Copyright © by Mathias Voelchert GmbH Verlag Verlagsredaktion: Mathias Voelchert GmbH Umschlaggestaltung: Mathias Voelchert GmbH und Sead Mujić Typografische Bearbeitung und Satz: Sead Mujić Herstellung BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt Printed in Germany
ISBN 978-3-947101-36-8
Auch im Download (u.a. bei audible)
und als CD im familylab-shop verfügbar
Copyright für die deutsche Ausgabe 2021
© by Mathias Voelchert GmbH Verlag, Windberg, edition + plus
1. Auflage 2021
Alle Rechte vorbehalten. Reproduktion, Speicherung in
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1948–2019, war einer der bedeutendsten und innovativsten Familientherapeuten Europas und Autor zahlreicher internationaler Bestseller zum Thema Erziehung und Familie.
1972 schloss er sein Studium der Geschichte, Religionspädagogik und europäischen Geistesgeschichte ab. Statt die Lehrerlaufbahn einzuschlagen, nahm er eine Stelle als Heimerzieher und später als Sozialarbeiter an und bildete sich in Holland und den USA bei Walter Kempler zum Familientherapeuten weiter.
Er war bis 2004 Leiter des »Kempler Institute of Scandinavia« in Odder, nahe Aarhus, das er 1979 gründete. Seine respektvolle, gleichwürdige Art, mit Menschen umzugehen, beeindruckte Fachleute und Eltern immer wieder neu.
2004 gründete er familylab International.
Mathias Voelchert gründete familylab.de in Deutschland im Jahr 2006, so entstand eine enge Zusammenarbeit bis zum Sommer 2019.
Gründer und Leiter familylab.de –
Die Familienwerkstatt in Deutschland
Bei der Vorbereitung und Auswahl der Texte für dieses Buch, habe ich erneut die Fragen der Eltern gelesen und dazu die Antworten von Jesper Juul. Ich war wieder genau so fasziniert von seinem Esprit und seiner Tiefgründigkeit, wie schon so oft in unserer langen Zusammenarbeit. Als wäre er nie weg gewesen. – Einfach ein toller Mensch!
Jesper Juul’s Antworten sind getragen von tiefer Mitmenschlichkeit, Wohlwollen und Kenntnis. Gleichzeitig lässt er sich nicht in Bockshorn jagen und schreckt auch nicht davor zurück zu provozieren.
Wie so oft habe ich mich beim Lesen der Elternfragen selbst gefragt, was wird er wohl jetzt sagen? Was hätte ich gesagt. Ich bin gespannt, ob es Ihnen auch so geht.
Ein paar seiner eindrücklichsten Sätze in diesem Buch sind für mich:
Eine der grundsätzlichsten Regeln von Liebe und Partnerschaft ist es, dass unsere Partner die Entscheidungen, die wir für uns selbst treffen, akzeptieren müssen.
Kinder verhalten sich zu Reichtum und Armut genauso, wie sie es von ihren Eltern kennen: Wenn Eltern sich schämen, arm zu sein, werden die Kinder das Gleiche fühlen. Wenn Eltern stolz auf ihre Besitztümer sind und ihren Reichtum vorzeigen, machen sie ihnen das auch nach. Beides Mal besteht das Risiko der sozialen Ausgrenzung und des Mobbings.
Wenn Eltern sich derart uneins sind, gibt es immer zwei Wege: Machtkampf (den ich nicht empfehle) oder ernste Aussprache.
Es geht nicht darum, was die Kinder tun, sondern wie wir als Erwachsene mit unserer eigenen Frustration umgehen, ohne ihre Grenzen zu verletzten.
Versuchen Sie, Empathie zu mobilisieren, statt zurückzuschießen oder beleidigt zu sein.
Die Fragen und Antworten stammen aus den Kolumnen Familientrio der Süddeutschen Zeitung, in der Jesper Juul über fünf Jahre von 2014 bis 2019 auf wichtige Fragen von Eltern geantwortet hat. Sie haben bis heute ihre Aktualität behalten.
Es beeindruckt mich immer wieder, wie Jesper Juul die übergeordnete Ebene sieht und darauf eingeht und so in aller Kürze eine klare Haltung ermöglicht. Klar wird dabei, dass das nicht die richtige Antwort, die richtige Haltung ist. Es ist eine der möglichen Antworten eines freundlichen Fachmanns, an denen man sich orientieren kann, oder es ganz anders macht.
Jesper Juul eröffnet mit seinen Antworten auch immer wieder den Raum für unsere eigenen Überlegungen: Was würde ich tun, in dieser Situation? Und darum geht es im eigentlichen Sinn. Nicht das zu tun, was der Experte rät, sondern seine eigenen Sinne so weit zu schärfen, dass wir selbst eine für uns passende Entscheidung treffen können. Wissend, dass wir vielleicht in einiger Zeit wiederum anders denken werden. Dafür ist dieses Buch ein hervorragender Trainingsplatz, denn es gibt diese 138 Dokumente seiner beeindruckenden Arbeit, endlich zusammengefasst in einem Buch!
Freuen Sie sich auf die inspirierenden, frischen, manchmal unerwarteten Antworten von Jesper Juul, zu so vielen unterschiedlichen Beziehungsthemen, immer mit dem Blick der Gleichwürdigkeit auf seine Mitmenschen. Viel Freude damit!
Ihr Mathias Voelchert
Meine Tochter (6) baut gerne riesige Polizeistationen aus Lego. Sie ist so stolz darauf, dass sie mir jede minimale Tiefgaragenveränderung persönlich zeigen will. Wenn ich im Wohnzimmer gemütlich auf dem Sofa liege und ein Buch lese, habe ich aber oft keine Lust, dauernd bewundernd ins Kinderzimmer zu kommen. Deshalb gebe ich ihr mein Handy und lasse sie Fotos von den Bauten machen, die sie mir dann zeigen kann. Darf ich das?
Ines S.
Antwort von Jesper Juul:
Klar, ein Kompromiss, wenn Sie den beide wollen: genau so machen. Andererseits klingt es für mich recht stark nach einer typisch weiblichen Methode, bei der am Ende niemand genau das bekommt, was er eigentlich möchte. Ich gehe nämlich mal davon aus, dass Sie am allerliebsten einfach weiter in Ruhe ihr Buch lesen wollen, ohne Foto-Herzeige-Unterbrechung. Wenn dem so ist: Bitte sagen Sie das Ihrem Kind. ›Ich weiß, es ist dir wichtig, dass ich alles sehe, was du baust. Aber jetzt will ich gerade mein Buch lesen. Gib mir eine Stunde, dann komme ich es anschauen.‹ Keine Entschuldigungen, keine Erklärungen, keine Versprechen. Dahinter steckt keine Zurückweisung, sondern schlicht und einfach eine klare Aussage. So lernt das Kind, neben anderen Menschen zu existieren. Wenn ihre Tochter das unglücklich macht, oder frustriert, geben Sie ihr einfach einen Kuss als Zeichen, dass sie es zu schätzen wissen, dass sie ein menschliches Wesen ist. Mädchen und Jungs brauchen Frauen in ihrem Leben, die klare Grenzen zeigen.
Mein Sohn (14) hat wegen der aktuellen Weltlage Angst vor einem Krieg. Ich selbst bin auch unsicher, aber erfahrungsgemäß wird schon nichts passieren. Soll ich meinem Sohn die Angst ausreden – Oder gehört sie zum Leben dazu?
Tobias F.
Antwort von Jesper Juul:
»Ihre eigene Unsicherheit, aus der heraus Sie Ihre Frage stellen, ist die wertvollste Hilfe in diesem Fall. Nur weil Sie selbst zweifeln, werden Sie in der Lage sein, Ihrem Sohn wirklich zuzuhören und über eine der wichtigsten Fragen des Lebens überhaupt zu philosophieren. Gemeinsam über diese Dinge zu sprechen kann wie eine kleine Oase sein, die einem Halt gibt, Schutz und Sicherheit. Wenn solche Gedanken und Ängste Ihren Sohn in einem Jahr noch bedrücken, und zwar so sehr, dass sie ihn richtig traurig machen, sollten Sie versuchen, herauszufinden, ob andere Probleme dahinterstecken.«
Meine Kinder (4 und 7 Jahre alt) tragen selbstverständlich Helme, wenn sie Fahrrad oder Roller fahren. Ich selbst kann mich trotz täglicher Radtour in die Arbeit einfach nicht dazu durchringen, nicht zuletzt, weil meine Frisur dann für den Rest des Tages hinüber ist. Wie erkläre ich das meinen Kindern?
Stefanie S.
Antwort von Jesper Juul:
Sie haben in diesem Fall Glück: Sie sind erwachsen. Sie dürfen machen, was sie wollen – sogar richtig dumme Dinge wie keinen Fahrradhelm tragen. Ihre Kinder müssen das akzeptieren, sie sind eben noch Kinder.
Unser Sohn (7) ist mit einem Jungen befreundet, bei dem zu Hause den ganzen Tag der Fernseher läuft, es zu Mittag Chips mit Ketchup gibt und die Kinder gegen Mitternacht ins Bett gehen. Mein Sohn sagt dauernd »Alter« und »fuck it«, seit sich die Jungs öfter treffen. Er bewundert seinen neuen Freund sehr. Darf ich mich einmischen?
Susanne W.
Antwort von Jesper Juul:
Ich finde nicht, dass Sie sich einmischen sollten. Ich glaube aber durchaus, dass Ihr Sohn eine klare Ansage verträgt: »Ich bin sehr froh, dass du einen guten Freund gefunden hast. Wir brauchen alle gute Freunde. Ich möchte dir trotzdem sagen, dass ich mit der Art, wie seine Familie lebt und wie er sich anderen gegenüber ausdrückt, nicht einverstanden bin und dass ich das hier so nicht haben möchte.« Sie wählen natürlich Ihre eigenen Worte. Und achten Sie darauf, Kritik zu vermeiden. Die folgenden Wochen, Monate, ja vielleicht sogar Jahre werden Sie die einmalige Chance bekommen, ihn genauer kennenzulernen. Keine Angst: Ihr Sohn wird nie wie sein Freund werden, selbst wenn er sich vielleicht ab und an so verhalten wird wie er. Für Kinder, genauso wie für Erwachsene, ist es wichtig, gute und schlechte Vorbilder zu haben und auf lange Sicht lernen wir wahrscheinlich sogar mehr von den schlechten. Entspannen Sie sich – und vertrauen Sie Ihrem Sohn, dass er die meisten Dinge aus sich selbst heraus lernen wird.
Ich, Mutter, drei Kinder, bleibe abends manchmal länger im Büro, um mich um die ins-Bett-geh-Sache zu Hause zu drücken. Einerseits habe ich dann immer ein schlechtes Gewissen, andererseits haben das Generationen von Männern vor und mit mir ja wohl auch so gemacht. Wie beurteilen Sie mein Verhalten?
Verena B.
Antwort von Jesper Juul:
Der Unterschied zwischen Ihnen und den Vätern vor Ihnen ist allein das schlechte Gewissen. Das Schwierige an Ihrer Frage ist jedoch die fehlende Angabe, vor wem Sie ein schlechtes Gewissen haben: Ihren Kindern, Ihrem Ehemann oder Ihrem Selbstbild als Frau und Mutter? Wahrscheinlich von allem etwas. Mein Vorschlag: Setzen Sie sich mit Ihrem Mann zusammen und sprechen Sie »kinderfreie Zeiten« ab. Vielleicht braucht er sie selber nicht, aber das würde auf jeden Fall das Gewissensproblem ihm gegenüber lösen. Mit den Kindern ist es schwieriger. Ein schlechtes Gewissen führt zu emotionaler Distanzierung, und die Kinder werden das spüren. Bei drei Kindern wird eins zu klammern anfangen, eins wird auf Abstand gehen, und das Dritte wird sich aufführen. Früher sagte man »nach Aufmerksamkeit suchen« dazu, aber was die Kinder eigentlich wollen, ist Klarheit. Die Botschaft ist einfach, aber kann emotional nicht einfach auszusprechen sein, zumal sie nicht in das traditionelle Bild einer Mutter passt: »Ich liebe euch über alles, UND ich will manchmal alleine sein.« Wenn es Ihnen gelingt, mit Ihrer Familie so ehrlich zu sein, können Sie die Zeit im Büro ohne schlechtes Gewissen genießen.
Nach zwölf Jahren Beziehung und drei gemeinsamen Kindern haben mein Mann und ich nun seit drei Jahren immer weniger Sex. Im Grunde haben wir im Moment gar kein Liebesleben mehr. Muss ich mir Sorgen machen? Oder gibt es das: Eine gute Ehe ohne Sex? Was glauben Sie?
Stephanie F.
Antwort von Jesper Juul:
Ich kann mir vorstellen, dass sehr viele Menschen dazu gerne eine klare Antwort hätten – aber die gibt es leider nicht. Sie müssen sich fragen, ob Sie als Paar auch ohne Sex echte Nähe füreinander empfinden können, vielleicht auch durch andere Arten körperlichen Kontakts. Wenn dem so ist, brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Ein Weg, um das auszuprobieren, wäre, gemeinsam erschöpft zu sein: Legen Sie sich nebeneinander und halten Händchen, mit keinem anderen Ziel, als zu entspannen. Vielleicht schlafen Sie sofort ein, vielleicht wollen Sie sich noch mehr berühren. Probieren Sie es aus. Ich kenne viele Paare mit schönen und liebevollen Beziehungen, die viele Jahre ohne Sex auskommen. Diese Menschen sind irgendwann Seelenverwandte geworden oder haben eine wirklich tiefe, respektvolle Freundschaft. Unser heutiges Verhältnis zu Sex hat oft etwas Gezwungenes, es gibt dieses Gefühl von außen, dass das einfach zu einer Partnerschaft dazugehört. Das führt dazu, dass die Situation, die Sie schildern, eine Art soziale Enttäuschung in sich trägt oder sogar tabuisiert wird. Sie wird gleichgesetzt mit fehlender Begehrbarkeit. Lassen Sie sich diesen Bären nicht aufbinden! Sie sind Mitglied in einem sehr großen Club. Aber versuchen Sie, einen ehrlichen Blick auf das Thema zuzulassen. Wenn Sie beide mit der Situation unglücklich sind, müssen Sie herausfinden, was genau Sie traurig macht. Bei Ihnen ist meine Vermutung, ausgehend von Ihrer Formulierung »nach zwölf Jahren Beziehung und drei Kindern«: Sie haben in den letzten Jahren so ziemlich alles für diese fünfköpfige Familie gegeben. Was auch bedeutet: Für Sie als Paar ist so ziemlich nichts übrig geblieben. Das ist auf lange Sicht keine gute Situation. Ihr »Wir« ist zu stark geworden. Das »Du« und das »Ich« brauchen wieder mehr Raum, also Zeit für Ihre individuellen Emotionen, Wünsche, Träume, Pläne, Interessen usw. Sonst verliert man als Paar Nähe, und eines der häufigsten Symptome davon ist Untreue. Was immer Sie herausfinden, ich garantiere Ihnen, dass es eines der sexuellsten Phänomene zwischen Menschen sein kann, wenn es einem Paar gelingt, voreinander ohne Schuldzuweisungen Herz und Seele zu öffnen und ehrlich miteinander zu sprechen.
Ein Freund hat meinem Sohn (6) erzählt, dass es den Nikolaus in Wirklichkeit gar nicht gibt. Mein Sohn findet diese Behauptung lächerlich. Was soll ich ihm jetzt sagen? Was würden Sie sagen?
Andrea H.
Antwort von Jesper Juul:
»Es ist so, mein lieber Sohn, dass Menschen an sehr unterschiedliche Dinge glauben können. Die eine Wahrheit gibt es nur in unseren Köpfen, und die Tatsache, dass du an den Nikolaus glaubst, macht dich nicht zu einem besseren Menschen als die, die nicht daran glauben. Solange es den Nikolaus in deinem Kopf gibt, sei glücklich mit ihm!« Womöglich wird Ihr Sohn dann fragen, woran Sie denn selbst glauben. Sagen Sie ihm dann bitte Ihre Wahrheit, wie auch immer die aussieht.
Mein jüngerer Bruder, 50, will heiraten. Er ist seit seiner Jugend Alkoholiker, nach mehreren Therapien trank er aber weniger, hatte Leben und Job gerade so im Griff. Die Neue trinkt eher mit. Die beiden mögen sich wirklich, doch sie spricht auch das »Suchtmonster« in ihm an. Er trinkt wieder mehr. Ich soll nun Trauzeuge sein, will aber eine Beziehung, die seine Sucht stärkt, nicht bezeugen. Was soll ich tun?
Mathias J.
Antwort von Jesper Juul: