Die Prostituierte dagegen hat nicht die Rechte einer Person: in ihr finden sich alle Formen der Unterdrückung und der Sklaverei vereint.
Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht
I respect orders but I respect myself too and I do not obey foolish rules made especially to humiliate me.
Jean-Paul Sartre
Das Buch ist allen Überlebenden von Gewalt und Ausbeutung gewidmet und der Mutter, die ihre 11-jährige Tochter für 1.000 Dollar verkaufte.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2021 Martyra Peng
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783753489681
Martyra Peng ist Sozialwissenschaftlerin und hat in den USA und Deutschland studiert. Sie war Sexarbeiterin und Projektmanagerin in der IT-Branche. Sie ist seit knapp 20 Jahren politische Aktivistin für die Rechte von Sexarbeiter:innen und war zuletzt internationale Sprecherin des BesD e. V. (Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen) und Mitglied im Führungskomitee von TAMPEP, einer transnationalen NGO (Nichtregierungsorganisation) für die Rechte von Migrant:innen in der europäischen Sexarbeit. Heute ist sie außerdem Autorin.
Ich gehöre zu den sogenannten Abgehängten, zu den exotischen Außenseitern der Gesellschaft. Und zu den wenigen Szenekenner:innen der Sexbranche. Ich war 10 Jahre Fullservice-Sexarbeiterin in Deutschland und Europa, nachdem ich meine wissenschaftliche Karriere beenden musste. Seit 10 Jahren arbeite ich in der IT-Industrie bei einem der größten Werbeportale für Sexarbeit im deutschsprachigen Raum.
Ich bin eine der unsichtbaren fleißigen Bienen hinter den Kulissen sozialer Netzwerke, wo ich auch forsche, recherchiere und regelmäßig Umfragen und Interviews in einer großen Sexarbeiter:innen- und Kunden-Community mit mehr als 2,7 Millionen Mitgliedern durchführe.
Ich habe in die Abgründe der Sexarbeit geschaut, wurde mit Kundengewalt und Zwangsprostitution konfrontiert, und habe Wege gefunden, professionell zu arbeiten, um Sexarbeit ohne Gewalt zu erleben. Um andere zu unterstützen und an diesem Wissen teilhaben zu lassen, habe ich in den letzten 10 Jahren mehrere gemeinnützige Onlineprojekte für Sexarbeitende aufgebaut und war zuletzt als Vorstand im BesD e. V. (Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen, Deutschland) und bei TAMPEP aktiv. Die NGO TAMPEP widmet sich seit Anfang der 90er Jahre der Lobbyarbeit für die Rechte von Migrant:innen in der europäischen Sexarbeit.
Ich war schon seit den Anfängen meiner Sexarbeit geoutet, um als Aktivistin in der Öffentlichkeit zu sprechen und um nicht erpressbar zu sein. Für manche mag ein Outing ein sogenanntes Privileg sein, aber es ist ein hart erkämpftes. Schließlich erlag ich beruflichen und gesundheitlichen Einschränkungen sowie fehlenden Jobchancen; ich verlor meinen alten Bekanntenkreis, Freunde und die Sexarbeit war eine schwerwiegende familiäre Belastung.
Alles gute Gründe, warum sich die meisten Sexarbeitenden nicht outen wollen oder können. Insofern ist es ein Wunder, dass es Berufsverbände wie den BesD gibt, wo sich über 600 Sexarbeitende in Deutschland bis ins Jahr 2021 organisieren konnten. Es gibt sonst keinen Verband für Sexarbeitende in dieser Größenordnung in Europa, außer Sexarbeiter:innen-Kollektive wie STRASS Syndicat in Frankreich und ECP (English Collective of Prostitutes) in London mit sehr hohen Mobilisierungsgraden und langer Tradition. Nur indische Sexarbeiter:innen-Organisationen wie Sangram und Durbar bringen es auf 9.000 bzw. 75.000 Mitglieder und konnten durch intelligente Peer-to-Peer-Arbeit die Zuhälterei aus den Rotlichtvierteln zum Großteil verdrängen und die HIV-Rate in den letzten 20 Jahren erfolgreich reduzieren.
Ich war bei meinem Einstieg in die Sexbranche eine unwissende Anfängerin im fortgeschrittenen Alter. Ein Alter also, wo die Durchschnittskarriere einer Hure normalerweise schon hinter ihr liegt und die Besten der Zunft bereits eine Eigentumswohnung oder eine neue berufliche Existenz aufgebaut haben.
Ich war also eine Einsteigerin, deren Bildung, Wissen und Selbstbewusstsein keine Hilfe im Schutz vor Gewalt und Ausbeutung waren. In einer Szene, wo Solidarität selten ist und harter Konkurrenzkampf der Regelfall. Schließlich geht es ums nackte Überleben in einem hart umkämpften Markt.
Ich habe in den letzten 15 Jahren zwei Onlineforen für Sexarbeiter:innen moderiert, wo nur aktive Sexarbeiter:innen Zutritt haben: 2 Jahre Moderation im Forum Sexworker.at mit knapp 12.000 Mitgliedern und seit 10 Jahren Administration und Moderation eines weiteren deutschsprachigen Forums mit aktuell 18.000 Sexarbeiter:innen.
Aus der Vielzahl von Stimmen in Onlineforen und geschützten Nutzer:innen-Gruppen, durch persönliche Gespräche mit Sexarbeiter:innen online und offline face to face, in Deutschland und im Ausland, bei internationalen Reisen, entwickelte ich ein internationales Netzwerk mit Sexarbeiter:innen und Aktivist:innen der internationalen Sexarbeiter:innen-Rechte-Bewegung aus über 150 Ländern, deren Interessen im globalen Dachverband NSWP (Global Network of Sex Work Projects) gebündelt sind.
Ich konnte mir deshalb einen guten Überblick über die Sexbranche im In- und Ausland machen, die unterschiedlichen Prostitutionsgesetzgebungen und ihre Auswirkungen in verschiedenen Ländern vor Ort prüfen und bewerten. Auf dieser Grundlage ist dieses Werk geschrieben.
Dieses Buch hat das Ziel, über die aktuelle Lage der Prostitution fakten- und evidenzbasiert aufzuklären und zu informieren und Lösungswege zur Bekämpfung von Zwangsprostitution und Gewalt aufzuzeigen, die das Prostitutionsstigma begründen. Dazu vergleiche ich auch die Lage in anderen Ländern mit unterschiedlichen Prostitutionsregulierungen.
Folgende Fragen möchte ich beantworten: Wo stehen wir in Deutschland mit der Legalisierung? Was sind die Auswirkungen der Prostitutionsgesetze, wie ist der aktuelle Status quo und wohin wollen wir in Zukunft? Welche Lehren können wir aus den verheerenden Auswirkungen von Corona für die Sexarbeit ziehen? Und wie kann man Zwangsprostitution bekämpfen?
Ich lege eine Analyse der Prostitution der Gegenwart vor und überlasse es den Leser:innen, sich eine umfassende Meinung zum Thema zu bilden, das in der öffentlichen Meinung und im sozialen Umfeld weltweit skandalisiert, tabuisiert und stigmatisiert ist. In vielen Ländern droht für Prostitution die Todesstrafe.
Ähnlich wie bei der Prohibitionspolitik in den USA der 1930er Jahre und in der internationalen Drogenpolitik, haben wir es auch bei Prostitution mit einer internationalen, grenzüberschreitenden Ökonomie zu tun, deren Profiteur:innen hauptsächlich Mittelsmänner- und -frauen sowie Konsument:innen in den westlichen Industriestaaten sind. Zu den Profiteuren zählen auch die Kunden, die sich anonym und geschützt in einem Low-risk-Environment auf der Straße, im Bordell und im Netz, auf Werbeportalen für Prostitution und in Freierforen bewegen können.
Leider sind viele Kunden sexistisch, rassistisch und gewalttätig, manche vergewaltigen Sexarbeiter:innen und berichten darüber öffentlich in internationalen Freierportalen. Manchmal glaubt man, dass Incels ihren Frauenhass abreagieren, was sich auch aus Nachrichtenverläufen von Sexarbeitenden herauslesen lässt. Die Anonymität und offshore gehostete Portale schützen solche Frauen- und Hurenhasser vor Strafverfolgung.
Auch gibt es nicht wenige Freier, die Sexarbeitende bei Polizei, Finanzamt und Behörden denunzieren, erpressen, stalken und bedrohen. In vielen Fällen gipfelt die Bedrohung in Gewalt an und Mord von Sexarbeiter:innen. Überdurchschnittlich viele Trans*Sexarbeitende sind international davon betroffen. Und besonders Sexarbeitende am Straßenstrich.
Die Ärmsten der Armen, Menschen ohne Bildung und Sprachkenntnisse, Kinder, wohnungslose Jugendliche und Suchtabhängige tummeln sich dort, wo sie den geringsten Schutz genießen. Am Straßenstrich. Im Klassensystem der Prostitution sind indigene Bevölkerungsgruppen, marginalisierte Gruppen international am häufigsten Gewalt ausgesetzt und dabei unsichtbar.
Das Gewaltrisiko sinkt mit der Wahl der Arbeitssettings in den unterschiedlichen Prostitutionssegmenten. In den mit CCTV-Kameras überwachten illegalen Wohnungsbordellen in England gibt es weniger Raubüberfälle, als wenn Sexarbeitende alleine und isoliert ohne Schutzmaßnahmen in ihrer Privatwohnung arbeiten müssen. Eine unberührbare Domina, die ihre Kunden und Sklaven auf Distanz hält und keinen Sex anbietet, wird im Regelfall nicht Opfer von Gewalt und Vergewaltigung.
Verheiratete Kunden, die bereit sind, höhere Preise zu bezahlen, und aufgrund ihrer sozialen Stellung im Berufsleben auch umgekehrt nicht belästigt, abgezockt oder geoutet werden wollen, die deshalb meist vorsichtig und respektvoll mit Sexarbeitenden umgehen, suchen seriöse und professionelle Sexarbeiter:innen, im Vertrauen darauf, dass sie nicht erpresst werden. Und Soziopathen und Psychopathen suchen Opfer.
Es gibt eine Nachfrage nach geschundenen und ausgebeuteten Frauen. Männliche Gewalt und häusliche Gewalt finden klassenübergreifend statt und spiegeln sich auch in der Prostitution wider. Je anonymer und niedrigschwelliger der Zugang zu Sexarbeitenden ist, wo Arbeitsstätten ohne Security agieren, Sexarbeitende also isoliert sind und über kein Know-how eines Kundenscreenings verfügen, desto höher steigt das Risiko, Opfer von Gewalt zu werden.
Es gibt Vereine und Individuen, die pro Sexarbeit sind und gerne über Zahlen von Gewalt und Zwangsprostitution spekulieren, sie dabei kleinreden und relativieren, um damit zu insinuieren, dass Gewaltphänomene, Sadismus und (sexuelle) Ausbeutung, Vergewaltigung von Sexarbeitenden sich im „Promillebereich“ bewegen und damit für Prostitutionspolitik und Regulierungen faktisch unbedeutend sind.
Denen sei gesagt, dass dieser Zugang die Realität und Tatsachen völlig verkennt. Auch ist die Höhe von Zahlen relativ, wenn es darum geht, die Probleme, die mit Prostitution einhergehen, zu bewerten. Jedes Opfer ist eins zu viel, Kriminalität ist Ursache für das schlechte Image der Rotlichtbranche. Nur weil es kaum offizielle Studien zu Gewalt an Sexarbeitenden gibt, bedeutet das nicht, dass dieses Problem nicht existiert, dem man sich jedoch umfassend und offensiv nähern muss. Generell ist die Gruppe der Sexarbeitenden eine für Wissenschaftler:innen schwer zu erschließende Gruppe, da sie sich im informellen und damit in einem kaum zugänglichen Bereich bewegt.
Aus meiner Sicht ist es unabdingbar, sich der Prostitutionspolitik aus einer empathischen Perspektive und an der Seite der Opfer und Überlebenden von Gewalt und Ausbeutung zu nähern, um Klarheit über politische Forderungen zu gewinnen. Ein Mensch, der selbst Gewalt erlebt hat, scheint offenbar einen völlig anderen, nämlich empathischen Zugang zu politischem Aktivismus und politischer Arbeit zu haben. Sehr viele Leute meinen es gut, aber scheitern bei der politischen Arbeit, indem sie die Schattenseiten negieren oder relativieren.
Wer sich klarmacht, dass von sämtlichen befragten Sexarbeitenden in aller Welt zwischen 45–75 % Opfer von Gewalt werden, das Gewaltrisiko mit Verboten, auch dem Sexkaufverbot, wächst, weiß einfach, dass es weltweit kaum gesetzliche Regelungen gibt, die vor Gewalt und Ausbeutung schützen.
Wenn man bedenkt, dass auch mit Verboten Verbrechen wie Menschenhandel am Leben gehalten werden, und Menschen in einer hoch stigmatisierten und marginalisierten Position besonders häufig Opfer von Gewalt werden, muss man sich doch einfach fragen, warum das so ist und welchen Ausweg es gibt.
Organisierte Kriminalität im Kapitalismus interessiert nicht das Sujet, sondern nur Profitinteressen, so wie sich das Finanzamt nicht für die Quellen von Umsätzen interessiert. Auch Menschenhändler:innen, Drogenhändler:innen und Zuhälter:innen sind hierzulande steuerpflichtig.
Dabei macht sich westliche Prostitutionspolitik offenbar unbeabsichtigt zum Handlanger krimineller Kreise. Menschenhandel, Gewalt, Ausbeutung und Zwangsprostitution werden trotz Verboten am Leben gehalten, genauso wie der internationale Drogenhandel. Neuseeland und Portugal sind dabei einen anderen Weg der Entkriminalisierung von Sexarbeit bzw. Drogenkonsum gegangen, mit ausgesprochen guten Erfahrungen. Dies bedarf einer genaueren Untersuchung, die bereits der Journalist Johann Hari im Bereich der internationalen Drogenpolitik durchgeführt hat (Hari, 2015).
Dieses Buch ist jenseits von Sex & Crime konzipiert. Ich steige ab zu den Wurzeln meiner Erinnerung und nehme den Leser mit auf diese Zeitreise zwischen Ohnmacht und Erkenntnis.
Was haben eine HIV-positive Straßenprostituierte mit amputierten Beinen in Rumänien, eine thailändische Prostituierte mit deutschem Ehemann, drei Afrikanerinnen in Berliner Bordellen und eine albanische Prostituierte in London gemeinsam? Sie haben als Prostituierte gegen ihren Willen „gearbeitet“ und sind somit Zwangsprostituierte, die ich persönlich kennengelernt habe. Ihr Schicksal und meine eigenen Erfahrungen mit Gewalt und im Umgang mit anderen traumatisierten Sexarbeiter:innen mit psychischen Beeinträchtigungen sind Ausgangspunkt meiner politischen Arbeit und Analyse seit knapp 20 Jahren, die in diesem Buch ihren Abschluss findet.
Polarisierende und ideologische Debatten prägen die öffentliche Diskussion, die nur zeit- und ressourcenverschwendend sind, da durch das Teile-und-herrsche-Prinzip und Spaltung innerhalb der Hurenbewegung kein Wandel und keine innovative Prostitutionspolitik entstehen kann.
Die ideologischen Diskussionen tanzen eine mediale Pirouette um sich selbst und führen in keinster Weise zur Lösung der Probleme, mit denen wir es zu tun haben. Gewalt, Zwangsprostitution, Ausbeutung und Zuhälterei zählen leider immer noch zum Umfeld von Sexarbeit und eine kritische Masse ist lange erreicht und zwingt Regierungen zum Handeln. Auch wenn die Zahlen bei Rotlichtkriminalität in den letzten 20 Jahren kontinuierlich gesunken sind, ist der Staat angehalten, Rahmenbedingungen zu schaffen, die der Kriminalität, Gewalt und Ausbeutung Einhalt gebieten.
Der Vorstellung von „Prostituierten“ und ihrer Bewertung in unseren Köpfen gehen immer Bilderwelten voraus, die historisch und medial im zeitgenössischen Diskurs verwoben sind. Viele Fotograf:innen und Künstler:innen haben sich dem Thema Prostitution/Sexarbeit schon angenähert und gleichsam an einem Mythos mitgestrickt, der das Thema Sex als Arbeit überformt.
Aber man kann einen anderen Weg wählen, sich an das Thema herantasten und dabei „Menschen“ kennenlernen. In gewisser Weise kann man die puffige Bildsemantik überwinden, wie sie uns in der standardisierten und massenhaften Verwendung von Abbildungen zum Thema Prostitution und Sexarbeit entgegentritt.
Menschen wie du und ich kommen zum Vorschein, Sexarbeiter:innen, Trans*, Intersex-, nicht-binäre Menschen und Männer, denen man „es“ nicht „ansieht“.
Dekontextualisiert, aus gängigen rot ausgeleuchteten Settings herausgelöst, Straße, Limousine, Pseudo-Glamour, den Farben Rot und Schwarz, Stigma und Puff, dem allmächtigen Opfer-Diskurs, bringt man selbstbestimmte Individuen zum Vorschein, die üblicherweise verborgen als Escort, Callboy, Stripper, Hobbyhure, am Straßenstrich, als Domina oder Sklavin arbeiten.
Gesellschaftlicher Blick und Sprache reduzieren Sexarbeiter:innen selbst auf den Körper und die Bildsprache verweist eindimensional auf willenlose Objekte ohne Handlungsspielraum und Selbstbestimmungsrecht. Deshalb werden von Prostitutionsgegner:innen gerne Begriffe wie „prostituierte Frauen“ verwendet, also passive und entmündigte Menschen ohne Agens, ohne Handlungsmächtigkeit, die auf „Körperöffnungen“ reduziert werden (Bindel, 2019; Jeffreys, 2008). Eine ähnliche Wahrnehmung und Bewertung, die viele Porno-Konsumenten von Frauen und Sexarbeiter:innen auch in Freierforen ausagieren.
Sämtliche Medien zitieren in einer Endlosschleife historische Prototypen, welche die Hure, das Freudenmädchen, die Prostituierte seit ehedem konstituieren und entstellen. Rechtsextreme Feminist:innen, konfessionsgebundene Verhaltensmuster radikaler Gegner:innen, auch revitalisierte patriarchale Strukturen haben die Deutungshoheit übernommen, eine Allianz, die Sexarbeiter:innen auf ihren Platz verweist, nämlich Opfer und Objekt zu sein.
Die „Prostituierte“ ist Knotenpunkt von Machtverhältnissen geworden, als „soziales Problem“ definiert, das eine Selbstbestimmung im Handeln üblicherweise negiert. Sexarbeiter:innen werden als sexuelle Konkurrenz wahrgenommen, einer Störung im öffentlichen Raum, sie dienen als Forschungsobjekte im medizinhistorischen, psychiatrischen, soziologischen, repressivfeministischen und Rechtsdiskursen, der Drittmittel- und Arbeitsplatz-Beschaffung in der Helferindustrie, Wissenschaft und Redaktionen. Verbote, Kriminalisierung, ökonomische und sexuelle Ausbeutung, Zwang, Abhängigkeit, Menschenhandel bestimmen den Tenor über eine im Verborgenen ausgeübte legale Tätigkeit, einem noch nicht anerkannten Beruf.
Eine Tätigkeit, die selbstbestimmtes, verantwortliches Handeln unter Bedingungen strukturell ökonomischer Ungleichheit und Überlebensnotwendigkeit, einvernehmliche Sexualität zwischen Anbieter:in und Kund:in, respektvolle Intimität, Nähe und Menschlichkeit zulässt – jenseits von Ausbeutung und Zwang –, diese Realität scheint kaum in Erwägung gezogen zu werden.
Der gesellschaftliche Blick selbst ist es, der Prostitution in toto pervertiert, zu einem „Unsittlichkeitstatbestand“ gerinnen lässt und einer Viktimisierung das Wort redet, als selbsterfüllende Prophezeiung reproduziert. Ein „legitimate human being“ sieht anders aus. Dazu die amerikanische Performance-Künstlerin und Sexarbeiterin Sadie Lune: „Stop punishing me just because you may not be able to imagine being me.“
Not policing the bodies, but „noticing that the diversity of experience is enormous“. Laura Agustín
Die Vielfalt und Verschiedenartigkeit von Erfahrungen, die Mannigfaltigkeit sexueller Erfahrungen jenseits privatistischer Einverleibung und Veröffentlichung des Sexes, ein Gedanke, der auch jenseits von Sexarbeit nachdenkenswert ist.
Zwei Narrative stehen sich im öffentlichen Raum gegenüber: Prostitutionsgegner:innen behaupten, dass Prostitution generell Gewalt sei und 90 % aller Prostituierten in Deutschland keine selbstbestimmten Sexarbeiter:innen, sondern Menschenhandelsopfer und Zwangsprostituierte sind. Tatsache ist, dass strukturelle Gewalt die Prostitution begleitet, zu deren Analyse und Auflösung Prostitutionsgegner:innen jedoch nicht befähigt sind, weshalb sie Verbote befürworten, die auf magische Weise die kritischen Probleme bekämpfen sollen, um die Prostitution zum Verschwinden zu bringen. Magisches Denken verweigert sich jedoch jeder Erkenntnis.
Und jenen, die sich als freiwillige Huren definieren, wird eine geistige Beeinträchtigung unterstellt. Wobei viele Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen durchaus handlungsmächtig sind und rational nach einem Kosten-Nutzen-Kalkül über ihre Lebensbedingungen entscheiden, also durchaus mündige Bürger:innen sind. Wie ich als Betroffene auch.
Ein Großteil der Kritik an menschenunwürdigen Verhältnissen in der Prostitution trifft die Realität, aber nicht in dem Ausmaß, das gerne öffentlich von Prostitutionsgegner:innen behauptet wird. Tatsache ist, dass die in den Medien häufig behauptete Zahl von 90 % Zwangsprostituierten aus der Luft gegriffen ist. Das mag damit zusammenhängen, dass etwa 80 % aller Sexarbeiter:innen in Deutschland und Europa Migrant:innen sind, aus armen Regionen Europas und der Welt stammen. Armut oder Drogenabhängigkeit evoziert eine Notlage, weshalb Überlebensprostitution ausschließlich als Zwang durch ökonomische Überlebensnotwendigkeit im Kapitalismus definiert werden kann. Alle Migrant:innen jedoch automatisch Opfern von Zwangsprostitution zuzurechnen, weil sie arm sind, prekär arbeiten und über wenig Sprachkenntnisse und eingeschränkte Optionen verfügen, ist einfach falsch und entspricht nicht der Realität. Auch handelt es sich um einen logischen Pars-pro-toto-Fehlschluss, wenn man persönliche Erfahrungen, z. B. als Sozialarbeiterin, generalisiert und hier eine pauschale Aussage über eine große und vielfältige Branche trifft.
Und auf der anderen Seite das sexpositive Narrativ der „glücklichen Hure“, die ihren Job gerne macht und immer freiwillig und selbstbestimmt handelt. Dieses Narrativ greift selten die strukturelle Gewalt und Diskriminierung mehrfach stigmatisierter, migrantischer Sexarbeiter:innen auf, die in privilegierter Perspektive im Narrativ keinen Raum finden. So wird kein emphatischer Zugang zu der Armuts- und Elendsprostitution, Gewalt und Ausbeutung gefunden, um den Prostitutionsgegner:innen die Stirn zu bieten.
Sachbezogene Kritik wird in politischen Debatten meist ignoriert, der öffentliche Diskurs ist von Homestorys, Identitätspolitik und Selbstmarketing geprägt, die nicht in den Bereich von Interessenpolitik und politischer Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit fallen sollten.
Natürlich gibt es viele Sexarbeiter:innen, die nicht gerne Sex mit Männern haben und auch keine sexpositive Position vertreten, aber keine realistischen beruflichen Alternativen sehen. Dies teilen sie mit dem Schicksal vieler Berufstätiger.
Andere orientieren sich beruflich neu, um später wieder in die Sexarbeit zurückzukehren, weil sie woanders nicht so viel Geld verdienen können wie in der Sexarbeit. Dies ist eine pragmatische Entscheidung, wo es nicht darum geht, ob man Sexarbeit gerne macht oder nicht. Insofern hat die Sexindustrie eine gewisse Anziehungskraft, weil man schnell relativ viel Geld verdienen kann, was in kaum einer anderen Branche möglich ist. Insbesondere weil Sexarbeit für viele Menschen die einzige Option ist, wo man mit wenig oder keinen beruflichen Qualifikationen und Sprachkenntnissen Geld verdienen und finanziell unabhängig werden kann. Die meisten Sexarbeiter:innen wechseln lautlos ihre beruflichen Rollen und suchen spezielle Ausstiegshilfen nur in den seltensten Fällen auf. Meist wenden sich Sexarbeitende an eine fachspezifische Beratungsstelle, wenn sie sich in einer akuten Notlage und Krise befinden oder wenn auf einmal viel zusammenkommt: gesundheitliche Probleme, keine Krankenversicherung, Gewalterfahrung, Schulden, Wohnungslosigkeit und Ausstiegswunsch. Probleme, die allein nicht mehr zu bewältigen sind.
2015 stellte ein vom Familienministerium gefördertes Modellprojekt zum Ausstieg aus der Prostitution seine Ergebnisse vor. Ganze drei Beratungsstellen waren in Deutschland daran beteiligt. 362 Sexarbeiter:innen haben an diesen Ausstiegsprojekten teilgenommen; 68 Frauen konnten über einen Zeitraum von mehreren Jahren in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vermittelt werden (Steffan/Kavemann, 2015). Ein Ausstiegsprozess, d. h. berufliche Neuorientierung und die Transition aus der Rolle der Sexarbeiterin heraus, dauert im Durchschnitt zwei Jahre, so die Aussagen von Sozialarbeiter:innen.
In Deutschland und vielen anderen europäischen Staaten war der Verkauf von sexuellen Dienstleistungen bis in die 1990er Jahre weder verboten noch sanktioniert. Deutschland folgte dem Regulierungsregime „Erlaubnis ohne Anerkennung“, bis 2001 das Prostitutionsgesetz in Kraft trat (Euchner, 2015). Seitdem ist der Verkauf sexueller Dienstleistungen nicht mehr sittenwidrig, der Hurenlohn ist einklagbar und Bordellbetreiber:innen haben eingeschränktes Weisungsrecht.
Verpflichtende Gesundheitskontrollen, der sogenannte Bockschein und Geschäftsmodelle von Übergestern prägen im Rückblick diese Zeit, als ausschließlich in Printmedien Werbung gemacht wurde. Aber die Strukturen waren in einer 2.500 Jahre währenden Prostitutionsgeschichte längst gelegt: Es gab schon Sklav:innen und angesehene Hetären im antiken Griechenland, gehandelte Frauen aus Osteuropa im alten Rom, mal staatliche, mal private Bordelle und immer einen Straßenstrich. Mal wurde Sexarbeit liberaler gehandhabt, dann wieder restriktiv. Geschichte wiederholt sich und wir befinden uns hierzulande aktuell in einer liberal-restriktiven Ära.
Ein liberales Prostitutionsregime, das Sperrgebiete und die Registrierung von Sexarbeiter:innen vorsieht, ähnlich wie die sogenannten „Kontrollmädels“ der Jahrhundertwende und der Nazi-Zeit, führt immer zu einem zweigleisigen System: Die legalisierte und kontrollierte Prostitution einerseits und die illegale Prostitution, welche die legalen Barrieren einer Anmeldung und Registrierung nicht überwinden kann und aufgrund fehlender Rechte bevorzugt, anonym und in einem ungeschützten Umfeld zu arbeiten, wo hauptsächlich Dritte profitieren und häufig Abhängigkeitsverhältnisse existieren. Dazu zählen meistens staatenlose Menschen in Europa und Menschen ohne legalen Aufenthaltstitel, für die Sexarbeit eine der wenigen Möglichkeiten ist zu überleben ist.
Im Zuge der Osterweiterung eines vereinten Europas kamen neue Gruppen nach Deutschland, um in der Sexarbeit zu arbeiten. Schon immer war die Sexarbeit der Bundesrepublik durch Wellen der Migration gekennzeichnet.
Am Beispiel von Frankfurt/Main kann man diese Wellen gut beleuchten. Der Rotlichtbezirk ist gleichzeitig Sperrbezirk. Der gilt nur für Sexarbeiter:innen, die auf der Straße arbeiten. Früher sind hier Frauen wie Nitribitt im Mercedes durch die Straßen gekreuzt. Dann gab es eine Repressionswelle und die Frauen mussten aus dem sichtbaren Bereich der Straße in die Indoor-Prostitution ausweichen. Dadurch sind die Bordelle im Bahnhofsviertel entstanden. Übrigens: Während Corona wurden sie geschlossen und viele Sexarbeiter:innen weichen auf den Straßenstrich und in Hotels aus, wo sie mit geschwächter Verhandlungsposition und in isolierten Räumen mehr Gewalt erleben, mehr ungeschützten Sex ausüben und ungewollte Schwangerschaften sowie einen Anstieg an STI (sexuell übertragbare Infektionen) erfahren. Auch Zwangsprostitution ist nicht nur in Berlin während Corona gestiegen. Ein Vorgeschmack auf ein Sexkauf- und Bordellverbot, wie es Prostitutionsgegner:innen fordern.
Der Verein Dona Carmen e. V. in Frankfurt führt auch Zählungen durch: zum Beispiel, woher die Frauen in Frankfurts Rotlichtbezirken kommen. 1976 waren überwiegend Frauen aus Lateinamerika in Frankfurt aktiv, damals etwa 71 %. 2002 sind die Zahlen auf 62 % gesunken, 2006 auf 47 % und aktuell sind es 36 %. Der Grund des Rückgangs erklärt sich aus dem Umstand, dass die Lateinamerikaner:innen jahrelang nur geduldet waren. Dann aber gab es große Razzien, wo man im Schnellverfahren die Frauen ausgewiesen hat.
Jetzt gibt es viele südosteuropäische Frauen im Zuge der EU-Osterweiterung, die Freizügigkeit genießen können, da liegt der Prozentsatz im Frankfurter Bahnhofsviertel bei 46 %. Sie kommen meist aus Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Polen (Susi, 2016).
Das Internet ist immer noch der Wilde Westen und ein teilweiser rechtsfreier Raum, der auch auf die Erotikbranche durchschlägt. Alte Rotlichtstrukturen haben sich verfestigt, die Regionen sind aufgeteilt. In Ostdeutschland gibt es vor allem Wohnungsprostitution, Betreiber sind Vermieter. Berlin und Rostock sind die einzigen Städte ohne Sperrbezirke.
Die Rotlichtbezirke vieler deutscher Städte haben sich entlang der Sperrbezirke entwickelt und in jeder Großstadt gibt es Zentren der Lust. Mit dem Internet war es zum ersten Mal möglich, dass nicht nur Bordelle öffentlich sichtbar wurden; auch Sexarbeitende konnten neue Zielgruppen finden und grenzüberschreitend werben und arbeiten.
Eine kleine Minderheit von Sexarbeiter:innen hat eigene Websites mit Blogs, jede Region hat ein eigenes Freier- und Werbeportal. Durch das Internet können Sexarbeitende vermehrt auf eigene Rechnung und ohne Vermittlung Dritter arbeiten. Insofern ist das Internet hier eine innovative Technologie.
Auch die Bordelle haben sich verändert. Neben Eroscentern und Laufhäusern, Wohnungsbordellen und Terminwohnungen, Straßenstrich, Sexualbegleitung und High-Class-Escort-Agenturen, gibt es große Wellness- und FKK-Clubs mit Saunalandschaft und Liegewiese, wo man den ganzen Tag verbringen kann. Ein Paradies für Männer.
Viele Sexarbeitende durchwandern im Laufe ihres Berufslebens nicht nur verschiedene Länder, sondern auch verschiedene Sparten in der Prostitution. Es gibt auch Sexarbeiter:innen am Straßenstrich, die gleichzeitig höherpreisigen Escort-Service anbieten. Manche Sexarbeiter:innen eröffnen selbst Bordelle, Escort-Agenturen oder BDSM-Studios. Insbesondere die BDSM-Szene ist öffentlich sichtbar geworden, auch mit der Gründung des Berufsverbandes BesD im Jahr 2013, der die Handschrift von Dominas trägt.
Nach Prostitutionsgesetz und Prostituiertenschutzgesetz von 2001 und 2016 gibt es jetzt neben der illegalen Prostitution konzessionierte Bordelle nach dem Gewerberecht. In Deutschland etwa 2.200 Betriebe. Angemeldete und registrierte Sexarbeiter:innen wurden Ende 2019 40.400 gezählt, davon 19 % Deutsche, die Mehrzahl Migrant:innen. Der Anteil der illegalen Prostitution ist bislang unklar und Ziel unseriöser Spekulationen, wird aber durch Werbeanzeigen transparent und scheint nicht so hoch zu liegen wie bislang befürchtet.
Sexarbeitende sind es gewohnt, hohe Zimmermieten und Werbung zu bezahlen. Dafür machen sie an manchen Arbeitsplätzen sehr hohe Umsätze, die das Tageshonorar eines Wirtschaftsprüfers locker übersteigen. Teilweise gibt es strenge Hausregeln der Vermieter:innen oder Agentur-Betreiber:innen, die in die (sexuelle) Selbstbestimmung von Sexarbeitenden eingreifen. Gründe genug, warum viele Sexarbeitende auf eigene Tasche arbeiten und privat Kunden empfangen oder Haus- und Hotelbesuche im In- und Ausland anbieten.
Prostitution ist durch das Internet transparent geworden. Der Markt bietet niedrigschwellige und barrierefreie Zugänge und der Einstieg wird vielerorts immer noch durch Rotlichtmythen motiviert, die im Selbstmarketing der „glücklichen Hure“ ihr Pendant findet. Es gibt keine Ausbildung, Aufklärung und Know-how über Sicherheitsrisiken und jede Hure muss immer Erfahrungen am eigenen Leib machen, bevor sie sich sukzessive professionalisieren kann. Dies ist ein absolutes Unding. Natürlich benötigen Sexarbeitende schon vor dem Einstieg Orientierung, Wissen und Unterstützung, d. h. Beratung und Zugang zu Hilfe-Ressourcen, um selbstbestimmt und professionell und dadurch mit geringerem Gesundheits- und Gewaltrisiko zu arbeiten. Es gibt nur drei Beratungsstellen in Deutschland (HYDRA, Madonna, Phoenix), die Orientierungsberatung anbieten dürfen. Deshalb habe ich für die Plattform Kaufmich eine mehrsprachige Online-Ressource für Sexarbeitende entwickelt – bigsister.de –, da fast alle Sexarbeiter:innen mittlerweile online sind, außer jene am Straßenstrich. Außerdem ist eine mehrsprachige Online-Akademie im Aufbau, die auch für Analphabet:innen zugänglich ist, indem Video-Kurse gestreamt werden können.
In den USA wurden mit dem FOSTA-SESTA-Gesetzespaket gegen Menschenhandel alle Werbeportale für Prostitution wie auch die größte Werbeplattform BACKPAGE abgeschaltet, nachdem dort Opfer von Zwangsprostitution beworben und die Betreiber der Plattform als „Ermöglicher“ (enabler) dieser Verbrechen haftbar gemacht und inhaftiert wurden. Auch in Frankreich wird über ein ähnliches Gesetz des Werbeverbots nachgedacht, das die Prostitution neben dem parallel existierenden Sexkaufverbot radikal zurückdrängen und damit zum völligen Verschwinden bringen soll. Was komplett unrealistisch und deshalb gefährlich ist.
Tatsache ist, dass es bis jetzt international möglich ist, Opfer von Zwangsprostitution unter Werbeanzeigen selbstbestimmter Sexarbeiter:innen zu mischen und mit ausgebeuteten Frauen und Zwangsprostituierten Kasse zu machen.
Auch gibt es durch die anonymen Nutzungsmöglichkeiten des Internets viele Fälle von Online-Belästigung, Stalking, Denunziation und Drohungen, die von Sexarbeitenden kaum zur Anzeige gebracht werden. Insbesondere von jenen nicht, die illegal arbeiten. Dabei gibt es in den Fachberatungsstellen Unterstützungsangebote, auch für illegale Sexarbeitende (Susi, 2019).
Die Mehrheit der selbstständigen Fullservice-Sexarbeiter:innen, die sich online vermarkten, wird in den sozialen Medien und auf vielen Onlineportalen diskriminiert und kann dort kaum Umsätze generieren. Der einflussreiche Arm der US-amerikanischen Prostitutionsgesetzgebung reicht natürlich nach Deutschland und Europa. Dazu zählt, dass Sexarbeitenden der Zugang zu den gängigsten Online-Bezahlsystemen wie PayPal und Kreditkartenzahlung sowie die Buchung über Airbnb von Wohnungen und Zimmern in vielen Hotelketten und auch die Kommunikation über Skype verwehrt wird. Oftmals mit dem Verweis auf Menschenhandel und Zwangsprostitution, wie bei den meisten internationalen Hotelketten. Bei Airbnb wird ein Algorithmus genutzt, der die Webhistorie seiner Nutzer:innen im Netz mit Bezügen zu Sexarbeit identifizieren kann, um sie von ihrer Plattform zu verbannen.
Sexarbeitende haben also international – ob offline oder online – kaum Rechte. Mit katastrophalen Auswirkungen: Neben drohenden Gefängnisstrafen und dem Verbot von Onlinewerbung in den USA wurden auch Websites mit wichtigen Hilfe-Ressourcen, um sich über gefährliche Kunden zu informieren, auszutauschen und zu warnen, für Sexarbeitende geschlossen. Sie müssen nun vermehrt am Straßenstrich oder als Escort ohne Hilfe-Ressourcen arbeiten und sich einem höheren Risiko von Verhaftung und Gewalt aussetzen.
Die Sexarbeit des 21. Jahrhunderts besteht aus Onlinemarketing mit allen Finessen und einer Vernetzung und Kommunikation der einzelnen Prostitutionsbranchen: Sexarbeiter:innen, Kunden, Betreiber:innen, geschützte Gruppen in sozialen Medien, Zoom-Workshops, Online-Meetings und Messenger Chats sowie deutschsprachige Onlineforen für Wissens- und Erfahrungsaustausch, die für die meisten migrantischen Sexarbeiter:innen mit wenig Sprachkenntnissen zu hochschwellig sind. Sie können deshalb noch keinen Zugang zu wichtigen Ressourcen und Informationen finden. Ohne Zugang zu Information – und damit der Kenntnis um Sicherheitsrisiken – ist kaum selbstständige und sichere Sexarbeit möglich.