Lieber lesender Mensch nah und fern,
Ihre Anwesenheit bereitet mir große Freude. Ihr ergebener Autor freut sich darauf, Sie mit auf eine neuerliche Reise zu nehmen. Heute führt uns der Weg zum höchsten Gebirge Norddeutschlands und dessen kleinem Bruder. Auf geht's zu Harz und Kyffhäuser.
Die inneren Kräfte unserer Erde und die Turbulenzen damaliger Zeit hatten den alten Superkontinent Pangaea ermüdet. Pangaeas Teile Gondwana und Laurussia erkannten einander. Der Harz war geboren. Dies ereignete sich vor gut 315 Millionen Jahren. Ungefähr so lange wie die Person vor uns an der Supermarktkasse braucht, bis das Kleingeld aus der Tasche gefischt ist, um dann doch mit Karte zu zahlen. Ungefähr so lange wie eine Webseite lädt, wenn man es gerade eilig hat. Aber wie lange ist das wirklich her? Stellen Sie sich vor, 315 Millionen Jahre seien ein Jahr. Genau jetzt wäre also der 31. Dezember um genau eine Sekunde vor Mitternacht.
Dieses Jahrtausend begann vor zwei Sekunden. Tick, tack, tick, tack. Y2K. Deutschlands Wiedervereinigung, blühende Landschaftsfantasie, Andi Brehmes Elfer – all das geschah vor drei Sekunden. Waldemar Cierpinski holte vor vier Sekunden zum zweiten Mal Marathon-Gold in Moskau. Vor fünf Sekunden war Neil Armstrong der erste Mensch auf dem Mond.
Vor rund sechs Sekunden war Yuri Gagarin der erste Mensch im All. Ebenso schwang vor rund sechs Sekunden Walter Ulbricht ganz ohne Absicht seine Traufel und zog eine sprichwörtliche Mauer mitten durch den Harz. Helmut Rahn schoss vor sieben Sekunden das Siegtor gegen Ungarn.
Liebe lesenden oder zuhörenden Kinder. Fragt doch mal Eure Erwachsenen, wie das war, als normale Menschen den halben Harz nicht betreten durften. Warum gab es dort Dinge wie ein »Militärisches Sperrgebiet«, und warum durfte man nicht im Brockengarten spielen? Das war, weil der Möchtegernmittelstürmer und Spielführer Adolf Hitler vor knapp acht Sekunden in Berlin das letzte seiner Millionen Eigentore geschossen hatte, während sowjetische Soldaten auf dem Brocken die russische Flagge hochzogen. Zum Glück sind wir Menschen heute friedlicher. Meistens jedenfalls.
Außerdem vor acht Sekunden: Erich Klöckner erreicht mit einem Segelflugzeug die Stratosphäre – bei lauschigen minus sechsundfünfzig Grad Celsius. Vor neun Sekunden wurde der Zwergplanet Pluto zum ersten Mal gesehen. Der erste Weltkrieg endete vor etwas über zehn Sekunden. Die ersten olympischen Spiele der Neuzeit fanden vor gut zwölf Sekunden statt. Vor gut dreizehn Sekunden – sie brauchte keine Autobahn, um Geschichte zu schreiben – unternahm Bertha Benz in Deutschland die erste Fernfahrt der Welt mit dem Auto und ihren beiden Kindern. Vor gut achtzehn Sekunden flog die Adler von Nürnberg nach Fürth – fuhr in Deutschland die erste Lokomotive. Vor fünfzig Sekunden schlug der Eislebener Martin Luther seine Thesen an. Vor knapp eineinhalb Minuten starb Kaiser Friedrich I. Barbarossa. Jesus wurde vor knapp dreieinhalb Minuten geboren. Vor rund acht Minuten bauten die Ägypter Pyramiden. Die letzte Eiszeit endete um zwanzig vor zwölf, alles noch am 31. Dezember. Das war mal ein Silvester, nicht? Was sich hier alles ereignet hat.
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Nun zurück in die Gegenwart. Mein inniger Dank gilt den vielen Sagen-Sammlern der Vergangenheit, insbesondere Professor Heinrich Pröhle, dessen hervorragende Arbeit maßgeblich zu diesem Werk beigetragen hat. Schon er muss festgestellt haben – vor gut 160 Jahren – dass Harz und Kyffhäuser ebenso reich an Sagen und Legenden sind wie an gastfreundlichen Menschen.
Schön, dass Sie da sind. Bleiben Sie gesund.
Trier, im Januar 2021
Ihr Mario Junkes