»Amerikas Ikone« DIE ZEIT
Die wichtigsten Gedichte – neu übersetzt
Allen Ginsberg, die große Leitfigur der Beat Generation, gehört zu den bedeutendsten Dichtern der US-Literatur des 20. Jahrhunderts. Doch gleich sein erstes Gedicht »Howl« (»Geheul«) wurde verboten – so direkt hatte noch niemand über Drogen, Sex und Politik geschrieben. Wie sehr es sich lohnt, sich neu mit diesem großen poète maudit und seiner Lyrik zu beschäftigen, zeigen die Neuübersetzungen namhafter Lyrikerinnen und Lyriker, die den Originalen treu bleiben und zugleich vielschichtige Perspektiven auf ein Werk bieten, das die Welt verändert hat.
Neu übersetzt von Carolin Callies, Nora Gomringer, Alexander Graeff, Durs Grünbein, Caroline Hartge, Jonis Hartmann, Stefan Hyner, Anja Kampmann, Michael Kellner, Odile Kennel, Sibylle Klefinghaus, Georg Leß, Hans-Ulrich Möhring, Arne Rautenberg, Monika Rinck, Jürgen Schmidt, Clemens J. Setz, Michelle Steinbeck, Anke Stelling, Sibylla Vričić Hausmann und Ron Winkler.
Über Allen Ginsberg
Allen Ginsberg, geboren 1926 in Paterson, New Jersey, gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Beat Generation. Seine Texte landeten bei Erscheinen regelmäßig auf dem Index, allen voran sein berühmtestes Gedicht »Howl«. Für seinen Gedichtband »The Fall Of America« erhielt er den National Book Award, außerdem ist er Träger der Goldenen Medaille des National Arts Club. Für seinen Einfluss auf die Entwicklung der Literatur und künstlerischen Freiheit wurde er in die »American Academy and Institute of Arts and Letters« aufgenommen. Er starb 1997 in New York.
Michael Kellner ist ein deutscher Verleger, Buchhändler, literarischer Übersetzer und Fotograf und hat vor allem Texte aus der Beat-Literatur in Deutschland bekannt gemacht, deren Vertreter er persönlich kannte. Für seine Übersetzung des Briefwechsels zwischen Jack Kerouac und Allen Ginsberg »Ruhm tötet alles« erhielt er den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzungen.
Lyrik Poetry
Zweisprachige Ausgabe
Herausgegeben von Michael Kellner
Inhalt
8
The Bricklayer’s Lunch Hour
Maurers Mittagspause
Deutsch von Michael Kellner
10
The Trembling of the Veil
Das Zittern des Schleiers
Deutsch von Michael Kellner
12
The Shrouded Stranger
Der schattenhafte Fremde
Deutsch von Hans-Ulrich Möhring
14
The Green Automobile
Das Grüne Automobil
Deutsch von Caroline Hartge
24
Song
Lied
Deutsch von Anja Kampmann
28
On Burroughs’ Work
Zu Burroughs Werk
Deutsch von Georg Leß
30
Howl
Geheul
Deutsch von Clemens J. Setz
48
Footnote to Howl
Fußnote zum Geheul
Deutsch von Clemens J. Setz
50
A Supermarket in California
Ein Supermarkt in Kalifornien
Deutsch von Durs Grünbein
52
Sunflower Sutra
Das Sonnenblumen-Sutra
Deutsch von Stefan Hyner
56
America
Amerika
Deutsch von Jürgen Schmidt
62
Kaddish
Kaddisch
Deutsch von Monika Rinck
104
Message
Nachricht
Deutsch von Nora Gomringer
106
To Aunt Rose
Für Tante Rose
Deutsch von Michelle Steinbeck
110
The Change:
Kyoto-Tokyo Express
Die Veränderung:
Kyoto-Tokio-Express
Deutsch von Sibylle Klefinghaus
124
Kral Majales
Kral Majales
Deutsch von Durs Grünbein
128
Who Be Kind To
Gut sein zu wem
Deutsch von Anke Stelling
136
Wichita Vortex Sutra
Wichita Wirbel Sutra
Deutsch von Caroline Hartge
172
City Midnight Junk Strains
Mitternachtsstadtjunkklänge
Deutsch von Ron Winkler
178
Wales Visitation
Erscheinung in Wales
Deutsch von Jürgen Schmidt
184
Please Master
Bitte Herr
Deutsch von Alexander Graeff
188
On Neal’s Ashes
Auf Neals Asche
Deutsch von Durs Grünbein
190
Memory Gardens
Gärten der Erinnerung
Deutsch von Michael Kellner
200
Mind Breaths
Herz Atmungen
Deutsch von Stefan Hyner
206
Ego Confession
Ego-Geständnis
Deutsch von Odile Kennel
210
Don’t Grow Old
Werd bloß nicht alt
Deutsch von Arne Rautenberg
220
Plutonian Ode
Pluto-Ode
Deutsch von Jonis Hartmann
228
White Shroud
Weißes Leichentuch
Deutsch von Michael Kellner
236
Cosmopolitan Greetings
Kosmopolitische Grüße
Deutsch von Jonis Hartmann
240
Return of Kral Majales
Die Rückkehr des Maienkönigs
Deutsch von Michael Kellner
242
After Lalon
Frei nach Lalon
Deutsch von Carolin Callies
250
The Charnel Ground
Der Leichengrund
Deutsch von Michael Kellner und
Jürgen Schmidt
256
Death & Fame
Tod & Ruhm
Deutsch von Sibylla Vričič
Hausmann
262
Starry Rhymes
Sternenverse
Deutsch von Hans-Ulrich Möhring
Anhang
267
Die besten Köpfe einer
Generation
Von Michael Kellner
273
Anmerkungen
281
Die Übersetzerinnen und
Übersetzer
The Bricklayer’s Lunch Hour
Two bricklayers are setting the walls
of a cellar in a new dug out patch
of dirt behind an old house of wood
with brown gables grown over with ivy
on a shady street in Denver. It is noon
and one of them wanders off. The young
subordinate bricklayer sits idly for
a few minutes after eating a sandwich
and throwing away the paper bag. He
has on dungarees and is bare above
the waist; he has yellow hair and wears
a smudged but still bright red cap
on his head. He sits idly on top
of the wall on a ladder that is leaned
up between his spread thighs, his head
bent down, gazing uninterestedly at
the paper bag on the grass. He draws
his hand across his breast, and then
slowly rubs his knuckles across the
side of his chin, and rocks to and fro
on the wall. A small cat walks to him
along the top of the wall. He picks
it up, takes off his cap, and puts it
over the kitten’s body for a moment.
Meanwhile it is darkening as if to rain
and the wind on top of the trees in the
street comes through almost harshly.
Denver, Summer 1947
Maurers Mittagspause
Deutsch von
Michael Kellner
Zwei Maurer setzen die Wände
eines Kellers in eine frisch ausgehobenen
Grube hinter einem alten Holzhaus
mit braunen efeuüberwachsenen Giebeln
an einer schattigen Straße in Denver. Es ist Mittag
und der eine verdrückt sich. Der jüngere
Maurergehilfe sitzt träge ein paar
Minuten herum, nachdem er ein Sandwich gegessen
und die Papiertüte weggeworfen hat. Er
trägt Arbeitshosen und ist oberhalb
der Taille nackt; er hat aschblondes Haar und
eine schmutzige, aber immer noch leuchtend rote Kappe
auf dem Kopf. Er sitzt faul oben auf
der Mauer an einer Leiter, die
zwischen seinen Oberschenkeln aufragt, den Kopf
nach unten gebeugt, starrt gleichgültig auf
die Papiertüte im Gras. Er zieht
seine Hand quer über die Brust und reibt dann
langsam die Knöchel hin und her an
seinem Kinn, wiegt sich auf der Mauer
vor und zurück. Eine kleine Katze tapst
auf der Mauerkrone zu ihm hin. Er hebt
sie hoch, nimmt die Mütze ab und stülpt sie
einen Moment lang über das Kätzchen.
Inzwischen wird es dunkler, als gäbe es Regen
und der Wind über den Bäumen dieser
Straße frischt auf, wird fast heftig.
Denver, Sommer 1947
The Trembling of the Veil
Today out the window
the trees semed like live
organisms on the moon.
Each bough extended upward
covered at the north end
with leaves, like a green
hairy protuberance. I saw
the scarlet- and- pink shoot- tips
of budding leaves wave
delicately in the sunlight,
blown by the breeze,
all the arms of the trees
bending and straining downward
at once when the wind
pushed them.
Paterson, August 1948
Das Zittern des Schleiers
Deutsch von
Michael Kellner
Heut erscheinen die Bäume
vor dem Fenster wie lebende
Organismen auf dem Mond.
Jeder Zweig emporgereckt
am oberen Ende mit Blättern
bedeckt wie eine grüne
haarige Protuberanz. Ich sah
die scharlachrosa Spitzen der Triebe
aufkeimender Blätter winken
zart im Sonnenlicht,
vom Lufthauch bewegt,
all die Arme der Bäume
bogen und zerrten abwärts
auf einmal, als der Wind
sie drückte.
Paterson, August 1948
The Shrouded Stranger
Bare skin is my wrinkled sack
When hot Apollo humps my back
When Jack Frost grabs me in these rags
I wrap my legs with burlap bags
My flesh is cinder my face is snow
I walk the railroad to and fro
When the city streets are black and dead
The railroad embankment is my bed
I sup my soup from old tin cans
And take my sweets from little hands
In Tiger Alley near the jail
I steal away from the garbage pail
In darkest night where none can see
Down in the bowels of the factory
I sneak barefoot upon stone
Come and hear the old man groan
I hide and wait like a naked child
Under the bridge my heart goes wild
I scream at a fire on the river bank
I give my body to an old gas tank
I dream that I have burning hair
Boiled arms that claw the air
The torso of an iron king
And on my back a broken wing
Who’ll go out whoring into the night
On the eyeless road in the skinny moonlight
Maid or dowd or athlete proud
May wanton with me in the shroud
Who’ll come lie down in the dark with me
Belly to belly and knee to knee
Who’ll look into my hooded eye
Who’ll lie down under my darkened thigh?
New York, 1949- 1951
Der schattenhafte Fremde
Deutsch von
Hans-Ulrich Möhring
Schlaffhaut bloß deckt mein Gebein
Brennt Apoll heiß auf mich ein
Packt mich Jack Frost in diesen Lumpen
Schlag ich mir Säcke um die Stumpen
Mein Fleisch ist Asche mein Gesicht ist Schnee
Die Gleise auf und ab ich geh
Sind die Straßen öd und leer
Ist der Bahndamm mein Quartier
Ich löffele alte Dosen aus
Haben Kinder was Süßes komm ich und klau’s
In Tiger Alley beim Gefängnis
Mach um den Müll ich mein Begängnis
Nachts geschützt vor jedem Blick
Schleiche ich in der Fabrik
Barfuß auf dem Stein dem kalten
Hört ihn stöhnen dann den Alten
Ich hock im Versteck wie ein nackter Junge
Unter der Brücke macht mein Herz Sprünge
Ins Feuer am Fluss schrei ich ohne Sinn
Und geb dem Benzinkanister mich hin
Im Traum stehen meine Haare in Brand
Ich fuchtele wild mit verbrühter Hand
Hab den Rumpf eines eisernen Recken
Und gebrochene Flügel am Rücken
Wer hurt hinaus durch Nacht und Wind
Wenn die mondfahlen Straßen augenlos sind
Ob Jungfer ob Schlampe ob toller Hecht
Wer’s mit mir treibt der ist mir recht
Wer legt sich zu mir untern dunklen Strauch
Schenkel an Schenkel und Bauch an Bauch
Wer schaut ins verschattete Auge mein
Wer beugt sich im Dunkeln unter mein Bein?
New York, 1949–1951
The Green Automobile
If I had a Green Automobile
I’d go find my old companion
in his house on the Western ocean.
Ha! Ha! Ha! Ha! Ha!
I’d honk my horn at his manly gate,
inside his wife and three
children sprawl naked
on the living room floor.
He’d come running out
to my car full of heroic beer
and jump screaming at the wheel
for he is the greater driver.
We’d pilgrimage to the highest mount
of our earlier Rocky Mountain visions
laughing in each other’s arms,
delight surpassing the highest Rockies,
and after old agony, drunk with new years,
bounding toward the snowy horizon
blasting the dashboard with original bop
hot rod on the mountain
we’d batter up the cloudy highway
where angels of anxiety
careen through the trees
and scream out of the engine.
We’d burn all night on the jackpine peak
seen from Denver in the summer dark,
forestlike unnatural radiance
illuminating
the
mountaintop:
childhood youthtime age & eternity
would open like sweet trees
in the nights of another spring
and dumbfound us with love,
Das Grüne Automobil
Deutsch von
Caroline Hartge
Hätte ich ein Grünes Automobil,
ich machte mich auf den Weg zu meinem alten Gefährten
in seinem Haus am westlichen Ozean.
Ha! Ha! Ha! Ha! Ha!
Ich würde hupen vor seinem mannhaften Tor,
und drinnen lägen nackt hingestreckt
seine Frau und drei Kinder
auf dem Boden des Wohnzimmers.
Gleich käme er herausgerannt
an mein Auto voll heldischem Bier
und würde mit Aufschrei hinters Steuer springen,
denn der bessere Fahrer ist er.
Wallfahrten würden wir auf den höchsten Gipfel
unserer früheren Rocky-Mountains-Visionen,
uns lachend in den Armen liegen
und verzückt die höchsten Rockies überqueren
und nach alter Agonie, von neuen Jahren trunken,
dem Schneehorizont entgegenjagen,
das Armaturenbrett mit neuem Bop sprengen
frisierte Karre in den Bergen
wir würden die Wolkenstraße hochdonnern
an der die Engel der Angst
um die Bäume kurven
und aus dem Motor kreischen.
Bei den Kiefern auf dem Gipfel würden wir die ganze Nacht brennen,
in der Dunkelheit des Sommers von Denver aus zu sehen,
als waldig widernatürliche Strahlung,
die den Berggipfel erleuchtet:
Kindheit Jugendzeit Alter & Ewigkeit
würden sich wie liebliche Bäume
in den Nächten eines weitren Frühlings öffnen
und uns mit Liebe betören,
for we can see together
the beauty of souls
hidden like diamonds
in the clock of the world,
like Chinese magicians can
confound the immortals
with our intellectuality
hidden in the mist,
in the Green Automobile
which I have invented
imagined and visioned
on the roads of the world
more real than the engine
on a track in the desert
purer than Greyhound and
swifter than physical jetplane.
Denver! Denver! we’ll return
roaring across the City & County Building lawn
which catches the pure emerald flame
streaming in the wake of our auto.
This time we’ll buy up the city!
I cashed a great check in my skull bank
to found a miraculous college of the body
up on the bus terminal roof.
But first we’ll drive the stations of downtown,
poolhall flophouse jazzjoint jail
whorehouse down Folsom
to the darkest alleys of Larimer
paying respects to Denver’s father
lost on the railroad tracks,
stupor of wine and silence
hallowing the slum of his decades,
salute him and his saintly suitcase
of dark muscatel, drink
denn gemeinsam können wir
Seelenschönheit als Diamanten
erkennen,
verborgen
im Uhrwerk der Welt
chinesischen Zauberern gleich können wir
die Unsterblichen mit unserem
Verstand betören, verborgen
im
Nebeldunst,
in dem Grünen Automobil,
das ich erfunden habe,
mir ausgedacht und vorstellte
auf den Straßen der Welt,
greifbarer als ein Motor
auf einer Wüstenpiste,
reiner als ein Überlandbus und
schneller als ein echtes Düsenflugzeug.
Denver! Denver! Wir kommen wieder,
röhren quer durch die Stadt über den Rasen vorm County Building,
in dem sich die reine Smaragdflamme fängt,
die das Kielwasser unsres Autos verströmt.
Diesmal kaufen wir die Stadt auf!
In meiner Schädelbank löse ich einen dicken Scheck ein,
um oben auf dem Dach des Busbahnhofs
ein wundersames Körpercollege zu begründen.
Aber zuerst klappern wir die Schauplätze in der Innenstadt ab,
Billardhalle Absteige Jazzkneipe Knast
das Hurenhaus unten an der Folsom Street
die finstersten Gassen am Larimer Square
statten dem Vater in Denver einen Besuch ab,
der im Tran aus Wein und Schweigen
auf den Bahngleisen abhandenkam, und
grüßen den Slum seiner Jahrzehnte,
begrüßen ihn und seinen heiligen Koffer
voll dunklem Muskateller, trinken
and smash the sweet bottles
on Diesels in allegiance.
Then we go driving drunk on boulevards
where armies march and still parade
staggering under the invisible
banner
of
Reality—
hurtling through the street
in the auto of our fate
we share an archangelic cigarette
and tell each other’s fortunes:
fames of supernatural illumination,
bleak rainy gaps of time,
great art learned in desolation
and we beat apart after six decades . . .
and on an asphalt crossroad,
deal with each other in princely
gentleness once more, recalling
famous dead talks of other cities.
The windshield’s full of tears,
rain wets our naked breasts,
we kneel together in the shade
amid the traffic of night in paradise
and now renew the solitary vow
we made each other take
in Texas, once:
I can’t inscribe here. . . .
• • • • • •
• • • • • •
How many Saturday nights will be
made drunken by this legend?
How will young Denver come to mourn
her forgotten sexual angel?
How many boys will strike the black piano
in imitation of the excess of a native saint?
und zerschmettern die süßen Flaschen
auf Dieseln als Treueschwur.
Dann fahren wir betrunken über die Boulevards,
wo Armeen marschieren und immer noch paradieren
und unter dem unsichtbaren Banner
der Wirklichkeit aus dem Tritt geraten –
im Auto unseres Schicksals
jagen wir durch die Straßen,
teilen uns eine Zigarette wie die Erzengel
und sagen einander die Zukunft voraus:
Ruhmreichtum bei übernatürlicher Beleuchtung,
trostlose Regenlöcher der Zeit,
große Kunst, in der Ödnis erlernt,
und sechs Jahrzehnte später sind wir entzweit …
und an einer asphaltierten Kreuzung
haben wir in fürstlicher Sanftmut
noch einmal miteinander zu tun, entsinnen uns
berühmter im Sande verlaufener Gespräche in anderen Städten.
Die Windschutzscheibe ist tränenüberströmt,
Regen nässt uns die nackte Brust,
und zusammen knien wir im Schatten
mitten im Verkehr der paradiesischen Nacht
und erneuern jetzt den einzigartigen Schwur,
den wir einander einmal
in Texas abgenommen haben und
den ich hier nicht aufschreiben kann …
• • • • • •
• • • • • •
Wie viele Samstagnächte werden
von dieser Legende betrunken gemacht?
Wie wird schließlich das junge Denver
seinen vergessenen Sexengel beweinen?
Wie viele Jungs hämmern ein auf schwarze Klaviere,
spüren den Exzessen eines hiesigen Heiligen nach?
Or girls fall wanton under his spectre in the high
schools of melancholy night?
While all the time in Eternity
in the wan light of this poem’s radio
we’ll sit behind forgotten shades
hearkening the lost jazz of all Saturdays.
Neal, we’ll be real heroes now
in a war between our cocks and time:
let’s be the angels of the world’s desire
and take the world to bed with us before we die.
Sleeping alone, or with companion,
girl or fairy sheep or dream,
I’ll fail of lacklove, you, satiety:
all men fall, our fathers fell before,
but resurrecting that lost flesh
is but a moment’s work of mind:
an ageless monument to love
in
the
imagination:
memorial built out of our own bodies
consumed by the invisible poem—
We’ll shudder in Denver and endure
though blood and wrinkles blind our eyes.
So this Green Automobile:
I give you in flight
a present, a present
from
my
imagination.
We will go riding
over
the
Rockies,
we’ll go on riding
all night long until dawn,
then back to your railroad, the SP
your house and your children
and broken leg destiny
you’ll ride down the plains
Wie viele Mädchen werden lüstern vor seinem Gespenst
in den Highschools der schwermütigen Nacht?
Ewig lang, die ganze Zeit sitzen wir
im schwachen Licht dieses Radiogedichts
hinter vergessenen Jalousien
und lauschen allem verlorenen Samstagsjazz.
Neal, jetzt werden wir echte Helden,
in dem Krieg zwischen unsren Schwänzen und der Zeit:
lass uns die Engel des Begehrens der Welt sein
und ehe wir sterben die Welt mit uns ins Bett nehmen.
Im Schlaf allein, oder mit einem Gefährten,
Mädchen oder Märchenschaf oder Traum,
ich werde an Liebesmangel scheitern und du an Überdruss:
alle Menschen fallen, und vor uns fielen unsere Väter,
doch das verlorene Fleisch zur Wiederauferstehung zu rufen
ist nur ein Augenblick geistiger Arbeit,
ein zeitloses Monument der Liebe
in unserer Einbildung:
ein aus unsern Leibern errichtetes Denkmal,
verzehrt vom unsichtbaren Gedicht –
in Denver werden wir erschaudern und widerstehen,
auch wenn uns Blut und Falten die Augen schließen.
Deshalb dies Grüne Automobil:
so mache ich dir im Fluge
ein Geschenk, ein Geschenk
aus meiner Einbildung.
Wir fahren weiter
über die Rockies,
wir fahren weiter
durch die ganze Nacht dahin, bis der Morgen graut,
dann zurück zu deiner Eisenbahn, der SP,
1
deinem Haus und deinen Kindern
deinem gebrochenem Bein, deinem Schicksal
fährst du am Morgen
in the morning: and back
to my visions, my office
and eastern apartment
I’ll return to New York.
New York, May 22–25, 1953
die Ebene hinunter: und zurück
zu meinen Visionen, meinem Büro
meiner östlichen Wohnung
kehr ich nach New York.
New York, 22.–25. Mai 1953
Song
The weight of the world
is
love.
Under the burden
of
solitude,
under the burden
of dissatisfaction
the
weight,
the weight we carry
is
love.
Who can deny?
In dreams
it touches
the
body,
in thought
constructs
a miracle,
in
imagination
anguishes
till
born
in human—
looks out of the heart
burning
with
purity—
for the burden of life
is
love,
but we carry the weight
wearily,
and so must rest
in the arms of love
at last,
must rest in the arms
of
love.
No rest
without
love,
no sleep
without
dreams
Lied
Deutsch von
Anja Kampmann
Das Gewicht der Welt
ist
Liebe.
Unter der Last
der
Einsamkeit,
unter der Last
der
Unzufriedenheit
ist das Gewicht,
das Gewicht, das wir tragen,
Liebe.
Wer könnte es abstreiten?
In
Träumen
berührt sie
den
Körper,
in Gedanken
schafft
sie
Wunder,
in der Phantasie
ist sie quälend,
bis sie zur Welt kommt
im Menschlichen –
blickt aus dem Herzen
brennend vor Klarheit –
denn auch die Bürde des Lebens
ist
Liebe,
doch wir schleppen das Gewicht
müde
und müssen also ausruhen
in den Armen der Liebe
schließlich,
müssen ausruhen in den Armen
der
Liebe.
Kein Ausruhen
ohne
Liebe,
kein Schlaf
ohne den Traum
of love—
be mad or chill
obsessed with angels
or machines,
the final wish
is
love
— cannot be bitter,
cannot deny,
cannot withhold
if denied:
the weight is too heavy
— must give
for no return
as
thought
is given
in
solitude
in all the excellence
of
its
excess.
The warm bodies
shine together
in the darkness,
the
hand
moves
to the center
of
the
flesh,
the skin trembles
in
happiness
and the soul comes
joyful to the eye—
yes, yes,
that’s
what
I wanted,
I
always
wanted,
I always wanted,
to return
to the body
where I was born.
San Jose, 1954
von Liebe –
nah am Wahnsinn oder unterkühlt
besessen von Engeln
oder
Maschinen,
der größte Wunsch
ist
Liebe
– niemals bitter,
nicht zu verneinen,
nicht zu unterdrücken,
falls doch verneint:
das Gewicht ist zu schwer
– ihm nachgeben
ohne Zurück,
so wie Gedanken
steigen
aus der Einsamkeit
in all ihrer Genauigkeit
und ihrem Übermaß.
Die warmen Körper
strahlen
zusammen
in der Dunkelheit,
die Hand berührt
den Mittelpunkt
des
Fleischs,
die Haut bebt
vor
Glück
und die Seele steigt
froh hinauf ins Auge –
ja, ja,
das ist, was
ich wollte,
ich immer wollte,
ich immer wollte,
zurückkehren
zu diesem Körper,
der mich gebar.
San José, 1954
On Burroughs’ Work
The method must be purest meat
and no symbolic dressing,
actual visions & actual prisons
as seen then and now.
Prisons and visions presented
with rare descriptions
corresponding exactly to those
of
Alcatraz
and
Rose.
A naked lunch is natural to us,
we eat reality sandwiches.
But allegories are so much lettuce.
Don’t hide the madness.
San Jose, 1954
Zu Burroughs Werk
Deutsch von
Georg Leß
Die Zubereitung sei das reinste Fleisch
und nicht mariniert in Symbolik,
echte Erkenntnis & echtes Gefängnis,
damals offenbar wie heute.
Gefängnis und Erkenntnis schildern
als blutige Präsentationen
entsprechen exakt denen
von Alcatraz und Rose.
Ein Nacktmahl ist unsrer Natur gemäß,
wir essen Brot mit Realität belegt.
Allegorien bilden so viel Blattsalat.
Verdeck nicht den Wahn.
San José, 1954
5
10
15
20
25
30
35
Howl
For Carl Solomon
I
I saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving
hysterical naked,
dragging themselves through the negro streets at dawn looking for an
angry fix,
angelheaded hipsters burning for the ancient heavenly connection to
the starry dynamo in the machinery of night,
who poverty and tatters and hollow- eyed and high sat up smoking in
the supernatural darkness of cold- water flats floating across the
tops of cities contemplating jazz,
who bared their brains to Heaven under the El and saw Mohammedan
angels staggering on tenement roofs illuminated,
who passed through universities with radiant cool eyes hallucinating
Arkansas and Blake- light tragedy among the scholars of war,
who were expelled from the academies for crazy & publishing obscene
odes on the windows of the skull,
who cowered in unshaven rooms in underwear, burning their money
in wastebaskets and listening to the Terror through the wall,
who got busted in their pubic beards returning through Laredo with a
belt of marijuana for New York,
who ate fire in paint hotels or drank turpentine in Paradise Alley,
death, or purgatoried their torsos night after night
with dreams, with drugs, with waking nightmares, alcohol and cock
and endless balls,
incomparable blind streets of shuddering cloud and lightning in the
mind leaping toward poles of Canada & Paterson, illuminating
all the motionless world of Time between,
Peyote solidities of halls, backyard green tree cemetery dawns, wine
drunkenness over the rooftops, storefront boroughs of tea-
head joyride neon blinking traffic light, sun and moon and
tree vibrations in the roaring winter dusks of Brooklyn, ashcan
rantings and kind king light of mind,
who chained themselves to subways for the endless ride from Battery
to holy Bronx on benzedrine until the noise of wheels and
children brought them down shuddering mouth- wracked and
battered bleak of brain all drained of brilliance in the drear
light of Zoo,
5
10
15
20
25
30
Geheul
Deutsch von
Clemens J. Setz
Für Carl Solomon
I
Ich sah die besten Köpfe meiner Generation, zerstört von Wahnsinn, hungernd
hysterisch und nackt,
in der Dämmerung durch die Schwarzenviertel ziehen, auf der Suche nach
einem elenden Schuss,
Hipster mit Engelsköpfen, hoffend auf die uralte himmlische Verbindung mit
dem großen Dynamo in der Maschinerie der Sternennacht,
die Armut und zittern und hohläugig und high in der übernatürlichen Dunkel-
heit von Kaltwasser-Wohnungen saßen im Schwebflug über die Städte
hinweg die Gedanken kreisend um Jazz,
die ihre Gehirne dem Himmel offenbarten unter der Hochbahn und mohame-
danische Engel vorbeistelzen sahen erleuchtet auf Wohnhausdächern,
die durch die Universitäten glitten mit strahlenden kühlen Augen voll halluzi-
niertem Arkansas und Tragödien durchglüht vom Licht aus Blake, um-
geben von Gelehrten des Krieges,
die aus den Akademien geschmissen wurden weil geisteskrank & weil obszöne
Oden veröffentlicht auf den Schaukästen des Schädels,
die in unrasierten Zimmern kauerten, in Unterhosen, und ihr Geld in Müllei-
mern verbrannten während durch die Wand das Geräusch des Grauens
drang,
die verhaftet wurden in vollen Schamhaarbärten bei der Grenzkontrolle in
Laredo um die Hüften einen Gürtel Marihuana für New York,
die Feuer schluckten in Künstlerabsteigen oder Terpentin tranken in Paradise
Alley
2
, ihren Tod, oder ihren Oberkörper jede Nacht ins Purgatorium
tauchten
mit Träumen, mit Drogen, mit Wach-Albträumen, mit Alkohol und Schwanz
und endlosem Spaß,
unvergleichliche Sackgassen voll schaudernden Schwaden und Blitzen im Geist,
die übergriffen auf Telegrafenmaste in Kanada & Paterson, und all die
dazwischenliegende reglose Welt der Zeit ward erhellt,
Peyote-satte Korridore, hinterhof-grüner Baum Friedhof im Dämmerlicht,
Weinbesäufnisse über Hausdächern, Einkaufsviertel der Kif-
fer-Spritztouren und Neon blinkten die Ampeln, Sonne und Mond und
Bäume vibrierten im brüllenden Winterabendlicht von Brooklyn, end-
lose Vorträge vor Mülltonnen und gütig königlichem Geist
3
,
die sich amphetaminhigh an U-Bahnen ketteten für die ewige Fahrt von Battery
Park bis heiliger Bronx bis das Geräusch der Räder und Kinder sie beru-
40
45
50
55
60
65
70
75
who sank all night in submarine light of Bickford’s floated out and sat
through the stale beer afternoon in desolate Fugazzi’s, listen-
ing to the crack of doom on the hydrogen jukebox,
who talked continuously seventy hours from park to pad to bar to Bel-
levue to museum to the Brooklyn Bridge,
a lost battalion of platonic conversationalists jumping down the stoops
off fire escapes off windowsills off Empire State out of the
moon,
yacketayakking screaming vomiting whispering facts and memories
and anecdotes and eyeball kicks and shocks of hospitals and
jails and wars,
whole intellects disgorged in total recall for seven days and nights with
brilliant eyes, meat for the Synagogue cast on the pavement,
who vanished into nowhere Zen New Jersey leaving a trail of ambigu-
ous picture postcards of Atlantic City Hall,
suffering Eastern sweats and Tangerian bone- grindings and migraines
of China under junk- withdrawal in Newark’s bleak furnished
room,
who wandered around and around at midnight in the railroad yard
wondering where to go, and went, leaving no broken hearts,
who lit cigarettes in boxcars boxcars boxcars racketing through snow
toward lonesome farms in grandfather night,
who studied Plotinus Poe St. John of the Cross telepathy and bop kab-
balah because the cosmos instinctively vibrated at their feet in
Kansas,
who loned in through the streets of Idaho seeking visionary indian
angels who were visionary indian angels,
who thought they were only mad when Baltimore gleamed in super-
natural ecstasy,
who jumped in limousines with the Chinaman of Oklahoma on the
impulse of winter midnight streetlight smalltown rain,
who lounged hungry and lonesome through Houston seeking jazz or
sex or soup, and followed the brilliant Spaniard to converse
about America and Eternity, a hopeless task, and so took ship
to Africa,
who disappeared into the volcanoes of Mexico leaving behind nothing
but the shadow of dungarees and the lava and ash of poetry
scattered in fireplace Chicago,
who reappeared on the West Coast investigating the FBI in beards and
shorts with big pacifist eyes sexy in their dark skin passing out
incomprehensible leaflets,
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higte fröstelnd mit zerstörtem Mund und hoffnungslos geprügelt das
Hirn alle Anmut ausgelaufen im Trauerlicht des Zoos,
die nächtelang dahinsanken im U-Boot-Licht von Bickford’s dann rausliefen
und den ganzen abgestandenen Biernachmittag lang dasaßen im elenden
Fugazzi’s und aus der Wasserstoffjukebox plärrte der Anbruch des
Weltuntergangs,
die siebzig Stunden nonstop redeten zwischen Park und Bett und Bar und Belle-
vue und Museum bis zur Brooklyn Bridge,
ein verlorenes Heer platonischer Plauderer die von Feuertreppen sprangen von
Fensterbrettern vom Empire State vom Mond,
die Tatsachen und Erinnerungen und Anekdoten und Augenkicks und Elektro-
schocks in Hospitälern und Gefängnissen und Kriegen plapperten
schrieen würgten und flüsterten,
ganze Intellekte in vollständiger Erinnerung ausgespien sieben Tage lang und
sieben Nächte mit funkelnden Augen, Fleisch für die Synagoge ausge-
streut auf dem Asphalt,
die im Niemands-Zen New Jerseys verloren gingen ihre einzige Spur eine Reihe
zweideutiger Postkarten vom Rathaus in Atlantic City,
die an Fernostschweißausbrüchen und Knochenschmerzen in Tanger litten und
an Chinamigräne auf Drogenentzug in trostlos möbliertem Zimmer in
Newark,
die Mitternachts herumwanderten zwischen den Bahngleisen keine Ahnung
wohin, und dann losgingen und kein gebrochenes Herz blieb zurück,
die sich Zigaretten anzündeten in Güterwaggons Güterwaggons Güterwaggons
polternd durch Schnee Richtung einsame Farmen in der Groß vater-
Nacht,
die Plotin Poe Johannes vom Kreuz Telepathie und Bop-Kabbala studierten
weil der Kosmos in Kansas instinktiv unter ihren Füßen vibrierte,
die einsam auf den Straßen Idahos nach visionären indianischen Engeln suchten
die wirklich visionär indianische Engel waren,
die sich für bloß verrückt hielten als Baltimore in jenseitiger Ekstase vor ihnen
aufstieg,