hammer einen Nagel durch die Hirnschale der Seeleute.
Neununddreißig Männer schufteten seit Stunden an Deck und in allen Laderäumen bis hinunter zur stinkenden Bilge.
„Jan!“ schrie der Kapitän. „Wie sieht es aus? Schafft ihr’s?“
Der Schiffszimmermann, der Plankenstücke und Bretter unter den linken Arm geklemmt hatte und sich an einer Leine quer über das Deck hangelte, schüttelte den Kopf. Auch seine Antwort war kaum zu verstehen.
„Am meisten nutzt jetzt das Lenzen!“ brüllte er.
Wieder rollte ein gewaltiger Donnerschlag über die weite Bucht. Der Zimmermann tappte weiter und enterte einen Niedergang ab.
Ununterbrochen arbeiteten die Lenzpumpen. Aus mindestens einem Dutzend kleiner und großer Lecks tropfte, sickerte und lief Wasser ins Schiff, oder es schoß im dicken Strahl in eins der unteren Decks.
Lasten schwammen auf und behinderten die Männer. Das steigende Wasser erreichte die Ölfunzeln, löschte die Flammen und kippte die Behälter um. Bilgenwasser, Seewasser, Dreck und Öl bildeten eine Brühe, in der die Seeleute versuchten, die Risse in den Planken und die aufgebrochenen Fugen auszubessern und zu verschließen.
Wieder packte ein Brecher das Schiff von Backbord, gischtete an den Planken in die Höhe, brach über dem Schanzkleid zusammen und schoß gurgelnd und schäumend über die Kuhl.
Die Fleute legte sich nach Steuerbord über. Bedrohlich schwankten die Masten, aber das stehende Gut hatte bisher noch am besten durchgehalten. Die Wanten schwangen peitschend hin und her und wirkten im kurzen, kreidigen Licht des nächsten Blitzes wie Spinnweben.
Der Sturm jaulte und kreischte von Nordwesten heran und brach sich am auslaufenden Felskamm der Insel. Er verwandelte die Zacken der Felsen, in denen sich der Kamm unter der Wasserlinie fortsetzte, in kleine Zonen aus nassem Gestein und weißem Schaum, aus dem die Brecher in riesigen Fontänen senkrecht in die Dunkelheit geschleudert wurden. Regen hämmerte auf die Planken, die Schauer wurden umhergewirbelt und prasselten nacheinander aus unterschiedlichen Richtungen gegen Bordwand und Aufbauten.
Jeder Mann an Bord, sowohl die elf Mann der untergegangenen „Harlingen“ als auch die neunundzwanzig Seeleute der „Wilhelm van Oranien“ schufteten weiter, ohne sich um das tobende Gewitter zu kümmern. An mehreren Stellen des Schiffes dröhnten Hammerschläge, oft lauter als das Krachen, mit dem die Wellen gegen die Planken, den Bug und das Heck schmetterten.
„Es hilft nur eins“, murmelte der Kapitän, als er mit der brennenden Funzel in der linken Hand durch die Luke ins Deck unter seiner Kammer kletterte. „Weiter schuften. Bis zum bitteren Ende.“
Er fügte einen langen holländischen Fluch hinzu und lauschte auf das Gurgeln des eindringenden Wassers.
Das Gewitter mit Regen und Sturm, mit aufgewühlten Wellen und dem mahlenden Knirschen von Kiel und Planken auf Stein und Korallen schien nicht enden zu wollen. Jens van Aacheren fühlte, als er sich unter Deck befand und der Lärm des Sturms leiser wurde, wie das Schiff stöhnte und ächzte. Und in jeder dieser drohenden Geräusche mischte sich das Hämmern und Sägen der Seeleute und das Klopfen und Zischen der Lenzpumpe.
Unter den Decksplanken breitete sich ein Geruch aus, der schwindelerregend war. Es stank nach Gewürzen, die sich im Seewasser verteilten und auflösten.
Ab und zu enterte ein Seemann an Deck, um Luft zu schnappen. Ein halbes Dutzend Niederländer stand im peitschenden, warmen Regen, hustete würgend und holte fast stöhnend Luft.
Wieder zeigte ein Blitz ringsum das aufgewühlte Meer. Jede riesige Welle trug eine weiße Schaumkrone, die der Sturm fast waagerecht wegschleuderte. Plötzlich schien der Sturm nachzulassen oder gar aufzuhören. Eine seltsame Ruhe breitete sich aus, und als das Summen in den Ohren leiser wurde, hoben die Seeleute die Köpfe und warteten. Sie wußten nicht, auf was, aber sie fühlten, daß in der Finsternis etwas lauerte, das sie umbringen und die Fleute zertrümmern konnte.
Ein leises Rauschen war zu hören, ein Winseln, dann wuchs das Geräusch an. Ein ferner Donnerschlag rollte durch die Luft. Das brausende Rauschen wurde lauter, und noch ehe die Seeleute begriffen, was ihnen drohte, wurde das Heck der Fleute in die Höhe gestaucht. Dann schoß das Schiff nahezu senkrecht vom Felsen, der Bug hob sich wieder, und eine unwiderstehliche Kraft schleuderte die Fleute voraus in die Dunkelheit. Die Masten schwankten, das Ruderblatt wurde hin und her gerissen, der Bug senkte sich.
Joop Horn, der Erste, brüllte durch das Knarren und Zischen: „Wir sind frei! Die ‚Wilhelm‘ ist vom Riff freigekommen!“
„Ich gehe ans Ruder!“ schrie Piet Bloom, der Profos, der neben dem achterlichen Niedergang stand und ein Spanntau umklammerte. „Sonst schlagen wir quer!“
Er hastete, so gut es auf den nassen, glitschigen Planken ging, zum Kolderstock und packte zu. Das Ruderblatt stellte sich mittschiffs, und die Wucht der riesigen Welle, auf deren Kamm die Fleute wie ein bockendes Pferd ritt, schob den Rumpf des Schiffes in die Dunkelheit.
Der Kapitän enterte wieder auf, ließ beinahe die Funzel fallen und rammte mit der Schulter schwer gegen einen Decksbalken.
„Was ist los? Ist jemand am …“, brüllte er.
„Ich bin am Ruder!“ rief der Profos. „Wir sind vom Riff!“
„Habe ich gemerkt. Also doch ein Wunder!“ rief Jens van Aacheren.
Er hob die Schultern und versuchte, in der aufgewühlten See irgend etwas zu erkennen, aber im flackernden Licht der Hecklaterne sah er nur die weißen Gischtstreifen. Der nächste Blitz zeigte wenigstens, daß sich in unmittelbarer Nähe der Fleute kein Land befand und das Schiff durch tiefes Wasser jagte.
„Wird sich zeigen, Schipper!“ rief der Profos. „Ich bleibe hier, bis mich der Rudergänger endlich abgelöst hat.“
„Schon gut. Wir versuchen, die Fock zu setzen. Wir müssen auf Kurs bleiben.“
„Aye, aye, Schipper.“ Der Profos stemmte sich gegen die Hebelkräfte.
Die „Wilhelm van Oranien“ krängte in beängstigender Schnelligkeit nach Backbord und Steuerbord, hob und senkte den Bug und schoß durch die Wellen. Die riesige Woge, die das Schiff vom Riff gerissen hatte, schien sich in der Dünung aufgelöst zu haben, von der die Fleute sacht gehoben und ins Wellental abgesenkt wurde. Der Kapitän und eine Handvoll Seeleute setzten das Focksegel. Sie hatten beträchtliche Schwierigkeiten.
Daß die Fleute frei schwamm, war das beste Zeichen, daß die Seeleute erwarten konnten, aber der Umstand änderte nichts daran, daß unter Deck unaufhaltsam das Wasser kletterte.
„Vielleicht finden wir noch in der Nacht einen flachen Strand!“ brüllte Peer Jordaan, der Bootsmann. „Es sind so viele Inseln um uns herum, daß es schon mit dem Satan zugehen müßte.“
An den Schwengeln der Lenzpumpe arbeitete jetzt die dritte Ablösung. Wieder wurden die Strahlen, die aus dem Rohr aus Holz und Lederbälgen schoß, dick wie ein Männerschenkel. Rochus van Traa und Jan Laan, die Schiffszimmerleute der Fleuten, hatten einige Lecks, noch über der Wasserlinie, gut abdichten können. Werg, Leinwand und mühsam erhitztes Pech waren mit Plankenstücken und Kanthölzern festgenagelt und mit Spieren gegen Innenhölzer und Spanten verkeilt worden. Aber unverändert drang entlang des Kiels und in der Bilge Wasser ins Schiff.
In einigermaßen ruhigem Wasser würden die Schiffbrüchigen der „Harlingen“ und die Crew der „Wilhelm“ versucht haben, die Lecks von außen mit Segeltuch und dünnen Platten aus Blei abzudichten. Im Sturm war nicht daran zu denken.
Die Männer nagelten und zimmerten Platten zusammen, preßten sie mit Gewalt unter den schwappenden Wasserspiegel und schoben sie an die Stellen, an der sie, tauchend oder mit ausgestreckten Armen, die Bruchstellen der Lecks ertastet hatten. Die Platten schwammen wieder in die Höhe, wurden zur Seite gedrückt, wirbelten durch das Wasser und aus den Händen der fluchenden Holländer.
Das Wasser stieg nicht mit rasender Schnelligkeit, sondern bösartig langsam. Von Zeit zu Zeit schwemmte der unberechenbare Sog eine Seekiste heran, die mit der Ecke gegen die Brust oder den Rücken eines Seemannes prallte und ihn unter Wasser drückte. Das Schiff lag vier oder fünf Fuß zu tief in den Wellen, und jede Bewegung des bauchigen Rumpfes war schwerfällig geworden.
Die Fock stand prall im achterlichen Wind. Die Fleute gehorchte dem Steuer und trieb durch die Dunkelheit. Noch immer tobte das Gewitter zwischen den Inseln und schien sich nicht weiterzubewegen. Aber die größte Wut war vorbei, die Blitze und die furchtbaren Donnerschläge spalteten seltener die Dunkelheit. Auch die Höhe der Wellen hatte abgenommen.
Kapitän Jens van Aacheren, der Profos und der Erste blieben an Deck und am Ruder. Der Erste schaffte es endlich, den Docht der Hecklaterne höher zu drehen und die Buglaterne anzuzünden. Ein drittes und viertes Licht hängte er in die Wanten des Großmastes. Jetzt waren die Männer an Deck nicht mehr so hilflos, wenn sie aus den Laderäumen heraufkamen, um sich zu erholen.
„Ich kann nur hoffen“, rief der Profos, „daß wir nicht in einer Stunde auf das nächste Riff krachen!“
„Wir suchen eine Bucht, in der wir die ‚Wilhelm‘ auf sandigen Grund setzen und kippen können“, antwortete der Kapitän. „Die Ladung ist wahrscheinlich hin. Die guten, teuren Gewürze!“
Joop Hoorn, dem das Wasser aus dem grauen Kinnbart lief, schüttelte den Kopf, als er mühsam auf das Achterdeck stieg.
„Wahrscheinlich ist nicht die gesamte Ladung verdorben, Schipper“, sagte er. „Aber wie auch immer – der Schaden ist groß. Ich glaube, die ‚Wilhelm‘ tut es nicht mehr lange.“
„Sie muß durchhalten!“ rief van Aacheren.
Unter den Decksplanken sah es weniger hoffnungsvoll aus. Rund drei Dutzend Niederländer waren an fünfzehn Stellen verteilt und versuchten, die Schäden auszubessern. Sie wußten nicht mehr, wie viele Fugen und Stöße aufgebrochen waren. Das Wasser drang an vielen Stellen ein, die Lenzpumpe schaffte es längst nicht mehr, die Menge des Seewassers wieder über Bord zu befördern.
Die Wellen brachen sich hart an den Planken, am Bug und der Gillung. Jeder Schlag erschütterte die Fleute aufs neue, und jede einzelne Planke schien zu knarren und zu splittern. Ein grausiger Chor von Geräuschen der Zerstörung begleitete die Fahrt der „Wilhelm van Oranien“ durch die zweite Hälfte der Nacht.
Das Licht aus den Wanten zeigte die Zerstörung an Deck. Leinen waren gebrochen, an vier Stellen war das Schanzkleid eingedrückt und zersplittert, und der Kapitän wußte, daß einige Teile der Rüsten schwer beschädigt waren. Piet Bloom hielt, ohne zu wissen, in welche Richtung und über welchem Grund die Fleute dahinschoß, die „Wilhelm“ auf geradem Kurs.
Jens van Aacheren drehte die Sanduhr um und rechnete kurz. Noch vier Stunden bis zur Morgendämmerung, eine Wache lang. Backbord voraus lag eine kleine Insel. Als ein riesiger Blitz aufleuchtete und ein Drittel des Himmels ausfüllte, sahen Jens und Piet Bloom die schwarze, dreieckige Silhouette etwa drei Seemeilen voraus.
Eine böse Ahnung packte Profos und Kapitän. Sie rechneten mit weiteren Klippen, Untiefen oder Riffen zwischen den Inseln. Die gewaltige Menge Wasser, die im Schiff hin und her schwappte, schlug krachend gegen die Planken und Spanten, und bei jedem Schlag, mit dem ein schwerer Teil der Ladung oder des Ballastes gegen das knarrende Holz prallte, zuckten die Holländer zusammen.
Drei Stunden lang änderte sich nichts zwischen Kiel und Masttopp der „Wilhelm“. Die Männer schufteten verbissen weiter und glaubten, daß sich für jedes Leck, das sie beseitigten, an anderer Stelle ein neues öffnete. Sie glaubten, das Schiff falle langsam auseinander, Stück um Stück. Aber die Fleute brach nicht. Sie arbeitete sich schwerfällig durch die Wellen, sank tiefer ein, bewegte sich schwerfälliger, legte weit über und blieb viel zu lange in dieser Stellung, bis sich die Masten wieder aufrichteten.
Rochus van Traa tauchte plötzlich im Licht auf. Dreck und Öl liefen in breiten Rinnsalen an seinem Körper hinunter. Übelriechende Tropfen fielen aus dem Vollbart.
„Aussichtslos, Jens!“ schrie er, nachdem er frische Luft in seine Lungen gepumpt und lange würgend gehustet hatte. „Zu viele Lecks. Keine großen Lecks über der Wasserlinie, aber wahrscheinlich in der Bilge.“
„Ich suche eine Bucht!“ rief der Kapitän und versuchte, sich selbst zu beruhigen. „Aber bei der verdammten Dunkelheit ist nichts zu erkennen. Dort drüben, an Backbord, ist eine Insel. Mehr weiß ich auch nicht.“
„Wenn man die Blitze braucht, hört das Gewitter auf“, maulte Joop Horn.
Der Kapitän hatte sich auf die Back vorgearbeitet und umklammerte ein Spanntau. Er versuchte, mit dem bloßen Auge und auch mit dem Kieker die Finsternis zu durchdringen, aber er konnte nur schäumende Wellen um den Vorsteven sehen. Als hätte der Himmel die Flüche gehört, flackerten in schneller Folge an Steuerbord achtern vier Blitze auf. Der Donner war nicht zu hören.
Wieder packte ein eisiger Schrecken den Kapitän. Wahrscheinlich erkannte nur er die Gefahr, in der Schiff und Crew schwebten.
An Steuerbord und Backbord tauchten für winzige Augenblicke, im grellen Licht scharf und drohend, schroffe Felswände auf. Die Fleute stampfte genau zwischen ihnen, an jeder Seite nicht mehr als eine Kabellänge Abstand, hindurch und auf einen dritten Schatten zu, der direkt voraus lag.
Der nächste Blitz ließ Gischt, die Brecher an den Felsen, treibende Äste und Tangfetzen an beiden Seiten des Schiffes erkennen. Der große Schatten zeigte sich wieder. Der Kapitän entdeckte direkt voraus, zwei Seemeilen entfernt, eine große Bucht und einen Halbkreis weißen Sandes. Blieb die Fleute auf Kurs, würde sie genau die Mitte der Bucht treffen.
Die beiden folgenden Blitze ließen mehr Einzelheiten sichtbar werden: Wald, Mangroven, die beiden Huks der Insel, und die Tatsache, daß die „Wilhelm“ die schroffen Felsbrocken hinter sich ließ. Die schäumenden Brecher verschwanden achteraus.
Jens van Aacheren atmete tief durch, dann klammerte er sich am Schanzkleid fest und tappte Schritt um Schritt zum Achterdeck.
„Land voraus“, sagte er mit deutlicher Erleichterung in der Stimme zu Rochus van Traa. „Zwei Meilen, nicht mehr.“
Der Zimmermann der „Harlingen“ starrte ihn ungläubig an. „Tatsächlich, Schipper?“
„Glaubst du, ich erfinde eine Insel, um euch Kerls zu beruhigen? Ich habe eine Bucht gesehen. Liegt genau voraus.“
„Herr im Himmel!“ rief van Traa. „Vielleicht schaffen wir es doch noch!“
Jens enterte den Niedergang auf, starrte in das schmutzige, unrasierte Gesicht des Profosen und in die leuchtend blauen Augen des Vierzigjährigen.
„Hör zu, Piet“, sagte er drängend. „Halte genau diesen Kurs. Rechts voraus liegt eine große Bucht. Scheint flach genug zu sein. Vielleicht schaffen wir es mit der vollgelaufenen Fleute bis hart an den Strand. Mehr weiß ich nicht, ich habe nicht mehr sehen können. Wir sind eben haarscharf dem Tod entwischt. Zwischen zwei Riffinseln durch, genau zwischen den Brechern und den Felsen.“
Piet Bloom, der gefürchtete Schläger an Bord, hatte aufmerksam und schweigend zugehört, ohne auch nur für einen Atemzug die Pranken von der Pinne zu nehmen. Jetzt nickte er langsam und erwiderte: „Hört sich an, als ob es für uns die Rettung sei, nicht wahr?“
Er grinste und sah zu, wie hinter Joop Hoorn eine Handvoll triefender, verdreckter Männer aus dem Bauch des Schiffes erschienen. Ein neuer Regenguß prasselte aufs Deck nieder.