»We’ve got no future, we’ve got no past – Here today, built to last – In every city, in every nation – From Lake Geneva to the Finland station«
Es ist Ende Juni des Jahres 2009. Die Pandemonium-Tour der Pet Shop Boys macht Station im ausverkauften Tempodrom in Berlin. Wir sind mit einer kleinen Gruppe von Freunden und Bekannten hier. Ich, mein Lebensgefährte Gunnar, mein alter Schulfreund Martin, seine Frau Felicitas und noch ein paar andere.
Die Veranstaltung hat mehr Volksfestcharakter, als es den wahren Ästheten unter den Pet-Shop-Boys-Fans lieb sein kann: Auf der unbestuhlten Fläche in der Mitte der zeltartigen Konzerthalle wuseln Tausende Menschen umher, suchen nach geeigneten Plätzen, den Toiletten, bahnen sich mit Bier und Brezeln den Weg zu ihren Leuten.
Die bestuhlten Ränge weiter hinten sind bevölkert mit älteren Ehepaaren, oftmals in Begleitung ihrer Kinder. Die Männer tragen karierte Hemden, die sie in helle Bundfaltenhosen gesteckt haben, und gelgepolsterte Joggingschuhe. Bei den Frauen manifestiert sich eine gewisse Achtzigerjahre-Nostalgie in den Frisuren, manche von ihnen tragen Stirnbänder und übergroße Ohrringe, die so aussehen, als wären sie nach langer Zeit genau für diesen Anlass wieder einmal herausgekramt worden.
Für viele dieser Menschen ist das Pet-Shop-Boys-Konzert ein Familienausflug und gleichzeitig ein trip down memory lane. Letzteres gilt auch für uns. Auch wir wünschen uns einen emotionalen Flashback, hoffen darauf, dass sie heute Abend genau die Lieder spielen werden, die wir in den Achtzigerjahren mit dem Kassettenrekorder aus dem Radio aufgenommen haben.
Doch längst nicht alle sind hier, um sich nostalgischen Gefühlen hinzugeben. Um uns herum, am hinteren Rand der unbestuhlten Mitte, stehen einige Leute, die ich zumindest vom Sehen her kenne: Autorenkollegen, Journalistinnen verschiedener Berliner Medien, fast die ganze Redaktion der damals noch existierenden Musikzeitschrift Spex, eine Bekannte von mir, die an der Humboldt-Uni über Marcel Proust forscht; Leute, die ich schon mal auf Theaterpremieren und Ausstellungseröffnungen gesehen habe. Wenn ich ihre Gespräche belausche, schnappe ich immer wieder Wörter wie »konzeptuell«, »minimalistisch« und »performativ« auf. Wir stehen eindeutig in der Kulturbetrieb-Ecke. Auch dieses Milieu zieht es zu einem Konzert der Pet Shop Boys: Intellektuelle, die die Pet Shop Boys immer auch als künstlerisch ambitionierte Konzeptband wahrgenommen haben. Wäre ich damals zu den älteren Ehepaaren auf den bestuhlten Rängen gegangen und hätte sie gefragt, ob sie auch so begeistert davon seien, dass die Pet Shop Boys nicht nur eine Band, sondern ein Gesamtkunstwerk sind, hätte es wahrscheinlich viele ratlose Blicke gegeben.
Weiter vorne, in Richtung der Bühne, sieht es wieder ganz anders aus. Hier könnte man meinen, man wäre im Berghain oder zumindest in der Panorama-Bar gelandet: Leicht bekleidete junge bärtige Männer mit vielen Tattoos, vielen Piercings und sehr kurzen Haaren. Bei dieser Kohorte von Konzertgängern handelt es sich eindeutig um Partyschwule, für die die Pet Shop Boys weder Konzeptkunst noch Nostalgie-Trigger sind. Für diese Generation der internationalen Homo-Hipster sind die Pet Shop Boys schlicht Säulenheilige der schwulen Subkultur und haben diesen Status auch Jahrzehnte nach ihrer ersten Platte nicht eingebüßt. Die Beständigkeit der Band verleiht der eigenen queeren Identität beinahe so etwas wie eine historische Legitimation.
Dann erlischt das Licht im Saal. Die Bühne erstrahlt in leuchtendem Blau, Rot und Grün. Disconebel wabert von links und rechts in Richtung Bühnenmitte, wo ein Pult mit Synthesizern aufgebaut ist sowie ein einsames Standmikrofon. Neil Tennant und Chris Lowe tauchen aus dem Disconebel auf, nähern sich langsamen Schrittes dem vorderen Bühnenrand. Ohne Begrüßung und ohne ankündigende Worte erklingt ein elektronischer Beat – die Show beginnt. Alle klatschen. Sind gemeinsam dabei. Mir fällt kein anderes Phänomen der Musikwelt ein, das so unterschiedliche Gruppen von Fans so mühelos und widerspruchsfrei miteinander vereint wie die Pet Shop Boys.