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Der Prinz an ihrer Seite

Buch

Windsor Castle 1943: Kronprinzessin Elizabeth fiebert dem Wiedersehen mit Prinz Philip von Griechenland entgegen. Seit ihrer letzten Begegnung geht ihr der charmante junge Leutnant mit den strahlend blauen Augen nicht mehr aus dem Kopf. Doch ihr Vater, König George VI., ist entschieden gegen diese Verbindung: Philip ist zu unberechenbar und zu abenteuerlustig für eine zukünftige Königin. Noch dazu ist er kein Brite. Aber dieses eine Mal ist Elizabeth fest entschlossen, sich gegen alle Widerstände durchzusetzen und ihrem Herzen zu folgen …

Autorin

Flora Harding lebt in York und schreibt seit über 30 Jahren unter verschiedenen Namen Romane, historische Texte und Sachbücher. Die Beziehung zwischen Vergangenheit und Gegenwart fasziniert sie dabei besonders.

Flora Harding

Der Prinz an ihrer Seite

Roman

Aus dem Englischen
von Britta Evert

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Die englische Originalausgabe erschien 2020
unter dem Titel »Before the Crown« bei One More Chapter,
a division of HarperCollinsPublishers, London.

Deutsche Erstveröffentlichung August 2021
Copyright © der Originalausgabe 2020 by Flora Harding
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2021
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München,
nach einem Coverdesign von Lucy Bennett © HarperCollinsPublishers Ltd 2020
Umschlagmotive: © Ilina Simeonova/Trevillion Images, shutterstock.com
Redaktion: Susanne Bartel
LS · Herstellung: ik
Satz- und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN: 978-3-641-27995-0
V001

www.goldmann-verlag.de

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Kapitel 1

Windsor Castle, Dezember 1943

Er ist nicht da.

Elizabeth blinzelt durch einen Spalt zwischen den Vorhängen. Der Samt ist verschlissen und voller Stockflecken. Er riecht nach Mottenkugeln und Theaterschminke, nach alten, gewissenhaft einstudierten Vorstellungen, unterdrücktem Kichern und Lampenfieber vor der Premiere.

Sie kann sehen, wie im Zuschauerraum vor der Bühne das Publikum allmählich die Sitzreihen füllt. Einige Besucher nehmen ihre Plätze in andächtigem Schweigen ein, andere schauen sich betont beiläufig um, als wäre es für sie völlig alltäglich, in einem königlichen Schloss zu sein. Die prunkvollen Vergoldungen der Waterloo Chamber sind aufgrund mangelnder Pflege matt und stumpf, die Wände ihrer berühmten Porträts beraubt, und dennoch strahlt der Raum noch immer einiges seiner einstigen Pracht aus. Die Teppiche sind bei Kriegsausbruch aufgerollt und eingelagert worden, sodass der hohe, weitläufige Saal vom Klang scharrender Stühle, von gedämpftem Raunen und Räuspern widerhallt.

Die erste Reihe ist immer noch leer.

»Ist er da?«, wispert Margaret, die sich an Elizabeth’ Schulter drängt.

»Noch nicht.« Elizabeth tritt einen Schritt vom Vorhang zurück. Ihre Enttäuschung ist so groß, dass sie ihr wie eine Bleikugel im Magen liegt, in dem vor Anspannung und Lampenfieber ohnehin schon Aufruhr herrscht. Heute soll die fünfte Aufführung von Aladin stattfinden, und obwohl sie ihren Text beherrscht, glaubt sie jedes Mal, wenn der Vorhang aufgezogen wird, vor Angst zu ersticken.

»Lass mich mal schauen.« Margaret schubst ihre Schwester beiseite und nimmt so entschlossen deren Platz hinter dem Vorhang ein, als könnte sie Prinz Philip von Griechenland durch reine Willenskraft herbeizaubern.

Und häufig ist Margarets Wille so stark, dass Elizabeth fast glaubt, das Kunststück könnte gelingen. Doch die Art, wie ihre Schwester kurz darauf die Schultern hängen lässt, deutet auf einen Misserfolg hin.

Margaret lässt die Vorhänge zurückfallen, kehrt der Bühne den Rücken zu und tritt dabei mit den Füßen auf ihre seidenen Röcke. »Papa hat doch gesagt, dass Philip kommt«, schmollt sie.

»Zu Weihnachten«, erinnert Elizabeth sie, wobei sie sich bemüht, die Enttäuschung in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Philip hat nicht versprochen, sich das Theaterstück anzuschauen. Vielleicht ist ihm etwas dazwischengekommen.«

Margaret macht große Augen. »Etwas Wichtigeres, als mit dem König und der Königin einen Auftritt ihrer Töchter anzusehen?«

»Philip ist selbst ein Prinz. Zwei Prinzessinnen machen wahrscheinlich keinen großen Eindruck auf ihn.« Das ist Elizabeth’ heimliche Sorge. Sie ist mit dem Wissen aufgewachsen, etwas Besonderes zu sein, und nun, da diese Tatsache zum ersten Mal von Bedeutung sein könnte, könnte sich herausstellen, dass sie vielleicht gar nichts Besonderes ist – jedenfalls nicht für Philip.

Zwei Jahre sind vergangen, seit Prinz Philip von Griechenland vom König und der Königin zum Tee eingeladen wurde. Damals lauschten Elizabeth und Margaret wie gebannt, als er von seinen Kriegserlebnissen auf See erzählte, obwohl er seine eigene Rolle bewusst herunterspielte und sich eher auf die amüsanten Anekdoten konzentrierte. Für Elizabeth, die Philip bis zu diesem Moment als eingebildeten Kadetten und furchtbaren Angeber in Erinnerung hatte, war sein Besuch wie eine Offenbarung. Der Halbwüchsige war einem Mann gewichen, der all das war, was ein Prinz sein sollte: mutig, geistreich, charmant.

Und äußerst gut aussehend. Der durchdringende Blick aus seinen strahlend blauen Augen wollte ihr anschließend nicht mehr aus dem Kopf gehen.

Nicht lange danach wurde die königliche Familie zu einer Party in Coppins eingeladen, wo Philip bei seiner Cousine Marina, Herzogin von Kent, wohnte. Er forderte Elizabeth zum Tanzen auf, entweder aus Nettigkeit oder aus Pflichtgefühl, aus keinem anderen Grund, das stand für sie fest. Sie war fünfzehn Jahre alt und sich seiner Hand, die an ihrer Taille lag, und seiner Handfläche, die sich an ihre drückte, so bewusst, dass sie kein Wort herausbrachte.

Jetzt ist sie siebzehn und sehnt sich danach, Philip zu zeigen, dass sie erwachsen geworden ist.

»Er sollte froh sein, herkommen und uns zusehen zu dürfen«, beharrt Margaret. Sie hat sich darauf gefreut, ihn mit ihrem schauspielerischen Talent zu beeindrucken. »Vor allem dir«, fügt sie hinzu, obwohl es ihr im Allgemeinen nicht ähnlichsieht, ihrer Schwester zuzugestehen, dass sie die Wichtigere von ihnen ist. »Immerhin hat er dir geschrieben.«

»Nur ein paarmal.« Elizabeth, die von Natur aus vorsichtig ist, würde nicht einmal ihrer Schwester anvertrauen, wie begierig sie sich auf Philips seltene Briefe gestürzt, sie immer wieder gelesen, die Falten im Papier geglättet hat. Seine Zeilen waren nichtssagend, aber was hätte er ihr auch schreiben sollen? Dass er sich an sie erinnert, mehr nicht. Aber das war genug. »Vermutlich schreibt er allen möglichen Leuten.«

»Lilibet, eines Tages wirst du Königin von England sein. Du bist nicht ›alle möglichen Leute‹.« Margaret läuft genervt auf der Bühne hin und her. Die Absätze ihrer Schuhe klappern laut auf den Holzbohlen.

»Margaret!«, zischt eine Stimme. Crawfie, ihre Gouvernante, steht im Hintergrund und winkt sie zu sich. »Komm her! Du auch, Lilibet. Der König und die Königin sind soeben eingetroffen. Ihr müsst eure Plätze einnehmen.«

Elizabeth holt tief Luft. Es macht nichts, dass Philip nicht da ist. Sie ist nicht enttäuscht. Er kommt ja zu Weihnachten, also wird sie ihn bald wiedersehen.

Hinter den Vorhängen kann sie das Scharren und Schieben von Stühlen hören, als ihre Eltern eintreten und sich das Publikum erhebt.

»Schnell, in den Korb!« Cyril Woods flitzt über die Bühne.

Elizabeth mag Cyril. Er ist fröhlich und unbeschwert, und er kann fast so gut singen und tanzen wie Margaret. Ihre Auftritte leben von den beiden, das weiß Elizabeth. Sie lernt zwar brav ihre Schritte und ihren Text auswendig, aber sie hat nicht Margarets Charme. Neben ihrer Schwester verblasst sie, wird stumm und unscheinbar. Wenigstens fühlt sie sich so.

Aber sie ist die Ältere, die zukünftige Königin, und deshalb steht ihr die Hauptrolle zu. Sie ist es, die den Aladin spielt, in knappem Jäckchen und schockierend enger kurzer Hose, in der sie sich unzureichend bekleidet fühlt. Margaret spielt Prinzessin Roxana, und da sie in dieser Rolle ein reich besticktes Seidenkleid und ein Diadem trägt, hat sie nicht das Geringste daran auszusetzen.

In der Eröffnungsszene müssen sie aus einem riesigen Wäschekorb springen, aus dem die Rückwand herausgeschnitten wurde, damit sie sich dahinterkauern können. Dennoch ist nicht viel Platz, und immer wieder streift Cyril versehentlich ihr Bein.

»Entschuldigung«, murmelt er. »Entschuldigung.«

Elizabeth’ Herz klopft laut. Oh, wie sie diesen Moment hasst, bevor sich der Vorhang hebt! In ihrem Kopf herrscht absolute Leere. Ihr Kostüm ist zu eng, und sie kann sich an keine einzige Textzeile erinnern. Der Korb aus Peddigrohr kitzelt ihre Wange, und allmählich schlafen ihr die Beine ein. Als das Orchester der Royal Guards eine Fanfare erklingen lässt, packt sie der Wunsch, aufzuspringen und von der Bühne durch den Oberen Hof zu den Stallungen zu fliehen. Zu reiten, schnell zu reiten, weit fort, an einen Ort, wo es keine Versagensangst gibt, keine Pflichten, keine Menschen, denen man gefallen soll.

Aber das geht nicht. Ihr Auftritt im Märchenspiel ist eine der wenigen Möglichkeiten, die sie hat, um ihren Kriegsbeitrag zu leisten. Die Einkünfte gehen an den Royal Household Knitting Wool Fund, dessen Mitglieder Socken für die Soldaten stricken, die für ihr Land kämpfen. Sie darf nicht weglaufen. Alles, was man von ihr verlangt, ist, zu singen und zu tanzen. Was für ein Beispiel würde sie abgeben, wenn sie selbst das ablehnte?

Und jetzt ist es ohnehin zu spät. Die Musik schwillt zu einem Crescendo an, Trommelwirbel ertönen, und das Rauschen von Samt und das Knarren von Seilen künden an, dass der Vorhang aufgezogen wird.

»Du bist dran!« Cyrill versetzt Elizabeth einen Stoß in die Rippen, und sie springt auf und stößt dabei den Deckel des Wäschekorbs auf. Ihr plötzliches Erscheinen ruft Gelächter hervor, das lauter wird, als Margaret neben ihr in die Höhe hüpft, aber das nimmt Elizabeth gar nicht wahr.

Philip sitzt neben ihrer Mutter in der ersten Reihe und sieht sie direkt an. Sein Gesichtsausdruck ist überrascht, seine Lippen umspielt ein Lächeln.

Elizabeth wird es leicht ums Herz. Alle Unsicherheit ist vergessen. Auf einmal kann sie funkeln und verzaubern wie Margaret. Ihre Füße sind leichter, ihre Augen strahlender als je zuvor. Sie kann tanzen, sie kann singen. Sie kann eine Augenbraue hochziehen und dem Publikum einen wissenden Blick zuwerfen.

Sie kann Philip zum Lachen bringen.

Er ist da. Das ist alles, was zählt.

Kapitel 2

Auf seinem Platz neben der Königin versucht Philip, sich nicht anmerken zu lassen, wie verkatert er ist. Warum in Gottes Namen hat er gestern Abend so viel getrunken? Aber es war die letzte Gelegenheit für ihn, Osla vor Weihnachten noch einmal zu sehen.

Es ist hoch hergegangen, jedenfalls soweit Philip sich erinnern kann. Sie waren tanzen im Club The 400, und danach hat sich in Oslas Wohnung irgendwie eine Party ergeben, bei der es Russischen Salat gab, den Osla mit Trockenei zubereitet hatte. Gestern Abend fand er den Salat eigentlich ganz in Ordnung, aber das Paraffinöl rumort immer noch in seinem Magen. Er hat auf der Couch geschlafen, und da hätte er auch bleiben sollen. Stattdessen hat er den fatalen Fehler begangen, in die Wohnung in der Chester Street zurückzukehren, wo er einen Brief von Mountbatten vorfand, der ihn mit großem Nachdruck aufforderte, sich so bald wie möglich auf Windsor Castle einzufinden.

Briefe von Onkel Dickie ignoriert man besser nicht.

»Dein Großvater war ein König«, hat Mountbatten bei ihrer letzten Begegnung gesagt. »Du bist ein Prinz und mit den meisten Königshäusern Europas verwandt. Aber was gehört dir? Kaum mehr als das, was du am Leib trägst.«

»Und das kleine Schmuckstück von Auto, das du mir zum einundzwanzigsten Geburtstag geschenkt hast.« Philip liebt seinen MG.

Aber so leicht ließ sich Mountbatten nicht ablenken. »Du weißt, was ich meine, Philip. Du bist ein gut aussehender Bursche, und Lilibet wird eines Tages Königin von England sein. Mach einen guten Eindruck auf sie – soweit ich weiß, verstehst du dich darauf doch mehr als gut. Verdammt, du bist es deiner Familie und dir selbst schuldig! Der Krieg wird nicht ewig dauern, und was wird dann aus dir? Du bist kein britischer Staatsbürger, also wirst du nicht in der Navy bleiben können.«

Philip kann sich ein Ende des Kriegs nicht vorstellen. Es scheint ihn schon immer gegeben zu haben. Wenn er sich selbst gegenüber in diesem Punkt so aufrichtig ist, wie er es gern immer wäre, sagt ihm der Krieg im Grunde zu.

Sicher, es gibt die schrecklichen Momente, die voller Grauen und Panik, aber bedeutend mehr Augenblicke mit Adrenalin und erwartungsvoller Spannung. Manchmal, wenn er nicht achtgibt, dringen die Schreie von Verwundeten in sein Bewusstsein, Bilder von Flammen und zuckenden Gliedmaßen und das laute Rattern von Maschinengewehren. Dann wirbelt ihm alles zusammen durch den Kopf, stößt ihn an den Rand eines tiefen Abgrunds und raubt ihm schier den Atem. Bis er es einfach verdrängt. Es ist Krieg, mehr nicht, und bis jetzt hat er noch nicht mal einen Kratzer abbekommen.

Philip denkt lieber an das Stampfen der Schiffsmotoren und das gleißende Licht über dem Mittelmeer. An das Gefühl von Freiheit, wenn sie aus dem Hafen auslaufen. Und an die atemlose Anspannung, wenn der Befehl für die Gefechtsstationen kommt.

Hier ist es schlimmer, findet er. Das Land ist ausgelaugt, die Städte durch Bombeneinschläge verwüstet, die Menschen grau und zermürbt von den Rationierungen und nächtlichen Verdunkelungen. Mittlerweile geht Philip in London an zerstörten Gebäuden vorbei, ohne sie noch wahrzunehmen. Einmal, als er mit Freunden einen Abstecher ins Café Royal machen wollte, musste er feststellen, dass das Lokal nur wenige Minuten zuvor von einer Bombe getroffen worden war. Staubwolken hingen noch in der Luft, Tote lagen auf dem Bürgersteig, Männer in Abendkleidung, Frauen in Pelzen und mit Diamanten behängt, die im Mondlicht funkelten. Die Plünderer waren schon da, nahmen Toten und Sterbenden ihren Schmuck ab und zogen Seidenkleider hoch, um Nylonstrümpfe abzustreifen.

Philip erinnert sich, dass er einfach zum Club The 400 weitergegangen ist.

So ist das nun mal im Krieg. Niemand weiß, wann die nächste Bombe fällt, wann der Torpedo trifft, wann die Messerschmitt hinter einer Wolke auftaucht und dich abschießt. In den Kreisen, in denen er verkehrt, herrscht immer eine nervöse Stimmung. Das Wissen, dass jede Nacht die letzte sein könnte, um zu lachen, zu tanzen, Cocktails zu trinken oder ein Mädchen zu küssen, macht es schwer, vernünftig zu sein und früh nach Hause und ins Bett zu gehen. Also tut man es nicht, sondern tanzt und trinkt und lacht, wild entschlossen, das Maximum an Spaß aus jedem einzelnen Abend herauszuholen.

Zwischen diesem Leben und Windsor Castle liegen Welten. Hier in der Waterloo Chamber weist kaum etwas darauf hin, dass überall sonst im Land Chaos und Zerstörung herrschen. Die berühmten Porträts von Lawrence wurden abhängt. An ihrer Stelle schmücken – Philip kneift die Augen zusammen, um sich zu vergewissern, dass er sich das nicht bloß einbildet – bizarre Bilder von Märchenfiguren die Wände. Ansonsten scheint sich seit dem vorigen Jahrhundert hier nur wenig verändert zu haben. Der König hat sich sogar über die Königin hinweg zu Philip gebeugt, um ihm mitzuteilen, dass die Bühnenrequisiten und Vorhänge tatsächlich dieselben sind, die schon Königin Victorias Kinder bei ihren Aufführungen benutzt haben.

Philip brummt der Schädel, ein bohrender Schmerz, der jedes Mal stärker wird, wenn jemand auf seinem Stuhl hin und her rutscht und dabei Stuhlbeine über den Boden kratzen. Er fühlt sich benommen und erschöpft. Ob er sich vielleicht wirklich die Grippe geholt hat, die ihm eigentlich nur als Ausrede gedient hat, um nicht schon gestern Abend zu kommen?

»Fahr hin und spiel bei dem Theaterstück mit«, hat Mountbatten ihn gedrängt.

»Nie und nimmer stolziere ich auf einer Bühne herum und mache mich vor dem König zum Affen!«

»Dann engagiere dich eben hinter der Bühne. Da findet sich bestimmt etwas, und es würde sehr gut ankommen. Der König und die Königin wissen derartige Gesten durchaus zu schätzen.«

Doch je mehr Mountbatten ihm zusetzt, desto bockiger wird Philip, wie ein Hund, den man waschen und shampoonieren will.

»Du bist doch schon auf dem besten Weg, Philip.« Onkel Dickie kann nicht verstehen, warum er sich so gegen diese einmalige Chance sträubt. »Der König sagt, Lilibet wäre bei eurer Begegnung 1941 sehr angetan von dir gewesen. Sie hat dir doch geschrieben, nicht wahr?«

»Hin und wieder.« Philip weiß, dass er uneinsichtig ist, aber er kann nicht anders. Er hat öfter als nur hin und wieder Briefe von Elizabeth bekommen, ernsthafte, mit kindlicher Hand geschriebene Briefe, die er seltsam rührend fand. Aber das wird er seinem ehrgeizigen Onkel gegenüber nie zugeben. Er nimmt die Angelegenheit bewusst auf die leichte Schulter und ist froh, dass Elizabeth ihn nie um ein Foto von sich gebeten hat. Er wiederum hat sich gehütet, auch nur anzudeuten, dass er gerne eines von ihr hätte. Damit hätte er die Dinge einen Schritt zu weit gehen zu lassen. »Sie ist ein junges Ding, Onkel Dickie. Sie hat nicht viel zu sagen.«

Mountbatten winkte ab. »Ich hoffe, du beantwortest ihre Briefe?«

»Wenn ich dazu komme. Ich weiß nicht, ob dir aufgefallen ist, dass wir uns im Krieg befinden.«

»Jedenfalls scheinst du genug Zeit zum Tanzen und Trinken zu haben, wenn du Landgang hast«, bemerkte sein Onkel.

»Ich schreibe ihr.« Nicht dass er selbst viel in seinen Briefen zu sagen gehabt hätte.

Die Wahrheit ist, dass er Mühe hat, sich genauer an Elizabeth zu erinnern. Sie ist ein eher ruhiges Mädchen, vernünftig und nicht unbedingt grazil. Immer wieder mal hat er sie bei diversen Familienfeiern getroffen, zum Beispiel bei der Vermählung seiner Cousine Marina mit dem Herzog von Kent, und natürlich bei der Krönung ihres Vaters, die Philip noch gut in Erinnerung hat. 1939 haben sie im Naval College miteinander Krocket gespielt, nachdem Onkel Dickie, der alte Intrigant, es geschickt eingefädelt hatte, dass Philip sich um die beiden Prinzessinnen kümmerte, während der König und die Königin dem Gottesdienst beiwohnten. Irgendeine Krankheit, Mumps oder Masern oder was auch immer, war der Grund dafür gewesen, dass Elizabeth und Margaret ihre Eltern nicht begleiten konnten.

Philip wäre nicht überrascht zu erfahren, dass Mountbatten das Ganze damals höchstpersönlich inszeniert hat, um seinen Neffen der ältesten Tochter des Königs vor die Nase zu schieben. Nicht dass es viel gebracht hätte. Elizabeth war damals fast krankhaft schüchtern, glaubt er sich zu erinnern, und ziemlich unbeholfen. Er hat es kaum geschafft, ihr auch nur ein Wort zu entlocken. Später wurde ihnen ein vorzüglicher Tee auf der königlichen Jacht serviert, daran erinnert er sich.

Gott im Himmel, gleich platzt ihm der Schädel. Wenn er nur irgendwoher ein Aspirin bekommen könnte, aber danach fragt man besser nicht, wenn man gerade den Crimson Drawing Room betreten hat, wo der König und die Königin ihre Gäste begrüßen.

Das Letzte, was Philip in diesem Moment will, ist, sich ein Weihnachtsspiel anschauen. Die Waterloo Chamber ist so groß, dass sie nur schwer zu beheizen sein dürfte, und weil die Königsfamilie entschlossen ist, in diesen Kriegszeiten dieselben Entbehrungen auf sich zu nehmen wie die restliche Bevölkerung, wurde nicht einmal ein elektrischer Heizstrahler aufgestellt, um zumindest ein wenig Wärme zu erzeugen. Die Luft ist eisig, und Philip beneidet die Königin um ihren Pelzmantel.

Trotz der schneidenden Kälte wird er nicht munter. Oslas Sofa ist nicht unbedingt bequem. Er ist unausgeschlafen und müde, und vor lauter Anstrengung, nicht zu gähnen, tun ihm die Kiefermuskeln weh. Verstohlen drückt er Daumen und Zeigefinger auf seinen Nasenrücken. Er darf jetzt auf keinen Fall einschlafen. Obwohl er sich aufsässig gibt, ist ihm bewusst, dass Mountbatten mit dem, was er sagt, recht hat und er heute einen guten Eindruck auf den König machen muss.

»Und auf die Königin«, hat ihm sein Onkel eingeschärft. »Bei ihr musst du dir noch mehr Mühe geben. Wobei es nicht gerade hilft, dass deine Großmutter und deine Großtanten sie gern als gewöhnliches schottisches Mädel bezeichnen.«

Bisher war die Königin die Liebenswürdigkeit in Person, aber Philip ist nicht entgangen, dass ihr reizendes Lächeln im Widerspruch zu dem scharfen Blick aus ihren blauen Augen steht.

Endlich erlöschen die Deckenlichter, und das Orchester fängt an zu spielen. Eine schnelle Melodie erklingt, und Philip will gerade die Gelegenheit nutzen, sich tiefer in seinen Sessel sinken zu lassen, als sich der Vorhang öffnet. Die Musik endet mit einem Trommelwirbel, der Deckel des Wäschekorbs auf der Bühne fliegt in hohem Bogen davon, und herausgehüpft kommt niemand anders als Prinzessin Elizabeth, mutmaßliche Erbin des englischen Throns.

Einen winzigen Moment lang herrscht Schweigen. Sie scheint ihn direkt anzusehen, und er ist zunächst so überrumpelt, dass er nur zurückstarrt, bevor er über die Absurdität der Situation grinsen muss. Seine Kopfschmerzen sind wie weggeblasen.

Dann lächelt sie – ein neuerlicher Schock, da er sich nicht erinnern kann, sie je so lächeln gesehen zu haben –, tritt auf der Bühne nach vorn und fängt an zu singen. Sie trägt eine rot-goldene chinesische Jacke, die sie an den richtigen Stellen ausfüllt. Sie reicht ihr bis zu den Oberschenkeln; darunter trägt sie nur eine kurze Satinhose und Seidenstrümpfe, die überraschend wohlgeformte Beine enthüllen.

Philip stößt einen stummen Pfiff aus und richtet sich auf seinem Sitz auf.

Interessiert beobachtet er, wie Elizabeth über die Bühne steppt. Die Aufführung ist besser, als er erwartet hat, gesteht er sich ein und ertappt sich dabei, sogar bei den eher schlechten Witzen in schallendes Gelächter auszubrechen. Prinzessin Margaret ist sehr hübsch und macht ihre Sache fraglos besser als ihre Schwester. Sie hat auch die bessere Stimme und ist die bessere Schauspielerin, und dennoch kehrt Philips Blick immer wieder zu Elizabeth zurück. Sie strahlt förmlich.

Mittlerweile müsste sie siebzehn sein, überlegt er. Ihm war bis gerade eben nicht klar, was für einen großen Unterschied zwei Jahre machen können. Onkel Dickies Ermahnung, Elizabeth’ Interesse zu fesseln, erscheint ihm plötzlich nicht mehr ganz so lästig.

Kapitel 3

Elizabeth hat das Gefühl, mit jeder Faser ihres Körpers zu lächeln, als sie Hand in Hand mit Margaret mit dem Rest der Truppe auf die Bühne tritt und sich verbeugt. Dann fällt der Vorhang mit einem gedämpften Rascheln. Noch nie hat sie so gut getanzt, noch nie so gut gesungen. Als Waschfrau in einem Kostüm aus Sackleinen und Schürze hat sie zusammen mit Margaret und Cyril We’re Three Daily ’Elps gesungen und platzte fast vor Freude, als sie sah, wie Philip dabei den Kopf in den Nacken warf und dröhnend lachte. Ein zurückhaltendes Lächeln oder Schmunzeln scheint es für Philip von Griechenland nicht zu geben.

Sie zittert vor freudiger Erregung, als sie die Bühne verlassen, aber als Philip nach hinten kommt, um ihr zu gratulieren, löst sich ihr neues Selbstvertrauen von einem Moment auf den anderen in Luft auf. Nachdem sie so lange von ihm geträumt hat, ist es wie ein Schock, ihn jetzt in Fleisch und Blut vor sich zu sehen. Er ist größer, als sie ihn in Erinnerung hatte, die Konturen seines Gesichts sind härter, die eisblauen Augen heller. Er scheint mehr Raum einzunehmen, als ihm rechtmäßig zusteht, sodass sie kaum Luft bekommt und sich unsicher und schutzlos fühlt.

In seiner Begleitung sind der König und die Königin und seine auffallend elegante Cousine Marina, Herzogin von Kent, mit ihrem lasziven, schiefen Lächeln und dem exotischen Akzent. Elizabeth erinnert sich an Marinas Hochzeit mit ihrem Onkel George, bei der sie selbst Brautjungfer war. Auch Philip war da, aber damals war er nicht mehr als ein Junge, ein fremdartiges Wesen, das sie verstohlen aus dem Augenwinkel beobachtete. Onkel George ist im vergangenen Jahr bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen, und Marina erträgt ihre Witwenschaft mit großer Tapferkeit. Sie hat eine natürliche Schönheit, einen ungekünstelten Charme und ist zudem warmherzig und offen; sie besitzt alle Eigenschaften, die Elizabeth selbst gern haben würde.

»Was für ein Spaß!« Marina gibt Elizabeth einen herzlichen Kuss. »Du warst großartig, Liebes.«

Elizabeth lächelt, bedankt sich und küsst ihre Eltern. Aber ihr Blick wandert immer wieder zu Prinz Philip, der etwas hinter den anderen steht. Eigentlich will sie ihn nicht ansehen, ist vielmehr wild entschlossen, es nicht zu tun. Aber ihre Augen scheinen sich wie Eisenspäne zu verhalten, die unwiderstehlich von einem Magneten angezogen werden. Als der König und die Königin weitergehen, zögert er, und sie weiß nicht, ob sie sich darüber freuen oder ob ihr das Angst machen soll.

»Ich muss schon sagen, das war toll«, sagt er freundlich. »Ausgesprochen unterhaltsam.«

»Danke.« Die grässliche, altvertraute Schüchternheit schnürt ihr die Kehle zu. Sie trägt noch immer ihr Kostüm mit der chinesischen Jacke, der kurzen Hose und den Seidenstrümpfen und starrt unverwandt auf die kesse Kappe, die eben noch auf der Bühne auf ihrem Kopf saß und die sie jetzt nervös in den Händen dreht. »Mr Tannar, der Direktor der Royal School, hat den Text geschrieben, mit mir hat es also nicht besonders viel zu tun.«

»Da bin ich anderer Meinung. Ohne gute Schauspieler taugt selbst das beste Stück nichts. Ich habe mich glänzend amüsiert. Die Szene mit der Wäsche war wirklich lustig. Vor allem die Stelle, wo das Bügeleisen Löcher in all die ›Unaussprechlichen‹ brennt.« Seine Augen wandern nach unten, zu ihren Beinen.

Elizabeth ermahnt sich, deshalb nicht die Ruhe zu verlieren, aber sie fühlt sich in dem Kostüm, als wäre sie nackt, und weiß, dass ihr Lächeln verkrampft ist. »Ja, Margaret und Cyril sind richtig gut.«

Was ist aus dem inneren Funkeln und Strahlen geworden, das sie auf der Bühne gespürt hat, fragt sie sich niedergeschlagen. So fest hat sie sich vorgenommen, ihm zu zeigen, dass sie nicht mehr die linkische Fünfzehnjährige ist, als die er sie kennt, und wie steht sie jetzt da? Ihre Zunge scheint am Gaumen zu kleben, und die Hoffnung, ihn mit einer witzigen Bemerkung zum Lachen zu bringen, stirbt mit jeder Minute ein bisschen mehr. Sie ist eben ein hoffnungsloser Fall.

»Ich fand Sie auch sehr gut«, sagt Philip, und Elizabeth fragt sich insgeheim, ob er das auch sagen würde, wenn sie nicht die älteste Tochter des Königs wäre.

»Sehr nett von Ihnen«, erwidert sie mit einem gezwungenen Lächeln, »aber Margaret ist wohl eher die geborene Schauspielerin.«

»Sie wollen kein Kompliment von mir annehmen, nicht wahr?«, sagt er.

Er lächelt nicht wirklich, aber als Elizabeth verstohlen zu ihm späht, sieht sie, dass das Grübchen in seiner Wange tiefer geworden ist. In ihrem Inneren ist plötzlich eine bebende Wärme. Sie kann fühlen, wie sie sich ausbreitet, ihren Hals und ihre Wangen unter der Theaterschminke erröten lässt. »Ich bekomme einfach nicht gern Komplimente, die ich nicht verdient habe.«

Ihre spröde Antwort scheint Philip eher zu amüsieren als einzuschüchtern. »Und wofür würden Sie ein Kompliment verdienen?«, fragt er, als würde ihn das tatsächlich interessieren.

Für ihr Pflichtgefühl, würden ihre Eltern wohl sagen.

»Ich bin eine gute Esserin«, antwortet sie, und zu ihrer Überraschung lacht er.

»Dann haben wir etwas gemeinsam. Ich erinnere mich heute noch an den Tee auf der königlichen Jacht, das war 1939, als Sie bei der Vermählung im Naval College waren. Ich habe mir damals zwei Bananensplits einverleibt.«

Sein Lachen macht Elizabeth Mut. »Und mehrere Portionen Krabben, wenn ich mich recht entsinne«, sagt sie. »Ich habe gestaunt, dass Ihnen nicht schlecht geworden ist.«

Philip grinst. »Das wäre interessant geworden.«

Sein Lächeln brennt sich unter ihre Lider, und sie wendet den Blick ab.

»Ich weiß gar nicht mehr, wie Bananensplit schmeckt«, sagt sie nach einer kurzen Pause. »Seit Kriegsbeginn habe ich keine Banane mehr gesehen.«

»Freunde von mir behaupten, sie würden ständig von frischem Obst träumen.«

»Bei mir ist es Seife«, gesteht Elizabeth.

Er zieht die Augenbrauen hoch. »Seife?«

»Wenn vor dem Krieg ein Stück Seife eine bestimmte Größe erreicht hatte, bekamen wir ein neues. Es duftete immer nach Rosen oder Lavendel. Aber jetzt müssen wir unsere Seife fast bis zum allerletzten Rest verbrauchen, und wenn der dann schon verfärbt und rissig ist, wird er mit anderen Reststücken zusammengeklebt, damit wir die Seife noch länger benutzen können. Das gibt uns das Gefühl, näher an der Bevölkerung zu sein, auch wenn unsere Einschränkungen ziemlich klein sind, verglichen mit dem, was andere Menschen gerade durchmachen. Deshalb habe ich auch immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich mir ein neues Stück Seife wünsche. Es ist ein Wunschtraum, der sich vermutlich erst nach dem Krieg erfüllen wird.«

Warum hat sie ihm das erzählt? Elizabeth windet sich innerlich. Philip war an der Front. Er weiß, wie die Realität des Kriegs aussieht. Ein albernes junges Ding, das sich nach Seife sehnt, wird ihn da kaum beeindrucken.

Aber er macht keine dumme Bemerkung, was sehr nett von ihm ist. »Wir brauchen alle etwas, auf das wir uns freuen können«, sagt er.

Elizabeth merkt, dass sie immer noch mit ihrer Kappe spielt, und lässt sie auf den Tisch hinter sich fallen. »Ich freue mich, dass Sie die Weihnachtstage bei uns verbringen werden«, sagt sie mutig.

»Bestimmt nicht so wie ich«, sagt Philip. »Dickie und Edwina sind nicht da, und ich habe niemanden sonst, zu dem ich gehen könnte. Ohne diese Einladung würde ich einem traurigen Weihnachtsfest entgegensehen.«

Das bezweifelt Elizabeth. Sie ist nicht dumm. Sie ist überzeugt, dass Philip eine Menge Damen kennt, die ihn nur allzu gern über die Feiertage einladen würden. Ihr ist auch klar, dass er heute nur auf Lord Mountbattens Wunsch hin gekommen ist. Der Plan seines Onkels, eine Allianz mit dem Haus Windsor zu etablieren, ist allgemein bekannt; weniger klar ist, was Philip davon hält.

Elizabeth hingegen weiß, was sie will.

»Nun, es wird nur eine kleine Gesellschaft sein, deshalb können wir uns glücklich schätzen, dass Sie nicht auf See sind«, sagt sie, wobei sie sich bemüht, nicht allzu formell zu klingen.

»Mehrere Schiffe werden überholt, was heißt, dass ich ein paar Monate Dienst an Land schieben muss.«

Also ist er wahrscheinlich schon mehrere Wochen hier, hat sich aber nicht die Mühe gemacht, sie zu besuchen, registriert Elizabeth automatisch. Andererseits, was hat sie denn erwartet? Sicher, er schreibt ihr manchmal, aber sie sind nicht befreundet. Sie kennen sich kaum. In ihrem Leben nimmt Philip sehr viel Platz ein, aber sie dürfte in seinem im Moment nur eine sehr unbedeutende Rolle spielen, wie auch immer seine Pläne für die Zukunft aussehen mögen.

Elizabeth hat zwar keine Ahnung, wie man flirtet, aber nicht umsonst ist sie beim Lunch für die Gardeoffiziere auf Windsor Castle schon häufig Gastgeberin gewesen. Sie weiß, wie man Konversation macht, und sie hat ihren Stolz.

»Und was sind Ihre Aufgaben an Land?«, fragt sie Philip.

»Ich unterrichte hauptsächlich.« Falls ihm ihr abgekühlter Ton aufgefallen ist, lässt er es sich nicht anmerken. »Todlangweilig, um ehrlich zu sein. Ich kann es kaum erwarten, wieder in See zu stechen. Es fühlt sich einfach nicht richtig an, hier zu sein, während andere immer noch da draußen sind und kämpfen.« Er bricht ab. »Tut mir leid, das klingt unhöflich und undankbar. Ich wollte damit natürlich nicht sagen, dass ich nicht froh bin, hier zu sein«, sagt er. »Hier auf Windsor, meine ich. Bei Ihnen.«

Einen ganz kurzen Moment herrscht Schweigen. Bei Ihnen. Elizabeth muss an die Theaterschminke denken, die an ihrem Gesicht klebt. Die Seidenstrumpfhose ist an ihrem Knöchel verrutscht und bildet Falten, und der Kragen ihrer Jacke kratzt im Nacken.

Sie bringt ein steifes Lächeln zustande. »Verstehe«, sagt sie.

Im Hintergrund taucht Crawfie auf, und die aufgeregten Stimmen hinter ihnen werden lauter und überschwänglicher. Ihre Eltern scheinen gegangen zu sein.

»Ich sollte mich jetzt besser umziehen.« Elizabeth deutet auf ihr Kostüm und weiß selbst nicht, ob sie froh oder traurig über das Ende ihres Gesprächs ist. Philip macht sie nervös, weil sie sich fast gegen ihren Willen zu ihm hingezogen fühlt. Er erinnert sie an einen Hengst, schön und gefährlich zugleich, ein Pferd, das sie liebend gern reiten würde, das aber schwer zu zügeln sein könnte.

»Natürlich.« Philip tritt zurück. »Wir sehen uns später?«

»Ja.« Ihre Lippen verziehen sich zu einem gekünstelten Lächeln. »Ich freue mich darauf.«

Kapitel 4

Onkel Dickie muss da irgendwas missverstanden haben, denkt Philip, als Elizabeth sich zum Gehen wendet. In seinen Augen weist praktisch nichts darauf hin, dass die Prinzessin »sehr angetan« von ihm ist. Er findet sie steif und bieder … und doch … und doch ist er sicher, ein- oder zweimal in ihren Augen ein kurzes Aufblitzen von Humor und Wärme gesehen zu haben, auch wenn der Funke rasch wieder erloschen ist.

Es könnte Spaß machen, diese Seite stärker an ihr zum Vorschein zu bringen, überlegt er, während er den dunklen, kalten Korridor hinunterschlendert.

Elizabeth ist erwachsen geworden, keine Frage, aber immer noch sehr jung. Sie ist keine Schönheit wie Osla, denkt Philip, aber sie hat eine weibliche Figur, einen strahlenden Teint und außergewöhnlich schöne Augen von einem tiefen klaren Blau. Und als sie auf der Bühne stand, hat ihr Lächeln die ganze Waterloo Chamber erhellt. Philip ertappt sich bei dem Wunsch, ihr noch einmal dieses Lächeln auf die Lippen zu zaubern.

Am Ende des Korridors bleibt er stehen. Rechts oder links? Die Gänge in diesem Gebäudeteil mit den verschlossenen Türen zu beiden Seiten scheinen kein Ende zu nehmen. Für Windsor Castle gelten dieselben Verdunkelungsvorschriften wie überall sonst im Land, nur vereinzelt erhellt eine schwach glimmende Glühbirne seinen Weg. Das Angebot eines ältlichen Lakaien, seine Reisetasche zu tragen, hat er schroff abgelehnt: »Ich habe zwei eigene Hände.«

Der Diener wirkte gekränkt, aber Philip hat ihn auf mindestens siebzig geschätzt. Soll er etwa mit leeren Händen die schier endlosen Flure entlangspazieren, während sich ein alter Mann mit seinem Gepäck abschleppt?

Nur sein eigensinniger Stolz ist es, der Philip jetzt davon abhält, umzukehren und den Bediensteten nach dem Weg zu fragen.

Als er endlich sein Zimmer findet – an der Tür prangt ein Schild mit dem Aufdruck Seine Königliche Hoheit Prinz Philip von Griechenland –, packt er seine Tasche aus und legt seine überschaubare Garderobe aufs Bett. Dem Himmel sei Dank für die Uniform, denkt er und verzieht das Gesicht, als er seine bereits mehrmals gestopften Socken zusammen mit seiner Unterwäsche in eine Kommodenschublade feuert. Sein Smoking glänzt speckig, die Hose ist geflickt. Egal, welcher Diener das fragwürdige Vergnügen haben wird, sich um ihn zu kümmern, beeindruckt wird er bestimmt nicht sein.

Philip schiebt seine restlichen Sachen beiseite, wirft sich aufs Bett und zündet sich eine Zigarette an.

Na ja, es ist Krieg, ruft er sich in Erinnerung, während er einen Rauchkringel in die eisige Luft bläst. Da kann niemand von ihm makellose Kleidung erwarten. Die königliche Familie wird ihn so nehmen müssen, wie er ist.

Und schließlich ist Windsor Castle auch nicht der Gipfel des Luxus. Von außen mag es imposant erscheinen, aber durch die dicken Steinmauern herrscht im Inneren bittere Kälte, und da sämtliche Schätze, die es hier sonst zu sehen gibt, jetzt an einem sicheren Ort gelagert werden, erinnert das Ambiente eher an eine trostlose Festung als an einen prachtvollen königlichen Palast. Die Kronleuchter wurden abgenommen, ebenso die großen Gemälde. In den Prunkräumen wurden die Möbel mit Staubhüllen abgedeckt oder die Zimmer in Büros umgewandelt. In den Schlafgemächern ist es nicht gestattet, Feuer in den Kaminen zu machen, hat man ihm mitgeteilt, und die einzige Lichtquelle im Raum ist eine flackernde Glühbirne. Verdunkelung, Rationierung und der Wunsch, dem Land, das unter den Entbehrungen leidet, als gutes Beispiel voranzugehen, all das hat zum Ergebnis, dass die Bedingungen hier weit weniger komfortabel sind als in Mountbattens Haus.

Aber er ist nicht wegen des Komforts hier, ermahnt Philip sich. Er ist auf Windsor, um sich bei einer Prinzessin beliebt zu machen.

Eine Weile raucht er, um sich von der Kälte abzulenken. In Wahrheit, gesteht Philip sich ein, ärgert er sich, weil Elizabeth sich über sein Kommen anscheinend nicht besonders gefreut hat. Nach ihren Briefen war er davon ausgegangen, dass sie sich bei seinem Anblick vor Begeisterung förmlich überschlagen würde. Aber anscheinend war die Annahme ein Irrtum.

Es ärgert ihn, dass sein Onkel mit seiner Behauptung, er solle lieber früher als später zu einer Einigung mit Elizabeth kommen, recht haben könnte. Sie wirkt kühl, reserviert, beides Eigenschaften, die Philip kennt, die er bei ihr aber nicht erwartet hat. Vielleicht muss er sich mehr um sie bemühen, als er gedacht hat.

Noch braucht er sich damit allerdings nicht zu beeilen. Philip drückt seine Zigarette aus und verschränkt die Hände hinter dem Kopf. Vor Kriegsende wird sich ohnehin nichts tun, und er ist weit davon entfernt, sich häuslich niederlassen zu wollen. Schließlich ist er erst zweiundzwanzig.

Andererseits ist er ein Prinz – und Elizabeth eine Prinzessin. Eines Tages wird er heiraten müssen, genauso wie sie. Es könnte schlimmer kommen.

Er denkt an seinen Vater in Monte Carlo, an seine fadenscheinigen Hemdkragen und stumpf gewordenen Manschetten. An seine Mutter, die in einer einfachen Wohnung in Athen haust und ihre Juwelen versetzt, um denen zu helfen, die noch ärmer dran sind als sie selbst. Philip weiß seit seinem neunten Lebensjahr, dass er sich selbst um sich kümmern muss. Er wird nicht irgendwann einmal ein gewaltiges Erbe antreten. Er hat seinen Titel, mehr nicht.

Elizabeth hingegen wird den Thron von England besteigen und all die Ländereien, die Schätze und Reichtümer, die damit einhergehen, ihr Eigen nennen. Wenn er sie heiratet, wird er in einer Sicherheit leben, die er bisher nie gekannt hat.

Zu einem gewissen Preis.

Der Preis ist die Ehe mit einem Mädchen, das er kaum kennt. Er würde sich ein Leben lang vorbildlich benehmen, stets die zweite Geige spielen müssen.

Philip weiß nicht, ob er das könnte.

Und natürlich kann es sein, dass Elizabeth ihn gar nicht will.

Er kratzt sich am Kinn und denkt darüber nach, wie er sich bei diesem Gedanken fühlt.

Elizabeth muss heiraten und der Krone einen Erben schenken. Wie viele Prinzen, die als Ehemann infrage kommen, kann es schon geben? Warum sollte sie nicht ihn, Philip von Griechenland, nehmen?

Seufzend schwingt er seine Beine über die Bettkante. Zeit, sich umzuziehen.

Er weiß, was er zu tun hat. Der Haken daran ist, er will es nicht.

Kapitel 5

In dem Salon, in dem der König und die Königin ihre Gäste empfangen, um sich vor dem Dinner einen Drink zu gönnen, brennt ein Feuer im Kamin. Als hätten sie eine stillschweigende Übereinkunft getroffen, stehen die Anwesenden dicht beisammen vor dem Kaminsims, um so viel wie möglich von der dürftigen Wärme zu spüren, die die Flammen erzeugen.

Elizabeth unterhält sich mit Porchey. Er ist einer ihrer ältesten Freunde und begeistert sich für Pferde und Pferderennen, so wie sie selbst. In seiner Gesellschaft ist sie unbefangen. Wenn sie sich mit ihm unterhält, fühlt sie sich nie seltsam. In seiner Gegenwart verknotet sich ihre Zunge nicht, ihr Lächeln gefriert nicht, und ihr Magen scheint nicht zu brennen.

Ganz anders also, als wenn Philip in ihrer Nähe ist.

Um auf keinen Fall hinzuschauen, wenn er kommt, kehrt sie der Tür den Rücken zu und zupft an der Pelzstola, die sie gegen die Kälte trägt. Erst seit Kurzem darf sie an abendlichen Veranstaltungen teilnehmen, deshalb fühlt sie sich immer noch ein bisschen so, als würde sie mit den Sachen ihrer Mutter Verkleiden spielen.

Porchey und sie lachen gerade über etwas, als ihr ein Prickeln über den Rücken läuft und sie sich gegen ihren Willen zur Tür umdreht. Philip betritt den Salon. Er trägt seine Marineuniform und strahlt eine solche Energie aus, als könnte er allein durch seine Präsenz die Luft elektrisch aufladen. Bei seinem Anblick stockt Elizabeth der Atem, und ihr Herz hämmert gegen ihren Brustkorb.

Auch alle anderen wenden sich ihm zu, aber Philip scheint völlig unbeeindruckt davon und von dem kurzen Schweigen, das nun folgt. Es wird von Elizabeth’ Vater unterbrochen, der auf ihn zugeht, um ihn zu begrüßen und ihm Tommy Lascelles, seinen Privatsekretär, vorzustellen. Tommy strahlt wie üblich Strenge und Reserviertheit aus, aber Philip scheint davon keineswegs eingeschüchtert, sondern nimmt von einem der ältlichen Diener, die überredet werden konnten, für die Kriegsdauer eine Pause in ihrem Ruhestand einzulegen, ein angebotenes Glas an und plaudert munter drauflos.

Der König bleibt bei den beiden stehen, und Elizabeth fällt auf, dass er im Vergleich mit Philip, den eine unglaubliche Vitalität umgibt, müde und eingefallen wirkt.

»Wer ist das?«, fragt Porchey, der ihrem Blick gefolgt ist.

»Ach, das ist Philip.« Sie ist stolz darauf, dass ihre Stimme fest klingt.

»Einer von den Mountbattens, nicht wahr?«

»Seine Mutter ist eine geborene Mountbatten. Er gehört zur griechischen Königsfamilie. Sein Cousin George ist König von Griechenland, aber zurzeit lebt eigentlich die gesamte Familie im Exil.«

Porchey betrachtet Philips helles Haar. »Besonders griechisch sieht er aber nicht aus«, stellt er kritisch fest. »Eher wie ein Wikinger.«

»Ich glaube, sie sind auch mit der dänischen Königsfamilie verwandt. Und mit der russischen.«

Porchey wirkt unbeeindruckt. Er ist Aristokrat, Erbe des Earl of Carnarvon und durch und durch britisch.

»Komm, ich mache euch miteinander bekannt«, sagt Elizabeth im selben Moment, als Philip sich von Tommy und dem König verabschiedet und direkt auf sie zugeht. Ihr Herz schlägt noch schneller als vorher, und sie setzt ein strahlendes Lächeln auf. »Hallo.«

»Gut sehen Sie aus«, stellt Philip fest und mustert sie mit seinen hellen Augen von oben bis unten. »Blau steht Ihnen, Ma’am«, fügt er mit einem kleinen Lächeln hinzu, das eine zarte Röte in ihre Wangen steigen lässt.

Sie spürt, wie sich Porchey neben ihr versteift. »Danke«, sagt sie nervös. »Ehrlich gesagt fühle ich mich in Reithose und Pulli wohler.« Als Philip belustigt die Augenbrauen hebt, räuspert sie sich hastig. »Ich glaube, Sie kennen Henry, Lord Porchester, noch nicht, oder? Jeder nennt ihn Porchey. Porchey, das ist Philip.«

Als die beiden Männer sich die Hand geben, fühlt Elizabeth sich an zwei Hunde erinnert, die einander mit gesträubtem Fell umkreisen.

»Bei der Garde?«, fragt Philip mit einem Blick auf Porcheys Uniform.

»Ja.«

»Schon im Einsatz gewesen?«

Man kann es Porcheys Stimme anhören, dass er sich innerlich windet, als er antwortet: »Noch nicht. Ich bin beim Ausbildungsbataillon der Grenadiere. Meine Aufgabe ist es, hier zu sein und den Herrscher zu bewachen.«

»Und die Tochter des Herrschers«, sagt Philip, während er seinen Blick zwischen den beiden hin- und herwandern lässt.

»Porchey ist ein großartiger Reiter«, wirft Elizabeth rasch ein, um die angespannte Stimmung aufzulockern.

»Tatsächlich?«

»Reiten Sie?«, fragt Porchey Philip.

»Nein«, sagt er. »Ich brauche es etwas schneller. Ich mag schnelle Autos und schnelle Boote.«

»Für Geschwindigkeit bin ich auch zu haben«, sagt Porchey, »aber ich bevorzuge schnelle Pferde.«

»Genau wie ich«, wirft Elizabeth ein. »Ich kann mich noch erinnern, wie mich mein Großvater auf sein Gestüt von Sandringham House mitgenommen hat und ich Limelight, einen seiner Lieblingshengste, tätscheln durfte. Und erst letztes Jahr war ich mit Papa in den Stallungen in Beckhampton und konnte Big Game Hallo sagen. Ich schwöre, ich habe mir den Rest des Tages nicht die Hände gewaschen!«

»Und Sie?« Porchey mustert Philip mit einem fast feindseligen Blick. »Sind Sie für einen Marineoffizier nicht reichlich weit entfernt von der See?«

»Ich habe zurzeit Landdienst. Vorher habe ich Geleitschutz geleistet, sprich, wir haben Schiffe von Rosyth und Sheerness begleitet.«

»Ist das nicht die Route, die man E-Boat Alley nennt?«, fragt Elizabeth.

Philip stutzt überrascht. »Sie sind gut informiert.«

Für ein Mädchen oder für eine Siebzehnjährige? Elizabeth ist sowohl das eine wie das andere, aber sie ist auch noch viel mehr.

»Das halte ich für meine Pflicht.« Sie will ihm nicht erzählen, wie sorgfältig sie nach jedem Brief seine Routen mit dem Schiff verfolgt hat. Sie hat eine Weltkarte, auf der Nadeln sie markieren. Auf diese Weise hat sie das Gefühl gehabt, mit ihm verbunden zu sein.

Vor zwei Jahren, als Philip zum Tee nach Windsor kam, waren Margaret und sie von seiner lockeren Art, mit der er über seine Abenteuer auf See sprach, und seinem unbekümmerten Auftreten hingerissen. Danach bot sie ihm schüchtern an, ihm zu schreiben, und war natürlich entzückt, als er erwiderte, dass er sich über einen Brief von ihr sehr freuen würde. Aber was hätte er auch sonst sagen können? Gelegentlich hat er ihr sogar geantwortet. Es war nett von ihm, sich die Zeit zu nehmen, ihr überhaupt zu schreiben, sagte sich Elizabeth immer wieder, wenn sie seine Briefe ein ums andere Mal las und vergeblich in ihnen nach einem Hinweis suchte, dass er in ihr etwas anderes sah als ein entferntes Mitglied seiner weitläufigen Verwandtschaft.

»Ich versuche, mich über das Kriegsgeschehen auf dem Laufenden zu halten«, fügt sie hinzu und windet sich im nächsten Moment innerlich, weil das schrecklich hochtrabend klingt.