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TO LOVE ASHER

Ashes & Embers 5

Carian Cole

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TO LOVE ASHER

Ashes & Embers 5

Carian Cole

© 2021 Sieben Verlag, 64823 Groß-Umstadt

© Übersetzung Martina Campbell

© Covergestaltung Andrea Gunschera

© Originalausgabe 2015 Carian Cole

ISBN-Taschenbuch: 9783864439865

ISBN-eBook-mobi: 9783864439872

ISBN-eBook-epub: 9783864439889

www.sieben-verlag.de

Für Pat.

Für deine endlose Geduld, Hilfe, Fürsorge, deinen Rat und deine Freundschaft. Ohne dich hätte ich dieses Buch nicht schreiben können.

Inhalt

Prolog

Drei Tage später …

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Epilog

Danksagungen

Die Autorin

Prolog

„Du hast mich den ganzen Weg zu meinem Lieblingsplatz gebracht, um mich abzulenken, nicht wahr?“ Ember blinzelt gegen die Sonne, die durch die Bäume scheint.

Ich greife nach ihrer Hand, verschränke unsere Finger ineinander und wir gehen den steilen, steinigen Pfad neben dem Wasserfall entlang. „Und funktioniert es?“

Sie erwidert mein neckendes Grinsen. „Das weißt du ganz genau, Valentine, und es ist unfair.“

Meine Frau nennt mich nur beim Nachnamen, wenn sie mich neckt, mit mir flirtet oder wir uns streiten. Manchmal auch bei einer Mischung aus allem.

Als wir den kleinen Aussichtspunkt über dem Wasserfall erreicht haben, ziehe ich sie an mich, drücke ihre Hand, damit sie sich nicht von mir entfernen kann, um sich den Wasserfall anzusehen. Ihre Wangen sind erhitzt und feucht vom Aufstieg auf den Berg, und ihre Lippen bei ihrem schweren Atmen leicht geöffnet.

„Warum siehst du mich so an?“ Sie lächelt mich mit diesem verspielten Funkeln in den grünen Augen an, nach dem ich seit ich sie kenne, so verrückt bin.

„Weil ich dich liebe. Deshalb.“

„Ich liebe dich auch.“

Wir setzen uns auf einen Felsen, der von weichem Moos bedeckt ist, an den Rand des Wasserfalls, und bestaunen das klare Wasser des Flusses dort unten. Der Herbst ist unsere liebste Jahreszeit hier in New Hampshire, und wir befinden uns an unserem Lieblingsplatz. Hier hatten wir uns das erste Mal unsere Liebe gestanden. Hier habe ich ihr den Heiratsantrag gemacht. Hier hat sie mir gesagt, dass sie mit unserer Tochter schwanger ist. Hier haben wir gemeinsam Songs komponiert. Hier haben wir die meisten unserer wichtigen Entscheidungen getroffen.

Eine einsame Wolke zieht über den Himmel, vor die Sonne, und taucht uns kurz in Grau. Fast so wie heute Morgen, als Ember beim Frühstück Worte gesagt hatte, bei denen ich fast an meinem Kaffee erstickt wäre. Unübliche Worte, wie unglücklich. Und einsam.

Ich sagte ihr, dass ich nicht verstehe. Das tue ich immer noch nicht. Ihre Worte sickerten in meine Brust und seither sitzen sie dort fest und verursachen ein konstantes Brennen. Jetzt, Stunden später, hält es immer noch an, quält mich und ich will, dass es verschwindet. Sofort. Tief in mir weiß ich, dass es nicht lediglich Worte waren. Es waren Stufen auf einem Weg, der uns irgendwo hinbringen wird, wo wir noch nie waren. An einen Scheideweg.

Ich hatte gehofft, dass sie hier nicht über das Unglücklichsein nachdenken kann. An einem Ort, an dem es nichts als schöne Erinnerungen gibt. Deshalb hatte ich vorgeschlagen, dass wir uns aufs Motorrad setzen und hier herfahren.

„Ash, ich glaube, ich möchte nicht mehr so weiterleben.“

Die sanfte Aufrichtigkeit in ihrer Stimme schneidet durch mich hindurch wie ein Messer durch ein Band, und zerfetzt meine Hoffnungen.

Die Wolke zieht weiter und die Wärme und das Licht der Sonne kehren zurück, vertreiben jedoch nicht die Kälte des nahenden Unheils in mir. Denkt sie darüber nach, mich zu verlassen?

„Definiere so weiterleben.“ Ich nicke einem Wanderer zu, der in der Nähe auf dem Pfad vorbeigeht. Meine Finger zucken, sehnen sich nach einer Zigarette, obwohl ich seit mehr als vier Jahren nicht mehr rauche.

„Ich will dieses verrückte Rockstar-Leben nicht mehr. Du fehlst mir. Ich fühle mich einsam. Ich hasse es, dass wir beide ständig total erschöpft sind. Ich mache mir Sorgen um uns. Ich möchte nichts weiter als Ruhe und Frieden. Normalität. Öfter zu Hause bei Kenzi sein. Es tut weh, es zu sagen, aber ich bin nicht mehr glücklich. Es ist zu viel des ständigen Stresses. Wir sind zu oft getrennt.“ Sie starrt auf das Wasser, das den Berg hinab fällt. Sie beißt sich auf die glänzende Unterlippe, was sie immer tut, wenn sie sich Sorgen macht oder nachdenkt.

Jedes Wort fühlt sich an wie ein Mauerstein nach dem anderen, die eine Wand bilden, die ich wahrscheinlich nicht erklimmen kann. Ich reibe mir das stoppelige Kinn und hoffe, dass das Rauschen des Wasserfalls mein Gehör beeinträchtigt hat, und meine Frau mir nicht gerade sagt, dass sie mit unserem Leben unglücklich ist. Unsere Herzen und unser Glück waren stets in perfektem Einklang gewesen. Unsere Ziele, Träume und Sehnsüchte waren immer dieselben. Solide und unumstößlich. In der Musikbranche bezeichnet man uns als Power-Paar. Unsere Fans gaben uns sogar einen dieser albernen Paar-Spitznamen. Ashber.

Wir sind glücklich. Oder etwa nicht?

Tag und Nacht schicken wir uns gegenseitig sexy und liebevolle Textnachrichten. Wir küssen uns immer noch wie liebeskranke Teenager. Wenn wir getrennt sind, telefonieren wir stundenlang, reden über das Leben, die Musik, Kenzi, und unsere Zukunft. Wenn wir zusammen sind, können wir die Finger nicht voneinander lassen. Wir leben wie auf einer nie endenden Hochzeitsreise.

„Ich dachte, wir sind zufrieden mit unserem Leben“, sage ich, panisch zu dem, worauf sie hinaus will, und noch panischer, weil ich zugeben muss, es bereits genauso empfunden zu haben. Denn auch wenn ich meine Frau immer noch wahnsinnig liebe, habe ich es auch gefühlt. Alles, was sie sagt, brodelte dicht unter der Oberfläche. Die Einsamkeit. Die Sehnsucht nach ihr. Der nicht enden wollende Stress. Die Anstrengung, immer voll da sein zu müssen.

Sie hebt den Blick und sieht mich an. „Das dachte ich auch. Lange hat es mir gefallen, aber in letzter Zeit habe ich festgestellt, dass sich meine Wünsche geändert haben. Ich möchte noch ein Kind …“

Mein Herz macht einen Sprung vor Erleichterung und ich lächele. „Ein Kind?“, wiederhole ich. Diesen Wunsch kann ich ihr erfüllen. Wir haben schon ewig nicht mehr über noch ein Kind gesprochen. Lediglich ab und zu vage, dass es schön wäre, eines Tages noch eins zu haben. Wenn eines Tages jetzt sein soll, dann habe ich nichts dagegen.

„Ja, ein Baby.“ Sie lächelt. „Ich möchte auch mehr Zeit für Kenzi haben. Und ich will dich, Valentine. Endlich einmal ganz für mich allein. Ich will dich nicht mehr mit der Band und den Fans teilen müssen.“ Sie schluckt schwer und streichelt meine Wange. In ihren Augen schimmern Tränen. „Ich möchte nicht total egoistisch klingen. Aber wir sind seit fünfzehn Jahren zusammen und ich habe das Gefühl, dass wir nie Zeit für uns als Paar und Familie hatten. Ich mag nicht mehr das berühmte Rockstar-Duo sein. Versuchen, zwei irre volle Kalender zu koordinieren und ständig reisen zu müssen. Immer müssen wir uns gemeinsame Zeit stehlen, weil wir dauernd wieder woanders sein müssen.“ Sie seufzt tief. „Wir hatten eine unglaubliche Zeit, und ich bin auch dankbar dafür. Aber jetzt will ich, dass wir einfach nur wir sein dürfen.“

Ich kenne nur diesen einen Lebensstil. Ich wurde bei einem Konzert Backstage von einem Musiker und einem Groupie gezeugt, die aus einem One-Night-Stand ein Für-immer machten. Wurde in einem Tourbus geboren und großgezogen. Seit ich fünf Jahre alt war, singe ich und spiele Gitarre. Ich bin nicht nur in die musikalischen Fußstapfen meines Vaters getreten, sondern habe die seinen noch übertroffen.

Doch plötzlich erscheint mir die Möglichkeit, mehr Zeit mit der Liebe meines Lebens und meiner Tochter zu verbringen, sowie noch ein Kind der Familie hinzuzufügen, wahnsinnig verlockend. Tatsächlich habe ich schon darüber nachgedacht. Wenn ich allein im Tourbus schlafe und meine Frau verdammt vermisse. Wenn ich so erledigt bin, dass ich nicht einmal mehr weiß, welcher Tag heute ist oder in welchem Staat ich mich befinde. Immer öfter wollte ich in letzter Zeit einfach viel lieber zu Hause sein und bei allem, was sich dort befindet.

Ich liebe das Komponieren. Ich liebe die Fans. Ich liebe das Hochgefühl auf der Bühne. Doch das ist alles nichts im Vergleich zu dem Gefühl, im eigenen Bett aufzuwachen. Mit meiner Frau in meine Arme gekuschelt. Und, wenn ich meine Tochter in ihrem Zimmer hören kann.

Ember hat recht. Die Anforderungen unseres Berufs haben uns komplett vereinnahmt und uns die gemeinsame Zeit gestohlen. Langsam fressen sie wie Termiten unser Fundament auf. Seit Jahren sage ich mir selbst, dass nichts je zwischen uns kommen könnte. Dass unsere Liebe eine unzerstörbare Macht ist. Wir streiten uns nie ernsthaft, haben uns zu hundert Prozent einander verschrieben. Ich habe gedacht, dass uns dies in eine Art Schutzblase der Perfektion hüllt. Ich habe angenommen, dass uns die Nächte, in denen wir uns gegenseitig vermissen, nicht schaden könnten. Dass sie zu unserer Normalität gehören, mit der wir nun einmal leben müssen.

Ich habe mich geirrt.

Irgendwann war ich derartig in die Tretmühle geraten, dass ich vergessen habe, dass ich die Wahl habe. Dass wir die Wahl haben. Ich habe nicht gewusst, dass auch sie nachts wach lag und mehr Gemeinsamkeit wollte, statt diesen Stress.

„Ich hatte einen Albtraum.“ Sie spricht leiser, als ob sie mir ein Geheimnis verrät. „Ich habe geträumt, dass ich dich und Kenzi verloren habe. Ich war ganz allein.“ Sie leckt sich über die Lippen und sieht mir in die Augen. „Das ist Wochen her, aber ich werde den Traum nicht los. Er hat mir Angst gemacht und sich verdammt real angefühlt.“

„Du wirst uns nicht verlieren. Es war nur ein böser Traum.“ Ich umarme sie fester und drücke sie an meine Brust.

„Daran will ich auch nicht einmal denken. Aber es hat meine Meinung noch gefestigt. Auch, wenn das verrückt klingt.“

„Das klingt nicht verrückt, Babe.“

Sie hebt meine Hand an ihre Lippen und küsst sanft meine Fingerknöchel. Bei dieser süßen Geste schmelze ich dahin und am liebsten würde ich dieses Gespräch vergessen und Ember auf diesem Felsen küssen, umgeben von Bäumen und Erinnerungen.

„Momente wie dieser, wo es nur dich und mich gibt, machen mich glücklich. Ich vermisse das“, sagt sie leise.

Ich streichele ihr Kinn und sehe zu, wie sie ihre Lippen über meine Hand bewegt. „Ich auch.“ So sehr.

Glücklicherweise kennt sie mich gut genug, um sich keine Sorgen über mein Schweigen zu machen. Sie weiß, dass ich ein nach-denklicher Mensch bin. Ich ziehe sie an mich und lehne den Kopf an ihren. Der Duft ihres Kokosshampoos erfüllt meine Nase. Ich inhaliere ihn und verliere mich in der Erinnerung an unsere gemeinsame Dusche gestern Abend, nach der wir durchwärmt, noch klamm vom Wasser und zwischen unseren Küssen lächelnd ins Bett getaumelt waren. Bevor wir von dem Wort unglücklich besucht wurden, mit all seiner unerwarteten Last.

„Em, ich wusste nicht, dass du so fühlst. Es tut mir leid. Ich war so in allem gefangen, dass ich es nicht gesehen habe.“

„Ich war auch darin gefangen. Aber das will ich nicht mehr. Ich will dich neben mir fühlen, anstatt mit dem Handy einzuschlafen. Ich will, dass wir beide mehr Zeit für unsere Tochter haben. Sie ist jetzt ein Teenager. Bald wird sie ihre eigenen Wege gehen. Und ich wünsche mir wirklich noch ein Baby. Wir waren noch so jung, als wir Kenzi bekamen. Wir waren Kinder, die ein Kind großgezogen haben, und wie kopflose Hühner von einem Auftritt zum nächsten gehetzt sind. Ich wundere mich immer noch, dass wir Kenzi nicht unterwegs irgendwo verloren haben.“

Ich lache auf. „Wir haben es gut gemacht. Wir hatten Spaß und haben ein wunderbares, liebevolles Kind großgezogen. Sie ist intelligent und glücklich.“

„Das stimmt. Sie ist wunderbar. Aber ich wusste nie, wie ich ihr eine Mutter sein konnte. Ich bin mehr wie eine coole ältere Schwester für sie. Ich möchte gern die Mutterschaft auf normale Art erleben. Als Erwachsene, die alles richtig macht. Ich möchte, dass Kenzi einen Bruder oder eine Schwester bekommt, oder beides. Sieh dir an, wie nah ich Katherine stehe und du deinen Brüdern und deiner Schwester. Ich möchte, dass Kenzi das auch hat. Sie hat nur einen Hasen als Haustier.“

Aufgeregt rasen meine Gedanken. „Ich verstehe dich“, sage ich und schlinge die Arme fester um sie. „Wirklich, Em, und ich will das auch. Mehr als alles auf der Welt will ich bei dir und Kenzi sein. In letzter Zeit hatte ich dieselben Gedanken.“ Ich atme tief durch, denn das Aber, kommt jetzt wie ein Schnellzug. „Aber wir sind Teil einer der populärsten Rockbands in den USA. Ich weiß nicht, wie wir da rauskommen können. Es gibt Verträge, Tourtermine und Verpflichtungen.“

„Diese Dinge können rückgängig gemacht und besprochen werden.“ In ihren Augen schimmert Hoffnung. „Das geht, es gibt immer Möglichkeiten, das weißt du.“

Sie hat recht. Es gibt immer Wege. Es wird unangenehm und eine Menge Geld kosten, und eine Menge Leute verärgern, aber es ist machbar. „Stimmt. Das wird nicht einfach werden, aber es geht. Das kommende Jahr wird hart, aber danach könnten wir kürzertreten. Vielleicht nur eine kurze Tour im Jahr machen. Ein neues Album nur alle paar Jahre oder so. Sich langsam zurückziehen. Ich muss mit den Jungs reden und sehen, dass sie mitziehen.“ Ashes & Embers ist keine Band aus Freunden oder talentierten Musikern. Sie ist meine Familie. „Aber was ist mit deiner Band? Sugar Kiss ist gerade mega erfolgreich. Bist du wirklich bereit, alles aufzugeben, nachdem du und die Mädels so hart gearbeitet habt?“

„Ganz ehrlich? Ja. Mit dir und Kenzi zusammen zu sein und hoffentlich ein Baby zu bekommen, ist es wert. Aber bitte verstehe mich richtig. Nur weil ich bereit bin, meine Band zu verlassen, verlange ich nicht von dir, dass du deine verlässt, Ash. Das würde ich nie tun.“

„Das weiß ich, Liebling. Ich muss ja nicht komplett aufhören. Ich kann immer noch Songs schreiben und ab und zu live mit auftreten, kann immer noch dabei sein. Und auch wenn du es vielleicht nicht glaubst, aber das würde mir völlig reichen. Dann können wir endlich all das tun, worüber wir immer geredet haben. Urlaub machen. Unser Traumhaus bauen. Uns einen Hund anschaffen. Vielleicht lasse ich mich sogar überreden, dass du dir eine dieser Babyziegen anschaffst, die du so magst.“ Ich küsse ihre Nasenspitze. „Und ja, natürlich auch noch ein Baby oder zwei“, sage ich fröhlich. Je länger ich darüber rede, desto klarer wird mir, dass ich diese Veränderung schon lange will.

Ihr Gesicht strahlt. „Ash … das würde mir so gefallen. Wenn ich nicht an meine Band gebunden bin, könnte ich sogar zumindest mitkommen, wenn du wegmusst.“

„Das könnte funktionieren“, sage ich und lasse die Idee einsinken. „Wir können das definitiv erreichen.“ Plötzlich fühle ich mich viel leichter. Als ob ein massives Gewicht, das ich gar nicht bemerkt hatte, von meinen Schultern genommen wurde. „Ich werde noch diese Woche mit den Jungs reden. Was meinst du, wie die Mädels reagieren werden, dass du aus der Band aussteigen willst?“ Ich wische mir ein Insekt von der Wange und schiebe mir die langen Haare nach hinten.

Sie zuckt mit den Schultern, gleitet mit der Hand über mein Bein bis zu dem Riss in der Jeans, durch den sie das Tattoo an meinem Schenkel streichelt. „Die wissen, dass ich nicht mehr mit dem Herzen dabei bin. Außerdem bekomme ich in letzter Zeit Kopfschmerzen im Studio und auf der Bühne. Keine Ahnung, warum. Es ist, als ob ich die Lautstärke oder die Performance auf der Bühne nicht mehr wegstecken kann. Ich fühle mich irgendwie neben mir stehend. Mir fällt das Konzentrieren schwer und die Mädels ärgern sich ständig über mich. Das kann ich ihnen kaum verdenken. Ich bin ersetzbar und bereit, aufzuhören. Ich habe bereits mit ihnen darüber gesprochen.“

„Okay.“

Der Wind bläst ihr das blonde Haar ins Gesicht. Sanft streiche es ihr hinters Ohr, damit ich ihre Augen sehe. Ich merke mir, sie später daran zu erinnern, einen Termin beim Arzt zu machen, um den Kopfschmerzen auf den Grund zu gehen.

„Also tun wir es wirklich?“ Ich grinse. „Das ist ein großer Schritt.“ Ein riesiger. Ein verrückter. Aber er fühlt sich richtig an.

„Es ist, was ich will, Ash.“ Die goldenen Pünktchen in ihren Augen tanzen in der Sonne und faszinieren mich. „Ich denke schon lange darüber nach. Ich weiß, dass es nicht leicht wird. Und, dass wir beide etwas opfern müssen. Aber ich will es wirklich.“

„Ich habe auch darüber nachgedacht und weiß gar nicht, warum ich es nicht zugeben wollte. Wahrscheinlich hatte ich Angst, dass du enttäuscht von mir wärst. Dass du mich für einen Aufgeber oder Versager halten würdest.“

„Niemals. Dein Leben zu ändern, um glücklicher zu sein, macht dich nicht zum Versager, Schatz. Du denkst sicher, dass du ein Rockstar sein musst, weil du dazu erzogen wurdest. Und du denkst, dass du für jeden da sein musst. Du kennst es nicht anders. Aber weißt du was? Du bist ein Star. Und das wirst du auch bleiben. Aber das muss ja nicht alles sein, was du bist. Es ist okay, kürzerzutreten und zu genießen, was du dir erarbeitet hast.“

Das stimmt. Warum sich den Arsch abarbeiten, wenn man nie in seinem eigenen Haus sein kann? Oder mit Frau und Tochter das Leben genießen? Die Familie oft sehen kann? Regelmäßig gut schlafen? Ich hatte gesehen, wie meine Eltern das mitmachten und wie es sie fast getrennt hätte. Auch sie traten zurück. Setzten ihre Prioritäten neu. Änderten einiges. Es rettete ihre Ehe und die Familie. Danach waren sie glücklicher denn je. Auf keinen Fall werde ich meine Ehe riskieren oder zulassen, dass wir weiterhin unglücklich und einsam sind.

Sie gibt mir einen Kuss auf meinen Ehering. Kurz schließt sie die Augen und sieht mich dann an. „Und was hältst du von noch einem Kind? Bevor ich zu alt dafür werde?“

Lächelnd hebe ich ihr Kinn an. „Du bist nicht einmal neunundzwanzig, Dummerchen.“

„Ja, aber …“

Ich bringe sie mit einem langen Kuss zum Schweigen. „Ich will auch ein Baby haben“, wispere ich.

„Bist du dir sicher?“

„Hundertprozentig.“

„Das soll kein Ultimatum sein, Ash. Ich will auf jeden Fall bei dir sein, egal wie. Auch, wenn alles so bleibt wie es ist. Auch, wenn wir kein Kind mehr bekommen. Ich bin zwar nicht mehr so glücklich, würde mich aber damit abfinden, falls unser Leben bleibt wie es ist. Damit du mit deinem Erfolg weitermachen kannst, wenn du es möchtest. Dann werde ich nie mehr jammern. Ich wäre weiterhin dein größter Fan. Immer. Ich liebe dich genug, um weiterzumachen.“

Sie meint jedes Wort ernst. Sie würde den Traum eines anderen Lebens aufgeben, damit ich mich in meinen Beruf stürzen kann. Sie wird an meiner Seite warten, bis ich dazu bereit bin, zurückzutreten. Und sie würde es mir weder übel nehmen noch es mir vorhalten, denn so ist sie nicht. Sie würde mein Glück mit genießen.

Das ist wahre Liebe. Daher weiß ich, dass ich die richtige Entscheidung treffe. Nichts ist wichtiger als unser Glück und unsere gemeinsame Zukunft.

„Ich weiß, Baby. Ich liebe dich wie verrückt dafür, wie du mich liebst. In diesem Moment bin ich glücklicher als schon eine ganze Weile nicht mehr.“ Sie lächelt und die Bedenken verschwinden aus ihren Augen. „Wir wurden sehr schnell erwachsen, Em. Hatten so einen schnellen Erfolg. Ich werde bald dreißig, fühle mich aber, als hätte ich schon sechzig Jahre gelebt. Ich brauche nicht noch mehr Berühmtheit oder Geld. Aber ich brauche mehr von dir.“

Sie lächelt und umarmt mich. „Ganz sicher? Du musst dich nicht sofort entscheiden.“

„Ich habe mich schon vor einer ganzen Weile entschieden, Em. Ich wusste nur nicht, wie ich es dir sagen soll.“

„Sind wir verrückt, das zu tun? Den Erfolg sausen zu lassen? Müssen wir uns den Verstand untersuchen lassen?“

Ich zucke mit den Schultern. „Wahrscheinlich. Aber es ist mir egal, Babe. Wann haben wir je etwas Normales gemacht?“

Sie lacht und küsst mich. „Ich liebe dich und deine unnormale Art.“

Ich umfasse sie enger und lasse sie nach dem Kuss nicht zurückweichen. „Wir werden das schon hinkriegen, Baby. Versprochen.“ Ich erobere sie mit meinen Lippen und gleite mit den Händen unter ihr Shirt und streichele ihren Rücken. Die Sonne hat ihre Haut wunderbar zart und warm gemacht. Sie öffnet die Lippen und stöhnt leise, als ich ihre Unterlippe einsauge. Mit den Fingerspitzen streichele ich über ihren BH. Ihre perfekten Brustspitzen richten sich auf.

„Wir sollten genau hier schwanger werden“, flüstere ich an ihre Lippen.

Sie atmet schnell ein. „Liebend gern, aber ich nehme noch die Pille.“

„Dann hör damit auf.“

„Ich werde sie zu Hause sofort wegwerfen.“

Mit den Lippen gleite ich über ihre Wange, schiebe ihre Haare aus dem Weg und küsse ihren Hals. „Aber wir könnten hier schon mal anfangen zu üben …“

Ich knabbere an ihrem Hals und sie lacht. „Aber hier schleicht ein Wanderer herum, der uns sehen könnte …“

Zwar will ich sie hier und jetzt, doch ich will nicht riskieren, dass ein anderer Mann sie nackt sieht. Ich küsse ihr Ohr. „Wie wär’s dann mit nach Hause fahren, in den Whirlpool steigen, uns unter den Sternen lieben, und danach unser Körpergewicht in Eiscreme zu uns zu nehmen?“

Sie schlingt die Arme um meinen Hals und küsst mich auf die Schläfe. „Ich kann es kaum erwarten.“

Ehe wir uns voneinander lösen, umfasse ich ihr Gesicht und sehe ihr in die Augen. „Ich liebe dich doppelt — jetzt und für immer.“

Sie lächelt verträumt bei unserer speziellen Liebeserklärung und atmet langsam aus. „Ich liebe dich auch doppelt.“

Wir hüpfen vom Felsen und ich merke mir die Idee, in ein paar Wochen wiederzukommen. Mit einem kleinen Zelt, in dem wir uns lieben können.

„Oh.“ Sie schüttelt leicht den Kopf. „Mir ist irgendwie schwindelig.“

„Alles okay?“

„Ich glaube schon. Das muss an deinen Küssen liegen.“ Sie lächelt und geht zum Pfad, zögert jedoch, hebt die Hand und reibt sich die Stirn.

„Was ist los, Baby?“ Ich eile neben sie.

Sie greift sich in den Nacken, als hätte sie dort Schmerzen. Sie schwankt nach rechts, nach links, ihre Bewegungen zu abgehackt, fast roboterhaft, und dreht die Füße seltsam ein. Ich fange an zu lachen, denke, dass sie herumalbert, doch dann geben ihre Knie nach und sie schwankt gefährlich nah auf den Abgrund zu.

„Em!“ Ich packe sie am Arm, genau in dem Moment, als die Kante des Kliffs unter ihren Füßen bröckelt und ihre Knie erneut nachgeben. Sie gibt einen Laut des Schreckens von sich und krallt sich mit der freien Hand im Fallen an Erde und Gras fest.

Ich sacke auf die Knie und ihr ganzes Gewicht hängt an meinem Arm. „Heilige Scheiße!“, rufe ich aus.

„Asher.“ Ihre Stimme zittert panisch, während sie über dem Fluss unter uns baumelt.

„Ich hab dich“, sage ich atemlos. „Halte dich an meinem Arm fest.“

Doch sie zappelt herum und versucht, irgendwo Halt zu finden. „Ich … ich kann mich nirgends abstützen“, sagt sie schluchzend. „Ich rutsche ab!“

„Halte dich mit der anderen Hand an meinem Arm fest. Ich lasse dich nicht fallen.“ Ohne den Augenkontakt abzubrechen, taste ich mit der freien Hand um mich herum, in der Hoffnung, mich ebenfalls an irgendetwas festzuhalten, doch da ist nichts als Erde und glatter Fels. Mein Herz rast so schnell von dem panischen Adrenalinausstoß, dass meine Sicht unscharf wird. Ich schüttele den Kopf, um das loszuwerden, bekomme wieder einen klaren Blick und versuche, meinen Verstand einzusetzen. Sie wiegt nur ungefähr neunundfünfzig Kilo. Ich mache fast täglich Muskeltraining. Ich kann sie hochziehen, wenn ich etwas zum Festhalten finde. Auf keinen Fall lasse ich meine Frau in den Fluss fallen.

„Ash …“ Mit ihren grünen Augen starrt sie mich an. Verzweifelt und flehend.

„Alles wird gut.“ Meine Stimme, für die ich bekannt bin, bricht und verliert sämtliche Kraft und Zuversicht. „Ich hab dich. Halte dich an meinem Arm fest. Ganz fest und nicht loslassen.“

Ihr Griff wird fester. Ihre langen, rosa Fingernägel krallen sich in meine Haut und ich ziehe verzweifelt an ihr. Doch ich rutsche immer näher an den Rand. Wie kleine Rasierklingen graben sich ihre Nägel in mich, rutschen langsam ab und gleiten an meiner schweißnassen Haut nach unten. Blut dringt aus den Kratzern.

„Fuck!“

„Lass mich nicht los!“

„Niemals!“

Ich falle auf den Bauch und versuche mit der anderen Hand irgendwas von ihr zu greifen. Ihre Haare, ihr Shirt, irgendwas! Doch ich reiche nicht so tief hinab. Sie zappelt. Die hektische Bewegung lässt ihre Hand abrutschen. Aus meinem Griff.

„Nein!“, schreie ich. „Nein!“

Mein Herz bleibt stehen.

Ich höre auf zu atmen.

Meine Welt hält an, als sie fällt. So schnell, und doch unendlich langsam. In den Fluss. Ihr herzzerreißender verzweifelter Schrei hallt in der Schlucht wider.

„Ember!“

Ihr Name kommt nur schwer aus meiner rauen Kehle. Wie ein wildes Tier renne ich den Pfad hinab, suche mit hektischem Blick nach einer Lichtung, wo ich ins Wasser springen und sie retten kann. Im Rennen hole ich das Handy aus der Hosentasche und wähle den Notruf. Auf dem Display blinkt etwas.

Kein Empfang.

Fuck!

„Ich komme!“, rufe ich nach rechts durch die Berge. Äste peitschen mir ins Gesicht und an die Arme, zerkratzen mich und zerren an meinen Haaren. Mir egal. Ich muss zu ihr. Ich darf sie nicht verlieren.

„Halte durch, Baby, ich komme!“

Unten angekommen schnappe ich nach Luft. Mein T-Shirt ist schweißdurchtränkt. Ich blicke über das Wasser.

Wo bist du?

Endlich sehe ich ihr pinkfarbenes T-Shirt ungefähr sechs Meter entfernt.

„Ember! Ich komme!“ Ich springe ins Wasser. Fuck, ist das eiskalt.

Ich atme tief durch und versuche, mich an die Kälte anzupassen, während ich zu ihr wate. Wobei ich ununterbrochen bete und flehe. Sie muss es einfach überstehen.

Ich ersticke fast an meinem Schluchzen, ziehe ihren reglosen Körper zwischen die großen Felsen und umfasse ihr Gesicht.

„Ich bin hier, Baby. Du bist gerettet.“ Ich streiche ihr das nasse Haar aus dem Gesicht. Ihre schönen Augen starren blicklos in den Himmel über uns. Leblos. „Du bist gerettet.“

Ich zittere vor Kälte, während ich sie ans Ufer trage und dort ablege, und dann selbst aus dem Fluss steige und mich neben sie knie. Neue Panik überkommt mich, als ich sehe, dass ihre Lippen und ihre Haut blau werden. Ich schlucke schwer gegen den Kloß im Hals an, während Blut aus ihrem Handrücken auf die Erde neben ihr läuft.

„Ember …“ Meine Stimme ist kratzig. Ich checke ihren Puls am Handgelenk, doch mein unkontrollierbares Zittern ist zu stark, um etwas zu spüren. Ich bin wie gelähmt, halte verzweifelt ihre Hand, presse sie an mein wild klopfendes Herz, als ob sie das wieder zum Leben erwecken könnte. Unser gemeinsames Leben läuft vor meinem geistigen Auge ab. Ich bin wie paralysiert. Jeder Moment unseres Märchens, die verrückte, wirbelwindartige Liebesgeschichte erscheint wie ein Buch, das man durchblättert, vor mir.

Unser erster Kuss.

Unser erstes Date.

Unser erstes Mal.

Unsere Hochzeit.

Unser Kind.

Unsere Rockbands.

Unser Zuhause.

Unsere Millionen langsamen und leidenschaftlichen Küsse und Umarmungen.

Unser alles.

Wir haben uns einander für immer versprochen. Auf keinen Fall wird für immer jetzt enden.

Auf. Keinen. Verfickten. Fall.

„Aus dem Weg.“

Ich werde zur Seite geschubst und falle dadurch beinahe wieder in den Fluss. Wie benebelt starre ich den Wanderer an, den wir vorhin gesehen hatten, der sich über meine Frau beugt. Er drückt seine Hände auf ihre Brust und beatmet sie. Kurz möchte ich ihm die Fresse polieren, weil er so rabiat mit dem Wertvollsten in meinem Leben umgeht. Ember und ich haben beide nie jemand anderen geküsst. Das hatten wir einander versprochen, als wir uns in so jungen Jahren verliebt hatten. Es war unser Geschenk für einander. Mit Körper und Geist gehörten wir nur einander.

„Mach, dass du vom Berg runter kommst und ruf den Notarzt“, schnauzt er mich an. „Sofort!“

Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, doch ich rannte zur Hauptstraße hinab und wurde fast überfahren, als ich vor ein Auto sprang. Ich erinnere mich auch kaum noch daran, den Notruf gewählt zu haben und dass ein Krankenwagen kam. Ich weiß nur noch, dass die Liebe meines Lebens mich angefleht hat, sie nicht loszulassen, und die Versprechungen, die ich machte.

Und dann gebrochen habe.

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„Ash?“

Vor Stunden habe ich alle nach Hause geschickt. Langsam gingen sie. Nur zögerlich. Meine Brüder, meine Freunde, meine Eltern. Meine Großmutter. Meine Tochter.

Oh Gott. Ich sollte jetzt bei Kenzi sein, aber ich kann Ember nicht allein lassen. Der Blick in Kenzis Augen, als sie aus der Tür ging, verfolgt mich.

Es überrascht mich nicht, dass mein bester Freund Toren noch hier ist. Er durchquert das sanft beleuchtete Privatzimmer und kommt zu mir. Ich sitze auf einem harten Plastikstuhl neben Embers Bett.

Er berührt meine Schulter und legt seine Hand darauf. „Ich bin hier.“

Ich nicke und wende den Blick nicht von dem geschwollenen, teilweise blauen Gesicht meiner Frau. Lasse ihre Hand nicht los. Entferne mich keinen Zentimeter von ihr.

„Deine Eltern haben Kenzi mit nach Hause genommen. Sie hat Angst und ist durcheinander, also dachten wir, dass sie besser bei ihnen bleiben soll.“

Ich nicke erneut. Ich will nicht, dass meine vierzehnjährige Tochter ihre Eltern in diesem Zustand sehen muss. Blutig und gebrochen.

Tor drückt meine Schulter. „Lass mich dich nach Hause fahren.“

Ich schüttele den Kopf, ohne den Blick von Embers Gesicht zu nehmen. „Nein.“

„Du bist blutverkrustet und seit über zwanzig Stunden hier. Du bist erschöpft und hungrig und …“

„Ich lasse sie nicht allein.“ Ich hebe ihre kalte Hand und küsse ihren Ehering. Das liebt sie so sehr.

„Asher, du musst dich ausruhen.“

Ich drücke Embers Hand fester, warte auf eine Bewegung ihrer Lider, ein kleines Lippenzucken – irgendwas. „Nein.“

Er seufzt schwer. „Dann werde ich auch nicht gehen.“

Ich bin längst über den Punkt totaler Erschöpfung hinaus und nun in diesem zombiemäßigen Autopilot-Modus, der einen übernimmt, wenn nichts mehr real erscheint. Ich denke ständig, dass es nur ein schrecklicher Traum sein kann, und ich jeden Moment aufwache und alles ist wieder normal. Doch mit jeder vergehenden Minute wird klarer, wie real die Situation ist.

Ich bin hellwach. Ember schläft.

Wir sind beide in einem Albtraum gefangen.

Drei Tage später

„Mr. Valentine, ich möchte Sie respektvoll bitten, nach Hause zu gehen und sich auszuruhen. Ich versichere Ihnen, dass Ihre Frau in den besten Händen ist.“

„Und ich sage Ihnen respektvoll, dass ich auf keinen Fall gehen werde.“

Seufzend geht der grauhaarige Doktor auf die andere Seite von Embers Bett. Er überprüft die Geräte, an die sie angeschlossen ist, und lächelt mich dann geübt mitfühlend an. Er nimmt seine Brille ab und steckt sie in seine Kitteltasche.

Ich beuge mich auf dem harten Stuhl vor und stütze die Ellbogen auf dem Bett auf. Ich werde den Rest meines Lebens neben diesem Bett bleiben, solange meine Frau darin liegt.

„Es sind jetzt drei Tage“, sagt er sanfter. „Medizinisch betrachtet …“

Ich sehe ihn abrupt an. „Erzählen Sie mir nicht schon wieder diesen Ärzte-Scheiß. Ich will es nicht hören.“

Er räuspert sich. „Okay. Kein Ärzte-Scheiß mehr. Dann rede ich mit Ihnen von Ehemann zu Ehemann. Ihre Frau hat ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Ich gehe davon aus, dass sie ins Wachkoma gerutscht ist.“

Ich spüre Druck auf der Brust, der mein Herz und meine Lungen einengt. Unerträgliches Leid steigt mir in die Kehle und droht, mich zu ersticken. Ich kann nicht mehr atmen. Heiße Tränen steigen hoch. Ich streichele Embers Wange. Sie schläft doch nur. Sie wird wieder aufwachen.

„Die Chancen, dass sie sich wieder erholt, sind extrem gering“, sagt der Doktor. „Es tut mir sehr leid.“

Ich schließe die Augen und atme tief aus. Ich weigere mich, ihn anzusehen und seine Worte zu glauben. „Sie kennen sie nicht. Sie kennen uns nicht.“

„Das stimmt. Aber ich weiß genug über Gehirne, Trauma, Sauerstoffmangel und all die Dinge, die Sie nicht hören wollen. Und ich weiß, wie unfair es ist. Ich weiß, wer Sie sind, wie talentiert und beliebt Sie beide sind. Ich war mit meinem sechzehnjährigen Sohn auf einem Konzert von Ihnen. Ich wünschte, ich könnte Ihnen etwas Schöneres sagen, aber …“

„Sie wird aufwachen. Jeder meiner Gedanken, seit ich fünfzehn war, schloss sie mit ein. Wäre sie für immer fort, würde ich es fühlen. Ich würde es wissen.“ Meine Stimme bricht. Langsam schüttele ich den Kopf. „Es ist mir scheißegal, wie verrückt das klingen mag, bei all Ihrem medizinischen Wissen. Aber Liebe ist stärker als das alles.“ Ich ziehe die hellblaue Decke höher, fast bis zu ihren Schultern, und nehme wieder ihre Hand. Ihre Handfläche fühlt sich schon wärmer an. Da bin ich mir ganz sicher. „Sie braucht nur Erholung. Und Ruhe. Ist Ihnen klar, wie laut dieses Krankenhaus ist? Sie bekommt manchmal Kopfschmerzen. Dann muss sie ein paar Tage in einem stillen Raum schlafen, bis es ihr besser geht. Ich muss kein Gehirnchirurg sein, um zu wissen, dass sie nach dem Schlag auf den Kopf …“ Ich schlucke schwer gegen den immer präsenten Kloß im Hals an. „Sie braucht einfach ein bisschen Extra-Ruhe. Nicht wahr?“

Es hatte sich herausgestellt, dass ihre Kopfschmerzen keine normalen waren. Ein kleiner Tumor wurde in ihrem Hirn gefunden, als sie operiert worden war. So groß wie eine kleine Murmel hatte er die Kopfschmerzen verursacht, den Schwindel, die Lautstärkeempfindlichkeit, die plötzlichen Stimmungsschwankungen. Und höchstwahrscheinlich auch den Schwindel, durch den sie von der Klippe gefallen war.

Er nickt skeptisch. „Das ist sicherlich richtig, Mr. Valentine. Aber diese Kopfschmerzen gehen nicht so einfach weg. Ich wünschte wirklich, es wäre so. Die Verletzungen sind schwer. Die Untersuchungen haben gezeigt …“

„Bitte.“ Ich hebe meine Hand. „Ich will keine negativen Aussagen mehr in ihrer Gegenwart. Sie ist hier, direkt vor uns. Sie kann uns hören …“

„Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sie uns hört.“

„Aber auch keine dagegen. Schluss mit den negativen Kommentaren. Sie braucht Liebe, Ruhe und positive Energie. Ember ist ein fröhlicher Mensch. Ein strahlendes Licht. Nichts und niemand soll sie herunterziehen. Wenn Sie damit nicht einverstanden sind, verlange ich einen anderen Doktor.“

Sein Blick fällt auf meine Hand, die Embers festhält. „Natürlich bin ich damit einverstanden, Mr. Valentine.“

„Gut.“

„Da draußen sitzt das Wartezimmer voll mit Ihren Angehörigen. Lassen Sie sich doch bitte von jemandem nach Hause bringen. Ember wird sicherlich nicht aufwachen, während Sie weg sind. Sie müssen sich um sich selbst kümmern. Ich verstehe Ihre Hingabe sehr gut. Ich bewundere sie sogar, aber wenn Sie sich nicht um sich selbst kümmern, habe ich keine andere Wahl, als Besuche zu verbieten.“

Ich wische mir die Haare aus dem Gesicht und sehe ihn an. „Haben Sie mir gerade gedroht, dass ich meine Frau nicht mehr besuchen darf?“

„Nein. Ich habe lediglich betont, was für meine Patienten nötig ist, was momentan auch Sie betrifft. Sie haben dieses Zimmer nicht mehr verlassen. Ihre Familie macht sich Sorgen. Sie sind kurz davor, umzukippen, und wir können das nicht riskieren, weil es Chaos verursachen würde.“

Ich hatte mir geschworen, ihr Bett nicht zu verlassen, bis sie aufwacht. Aber aus einem Tag wurden zwei. Dann drei. Fast vier. Ich bin so erschöpft, dass mir schwindelig ist. Ich rieche streng. Hunger und Kummer duellieren sich in meinen Eingeweiden. Das Haar klebt mir im Genick. Das getrocknete Blut auf meinem T-Shirt juckt auf der Haut.

Ember wäre entsetzt, mich so zu sehen.

Langsam entziehe ich ihr meine Hand und erhebe mich von dem Plastikstuhl. „Ich gehe nach Hause und mache einen Menschen aus mir. Aber nur, wenn so lange ihre Schwester bei ihr sein darf. Auch außerhalb der Besuchszeiten. Ich will nicht, dass sie allein ist, wenn sie aufwacht.“

„Ich gebe Ihnen mein Wort, Mr. Valentine.“

Das Bedürfnis, mich zu Ember ins Bett zu legen, sie in die Arme zu nehmen und bei ihr zu bleiben, bis uns die Falle zwischen Leben und Tod freigibt, ist überwältigend. Ich sollte nichts anderes tun, als sie zu halten.

Ich habe Angst, zu gehen. Ich habe Angst, wenn ich sie nicht berühre, nicht mit ihr rede, wird sie noch weiter davongleiten und ich werde sie für immer verlieren. Als sich dieser Gedanke in meinem Verstand breit macht, werde ich fast gelähmt von dem tiefen, herzzerreißenden Schmerz in der Brust, der sich im ganzen Körper ausdehnt und in jede Faser meines Seins vordringt, als ob Ember aus mir heraus gerissen würde.

Ich werde sie nicht loslassen. Niemals.

Ich beuge mich über sie und küsse ihre Wange.

„Ich bin bald wieder da, Baby. Versprochen“, wispere ich. „Ruh dich aus. Träum von uns. Ich liebe dich.“

Ich lasse mich von meinem Bruder Storm nach Hause fahren. Er drängt mich in die Dusche, zwingt mich dazu, Zimttoast und Tee zu mir zu nehmen, und überredet mich, schlafen zu gehen. Er verspricht mir, auf der Couch so lange zu warten, bis ich aufwache und wieder ins Krankenhaus will.

Allein im Schlafzimmer lasse ich mich aufs Bett sinken. Die Matratze fühlt sich fremdartig an. Nicht mehr gemütlich, sondern irgendwie unsicher. Als ob sie mich in ein Loch aus Decken und Erinnerungen ziehen und verschlucken könnte. Die Abwesenheit meiner Frau schreit mich aus jeder Ecke des Zimmers an. Ihr Duft in der Bettwäsche berührt und verhöhnt mich zugleich. So viel von ihr ist hier. Nur sie nicht.

Noch nie habe ich mich so einsam gefühlt. Drei Tage ohne ihre Berührungen, ihre Stimme, ihr Lächeln, und meine Welt ist in Trümmer gefallen. Wir waren schon oft getrennt, rannten unserem Erfolg hinterher, doch noch nie auf diese Art. In fünfzehn Jahren war sie noch nie so unerreichbar für mich gewesen.

Ich nehme das Handy vom Nachttisch und höre mir eine Sprachnachricht von ihr an. Meine Hand zittert. Ihre fröhliche Stimme erschallt aus dem Lautsprecher.

„Hallo, Liebling. Du bist bestimmt im Studio. Ich wollte nur deine Stimme hören. Es war ein langer Tag. Ich bin auf dem Weg nach Hause. Ich habe unsere Lieblingseiscreme gekauft. Für einen gemütlichen Abend im Bett bei einem Film, wenn Kenzi schlafen gegangen ist. Ich habe auch ein paar Kerzen mitgenommen, und eventuell habe ich mir sogar ein paar sexy Dessous gekauft. Also dann, wir sehn uns, wenn ich nach Hause komme. Ich liebe dich und kann es kaum erwarten. Viele Küsschen, tschüss mein Schatz.“

Ich nehme einen tiefen Atemzug, der sich anfühlt, als könnte es mein letzter sein. Eine Träne läuft mir die Wange hinab und klatscht auf das Display.

Sie klang so glücklich. So süß. So hoffnungsvoll. So lebendig.

Ich spiele die Nachricht noch einmal ab. Und noch einmal.

Mein Herz zieht sich zusammen, als ich daran denke, dass wir an dem Abend nicht zu unserem Eiscreme-Date kamen. Ich hing im Studio fest und sie war eingeschlafen. Wir hatten vor, es die nächste Woche nachzuholen. An dem Tag, als sie in den Fluss fiel.

Ich kralle die Finger um das Handy vor rasendem Bedauern. Alles, was sie an dem Tag gesagt hatte, strömt durch meine Adern. Sie hatte recht. So verdammt recht. So sehr wir unser Leben auch geliebt hatten … es entglitt uns langsam. Und in dem Moment, als ich es gerade begriffen hatte, hatte ich sie mir entgleiten lassen.

Ich habe sie aus meinen Fingern rutschen lassen.

Ich vergrabe das Gesicht in den Kissen und ersticke die lauten Schluchzer, die ich nicht mehr zurückhalten kann.

Dann spiele ich ihre Nachricht noch einmal ab, muss ihre Stimme hören, und flehe das Universum an, uns mehr Zeit zu geben.

„Ash … hörst du mich?“, wispert sie.

Ich blinzele, reibe mir die Augen, doch ich kann sie durch den dichten blauen Nebel, der mich umgibt, nicht erkennen.

„Ember? Wo bist du?“ Ich greife nach ihr, folge ihrer Stimme, aber ich kann sie nicht finden.

„Ich weiß es nicht. Ich bin müde. Da ist ein rosa Licht. Ich muss darin schlafen.“

„Nein. Komm näher zu mir. Geh nicht …“

„Ich muss. Ich bin schon fast da.“

„Es tut mir so leid. Bitte geh nicht …“

Eine warme Brise streichelt mich.

Meine Lippen kribbeln.

Ich halte die Luft an.

„Es ist nicht deine Schuld. Ich werde eines Tages wiederkommen, versprochen. Wir werden wieder zusammen sein. Ich liebe dich.“

„Em!“

Ich verkrampfe mich. Der Nebel verschwindet und ich starre auf den Deckenventilator im Schlafzimmer. Er dreht und dreht sich. Der Duft von Embers beruhigendem Lavendelspray kitzelt meine Nase. Ich setze mich auf und blicke auf die leere Bettseite neben mir. Die kleine lila Glasflasche steht nicht auf dem Nachttisch wie sonst immer. Aber ich rieche es. Überall an mir. Im ganzen Bett. Zittrig inhaliere ich den vertrauten Duft.

Sie war hier.

Ich kann sie spüren, auf den Lippen schmecken, und das Echo ihrer Worte hängt noch in der Luft.

„Ich werde auf dich warten“, wispere ich in das dunkle Zimmer. „Ich liebe dich.“

Kapitel 1

Asher

Sieben Jahre später …

„Guten Morgen, meine Schöne.“

Ich stelle die Vase mit den lila, gelben und weißen Blumen auf den Nachttisch und den Strauß, den ich gestern mitgebracht hatte auf einen Tisch neben der Tür. Wenn ich nachher gehe, bringe ich ihn zur Schwesternstation und man wird ihn einem Patienten geben, der nie Geschenke bekommt.

Ich ziehe meine Lederjacke aus und werfe sie auf einen Stuhl in der Ecke, bevor ich ans Fenster gehe und das Rollo hochziehe. Sonnenlicht flutet das Zimmer.

„Heute ist es schön draußen. Es wäre ein guter Tag, um nach Wolfeboro zu fahren und in diese kleinen Läden zu gehen, die du so magst. Irgendwo etwas essen gehen.“ Ich öffne das Fenster ein Stück. „Endlich mal ein bisschen frische Luft reinlassen, nicht wahr?“

Ich drehe mich um und Ember starrt auf den Fernseher.

„Em, ich …“

„Wow, diese Blumen sind schön. So leuchtende Farben.“ Sherry, meine Lieblingskrankenschwester, rollt den Wagen mit Medikamenten und diagnostischen Gerätschaften ins Zimmer. Ich meide immer einen genaueren Blick darauf. „Sie sind heute aber früh hier, Mr. Valentine.“

„Ich konnte es nicht abwarten, meine Frau zu sehen. Die Sonne scheint und ich glaube, ich habe Vögel zwitschern gehört. All das fröhliche Zeug. Es fühlt sich wie ein schöner Tag an.“

Sie wirft mir ein warmes Lächeln zu, während sie meine Frau versorgt. „Sie haben Glück, Mrs. Valentine. Mein Mann verbringt Tage wie diesen damit, zum zigsten Mal die Garage aufzuräumen.“

Ich warte am Fenster, bleibe aus dem Weg, während Sherry die morgendliche Prozedur erledigt und Notizen in ihr iPad tippt.

Augen starren mich von den Fotos an der Wand an, das Lächeln der Gesichter in der Zeit eingefroren. Ich, Ember und Kenzi über die Jahre hinweg, lächelnd und das Leben liebend. Bis auf den Fotos nur noch Kenzi und ich zu sehen sind. Verändert, gealtert und nicht mehr so fröhlich lächelnd. Ich schwöre, dass ich auf jedem der Fotos einen leeren Platz sehen kann, als hätte jemand Ember herausgeschnitten. In meiner Vorstellung ist sie jedoch mit auf den Fotos.

„Genießen Sie Ihre Zeit zusammen“, sagt Sherry schließlich irgendwann. „Machen Sie bitte das Fenster zu, bevor Sie gehen, schöner Mann.“

Ich grinse. „Das werde ich, Sherry.“

Als sie gegangen ist, stoße ich mich vom Fensterbrett ab und gehe ans Ende von Embers Bett. Ich fasse nach ihrem Fuß und drücke ihn leicht durch die dünne weiße Socke. Sie ist furchtbar kitzelig. Bei der kleinsten Berührung ihrer Füße bricht sie immer in ein anbetungswürdiges, sexy Kichern aus. Doch sie starrt nur weiter auf den Fernseher.

Ich löse die Bremse am Bett und drehe es dem Fenster zu. „Sieh nur, wie blau der Himmel ist, Babe. Fast so schön wie du.“ Ich setze mich aufs Bett neben ihre Hüfte und küsse ihre Stirn. „Ich weiß, dass du kein Morgenmensch bist, aber ich konnte nicht mehr schlafen und musste dich unbedingt besuchen.“

Ich nehme ihre Hand und drücke sie. „Dieses Wochenende beginnt der Doktor mit dem neuen Medikament, von dem ich dir erzählt habe. Ich weiß, dass es ewig gedauert hat, aber so ist das mit solchen Sachen. Anträge und Zulassungen, und so weiter und so fort.“ Ich hole eine Lotion aus der Nachttischschublade. „Es ist noch in der experimentellen Phase, aber ich habe ein gutes Gefühl dabei, Em.“ Ich drücke etwas von der Lotion heraus und massiere sie sanft in Embers Hand, ihren Arm und ihre Schulter.

Sie blinzelt.

„Es hat schon ein paar Leuten geholfen.“ Ich massiere die Lotion in ihren anderen Arm ein. „Sie sind aufgewacht und es geht ihnen von Tag zu Tag besser. Ich habe Videos gesehen. Sie können sprechen und laufen. Verrückt. Das könnte bei dir auch funktionieren. Stell dir das mal vor, Em.“ Ich streichele ihre Wange und wünsche mir so sehr, dass sie mich ansieht. „In ein paar Wochen oder Monaten könnten wir wieder zusammen sein. So wie früher. Du könntest nach Hause kommen, in deinem eigenen Bett schlafen und all deine Lieblingsessen haben. Und deine Eiscreme.“

Ich streichele mit den Lippen an ihrem Ohr entlang. „Wir könnten auf eine zweite Hochzeitsreise gehen und einander vernaschen“, wispere ich neckend.

Sie schließt langsam die Augen, verharrt kurz so und öffnet sie wieder.

Fuck. Sie fehlt mir so sehr, dass ich am liebsten mit der Faust gegen die Wand schlagen würde. Ihr Lächeln, ihr Lachen, ihr Duft, ihre Berührungen. Ihre Liebe.

Das neue Medikament muss einfach wirken.

„Ich weiß, dass du mich hörst, Baby. Wenn ich könnte, würde ich direkt zu dir in deinen Kopf kriechen. Ich schwöre, das würde ich. Aber das kann ich nicht, also wird es Zeit, dass du herauskommst. Wenn du herauskommst, versuche nicht, wieder den Snooze-Knopf zu drücken, okay? Werde einfach wach und ich werde da sein. Und Kenzi auch.“

Ich atme durch und betrachte ihr Gesicht, suche nach Anzeichen des Verstehens.

Nichts.

„Ich liebe dich, Em“, sage ich leise. „Du fehlst mir so sehr. Du musst mit mir nach Hause kommen. Kenzi braucht dich. Ich versuche so sehr, ihr ein guter Vater zu sein. Aber ich glaube, dass sie immer noch ihre Mama braucht. So viel ist passiert …“ Ich kann ihr nicht alles über ihre Tochter erzählen. Nicht in diesem Zustand.

Ember starrt weiterhin durch mich hindurch in die Ferne, in den blauen Himmel. Ich seufze, strecke mich vorsichtig auf dem Bett aus und lege einen Arm um sie. Ich lege den Kopf neben ihren und schaue hin, wo sie hinsieht.

„Lass uns die Wolken beobachten. Erinnerst du dich, dass wir das oft zusammen getan haben? Du hast immer die coolsten Formen entdeckt.“

Zwei Wolken ziehen vorbei, und dann schlafe ich ein.

Eine Stunde später wache ich auf.

Ich darf nicht in ihr Bett oder in ihrem Zimmer schlafen. Nicht einmal das Fenster darf ich öffnen. Doch Sherry hat sich an mich gewöhnt, nachdem ich seit sieben Jahren fast täglich herkomme. Sie hat mir erzählt, dass ich einer der Wenigen bin, die ihre Angehörigen regelmäßig besuchen. Sie weiß auch, dass ich nur richtig schlafen kann, wenn ich meine Frau in den Armen halte. Wenn ich an den Ort entfliehen kann, an dem wir zusammen sind und all das hier nicht real ist. Bald wird Sherry wiederkommen, um Ember zu wenden und sich um die anderen notwendigen Dinge zu kümmern. Manchmal bleibe ich und helfe ihr. Doch heute hätte ich lieber nur die Erinnerung daran, dass ich mit ihr im Arm geschlafen habe.

Unwillig stehe ich auf und schließe das Fenster. Dann drehe ich mich zum Fernseher um, der rund um die Uhr läuft. Ember starrt weiterhin nur so wahnsinnigmachend teilnahmslos vor sich hin. Ich befürchte schon, dass es ansteckend ist und ich bald auch so aussehen werde.

Ich komme mir wie unsichtbar vor. Wie ein Geist, in derselben Einsamkeit gefangen wie meine Frau, nur dass das Schicksal eine massive unsichtbare Wand zwischen uns gezogen hat.

Ich richte ihre Bettdecke, die unsere von zu Hause ist, küsse meine Frau sanft auf die Lippen und nehme auf dem Weg hinaus die Blumen von gestern mit.