Patti Smith

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Bei unserer ersten Begegnung hielt ich Patti Smith für eine Obdachlose, wahrscheinlich ging ihr das mit mir nicht anders. Ich war dreizehn, fast vierzehn. Sie war achtundfünfzig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich erinnert.

Aber ich erinnere mich. Das Treffen mit ihr und die Verkettung der Ereignisse, die dazu geführt haben, setzen sich zu einer der grellsten Erinnerungen meiner Kindheit zusammen. Diese Erinnerung hat nicht nur mit ihrer Musik zu tun, sondern auch mit der von Richard Wagner. Sie hat mit der Kunst von Christoph Schlingensief und dem Verzehr von hundertfünfzig Neapolitanerwaffeln in einem Hotelzimmer in Wien und dem Tod meiner Mutter zu tun, mit einem apokalyptischen Müllberg im zweitältesten

 

Ich kenne ein paar Liedtexte auswendig, aber erwarten Sie bitte keine Lobrede. Ich werde hier nicht ihre Androgynität beweihräuchern oder die Sprengkraft, mit der sie sich 1971 in eine Kirche im East Village gestellt und lange vor der Erfindung des Gangsta-Rap improvisierte Gedichtfetzen ins Mikrofon gegrölt hat, obwohl das tolle Auftritte gewesen sind, gerne mal auf Drogen und durchaus gewaltorientiert. Auftritte, bei denen sie die Grenze zur Blasphemie überschritten hat und gegen die Jay-Z wie

 

Im Grunde grenzt das, was ich Patti Smith gegenüber empfinde, an konfuse Genervtheit, ich kann das nicht anders sagen. Mich strengt da etwas an, das man als »Scheuklappenspiritualität« bezeichnen könnte. Sie als Hohepriesterin der Auflehnung oder der Freiheit oder der Geschlechterindifferenz zu huldigen, sich der gesellschaftlichen Verabredung darüber, was Patti Smith heute repräsentieren darf und was nicht, zu fügen, würde sich nach Heuchelei anfühlen. Als würde ich die Wände eines Museums pink streichen, damit die Renaissancegemälde zeitgenössischer aussehen. Bisschen auch nach dem Boykott meiner eigenen Zukunft, fragen Sie mich bitte nicht, wieso.

Auf Instagram, aus dem schlimmstmöglichen

Entweder hat Patti Smith sich der Welt unterworfen. Oder die Welt hat sich ihr unterworfen. Oder es

Man guckt sich auf YouTube Videos von Homepartys im East Village Mitte der Siebziger an, sieht da Allen Ginsberg zwischen Hippies irgendwas Gesellschaftskritisches auf einer Trommel improvisieren und William Burroughs mit einer Knarre rumfuchteln, der hatte ja nicht nur sechs Katzen und ein Heroinproblem, sondern war auch noch Waffenfetischist. Und man sieht Patti Smith, die Bob Dylan anbaggert wie ein unterwürfiges Tierkind, aber glaubt, genug Grenzen eingerissen zu haben, um trotzdem das revolutionäre Bild der freigeistigen, unabhängigen Bestie bedienen zu können. Erinnert mich an das Phänomen, dass sich Frauen heute gerne mal für emanzipiert genug halten, um doch auch alleine den Haushalt zu schmeißen.

Man sieht in diesen Dokumenten eines Kampfes um Frieden und Freiheit also Menschen, die behaupteten, das System umzuwälzen. Und deren Umwälzungsversuche vielleicht missbraucht wurden, zur dekorativen, amüsanten Ablenkung von den Gesetzen, die unbemerkt in ihrem Schatten

 

Passenderweise steht gestern E.R. am Bügelbrett und legt die Spannbettlaken zur Seite, um mir von einer Entdeckung zu erzählen, die sie am Vorabend gemacht hat. Zufällig. Im Internet. Beim Lesen irgendeines Textes über die psychologischen Hintergründe von was auch immer, dem Aufstieg autokratischer Arschlöcher, nehme ich an.

Family Values: Between Neoliberalism and the New Social Patti Smith

Die Liberalisierung des Familienrechts von 1965 sollte in den darauffolgenden Jahren auf das Sozialrecht ausgeweitet werden – der Staat sollte nicht mehr in die Privatsphäre des Einzelnen und in dessen

Patti Smith

Die führenden Köpfe des Neoliberalismus sind Mitte der Siebziger allesamt der Ansicht, die Familie müsse den Wohlfahrtsstaat ersetzen.

Patti SmithFree Money

Die Menschen performten und rebellierten also in den Siebzigern leidenschaftlich gegen ihre Eltern, gegen die zerstörerische Kraft der Vergangenheit und das mörderische Elend der Blutsverwandtschaft an. Und zeitgleich wurden Gesetze aus der Vergangenheit ausgebaut, die diese knochenharten familiären Strukturen in Amerika zur wichtigsten Versorgungsinstanz machten. Ich weiß, dass ich mich wiederhole. Geht gerade nicht anders.

Frederick,

 

Patti Smith