Joel S. Peters
Die Schrift allein?
Kirchliche Gutheißung des englischsprachigen Originals
Nihil Obstat: David D. Kagan, Generalvikar
Imprimatur: + Thomas G. Doran, Bischof von Rockford,
6. August 2001
Impressum
Bibliographische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek, abrufbar unter http://dnb.ddb.de
Umschlaggestaltung: Marcel Hagmann, www.keilergrafik.de
Satz: WordWorks, LLC
Peters, Joel S.
Die Schrift allein? 21 Gründe gegen das protestantische Bibelverständnis
115 Seiten, Bad Schmiedeberg 2021
1. Auflage 2021
Originaltitel: Scripture Alone? 21 Reasons to Reject Sola Scriptura
© Joel S. Peters
© RenovamenVerlag, Bad Schmiedeberg 2021, für die vorliegende Ausgabe
www.renovamenverlag.de
Aus dem Englischen übertragen durch Paolo D’Angona, Priester der Diözese Roermond
ISBN 978-3-95621-152-2
Joel S. Peters
DIE SCHRIFT ALLEIN?
21 Gründe gegen das protestantische Bibelverständnis
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Was versteht man unter dem protestantischen Sola-Scriptura-Prinzip?
Zusammenfassung
Endnoten
Auf die ganze Kirche bezieht sich gemäß dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Sorge um die wiederherzustellende Einheit – sowohl auf die Gläubigen, wie auch auf die Hirten.1 Darum müssen die Gläubigen ihren Beitrag für die Einheit der Christenheit leisten. Dieser besteht einerseits im Zeugnis des christlichen Lebens und im Gebet um die Einheit der Christenheit, aber andererseits auch in der tieferen Auseinandersetzung mit dem Glauben und seinen Quellen im Dialog mit christlichen Brüdern anderer Konfessionen. Vielleicht wird dem katholischen Gläubigen, der sich auf diesen Dialog einläßt, von protestantischer Seite im Gespräch entgegengehalten werden, es sei das Verdienst Martin Luthers, daß auch er sich als mündiger Christ mit der Bibel beschäftigen kann.
Zweifelsohne hat die Bibelübersetzung Luthers die Heilige Schrift größeren Kreisen der Gesellschaft zugänglich gemacht und maßgeblich Sprache und Kultur der Deutschen beeinflußt. Freilich bildeten die Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg und der Bildungsimpuls durch den Humanismus wichtige Voraussetzungen für Luther und die anderen Reformatoren. Luther ermutigte in diesem Kontext die Menschen seiner Zeit zur Lektüre der Schrift: »Kriech hinein und bleib drinnen, wie ein Hase in seiner Steinritze.«2 Doch Luther argumentierte mit der Schrift gegen die Kirche und steht somit am Beginn einer Trennung des abendländischen Christentums, die bis heute nicht überwunden ist. Diese Wirkung unterscheidet ihn von früheren Predigern und Theologen, die in Konflikt mit der kirchlichen Autorität kamen, wie etwa Petrus Valdes, Jan Hus oder John Wyclif. Die Prinzipien, die Luther formulierte, trennten ganze Landstriche und Nationen des Abendlandes bis heute von der Kirche Roms3.
Im Prinzip Sola Scriptura (bisweilen auch einfach »Schriftprinzip« genannt) drückt sich nicht einfach nur eine Hochschätzung gegenüber der Bibel aus, sondern die Schrift wird zum alleinigen Ort theologischer Erkenntnis erhoben. Zum ersten Mal ausformuliert findet sich das Prinzip Sola Scriptura bei Luther in seiner Assertio (»Wahrheitsbekräftigung aller Artikel Martin Luthers, die von der jüngsten Bulle Leos X. verdammt worden sind«) im Jahre 1520: »Ich will nicht, daß ein jeder Gelehrterer verworfen werde, sondern daß die Schrift allein herrsche; nicht daß sie durch meinen Geist oder irgendeinen Menschen interpretiert werde, sondern daß sie durch sich selbst und durch ihren Geist verstanden werde.«4
41 Punkte über Buße, Ablaß und Fegfeuer in den Lehren Luthers hatte Papst Leo X. am 15. Juni 1520 in der Bulle Exsurge Domine verurteilt. Bereits zuvor in seinen Streitgesprächen mit Kardinal Cajetan (über den Ablaß) und mit Johannes Eck (über das Fegfeuer) beruft sich Luther auf die Heilige Schrift, wobei er ausschließlich den Literalsinn gelten lassen will5. Aber erst in seiner Erwiderung auf die Exkommunikationsbulle formuliert er das Prinzip, die Schrift sei »durch sich selbst« zu interpretieren. Kirchenväter, Päpste und Konzilien haben für ihn keine Autorität in der Frage nach dem rechten Verständnis des Wortes Gottes, sondern durch sich selbst soll die Schrift interpretiert werden. Wie keine äußere Autorität die Interpretation der Heiligen Schrift vorschreiben darf, so braucht es auch keine äußere Instanz (Kirche) zur Vermittlung der Gnade. So wird das Prinzip Sola Scriptura zum formgebenden Prinzip der kirchlichen Gemeinschaften der Reformation, die durch die fünf Exklusivpartikel6 sichergestellt wissen wollen, daß Gott allein die Ehre gegeben werde (»soli Deo gloria«). Wenngleich man für einen großen Teil der evangelikalen Gemeinschaften das Prinzip Sola Scriptura im Sinne Luthers noch heute als formgebend annehmen kann, so gilt dies nicht mehr für alle protestantischen Gemeinschaften ohne Einschränkungen7. Hintergrund ist, daß bereits durch Aufklärung und Bibelkritik dieses Prinzip »entscheidend problematisiert wurde«8, wodurch beginnend mit den sogenannten Neologen des 18. Jahrhunderts9 etwas entstand, was man mit dem Sammelbegriff »Liberaler Protestantismus« zusammenfaßt. Aus diesem Grund können Katholiken nicht im Gespräch mit Protestanten aller Denominationen davon ausgehen, daß man unter dem Prinzip Sola Scriptura heute dasselbe versteht, was Luther einst darunter verstand.
Im 16. Jahrhundert fand die römisch-katholische Kirche mit dem Trienter Konzil (1545–1563) eine Antwort auf die Herausforderungen, die die Reformation für sie darstellte. Die zwei Dekrete der vierten Sitzung von 1546 befassen sich mit der Heiligen Schrift: nämlich mit ihrem Kanon und mit der lateinischen Vulgata-Ausgabe der Bibel, die »für authentisch zu halten ist«10. Sie ist also Grundlage der Theologie. Aber sie wird – im Gegensatz zu Luthers Lehre – nicht »durch sich selbst« interpretiert. Es ist Aufgabe der Kirche, »über den wahren Sinn und die Auslegungen der Heiligen Schriften zu urteilen«11. Die Kirche konnte es nicht ohne Widerspruch hinnehmen, daß ihr die Reformatoren die Schrift sozusagen aus den Händen rissen: Wenn die Kirche nämlich wirklich in einem Gegensatz zum Zeugnis der Apostel in der Heiligen Schrift stünde, dann wäre sie nicht mehr die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche. Die Gegenreformation mit ihren großen Theologen, unter denen die Kirchenlehrer Petrus Canisius, Laurentius von Brindisi, Robert Bellarmin und Franz von Sales herausragen, wandte darum viel Mühe auf, die katholische Lehre als schrift- und traditionsgemäß zu erweisen. Heilige Schrift, Tradition und Lehramt sind und bleiben so nach dem Willen der göttlichen Vorsehung untrennbar verbunden und dienen dem Heil der Seelen, das das oberste Ziel der Kirche ist12. Dafür hat sie den Heiligen Geist empfangen, durch den sie bleibend mit Christus verbunden ist und in der Wahrheit voranschreitet: »Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, so wird er euch in alle Wahrheit einführen; denn er wird nicht von sich selbst reden, sondern alles, was er hört, wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkünden.« (Joh 16,13).
Das Buch von Joel Peters kann ein großes Hilfsmittel für ein besseres Verständnis der Heiligen Schrift liefern, weswegen man ihm nur rasche Verbreitung wünschen kann. Die (gesamte authentische) Heilige Schrift wird uns nämlich von der Kirche geschenkt und verweist uns wieder zurück auf die Kirche, die »Säule und Grundfeste der Wahrheit« ist (vgl. 1 Tim 3,15). Um nichts anderes als die Suche nach der Wahrheit geht es doch im ökumenischen Gespräch: »Wirklicher Dialog produziert nicht Wahrheit, sondern entdeckt die Wahrheit, die uns ein für alle Mal in Jesus Christus gegeben ist.«13
Auf der Innenseite des Einbands heißt es im englischen Original, dieses Buch sei »für alle – für Katholiken, für Protestanten und sogar für Nicht-Christen«. So ist diese knappe Schrift weit davon entfernt, gegen die Brüder aus den protestantischen Gemeinschaften zu polemisieren. Sie hilft vielmehr beiden Seiten – Katholiken und Protestanten –, das Prinzip kritisch zu hinterfragen, das Luther nach dem Bruch mit Rom gegen das Lehramt der Kirche ins Feld führte. Sollte das, was Christen bis zum Auftreten Luthers geglaubt und praktiziert haben, wirklich Folge eines Abfalls vom wahren Evangelium sein? Hatte der Heilige Geist die Kirche über Jahrhunderte verlassen? Wer Luthers Schrift Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe (1533) einmal zur Hand nimmt, wird bald merken, wie Luther hier mit seiner eigenen Vergangenheit als Augustinermönch und Priester ringt und keinen Frieden findet.
Die Spaltung, die sich durch die Formulierung des Prinzips Sola Scriptura nach 1520 weiter verfestigte, muß überwunden werden, wenn wir die Schrift wirklich schätzen, die Wahrheit lieben und den Frieden Christi suchen. Christus, der »der Weg, die Wahrheit und das Leben« (Joh 14,6) ist, betete doch im Abendmahlssaal: »Damit alle eins seien, wie du, Vater, in mir, und ich in dir, damit auch sie in uns eins seien; damit die Welt glaube, daß du mich gesandt hast.« (Joh 17, 21).
Kaplan Christian Figura
Wermelskirchen,
am Fest der hll. Perpetua und Felizitas 2021
»Wir glauben einzig an die ganze Bibel, die ausschließliche Richtschnur des christlichen Glaubens ist.«
Vielleicht wurden auch Sie schon einmal mit solchen oder ähnlichen Äußerungen von »fundamentalistischen« oder »evangelikalen« Protestanten konfrontiert. Hier kommt im wesentlichen das zum Ausdruck, was man als das Sola-Scriptura-Prinzip (»Die Schrift allein«) bezeichnet. Dieses besagt, die Bibel – in ihrer Interpretation durch den einzelnen Gläubigen – sei die einzige autoritative Bezugsgröße in religiösen Dingen und somit das ausschließliche Kriterium dessen, was zum christlichen Glauben gehört (Glaubensregel ). Mit dieser Lehre, die eine der Grundüberzeugungen des Protestantismus darstellt, wird in Abrede gestellt, daß außer der Schrift irgendeine religiöse Autorität bzw. irgendeine Quelle der göttlichen Offenbarung existiert.
Der Katholik hingegen hält daran fest, daß die nächste oder direkte Glaubensregel im Lehramt der katholischen Kirche besteht. Die Kirche ihrerseits entnimmt ihre Lehre der göttlichen Offenbarung, also sowohl dem geschriebenen Wort Gottes, welches als die »Heilige Schrift« bezeichnet wird, als auch der mündlichen Überlieferung (dem ungeschriebenen Wort Gottes), genannt die »Tradition«.14 Das kirchliche Lehramt (magisterium ecclesiae), dessen höchster Autoritätsträger der Papst ist, ist selbst keine Quelle der göttlichen Offenbarung, hat indes kraft göttlicher Anordnung sowohl die Inhalte der Schrift als auch der Tradition zu lehren und zu interpretieren. Schrift und Tradition sind die Quellen der christlichen Lehre; sie sind die entfernte bzw. mittelbare Richtschnur für den Glauben des Christen.
Zwischen den beschriebenen Positionen, worin die Glaubensregel eines Christen besteht, liegt nun ein offenkundiger Gegensatz vor. Wer aber der Lehre Christi ehrlich folgen will, muß sich sicher sein, welche von beiden die richtige ist.
Die Sola-Scriptura-Lehre fand seit dem 16. Jahrhundert15 eine weitere Verbreitung durch den Mönch Martin Luther, der von der katholischen Kirche abgefallen war und die sogenannte Reformation initiierte.16 Luther
reagierte mit lautstarkem Protest u.a. auf bestimmte Mißstände, die sich in das kirchliche Leben eingeschlichen hatten. Seine Kritik an den wirklichen Mißständen war berechtigt. Als es jedoch in der Folge zu Auseinandersetzungen zwischen ihm und der Hierarchie kam, konzentrierte sich die Fragestellung auf die kirchliche Lehrautorität als solche. Aus Luthers Sicht stellte sich die Frage, ob das Lehramt der katholischen Kirche berechtigterweise als Richtschnur des christlichen Glaubens zu betrachten sei oder nicht.
Als sich die Auseinandersetzungen zwischen Luther und der kirchlichen Hierarchie zuspitzten und die Situation immer angespannter wurde,