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Tyson Yunkaporta ist Angehöriger des im westlichen Kap York beheimateten Apalech Clans und Dozent für Indigenes Wissen an der Deakin University in Melbourne. Er hat sich eingehend mit den Sprachen der Aborigines befasst und war in der indigenen Bildung tätig. Zu seinen Forschungsfeldern gehören die mündliche Überlieferung von Naturkatastrophen, Sprache, Gesundheit und Erkenntnis. Er hat Gedichte veröffentlicht und als Künstler traditioneller Holzschnitzkunst an Ausstellungen teilgenommen.

Tyson Yunkaporta

Sand Talk

Das Wissen der Aborigines und die Krisen der modernen Welt

Aus dem Englischen von Dirk Höfer

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Inhalt

Das Stachelschwein, das Paläo-Denken und der Große Entwurf

Albinojunge

Erstes Gesetz

Die Grenzen des »Für immer«

Linien im Sand

Von Geist und Geistern

Hoch entwickelt und hellhäutig

Steinzeit-Romantik

Falsche Apostrophe

Limo gegen Kopfschmerzen

Entenjagd geht jeden etwas an!

Unerschütterlich trifft auf Unwiderstehlich

Sei wie dein Land!

Wohin des Wegs

Danksagungen

Glossar

Das Stachelschwein, das Paläo-Denken und der Große Entwurf

Manchmal frage ich mich, ob Ameisenigel mitunter an der gleichen Wahnvorstellung leiden, wie sie viele Menschen befällt, nämlich, dass ihre Art das geistige Zentrum des Universums ist. Klug genug sind sie: Ihr präfrontaler Cortex, der Bereich des Gehirns, der für komplexes Denken und Entscheidungsfindung zuständig ist, ist bei ihnen im Verhältnis zur Körpergröße größer als bei allen anderen Säugetieren. Fünfzig Prozent des Ameisenigelgehirns werden für die schwierigsten Aspekte des Denkens verwendet. Beim Menschen sind es nur dreißig Prozent.

Dies anerkennend, erweise ich den fühlenden totemistischen Wesen ganz Australiens meinen Respekt, jenem Land, in dem die Ameisenigel oder Echidnas den Traumpfaden (songlines) ihrer Erschaffung folgen: Erzählungen als Landkarten, die Wissen entlang jener Energielinien transportieren, die sich als Gesetz in dem als eins gewussten Denken und Land manifestieren und sich netzartig durch die traditionellen Länder der Ersten Völker ziehen.

Vielleicht möchtest du dich mir anschließen, wenn ich den Menschen und anderen Lebewesen überall, die das Gesetz des Landes bewahren, meinen Respekt erweise:

Den Ältesten und traditionellen Hütern all jener Orte, an denen dieses Buch geschrieben wurde und gelesen wird.

Den Vorfahren, den Ahnen eines jeden Volkes, das heute auf diesem Kontinent und seinen Inseln lebt.

Unseren nichtmenschlichen Verwandten, denen auch die verschiedenen stacheligen Arten überall auf der Welt angehören, die Stachelschweine und Igel, die in der Erde nach Ameisen schnüffeln und dann weiß Gott was tun, wenn wir nicht hinsehen.

Ich weiß nicht, warum Stephen Hawking und andere sich Sorgen machen über hochintelligente Wesen von anderen Planeten, die auf die Erde kommen und mit ihrem fortgeschrittenen Wissen der Welt das antun könnten, was die industrielle Zivilisation ihr schon längst angetan hat. Wesen höherer Intelligenz sind bereits unter uns, waren sie schon immer. Sie haben ihre Intelligenz bloß noch nicht darauf verwendet, alles zu zerstören. Vielleicht tun sie es, sobald sie der Inkompetenz des domestizierten Menschen müde werden.

Alle Menschen haben sich über lange Zeit in vielschichtigen, landverbundenen Kulturen entwickelt und ein Gehirn mit einer Kapazität für über hundert Milliarden Nervenverbindungen ausgebildet, von denen wir heute nur einen kleinen Bruchteil einsetzen. Die meisten von uns sind aus solchen Ursprungskulturen vertrieben worden, eine weltweite Diaspora von Geflüchteten, die nicht nur vom Land selbst, sondern auch von dem unverfälschten Genius abgeschnitten sind, der dem Gefühl einer symbiotischen Beziehung zu ihm entspringt. Im Australien der Aborigines erzählen uns die Ältesten Geschichten, uralte Erzählungen, um uns vor Augen zu führen: Wenn du dich nicht mit dem Land bewegst, wird das Land dich bewegen. Siedlungen und die Zivilisationen, aus denen sie hervorgehen, sind nie von Dauer. Der Grund, warum all die leistungsstarken, in den Himmel gerichteten Instrumente noch keine hoch technisierten Alien-Zivilisationen entdeckt haben, könnte darin liegen, dass solche nicht nachhaltig agierenden Gesellschaften nicht lange genug bestehen, um Spuren im Weltall zu hinterlassen. Ein beunruhigender Gedanke.

Vielleicht müssen wir die brillanten Denkpfade unserer paläolithischen Urahnen von Neuem abgehen und dabei so viele geistige Funktionen zurückgewinnen, dass wir das unerträgliche, von der Zivilisation angerichtete Durcheinander wieder geraderücken können, bevor die Echidnas beschließen, uns alle zu feuern und den Planeten unter die Aufsicht ihrer Spezies zu stellen.

Die Geschichten, die heutzutage unser Denken bestimmen, beschreiben einen ewigen, aus einer Ursünde entspringenden Kampf zwischen Gut und Böse. Aber diese Bezeichnungen sind nur Metaphern für etwas, das schwieriger zu erklären ist, ein relativ junges Verlangen, der Komplexität der Schöpfung Einfachheit und Ordnung aufzuzwingen, ein Verlangen, das einem uralten Samen entspross, dem Samen des Narzissmus, der aufgrund eines neuen Ungleichgewichts in den menschlichen Gesellschaften aufging.

Es gibt ein Muster im Universum und in allem, was darin ist, und es gibt Wissenssysteme und Traditionen, die diesem Muster folgen, um ein Gleichgewicht zu wahren, um die Versuchungen des Narzissmus in Schach zu halten. In jüngster Zeit allerdings sind Traditionen entstanden, die die Schöpfungssysteme aufbrechen wie ein Virus, komplexe Muster mit künstlicher Einfachheit infizieren und über das, was bisweilen für Chaos gehalten wird, zivilisierende Kontrolle ausüben. Die Sumerer fingen damit an. Die Römer haben es perfektioniert. Die Anglosphäre hat es geerbt. Heute ist die Welt in diesem Morast versunken.

In Wirklichkeit ist der Krieg zwischen Gut und Böse eine Überlagerung von Weisheit und Komplexität mit Dummheit und Einfachheit.

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Ein Stoß Seiten, gefüllt mit Zeichen, die Sprachlaute wiedergeben, ist eine komplizierte Art der Kommunikation, insbesondere wenn man das Muster der Schöpfung in einem praktischen Sinn vermitteln möchte, in einem Sinn, der die Krisen, denen die Welt heute gegenübersteht, beleuchten könnte. Kompliziert, nicht komplex. Das sind zwei verschiedene Dinge. Die Welt, durch eine Linse der Einfachheit betrachtet, lässt die Dinge komplizierter, zugleich aber weniger komplex erscheinen.

Für einen indigenen Australier, der aus einer mündlichen, stark auf persönlichen Austausch und wechselseitige Verpflichtungen angewiesenen Kultur kommt, wird, wenn er Symbole für Sprachlaute aufschreiben soll, damit Fremde sie lesen können, das Ganze noch komplizierter. Zusätzlich erschwert wird dies, wenn das Publikum einer bestimmten Vorstellung von Authentizität anhängt und in dem Verfasser lediglich den Angehörigen einer kulturellen Minderheit sieht, die das Recht, sich selbst zu definieren, eingebüßt hat. In der Sprache der Besatzungsmacht flüssig schreiben zu können, scheint dem Umstand zu widersprechen, dass der Autor einer indigenen Gemeinschaft angehört, von der nicht erwartet wird, über sich selbst überhaupt etwas zu Papier bringen zu können. Ich sehe mich also an dieser Stelle veranlasst, zu erklären, wer ich bin und was mich dazu brachte, dieses Buch zu schreiben.

In meiner eigenen Welt kenne ich mich so, wie mich meine Gemeinschaft kennt: als einen Jungen, der dem Apalech Clan aus dem westlichen Kap York angehört, ein Sprecher des Wik Mungkan mit Verbindungen, auch solchen, die auf Adoptionen zurückgehen, zu zahlreichen Sprachgruppen auf dem gesamten Kontinent. Manche dieser Adoptivbande sind informell – etwa diejenigen, die ich nach New South Wales und Western Australia habe –, meine vor zwei Jahrzehnten erfolgte Traditionelle Adoption in den Apalech Clan steht jedoch unter dem Aborigine-Gesetz, das streng und unveräußerlich ist. Dieses Gesetz verhindert, dass ich mich mit meinen nungari/ koori/schottischen Abstammungslinien identifiziere, und verlangt, dass ich ausschließlich jene Namen, Rollen und Genealogien annehme, die sich aus der Mitgliedschaft im Apalech Clan ergeben. Dies erkenne ich rückhaltlos an, auch wenn ich damit auf viel Unverständnis stoße und es mich lächerlich aussehen lässt: Wo mir die Leute im Süden erzählen, ich würde aussehen wie ein Inder, ein Araber oder ein Latino, sehe ich, neben meinem sehr dunkelhäutigen Adoptivvater stehend, wie Nicole Kidman aus.

Meine Lebensgeschichte hat nichts Erlösendes oder Inspirierendes, und ich erzähle sie nur ungern. Sie beschämt und traumatisiert mich, und ich muss mich selbst sowie andere schützen, die den Wirbelstürmen dieser chaotischen Kolonialgeschichte ausgesetzt waren. Doch die Leute bestehen darauf, etwas darüber zu erfahren, bevor sie meine Texte lesen, deshalb hier die Kurzversion.

Ich bin in Melbourne geboren, kam aber als kleines Kind in den Norden und wuchs, von Benaraby bis Mount Isa, in einem Dutzend entlegener oder ländlicher Gemeinden Queenslands auf. Nach einer schwierigen und manchmal entsetzlichen Schulzeit wurde ich schließlich, in einem Wirbel fliegender Fäuste und in meiner kulturellen Identität gestört, als zorniger junger Mann auf die Welt losgelassen. Die übelsten Szenen aus Filmen wie Die letzte Kriegerin, Conan, der Barbar und Goodfellas zusammengenommen, und man kann sich in etwa vorstellen, was damals passierte. Als Kind war ich nicht gerade ein Sonnenschein, und auch als ich, volljährig geworden, mein Leben selbst in die Hand nahm, verbesserte sich meine Gemütslage nicht. Und dafür gebe ich niemandem die Schuld außer mir.

Dass ich meinen »Stamm« unten im Süden ausfindig machte und mich wieder mit ihm verband, konnte den lange gehegten Traum, heimzukehren, nicht erfüllen, und ich fühlte mich ziemlich verzweifelt und allein. Aber nicht alles war schlecht. Ich konnte mich glücklich schätzen, bis zu diesem Punkt meiner Lebensreise recht viele Fragmente landverbundenen und kulturellen Wissens aufgeschnappt zu haben. In den 1990er-Jahren arbeitete ich als Lehrer, organisierte an den Schulen, an denen ich Theaterkurse gab und Sprachen unterrichtete, Förderprogramme für Aborigine-Schüler, fertigte meine Didgeridoos und Speere und Clapsticks an und tanzte auf Corroborees, jagte Kängurus und übte mich in den über die Jahre angeeigneten exotischen Elementen meiner Kultur. Aber dies alles war wie abgekoppelt, leer, blieb nur Fragment und Dekoration. Mich schaudert, wenn ich daran denke.

Irgendwie schaffte ich es sogar, inmitten dieses ganzen Chaos zu studieren, zu heiraten und zwei schöne Kinder zu bekommen, aber mein Leben war derart von Gewalt und Drogenmissbrauch geprägt, dass ich kaum einen echten Menschen abgab – lediglich ein aus extremen Reaktionen und Wut bestehendes Bündel. Mit Ende zwanzig lebte ich oben im Norden, ein verrohter Einzelgänger ohne Familie und Lebenssinn. Zu lange hatte ich mit dem Etikett »Halb-Aborigine« oder »Weißer mit Einschlag« gelebt und war dafür in den Einrichtungen, in denen ich arbeitete oder studierte, verspottet worden. Mit den endlos wiederkehrenden Fragen bezüglich meiner Identität kam ich nur schlecht zurecht. »Du bist doch kein Weißer? Welchen Hintergrund hast du? Aborigine? Nein, oder, du siehst wie ein Weißer aus. Wie viel Prozent Aborigine? Na ja, ein bisschen steckt ja in jedem von uns. Denke mal, die meisten Australier würden mit einem Bluttest und ein bisschen Ahnenforschung eine Aborigine-Abstammung bescheinigt bekommen.«

Oben im Norden trieben mich die rassistischen Anspielungen, mit denen ich konfrontiert war, in den Wahnsinn. Ich geriet völlig aus der Spur und war so gut wie am Ende. In einer fürchterlichen Nacht fanden mich Dad Kenlock und Mum Hersie in einem selbst verschuldeten lebensbedrohlichen Zustand und retteten mein Leben. Im Jahr zuvor hatten sie ihren jüngsten Sohn verloren – er war in meinem Alter gewesen und so wie ich in Gefahr geraten –, und sie beschlossen, mich als ihren eigenen Sohn aufzunehmen. Seither gehöre ich zu ihnen.

Diese Familie wurde also zu meinem Lebenszentrum, um das ich kreiste. Ich lebte länger am Kap York als an jedem anderen Ort zuvor und nahm Familienmitglieder mit in den Süden, wenn ich mich dort für verschiedene temporäre Jobs aufhielt. Auf diese Weise erhielten sie Zugang zu besseren Bildungsangeboten und zu Dienstleistungen, die in unserer Heimatgemeinde fehlten. Zu Hause gab es ohnehin keine richtige Arbeit, sodass Dad Kenlock mich aufforderte, hinaus in die Welt zu gehen und mit meinem Wissen »für die Rechte und Kultur der Aborigines zu kämpfen«.

Regelmäßig fuhr ich von zu Hause weg, um überall in Australien mit indigenen Gruppen und Gemeinschaften zu arbeiten, während meine Kinder und ihre Mutter sowie mein erweiterter Familienkreis meine langen Abwesenheiten zu ertragen hatten. Ich mehrte mein Wissen, zahlte dafür aber einen Preis. Ich musste hart arbeiten und studieren, um meine Kinder sowie weitere von mir abhängige Familienmitglieder zu unterstützen, aber ich musste auch in meiner Kultur leben und wachsen. Keine geringe Sache. Beides zugleich zu tun, ist unmöglich, ohne dass die wichtigsten persönlichen Beziehungen Schaden nehmen. Der Versuch kostete mich schließlich meine Ehe. Ich verpasste unzählige Beerdigungen und Geburtstage und wurde in meiner Gemeinschaft als schlechtes Beispiel angeführt: »Zu viel Arbeit und Schule, nicht gut, du wirst enden wie Bruder Ty.«

Doch was ich erwarb, war wichtig. Ich lebte während dieser Zeit meist draußen im Busch und stand in ganz Australien in engem Kontakt mit zahlreichen Ältesten und Wissensbewahrern, die mein Wissen über das alte Gesetz, das Gesetz des Landes, vertieften. Ich arbeitete mit Aborigine-Sprachen, Traumpfaden und philanthropischen Gruppen, an Schulen, Ökosystemen, Forschungsprojekten und Holzschnitzereien.

Auf meinen Reisen erkannte ich, dass es nicht die Welt der Gegenstände war, die uns erdete und erhielt, sondern die Art zu denken. Ich suchte also nach Worten und Bildern, um die indigenen Muster des Denkens, des Seins und des Tuns auszudrücken, die gewöhnlich unsichtbar sind und, weil unser Hauptaugenmerk exotischen Gegenständen und Darbietungen gilt, oft im Verborgenen bleiben. Diese Ideen begann ich, ins Englische zu übersetzen und in Druck zu geben, damit andere sie verstehen und unsere eigenen Leute sie bestätigen würden, während ich zugleich meinen Master und meine Promotion abschloss und Texte veröffentlichte. Als ich kürzlich nach Melbourne zog, um eine Zeit lang an meinem Geburtsort zu leben und zu arbeiten, begann ich, Artikel zu schreiben, die sich dieser Perspektive annahmen. Ich wurde gefragt, ob ich nicht ein Buch über die Themen dieser Artikel schreiben wollte, und hier ist es nun. Ich schreibe dies nur ein paar Straßen von dem Ort entfernt, an dem ich geboren wurde, und versuche, mich an das Stadtleben anzupassen und das Chaos zu beseitigen, das ich in den vergangenen fünf Jahrzehnten angerichtet habe.

Wie bereits gesagt, ist dies keine inspirierende, von Erlösung und dem Triumph über Widrigkeiten handelnde Geschichte. Ich bin weder eine Erfolgsstory noch Vorbild und auch kein Experte oder etwas Ähnliches. Ich bin immer noch ein reizbarer, aggressiver Junge, der sich vor der Welt fürchtet, obwohl dies inzwischen von einem ruhigen und einsichtigen Kern abgemildert wird, den in mir wachsen zu lassen meine Familie große Mühen aufgewendet hat. Dies hält mich am Leben, zusammen mit einem über den ganzen Kontinent reichenden Netz an verwandtschaftlichen Beziehungen und kulturellen Bindungen, dem ich mich verpflichtet fühle und das von mir verlangt, mich respektvoll und fürsorglich in der Welt zu bewegen. Oder es zumindest zu versuchen: Es gelingt mir nicht immer. Aber es gibt viele Menschen, die mir beistehen, mich bedingungslos in Schutz nehmen, und wenn ich unterwegs bin, gibt es immer ein Bett, eine Geschichte und eine Mahlzeit für mich. Meine Frau, meine Kinder und meine Gemeinschaft geben mir Kraft und halten mir den Rücken frei, so wie ich ihnen den ihren freihalte. Ich weiß, wer ich bin, wo ich hingehöre und wie ich mich selbst nenne, mehr braucht es nicht.

Wenn ich jedoch nicht zu Hause bei meiner Gemeinschaft bin, gibt es Leute, die mich in unvertraute Kategorien stecken möchten, und oft liegt es nicht an mir, wie ich mich nennen soll. Häufig muss ich mich Bama nennen, weil im Süden die Alten darauf bestehen. Auch wenn ich weiß, dass das Wort einfach nur »Mann« bedeutet und ich es eher mit einem p als mit einem b ausspreche. Oder dass sich in meiner Gemeinschaft eine Person nur in einer Situation als pama bezeichnen würde, in der sie, sich mit ihrer außerordentlichen Männlichkeit brüstend, einen Kampf anzetteln möchte. »Ngay pama! Ich bin ein Mann!« Oder dass ich im Grunde genommen noch nicht initiiert bin, das heißt, dass ich im Alter von siebenundvierzig noch immer nur über das kulturelle Wissen und den Status eines vierzehnjährigen Jungen verfüge. Auf dem Initiationsgelände zu Hause ist ein Swimmingpool gebaut worden, sodass diese Übergangsriten nicht mehr stattfinden. Wie heißt es so schön: Wenn du in Rom bist, mach es wie die Römer, also sehe ich mich meist genötigt, meine Identität in mundgerechte Stücke zu brechen, wenn ich mich vorstelle, und nenne mich Bama.

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Da ich schon von Rom spreche: Es ist natürlich nichts Neues, dass imperiale Kulturen indigenen Menschen Klassifikationen aufbürden. Die Römer ordneten die Gallier in drei Gruppen ein: die Toga tragenden Gallier (im Grunde Römer mit Schnurrbart), dann die kurzhaarigen (halb zivilisierten) Gallier und schließlich die langhaarigen (barbarischen) Gallier. Zwar habe ich den größten Teil meines Lebens in Australien als langhaariger Gallier verbracht, muss mich aber fragen, ob ich überhaupt noch ein Anrecht habe, mich als solchen zu bezeichnen. Wenn ich ehrlich bin, muss ich eingestehen, mich nicht erinnern zu können, wann ich das letzte Mal außerhalb von Beerdigungsfeiern Schildkröte gegessen habe, also als zu meinem Lebensstil gehörig und nicht als Gedenken an verstorbene Menschen und vergangene Zeiten. Meine Füße, Hände und mein Bauch sind weich geworden, und ich benutzte den Begriff »Neoliberalismus« weitaus häufiger als das Wort miintin (Schildkröte). Ich denke vielleicht: »Oh, jetzt ist ja die Zeit, um Schildkröteneier und Yams auszugraben und die Wildschweine, die sich damit vollfressen, werden schön fett sein. Ich sollte auch wilden Sugarbag-Honig sammeln gehen.« Aber ich stehe in Melbourne in einem Zug und pendle täglich zur Arbeit, weil ich weder Geduld noch Disziplin genug aufbringe, irgendwo auf dem Land in einem Work-for-the-Dole-Programm zu versauern und darauf zu warten, am Wochenende Schweine jagen zu gehen. Ich muss einräumen, ich bin eine Art kurzhaariger Gallier.

Kurze Überlegung: An welchen Gallier würde sich ein Römer wenden, der im Indigenen Wissen Lösungen für die Zivilisationskrisen zu finden hofft? Dergleichen haben die Römer natürlich nicht versucht, was erklären mag, warum ihr System nach gerade einmal tausend Jahren zusammenbrach, doch hätten sie es getan, welche Gallier hätten ihnen die Lösungen, die sie suchten, bieten können? Die langhaarigen Gallier hätten ihnen vielleicht gezeigt, wie man auf Dauer mit Weideland umgeht, auf dem man Pferdeherden hält. Aber ohne Wissen um die Erfordernisse eines Imperiums – die Getreidegaben und Landzuteilungen für Veteranen – wäre ihr Rat zwar interessant, aber nicht anwendbar gewesen. Die Toga tragenden Gallier wären die Leute gewesen, die man über die wahre Natur der kommissarischen Steuereintreibung in den Provinzen hätte befragen können (obwohl man sie erst hätte ein kleines bisschen foltern müssen), aber sie profitierten so sehr von den Bestechungsgeldern und Vergütungen, die sie für die Unterdrückung ihrer eigenen Kultur bekamen, dass sie in Sachen Indigenem Wissen nur wenig hätten beitragen können.

Die kurzhaarigen Gallier hingegen verfügten noch über genügend bruchstückhaftes Indigenes Wissen und hatten genug mit der harten Wirklichkeit der sich ausbreitenden Romanisierung zu kämpfen, um zumindest einige hybride Einsichten anbieten zu können – ein paar innovative Nachhaltigkeitstipps für das untergehende Imperium, das ihr Land, ihr Herz und ihren Verstand besetzt hielt.

Die allzu einfachen Kategorien, mit denen besetzte Völker nach dem Grad ihrer Anpassung eingestuft werden, können den komplexen Wirklichkeiten heutiger indigener Gemeinschaften, Identitäten und Wissensformen natürlich kaum gerecht werden. Für Australien funktionieren sie mit Sicherheit nicht.

Die komplexe Geschichte, die wir als Erste Völker Australiens haben, ist mit den Kriterien, die von den Kolonisten zur Legitimierung und Identifizierung gefordert wurden, meistens unvereinbar. Das indigene »Selbst«, das von Außenstehenden entworfen wurde, um Programme zur Selbstbestimmung wasserdicht zu machen, hat mit unserer Wirklichkeit wenig zu tun. Sogar unsere Organisation in unterschiedliche »Nationen« (ein Instrument, die Struktur des Native Title verhandelbar zu machen und Bergbauvorhaben zu erleichtern) wird der Komplexität unserer Identitäten und Wissensformen nicht gerecht. Wir alle sprachen früher mehrere Sprachen und pflegten vielfältige Bindungen, trafen uns regelmäßig mit verschiedenen Gruppen, um Handel zu treiben, dazu kamen Eheschließungen und Traditionelle Adoptionen zwischen den Gruppen, darunter auch solchen aus Asien und Neu-Guinea. Ich kenne zahlreiche Menschen, für die diese Gesetze und Gebräuche noch Bestand haben, und ich bin einer von ihnen.

Ich weiß allerdings auch, dass der durch die europäische Besetzung ausgelöste fürchterliche Prozess damit endete, dass die meisten von uns ihren ursprünglichen Gemeinschaften entrissen und im Zuge gewaltsamer Assimilierungsprogramme in Reservate oder Einrichtungen fern ihrer Heimat verfrachtet wurden. Biologischer Genozid wurde angestrebt durch groß angelegte Bemühungen, Dunkelhäutigkeit »wegzuzüchten«, wobei die schändliche Politik der Gestohlenen Generationen nur einen Teil dieser Strategie darstellte. Sich mit männlichen Siedlern zu vermählen oder sich ihnen zu unterwerfen, damit die Kinder als Weiße durchgingen, war für viele Frauen die einzige Möglichkeit, diese Apokalypse zu überleben und auf sicherere Zeiten zu warten, um heimzukehren.

So ist auch die erst kürzlich erhobene »Authentizitätsanforderung«, bei der es darum geht, eine ununterbrochene, bis zurück in unvordenkliche Zeiten reichende kulturelle Tradition zu deklarieren, für die meisten von uns nur schwer beizubringen, sieht doch die Realität so aus, dass wir mit vielerlei Gruppen Verbindungen pflegen, zahlreiche Bande aber auch zerrissen wurden. Für viele sind diese traumatischen Beziehungen zu unsicher, als dass sie darüber sprechen würden, andere halten es für zu heikel, neu geknüpfte Bande öffentlich zu machen.

Wie könnten wir die verschiedenen Korpora Indigenen Wissens, die in diesem Kaleidoskop der Identitäten verstreut sind, identifizieren und nutzbar machen? Anhand einer simplifizierenden Kategorisierung jedenfalls nicht. Durch die Linse der Vereinfachung gesehen, werden historische Kontexte wechselseitiger Beziehungen und des Umbruchs beiseitegeschoben, die Authentizität Indigenen Wissens und der indigenen Identität wird durch eine illusionäre provinzielle Isolation festgeschrieben, und man bekommt lediglich ein weiteres Fragment primitiver Exotika, das untersucht, etikettiert und im Museum ausgestellt werden kann. Auf beiden Seiten finden sich eilfertige Torwächter, die kontrollieren und manches unterdrücken. Von dem durch dieses Nadelöhr dringende Wissen sind meist nur noch die elementarsten Aspekte vorhanden, Artefakte, Quellen und Daten, unterteilt in wesensfremde Kategorien, die gewährleisten, dass es nach Belieben aufbewahrt und geplündert werden kann. Unser Wissen wird nur geschätzt, wenn es fossilisiert ist, wobei unsere sich lebendig entwickelnden Bräuche und Denkmuster mit Widerwillen und Skeptizismus betrachtet werden.

An diesem einseitigen Dialog zwischen den Besatzern und den Besetzten kann ich nicht teilnehmen. Zum einen bin ich nicht manth thaayan, also jemand, der im Namen des kulturellen Wissens sprechen könnte. Ich bin ein jüngeres Geschwister, weshalb mir gemäß unserem Brauch diese Rolle nicht zukommt. Ich kann zwar über Teile dieses Wissens Auskunft geben, aber nicht in allen Einzelheiten für es sprechen. Dafür aber kann ich über die Vorgänge und Muster erzählen, die ich aufgrund meiner kulturellen Praxis kenne und die sich in den Verbindungen entwickelt haben, die ich mit meiner Heimatgemeinschaft und anderen Aborigine-Gemeinschaften, den Nyoongar, Mardi, Nungar oder Koori, überall auf dem Kontinent unterhalte.

Unser Wissen besteht weiter, weil jeder von uns einen Teil davon, wie bruchstückhaft auch immer, in sich trägt. Wenn man das Muster der Schöpfung verstehen möchte, spricht man mit allen und hört genau zu. Ist man mit diesem Muster vertraut, sind authentische Wissensprozesse leicht als solche auszumachen, jedes Teil spiegelt den Plan des gesamten Systems wider. Wenn das Muster vorliegt, ist das Wissen echt, gleich, ob der Sprecher einen Grasrock, einen Anzug oder eine Schuluniform trägt.

Ich drehe also die Linse um.

Ich berichte nicht für ein weltweites Publikum über indigene Wissenssysteme. Ich untersuche weltweite Systeme aus der Perspektive Indigenen Wissens. Die folgenden Symbole drücken dieses grundlegende Konzept als Handzeichen aus:

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Der Leser mag diese körperliche Geste als lebendigen Text verstehen, indem er das Bild nachahmt, wobei die linke Hand, seitwärts gerichtet und mit geschlossenen Fingern, ein Blatt, einen Bildschirm oder allgemein das aufgeschriebene Wissen repräsentiert, während die rechte Hand, mit ihren wie bei einer Felsbildschablone gespreizten Fingern, die mündlichen Überlieferungen und das Wissen der Ersten Völker repräsentiert. Zu der Geste gehört auch, die gespreizte Hand wie eine Linse vor die Augen zu halten, durch die die geschlossene Hand betrachtet wird.

Das ist die in diesem Buch grundsätzlich verwendete Perspektive. Damit sie nicht in der Leere des gedruckten Worts verloren geht, habe ich die einzelnen Kapitel entsprechend der Dialogform mündlicher Überlieferungen aufgebaut: eine Reihe von Zwiegesprächen (yarns) mit verschiedenen Menschen, in deren Gegenwart ich mich nie ganz wohlfühle. Ich unterhalte mich mit ihnen, weil sie mein Wissen erweitern, mehr jedenfalls als diejenigen, die bloß wissen, was auch ich weiß. Manche nenne ich beim Namen, aber etliche andere sehen sich lieber nicht im Druck verewigt oder auf einen bestimmten gedanklichen Moment festgelegt; sie ziehen es vor, privat zu bleiben und, wie es in unserer Kultur Brauch ist, ihre Gedanken beim Ausspinnen von Geschichten zu entwickeln. Yarns sind wie Unterhaltungen, aber in der traditionellen Form, wie wir sie immer gepflegt haben, um Wissen zu erzeugen und weiterzugeben.

Für die einzelnen Kapiteln habe ich die logischen Abläufe und Ideen, die sich aus diesen Yarns ergaben, erst in traditionelle Objekte geschnitzt, bevor ich sie in geschriebene Worte übersetzte. Gewählt habe ich diesen Weg, damit die Perspektive meiner mündlichen Kultur durch die Niederschrift nicht fragmentiert und verzerrt wird.

Für diese Einleitung zum Beispiel habe ich zusammen mit meinem Schwager Hayden Kelleher und einem Worimi-Künstler namens Adam Ridgeway über mehrere Jahre Rindenschilde angefertigt. Mit Adam unterhielt ich mich über meine Bedenken und Befürchtungen, dieses Buch zu schreiben, und in Form von Yarns spielten wir durch, wie ich mich dabei zu schützen hätte. Als die Jahreszeit gekommen war, in der der Saft in den Bäumen fließt und die Wombats herumziehen und die Leierschwänze balzen, schnitten wir die Rinde von den Roten Eukalyptusbäumen. Wir formten Stücke davon über dem Feuer und brachten Griffe an, um Schilde daraus zu machen. Adam verwendete einige dieser Schilde für eine Kunstausstellung; er gestaltete Schöpfungsmuster aus dem Licht, das von auf die Schilde geklebten Spiegelscherben reflektiert wurde. Auch zeichnete er auf seinem iPad die oben gezeigten Handsymbole. Die Ideen dieser geschriebenen Einleitung sind also in den Schilden. Ich halte mir einfach diese Gegenstände vor Augen und übersetze Teile des Wissens, das ich auf ihnen sehe, in das gedruckte Wort.

Das ist meine Methode, und ich nenne sie umpan, denn dies ist unser Wort für schneiden, schnitzen und fertigen – inzwischen ist es auch das Wort, das für »schreiben« verwendet wird. In meine Methode des Schreibens inkorporiert sind Bilder und Geschichten, die an Orte und Beziehungen gebunden sind und ihren ersten Ausdruck in kulturellen und sozialen Aktivitäten gefunden haben. Mein Inhaltsverzeichnis ist bildlich und sieht so aus:

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In jedem Kapitel kommt ein »Sand Talk« vor, mit dem an den Aborigine-Brauch erinnert wird, zur Weitergabe von Wissen Bilder auf den Boden zu zeichnen. Viel von diesem symbolischen Wissen kann ich hier nicht mitteilen, denn seine Weitergabe ist entweder beschränkt (durch Alter, Geburtsfolge, Geschlecht und Grade der Meisterschaft) oder nur für einen bestimmten Ort oder eine bestimmte Gruppe geeignet. Ist zum Beispiel die Brolga-Überlieferung für mich als Angehörigen des Apalech Clans oder für andere mit demselben Totem relevant, heißt das nicht, dass dies allgemein für alle Leser und Leserinnen gilt. Das Wissen, das ich jeweils in dem Sand Talk der einzelnen Kapitel mitteile, ist deshalb Wissen auf Einstiegsniveau. Es wird auf Geschichten anspielen, sie aber nicht in Gänze erzählen. Ich werde allerdings Teile einer großen Geschichte erzählen, einer Meta-Geschichte, die sich mithilfe gewaltiger, durch Himmel und Erde gehender Traumpfade über ganz Australien erstreckt; es handelt sich dabei um einen Sternentraum (star dreaming), den Juma Fejo von den Larrakia mit allen Völkern teilen möchte. Dieses Dreaming geht überall hin, wo Schildkröten hingehen – und Schildkröten gibt es überall auf der Welt, selbst in Wüstengebieten –, also verbindet es alle.

Juma und ich – uns-zwei – arbeiteten mit diesem Wissen und daran, diese Geschichten quer über den Kontinent miteinander zu verknüpfen, seit 2012, jenem Jahr, in dem, wie viele aufgrund einer abenteuerlichen Interpretation des Maya-Kalenders glaubten, die Erde untergehen sollte. Für ein tieferes Verständnis nehme ich in jedem Kapitel Teile von Jumas Dreaming auf. Es gibt sechs Bilder, drei an jedem Ende des Schildkrötenpanzers, die jeweils von einem Yarn begleitet werden. Die sieben anderen Bilder stammen von mir; ich habe sie in den Jahren, bevor ich mit meinem Doktorat begann, geschaffen, weil ich befürchtete, mein akademisches Wissen könnte mein kulturelles Wissen überdecken. Ich musste selbst erst etwas hervorbringen, das größer war als eine Doktorarbeit. Ich habe diese Ideen mit Menschen an vielen verschiedenen Orten geteilt, um ihnen, als Gerüst für die Erkenntnisse, die für die Ko-Kreation nachhaltiger Systeme nötig sind, einen Weg in das Denken und Wissen der Aborigines zu eröffnen.

Ich war auf zahlreichen Konferenzen und Vortragsreihen über Indigenes Wissen und Nachhaltigkeit und habe zahllose Artikel zu diesem Thema gelesen. Die meisten überbringen die gleiche allzu einfache Botschaft: Die Ersten Völker sind bereits seit x-tausend Jahren hier, sie wissen, wie man im Gleichgewicht mit unserer Umwelt lebt, und wir sollen, um Lösungen für heutige Nachhaltigkeitsfragen zu finden, von ihnen lernen. (Ich frage mich oft, auf wen sich »wir« in diesen Äußerungen bezieht.) Daraufhin werden ein paar vereinzelte Beispiele nachhaltiger Praxis aus der Vorkolonialzeit aufgezeigt, und das ist es dann. Das Publikum bleibt zurück mit der Frage: »Ja, aber wie? Welche Einsichten bietet uns das für die Probleme, mit denen wir heute konfrontiert sind?«

Solche Fragen bleiben unbeantwortet, weil die indigenen Teilnehmer für gewöhnlich nur formelhafte Ich-Erzählungen und Artefakte anbieten, ein Fenster, durch das Außenstehende zwar in eine sorgfältig kuratierte Vergangenheit blicken können, doch geht der Blick nur in eine Richtung. Wir geben nicht preis, was wir sehen, wenn wir durch dieses Fenster zurückblicken. Am Anfang gibt es eine Willkommenszeremonie und am Ende einen Tanz, und alle gehen gut gelaunt, aber kein bisschen klüger nach Hause.

Nur selten werden Nachhaltigkeitsfragen globaler Natur unter dem Gesichtspunkt indigener Herangehensweisen und Denkprozesse angesprochen. Nirgendwo erblicken wir ökonometrische Modelle, die indigenes »Denken in Mustern« für ihre Modellierungen heranzögen. Stattdessen wird uns ein Dot-Painting präsentiert und dringlich darum ersucht, in Anbetracht der Pläne, die Bevölkerung einer Stadt binnen weniger Jahrzehnte »nachhaltig« zu verdoppeln, doch an Beschäftigungsprogramme für Indigene zu denken. Erörterungen indigener Wissenssysteme bestehen in der Regel in nichts anderem als der höflichen Anerkennung der besonderen Beziehung zum Land; ein wirkliches Engagement findet kaum je statt. Immer geht es um das Was und nie um das Wie.

Dieses Phänomen möchte ich umkehren. Ich möchte das indigene »Denken in Mustern« dazu heranziehen, die gegenwärtigen Systeme zu kritisieren, und einen Einblick in das Muster der Schöpfung selbst gewähren. Das in der indigenen Literatur weitverbreitete Genre der Ich-Erzählung und der Autobiografie möchte ich vermeiden, werde aber zur besseren Veranschaulichung Anekdoten und Yarns einfließen lassen. Was ich sage, wird natürlich trotzdem subjektiv und fragmentarisch bleiben und – ein Problem aller gedruckten Texte – fünf Minuten, nachdem es geschrieben wurde, schon wieder veraltet sein. Das echte Wissen wird im Land und in den Völkern fortleben, und ich werde ihm nachziehen. Und auch du wirst dich weiterentwickeln. Vielleicht möchtest du bereits das oben gezeigte Handzeichen abwandeln und ihm deine eigenen Bedeutungsschattierungen hinzufügen, es mit anderen teilen und aus diesem Muster etwas entstehen lassen, was man sich niemals auf einer Seite ausmalen könnte. Ich möchte diese Konzepte weitergeben, damit ich sie hinter mir lassen und in die nächste Wissensphase hineinwachsen kann. Gäbe ich sie nicht weiter, hieße dies, sie wie einen Stein mit mir herumzutragen und mein Wachsen sowie die Erneuerung der Systeme, in denen ich lebe, abzuwürgen. Ich bin es müde, in meiner Kultur ein Junge im mittleren Alter zu sein.

Dieses Buch ist nur eine Übersetzung eines in der Zeit eingefrorenen Schattenfragments. Ich mache keine absolute Wahrheit oder Autorität geltend. Von einem Moment zum anderen schalte ich von der akademischen zur Lagerfeuerstimme um. Das alles mag unstrukturiert wirken; meine Logik folgt den komplexen Mustern, die ich zu beschreiben versuche, und spiegelt nicht das übliche Ursache-Wirkung-Verhältnis des verschriftlichten Denkens wider.

Einer der faszinierenderen Aspekte der englischen Sprache besteht darin, dass sie eine Kreolsprache ist und mit ihren Orten auch ihre Gestalt wechselt. Ich werde diese Qualität würdigen und das Englische in die Mangel nehmen, um auszutesten, wie weit es sich verbiegen lässt.

Das wird herausfordernd sein, denn mit dem Englischen rücken die Weltanschauungen der Siedler ins Zentrum jeden Begriffs, was ein wirkliches Verständnis erschwert. So ist es zum Beispiel ein vergebliches Unterfangen, die Aborigine-Zeitbegriffe zu erklären, denn auf Englisch [bzw. auf Deutsch] lassen sie sich nur als nichtlinear beschreiben, was sofort eine dicke Schneise mitten durch die Synapsen schlägt. Das »nicht« wird nicht registriert, nur das »linear«: So wird das Wort verarbeitet, das ist die Gestalt, die es in deinem Kopf annimmt. Am schlimmsten jedoch: Das Konzept wird beschrieben durch das, was es nicht ist, und nicht durch das, was es ist. In unseren Sprachen haben wir kein Wort für nichtlinear, denn es würde niemandem auch nur einfallen, auf geradem Weg zu reisen, zu denken oder zu sprechen. Ein Pfad ist immer ein sich schlängelnder Pfad und braucht keinen Namen.

Vor vielen Tausend Jahren versuchte ein Mann, sich in einer geraden Linie fortzubewegen; er wurde als wamba (verrückt) bezeichnet und zur Strafe hinauf in den Himmel geworfen. Eine sehr alte Geschichte, eine der vielen Geschichten, die uns erzählen, wie wir in frei mäandernden Mustern zu reisen und zu denken haben, und uns davor warnen, auf verrückte Weise vorankommen zu wollen. In diesem Buch werden also Geschichten, Bilder und Yarns das Englische [bzw. Deutsche] zum Klingen bringen, und Bedeutung wird nicht in den einzelnen Worten selbst, sondern in den mäandernden Pfaden zwischen den Worten entstehen.

Es gibt zahlreiche englische Wörter für die Benennung unserer Ersten Völker, und da keines davon völlig passend oder genau ist, verwende ich die meisten von ihnen abwechselnd und nach dem Zufallsprinzip, wobei das von den einen bevorzugte von den anderen womöglich als beleidigend erachtet wird. Vor der europäischen Besetzung nannten wir uns in unseren jeweiligen Sprachen schlicht »Menschen«; da ich aber nicht für eine einzelne Sprachgruppe spreche, verwende ich viele der unpassenden englischen Ausdrücke, sobald ich insgesamt Bezug auf uns nehme. Ich verwende auch viele andere Ausdrücke, die ich nicht besonders mag, etwa »Traumzeit« (Dreaming, eine Fehlübersetzung und Fehlinterpretation), weil viele der Alten, die ich respektiere und die ihr Wissen an mich weitergaben, diese Wörter gebrauchen. Es steht mir nicht zu, mich ihnen gegenüber respektlos zu verhalten, indem ich ihre Wortwahl ablehne. Ich weiß, was diese Wörter bedeuten, und sie wissen es auch, also können wir diese Bezeichnungen durchaus verwenden. Jedenfalls ist Englisch zu sprechen, ohne auf sie zurückgreifen zu können, nahezu unmöglich, außer man möchte alle fünf Minuten »die den traditionellen Ritualkomplexen innenwohnende suprarationale, interdimensionale Ontologie« sagen. Also bleibt es bei »Traumzeit«.

Ich gehe auf das Anfängerwissen über die Aborigine-Kosmologie ein, suche dann nach Mustern und anschließend nach den Implikationen für die Nachhaltigkeit, in einem eher frei schweifenden Diskurs, der niemals für bare Münze genommen werden sollte. Ich schreibe, eine Art dialogischen und reflektierenden Prozess mit dem Leser suchend, um das Denken anzuregen und nicht um Fakten darzustellen. Dafür nutze ich oftmals die duale erste Person. Es handelt sich dabei um ein in den indigenen Sprachen gebräuchliches Pronomen, das im Englischen jedoch nicht vorkommt; deshalb übersetze ich es als »uns-zwei«, wobei meine Finger diese Buchstaben tippen, während mein Mund das Wort ngal formt.

Lösungen für komplexe Probleme bedürfen vieler ungleicher Auffassungen und Entwurfsperspektiven, deshalb müssen wir sie gemeinsam angehen und zur Bildung von Netzwerken dynamischer Interaktion mit so vielen anderen Uns-zweis wie möglich in Verbindung treten. Ich liefere keine Experten-Antworten, sondern lediglich verschiedene Fragen und Anschauungsweisen. Auch wenn ich gut zu einem verbindenden Denken anregen kann, bin ich mit Sicherheit keine Autorität, was die in diesem Buch behandelten Ideen anbelangt, und meine Betrachtungsweise ist, selbst in meiner eigenen Gemeinschaft, eher marginal. An den Rändern jedoch findet sich häufig fruchtbarer Boden.

Die Hoffnung ist, dass uns-zwei aus dieser randständigen Perspektive Dinge in den Blick bekommen können, die übersehen worden sind, einen Aspekt des Schöpfungsmusters zu erhaschen und ein paar Gedankenexperimente durchzuführen vermögen, die aufzeigen, wohin dieses Muster uns führt. Für Einstein hat dies funktioniert; er betrat nur selten ein Labor, sagte bloß: »Wenn dies, dann das, dann das«, und schuf so Simulationen in einem Traumzeitraum, mit denen er Beweise und Lösungen erstaunlicher Komplexität und Genauigkeit erzielte. In diesem Raum stellte sich selbst, was er für seinen größten Fehler hielt, später als seine größte Entdeckung heraus. So schwierig kann es also nicht sein. Wenn wir nicht mehr weiterwissen, bitten wir die Ameisenigel um Hilfe.

Wir sollten mit jenen anfänglichen Fragen beginnen, die bei der Annäherung an dieses Wissen immer eine Barriere bilden. Wer gehört wirklich zu den Indigenen? Wer von ihnen trägt echtes Indigenes Wissen in sich, und welche Aspekte dieses Wissens sind relevant, wenn es um das schwierige Problem geht, sich heute mit dem Entwurf nachhaltiger Systeme zu befassen?