Peter Schwindt
Finsterbrook - Vier Freunde und ein Höllenhund
Mit Abbildungen von Alexander von Knorre
FISCHER E-Books
Peter Schwindt: Der 1964 geborene deutsche Autor hat in Berlin und Bonn Germanistik, Komparatistik und Theaterwissenschaften studiert und anschließend als Redakteur und Lektor gerbeitet, bevor er schließlich Game Designer wurde. Seit 1997 arbeitet der Schriftsteller freiberuflich und verfasst neben Romanen und Radiohörspielen auch Drehbücher. Peter Schwindt lebt und arbeitet in der Nähe von Frankfurt am Main.
Alexander von Knorre: Alexander von Knorre ist seit 2010 Diplomdesigner, freischaffender Illustrator und Comiczeichner. Er lebt mit seiner Familie in Weimar und arbeitet für zahlreiche Kinderbuchverlage in Deutschland. Außerdem ist er am Projekt ILLUMAT - Der Illustrationsautomat beteiligt.
Weitere Informationen zum Kinder- und Jugendbuchprogramm der S. Fischer Verlage finden Sie unter www.fischerverlage.de
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 2021 Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung und Coverabbildung: Alexander von Knorre
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-7336-0437-0
»Manchmal«, sagt Papa heute noch, »reicht ein Blick in den Briefkasten, um sich den Tag zu versauen.«
Meistens war der zerbeulte und angeschrammte Blechkasten leer, wenn ich aus der Schule kam. Oder es lag im besten Fall der Flyer einer Pizzeria oder eines Nagelstudios drin. Dann wieder, das waren die halbversauten Tage, gab es eine Rechnung. Oder eine Mahnung. Das wusste man aber erst, wenn der Brief geöffnet wurde, womit sich Papa meistens Zeit ließ. Richtig versaut waren die Tage, wenn die Kuverts grau waren. Oder – absolut versaut – senfgelb.
Papa hasste versaute Tage. »Du bist jung, du bist stark, du bist resilient«, hatte er gesagt, als er den kleinen Briefkastenschlüssel an meinen Bund drehte. »Du schaffst das.«
Ich wusste nicht, was er mit resilient meinte, war aber misstrauisch, als das Wort fiel. Resilient klang nach einer gefährlichen Krankheit, an der man starb, wenn sie nicht anständig behandelt wurde. Oder wenn sie zu spät erkannt wurde.
»Resilienz«, so hieß es im Internet, »ist die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und sie durch Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen als Anlass für Entwicklungen zu nutzen.«
Krisen bewältigen klang nicht schlecht. Also gab ich meinem Vater den Schlüssel nicht zurück, sondern leerte von da an Tag für den Tag den Briefkasten und legte ihm die Post neben den Toaster auf den Küchentisch. Dort würde er sie in jedem Fall sehen, wenn er gegen Mittag aufwachte und sich zu einem späten Frühstück einen Kaffee machte, der so stark war, dass der Löffel förmlich drin stehen blieb.
Papa war früher mal ein Punk gewesen. Keiner von denen, die mit einem Kasten Bier vor der Post die Zeit totschlagen, wie er immer wieder betonte. Er hatte Anspruch! Als Jugendlicher hatte er Scheppergitarre in einer Band gespielt, die sich Goofy und die Strobolichter nannte. Goofy, das war er, Justus Aufdermauer. Den Spitznamen hatte er heute noch weg, obwohl er ihn nicht mehr so toll fand. Goofy ist der treue beste Freund von Micky Maus. Das wusste ich, weil ich Papas alte Comics gelesen hatte, auf denen noch D-Mark-Preise stehen.
Also, ich konnte verstehen, warum Papa mit dem Namen auf Kriegsfuß stand. Goofy ist nämlich englisch und heißt so viel wie albern und tollpatschig, und das war Papa eigentlich gar nicht. Er war eher traurig und müde, weil er mindestens so häufig an Mama dachte wie ich. Aber da ich ja resilient war, kam ich damit wohl besser zurecht als er.
Ab und zu bekamen wir unangemeldeten Besuch von ernsten Männern und Frauen, die wissen wollten, ob Papa in der letzten Zeit Geld verdient hatte.
Deshalb hängte er die Scheppergitarre irgendwann an den Nagel und verlegte sich aufs Handwerken. Da verdiente er auch nicht mehr, aber DAS konnte er wirklich! Er war keine musikalische Niete. Wenn er in »angerührter Stimmung« war, wie er es nannte, kramte er alte Kassetten hervor, und wir hörten seine Punkmusik. Nicht, weil er so atemberaubend Gitarre spielte, sondern weil Mama sang.
Eigentlich kannte ich nur ihre Stimme, und die war hell und klar und sehr lebendig. Papa kannte mehr von ihr. Er wusste, wie sie sich anfühlte und wie sie roch, und darum beneidete ich ihn. Wenn wir Mama singen hörten, weinten wir immer ein bisschen, und das fühlte sich erstaunlicherweise gut an. Papa schämte sich dann, aber in diesen Momenten betete ich ganz still, er möge niemals so husten, wie Mama es getan hatte.
Als es an diesem Tag klingelte – es war der erste Montag der Sommerferien, und ich lag noch im Bett –, klang die Klingel ein wenig anders. Das fiel mir sofort auf. Nicht so schrill. Eher wie ein Glöckchen, das die Erwachsenen läuten, wenn die Bescherung unterm Tannenbaum ansteht. Ich weiß, das hört sich ziemlich bescheuert an. Weihnachten im Sommer, lachhaft! Aber ich wusste, vor der Tür stand kein Gerichtsvollzieher und niemand vom Jobcenter.
Es war ein kleiner knubbeliger Mann mit dicken Brillengläsern und einer abgewetzten Ledertasche, aus der tatsächlich eine Thermoskanne herausschaute. Er trug unter seinem grau karierten Jackett einen grünen Rollkragenpullover, der nach verkleckertem Frühstück aussah.
Der Mann seufzte erleichtert, als ich die Tür öffnete.
»Nur zur Sicherheit: Wohnt hier die Familie Aufdermauer?«
Ich nickte vorsichtig.
Der Mann streckte mir seine Hand entgegen. »Mein Name ist Dingeldein. Ich bin Anwalt. Und ich bin nicht gekommen, um irgendwelche Schulden einzutreiben«, sagte er. »Ganz im Gegenteil!«
Ich traute dem Braten nicht. »Was heißt das: ganz im Gegenteil?«
»Ich kann Ihnen alles erklären, aber das würde ich ungern im Treppenhaus machen«, sagte Herr Dingeldein.
Er siezte mich! Dabei war ich erst zwölf. Das verwirrte mich so sehr, dass ich tatsächlich einen Schritt zur Seite trat und den Anwalt hereinließ.
»Was ist denn los?«, brummte mein Vater, der auf einmal verschlafen in der Küche stand und sich die Augen rieb. Es störte ihn nicht, dass er unter seinem ausgeleierten T-Shirt von den Dead Kennedys nur ein knappes Höschen trug. Als er Herrn Dingeldein sah, ließ er die Schultern sacken.
»Ich geh wieder ins Bett. Nacht.«
»Herr Aufdermauer?«
»Nein.«
»Herr Justus Aufdermauer?«
»Nein!«
»Großneffe von Käthe Aufdermauer?«
Jetzt hielt Papa inne und drehte sich langsam um.
»Ich muss Ihnen leider die traurige Nachricht übermitteln, dass ihre Großtante vor einem halben Jahr verstorben ist.«
»Vor einem halben Jahr?« Ich konnte es nicht glauben. Was für ein Anwalt war das, der sechs Monate brauchte, um Hinterbliebenen die Nachricht vom Ableben einer Großtante zu übermitteln?
Herr Dingeldein ignorierte die Frage. »Darf ich mich setzen?«
Papa zeigte auf den stabilsten Stuhl am Küchentisch. »Kaffee?«
»Das wäre reizend.« Der Anwalt strahlte und öffnete seine Ledertasche, um einen schmalen Ordner auf den Tisch zu legen.
Papa schaute mich mit einem Blick an, der fragte, wer dieser komische Vogel war.
Ich konnte nur mit den Schultern zucken. »Milch? Zucker?«, fragte ich.
»Ich trinke meinen Kaffee gern schwarz«, sagte Dingeldein vergnügt.
Papa goss heißes Wasser in die French Press und stellte die Kanne auf den Tisch. Ich holte drei Tassen aus dem Schrank.
»Wer ist Großtante Käthe?«, fragte ich.
»Ganz ehrlich?«, sagte Justus und setzte sich. »Ich habe keine Ahnung. Also, ich weiß zwar, dass es sie gab und sie irgendwo oben im Norden wohnte. Aber sie ist im wahrsten Sinne des Wortes eine entfernte Verwandte gewesen, mehr nicht.« Er schenkte Dingeldein etwas Kaffee ein. »Hab ich was geerbt?«
So ist Papa. Immer geradeheraus, ohne Rücksicht auf Verluste. Er füllte jetzt meine Tasse und stellte dann missmutig fest, dass der Rest in der Kanne nicht mehr für ihn ausreichte. Er stand auf, um sie auszuspülen und neu zu befüllen.
»Ja«, sagte Herr Dingeldein und sah uns über den Rand seiner Tasse an, »das haben Sie.«
»Wie viel?«, fragte Justus, dessen Interesse plötzlich geweckt war.
»Papa!«, rief ich entrüstet.
»Käthe Aufdermauer war die alleinige Eigentümerin eines Hotels auf einer kleinen Insel namens Finsterbrook.«
Ich riss die Augen auf. »Und das hat sie meinem Vater hinterlassen?«
»Direkt hinterlassen nun nicht. Sagen wir mal, er ist der Erste in der Erbfolge. Gefolgt von Ihnen.« Er zeigte auf mich.
Justus kratzte sich die haarige Pobacke, während der Wasserkocher geräuschvoll heiß lief.
»Kann man es verkaufen? Wie viel ist es wert?«
»Ich weiß nicht, wie viel es wert ist«, sagte Herr Dingeldein. »Aber die Frage stellt sich auch nicht.«
»Warum?«
»Weil Sie das Erbe nur antreten dürfen, wenn diese touristische Gewerbeimmobilie in Ihrem Besitz bleibt.«
»Dann will ich den Schuppen nicht«, sagte er kopfschüttelnd.
»Papa!«, entfuhr es mir wieder.
»Wer will denn so was haben?«, sagte er komplett uninteressiert. »Das Hotel ist außerdem bestimmt in einem katastrophalen Zustand. Oder täusche ich mich?«
Herr Dingeldein zuckte gut gelaunt mit den Schultern. »Nein. Da müsste einiges dran getan werden.«
»Na also«, sagte Justus und löffelte Kaffeepulver in die ausgespülte Kanne. »Danke, aber nein danke.«
»Ich nehm es«, sagte ich. Adrian Aufdermauer, zwölf Jahre alt und Besitzer einer touristischen Gewerbeimmobilie, wie Dingeldein es nannte. Das hatte was. Das klang nach einer gesicherten Karriere im Hotel- und Gaststättengewerbe. »Hat es Meerblick?«
»Er hat doch gesagt, dass Finsterbrook eine Insel ist. Da hat das Hotel bestimmt auch Meerblick«, sagte Papa.
»Was nun?«, fragte ich den Anwalt. »Hat es, oder hat es nicht?«
»Es hat.«
»Ich nehme es!«, wiederholte ich mich.
»Nein, wirst du nicht«, sagte Papa.
»Doch!«
»Nein!« Er wurde langsam ungeduldig. »Du bist noch keine achtzehn. Und ich binde mir das Ding auf keinen Fall an die Backe.«
Ich beugte mich zu Herrn Dingeldein herüber, legte meine Hand auf seinen Arm und zwinkerte ihm zu. »Ich nehme es.«
Herr Dingeldein stand auf. »Sie können es sich ja noch überlegen, nicht wahr?« Er legte seine Visitenkarte neben die Unterlagen auf den Tisch. »Rufen Sie mich einfach an. Oder schicken Sie mir eine Mail. Dann werde ich für Sie den Erbschein beantragen.«
Herr Dingeldein klappte den Deckel seiner Aktentasche zu.
Papa hielt ihm die French Press entgegen. »Keinen Kaffee mehr?«
Der Anwalt hob abwehrend die Hände und klopfte auf seine Brust. Dorthin, wo das Herz saß. »Haben Sie noch einen guten Tag.«
»Der Kaffee war zu stark«, sagte ich, als die Wohnungstür ins Schloss gefallen war.
Justus roch an der Kanne und füllte seine Tasse. »Ich finde ihn genau richtig.« Dann schlurfte er zurück in sein Zimmer und ließ mich in der Küche allein.
In den darauffolgenden Tagen vermied ich es, Großtante Käthe zu erwähnen. Dafür beschäftigte ich mich ausgiebig mit der Mappe, die Herr Dingeldein nicht wieder mitgenommen hatte. In ihr lag auch ein abgegriffener Prospekt, der aus einer Zeit stammte, als das Hotel noch Gäste hatte.
Villa Seelenfrieden
Wer um Gottes Willen kam nur auf so einen Namen! Und die Fotos! Mein lieber Scholli! Die Frauen trugen kurze bunte Röcke und weiße Lackstiefel mit Sohlen, die so dick wie Ziegelsteine waren. Die Frisuren waren hoch aufgeplustert. Die der Männer auch, nur dass sie die Haare fein säuberlich zur Seite gescheitelt hatten. Die rosa Hemden lagen eng an und waren bis zur haarigen Brust aufgeknöpft.
Und sie tanzten offensichtlich zu einer mitreißenden Musik, die aus einer alten Musikbox zu kommen schien.
Mama hatte auch gern Musik gehört, aber erstaunlich wenig Punk. Unsere Plattensammlung war noch von ihr. Papa hatte sie nie verkauft, obwohl darunter rare Schätzchen waren, für die manche Sammler einiges an Kohle auf den Tisch legen würden. Und diese Plattensammlung hätte uns beinahe das Genick gebrochen.
Die erste Ferienwoche war schon rum, als mein Vater mich weckte. »Du musst aufstehen, Adrian«, flüsterte er.
Ich brauchte einen Moment, bis ich mich aus meinem Traum heraussortiert hatte.
Ich war in einem hohen Raum gewesen, der eine Bibliothek zu sein schien. Und in der Mitte stand auf einer Säule eine Kristallkugel. Eine von der Art, die Hellseher immer benutzten. Irgendwas war mit ihr. Ich wusste, dass ich in sie hineingeschaut und sich mir etwas gezeigt hatte, das sehr seltsam gewesen sein musste.
Jedenfalls nahm ich das Gefühl der Verblüffung mit ins Erwachen.
»Was ’n los?«, brummte ich ein wenig orientierungslos.
»Wir müssen weg«, sagte Papa.
»Was heißt weg?« Die letzten Reste des Traums lösten sich auf. Das Licht der aufgehenden Sonne fiel durch die Jalousienschlitze und blendete mich.
»Erzähl ich dir nachher«, sagte mein Vater ziemlich nervös. »Ich habe das Nötigste ins Auto gepackt.«
Unser Auto, das war ein alter Ford Taunus Kombi. Papa fuhr ihn nur ganz selten, denn das Ungetüm verbrauchte zehn Liter auf hundert Kilometer. Und das konnten wir uns überhaupt nicht leisten. Wenn er ihn also mit unseren Habseligkeiten vollpackte, dann hatte Papa sich diesmal mit den falschen Leuten angelegt. Dann waren wir auf der Flucht. Vor wem oder was auch immer.
Papa hatte mir saubere Klamotten ans Fußende des Bettes gelegt. Meinen Kleiderschrank hatte er bereits leergeräumt. Wie ich davon nichts mitbekommen konnte, ist mir bis heute ein Rätsel, denn wenn Papa eines nicht ist, dann leise.
»Komm, beeil dich!«, drängte er, die Klinke der Wohnungstür schon in der Hand.
»Moment!«, sagte ich. »Hast du die Platten?«
Mamas Sammlung. Die wollte ich auf keinen Fall zurücklassen.
Papa ließ die Schultern hängen und nickte. »Die hätte ich beinahe vergessen«, gab er zerknirscht zu. »Trag du die restlichen Sachen ins Auto, und mach die Ladefläche frei. Ich bring die Platten runter.«
Ich holperte mit zwei Taschen in der Hand die Treppe hinab und musste erst einmal schauen, wo mein Vater den Kombi abgestellt hatte. Er stand hinter der Litfaßsäule beim Kiosk am Ende der Straße, die Klappe weit offen.
»Alles gut?«, fragte Gopal, dem der Kiosk gehörte und bei dem ich mir ab und zu nach der Schule eine Schnucktüte für’n Euro holte. Gopal mochte mich, und ich mochte ihn, weil er als Einziger in der Stadt Spunk hatte, das Salzlakritz für Profis. Außerdem hatte er immer ein offenes Ohr für mich. Wenn es mir mal schlecht ging, packte er einfach zwei Spunkis obendrauf.
»Keiner war dran. Verreist ihr?«
»Frag einfach nicht«, stöhnte ich und schob die Ladefläche frei, damit Papa die drei Kisten mit Mamas Platten verladen konnte.
»Ich frage nicht«, antwortete Gopal todernst. »Omerta, wie die Mafia sagt: Schweigen.«
»Mafia?«, fragte ich. Ein ganz und gar unangenehmer Gedanke schoss mir durch den Kopf, und ich sah ihn misstrauisch an. Gopal begann hastig, die Zeitschriften in der Auslage zu sortieren, obwohl die gar nicht sortiert werden mussten.
»Weißt du was, was ich nicht weiß?«
Gopal ließ die Schultern sacken. »Zwei Kerle waren da. Groß wie Kühlschränke. Die haben mir ein Foto deines Vaters vor die Nase gehalten.«
»Uuund?«, fragte ich gedehnt.
»Nichts und.«
»Rück schon raus!«
»Womit soll Gopal rausrücken?«, fragte Papa keuchend.
Er hatte jetzt die erste der drei Kisten heruntergetragen, verschwitzt und vollkommen außer Atem.
»Hast du was mit der Mafia am Hut?«
Papa zuckte regelrecht zusammen. »Wer erzählt dir denn so was?« Mir entging der wütende Blick nicht, den er dem Kioskbesitzer zuwarf.
Gopal kam aus Südindien. Genaugenommen aus Kerala, ganz unten im Südwesten, wo es immer regnete, wie er mir einmal erzählt hatte. Seine Hautfarbe war sehr dunkel, fast schwarz. Und trotzdem wirkte er jetzt erstaunlich bleich.
Papa hastete ins Haus zurück, um die zweite Kiste zu holen.
»Gopal?«, fragte ich misstrauisch.
»Spunk?«, fragte er nervös zurück und hielt mir ein kleines Schächtelchen mit Lakritzpastillen hin. »Geht aufs Haus.«
»Hat Papa sich irgendwelchen Ärger eingebrockt?«
»Auf einer geraden Straße ist noch nie jemand verlorengegangen.« Er schüttelte einladend die kleine Box und lächelte unsicher, wobei seine unglaublich weißen Zähne blitzten. Nur seine Augen flackerten ein wenig ängstlich.
Papa schleppte die zweite Kiste heran, warf einen nervösen Blick über die Schulter und hastete wieder ins Haus.
In diesem Moment fuhr ein schwarzer SUV mit dunkel getönten Scheiben im Schritttempo die Straße entlang und blieb dann abrupt stehen. Ich kannte mich mit den Dingern nicht aus, wusste aber, dass sie nicht billig waren. Und dieses Auto da, das spielte preistechnisch noch mal in einer ganz anderen Liga. Ich kniff die Augen zusammen.
»Es-ca-lade«, las ich auf der Heckklappe. Mann, das war kein Auto, sondern ein verdammter Panzer!
Ich sah, wie Gopal hastig das Fenster seines Kiosks zuschob und das Schild von Geöffnet auf Geschlossen drehte.
»So, das war die letzte Kiste«, keuchte Papa und drückte den Rücken durch, dass die Wirbel knackten.
»Kennst du die beiden?«, fragte ich ihn und zeigte auf die zwei Männer, die gerade aus dem Geländewagen stiegen.
Und wenn ich Männer sage, dann meine ich die Sorte, die volle Bierfässer mit bloßen Händen zerquetschen können. Wie groß mochten die beiden sein? Eins neunzig bestimmt, aber das konnte täuschen, denn sie waren auch BREIT! Die schwarzen Anzüge, die sie trugen, mussten maßgeschneidert sein. Solche Übergrößen bekam man nicht bei C&A. Die Glatzen glänzten schwitzig, obwohl der Escalade garantiert eine Klimaanlage hatte. Die Kerle sahen aus wie Zwillinge. Einer von ihnen holte einen Zettel aus der Innentasche seines Jacketts und faltete ihn auf. Offensichtlich konnte er nicht lesen, was darauf stand, denn der andere riss ihm den Wisch aus der Hand und drehte ihn um. Der Sehbehinderte tastete seine Taschen ab, bis ihm sein Partner eine Lesebrille hinhielt. Beide studierten den Zettel und zeigten auf unser Haus.
»Fuck«, flüsterte Papa. »Fuckfuckfuckfuckfuck!« Er warf die Heckklappe zu.
Das weckte die Aufmerksamkeit der beiden Türsteher. »Hey! Du!«, brüllten sie.
»Steig ein!«, rief mein Vater, riss die Fahrertür auf und steckte den Schlüssel ins Schloss.
Doch ich rührte mich nicht. Es war zu faszinierend zu sehen, wie diese beiden Muskelberge versuchten zu rennen. Wahrscheinlich konnten sie sich noch nicht mal die Schuhe alleine zubinden, weil ihre Muskeln ihnen im Weg standen. So viel unbewegliche Kraft steckte in ihnen.
»Adrian!« Die Stimme meines Vaters überschlug sich in Panik. »Beweg verdammt nochmal deinen Hintern ins Auto!«
Ich tastete, die Augen noch immer weit geöffnet, nach der Lehne des Beifahrersitzes. Die beiden waren wie eine Lawine, die auf uns zurollte. Papa packte mich von hinten beim Gürtel und zerrte mich hinein.
»Mach die Tür zu, und schnall dich an!«
Der Motor jaulte auf. Papa legte den ersten Gang ein und ließ die Kupplung so schnell kommen, dass die Reifen erst durchdrehten und dann der Wagen einen Satz nach vorn machte. Er blickte nervös in den Rückspiegel. Ich drehte mich um. Die beiden Riesen hatten kehrt gemacht und kletterten wieder erstaunlich ungelenk in ihren schwarzen SUV.
»Wer sind die?«, schrie ich schrill.
»Die beiden?«, sagte Papa. »Wladimir und Estragon. Die beiden haben auf mich gewartet, aber ich bin nicht gekommen.«
»Was wollen die von dir?«
»Kohle«, sagte Papa und bog halsbrecherisch in die nächste Straße ein. »Die beiden sind Geldeintreiber.«
Ich sackte in meinem Beifahrersitz zusammen. Mir war ganz flau.
»Was sollte ich denn machen?«, rief Justus frustriert. »Ich war mit der Miete im Rückstand, und uns wäre diese Woche der Strom abgedreht worden. Das wollte ich dir nicht antun!«
»Ach Papa …« Mir schossen die Tränen in die Augen.
»Und fang jetzt bloß nicht an zu heulen, hörst du? Sonst heule ich auch. Und das wäre kacke, denn dann sehe ich nichts mehr.« Er kramte aus der Tasche seiner Jeans ein Päckchen Taschentücher, wobei der Taunus kurz ins Schlingern geriet.
Ich schnäuzte kräftig. »Und was machen wir nun?«
»Halt dich fest!«
Papa riss das Steuer herum und zog die Handbremse. Das Heck brach aus, und der Taunus nahm ganz knapp die Kurve in eine Seitenstraße hinein. Dem Escalade ging das zu schnell, und er schoss an der Einmündung vorbei. Papa lenkte unseren Wagen durch die engen Straßen eines Wohnviertels, bis er schließlich auf dem Hof eines Mietshauses parkte.
Wir warteten. Für den Fall, dass Wladimir und Estragon doch noch zurückkamen.
Zwei Minuten.
Drei Minuten.
»Ich habe Gopal einen Schlüssel zu unserer Wohnung gegeben«, sagte Papa leise und mit zitternder Stimme. »Er wird sich um unsere Sachen kümmern.«
»Treue Seele«, sagte ich und musste an seine Spunkspenden denken. Ich hätte auf sein Angebot eingehen sollen, denn jetzt hatte ich Lust auf Lakritz.
Papa nickte. »Treue Seele. Es gibt einige Menschen, bei denen ich ganz tief in der Schuld stehe. Gopal. Du …«
Ich griff nach seiner Hand und drückte sie. »Ich finde, Finsterbrook klingt spannend.« Und das tat es wirklich. Ich meine: allein der Name! Finsterbrook. Im Kopf ließ ich die beiden R rollen. Das klang nach dunklen Geheimnissen und übernatürlichen Ereignissen.
Ich hatte ja keine Ahnung, wie recht ich damit haben sollte.
Die Fahrt dauerte lange. Sehr lange. Da der Taunus bei Vollgas alle drei Stunden eine Tankstelle ansteuern musste, nahm Papa den Fuß vom Gas, so dass wir mit achtzig Sachen hinter einem moldawischen Lastwagen her zockelten. Im Handschuhfach lagen noch die alten Hörspielkassetten, mit denen ich als kleines Kind immer ruhiggestellt worden war. Ihre Wirkung auf mich war immer noch dieselbe. Ich hatte anderthalb Episoden von Drei Bären in der Nacht gehört, da war ich auf der Rückbank eingeschlafen. Mir war es wurscht, dass es eigentlich eine Weihnachtsgeschichte war. Nach langer Zeit wieder in diese alte Welt einzutauchen, fühlte sich gut an. Behaglich. Und so träumte ich von verlassenen Plüschbären, freundlichen Kanaligatoren und herzlosen Robotern …
… als ich jäh aus dem Schlaf gerissen wurde.
Papa war auf die Bremse gestiegen und fluchte mit Wörtern, die alle mit F anfingen. Oder mit einem zischigen Sch. Ich kollerte von der Rückbank in den Fußraum, berappelte mich aber schnell und schaute hinaus.
Es hatte zu regnen begonnen, und der Scheibenwischer schrubbelte widerspenstig über die Windschutzscheibe. Vor uns, auf einer Landstraße irgendwo im trübnebligen Nirgendwo, stand eine Kuh. Sah uns gelangweilt an. Und kaute.
Papa drückte wütend die Hupe. »Beweg dich, Klarabella!«
Doch Klarabella, schwarzgefleckt wie sie war, hob nur den Schwanz und kackte einen Flatsch auf den nassen Asphalt. Papa ließ den Kopf auf das Lenkrad sinken und seufzte.
»Wo sind wir?«, fragte ich noch immer ein wenig schlaftrunken.
Die Gegend war flach. Einige Bäume verloren sich im grauen Dunst des Straßenrandes, aber das war es dann auch schon.
»Keine Ahnung.« Er zerknüllte die Landkarte, die auf dem Beifahrersitz lag und warf sie hinter sich.
Ich entknüllte sie. »Wie hieß denn der letzte Ort, durch den wir gefahren sind?«
»Oberpupsmannshausen oder so. Ist aber schon ein paar Kilometer her.« Papa drehte die Scheibe herunter und hupte erneut.
»Wir sind falsch«, sagte ich, als ich Oberpupsmannshausen, das eigentlich Poppenbühl hieß, endlich gefunden hatte. »Wir müssen umkehren und …«, ich drehte die Karte auf den Kopf, »… an der nächsten Kreuzung links abbiegen. Dann immer geradeaus, bis wir Dustersiel erreichen. Da legt wohl eine Fähre nach Finsterbrook ab.«
»Dustersiel?« Papa dreht sich zu mir um und hob eine Augenbraue. »Ehrlich jetzt?« Er legte den Rückwärtsgang ein und wendete den Wagen. »Das alles klingt nicht besonders freudvoll. Wahrscheinlich tragen hier alle denselben Nachnamen, sind Bluter und schielen.«
»Warum sollten sie das tun?«, fragte ich verwirrt und drehte die Karte wieder um.
Papa winkte ab. »Vergiss es.«
»Das war kein Kompliment, oder?«
»Nein«, antwortete Papa trocken. »War es nicht.«
Dustersiel war überhaupt nicht duster, sondern eigentlich ganz niedlich. Alles war irgendwie knuffig und überschaubar. Die reetgedeckten Backsteinhäuser, die um die kleine Mole herumstanden, waren ganz klein, und ich war mir sicher, dass die Menschen, die in ihnen lebten, auch ganz klein waren, von winzigen Tellerchen aßen und in Bettchen schliefen, in die selbst ich nicht hineinpasste.
Zur Information: Ich war nur eins fuffzich groß. Papa sagte, ich lebte an der Grenze zur Mikrosomie. Das ist Ärztedeutsch für Kleinwuchs. Aber Papa fand, dass es auf Latein nicht so schlimm klang. Mir persönlich war es schnurps, ob ich groß oder klein, dick oder dünn war.
Okay, es gab schon Einschränkungen. Ich ging zum Beispiel gern allein aufs Klo. Wenn ich so kurze Arme gehabt hätte, dass ich mir nicht selbst den Hintern hätte abwischen könnte, wäre das natürlich oberkacke gewesen. Oder ich hätte mir nicht allein die Schuhe zubinden können und dann für den Rest meines Lebens Gummistiefel tragen müssen, das wäre genauso unmöglich gewesen.
Nein, mal rundheraus: Selbst meine eins fuffzich lagen an der Schmerzgrenze.
Der Ford Kombi tuckelte und ruckelte über das nass glänzende Kopfsteinpflaster. Ich kannte dieses Geräusch, das der Wagen von sich gab. Ich hörte es nicht zum ersten Mal. Dem Taunus ging der Sprit aus.
»Puh«, sagte Papa nur, als er am Straßenrand zum Stehen kam, wo der Motor mit einem ungesunden Leiern endgültig erstarb.
Der Regen drieselte aufs Dach.
»Und nun?«, fragte ich.
»No se«, sagte Papa. Das war Spanisch und hieß so viel wie: Ich habe keinen blassen …
Ich zog mir meine Schuhe an, die ich die Fahrt über ausgezogen hatte, und stieg aus.
»So richtig schön ist das nicht hier«, sagte ich, als ich mich einmal im Kreis gedreht und mir die Kapuze meines Hoodies übergezogen hatte.
»Nein«, sagte Papa schlecht gelaunt. »Hier sieht es aus, als wäre jeden Tag Totensonntag. Gott sei Dank sind wir nur auf der Durchreise.«
Ich zeigte auf ein Schiff, das an der Mole vertäut war. »Schau mal.«
Papa kniff die Augen zusammen, um den Namen zu lesen. »Maischolle«, sagte er. »Gehört zur Ordnung der Plattfische. Gibt unpassendere Namen für einen Kutter.«
»Das ist kein Kutter«, brummte eine Stimme hinter uns.
Papa stieß einen spitzen Schrei aus und wirbelte herum. Und auch mein Herz machte drei Schläge lang eine Pause.
Der Mann, der an einer längst erloschenen Pfeife nuckelte, war groß gewachsen und sah wie das Abziehbild eines wetterknorrigen Seebären aus. Blaue Augen blitzten unter struppigen Augenbrauen. Der Kinnbart war grau und sah irgendwie krautig aus. Auf dem Kopf trug der alte Mann einen gelben Südwester, dessen Krempe vorn hochgeklappt war
»Das ist ein Motorschiff. Steht da auch. MS. Ist eine Abkürzung. Für …«
»Motorschiff. Ja, ja. Ich weiß«, sagte Papa nur. »Und auf einem Kutter wird dann gerudert?«
Der Mann stutzte und runzelte ein wenig durcheinander die Stirn. »Jedenfalls ist die Maischolle kein Kutter. Ich fange keine Fische. Sie ist ein Postschiff. Ich bringe jeden Tag die Briefe und Päckchen nach Finsterbrook.« Er reichte meinem Vater die Hand. »Kummerbunt. Kilian Kummerbunt. Kapitän. Und ihr seid?«
»Justus Aufdermauer. Das ist mein Sohn Adrian.«
Kapitän Kummerbunt fiel beinahe die Pfeife aus dem Mund. »Du bist ein Aufdermauer?«
»Ja.« Papa zeigte erst auf sich und dann auf mich. »Also, wir beide.«
»Da trifft mich doch der Schlag. Käthe war …?«
»Meine Großtante.«
»Ah«, machte der Kapitän nur, als verstünde er plötzlich. Er grinste über beide Ohren. »Na, das kann ja mal lustig werden. Kommt, ich bring euch rüber.«
»Mein Auto passt aber nicht auf Ihr Postschiff.«
»Oh, das bleibt auch hier«, sagte Kapitän Kummerbunt. »Auf Finsterbrook fahren keine Autos.«
»Na prächtig«, sagte Papa und ließ die Schultern sinken. »Und wo stelle ich die Kiste ab?«
»Hinter dem Hafen ist eine alte Fischfabrik, die hat einen Parkplatz. Da kann euer Auto bleiben.«
»Der Sprit ist alle. Der Wagen fährt nirgendwo mehr hin«, sagte Papa.
Der Kapitän sah mich an, als wollte er fragen, ob mein Vater heute seinen humorigen Tag hatte.
Ich zuckte nur entschuldigend mit den Schultern.
Kummerbunt seufzte.
»Na dann. Wartet kurz, ich bin gleich wieder da.«
»Was kann da mal lustig werden?«, fragte mein Vater irritiert, als er dem Kapitän hinterherschaute.
Ich krabbelte auf die Rückbank, um meine Sachen zusammenzuraffen. »Die haben nicht mit uns gerechnet. Ich sag es dir.«
Er öffnete missmutig die Beifahrertür und packte seine Sachen in eine große Sporttasche. Die leeren Flaschen und Schokoriegelverpackungen ließ er im Fußraum liegen.
»Willst du wieder umkehren?«, fragte ich ihn.
»Am liebsten.«
»Und dann? Wladimir und Estragon warten immer noch auf uns. Wenn sie uns nicht bereits auf der Spur sind.«
»Hier, an diesem Ende der Welt, findet man uns nur, wenn man nicht nach uns sucht.« Er ratschte den Reißverschluss seiner ausgeleierten orangefarbenen Trainingsjacke hoch, als sei ihm plötzlich kalt.
Zwei Scheinwerfer tanzten wimmernd auf uns zu, und ein kleiner elektrisch betriebener Gepäckwagen bremste neben dem Taunus. Der Kapitän sprang von seinem Sitz, schlug die nassglänzende Plane des Anhängers nach oben und warf einen Blick in unseren Kofferraum.
»Viel habt ihr ja nicht. Aber nach Urlaub sieht es auch nicht aus, oder?«
»Wir treten unser Erbe an«, sagte ich, nicht ganz ohne Stolz.
Der Kapitän hievte die erste Kiste auf den Hänger. »Die Villa Seelenfrieden. Sommerfrische der Reichen und Betuchten. War sie zumindest mal. So vor fünfzig Jahren. Jetzt ist das Hotel ein wenig auf den Hund gekommen.«
»Leben Sie auch auf Finsterbrook?«, fragte ich und reichte ihm die nächste Kiste, während Papa unsere Taschen auf die Ladefläche warf.
»Adrian, so verrückt kann ich gar nicht sein, als dass ich freiwillig auf dieses Eiland ziehen würde.«
»Dann haben sie hier in Dustersiel ein Haus?«, fragte Papa, der die Plane festzurrte.
»Ich lebe auf der Maischolle. Mein ganzes Leben lang bin ich zur See gefahren.«
»Keine Familie?«, fragte ich.
»Das Meer ist eine eifersüchtige Braut. Und duldet keine andere Liebschaft neben sich«, sagte der Kapitän und stopfte sich die Pfeife. Es hatte aufgehört zu regnen. »Kommt. Lasst uns das Gepäck an Bord bringen. Dann kümmern wir uns um euer Auto.
Wir leierten mit dem kleinen Elektrokarren zur Maischolle und schoben den Gepäckwagen über die Gangway an Bord, wo er in einer überdachten Aussparung achtern festgetäut wurde. Kapitän Kummerbunt öffnete eine Kiste und holte einen kleinen Kanister hervor, den er kurz schüttelte, um zu prüfen, wie voll er war. »Diesel oder Benziner?«
»Unser Auto? Benziner«, sagte Papa.
»Gut. Dann lasst uns mal euer Flaggschiff zu seinem Ankerplatz karriolen.«
Der eine Liter reichte aus, um den Taunus wieder fahrtüchtig zu machen. Papa pumpte ein wenig mit dem Gaspedal, und der Wagen sprang ohne Murren sofort an. Der Kapitän klopfte an die Scheibe, die Papa daraufhin herunterkurbelte.
»Der Parkplatz ist hinten rechts bei der kleinen Lagerhalle der alten Fischfabrik. Eigentlich nicht zu verfehlen.« Er gab Papa einen kleinen Schlüssel. »Der hier öffnet die Schranke. Stellt den Wagen ab und kommt dann zur Maischolle. Ich mach uns in der Zwischenzeit einen schönen Tee.«
Der Kapitän klopfte jetzt aufs Dach, und Papa kurbelte die Scheibe wieder hoch. Dann legte er den ersten Gang ein und fuhr los.
Der Parkplatz, wenn man ihn denn wirklich so nennen wollte, war nur eine bessere Brache, auf der kniehohe Disteln und buschweise Brennnesseln wuchsen. Über der Einfahrt hing ein großes Schild:
Fischkonserven Süverkrüp
Wenn man sich aber zur Rechten das alte Fabrikgebäude mit seinen eingeworfenen Scheiben und dem eingestürzten Dach anschaute, war klar, dass hier die letzte Makrele vor sehr langer Zeit eingedost worden war.
»Mich laust der Affe«, flüsterte Papa. »Adrian, schau dir das mal an.«
»Oh«, machte ich nur, denn mehr brachte auch ich nicht hervor.
Der Parkplatz war nämlich nicht leer. Ein gutes Dutzend Autos stand von Unkraut überwuchert in Reih und Glied an der Umfriedungsmauer. Manche waren so alt wie unser Kombi, manche noch älter. Einige waren sogar regelrechte Oldtimer, wie man sie bestenfalls aus Stummfilmen kennt.
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