Vom Verachtet werden oder Drei Guineen

Über Virginia Woolf

Virginia Woolf (18821941) gilt als Englands bedeutendste Autorin der Moderne. Ihre Romane werden in einem Atemzug mit denen von Joyce und Proust genannt, zudem verfasste sie etliche Essays und hinterließ umfangreiche Tagebücher. Obgleich Tochter wohlhabender Intellektueller – Thomas Hardy und Henry James gingen in ihrem Elternhaus ein und aus –, hat sie nie eine Schule, geschweige denn eine Universität besucht. 1917 gründete sie gemeinsam mit ihrem Mann Leonard den Verlag The Hogarth Press, in dem neben Vom Verachtetwerden auch ihr zweiter bedeutender feministischer Essay Ein Zimmer für sich allein erschien. Zeitlebens litt Virginia Woolf unter schweren Depressionen. Am 28. März 1941 fand ihr Mann einen Brief auf dem Kaminsims, der mit den Zeilen begann: »Liebster, ich fühle deutlich, dass ich wieder verrückt werde …« Virginia Woolfs Leiche wurde in einem nahe gelegenen Fluss entdeckt.

Endnoten

Virginia Woolf erhielt 1936 tatsächlich einen Brief, in dem Pernel Strachey, die Prinzipalin des Newnham College, Cambridge, sie bat, einem Patronatskomitee für Erweiterungsbauten des Colleges beizutreten. Außerdem erhielt sie einen ähnlichen Brief von Philippa Strachey, der Vorsitzenden der »National Society for Women’s Service«.

William Makepeace Thackeray: Die Geschichte von Pendennis. Übertragen von Heinrich Conrad, München und Leipzig: Georg Müller 1911, Bd. 2, S. 143f.

Im Griechischen besteht die Aussage aus fünf Wörtern. Hier in der Übertragung von Wolfgang Schadewaldt.

William Wordsworth: The Sparrow’s Nest. Übertragen von Brigitte Walitzek in: Ein eigenes Zimmer, Drei Guineen. Zwei Essays. Hrsg. Klaus Reichert, Frankfurt a. M.: S. Fischer Verlag 2001, S. 251.

Übertragen von Manfred Pfister, in: Englische und Amerikanische Dichtung, Zweiter Band, »Von Dryden bis Tennyson«. Hrsg. W.v. Koppenfels und M. Pfister, München: C.H.Beck 2000, S. 421, 423.

Drei Jahre sind eine lange Zeit, einen Brief unbeantwortet zu lassen, und Ihr Brief ist sogar noch länger ohne Antwort geblieben. Ich hatte gehofft, er würde sich von selbst beantworten oder andere würden es an meiner Stelle tun. Aber da liegt er mit seiner noch immer unbeantworteten Frage vor mir: Wie lässt sich Ihrer Meinung nach ein Krieg verhindern?

Es ist wahr; viele Antworten haben sich aufgedrängt, aber keine ist darunter, die nicht einer Erklärung bedürfte, und Erklärungen brauchen Zeit. Und selbst dann gibt es Gründe, warum es so besonders schwierig ist, Missverständnisse zu vermeiden. Eine ganze Seite ließe sich mit Ausreden und Entschuldigungen füllen; mit Bekundungen der Untauglichkeit, der Inkompetenz, eines Mangels an Wissen und Erfahrung; und sie wären wahr. Und nachdem sie ausgesprochen worden wären, würden immer noch einige so fundamentale Schwierigkeiten bleiben, dass sich ein Verstehen Ihrerseits oder eine Erklärung unsererseits als unmöglich erweisen könnte. Aber einen so bemerkenswerten Brief wie den Ihren – einen Brief, der in der Geschichte der menschlichen Korrespondenz vielleicht einzigartig ist, denn wann hat ein gebildeter Mann je zuvor eine Frau gefragt, wie ihrer Meinung nach ein Krieg verhindert werden kann? – lässt

Entwerfen wir zunächst das, was alle Briefschreiber instinktiv entwerfen, eine Skizze der Person, an die sich der Brief richtet. Ohne eine warme und atmende Person am anderen Ende der Seite sind Briefe wertlos. Sie also, der diese Frage stellt, sind ein bisschen grau an den Schläfen, das Haar auf dem Kopf ist weniger dicht. Sie haben die mittleren Lebensjahre nicht ohne Anstrengung erreicht, in der Anwaltschaft; aber im Großen und Ganzen war Ihr Weg erfolgreich. Nichts Vertrocknetes, Gehässiges oder Unzufriedenes liegt in Ihrem Gesichtsausdruck. Und ohne Ihnen schmeicheln zu wollen, Ihr Erfolg – Ehefrau, Kinder, Haus – ist verdient. Sie sind nie in die zufriedene Apathie der mittleren Jahre versunken, denn, wie mir Ihr Brief aus einem Büro im Herzen von London zeigt, anstatt den Kopf ins Kissen zu stecken, die Kühe zu stoßen, die Kirschen zu stutzen – schreiben Sie Briefe, besuchen Versammlungen, führen den Vorsitz über dies und das und stellen mit Geschützdonner in den Ohren Fragen. Ansonsten haben Sie Ihre Ausbildung an einer der besten Privatschulen begonnen und an der Universität abgeschlossen.

Hier taucht nun die erste Schwierigkeit in der Verständigung zwischen uns auf. Zeigen wir rasch, warum. Wir entstammen beide dem, was man in dieser hybriden Zeit, in der trotz unterschiedlicher Herkunft Klassen fest verankert bleiben, der Einfachheit halber die gebildete Klasse nennt. Wenn wir uns in Fleisch und Blut

Die Tatsache, dass Arthurs Bildungsfonds die Landschaft verändert – die Hallen, die Sportplätze, die heiligen Bauwerke –, ist von großer Bedeutung; aber dieser Aspekt muss zukünftigen Diskussionen vorbehalten bleiben. Angesichts der wichtigen Frage, die es hier zu betrachten gilt – wie sollen wir Ihnen helfen, einen Krieg zu verhindern –, geht es uns nur um die in diesem Zusammenhang offensichtliche Tatsache, dass Bildung etwas bewirkt. Eine gewisse Kenntnis der Politik, der internationalen Beziehungen, der Wirtschaft ist offensichtlich nötig, um die Ursachen zu verstehen, die zu

Wie sollen wir dann aber Ihr Problem verstehen, und wie sollen wir, wenn wir das nicht können, Ihre Frage, wie sich ein Krieg verhindern lässt, beantworten? Die Antwort, die uns unsere Erfahrung und unsere Psychologie eingeben – Warum kämpfen? –, ist keine Antwort von Wert. Offensichtlich verbindet sich für Sie ein gewisser Ruhm, eine gewisse Notwendigkeit, eine gewisse Befriedigung mit dem Kämpfen, die wir nie gespürt oder genossen haben. Vollkommenes Verstehen könnte nur durch Blutübertragung und Gedächtnisübertragung erreicht werden – ein Wunder, das noch außerhalb wissenschaftlicher Reichweite liegt. Aber wir, die wir jetzt leben, haben einen Ersatz für Blutübertragung und Gedächtnisübertragung, der im Notfall genügen muss. Es gibt dieses wunderbare, fortwährend erneuerte und bislang weitgehend ungenutzte Hilfsmittel zum Verstehen menschlicher Motive, das in unserer Zeit in Form von Biografien und Autobiografien zur Verfügung steht. Auch gibt es die Tageszeitung, Geschichte in Rohform. Folglich also gibt es keinen Grund mehr, auf die winzige Spanne tatsächlicher Erfahrung beschränkt

Zunächst Folgendes aus dem Leben eines Soldaten:

Ich hatte das denkbar glücklichste Leben und war immer für den Krieg tätig und bin in meinen besten Jahren jetzt in den größten geraten … Gott sei Dank, in einer Stunde geht es los. Was für ein prachtvolles Regiment! Was für Männer, was für Pferde! In zehn Tagen, hoffe ich, werden Francis und ich Seite an Seite geradewegs gegen die Deutschen reiten.

Der Biograf ergänzt:

Von der ersten Stunde an war er in höchstem Maße glücklich, denn er hatte seine wahre Berufung gefunden.

Fügen wir nun Folgendes aus dem Leben eines Fliegers hinzu:

Wir sprachen über den Völkerbund und die Aussichten für Frieden und Abrüstung. Diesem Thema gegenüber war er weniger militaristisch als vielmehr soldatisch

Hier finden sich schlagartig drei Gründe, die Ihr Geschlecht zum Kämpfen veranlassen; Krieg ist ein Beruf; eine Quelle des Glücks und der Begeisterung und außerdem ein Ventil männlicher Eigenschaften, ohne die der Mann verkommen würde. Dass diese Gefühle und Ansichten keineswegs durchweg von Ihrem Geschlecht geteilt werden, beweist der folgende Auszug aus einer anderen Biografie über das Leben eines Dichters, der im Europäischen Krieg getötet wurde: Wilfred Owen.

Schon habe ich ein Licht erkannt, das nie ins Dogma irgendeiner Staatskirche eindringen wird: nämlich, dass eines der wesentlichen Gebote Christi lautete: Passivität um jeden Preis! Erdulde Ehrlosigkeit und Schande, aber greife niemals zu den Waffen. Lass dich schikanieren, lass dich misshandeln, lass dich töten; aber töte nicht … Du siehst also, dass reines Christentum und reiner Patriotismus unvereinbar sind.

Und unter einigen Notizen zu Gedichten, die er nicht mehr schreiben konnte, finden sich diese:

Diese Zitate offenbaren, dass ein und dasselbe Geschlecht über dieselbe Sache ganz unterschiedlicher Meinung sein kann. Und aus der Zeitung von heute wird auch offenbar, dass die große Mehrheit Ihres Geschlechts einen Krieg befürwortet, mag es noch so viele Andersdenkende geben. Sowohl die Konferenz der gebildeten Männer in Scarborough als auch die Konferenz der männlichen Arbeiter in Bournemouth sind sich darin einig, dass es notwendig ist, 300000000 Pfund im Jahr für Waffen auszugeben. Sie sind der Meinung, dass Wilfred Owen unrecht hatte; dass es besser ist, zu töten, als getötet zu werden. Da es aber den Biografien zufolge viele unterschiedliche Meinungen gibt, liegt es auf der Hand, dass es irgendeinen ausschlaggebenden Grund für diese überwältigende Einhelligkeit geben muss. Sollen wir ihn, der Kürze halber, »Patriotismus« nennen? Was aber, sollten wir als Nächstes fragen, ist dieser »Patriotismus«, der Sie dazu bringt, in den Krieg zu ziehen? Überlassen wir die Interpretation dem Lordoberrichter von England:

Engländer sind stolz auf England. Für die, die an englischen Schulen und Universitäten ausgebildet wurden und in England ihr Lebenswerk verrichtet haben, ist kaum eine Liebe stärker als die Liebe zu unserem Land. Wenn wir uns andere Nationen anschauen,

Das ist eine rechtschaffene allgemeine Aussage darüber, was Patriotismus für einen gebildeten Mann bedeutet und welche Pflichten er ihm auferlegt. Aber was die Schwester des gebildeten Mannes angeht – was bedeutet Patriotismus für sie? Hat sie dieselben Gründe, stolz auf England zu sein, England zu lieben, England zu verteidigen? Ist sie in England »reich gesegnet« worden? Befragt man Geschichte und Biografie, scheinen sie zu zeigen, dass ihre Stellung im Heim der Freiheit sich von der ihres Bruders unterschied; und die Psychologie scheint darauf hinzuweisen, dass Geschichte nicht ohne Wirkung auf Körper und Geist bleibt. Deshalb könnte sich ihre Interpretation des Wortes »Patriotismus« von der seinen durchaus unterscheiden. Und dieser Unterschied könnte es ihr extrem schwer machen, seine Definition von Patriotismus und die ihm damit auferlegten Pflichten zu verstehen. Wenn also unsere Antwort auf Ihre Frage: »Wie lässt sich Ihrer Meinung nach ein Krieg

Aber außer diesen Bildern vom Leben und Denken anderer Menschen – diesen Biografien und Geschichten – gibt es noch andere Bilder – Bilder von Tatsachen, Fotografien. Fotografien sind natürlich keine Argumente, die sich an die Vernunft richten; sie sind schlicht Feststellungen von Tatsachen, die sich ans Auge richten. Aber genau diese Schlichtheit könnte helfen. Sehen wir also, ob wir, wenn wir dieselben Fotografien anschauen, dasselbe empfinden. Hier vor uns auf dem Tisch liegen Fotos. Die spanische Regierung schickt sie mit geduldiger Hartnäckigkeit etwa zweimal die Woche. Diese Fotos sind nicht angenehm anzuschauen. Es sind größtenteils Fotos von Leichen. Die Sammlung dieses Morgens enthält die Fotografie von etwas, das der Körper eines

Diese Fotografien sind kein Argument, sie sind schlicht eine nackte Feststellung von Tatsachen, die sich ans Auge richten. Das Auge aber ist mit dem Gehirn verbunden; das Gehirn mit dem Nervensystem. Dieses System schickt seine Botschaften blitzartig durch jede vergangene Erinnerung und jedes gegenwärtige Gefühl. Wenn wir uns diese Fotografien anschauen, stellt sich eine Verbindung zwischen uns her; so unterschiedlich die Bildung und die Traditionen, die hinter uns liegen, auch sein mögen, sind unsere Gefühle doch die gleichen, und sie sind heftig. Sie, Sir, nennen sie »Entsetzen und Abscheu«. Wir nennen sie ebenfalls Entsetzen und Abscheu. Und dieselben Wörter kommen uns über die Lippen. Krieg, sagen Sie, ist ein Gräuel; eine Barbarei; Krieg muss um jeden Preis verhindert werden. Und wir schließen uns Ihren Worten an. Krieg ist ein Gräuel; eine Barbarei, Krieg muss verhindert werden. Denn nun sehen wir endlich dasselbe Bild, wir sehen mit Ihnen dieselben Leichen, dieselben zerstörten Häuser.

Geben wir also für einen Augenblick das Bemühen auf, Ihre Frage zu beantworten, wie wir Ihnen helfen können, einen Krieg zu verhindern, indem wir die

Die Erwiderung darauf ist so vertraut, dass wir sie leicht vorwegnehmen können. Die Töchter gebildeter Männer haben keinen direkten Einfluss, das ist richtig, aber sie besitzen doch die größtmögliche Macht, nämlich die, ihren Einfluss auf gebildete Männer geltend machen zu können. Wenn das so ist, wenn also der Einfluss immer noch die stärkste unserer Waffen ist und die einzige, die Ihnen wirksam dabei helfen könnte, einen Krieg zu

Welchen Einfluss hatten wir also in der Vergangenheit auf den Beruf, der am engsten mit Krieg in Verbindung steht – auf die Politik? Wieder gibt es die unzähligen, die unschätzbaren Biografien, doch es würde einem Alchimisten Kopfzerbrechen bereiten, aus der Masse an Lebensläufen von Politikern den einen Strang zu extrahieren, der den Einfluss von Frauen auf sie verdeutlicht. Unsere Analyse kann nur unzureichend und oberflächlich sein; aber wenn wir unsere Recherche auf einen beherrschbaren Rahmen begrenzen und die Memoiren aus anderthalb Jahrhunderten überfliegen, können wir kaum leugnen, dass es Frauen gab, die die Politik beeinflussten. Die berühmte Herzogin von Devonshire, Lady Palmerstone, Lady Melbourne, Madame de Lieven, Lady Holland, Lady Ashburton – um von einem berühmten Namen zum nächsten zu springen – besaßen zweifellos großen politischen Einfluss. Ihre berühmten Häuser und die Gesellschaften, die dort stattfanden, spielen in den politischen Aufzeichnungen jener Zeit eine so große Rolle, dass wir kaum leugnen können, die englische Politik, vielleicht sogar die englischen Kriege wären anders verlaufen, hätte es diese Häuser und

Aber vielleicht, werden Sie zu bedenken geben, besaßen die Töchter gebildeter Männer eine andere Art von Einfluss – einen Einfluss, der von Vermögen und Stellung, von Weinen, Speisen, Kleidung und all den anderen Annehmlichkeiten unabhängig war, die die großen Häuser der großen Ladys so verführerisch machen. Hier haben wir tatsächlich festeren Boden unter den Füßen, denn natürlich gab es ein politisches Anliegen, das den Töchtern gebildeter Männer in den vergangenen 150 Jahren sehr am Herzen lag: das Wahlrecht. Aber wenn wir uns anschauen, wie viel Zeit es sie kostete, dieses Anliegen durchzusetzen, und wie viel Mühe, können wir daraus

Einfluss, stellt man ihn auf den Prüfstand, scheint also nur dann seine Wirkung zu entfalten, wenn er sich mit Stellung, Vermögen und großen Häusern verbindet. Die Töchter von Adligen sind einflussreich, nicht die Töchter gebildeter Männer. Und ihr Einfluss ist dergestalt, wie ihn ein bedeutendes Mitglied Ihres eigenen Berufsstandes beschrieben hat, der verstorbene Sir Ernest Wild.

Er behauptete, der große Einfluss, den Frauen auf Männer ausübten, sei immer ein indirekter Einfluss gewesen, und so solle es bleiben. Der Mann glaube gern, seine Arbeit selbst zu tun, obwohl er eigentlich nur das tue, was die Frau wolle, aber die kluge Frau lasse ihn immer in dem Glauben, er habe die Sache in der

Und so weiter.

Wenn das die wahre Natur unseres Einflusses ist, und wir alle erkennen die Beschreibung und haben die Wirkung gesehen, liegt er entweder außerhalb unserer Reichweite, denn viele von uns sind unscheinbar, arm und alt; oder unter unserer Würde, denn viele von uns würden sich lieber gleich Prostituierte nennen und offen ihren Posten unter den Lampen von Piccadilly Circus beziehen, als diesen Einfluss auszuüben. Wenn das die wahre Natur, die indirekte Natur dieser gefeierten Waffe ist, müssen wir ohne sie auskommen, unseren zwergenhaften Antrieb Ihren substanzielleren Kräften hinzufügen und auf das zurückgreifen, was Sie vorschlagen; Briefe unterzeichnen, Gesellschaften beitreten und gelegentlich einen dürftigen Scheck ausstellen. Das wäre das unvermeidliche, wenn auch deprimierende Ergebnis unserer Erforschung des Wesens unseres Einflusses, gäbe es nicht das Wahlrecht, als solches schon keineswegs unbedeutend, das aus irgendeinem, nie zufriedenstellend

Das, Sir, war das Recht, das uns vor weniger als zwanzig Jahren, im Jahre 1919, durch ein Gesetz zuerkannt wurde, das uns die akademischen Berufe eröffnete. Die Tür des Privathauses wurde aufgestoßen. In jeder Geldbörse gab es ein glänzendes neues Sixpencestück, oder konnte es geben, in dessen Licht jeder Gedanke, jeder Anblick, jede Handlung anders aussah. Zwanzig Jahre sind, zeitlich betrachtet, nicht sehr viel, auch ist ein Sixpencestück keine besonders wertvolle Münze; und wir können auch noch nicht auf Biografien zurückgreifen, um uns ein Bild vom Leben und Denken der Besitzerinnen der neuen Sixpencestücke zu machen. In der Fantasie können wir aber vielleicht erkennen, wie die Tochter des gebildeten Mannes aus dem Schatten des Privathauses tritt und auf der Brücke zwischen alter Welt und neuer steht und sich, während sie die heilige Münze in der Hand herumwirbelt, fragt: »Was soll ich damit machen? Was sehe ich damit?« In diesem Licht, so könnten wir vermuten, wirkte alles anders – Frauen und Männer, Autos und Kirchen. Sogar der Mond, so vernarbt er von vergessenen Kratern in Wirklichkeit auch ist, kam ihr wie ein weißes Sixpencestück vor, ein

Das Wort »Einfluss« hat sich also verändert. Die Tochter des gebildeten Mannes verfügt nun über einen Einfluss, der sich von jedem Einfluss, den sie vorher besaß, unterscheidet. Es ist nicht der Einfluss, den die große Dame, die Sirene, besitzt, noch ist es der Einfluss, den die Tochter des gebildeten Mannes besaß, als sie kein Wahlrecht hatte, und es ist auch nicht der Einfluss, den sie besaß, als sie zwar das Wahlrecht hatte, aber nicht das Recht, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Der Einfluss ist ein anderer, weil aus ihm das Element des Charmes entfernt wurde; weil aus ihm das Element des Geldes entfernt wurde. Sie muss nicht länger ihren Charme einsetzen, um sich Geld von ihrem Vater oder ihrem Bruder zu besorgen. Da ihre Familie nicht länger die Macht hat, sie finanziell zu bestrafen, kann sie ihre eigene Meinung äußern. Anstelle von Sympathien und Antipathien, die oft unbewusst von der Geldnot diktiert wurden, kann sie ihre aufrichtigen Vorlieben und Abneigungen kundtun. Kurz, sie muss sich nicht länger fügen, sie kann kritisieren. Endlich besitzt sie einen Einfluss, der frei von Interessen ist.