Maigret und sein Neffe

Noch bevor Maigret die Augen aufschlug, runzelte er die Stirn, als misstraute er der Stimme, die er eben in tiefstem Schlaf vernommen hatte:

»Onkel! …«

Mit geschlossenen Lidern seufzte er, betastete die Bettdecke und merkte, dass er nicht geträumt hatte, dass etwas vor sich ging, denn Madame Maigrets warmer Körper lag nicht dort, wo er hätte liegen müssen.

Schließlich öffnete er die Augen. Es war eine klare Nacht. Madame Maigret stand am Fenster mit den kleinen Scheiben und spähte durch den Vorhang, während jemand an der Eingangstür rüttelte, so laut, dass es durch das ganze Haus hallte.

»Onkel! Ich bin’s …«

Madame Maigret blickte immer noch hinaus. Ihre aufgewickelten Haare sahen aus wie ein sonderbarer Heiligenschein.

»Es ist Philippe«, sagte sie. Sie wusste, dass Maigret aufgewacht war und sich fragend zu ihr umsah.

»Stehst du auf?«

 

Die Haustür war mit Eisenriegeln gesichert. Draußen sagte Philippe zu jemandem:

»Es dauert nicht lange. Wir sind noch vor Tagesanbruch in Paris.«

Madame Maigret zog sich offenbar etwas über, denn man hörte sie oben hin und her gehen. Maigret öffnete die Tür, immer noch murrend, weil er sich den Kopf gestoßen hatte.

»Na so was«, murmelte er, als er seinen Neffen auf der Straße stehen sah.

Ein riesiger Mond hing über den kahlen Pappeln und erhellte den Himmel so sehr, dass sich noch die kleinsten Zweige deutlich vor ihm abzeichneten. Die Loire hinter der Biegung glitzerte wie silbrige Pailletten.

Ostwind!, dachte Maigret unwillkürlich, wie es jeder aus der Gegend beim Anblick der sich kräuselnden Wasseroberfläche gedacht hätte.

»Ich habe die Tante hoffentlich nicht geweckt?«

Philippes Gesicht war starr vor Kälte. Hinter ihm, in der vor Raureif weißen Landschaft, erhob sich die gänzlich unpassende Silhouette eines Pariser Taxis.

»Lässt du den Fahrer draußen?«

»Ich muss mit Ihnen sprechen.«

»Kommt beide schnell rein«, sagte Madame Maigret in der Küche, wo sie eine Petroleumlampe anzündete.

Zu ihrem Neffen gewandt, fügte sie hinzu:

»Wir haben noch kein elektrisches Licht. Die Leitung ist zwar gelegt, aber wir sind noch nicht ans Stromnetz angeschlossen.«

An einem Kabel hing tatsächlich bereits eine Glühbirne. Oft sind es solche Details, die einem auffallen, ohne dass man sagen könnte, warum. Und wenn man ohnehin schon nervös ist, stören sie einen umso mehr. In den folgenden Minuten sollte Philippe immer wieder zu der nackten Glühbirne starren, die zu nichts nütze war, außer darauf hinzuweisen, wie altmodisch das ganze Häuschen war und wie anfällig der moderne Komfort.

Maigret, der noch immer nicht ganz wach war, lehnte sich an den Kamin. Angesichts des Taxis auf der Straße war die Frage so unnütz wie die Glühbirne. Aber es gibt Augenblicke, da redet man, nur um etwas zu sagen.

»Ich werden Ihnen alles erzählen, Onkel. Ich bin in einer entsetzlichen Lage. Wenn Sie mir nicht helfen, wenn Sie nicht mit mir nach Paris kommen, dann weiß ich nicht, was aus mir werden soll. Ich bin völlig verzweifelt. Ach, ich habe ja die Tante noch gar nicht begrüßt.«

Wie ein braves Kind hauchte er Madame Maigret, die sich einen Morgenrock über ihr Nachthemd gestreift hatte, drei Küsse auf die Wangen. Dann setzte er sich an den Tisch und vergrub den Kopf in den Händen.

Maigret stopfte seine Pfeife, während seine Frau Reisig im Kamin aufschichtete. Etwas Ungewöhnliches, etwas Bedrohliches lag in der Luft. Seit Maigret pensioniert war, war er es nicht mehr gewohnt, mitten in der Nacht aufzustehen, und unwillkürlich musste er an Nächte denken, die er bei einem Kranken oder Toten verbracht hatte.

»Wie konnte ich nur so dumm sein!«, schluchzte Philippe plötzlich.

Die Erregung brach jäh aus ihm heraus. Er

»Jetzt trinkst du erst einmal etwas.«

Maigret nahm eine Flasche Marc und zwei Gläser aus einem Schrank, in dem Lebensmittel aufbewahrt wurden und der nach kaltem Fleisch roch. Madame Maigret zog ihre Pantinen an, weil sie aus dem Schuppen draußen Holz holen musste.

»Auf dein Wohl! Und vor allem beruhige dich erst einmal.«

Der Geruch des brennenden Reisigs vermischte sich mit dem des Schnapses. Philippe blickte wie benommen seine Tante an, die mit einem Armvoll Holzscheite aus dem Dunkel auftauchte.

Er war kurzsichtig, und aus einem bestimmten Winkel wirkten seine Augen hinter der Brille seltsam groß, was ihm etwas Kindliches gab.

»Es ist heute Nacht passiert. Ich sollte ein Haus observieren, in der Rue Fontaine …«

»Moment«, unterbrach ihn Maigret. Er setzte sich rittlings auf einen Binsenstuhl, während er seine Pfeife anzündete. »Unter wem arbeitest du?«

»Unter Kommissar Amadieu.«

»Erzähl weiter.«

»Hat er immer noch seinen langen Schnurrbart?«

»Ja. Pepito Palestrino, der Wirt des Floria in der Rue Fontaine, sollte verhaftet werden.«

»Welche Nummer?«

»53. Nebenan ist ein Brillengeschäft.«

»Zu meiner Zeit war das der Toréador. Ging es um Kokain?«

»Zuerst ja. Dann auch noch um etwas anderes. Der Chef hatte gehört, dass Pepito in den Barnabé-Fall verwickelt sei. Barnabé ist der Mann, der vor vierzehn Tagen an der Place Blanche erschossen worden ist. Das haben Sie sicherlich in der Zeitung gelesen.«

»Mach uns Kaffee«, sagte Maigret zu seiner Frau.

Behaglich seufzend wie ein Hund, der sich endlich hinlegt, nachdem er sich mehrmals im Kreis gedreht hat, stützte er die Arme auf die Rückenlehne seines Stuhls und legte das Kinn auf die

»Sie wissen ja, wir dürfen nicht mehr so, wie wir wollen. Zu Ihrer Zeit hätte man Pepito einfach mitten in der Nacht verhaftet. Jetzt müssen wir streng das Gesetz befolgen. Darum hat der Chef die Verhaftung auf acht Uhr morgens angesetzt. Inzwischen sollte ich den Vogel be- wachen …«

Er verlor sich in der tiefen Stille des Raums, doch dann zuckte er zusammen, ihm wurde wieder seine Tragödie bewusst, und er blickte verstört um sich.

Maigret wehte aus den wenigen Sätzen ein Hauch von Paris entgegen. Er stellte sich das Leuchtschild des Floria vor, den Türsteher, der nach Autos Ausschau hielt, und seinen Neffen, der am Abend in der Nähe seinen Posten bezog.

»Zieh deinen Mantel aus«, schaltete sich Madame Maigret ein. »Du erkältest dich sonst, wenn du hinausgehst.«

Er war im Smoking. Ein sonderbarer Anblick in der niedrigen Küche mit der Balkendecke und dem roten Fliesenboden.

»Trink noch etwas …«

»Ach, Onkel, Sie ahnen ja nicht …«

Er hätte am liebsten geweint, aber er konnte nicht. Wieder fiel sein Blick auf die Glühbirne. Er stampfte mit dem Fuß auf.

»Ich werde ganz bestimmt verhaftet!«

Madame Maigret, die kochendes Wasser auf den Kaffee goss, drehte sich um, den Topf in der Hand.

»Was redest du da?«

Maigret, der immer noch seine Pfeife rauchte, lockerte den rot bestickten Kragen seines Nachthemds.

»Du hast also vor dem Floria gestanden …«

»Nein. Ich bin hineingegangen«, sagte Philippe, ohne sich wieder zu setzen. »Im hinteren Teil des Lokals befindet sich ein kleines Büro, wo Pepito ein Feldbett stehen hat. Dort schläft er meistens, nachdem alle Gäste gegangen sind und er abgeschlossen hat.«

Auf der Straße rumpelte ein Karren vorüber. Die Wanduhr war stehen geblieben. Maigret sah auf seine Armbanduhr, die an einem Nagel über dem Kamin hing: Es war halb fünf. In den Ställen begann man die Kühe und Ziegen zu melken, und Wagen wurden angespannt, die zum Markt in

»Ich wollte es besonders gut machen«, gestand Philippe. »In der letzten Woche hat mich der Chef angebrüllt und gesagt …«

Er wurde dunkelrot, verstummte und blickte krampfhaft zur Seite.

»Was hat er gesagt?«

»Ich weiß es nicht mehr.«

»Aber ich weiß es. Ich kenne doch Amadieu. Er hat so etwas gesagt wie: ›Sie sind eine Witzfigur, Monsieur, eine Witzfigur, wie Ihr Onkel!‹«

Philippe sagte weder Ja noch Nein.

»Kurzum«, fuhr er hastig fort, »als um halb zwei die letzten Gäste gingen, habe ich mich auf der Toilette versteckt. Ich dachte mir, wenn Pepito von der Sache Wind bekommen hat, versucht er vielleicht, das Zeug verschwinden zu lassen. Und wissen Sie, was dann passiert ist?«

Maigrets Miene war ernster geworden. Er schüttelte langsam den Kopf.

»Pepito war allein. Da bin ich mir sicher. Aber plötzlich fiel ein Schuss. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich begriff. Und noch ein paar, bis ich im Saal war. Er wirkte bei Nacht viel größer. Eine einzige Lampe brannte. Pepito lag zwischen zwei Tischreihen. Er hatte im Fallen mehrere Stühle umgerissen. Er war tot …«

»Ist das alles?«

Philippe ging in der Küche auf und ab. Für gewöhnlich tat er sich mit dem Reden schwer, doch jetzt überschlugen sich seine Worte fast. Seine Stimme war heiser.

»Nein, das ist noch nicht alles. Dann habe ich die Dummheit begangen. Ich habe es mit der Angst zu tun bekommen. Ich konnte nicht mehr klar denken. Der leere Saal war so unheimlich, nichts als graue Schatten. Luftschlangen lagen überall herum. Pepito am Boden, seltsam verrenkt, die Hand an der Wunde. Es war, als würde er mich ansehen. Was soll ich sagen? Ich habe meinen Revolver gezogen und laut gerufen, irgendetwas, und der Klang meiner Stimme hat mir nur noch mehr Angst gemacht. Überall gab es dunkle Winkel und Vorhänge. Ich hatte das Gefühl, sie bewegen sich. Ich habe meinen ganzen Mut zusammengenommen und habe nachgesehen. Ich habe mit Schwung eine Tür geöffnet und einen Samtvorhang heruntergerissen. Dabei fand ich die elektrische Schalttafel. Ich wollte Licht machen und habe wahllos irgendwelche Schalter gedrückt. Aber das hat alles nur noch schlimmer gemacht. Ein roter

›Wer ist da?‹, habe ich noch einmal laut gerufen.«

Er biss sich auf die Lippe. Seine Tante blickte ihn an. Sie war ebenso verstört wie er. Philippe war der Sohn ihrer Schwester. Er war im Elsass geboren, und es war Maigret gewesen, der ihn am Quai des Orfèvres untergebracht hatte.

»Mir wäre lieber, er würde irgendwo in der Verwaltung arbeiten«, hatte seine Mutter gesagt.

Jetzt sagte Philippe mit keuchender Stimme:

»Bitte seien Sie mir nicht böse, Onkel. Ich weiß selber nicht, wie es passiert ist. Ich kann mich nur dunkel erinnern. Jedenfalls habe ich geschossen, weil ich glaubte, es hätte sich etwas bewegt. Plötzlich bin ich vorwärts gestürzt und dann stehen geblieben. Ich meinte, Schritte und Flüstern zu hören. Aber wo ich auch nachsah, nichts als Leere. Ich hatte ja keine Ahnung, wie groß der Saal ist und wie verwinkelt. Schließlich war ich im Büro. Auf dem Schreibtisch lag ein Revolver. Ganz mechanisch habe ich danach gegriffen. Der Lauf war noch warm. Ich habe das Magazin herausgezogen und gesehen, dass eine Patrone fehlte …«

»Dummkopf!«, stieß Maigret zwischen den Zähnen hervor.

Der Kaffee dampfte in den Schalen. Madame

»Ich habe völlig den Kopf verloren. Wieder glaubte ich, ein Geräusch hinter der Tür zu hören. Ich wollte weglaufen. Erst da habe ich gemerkt, dass ich in jeder Hand einen Revolver hatte.«

»Was hast du mit dem Revolver gemacht?«, fragte Maigret mit strenger Stimme.

Philippe senkte die Augen.

»Tausend Gedanken sind mir durch den Kopf geschossen. Wenn man Pepito so fand, würde man doch glauben … Ich meine, schließlich war ich allein mit ihm …«

»Mein Gott!«, stöhnte Madame Maigret.

»Es hat nur ein paar Sekunden gedauert. Ich habe den Revolver neben die Hand des Toten gelegt, damit es nach Selbstmord aussieht, und dann …«

Maigret stand auf. Er stellte sich vor den Kamin, die Hände auf dem Rücken, seine Lieblingspose. Er war unrasiert, und seit der Zeit, da er in dieser Pose vor dem Ofen in seinem Büro am Quai des Orfèvres gestanden hatte, war er etwas fülliger geworden.

»Und beim Hinausgehen bist du jemandem begegnet, habe ich recht?«

Es stand für ihn außer Frage.

»Gerade als ich die Tür hinter mir schließen

Madame Maigret stellte die Zuckerdose auf den Tisch aus Buchenholz und fragte ihren Mann mit ruhiger Stimme:

»Welchen Anzug ziehst du an?«

In der nächsten halben Stunde ging es hektisch zu.

Man hörte Maigret, der sich in seinem Zimmer rasierte und ankleidete. Während Madame Maigret Eier briet, fragte sie Philippe:

»Hast du was von deiner Mutter gehört?«

»Es geht ihr gut. Sie will Ostern nach Paris kommen.«

Man rief den Fahrer herein, der seinen schweren braunen Mantel durchaus nicht ausziehen wollte. Wassertropfen hingen an seinem Schnurrbart. Er setzte sich in eine Ecke und rührte sich nicht.

»Wo sind meine Hosenträger?«, rief Maigret.

»Im obersten Fach der Kommode.«

Bald darauf sah man Maigret in seinem Mantel mit Samtkragen, die Melone bereits auf dem Kopf,

Es war halb sechs, als sich die Tür öffnete und die drei Männer sich zum Taxi begaben. Es dauerte lange, bis der Motor ansprang. Madame Maigret stand, vor Kälte mit den Zähnen klappernd, in der Tür. Die Petroleumlampe ließ rötliche Lichtreflexe in den kleinen Scheiben des Fensters tanzen.

Man hätte glauben können, der Tag sei bereits angebrochen, so hell war es. Aber es war Februar. Die Nacht selbst leuchtete so silbrig. Jeder Grashalm trug seine Reifkristalle. Die Apfelbäume im Nachbargarten waren vollständig von Eis überzogen und sahen aus wie aus Glas.

»In zwei oder drei Tagen bin ich wieder da!«, rief Maigret.

Und Philippe sagte verlegen:

»Auf Wiedersehen, Tante!«

Der Fahrer schloss die Wagentür und ließ in den ersten Minuten die Gänge knirschen.

»Ich bitte Sie um Verzeihung, Onkel …«

»Wofür?«

Wofür? Philippe wagte nicht, es zu sagen. Er bat um Verzeihung, weil er spürte, dass diese Abfahrt etwas Schicksalhaftes hatte. Er sah seinen Onkel vor sich, wie er eben noch vor dem Kamin

Aber jetzt brachte er es kaum übers Herz, ihn anzusehen. Es war Maigret, der da neben ihm saß, den Samtkragen hochgeschlagen, den Hut tief in die Stirn gezogen und seine Pfeife rauchend, gewiss, aber es war ein ganz und gar nicht begeisterter Maigret. Ja, nicht einmal ein besonders entschlossener Maigret. Zweimal hatte er sich nach seinem kleinen Haus umgedreht, das dann aus dem Blickfeld verschwand.

»Um acht Uhr kommt Amadieu in die Rue Fontaine?«

»Ja, um acht.«

Sie hatten Zeit. Das Taxi fuhr ziemlich schnell. Sie kamen durch Orléans, wo sich die ersten Straßenbahnen in Bewegung setzten. Eine knappe Stunde später erreichten sie den Marktplatz von Arpajon.

»Was denken Sie, Onkel?«

Hinten im Wagen zog es. Der Himmel war klar und begann sich jetzt im Osten goldrot zu färben.

»Wer könnte Pepito umgebracht haben?«, fragte Philippe seufzend, erhielt aber keine Antwort.

Am Ortsausgang von Arpajon hielten sie, um sich in einem Bistro aufzuwärmen. Im nächsten Moment ging über den Feldern eine blasse Sonne auf.

»Sei still!«, sagte Maigret müde.

Wieder im Wagen kauerte sich Philippe mit der Miene eines Jungen, den man bei einem Streich ertappt hat, in seine Ecke und wagte nicht mehr, den Blick von der Wagentür abzuwenden.

Als sie in Paris einfuhren, erwachte dort gerade das morgendliche Leben. Der Löwe von Belfort, der Boulevard Raspail, Pont-Neuf …

Es war, als hätte jemand die Stadt mit klarem Wasser gewaschen, so blitzten und leuchteten die Farben. Eine Reihe von Lastkähnen fuhr langsam die Seine hinauf. Der Schlepper pfiff, um seine Flotille anzukündigen, und stieß dabei schneeweiße Rauchwolken aus.

»Wie viele Leute waren in der Rue Fontaine, als du herausgekommen bist?«

»Ich habe nur den gesehen, mit dem ich zusammengestoßen bin.«

Maigret seufzte und klopfte seine Pfeife am Schuhabsatz aus.

»Wohin wollen Sie?«, fragte der Fahrer, der die Trennscheibe zur Seite geschoben hatte.

Sie hielten einen Augenblick am Quai, um Maigrets Koffer in einem Hotel abzugeben, dann setzten sie sich wieder ins Taxi und ließen sich zur Rue Fontaine fahren.

»Das, was sich im Floria ereignet hat,

»Was glauben Sie?«

»Ich glaube nichts!«

Das war einer von Maigrets Lieblingssprüchen gewesen, der genau in dem Augenblick wieder aus der Vergangenheit auftauchte, als er sich umdrehte, um die ihm einst so vertraute Silhouette des Palais de Justice zu betrachten.

»Einen Moment habe ich daran gedacht, zum Direktor zu gehen und ihm alles zu erzählen«, murmelte Philippe.

Maigret antwortete nicht. Noch als sie die Rue Fontaine erreichten, stand ihm das Bild der Seine vor Augen, die in feinem blau-goldenen Dunst dahinfloss.

Sie hielten hundert Meter entfernt von Haus Nummer 53. Philippe schlug seinen Mantelkragen hoch, um seinen Smoking zu verdecken. Die Passanten drehten sich trotzdem nach ihm um – wegen seiner Lackschuhe.

Es war zehn vor sieben. Beim Bistro an der Ecke, dem Tabac Fontaine, das die ganze Nacht aufhatte, wurden die Fenster geputzt. Leute, die zur Arbeit gingen, tranken dort in aller Eile einen Milchkaffee und aßen ein Croissant dazu. Ein schwarzhaariger Kellner bediente, ein junger Mann aus der Auvergne, denn der Wirt ging nie

Maigret kaufte ein Päckchen Tabak und bestellte ein Sandwich, während Philippe immer unruhiger wurde.

»Was war denn heute Nacht hier los?«, fragte der ehemalige Kommissar, den Mund voller Brot und Schinken.

Der Kellner steckte das Geld ein und antwortete ungerührt:

»Der Wirt vom Floria soll ermordet worden sein.«

»Palestrino?«

»Ich weiß es nicht. Ich arbeite nur am Tag hier. Und da kümmert man sich nicht um die Nachtlokale.«

Sie gingen hinaus. Philippe wagte nichts zu sagen.

»Da, siehst du?«, brummte Maigret.

Als sie auf dem Gehweg standen, fügte er hinzu: