Vorwort
Abgrenzungen
Säulen der Dummheit
Die Querulanten
Gefühlsdummheit
Emotionale Empathie
Schlussbemerkung
Literatur
Glück ist etwas,
das in vielen Formen kommt,
und wer kann es erkennen?
Ernest Hemingway, „Der alte Mann und das Meer“
Für Andrea,
mein Glück
Über die Dummheit zu schreiben ist immer ein prekäres Unterfangen. Praktisch jeder Autor, der sich bisher des Themas angenommen hat, verweist deshalb eingangs auf das von Robert Musil in seinem Wiener Vortrag vom 11.3.1937 so bezeichnete Paradoxon, dass jeder, der sich der Thematik widme, den Eindruck vermittle, die Dummheit erkennen zu können und daher über den Dingen (oder zumindest über den Dummen) zu stehen, wo doch genau diese anmaßende Selbstüberschätzung verdächtig sein müsse, da „jeder, der über Dummheit sprechen oder solchem Gespräch mit Nutzen beiwohnen will, von sich voraussetzen muss, dass er nicht dumm sei; und also zur Schau trägt, dass er sich für klug halte, obwohl es allgemein für ein Zeichen von Dummheit gilt, das zu tun.“ Saul Bellow hielt überdies die Bereitschaft, auf alle Fragen zu antworten, für ein untrügliches Zeichen von Dummheit.
Die in diesem Buch versammelten Gedanken, Überlegungen, Beobachtungen und, ja, auch Wertungen erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit oder hehre Wissenschaftlichkeit oder gar Beantwortung aller Fragen; sie sind vielmehr die lückenhafte Beschreibung eines Phänomens, das in der Geschichte der Menschheit schon mehr Schaden angerichtet hat als alle Waffen, Bakterien und Viren gemeinsam und das das Potenzial hat, unseren Untergang zu bewirken.
Sie werden, falls Sie darauf hoffen sollten, Lösungsansätze vermissen, ich kenne keine. Die Dummheit, laut einer häufig zitierten Bemerkung von Albert Einstein noch sicherer unendlich als das Universum, macht bisweilen sprach- und hilflos und hat schon wesentlich Klügere als mich überfordert.
Was bleibt, ist die Resignation; diese blickt auf eine ebenso lange Tradition zurück wie die Dummheit selbst: Schiller gebrauchte 1801 in seiner „Jungfrau von Orléans“ das schon damals gängige Sprichwort „Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens“.
Auch Dummheit ist etwas, das in vielen Formen kommt, und wer kann sie erkennen?
So unsicher wie die Definition ist schon die Herkunft des Worts, das in der deutschen Sprache seit dem neunten Jahrhundert verwendet wird, um sowohl Törichte als auch Taube zu beschreiben (eine Bedeutungsverschmelzung, die sich auch heute noch, zumindest betreffend Taubheit im übertragenen Sinn, bisweilen aufdrängt).
In unserer Zeit, die sich die Vermessung der Welt zwecks besserer Beherrschung derselben auf die Fahnen geschrieben hat, hat das Bedürfnis, möglichst alles in klare, vergleichbare und vermeintlich untrügliche Zahlen zu fassen, auch vor der Dummheit nicht haltgemacht und uns allerlei Methodik zur Bezifferung der Intelligenz beschert, auf dass wir aus einem solcherart dokumentierten Mangel rechtschaffen und mit fundierter Überzeugung die Dummheit zuschreiben können.
Die ersten, die auf die Idee kamen, spezielle Fähigkeiten, die als Intelligenz bezeichnet wurden, zu vermessen, waren 1905 der Psychologe Alfred Binet und der Arzt Théodore Simon: Die beiden entwickelten erste Verfahren, die sie an Schulkindern anwandten, um deren Intelligenzalter zu bestimmen. Das Unterfangen beruhte auf der seit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht in Frankreich 1882 offensichtlichen Tatsache, dass sich manche Kinder schwerer taten als andere, den Lehrstoff zu erfassen, dass also die im Unterricht erforderlichen Fähigkeiten sehr heterogen verteilt waren. Das Ziel war durchaus menschenfreundlich: Die weniger intelligenten Kinder sollten herausgesucht, gezielt gefördert und später wieder in den normalen Schulbetrieb überstellt werden. Was uns heute selbstverständlich erscheint, war damals noch keineswegs allgemeiner Konsens. Weder über die vermeintliche Tatsache, dass Intelligenz überhaupt einen klar definierbaren Sachverhalt bezeichnet, noch über die Gewissheit, dass sich Menschen in Bezug auf dieses konstruierte Merkmal unterscheiden, bestand Einigkeit in der damaligen wissenschaftlichen Welt, das Konstrukt „Intelligenz“ war ein relativ neues und in seiner Definition umstrittenes. Der Naturforscher Francis Galton, ein Cousin Darwins, verstand darunter einfache Hirnleistungen wie die Fähigkeit, rasch zu reagieren oder unterschiedliche Sinneseindrücke zu unterscheiden. Binets Konzept war deutlich ambitionierter und umfasste höhere kognitive Funktionen wie Aufmerksamkeit, logisches Ableiten und Urteilsvermögen, also die Fähigkeit, alltägliche Situationen bestmöglich zu bewältigen.
Die Frage war nun, wie man diese Parameter vermessen sollte. In seinem Test bezog sich Binet auf lebensnahe Aufgaben („Wie heißen die Monate? Wozu verwendet man einen Löffel?“) und staffelte die Fragen nach Schwierigkeit. Alle Fragen, die von 70 Prozent der Kinder eines Alters gelöst werden konnten, fasste er zu Reihen zusammen. Wenn ein Kind nun alle diese altersentsprechenden Fragen richtig beantworten konnte, waren Lebensalter und Intelligenzalter ident. Löste ein Kind auch Aufgaben der nächsthöheren Reihe, war das Intelligenzalter entsprechend höher.
Was in der Theorie einfach klang, war in der Praxis allerdings etwas komplexer: Idente Intelligenzalter-Unterschiede bezeichneten in unterschiedlichen Altersgruppen nicht idente Entwicklungsbeschleunigungen oder -verzögerungen, d.h. mit zunehmendem Alter relativierte sich ein solcher Unterschied von beispielsweise zwei Jahren zunehmend. Überdies war sich Binet selbst nicht ganz sicher, was genau er da eigentlich vermaß, da die Aufgaben mithilfe sehr unterschiedlicher Fähigkeiten gelöst werden konnten.
Der Psychologe William Stern griff 1912 Binets Verfahren wieder auf und verbesserte es, indem er das Intelligenzalter am Lebensalter relativierte, der Psychologe Lewis M. Terman multiplizierte das Ergebnis mit 100. Stimmten Intelligenz- und Lebensalter überein, kam er mit dieser Methode auf 100, eine Zahl, die uns auch heute als Durchschnitts-IQ bekannt ist.
Die Ursprünge der Intelligenzmessung lagen also in der Untersuchung von Kindern und ließen sich nicht so ohne Weiteres auf Erwachsene übertragen. Selbst dem messwütigsten Untersucher war klar, dass die mit dem Alter fortschreitende Differenzierung von Wissen und Fähigkeiten den Vergleich aller auf Basis von Wissensabfrage verunmöglichte, dass also ein Bauer über ganz andere Kenntnisse und Fertigkeiten verfügt als ein Atomphysiker und dass beide im jeweils anderen Beruf heillos überfordert wären, ohne deshalb als minder intelligent gelten zu müssen. 1930 wurde dieses Problem der Psychometrie von David Wechsler in einer heute noch gültigen Form gelöst. Wechsler, ein amerikanischer Psychologe rumänischer Abstammung (der eine psychoanalytische Ausbildung bei Anna Freud absolvierte), stellte bei der Untersuchung von Army-Rekruten fest, dass die gültige Intelligenz-Definition sehr zu hinterfragen war: Männer, die im Test erbärmlich schlechte Ergebnisse ablieferten, hatten keinerlei Probleme, ihr alltägliches Leben selbstbestimmt zu bewältigen. Wechsler kam daher zum Schluss, dass der Begriff Intelligenz deutlich weiter gefasst werden musste und wohl auch nicht ausschließlich intellektuelle Anteile einer Person beinhalten sollte. Er definierte Intelligenz als „die zusammengesetzte oder globale Fähigkeit des Individuums, zweckvoll zu handeln, vernünftig zu denken und sich mit seiner Umgebung wirkungsvoll auseinanderzusetzen“.
Natürlich kann man auch diese aus vielen definitionsoffenen Begriffen zusammengesetzte Beschreibung hinterfragen: Zweckvoll für wen? Für den Betroffenen im Hier und Jetzt oder für eine größere Gruppe in näherer oder weiterer Zukunft? Und zu welchem Zweck? Was ist „vernünftig“? Was mir finanziell nützt? Was mir ohne finanziellen Vorteil Erfahrungen ermöglicht? Was mir finanzielle Nachteile bringt, aber mein Ansehen vermehrt? Und wie setze ich mich mit meiner Umgebung wirkungsvoll auseinander? Fraglos kann man auch das Entleeren von Altöl in irgendeinen Abwasserkanal als wirkungsvoll ansehen, es kann für mich sogar zweckvoll sein, indem ich mich einer unbrauchbaren Substanz entledige, es kann mir vernünftig erscheinen, weil es mir weitere Wege oder gar Kosten spart, aber würden wir das als intelligente Handlung bezeichnen wollen?
Wechsler jedenfalls entwickelte einen Fragenkatalog, der unterschiedliche Fähigkeiten abprüfte und auch praktische Aufgaben umfasste, um das Übergewicht des verbalen Teils zu relativieren, und wandte ihn an einer großen Gruppe als Normierungsstichprobe an. Im Ergebnis zeigte sich die typische glockenartige Verteilung der Gauß’schen Verteilungskurve. Derjenige Wert, der am häufigsten gemessen wurde, wurde als „100“ definiert, alles darüber oder darunter war (bei einer Schwankungsbreite von +/- 15) also ein Ergebnis über oder unter der solcherart definierten Norm.
Da sich die auf diese Weise zugeschriebene Intelligenz an den in einer größeren Gruppe von Menschen vorhandenen Fähigkeiten orientiert, da sich der „Durchschnitts-IQ“ also nach der in dieser Gruppe herrschenden Norm richtet, müssen Intelligenztests alle acht Jahre neu normiert werden. Mittlerweile existieren zahlreiche auf dem von Wechsler entwickelten Schema beruhende Testverfahren mit teilweise leicht unterschiedlichen Schwerpunkten, das Ergebnis bezieht sich also immer auf den angewandten Test. Bis heute existiert keine wissenschaftlich anerkannte, eindeutige Definition der Intelligenz.
Bis in die 1990er-Jahre zeigte sich in der westlich orientierten Welt eine ständige Steigerung des IQ, wobei die Ursachen dieses „Flynn-Effekts“ nicht geklärt sind. Angenommen wurde, dass die verbesserte Schulbildung und die durch Massenmedien verfügbare Zunahme an Information dafür verantwortlich waren – gerade Letzteres darf heute mit Fug und Recht auch bezweifelt werden.
Beruhend auf der nun einigermaßen zufriedenstellenden Zuschreibung von mehr oder weniger Intelligenz wurde folgerichtig auch deren Gegenteil definiert, das im Lauf der Zeit unterschiedlich benannt wurde. Von der dahinterstehenden Vorstellung her ist der Begriff des „Schwachsinns“ leicht nachvollziehbar, heute aber aufgrund der abwertenden Konnotation und der allenthalben zelebrierten „political correctness“ des Sprachgebrauchs (die von Doris Lessing als die „direct continuation of the party line“, also die zeitgemäße Fortsetzung diktatorisch-politisch motivierter Sprachverbote, bezeichnet wurde) genauso verpönt wie die Geistesschwäche, die Idiotie oder die Dummheit.
Lange Zeit stritt man sich in Fachkreisen herum, ob die Dummheit Voraussetzung oder Folge psychischer Erkrankungen sei oder ob die Intelligenzstörung als Prinzipienfrage zu behandeln wäre. Manche erblickten ihren Ausgangspunkt im Auftreten von Wahnideen mit derart verquerer Logik, wie sie ein gesundes, mit allen