Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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© Frieling-Verlag Berlin • Eine Marke der Frieling & Huffmann GmbH & Co. KG

Rheinstraße 46, 12161 Berlin

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www.frieling.de

ISBN 978-3-8280-3612-3

1. Auflage 2021

Umschlaggestaltung: Michael Reichmuth

Umschlagfoto: Claudia Herber

Illustrationen: Severin Klisch

Sämtliche Rechte vorbehalten

Printed in Germany

Inhalt

Ich freue mich unendlich, Ihnen mit diesem Werk ein Buch zu präsentieren, das eine außergewöhnliche Autobiografie meiner Kindheit in Kurzgeschichten erzählt. Jedes Erlebnis ist eine Geschichte für sich. Gerade in den Corona-Monaten wurde mir beim Schreiben wieder bewusst, wie einfach doch unser Leben auf dem Land war, was der Fröhlichkeit und der Zufriedenheit der Bewohner keinen Abbruch tat. Dass diese Geschichten so lebendig sind, um sie auch Menschen mit Anfangsdemenz vorzulesen, habe ich bereits mit einer imposanten Auswahl erfahren, die ich im Seniorenheim „Margaretenhöhe“ in Bergisch-Gladbach vorlesen durfte.

Daher gilt mein erstes Dankeschön den Bewohnern des Seniorenheims „Margaretenhöhe“ und Herrn Willi Potthoff, der dort seit 40 Jahren regelmäßig mit ihnen gemeinsam singt. Er ist es auch, der mir seit 2010 in einem zwei Monatsrhythmus die Möglichkeit gibt, viele Texte dieses Buches (zwei pro Veranstaltung) zwischen den Liedern vorzulesen. Ihm und den Bewohnern danke ich für das positive Echo und ihm im Besonderen für die wertvollen Anregungen.

Einen weiteren Dank möchte ich den Inhabern des Kreativhauses in Morbach-Hinzerath/Hunsrück widmen. Das Paar, Frau Bruni Kluss und Herr Rüdiger Luckow, waren es auch, die mir erlaubten, in ihrem Wohnhaus gleich neben dem Kreativhaus-Café ihren historischen Kochherd zu fotografieren. Frau Bruni Kluss war darüber hinaus noch als Fotomodell mit den Küchenutensilien tätig, das alles lässt die Zubereitung des wöchentlichen Eintopfs wieder gedanklich aufblühen.

Dem Frieling-Verlagsteam, dem Verlag meines Vertrauens, möchte ich ebenfalls danken und ein großes Lob aussprechen, für die vielen freundlichen Hinweise und die stete Unterstützung. In den zehn Jahren unserer Zusammenarbeit konnte ich bereits drei Bücher veröffentlichen und darüber hinaus in den Anthologien des Verlages mit vielschichtigen Beiträgen meine Autoren-Vielfalt zum Ausdruck bringen. Ich freue mich, dass das Verlagsteam auch bei diesem Buchprojekt seine wertvollen Erfahrungen hat einfließen lassen.

Die Grafikerin, Frau Severin Klisch, ist eine treue Unterstützerin meiner Werke und hat bereits in meinen Büchern „Jedes Jahr fängt ein Jahr neu an“ und „Samstags war Badetag“ ihre künstlerische Vielfalt präsentiert. Umso mehr freue ich mich, Ihnen, Frau Klisch, zu danken für die erneute Zusammenarbeit und die Illustrationen, die Sie auf der Basis ausgewählter Kurzgeschichten erstellt haben.

Das Jahr 2020 war nicht nur für mich bei der Fertigstellung des Werkes ein sehr anspruchsvolles Jahr. Es war zugleich eine betrübliche Zeit, da ich aufgrund der Auflagen nicht nach Bergisch-Gladbach zum Vorlesen fahren durfte. Buchmessentermine für das Jahr 2020 wurden erteilt und wieder aufgehoben, sodass meine gewünschte Präsentation in Leipzig und Frankfurt auf das neue Jahr verlegt werden musste. Eine Lesung per Video konnte ich auf der Buchmesse Saar realisieren, die 2020 ihr Debüt feierte. Allen Unterstützern und Zuhörern in aller Welt danke ich vielmals für das Interesse und die Begeisterung für meine Werke. Und Ihnen – meinen Lesern und Leserinnen und die es noch werden wollen – gilt mein Dank nicht nur für dieses Buch, sondern für alle meine Werke und Beiträge. Ich hoffe, es ruft bei Ihnen ein erneutes, positives Echo hervor und lässt Sie die augenblickliche Lage und Einschränkungen leichter überwinden.

Herzlichen Dank!

Ihre Claudia Herber

Buon appetito, hübsche Dame!

Die 50er-Jahre brachten uns in Deutschland so manche Veränderung. Die deutsche Fußballmannschaft gewann die Weltmeisterschaft. Einige Familien konnten sich schon mal eine Reise in südliche Länder leisten. Firmen erlebten das erste Wirtschaftswunder mit Gewinn und suchten fleißig weitere Mitarbeiter. Das war der Start, mit dem die ersten Gastarbeiter in die deutschen Lande kamen. Männer und Familien aus Italien und Spanien brachten neben ihrem Fleiß auch ihre südliche Fröhlichkeit zu uns. Deren südländliche Küche mussten wir erst mal probieren. Nie werde ich vergessen, als ich die erste Pizza essen durfte. Ich war knapp zehn Jahre alt. An einem Sommer-Samstagabend sollte der Geburtstag meiner Schwester anders gefeiert werden. Statt selbst den Herd dafür zu nutzen, bestellte meine Mutter die Pizza bei dem Gastwirt in unserem Dorf. Zwei Pizzas mit Schinken und Zwiebeln, zwei andere mit Salami und Pilzen sollten für sechs Personen reichen. Zwei Flaschen Rotwein hatten wir dazu bestellt. Denn Pizza mit Wein von der Mosel zu essen, wäre nicht italienisch genug gewesen. Denn wir wollten ja ein typisch italienisches Essen! Dieses erste Mal war nicht nur für uns etwas Neues, auch die Pizzabäcker mussten noch lernen! Denn manche Pizza hatte einen zu dicken Teig und wenig Belag! Wir waren alle schneller satt als gedacht. Somit hielten wir uns mit der nächsten Bestellung noch etwas zurück, das war auch klar.

Nicht nur die Pizza war für uns etwas Neues, auch ein anderes Essen entdeckten wir schnell. Spaghetti und andere Nudelsorten ließen unsere Speisekarte anwachsen. Mit Hackfleisch-Tomaten-Soße übergossen, serviert mit geriebenem Käse, konnte so ein Essen manchen Hunger stillen. Hier musste nichts verbessert werden, Spaghetti liebten wir sofort. Das Einzige, worauf wir achten mussten, war, nicht zu viel davon zu essen! Denn diese Nudeln mit leckerer Soße und Käse brachten unser Körpergewicht zum Wachsen.

Mit einem anderen Genuss für heiße Tage konnten unsere italienischen Freunde alle begeistern, Klein wie Groß. Italienisches Eis –mhmm, wie lecker! Ich weiß noch, wie ich sehnsuchtsvoll das Eiscafé in der Kleinstadt, wo ich zur Schule ging, beobachte! Bei jedem Gang durch die Mosel-Stadt schaute ich zur Eingangstür. War die Tür traditionell nach Karneval offen, hielt mich meist nichts mehr. Damals waren meine Lieblingssorten Erdbeere und Schokolade. Im Frühjahr, Sommer und Herbst, wenn mein Geld reichte, ging ich dorthin. Die Zeit musste ich ausnutzen.

Stand dann 01. November auf dem Kalender, war die Eingangstür zur italienischen Eisdiele geschlossen. Drei Monate Urlaub, welche die Italiener nach vielen Eis-Stunden in ihrer Heimat verbrachten. Ich hatte dafür Verständnis und gönnte es ihnen von Herzen. Auch wenn es für mich eine lange Wartezeit war. Das ist es auch noch heute für mich!

Danke, blonde Lottofee!

Jeden Samstagabend zwischen dem allwöchentlichen Samstagabendprogramm, sei es die Sendung „Musik ist Trumpf“ oder „Am laufenden Band“, waren die meisten Zuschauer mehr als gespannt. Es gab dann eine kleine Unterbrechung, die viele ganz toll fanden. Zu sehen war eine nette Dame mit blonden Haaren, die ganz ernst, aber stets mit einem Lächeln in die Kamera blickte. Sie begrüßte alle Zuschauer zu der Ziehung der Lottozahlen. Mit den Worten „Der Aufsichtsbeamte hat sich vor der Sendung von dem ordnungsgemäßen Zustand des Gerätes und der 49 Kugeln überzeugt!“ fiel der Startschuss. Die 49 Kugeln rollten über ein gläsernes Band in die Ziehungskugel und wurden dort eifrigst gemischt. Mit dem Druck auf einen Knopf ging das Gerät ein wenig zurück und die erste Kugel fand ihren Weg in den ersten, gläsernen Behälter. Die blonde Lottofee bestätigte die erste Kugel, eine Vier. Dann folgten noch fünf weitere Kugeln und am Ende fiel noch die Zusatzzahl in einen Behälter, der mit ein wenig Abstand in der Reihe stand. Während der Ziehung schaute mein Vater stets wie gebannt zwischen seinem Lottoschein und der Sendung hin und her. Er spielte jede Woche und hoffte stets auf das große Glück. Zwei Kästchen waren stets mit den gleichen Zahlen angekreuzt – Geburtsdaten und andere wichtige Nummern, die ihm zu seinem Glück verhelfen sollten. Zwei weitere wurden jede Woche wahllos angekreuzt.

Das Geld für den Lottoschein pro Woche war immer fest eingeplant. Wehe, wenn meine Mutter einmal vergessen hatte, den Lottoschein rechtzeitig abzugeben. Der Abgabetag für den Lottoschein, der Freitag, war genauso fest eingeplant wie das wöchentliche Baden. Da meine Mutter am Freitag zu einer Putzstelle in das Städtchen an der Mosel fahren musste, hatte sie stets den Schein in ihrer Tasche, den sie dann vorsorglich im Geschäft noch vor dem Mittag abgab.

Wie es der Zufall wollte, fand auch einmal die Glücksfee den Weg zu meinem Vater. Ausgerechnet an einem Wochenende, wo so viele Menschen fünf Richtige mit Zusatzzahl hatten, musste mein Vater gewinnen. Eine kleine Summe, ein paar tausend Mark, wurde ihm ausgezahlt. Auf der einen Seite war er glücklich über den Betrag. Auf der anderen Seite war er auch gleichzeitig enttäuscht, hatte er sich doch mehr erhofft. Den Gewinn legte er auf dem Sparbuch an, damals brachte es noch Zinsen. Die Familie, meine Mutter ausgenommen, wusste nichts von diesem Ereignis. So konnte er sicher sein, dass er das Geld für eine größere Anschaffung verwenden könnte. Jahre später erzählte er uns anlässlich einer kleinen Familienfeier davon. Wir waren überrascht und zugleich beeindruckt. Denn so ein Ereignis so lange für sich zu behalten, dazu gehört schon eine Menge Geduld und eiserner Wille; verbunden mit der Hoffnung, dass es auch mal ein größerer Gewinn sein könnte.

Beim (Ein)topf bleibt es nicht!

Das war das Standardessen für freitags und samstags in meiner Kindheit. Denn in diesen Tagen war der wöchentliche Hausputz angesagt. Wenn die Liste der Aufgaben immer länger war als die Zeit, die Mann oder Frau hatte! Da half er, der Eintopf – ein Topf mit einer Suppe – natürlich hausgemacht. Meine Mutter setzte ihn jede Woche auf den Speiseplan. Die Planung begann schon meist am Donnerstagabend – mit der Entscheidung: Welcher Eintopf soll es diese Woche sein? Linsensuppe – geht nicht, hatten wir schon vor einer Woche! Erbseneintopf – zu dumm, die gelben Trockenerbsen nicht im Haus. Dann muss es halt der Graupeneintopf sein. Am Freitagmorgen, zwischen Hausputz im Wohnzimmer und Esszimmer, fand das Kochen statt. Die Graupen, ebenfalls trocken gekauft, mussten vor dem Kochen erst eingeweicht werden. Nach zwei Stunden Einweichzeit ging es in der Küche weiter. Mit einer Fleischbrühe, Reserve von der letzten Schlachtung, wurde der Topf auf den Kohleherd gestellt. Das Brennholz wurde ständig nachgelegt, damit die Kochplatte die richtige Temperatur hatte, die Küche auch – bei Regen und Kälte draußen war dies ja ganz angenehm. Aber im Sommer – oje! Weitere Zutaten waren Möhren, Kartoffeln und kleine Lauchzwiebeln. Diese mussten geschält und geschnitten werden. Mundgerecht halt. Das war ganz schön zeitaufwendig, besonders wenn man so eingebunden war im Hausputz wie meine Mutter. Wie froh sie sein konnte, wenn Ferien waren und ich im Hause war. Die Hilfe in der Küche und beim Hausputz stand auf dem Stundenplan, den meine Mutter für mich vorsah. Das Einzige, was ich vielleicht noch wählen durfte, war die Arbeit. Eher Kochen oder Wohnzimmer reinigen. Da zog ich meist den Dienst in der Küche vor.

Waren die Zutaten fertig geschnitten, wurden nacheinander Kartoffeln, Graupen, Möhren und Lauchzwiebeln in die Brühe versenkt. Streng nach Kochzeit! Mit einem großen Holzlöffel rührte ich ab und an fleißig um, damit der Eintopf richtig gut wurde. Hatte meine Mutter noch eine Reserve in der Haushaltskasse, gab es Mettwürstchen dazu. Sonst gab es eine Fleischwurst, in Stücke geschnitten, schmeckte auch, wenn auch nicht so würzig. Nach drei Stunden eifrigster Kocharbeit durfte ich zum Mittagessen bitten. Dabei war ich ganz schön gespannt und neugierig. Worauf? Auf das, was die Familie von meiner Kochkunst hielt. Meine Brüder löffelten eifrig die Suppe in sich hinein, ohne großen Kommentar. Mein Vater hatte keinen feinen Gaumen und salzte jedes Mal nach. Ihm war die Suppe stets zu lasch. Meine Schwester war kein Graupeneintopf-Esser und versuchte, sich an solchen Tagen vor dem Essen zu drücken. Als Beigabe zum Eintopf bot meine Mutter dicke Scheiben Brot an, oft sogar frisch gebacken von unserem Bäcker im Dorf. Die Brotscheiben waren immer schnell aufgebraucht. Denn sie machten nicht nur satt, sondern mit ihnen konnte man super die Teller reinigen. Keine Reste mehr zu sehen – kann es ein größeres Lob für den Koch oder die Köchin geben? Ich glaube nicht, oder was meinen Sie?

Friseur im Dorf – Dorffrisur

In meinen Kindheitstagen war ein neuer Haarschnitt wahrer Luxus nicht nur für uns Kinder, sondern auch für meine Mutter. Sie trug immer eine Dauerwelle und sie ließ sich diese in einem vornehmen Friseurgeschäft in Traben-Trarbach, der Kleinstadt in unserer Nähe, legen. Die Frisur meiner Mutter musste dann mindestens für zwei Monate halten. Für uns Kinder gab es dann den preiswerten Haarschnitt in unserem Dorf. Kinderhaare wachsen nicht viel schneller als die Haare von Erwachsenen. Unsere Eltern hatten dazu allerdings eine andere Meinung.

Was für ein Glück war es da, dass in unserer Straße ein älterer Herr, Emil sein Name, sich zwischen Haus und Abstellraum eine kleine Friseurstube eingerichtet hatte. Mit zwei Waschbecken und den passenden Friseurstühlen. Mit einem großen Spiegel gegenüber konnten wir dem Friseur bei der Arbeit zuschauen. Doch viel zu schauen gab es fast nie. Der Haarschnitt war einfach und jedes Mal gleich. Ich war mehr als unglücklich, wenn ich mich nach Emils Arbeit im Spiegel betrachtete.

Mit dieser Frisur war ich öfter dem Gerede meiner Mitschüler ausgesetzt. Sie hatten sich beim Betrachten meines Kopfes auch einen Spitznamen für mich ausgedacht: „Pisspott-Schnitt“! Sie lachten – mir verging das Lachen! Stellen Sie sich dies bloß mal bildlich vor – ein sauberer Pisspott umgestülpt auf meinem Kopf! Die Schere in der Hand von Emil, dem Friseur, der meine Haare, die über dem Pisspott herausragten, abschnitt. Fertig die Dorffrisur! So ging es viele Jahre – auch später, als meine Mutter statt Emil eine andere Friseurin, die zu uns ins Haus kam, mit meinem Haarschnitt beauftragte. Keine Änderung im Vergleich zu meinen Klassenkameradinnen, das zeigen heute noch einige Fotos von den Klassenfahrten.

Mit dem Beginn meiner Ausbildung in einer Weinkellerei und damit auch mit dem ersten selbst verdienten Geld ging ich dann mit Eifer auf die Suche – nach dem Friseur, dem ich nicht zu erklären hatte, wie ich meine Haare geschnitten haben möchte, sondern der mir von selbst empfahl:

„Damit hätten Sie einen für Sie passenden Haarschnitt!“ Aber diese zu finden, war dennoch nicht einfach! Erst im Jahr 1985 gab es die Rettung. Eine neue Mitarbeiterin in der Exportabteilung der Weinkellerei, die in der Nähe von Trier wohnte, betrat eines Morgens unser Büro. Ich staunte und fragte. „Toll, wie Sie aussehen, welcher Friseur in Trier hat dieses Werk vollbracht?“ Und ich staunte noch mehr, als sie mir die Adresse ihres Friseurs nannte. Nicht Trier, nein, ein Nachbardorf von Traben-Trarbach hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Kunden zu beraten. Und das mit Erfolg! So etwas wollte ich für mich auch und ich vereinbarte einen ersten Termin. Ich fuhr hin und war danach mehr als zufrieden. Diese Zufriedenheit hielt eine lange Zeit an – mehr als 30 Jahre, in denen ich zwar von meinem Geburtsort nach Frankfurt umzog, aber dennoch immer zu diesem Friseur fuhr. So eine Treue von drei Jahrzehnten – welcher Friseur kann das von sich behaupten?

Erlebnisse eines Zeitungsausträgers

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