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Rüdiger von Nitzsch und Florian Methling

REFLEKTIERT ENTSCHEIDEN

KOMPETENT MIT KOPF UND BAUCH

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

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© FAZIT Communication GmbH

Frankfurter Allgemeine Buch

Frankenallee 71 – 81

60327 Frankfurt am Main

Umschlag:

Satz: Anabell Krebs

Druck: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

1. Auflage

Frankfurt am Main 2021

ISBN 978-3-96251-094-7

eISBN 978-3-96251-106-7

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten.

INHALT

Vorwort

Warum reflektiertes Entscheiden sinnvoll und notwendig ist

1.Eine Welt voller guter und schlechter Entscheidungen

2.Chancen und Risiken intuitiver Bauchentscheidungen

3.Ein analytischer Entscheidungsprozess

4.Wie Kopf und Bauch gut zusammenarbeiten können

5.Ein Zwischenfazit

Die fünf Schritte des reflektierten Entscheidens

6.Schritt 1: Klären der Entscheidungssituation

7.Schritt 2: Entwickeln eines Zielsystems

8.Schritt 3: Identifizieren aller Handlungsoptionen

9.Schritt 4: Schätzen der Auswirkungen

10.Schritt 5: Bewerten und Entscheiden

Ihr Beitrag auf dem Weg in eine zielorientierte Entscheidungskultur

Schlusswort

Danksagungen

Literaturhinweise

VORWORT

Es gibt viele Ratgeber zum Thema „Entscheiden“. Einige loben die Intuition über alles, andere vermitteln die Gefahren von Bauchentscheidungen und plädieren für strukturiertere Kopfentscheidungen. Die Wahrheit liegt wie so häufig in der Mitte. Intuition hat in bestimmten Situationen ihre Stärken, und häufig lohnt es sich, auf seinen Bauch zu hören. Dennoch kann in vielen Fällen nicht auf einen gesunden Menschenverstand und Selbstreflexion verzichtet werden. Wir plädieren in diesem Buch für reflektiertes Entscheiden durch ein bewusstes Miteinander von Bauch und Kopf, um die Stärken beider Ansätze bestmöglich zu kombinieren. Wir geben viele Hinweise und stellen Methoden vor, die Sie auf Ihrem Weg zu einer entsprechenden Entscheidungskompetenz unterstützen.

Dieses Buch richtet sich an diejenigen, denen einfache Ratgeber, wie man Entscheidungen zu treffen hat, zu oberflächlich sind und wissenschaftliche Lehrbücher zur normativen Entscheidungstheorie oder zur Psychologie der Entscheidung zu theoretisch. Wir wollen mit diesem Buch einen Mittelweg beschreiten. Der praktische Nutzen aus vielen Erkenntnissen der Entscheidungstheorie soll zwar im Vordergrund stehen. Gleichzeitig verstehen wir uns aber als Wissenschaftler, weshalb uns auch eine theoretische Fundierung sehr wichtig ist.

Die präsentierten Inhalte und Empfehlungen entwickelten sich vor allem durch langjährige Lehr- und Forschungserfahrungen im Bereich der Entscheidungstheorie an der RWTH Aachen. Die Entscheidungstheorie beschäftigt sich zum einen damit, das Entscheidungsverhalten von Menschen zu beschreiben, zu verstehen und beispielsweise auch typische Entscheidungsfehler zu finden. In unzähligen Labor- und Feldstudien haben viele Forscher interessante und wichtige Erkenntnisse über das menschliche Entscheidungsverhalten gewonnen, die wir in diesem Buch aufgreifen werden. Zum anderen beschäftigen wir uns in der Entscheidungstheorie mit Methoden und Instrumenten, die Entscheidern helfen, bessere Entscheidungen zu treffen. Wir werden auf diejenigen analytischen Konzepte zu sprechen kommen, die unserer Meinung nach den größten Nutzen für praktische Entscheidungsprobleme liefern.

Zusätzlich zu dieser wissenschaftlichen Ausrichtung haben wir in verschiedenen Bereichen (Wirtschaft, Politik, private Lebensplanung und Gesundheit) Beratungsprojekte, Workshops und Coachings durchgeführt, um Entscheidern bei der Strukturierung ihrer Entscheidungschancen zu helfen. Auch im Zuge der Entstehung des von unserem Team entwickelten und im Internet verfügbaren Trainings- und Entscheidungstools ENTSCHEIDUNGSNAVI haben wir viel über verständliche und klare Hinweise zur Verbesserung von Entscheidungen gelernt. Das Buch ist aus dem Bedürfnis heraus entstanden, diese vielen wertvollen Erkenntnisse, die wir in den letzten Jahren erlangt haben, einem breiteren Publikum zur Verfügung zu stellen.

In dem ersten Teil des Buches (Kapitel 1 bis 5) gehen wir auf die Probleme von reinen Kopf- oder Bauchentscheidungen ein und stellen die grundlegenden Stärken eines reflektierten Vorgehens zwischen Kopf und Bauch vor. Im zweiten Teil (Kapitel 6 bis 10) erläutern wir anhand eines durchgehenden Beispiels Schritt für Schritt, wie ein reflektierter Entscheidungsprozess konkret umgesetzt werden kann. Zum Abschluss des Buches laden wir Sie ein, durch das Gelernte zur Verbesserung der Entscheidungskultur in unserer Gesellschaft beizutragen, und zeigen Ihnen dabei auch, wie Sie das machen könnten.

Prof. Dr. Rüdiger von Nitzsch

Dr. Florian Methling

WARUM REFLEKTIERTES ENTSCHEIDEN SINNVOLL UND NOTWENDIG IST

In diesem ersten Teil des Buches geben wir Ihnen eine Einführung in reflektiertes Entscheiden.

Im ersten Kapitel wollen wir zunächst einmal verdeutlichen, wie wichtig es ist, sich mit Entscheidungen bzw. Entscheidungsprozessen im Allgemeinen zu beschäftigen. Alles, was Sie erleben und in der Welt geschieht, ist sehr eng mit Entscheidungen verknüpft. Auch sind es Ihre Entscheidungen, die zum großen Teil bestimmen, wie sich Ihr Leben weiterentwickelt. Mit stärker reflektierten Entscheidungen erhöhen Sie Ihre Selbstwirksamkeit.

Von den vielen Entscheidungen, die Sie täglich treffen, werden Sie viele intuitiv aus dem Bauch heraus fällen. Dies ist sinnvoll und gut. Allerdings weiß man aus der Forschung, dass sich hier einige Fallstricke verstecken, die mit etwas mehr Reflexion vermieden werden können. Wir werden Sie deshalb im zweiten Kapitel in die Chancen und Risiken intuitiver Bauchentscheidungen einführen.

Im dritten Kapitel werden wir den Gegenpart zu der intuitiven Bauchentscheidung behandeln, nämlich eine strikt analytische Vorgehensweise im Entscheidungsprozess. Hier werden wir Ihnen vorstellen, mit welchen fünf Schritten man eine überlegte Kopfentscheidung treffen sollte.

Das vierte Kapitel führt schließlich den Bauch- und Kopfentscheidungsweg zu einem gemeinsamen Weg des reflektierten Entscheidens zusammen. Wir stellen dar, dass sich beide Wege grundsätzlich wunderbar ergänzen können.

Der Weg zu Ihrer Entscheidungskompetenz, also Ihrer Fähigkeit, eine Entscheidung reflektiert treffen zu können, ist jedoch ein wenig steinig. Sie sollten reflektiertes Entscheiden trainieren und selbst damit einige Erfahrungen sammeln. Was Sie hierbei beachten müssen, stellen wir im Kapitel 5 dar.

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EINE WELT VOLLER GUTER UND SCHLECHTER ENTSCHEIDUNGEN

Jeder kennt wahrscheinlich den Rat, seine Energie nicht in diejenigen Dinge zu stecken, die man ohnehin nicht ändern kann, sich dafür aber dem zu widmen, was man tatsächlich beeinflussen kann. Hiermit kommt zum Ausdruck, dass zwei Faktoren maßgeblich die Qualität des eigenen Lebens bestimmen: Schicksal und die eigenen Entscheidungen. Freuen Sie sich, wenn es das Schicksal gut mit Ihnen meint, und ärgern Sie sich nicht zu sehr, wenn es nicht so gut läuft. Aber konzentrieren Sie sich vor allem auf Ihre Entscheidungen, denn nur hier können Sie etwas bewirken. Wie Sie dies am besten umsetzen können, wird Ihnen dieses Buch zeigen.

Sie treffen jeden Tag unzählige Entscheidungen, meistens denken Sie dabei noch nicht einmal nach. Vieles ist Gewohnheit, z. B. der morgendliche Griff zur Zahnbürste, die Wahl des Brotaufstriches, die Form der Begrüßung der eigenen Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz, das Ordern eines Espressos nach dem Essen und vieles mehr. Auch die Wahl des Sitzplatzes in einem Seminarraum oder Hörsaal scheint in gewisser Weise einem Gewohnheitsprinzip zu folgen. Es ist schon auffällig, wie häufig wir unsere Studierenden wieder auf dem Platz finden, den sie schon in der Woche davor belegt hatten, ohne dass es dafür irgendwelche Zwänge oder Regeln gibt. Aber auch in neuen Situationen, in denen es noch keine Gewohnheiten gibt, treffen Sie häufig eine schnelle Entscheidung. Ohne die Optionen explizit zu betrachten und Vor- und Nachteile abzuwägen, wählen Sie das Naheliegende. Vor Ihnen stürzt z. B. ein älterer Fußgänger und scheint sich wehgetan zu haben. Sie laufen schnell hin und fragen, ob er Hilfe benötigt. Oder Sie werden von Ihren Freunden gefragt, wie es Ihnen geht, und formulieren sofort ein „Gut“ als Antwort, obwohl es sehr viele unterschiedliche Antwortmöglichkeiten gegeben hätte und Sie über Ihr tatsächliches Befinden noch nicht einmal nachgedacht haben. In beiden Situationen sind es letztlich Ihre Entscheidungen, die festlegen, wie Sie sich verhalten.

Einfluss auf Ihr Leben können Sie somit beispielsweise nehmen, wenn Sie Ihre Gewohnheiten ins Visier nehmen. Wenn Sie morgens auf dem Weg zu Ihrem Büro in der dritten Etage einmal nicht – wie sonst immer – den Fahrstuhl nehmen, sondern sich für die Treppe entscheiden, haben Sie wieder ein Stück mehr Kontrolle über Ihr Leben gewonnen. Sie haben dies getan, weil Sie erkannt haben, dass SIE entscheiden können und mit einer Entscheidung etwas bewirken können, was für SIE positiv ist. Vielleicht spüren Sie die gesundheitlichen Konsequenzen nicht unmittelbar, möglicherweise leiden Sie zunächst auch unter Atemnot und Schweißausbrüchen auf den letzten Treppenstufen, aber nach vielen ähnlichen Entscheidungen werden Sie die positiven Konsequenzen schon bemerken.

Ereignisse als Konsequenzen von Entscheidungen

Letztlich verbergen sich hinter allen Geschehnissen, über die täglich z. B. in den Nachrichten oder Zeitungen berichtet wird, Entscheidungen mit daraus resultierenden Konsequenzen. So erfahren Sie beispielsweise in den Nachrichten, dass es einen Gesetzentwurf zur Neuregelung in der Pflegeversicherung gibt. Offenbar haben sich hier Politiker und Fachexperten lange Zeit ausgetauscht und überlegt, wo die Schwächen des aktuellen Systems sind und wie man diese verbessern könnte. Nach Einschätzungen und Bewertungen, wie so ein Gesetzentwurf in der Bevölkerung ankommen bzw. sich auf die nächste Wahl auswirken könnte, hat man sich am Ende auf den letzten Entwurf geeinigt und der Gesundheitsminister hat sich entschieden, diesen in eine Lesung im Bundestag einzubringen. Der neue Gesetzentwurf ist hier eine Konsequenz vieler Entscheidungen aller Beteiligten.

Oder Sie lesen, dass zwei Unternehmen eine Fusion anstreben. Auch hier mag es umfangreiche Vorüberlegungen gegeben haben. Szenarien wurden durchgespielt, und es gab Verhandlungen über die genaue Fusionsausgestaltung. Und auch hier stand am Ende die Entscheidung der beiden Vorstandsgremien, das Fusionsvorhaben den Aktionären vorzuschlagen. Eine große Rolle bei diesen Entscheidungen haben vermutlich Prognosen gespielt, wie sich eine Fusion auf die wirtschaftlich relevanten Kenngrößen wie Umsatz, Kosten und Marktstellung auswirken wird. Ob die Fusion eine gute oder eine schlechte Entscheidung ist, wird davon abhängen, ob die Einschätzungen wirklich zutreffen werden oder nicht.

In der Sportschau bekommen Sie mit, dass die Fußballnationalmannschaft in einem Freundschaftsspiel ein Unentschieden erreicht hat. Unabhängig davon, ob Sie damit zufrieden sind oder nicht, sind auch hier Entscheidungen verantwortlich gewesen. Der Bundestrainer hatte sich vielleicht nach langem Abwägen für eine bestimmte Mannschaftsaufstellung und Strategie entschieden. Auch die Spieler haben eine Unmenge von Entscheidungen im Spielverlauf getroffen, wobei die allermeisten sicherlich unmittelbar und ohne langes Nachdenken entstanden sind. Die Spieler profitierten hierbei davon, dass sie im Training schon viele Spielsituationen geübt hatten und deshalb kaum noch überlegen mussten, sondern auf ihre antrainierten Entscheidungen zurückgreifen konnten. Wirklich viel Zeit haben die Spieler auf dem Feld in den meisten Situationen ohnehin nicht. Neben den Fähigkeiten der Spieler war es also die Summe aller Entscheidungen und vielleicht auch ein wenig Zufall, was zum Unentschieden führte.

Dann hören Sie in den Nachrichten etwas über eine Naturkatastrophe, bei der schon wieder ein Hurrikan in Florida erhebliche Schäden angerichtet hat. Vielleicht denken Sie, dass dies eine Nachricht ist, die nicht mit einer Entscheidung in Verbindung gebracht werden kann. Aber auch hier gibt es Entscheidungen aus der Vergangenheit, die mitverantwortlich sein könnten. Wir reden von Entscheidungen von Staaten, sich nicht ausreichend mit ordnungspolitischen Vorgaben um die Erreichung der Klimaziele zu kümmern und von Konsumenten, die Flugreisen unternehmen und Kreuzfahrten machen und dabei über Jahre hinweg ihr Wohl implizit höher gewichten als den negativen Einfluss auf die Umwelt. Auch dies sind aber wiederum Entscheidungen, die vielleicht kurzfristig keine spürbaren Auswirkungen haben, aber in der Summe die Entwicklungen eben doch beeinflussen können.

SIE TREFFEN TÄGLICH ZAHLLOSE ENTSCHEIDUNGEN, DIE ALLE MIT KONSEQUENZEN VERBUNDEN SIND.

Haben Sie es bemerkt? Im Beispiel der Unternehmensfusion sind wir kurz auf die vermeintlich zentrale Frage im Kontext von Entscheidungen eingegangen: Ist die betrachtete Entscheidung eine gute oder schlechte Entscheidung? Wir hatten davon gesprochen, dass es sich erst in einigen Jahren herausstellen wird, ob die Fusionsentscheidung erfolgreich sein wird oder nicht. Aber ist der Erfolg einer Entscheidung der richtige Maßstab, um gute von schlechten Entscheidungen zu unterscheiden? Um dies besser zu ergründen, betrachten wir zunächst einige Entscheidungen, die als schlechte Entscheidung oder sogar als Fehlentscheidung Berühmtheit erlangt haben.

ENTSCHEIDUNGEN BEEINFLUSSEN NICHT NUR IHR LEBEN, SONDERN VERBERGEN SICH AUCH HINTER FAST ALLEN GESCHEHNISSEN IN DER GESELLSCHAFT.

Beispiele von „schlechten“ Entscheidungen

Fangen wir mit dem Verkauf Alaskas durch Russland an die USA vor 150 Jahren an. Bis ins 19. Jahrhundert gehörte Alaska zum russischen Kaiserreich. Aufgrund einer temporären Knappheit in der Staatskasse wurde das Gebiet schließlich 1867 für einen in heutiger Sicht lächerlichen Betrag von 7,2 Millionen $ (dies würde heute ca. 120 Millionen $ entsprechen) von Zar Alexander II. an die USA verkauft. In Anbetracht der geostrategischen Lage Alaskas und der enormen Bodenschätze der Region wird das heutige Russland diese Entscheidung des Zaren sicherlich bereuen. Oder schauen wir auf die Unternehmenspleite von Air Berlin. Als 2014 der Ölpreis von über 110 $ pro Barrel noch zur Mitte des Jahres auf weniger als 70 $ zum Ende des Jahres eingebrochen war, sicherte sich Air Berlin den zukünftigen Einkauf von Kerosin zu einem festen, vermeintlich günstigen Preis. Die Dynamik des Ölpreisverfalls wurde jedoch unterschätzt und der Ölpreis fiel noch bis Anfang 2016 weiter auf unter 40 $. Dies kostete das Unternehmen einen dreistelligen Millionenbetrag und trieb es entscheidend mit in die Insolvenz. Diese Preisabsicherung war sicherlich eine schlechte Entscheidung.

Im Sport hat kaum eine Fehlentscheidung mehr Berühmtheit erlangt als das sogenannte Wembley-Tor aus dem Fußballweltmeisterschaftsfinale 1966 zwischen Deutschland und England. Der Engländer Hurst schießt den Ball gegen die Latte, dieser wird auf den Boden abgelenkt und springt zurück vor das Tor. Die Schiedsrichter entscheiden auf Tor, doch der Ball hatte die Linie nie mit vollem Umfang überschritten. England erzielt im Anschluss noch einen weiteren Treffer und gewinnt letztlich das WM-Finale in der Verlängerung mit 4:2. Auch diese Schiedsrichterentscheidung war sicherlich nicht gut.

Beispiele von „guten“ Entscheidungen

Genug mit den schlechten Entscheidungen, kommen wir lieber zu einigen bekannten sehr erfolgreichen Entscheidungen. Ein Beispiel liefert Bill Gates, als er 1980 einen Vertrag mit der damals übermächtigen IBM unterschrieb. Dabei ließ er sich weitsichtig das Recht einräumen, die Lizenz für die Software PC-DOS auch an andere Wettbewerber verkaufen zu dürfen. Während IBM damals die Bedeutung von Software für Privatnutzer unterschätzte, war es Bill Gates, der seine Chance erkannte. In der Annahme, dass Software in der Zukunft eine immer wichtiger werdende Rolle als Schnittstelle zwischen Hardware und Nutzer bilden wird, traf er die richtige Entscheidung und übertrumpfte mit seiner Firma Microsoft bald IBM in Größe und Einfluss. Eine – nicht nur für ihn – goldrichtige Entscheidung.

Eine nicht minder beeindruckende Entscheidung traf am 15. Januar 2009 der Kapitän des US-Airways-Flugs 1549 Chesley Sullenberger. Nach einem Vogelschlag in beiden Triebwerken mit daraus folgendem Schubverlust stand Sullenberger vor der Wahl: zurückkehren zum Flughafen LaGuardia oder Notlandung am Flughafen Teterboro in New Jersey. Doch nach Abwägung der aktuellen Höhe des Flugzeugs und der Entfernung zu den Flughäfen entschloss sich Sullenberger zu einer dritten Möglichkeit. Er änderte die Flugrichtung und richtete das Flugzeug zur Notwasserung auf dem Hudson River aus. Abgesehen von der fliegerischen Meisterleistung, die es benötigt ein Flugzeug zu notwassern, ist die Kreativität der Lösungsfindung in einer solch akuten Stresssituation beeindruckend. Sullenberger konnte durch diese Entscheidung alle Passagiere inklusive der Besatzungsmitglieder retten.

Und wieder zurück zum Lieblingssport der Deutschen: Denken Sie an die 88. Minute im Fußball WM-Finale 2014 zwischen Deutschland und Argentinien. Joachim Löw, Trainer der deutschen Nationalmannschaft, trifft die Entscheidung, Mario Götze für Miroslav Klose einzuwechseln. In der Folge dieser Entscheidung schießt Mario Götze in der 113. Minute die eigene Mannschaft zum Sieg und damit zur Weltmeisterschaft. Noch heute wird Joachim Löw für diese Entscheidung in einigen Medien gefeiert.

Ergebnis der Entscheidung als Qualitätsmaßstab?

Was lernen wir aus diesen Beispielen? Im Nachhinein betrachtet scheint es in jeder Entscheidungssituation ein Leichtes zu sein, zwischen einer guten und schlechten Entscheidung zu unterscheiden. Im allgemeinen Sprachgebrauch sind gute Entscheidungen mit einem Erfolg verknüpft und schlechte Entscheidungen diejenigen, die zu einem schlechten Resultat geführt haben. Aber Vorsicht: Ob sich der Erfolg einstellt oder nicht, kann ja lediglich durch Glück oder Pech oder salomonisch ausgedrückt durch das Schicksal verursacht worden sein, d. h. durch etwas, was der Entscheider nicht beeinflussen kann.

Gerade bei der Einwechslung Mario Götzes in den letzten Minuten der regulären Spielzeit war sicherlich eine Riesenportion Glück mit dabei. Oder betrachten wir es andersherum: War es vielleicht eine schlechte Entscheidung des Trainers, ihn erst so spät einzuwechseln, und hätte eine frühere Einwechslung das Spiel vielleicht gar nicht erst in die Verlängerung gehen lassen müssen? Hätte Kapitän Sullenberger einen Ausweichflughafen vielleicht doch ansteuern können und hat er mit der Notwasserung die Passagiere vielleicht eigentlich nur einem unnötigen Risiko ausgesetzt? Ebenso könnten möglicherweise einige der eben als Fehlentscheidungen eingeschätzten Situationen eigentlich ganz vernünftige Entscheidungen gewesen sein. Vielleicht war es schlichtweg nur großes Pech für Air Berlin, dass sich der Ölpreis so stark reduzierte. Die Absicherung gegen Preisänderungen ist ein übliches Verfahren in vielen Branchen und die Entscheidung orientierte sich damit an einem in der Luftfahrtbranche gängigen Vorgehen. Ebenso wenig lässt sich der Verkauf Alaskas einzig anhand des heutigen Wertes der Region bemessen. Stellen Sie sich vor, Ölfelder und seltene Rohstoffe seien in Alaska nie entdeckt worden und es sei die triste Gefriertruhe geblieben, für die man es gehalten hatte.

Dass das Ergebnis einer Entscheidung in der Tat ein schlechter Maßstab für die Qualität der Entscheidung ist, kann anhand des folgenden Beispiels noch einmal sehr deutlich gemacht werden. Stellen Sie sich einen Geschäftsmann vor, der gerade in einer Gegend, in der er sich nicht gut auskennt, einen anstrengenden Außentermin hatte und mit dem Auto wieder nach Hause fährt. Er sucht die richtige Autobahnauffahrt und ist aufgrund einer nicht ganz eindeutigen Beschilderung etwas verunsichert. Er fragt sich: „Muss ich jetzt hier rechts abbiegen oder erst bei der nächsten Auffahrt?“ Er muss eine Entscheidung treffen und entscheidet sich für die nächste Auffahrt. Leider war es die falsche Auffahrt. Ja, er hat sich sogar verkehrswidrig verhalten, er durfte dort gar nicht auffahren. Und es kommt noch schlimmer. Er wird angehalten von einer Polizeistreife, die ihn beobachtet hatte und zur Rede stellt. Aber die ganze Sache dreht sich zum Positiven, denn er verliebt sich unsterblich in die sympathische Polizistin, es kommt zur Traumhochzeit und zu einem wunderbar gemeinsamen glücklichen Leben.

Auch wenn dieses Beispiel vielleicht sehr konstruiert aussieht und es zugegebenermaßen auch ist, soll es doch eines deutlich machen: Die Entscheidung, die betreffende Auffahrt zu nehmen, hat sich nach dem Entscheidungszeitpunkt sehr glücklich fortentwickelt und führte zu einem ausgezeichneten Ergebnis. Bei einer anderen Entscheidung wäre der Geschäftsmann vielleicht sein ganzes Leben alleine geblieben. Die Entscheidung führte somit sicherlich zu einem guten Ergebnis, aber eben aufgrund einer extrem glücklichen Entwicklung.

Ungeachtet dieser Tatsache beurteilen wir im normalen Sprachgebrauch Entscheidungen meistens rückblickend. Beispielsweise mit der Aussage „Wer weiß, ob das eine gute Entscheidung ist!“ unterstellen wir implizit bereits, dass es sich erst später herausstellt, ob die Entscheidung gut ist. Oder wir hören uns sagen, dass eine bestimmte Entscheidung die richtige war: „Das war eine richtige Entscheidung, dass wir diesen Weg genommen haben. Auf der anderen Route war nämlich ein dicker Stau und wir wären dann viel zu spät gekommen.“ Zuletzt noch eine Situation, die wir vom Einkaufen kennen, wenn wir die zügigste Schlange an der Kasse auswählen wollen: „Mist, das war wohl die falsche Entscheidung, diese Kasse zu nehmen. Bei der anderen wären wir schon längst durch.“ Unabhängig davon, ob von einer guten, erfolgreichen, glücklichen bzw. richtigen oder im ungünstigen Fall von einer schlechten, unglücklichen bzw. falschen Entscheidung gesprochen wird, wird in der Regel auf das Ergebnis abgestellt. Und dieses ist erst später bekannt.

WIE ERFOLGREICH EINE ENTSCHEIDUNG IST, KANN ZWAR RÜCKWIRKEND BEWERTET WERDEN, ABER ÜBER DIE QUALITÄT DER ENTSCHEIDUNG SAGT DIES WENIG AUS.

Unser Verständnis von Entscheidungskompetenz

Wenn wir im Folgenden von einer reflektierten Entscheidung sprechen, dann wird damit die Qualität der Entscheidung ausschließlich zum Zeitpunkt der Entscheidung beurteilt. Was sich anschließend ergibt, kann nach der Entscheidung nicht mehr verändert werden. Es ist nur noch Glück oder Pech. Doch ist eine reflektierte Entscheidung gleichwohl keine Garantie, dass diese Entscheidung auch zum Erfolg führen wird. So ist es möglich, dass das Schicksal es nicht gut mit Ihnen meint, Sie Pech haben und die Entscheidung zu einem schlechten Ergebnis führt. Im Einzelfall kann dies sogar dazu führen, dass Sie mit einer unreflektierten Entscheidung durch viel Glück ein besseres Ergebnis erreicht hätten. Aber das Schicksal können Sie nun mal nicht beeinflussen. Wenn Sie jedoch 100, 1000 oder noch mehr reflektierte Entscheidungen treffen, dann können Sie – sozusagen nach dem Gesetz der großen Zahlen – mit sehr hoher Sicherheit davon ausgehen, dass Sie sich insgesamt besser damit stellen als mit entsprechend vielen unreflektierten Entscheidungen.

Lassen Sie uns dies noch einmal an einer Situation verdeutlichen, in der Sie zu Fuß eine Straße in einem Wohngebiet überqueren wollen. Da die Wohnstraße nur mäßig stark befahren ist, können Sie versuchen, sich auf Ihr Glück zu verlassen, die Zeit für einen Blick nach rechts und links sparen und einfach drauflosgehen. Vielleicht wird Ihnen beim ersten Mal nichts geschehen, wenn gerade kein Auto kommt. Vielleicht haben Sie dieses Glück auch ein zweites oder drittes Mal. Je häufiger Sie dies jedoch machen, desto wahrscheinlicher wird es, dass Sie insgesamt irgendwann einmal bei dieser unvorsichtigen Vorgehensweise mit einem Auto kollidieren. Und auf diese gesamte Sicht aller Straßenüberquerungen sollte man sich eben schon im Einzelfall einstellen und jedes Mal reflektiert entscheiden, d. h. den Blick nach rechts und links werfen. Diesen Zusammenhang zwischen dem Reflexionsgrad einer Entscheidung zum Zeitpunkt der Entscheidung und dem resultierenden Ergebnis, nachdem sich das Schicksal entweder in Form von Glück oder Pech eingemischt hat, verdeutlicht Abbildung 1.

MIT REFLEKTIERTEN ENTSCHEIDUNGEN SINKT DIE ABHÄNGIGKEIT VON GLÜCK UND PECH UND DER ERFOLG WIRD WAHRSCHEINLICHER.

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Abbildung 1: Von der Entscheidung bis zum Ergebnis

Dieses Buch wird Ihnen helfen, die Qualität Ihrer Entscheidung noch vor einem Einfluss des Schicksals auf ein bestmögliches Niveau zu heben. Dies ist unser Verständnis einer reflektierten Entscheidung.

Das Reflektieren bei einer Entscheidung geht jedoch auch mit Aufwand einher. Sie werden noch im Detail erfahren, was alles dazugehört. Ein sehr sorgfältiges Reflektieren kann schon mal eine beträchtliche Zeit in Anspruch nehmen. Insofern ist es nicht sinnvoll, bei jeder Entscheidung einen maximalen Grad an Reflexion anzustreben. Vielleicht ist dies bei einigen wichtigen Entscheidungen angebracht. Je unbedeutender die Entscheidung für Sie ist, desto weniger Mühe sollten Sie ins Reflektieren investieren. Wenn Sie also beim Einkauf einer Fertigpizza eine Stunde vor der Kühltheke stehen und alle Hinweise dieses Buches durcharbeiten, ist das in aller Regel nicht sehr clever.

BEI EINER REFLEKTIERTEN ENTSCHEIDUNG WIRD DIE QUALITÄT DER ENTSCHEIDUNG SCHON ZUM ZEITPUNKT DER ENTSCHEIDUNG MAXIMIERT.

Es kommt also nicht nur darauf an, dass Sie das Handwerkszeug und die Fähigkeit zur ausreichenden Reflexion besitzen. Wichtig ist es zudem, dass Sie für jede Entscheidungssituation stets das richtige Maß bzw. die richtige Ausgestaltung einer Reflexion wählen. Wenn wir im Folgenden von der Entscheidungskompetenz einer Person sprechen, so muss beides erfüllt sein.

Bleibt am Ende dieses Kapitels noch die Frage, wie genau denn ein „Reflektieren“ aussehen könnte. Die einen raten dazu, sich mit Sinn und Verstand die Vor- und Nachteile der verschiedenen Optionen aufzulisten und in einem Vergleich abzuwägen. Dieses analytische Vorgehen wird gerne als Kopfentscheidung bezeichnet. Andere plädieren dafür, sich verstärkt auf sein Bauchgefühl zu konzentrieren und auf seine Intuition zu vertrauen. Bei einem großen Erfahrungsschatz wird man hierbei möglicherweise ohne große Überlegungen von alleine auf den richtigen Weg geführt.

ENTSCHEIDUNGS-KOMPETENZ BEDEUTET, REFLEKTIERT ENTSCHEIDEN ZU KÖNNEN UND DIESE FÄHIGKEIT SINNVOLL EINZUSETZEN.

Auch wenn in jeder Bauchentscheidung ein wenig „Kopf“ dabei sein wird und auch so gut wie keine Kopfentscheidung gänzlich ohne Intuition auskommt, ist es sinnvoll, diese beiden Entscheidungswege zunächst erst einmal als unterschiedliche Vorgehensweisen zu betrachten. Dies soll Abbildung 2 veranschaulichen.

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Abbildung 2: Ablauf eines Entscheidungsprozesses

Je nach Typ fahren Sie auf der Wegstrecke Ihres Entscheidungsprozesses also vielleicht lieber auf einer bestimmten Seite. Der typische Bauchentscheider fährt eher auf der schnellen linken Spur, der analytische eher kontrolliert und meist auch langsamer rechts. Wie es im Bild veranschaulicht ist, können die unterschiedlichen Spuren möglicherweise zu anderen Zielorten, sprich Entscheidungen, führen. Hierbei lässt sich pauschal auch nicht sagen, welcher Weg zu einer besseren Entscheidung führt.

Reflektiertes Entscheiden beschreibt ein Vorgehen, in dem die beiden Spuren nicht auseinanderlaufen. Vielmehr wird eine Wegstrecke gewählt, in der es zu vielen Spurwechseln zwischen einem intuitiven und parallel verlaufenden analytischen Weg kommt. Hierbei reißen Sie das Lenkrad nicht wahllos nach links und wieder zurück nach rechts. Vielmehr nehmen Sie gut navigierte Spurwechsel vor, in der die Vorteile des intuitiven und analytischen Entscheidungsweges kombiniert werden und die Nachteile beider Verfahren weitgehend vermieden werden sollen.

Wie ein solch reflektiertes Entscheiden und ein Navigieren zwischen den Spuren genau aussieht, werden Sie im Detail im zweiten Teil des Buches lesen können. Es wird ein Navigationsprozess in fünf Teiletappen sein, bei dem zumindest die Fahranfänger noch sehr genau den Anweisungen des Navigationssystems folgen müssen. Je mehr Übung und Erfahrung Sie dann in dem geführten Prozess haben, desto weniger werden Sie zum einen das Navigationssystem benötigen. Zum anderen werden Sie sich sogar durch Ihre Erfahrung nicht mehr so lange auf der langsamen rechten Spur bewegen müssen. Sie werden die Etappen schneller hinter sich bringen und schließlich werden Sie auch einzelne Etappen schon intuitiv souverän bewältigen. Sie werden entscheidungskompetent sein, und dies ohne jegliche Navigationshilfe.

Bevor Sie sich an diesen zweiten Teil wagen, möchten wir Sie in dem Rest dieses ersten Teils noch etwas vorbereiten. In den nächsten beiden Kapiteln werden wir zunächst getrennt voneinander den intuitiven und den analytischen Weg genauer inspizieren. In Kapitel 2 erfahren Sie, wie Intuition funktioniert und welche Chancen und Risiken damit verbunden sind. In Kapitel 3 lernen Sie einen analytischen Entscheidungsprozess in fünf Schritten kennen, der mit genau diesen Schritten auch im zweiten Teil des Buches aufgegriffen wird. In Kapitel 4 bringen wir die beiden Wege dann das erste Mal zusammen und zeigen exemplarisch, wie sich diese beiden Wege in jedem der fünf Schritte grundsätzlich gut ergänzen können. Schließlich machen wir in Kapitel 5 noch ein Zwischenfazit, bringen unser Verständnis des reflektierten Entscheidens noch einmal auf den Punkt und werden die gesamte Philosophie des Ansatzes in fünf Eigenschaften zusammenfassen.

Was Sie in diesem Kapitel gelernt haben:

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CHANCEN UND RISIKEN INTUITIVER BAUCHENTSCHEIDUNGEN

Über die Qualität von Bauchentscheidungen gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen. So finden Sie in den Angeboten Ihres Buchhändlers sicherlich einige Ratgeber, die auf die Kraft der Intuition schwören und hierfür in der Regel anschauliche und plausible Begründungen liefern. Zugleich gibt es jedoch einen mindestens so großen Kreis an Forschern, die sehr deutlich zeigen, dass in bestimmten Entscheidungssituationen Bauchentscheidungen zu Fehleinschätzungen und Entscheidungsfehlern führen. Und hierbei handelt es sich nicht um einige wenige Situationen, die Verzerrungen treten vielmehr in vielen Situationen vorhersagbar und systematisch auf.

Um die Chancen und Risiken von Bauchentscheidungen besser herausarbeiten zu können, stellen Sie sich bitte die Intuition als Informationsverarbeitung in zwei Phasen vor.

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Abbildung 3: Zweiphasenmodell der Intuition

Nachdem die Intuition durch einen Impuls (z. B. durch das Sehen eines Objektes, Lesen eines Satzes oder eigenes kritisches Nachdenken über einen Sachverhalt) angeregt wurde, werden in einer ersten Phase weitere Gedanken assoziiert. Wenn Sie beispielsweise spät abends durch eine einsame und dunkle Gasse laufen, kommen Ihnen automatisch