Paul Collier
Der hungrige Planet
WIE KÖNNEN WIR WOHLSTAND MEHREN, OHNE DIE ERDE AUSZUPLÜNDERN
Aus dem Englischen von
Martin Richter
Siedler
Die englische Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel »The Plundered Planet. How To Reconcile Prosperity With Nature« bei Allen Lane, London.
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Mai 2011
Copyright © Paul Collier 2010
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011
by Siedler Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Umschlaggestaltung: Rothfos + Gabler, Hamburg
Satz: Ditta Ahmadi, Berlin
ISBN 978-3-641-28504-3
V001
www.siedler-verlag.de
Für Stephanie (zwei Jahre) und Alexander (vier Jahre), die die natürlichen Ressourcen und Verbindlichkeiten erben werden, die wir ihnen hinterlassen, und die schon einiges über natürliche Unordnung wissen.
Vorwort
TEIL I
Die Ethik der Natur
KAPITEL 1
Armut und Plünderung
KAPITEL 2
Hat die Natur einen Preis?
TEIL II
Natur als Ressource
KAPITEL 3
Ein Fluch der Natur? Die politische Seite natürlicher Ressourcen
KAPITEL 4
Die Entdeckung natürlicher Ressourcen
KAPITEL 5
Die Aneignung natürlicher Ressourcen
KAPITEL 6
Der Verkauf des Familiensilbers
KAPITEL 7
Investieren in Investitionen
TEIL III
Die Natur als Fabrik
KAPITEL 8
Ist Fisch eine natürliche Ressource?
KAPITEL 9
Natürliche Verbindlichkeiten
TEIL IV
Die missverstandene Natur
KAPITEL 10
Natur und Hunger
TEIL V
Natürliche Ordnung
KAPITEL 11
Die Wiederherstellung der natürlichen Ordnung
Anhang
Literaturhinweise
Register
ICH WUCHS AUF, BEVOR WIR NATUR entdeckten. Heute ist weithin anerkannt, dass wir mit der Natur schlecht umgehen. Das Thema wird in Blogs und auf Kongressen diskutiert, und »Umweltwissenschaften« sind zu einem wichtigen Teil der Lehrpläne geworden. Als ich zur Schule ging, hieß das Fach noch »Naturkunde«, und wir schliefen die meiste Zeit. Während andere sich in ihrem Studium mit Umweltproblemen beschäftigten, entdeckte ich die Tragödie globaler Armut und gescheiterter Lebensläufe. Die Chancen, die sich mir eröffneten, hatten meine Eltern nicht. In der weltweiten Armut erkannte ich denselben Mangel an Chancen im größeren Maßstab.
Umweltschutz wirkte damals wie der Luxus von Menschen, die ihren Wohlstand für gottgegeben hielten. Die Wiederherstellung des natürlichen Gleichgewichts und die Bekämpfung der globalen Armut sind jedoch zu den beiden entscheidenden Herausforderungen unserer Zeit geworden. Beide Ziele haben ihre Verfechter, die sich oft feindlich gegenüberstehen. Manche Umweltschützer in der entwickelten Welt sehen es mit Argwohn, dass der Wohlstand sich weltweit verbreitet, und sagen, das Wirtschaftswachstum werde den Planeten zerstören. Umgekehrt betrachten in den ärmeren Ländern der Welt – der untersten Milliarde – viele Menschen den Umweltschutz mit Argwohn und deuten ihn als Versuch der reicheren Länder, ihnen den Wohlstand vorzuenthalten. Auch ich habe inzwischen, mit Verspätung, die Bedeutung der Natur erkannt. Dieses Buch spiegelt meinen Versuch wider, das Ziel des globalen Wohlstands mit einer ethischen Haltung gegenüber der Natur zu verbinden. Der Ökonom Nicholas Stern sagt zu Recht, dass diese beiden Ziele einander bedingen. Wenn wir weiterhin zulassen, dass das natürliche Gleichgewicht unserer Umwelt zerstört wird, verhindert das die Beseitigung der globalen Armut. Wenn aber ein Teil der Welt weiterhin marginalisiert wird, wird das die Zusammenarbeit verhindern, von der die Wiederherstellung des natürlichen Gleichgewichts auf unserem Planeten abhängt. Und die beiden Ziele sind durch etwas noch Wichtigeres verbunden als die Gefahr dieses doppelten Scheiterns. Die Natur ist das wichtigste Gut der ärmsten Länder; wenn man verantwortungsvoll mit ihr umgeht, wird sie den Aufstieg dieser Länder zum Wohlstand befördern. Doch das Streben nach Wohlstand erhöht die Gefahr, dass die Natur ausgeplündert wird. Das natürliche Gleichgewicht – der verantwortungsvolle Umgang mit der Natur – kann Wohlstand bringen, aber Wohlstand allein kann kein natürliches Gleichgewicht herstellen.
Die Spannung zwischen Wohlstand und Plünderung liegt inzwischen offen zutage. Die reißende Nachfrage nach Rohstoffen hat die Preise von Rohstoffen und Nahrungsmitteln in beispiellose Höhen getrieben. Erst eine globale Finanzkrise hat sie wieder etwas gesenkt. Umgekehrt hat der Preisanstieg einen neuen Wettlauf um Afrika eröffnet und Kapital auf den Kontinent gepumpt. China, der Gigant unter den Schwellenländern, betritt ohne den historischen Ballast des Kolonialismus die Weltbühne; tatsächlich haben viele Länder der untersten Milliarde China lange Zeit als Verbündeten angesehen. Doch aus Sicht der reichen Länder ist Chinas Engagement in Afrika nicht nur eine unerwünschte Konkurrenz. Sie droht auch internationale Bemühungen, nach Jahrzehnten der Korruption und Ausbeutung den Umgang mit Rohstoffindustrien zu reformieren, zu untergraben. Der chinesische Präsident hat Afrika mit der Botschaft »Wir stellen keine unbequemen Fragen« bereist. Wird China also die unterste Milliarde endlich von den zähen Überresten des Kolonialismus befreien oder diese Länder in eine dunkle Vergangenheit zurückstoßen?
Während die Schwellenländer im Ausland Ressourcen aufkaufen, stoßen ihre Industrien im Inland CO₂ aus. Über die nächsten 20 Jahre will China jedes Jahr mehr Kraftwerke bauen als England insgesamt besitzt. Das CO₂ droht den Planeten zu überhitzen. Doch die Bedrohung ist auch zur Einnahmequelle geworden. Durch den im Kyoto-Protokoll festgelegten Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (Clean Development Mechanism, CDM) erhalten chinesische Firmen Geld dafür, dass sie nicht noch mehr CO₂ ausstoßen – ein Mechanismus, der an Schutzgeldzahlungen erinnert. Aus Sicht der Schwellenländer ist die verspätete Sorge der reichen Gesellschaften wegen der Verschmutzung aber Heuchelei. Sie machen nur das, was die reichen Länder schon lange tun. Wenn die reichen Länder wollen, dass sie sich anders verhalten, müssen die reichen Länder die Kosten tragen.
Die zunehmende Knappheit natürlicher Ressourcen und der Klimawandel haben in reichen Gesellschaften eine Weltuntergangsstimmung erzeugt. Das ist Musik in den Ohren der Romantiker, die glauben, wir müssten unser Verhältnis zur Natur radikal verändern und den Konsum zurückfahren. Der globale industrielle Kapitalismus ist endlich am Ende und erstickt an seinen eigenen Widersprüchen. Von Prinz Charles bis zu Demonstranten auf den Straßen propagieren sie eine Zukunft, in der die Menschheit wieder im Einklang mit der Natur lebt. Der Lebensstil der Zukunft wird organisch, ganzheitlich, autark, lokal und überschaubar sein. Wir sollen nicht nur unser Leben völlig ändern, wir sollen auch unsere Schuld bekennen, indem wir den Rest der Welt dafür entschädigen, dass wir die Natur geplündert und den Planeten überhitzt haben.
Die Gegenposition zu den Romantikern ist eine ignorante Vogel- Strauß-Haltung. Wenn es einen Kampf um Ressourcen geben wird, so wird es vor allem darum gehen, ihn zu gewinnen. Wer bei den Ländern der untersten Milliarde auf gute Regierungsführung pocht, überlässt den Chinesen das Feld. Die Einschränkung unseres CO₂-Ausstoßes bedroht unseren Lebensstil unnötig. Vielleicht verschlechtert sich das Klima ja gar nicht, und die Zukunft kann ohnehin für sich selbst sorgen. Beide, Romantiker und Ignoranten, haben zur Hälfte recht.
Die Romantiker haben darin recht, dass unser Umgang mit der Natur sehr schlecht ist und unsere Praktiken nicht zu rechtfertigen sind. Ihre Gegner haben darin recht, dass viel von dem, was über die Natur gesagt wird, lächerlich frömmelnd ist und die reichen Länder als Bösewichte und den Rest der Welt als ihre Opfer darstellt. Solche Selbstgeißelung ist unnötig und kontraproduktiv, denn sie macht Gesellschaften, die unverzichtbare Partner bei Lösungen des Problems sein werden, zu passiven Empfängern unserer Großzügigkeit.
Doch beide Gruppen haben auch zur Hälfte unrecht. Beide können uns ins Unglück führen, wenn auch auf verschiedenen Wegen. Unter Leitung der Romantiker würde die Welt verhungern, unter Leitung der Ignoranten würde sie verdorren. Die Romantiker sind eine ernste Bedrohung für die globale Landwirtschaft. Die Ignoranten sind Komplizen bei der Plünderung unserer natürlichen Ressourcen. Die Entscheidungen, die wir jetzt fällen, müssen jedoch auf dem Verantwortungsgefühl gegenüber den Armen wie auch gegenüber der Zukunft beruhen, nicht auf purem Eigeninteresse. Kurz gesagt, Der hungrige Planet ist für Menschen geschrieben, die weder von frommem Ekel für die moderne Welt erfüllt, noch moralisch abgestumpft sind. Diese Menschen reagieren zunehmend ungeduldig auf die Flut an Moralpredigten über unsere Pflicht, die Natur in dem Zustand zu erhalten, in dem wir sie vorgefunden haben, sie erkennen aber auch, dass ein unbekümmertes Ignorieren der Natur große Risiken birgt.
Die Natur ist wichtig, und wir gehen schlecht mit ihr um. Das trifft die Bewohner der ärmsten Länder am stärksten. Für sie bietet die Ausgangslage zugleich eine Chance und eine Bedrohung von gewaltigem Ausmaß. Mein Thema ist nicht, wie die Natur als Wert an sich bewahrt werden kann, sondern wie sie dazu dienen kann, Gesellschaften aus der Armut zu führen, ohne allen anderen übergroße Lasten aufzubürden. Mein Leitstern für das, was vernünftigerweise von uns erwartet werden kann, ist jene gesunde Mischung aus Mitgefühl und Eigeninteresse, mit der wohl die meisten von uns versuchen, ihr Leben zu führen.
Die Chance, die die Natur den Ländern der untersten Milliarde bietet, liegt im enormen Wert ihrer natürlichen Ressourcen. Während des Rohstoffbooms der Jahre 2005 bis 2008 wurde auf dem Gebiet der ärmsten Länder der Erde allein Öl im Wert von rund einer Billion Dollar gefördert. Das Sprudeln des neuen Geldes hätte die Transformation dieser Länder finanzieren können. Einen ähnlichen, aber schwächeren Boom hatte es bereits in den siebziger Jahren gegeben. Wie inzwischen viele schmerzhaft erkannt haben, wurde damals eine Chance vertan: Die Einkünfte aus natürlichen Ressourcen wurden geplündert, teils durch ausländische Firmen, teils durch korrupte Politiker und auch durch öffentliche Kurzsichtigkeit. Mitunter nahm die Plünderung zerstörerische Ausmaße an und verwandelte die Chance in eine Katastrophe. Wie ich zeigen werde, ist selbst der Boom der Jahre 2005 bis 2008 nur ein Bruchteil der Einkünfte, die man mit Rohstoffen erzielen könnte. Die zentrale Frage ist, ob sich genug geändert hat, damit diese Mittel nicht verschwendet werden.
Der Rohstoffboom von 2005 bis 2008 war zwar eine gewaltige Chance, aber auch ein zweischneidiges Schwert, denn der Preisanstieg bei den Grundnahrungsmitteln traf die verletzlichsten Menschen auf der Welt. Slumbewohner in den großen Küstenstädten kauften ihre Lebensmittel zu Preisen, die vom Weltmarkt bestimmt wurden. Schon vor dem Preisanstieg waren solche Haushalte kaum über die Runden gekommen, weil sie die Hälfte ihrer Einkünfte für Lebensmittel ausgaben. Im Lauf der Jahrhunderte ist von hungrigen Slumbewohner immer wieder politischer Protest ausgegangen. Wenn die Preise stiegen, wurden Hauptstädte von Unruhen erschüttert und manchmal Regierungen gestürzt, wie zum Beispiel in Haiti. Der globalen Landwirtschaft war es nicht gelungen, mit der weltweiten Nachfrage Schritt zu halten.
Der Klimawandel verschärft die Nahrungsmittelknappheit noch. Für die unterste Milliarde ist die Erderwärmung kein langsamer Vorgang, sie bekommen die Folgen der Überhitzung als erste zu spüren. Das Klima in diesen Ländern ist jetzt schon zu heiß, und die meisten Modelle sagen voraus, dass es sich schneller und drastischer verschlechtert als in anderen Regionen. In Afrika, wo sich die meisten Länder der untersten Milliarde befinden, erwärmt sich das Klima bereits jetzt. Diese Länder sind doppelt gefährdet: Sie spüren nicht nur den Klimawandel am heftigsten, ihre agrarischen Volkswirtschaften sind auch stärker vom Klima abhängig als die von Industrie und Dienstleistungen geprägten Volkswirtschaften der reicheren Länder.
Doch dies eröffnet den Ländern der untersten Milliarde auch eine potenzielle Chance. Der Klimawandel wird von der unkontrollierten Zunahme einer natürlichen Verbindlichkeit angetrieben: Kohlendioxid. Wegen ihrer Armut stoßen die armen Länder wenig CO₂ aus, und als Teil eines globalen Deals könnten sie Emissionsrechte erwerben, die den früheren Emissionen der reichen Länder entsprechen. Der Verkauf von Emissionsrechten würde zu einem neuen natürlichen Vermögenswert.
Potenziell sind die Chancen weit größer als die Gefahren. Die Gefahren durch die Natur sind nicht unausweichlich, sie entstehen, weil viele natürliche Ressourcen der Plünderung besonders stark ausgesetzt sind. Plünderung ist ein ökonomisches Phänomen: Bei falschen Anreizen werden natürliche Ressourcen verschleudert und natürliche Verbindlichkeiten ohne nötige Vorsorge für die Zukunft angehäuft. Doch wenn man ökonomisches Handeln verstanden hat, kann man es verändern.
In einer idealen Welt würden sich die großen Forschungszentren, die sich der Probleme der untersten Milliarde widmen, auch in diesen Ländern befinden. Aber in einer idealen Welt gäbe es keine unterste Milliarde. Die Armut dieser Gesellschaften hat dazu geführt, dass ihre Universitäten ein Leben an den Rändern der internationalen Forschungslandschaft fristen, während ihre besten Köpfe von reicheren Institutionen in anderen Ländern abgeworben werden. Die ernsthafte Forschung über die ärmsten Gesellschaften und darüber, wie sich die Natur am besten zu ihrem Vorteil nutzen lässt, konzentriert sich deswegen in einigen wenigen Universitäten in Nordamerika und Europa.
Oxford ist eines dieser Zentren, das Wissenschaftler aus der ganzen Welt anzieht. Mein Team junger Forscher ist hierfür ein Beispiel, und dieses Buch basiert weitgehend auf ihrer Arbeit: Stefan Dercon stammt aus Belgien, Benedikt Goderis aus Holland, Anke Hoeffer aus Deutschland, Victor Davies aus Sierra Leone, Lisa Chauvet und Marguerite Duponchel aus Frankreich und Chris Adam, wie ich, aus England. Ein großer Teil der intellektuellen Arbeit wurde aber von meinem Kollegen Tony Venables geleistet; es gibt kaum eine Idee in diesem Buch, die wir nicht gemeinsam entwickelt oder diskutiert haben. Für die Ideen ist Tony zwar mitverantwortlich, für die Fehler bei der Ausführung aber ich allein. Ich habe versucht, diese Ideen aus der präzisen, aber schwer verständlichen Sprache der modernen Wirtschaftswissenschaft in eine Form zu übersetzen, die auch außerhalb des engen Zirkels an Fachleuten gelesen werden kann.
Um ein Buch zu schreiben, braucht man Ruhe. Die unerwartete Ankunft von Alex und Stephanie brachte eine frohe natürliche Unordnung in unser Leben. Innerhalb dieser Unordnung schuf meine Frau Pauline eine kleine Festung, in der Der hungrige Planet entstehen konnte. Sie ist Umwelthistorikerin, darum habe ich auch ihre Ideen geplündert. Tatsächlich könnte unsere Ehe eine Metapher für das größere Thema dieses Buches sein: wie Umweltschützer und Ökonomen von einem Bündnis profitieren können.
DIE UNTERSTE MILLIARDE IST VOM globalen Wohlstand ausgeschlossen. Der Alltag für diese Menschen ist heute die Armut; die Frage ist, ob Armut auch das Schicksal ihrer Kinder sein wird. Der Weg, den der Rest der Welt einschlug, um sich aus der Armut zu befreien – die Industrialisierung –, erweist sich für diese Nachzügler als viel schwieriger zu beschreiten. Die Industrie ist globalisiert, und Chinas Kombination aus gewaltigen Stückzahlen und niedrigen Löhnen macht es gegenüber neuen Konkurrenten extrem wettbewerbsfähig. Die Landwirtschaft bietet den ärmsten Ländern nur geringe Aussichten. In Afrika, wo die Mehrzahl der untersten Milliarde lebt, ist die landwirtschaftliche Produktivität bereits weit hinter internationale Standards zurückgefallen. Die globale Erwärmung wird den Abstand wahrscheinlich weiter vergrößern und Afrika noch heißer und trockener machen, während sie gleichzeitig große Teile Nordamerikas und Eurasiens erwärmt, die jetzt noch zu kalt für die Landwirtschaft sind. Auch durch Entwicklungshilfe ist die unterste Milliarde wohl nicht zu retten; Entwicklungshilfe wird zunehmend attackiert, manchmal mit gutem Grund, und schrumpft wegen der Notwendigkeit, Haushaltsdefizite zu senken.
Doch die Länder der untersten Milliarde besitzen eine Rettungsleine: die Natur. Sie hat das Potenzial, die meisten von ihnen aus der Armut zu befreien. Jedoch liegt die Natur nicht auf einem Silbertablett. Die Menschheit wurde nicht in einen Garten Eden hineingeboren, sondern in eine unwirtliche Umgebung, in der wir kämpfen mussten, damit einige wenige von uns überleben. Durch den technologischen Fortschritt ist die Natur für die Menschheit nach und nach immer wertvoller geworden. Technologie macht die Natur zu einem Vermögenswert, und allein die Technologie macht diese Vermögenswerte für eine Gesellschaft potenziell wertvoll. Natürliche Vermögenswerte haben keine natürlichen Eigentümer, und wenn sie an Wert gewinnen, können sie einen Kampf um ihren Besitz auslösen, bei dem ihr Wert von den Kosten des Kampfes aufgefressen wird. Die Vorgeschichte des Menschen war gewalttätig; manche Anthropologen schätzen, dass rund 40 Prozent aller Todesfälle in jener Zeit gewaltsam eintraten. Als technische Entdeckungen seltenen Naturphänomenen wie Feuersteinen einen Wert verliehen, war der Kampf um ihren Besitz unvermeidlich. Das ökonomische Einmaleins lehrt uns, dass der Wert der Anstrengung, die für die Inbesitznahme natürlicher Vermögenswerte aufgewendet wurde, anstieg, bis er etwa genauso groß war wie der Wert dieser Ressourcen. Moderne Versionen dieses Kampfes um begehrte Rohstoffe sind meist weniger gewalttätig, obwohl uns inzwischen Methoden des Tötens zur Verfügung stehen, die die Möglichkeiten der Steinzeit weit übertreffen. Aber selbst wenn diese Kämpfe gewaltlos sind, gelten für sie dieselben ökonomischen Grundsätze; sie können für das Land, in dem sich die Ressourcen befinden, außerordentlich kostspielig sein. Wenn Förderfirmen routinemäßig seine Minister bestechen, um die Rechte zur Ausbeutung seiner Natur zu bekommen, wird die politische Macht so wertvoll, dass alles ihrem Erwerb untergeordnet wird. Staatsausgaben werden zur Vetternwirtschaft genutzt, Gesetze und Gerichte verwandeln sich in Instrumente zur Belohnung von Unterstützern und Bestrafung von Gegnern.
Technologie macht die Natur zu Ressourcen, doch deren Wert für die Gesellschaft ist nur potenziell. Damit natürliche Ressourcen wirklich wertvoll werden, statt im Machtkampf vergeudet zu werden, muss ihr Eigentumsrecht geregelt werden. Die Herausforderung, die Natur nutzbar zu machen, lässt sich in einer einfachen Formel zusammenfassen, einer Formel, die von der ganzen Welt und vor allem von den ärmsten Ländern verwirklicht werden muss: Natur + Technologie + Regeln = Wohlstand.
In den Gesellschaften der untersten Milliarde ist diese Gleichung meist nicht erreicht worden, obwohl die Technologie immer mehr natürlichen Ressourcen auf ihrem Territorium Wert verleiht. Coltan, ein Rohstoff, von dem die Demokratische Republik Kongo sehr viel besitzt, wurde durch die Erfindung des Handys wertvoll, für das es unverzichtbar ist. Durch Fortschritte in der Kupferverhüttung lassen sich Erzvorkommen in Sambia profitabel abbauen, die früher als unwirtschaftlich galten. Doch Technologie ist wankelmütig; sie kann nicht nur Werte schaffen, sondern auch vernichten. Nitrate und Guano-Dünger waren das Erdöl des 19. Jahrhunderts, inzwischen haben moderne Techniken Ersatz für sie entwickelt, was wohl auch mit dem Erdöl geschehen wird. Und Technologie kann die Natur zerstören: die Technologie, die uns billige Energie gegeben hat, hat uns auch das Kohlendioxid beschert, das unseren Planeten erhitzt.
Obwohl die Wankelmütigkeit der Technologie, wie wir gesehen haben, zum Problem werden kann, sind die größten Fehlentwicklungen aus dem Fehlen von Regeln entstanden. Auf der ganzen Welt sehen die Menschen jetzt, wie wichtig Regeln sind, nicht zuletzt wegen der weltweiten Wirtschaftskrise, die aus der unzureichenden Regulierung der Finanzmärkte entstand. Ökonomen betrachteten Regulierungen mit Feindseligkeit, und zwar weit über die Finanzmärkte hinaus; wir alle waren vom Zauber des Marktes gefangen. Als Joseph Stiglitz mich an die Weltbank holte, um die Forschungsabteilung zu leiten, hörte ich sogar einmal einen Vortrag zu der Frage, warum es keine Sicherheitsverordnungen für Rummelplätze geben sollte. Inzwischen erkennt die Zunft widerwillig an, dass ihre ideologische Opposition gegen jede Regulierung übertrieben war. Ohne Regulierung lässt sich das Potenzial natürlicher Ressourcen nicht erschließen, und natürliche Verbindlichkeiten wie Kohlendioxid können so gefährlich werden, dass sie ausnahmsweise den abgedroschenen Begriff »Massenvernichtungsmittel« rechtfertigen.
Regulierung erfordert gute Regierungsführung. Die natürlichen Vermögenswerte der Erde liegen zum größten Teil auf und unter dem Land, das von den 194 Regierungen der Welt kontrolliert wird, die sich in Kompetenz und Verantwortlichkeit gegenüber ihren Bürgern stark unterscheiden. Die Landfläche des Planeten kann man gedanklich in vier gleiche Quadranten einteilen. Die entwickelten Länder der OECD, die etwa 80 Prozent der Weltwirtschaft ausmachen, kontrollieren einen dieser vier Landquadranten. Am anderen Ende des Spektrums machen die Länder, die von der Entwicklung abgekoppelt sind – die unterste Milliarde –, nur 1 Prozent der Weltwirtschaft aus, nehmen aber ebenfalls einen Quadranten ein. Der dritte Quadrant gehört Russland, China und ihren Satellitenstaaten. Der vierte sind alle anderen Staaten, im Wesentlichen die Schwellenländer. In jeder dieser vier politischen Arenen hängt die globale natürliche Ordnung davon ab, dass die Anreize zur Plünderung der Ressourcen durch eine effektive Regulierung in Schranken gehalten werden.
Regulierung erfordert gute Regierungsführung, aber in die meisten Gesellschaften der untersten Milliarde wird nicht gut regiert. Die Folge daraus lässt sich in eine weitere einfache Formel fassen: Natur + Technologie – Regulierung = Plünderung. Plünderung war bislang der bestimmende Faktor beim Umgang mit natürlichen Ressourcen in den ärmsten Gesellschaften. Was als Rettungsleine hätte dienen können, an der diese Gesellschaften sich aus der Armut ziehen, erwies sich stattdessen als vergeudete Chancen. Mit einfachen ökonomischen Überlegungen wird schnell klar, dass der Wert natürlicher Vermögenswerte durch einen ebenso kostspieligen Kampf um ihren Besitz verschwendet wird, jedoch zeigt eine weitergehende Analyse, dass das Resultat sogar noch schlimmer sein kann. Denn die ökonomischen Grundregeln beziehen nur die Kosten für die Beteiligten, aber nicht für die Außenstehenden in die Berechnung ein. Wegen dieses negativen Potenzials kann die Entdeckung von Ressourcen sich für ein Land als Fluch erweisen. Obwohl die Gesellschaften der untersten Milliarde durch Plünderung am stärksten gefährdet sind, können auch Länder mit mittlerem Einkommen in Gefahr geraten. Der frühere mexikanische Präsident Ernesto Zedillo sieht die Ursache für die Tragödie, in der die mexikanische Gesellschaft sich befindet, im Erdöl. Es hat die Gesellschaft heruntergezogen, statt die Wirtschaft in die Höhe zu ziehen.
Schlechtes Management natürlicher Ressourcen kommt auch in den wohlhabenden OECD-Staaten vor. Auf nationaler Ebene ist die Regierungsführung meist zufriedenstellend, aber das endet an der Grenze. Manchmal jedoch respektiert die Natur keine Grenzen. Bei natürlichen Ressourcen und Verbindlichkeiten, die global sind, wie den Fischen im Ozean und dem CO₂ in der Atmosphäre, ist Plünderung im Moment die Regel. Tatsächlich sind die eifrigsten Plünderer dieser globalen Ressourcen die Firmen und Bürger der reichen Länder. Auch hier ist Regulierung notwendig, aber die meisten Ökonomen haben Zweifel, ob sich das bewerkstelligen lässt, und zwar nicht ohne Grund: Regeln werden nicht von platonischen Wächtern gemacht, die unsere Gesellschaften weise lenken, sondern entstehen aus politischen Machtverhältnissen. Eine gut funktionierende Demokratie formuliert die Regeln, die die meisten Menschen wollen, aber was Menschen wollen, hängt von dem ab, was sie verstehen. Ich schrieb Die unterste Milliarde, weil ich merkte, dass demokratische Regierungen sich so lange auf Lippenbekenntnisse beschränken würden, bis die Bürger besser über die besonderen Probleme der ärmsten Länder informiert wären. Die Regierungen veranlassten lieber Maßnahmen, die in den Schlagzeilen gut aussahen, als effektivere Maßnahmen vorzuziehen, die jedoch zu kompliziert waren, um verstanden und gewürdigt zu werden. In einer Demokratie kann die Regulierung der Natur nur so gut sein, wie die Gesellschaft versteht, warum sie notwendig ist. Die Regeln für die Natur werden jedes Missverständnis widerspiegeln.
In den reichen Ländern, wo Jahrzehnte beispiellosen Wirtschaftswachstums zu raschem sozialen Wandel geführt haben und die Religiosität verblasst ist, ist die Natur zur letzten Konstante geworden. Sie gilt als bedroht durch den Vormarsch von Wissenschaft und Technik. Die »Geburt der Moderne« wird gewöhnlich auf das Ende der napoleonischen Kriege 1815 datiert. In dieser Epoche wurde die Natur in die Diagnose des Unbehagens mit der Kultur einbezogen. Schon 1770 hatte der deutsch-französische Aufklärungsphilosoph Baron Paul Thiry d’Holbach geschrieben: »Der Mensch ist nur unglücklich, weil er die Natur nicht versteht.« Wenn wir nur zurück zur Natur könnten, müssten wir uns nicht mehr auf die Couch des Psychiaters legen. Je weiter uns der Wohlstand von der Natur entfernt hat, desto mehr fordern wir, dass die Regierung sie vor der Wissenschaft schützt. Und je emotionaler das Thema, desto vehementer wird dies gefordert, wie bei der Debatte um die Stammzellforschung und gentechnisch veränderte Lebensmittel.
Als wirtschaftliche Aktivität, die am direktesten in die Natur eingreift, ist die Landwirtschaft zum Hauptangriffsziel dieser Gefühle geworden. Doch die Missverständnisse normaler Bürger bieten fruchtbare Chancen für Sonderinteressen: Regulierung schützt nicht nur, sie verteilt auch um. Regeln lassen sich von Interessengruppen zu ihrem Vorteil manipulieren, und in den reichen Ländern hat die Agrarlobby von populären Missverständnissen profitiert, die sich über die Entwicklungshilfe bis nach Afrika auswirken. Mit ihrem ökologischen Anbau, der Produktion für die Selbstversorgung und im Familienverbund werden die Kleinbauern in den Entwicklungsländern als letzte Bastion des prätechnologischen, präkommerziellen und präindustriellen Lebens angesehen, eine »bäuerliche« Lebensweise, die erhalten werden muss. Während bäuerliche und industrielle Lebensweise weiter auseinanderlaufen und damit das Wachstum unserer Wirtschaft und die Stagnation der Ihren widerspiegeln, ist die bäuerliche Lebensweise zum Symbol eines harmonischen Lebens geworden. Die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in der Entwicklungspolitik engagieren sich zwar für die Armutsbekämpfung, sind aber auch Ausdruck der Umweltdebatten in den reichen Ländern, die sie finanzieren. Die Haltung der NGOs gegenüber einer lokalen Agrarwirtschaft grenzt darum mitunter ans Schizophrene: Sie wollen beides zugleich – Wandel und Bewahrung.
Die Opfer der heutigen Beschränkung der Stammzellforschung sind die unheilbar Kranken von morgen. Aber die Opfer der wissenschaftsfeindlichen, pro-bäuerlichen Regulierung der Landwirtschaft sind die Armen von heute. Der Widerstand gegen neue Anbautechniken und die Kommerzialisierung der afrikanischen Landwirtschaft hat den Preisanstieg von Lebensmitteln befördert, und Lebensmittel sind der größte Ausgabenposten armer Haushalte. Hier also ist eine letzte Formel: Natur + Regulierung – Technologie = Hunger.
Umweltschützer gegen Ökonomen?
UMWELTSCHÜTZER UND ÖKONOMEN sind sich spinnefeind. Umweltschützer sehen Ökonomen als Söldner einer Kultur der Gier, als Cheerleader eines nicht nachhaltigen Wohlstands. Ökonomen hingegen betrachten Umweltschützer als romantische Reaktionäre, die auf die Bremse des wirtschaftlichen Motors treten wollen, der endlich die globale Armut zu mindern beginnt.
Dieses Buch vertritt die These, dass Umweltschützer und Ökonomen einander brauchen. Sie brauchen einander, weil sie in einem Krieg, den sie zu verlieren drohen, auf derselben Seite stehen. Die Natur wird geplündert; die natürlichen Ressourcen werden weniger, und natürliche Verbindlichkeiten werden auf eine Art akkumuliert, die Umweltschützer genau wie Ökonomen als unethisch beurteilen würden. Doch die Notwendigkeit einer Allianz zwischen Umweltschützern und Ökonomen erwächst nicht nur aus der praktischen Notwendigkeit, eine Niederlage abzuwenden. Sie brauchen einander auch intellektuell.
2009 untersuchte Sir Partha Dasgupta, ein Ökonom aus Cambridge, umfassend, welche Rolle Natur in den Analysen der Wirtschaftswissenschaft einnimmt. Er kam zu dem Schluss, sie bleibe »isoliert vom Hauptstrom des zeitgenössischen ökonomischen Denkens«. Selbst wenn Ökonomen die Natur in ihre Überlegungen einbeziehen, behandeln sie sie wie jeden anderen Vermögenswert: Natürliches Kapital ist für sie einfach Teil des Grundkapitals und dazu da, zum Wohle der Menschheit ausgebeutet zu werden.
Seit dem Stern-Report über die wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels aus dem Jahr 2006 ist ein Aspekt unserer Umwelt – ihre Erwärmung – plötzlich in den ökonomischen Mainstream eingedrungen. Lord Nicholas Stern ist so angesehen, dass die Wirtschaftswissenschaft gezwungen war, den Kosten der globalen Erwärmung und den Möglichkeiten, diese zu vermeiden, größere Aufmerksamkeit zu schenken. Dies führte zu einem erbitterten Kampf unter Ökonomen, da unterschiedliche Modelle zu weit auseinanderliegenden Ergebnissen geführt haben. Wie Stern aber betont, sind die Kernfragen nicht technischer, sondern ethischer Natur. Politische Entscheidungen sollten von der Verantwortung der heutigen Generation gegenüber der Zukunft ausgehen. Doch der Mainstream der Wirtschaftswissenschaft hat sich dem Klimawandel mit einem ethischen Rahmen genähert, der gegenüber der Natur schlicht unzureichend ist, weil er Rechte ignoriert. Rechte sind für die Ethik der Natur von zentraler Bedeutung; die Rechte der Gegenwart gegenüber der Zukunft und meine Rechte gegenüber deinen. Umweltschützer bringen eine fundamentale Einsicht mit, die Ökonomen bislang ignoriert haben. Die Natur ist etwas Besonderes: Unsere Rechte über die Natur sind nicht dieselben wie über die menschengemachte Welt. Ökonomen benötigen diese Einsicht, wenn sie die ethischen Voraussetzungen ihrer Modelle überdenken.
Es wird die meisten Menschen nicht überraschen, dass Ökonomen eine Dosis Ethik gut gebrauchen könnten. Umfragen zufolge haben Wirtschaftsstudenten ein ausgeprägteres Eigeninteresse als andere Studenten. Entweder ziehen Wirtschaftswissenschaften die Egoisten an, oder, schlimmer noch, sie lehren Habgier. Ökonomen setzen tatsächlich voraus, dass Menschen nur am eigenen Konsum interessiert sind, aber paradoxerweise beurteilen Ökonomen die Welt nach einem ethischen Maßstab, der extrem selbstlos ist: dem Utilitarismus. In der Form, wie ihn die Ökonomen adaptiert haben, ist der Utilitarismus ein strenges, universales Wertsystem mit unerfüllbaren Ansprüchen; er bewertet sogar Nichtökonomen als egoistisch. Angesichts des Abgrunds zwischen den Werten, nach denen Ökonomen die Welt beurteilen, und den Werten, die sie gewöhnlichen Menschen zuschreiben, kommen viele Ökonomen zu dem Schluss, man könne gewöhnlichen Menschen nicht zutrauen, die Interessen der Zukunft angemessen zu schützen, denn sie steckten den Kopf in den Sand. Ökonomen teilen Platons Überzeugung, dass die ideale Regierung aus weisen Wächtern bestehen sollte, obwohl sie in der Rolle der Wächter natürlich lieber Ökonomen als Philosophen sehen würden. Aber indem sie fordern, die Demokratie außer Kraft zu setzen, geraten Ökonomen nur noch tiefer in ethische Schwierigkeiten. Außerdem ist ihre Haltung unrealistisch. Die Prioritäten von Regierungen spiegeln unausweichlich die Präferenzen ihrer Bürger wider.
Doch auch hierin kann der Ökonom viel vom Umweltschützer lernen. Einer der Grundtexte des modernen Umweltdenkens ist Unsere ausgeplünderte Erde von Fairfield Osborn. Osborn, der damals Präsident der Zoologischen Gesellschaft in New York war, veröffentlichte sein Buch 1948 (auf Deutsch 1950), um gewöhnlichen Bürgern die Ausbeutung der Natur vor Augen zu führen.
Das vorliegende Buch plädiert für eine Synthese der praktischen Wertesysteme von Umweltschützern und Ökonomen. Umweltschützer haben recht darin, dass jede Generation für die natürlichen Ressourcen (im Gegensatz zu anderen Vermögenswerten) eine besondere Verantwortung trägt. Ökonomen hingegen haben darin recht, dass die Natur ein Vermögenswert ist, der für das Wohl der Menschheit genutzt werden sollte. Wie sind keine Wächter der Natur, die die Natur als Selbstzweck erhalten. Wir sind nicht ethisch verpflichtet, jeden Tiger oder jeden Baum zu schützen. Wir sind Bewahrer des Werts natürlicher Ressourcen. Wir sind ethisch verpflichtet, an künftige Generationen einen gleich großen Wert an natürlichen Vermögenswerten weiterzugeben, wie wir ihn selbst von vorangegangenen Generationen erhalten haben. Die Natur überträgt uns tatsächlich Verpflichtungen, aber diese sind im Wesentlichen ökonomisch.
In der vorgeschlagenen Allianz von Umweltschützern und Ökonomen sind die gemeinsamen Feinde die Ignoranten und die Romantiker. Die Ignoranten plündern die Natur. Manchmal ist diese Plünderung sofort als unethisch erkennbar, häufiger jedoch verstecken sich die wahren Folgen eines scheinbar legitimen Handelns in einer Kette von Entscheidungen. Infolgedessen wird die Plünderung als solche kaum erkannt. In den Ländern der untersten Milliarde existiert eine komplexe Entscheidungskette, die dazu führt, dass die natürlichen Ressourcen gefördert werden, ohne einen nachhaltigen Nutzen für die einfachen Bürger zu erzeugen. In den reichen Ländern entstehen aus Handlungen, die bis vor kurzem harmlos schienen, natürliche Verbindlichkeiten. In beiden Fällen sind sich die Täter ihrer Schuld kaum bewusst. Die Romantiker wollen das Potenzial der Natur nicht anzapfen; sie soll bewahrt, nicht genutzt werden. Die Rettungsleine für die unterste Milliarde kann so nicht ergriffen werden.
Die ärmsten Länder brauchen rasches Wirtschaftswachstum, und das erzeugt eine potenzielle Spannung zwischen der Armutsbekämpfung einerseits und dem Naturschutz andererseits. Umweltschützer hatten recht, wenn sie betonten, wirtschaftliche Entwicklung müsse nachhaltig sein, aber Ökonomen tragen die Einsicht bei, dass Nachhaltigkeit etwas anderes ist als die Erhaltung der Natur. Wenn Umweltschützer darauf beharren, jeder Aspekt der Natur müsse erhalten bleiben, werden sie sich im Kampf gegen die globale Armut auf der falschen Seite wiederfinden.
Die Befürworter von Plünderung und Romantik sind gerade deshalb so lautstark, weil normale Bürger zu wenig über die Chancen und Bedrohungen der Natur informiert sind, um Regierungen zu wirksamer Regulierung zu zwingen. Um die Bürger gut zu informieren, muss man auf einer Ethik der Natur aufbauen, die Menschen in Gesellschaften mit sehr unterschiedlichen Wertesystemen verstehen und akzeptieren können. Weder die romantische Variante des Umweltschutzes, die die Natur als Selbstzweck ansieht, noch der strenge Universalismus des ökonomischen Utilitarismus kann eine solche ethische Grundlage liefern. Die schwierigsten Kriege sind die, bei denen man an zwei Fronten zugleich kämpfen muss. Es ist direkter, dramatischer und psychologisch befriedigender, nur einen Feind zu haben. Meinungen können dann auf einem Spektrum angeordnet werden, mit dem Guten und Wahren am einen Ende und dem Bösen und Falschen am anderen. Die Romantiker unter den Umweltschützern und die utilitaristischen platonischen Wächter unter den Ökonomen sehen die Natur als einen Einfrontenkrieg. Die Romantiker sehen das Wirtschaftswachstum als Feind, die platonischen Wächter sehen die Werte der gewöhnlichen Bürger als Feind. Die meisten Kämpfe in der Entwicklungspolitik verlaufen aber entlang anderer Frontlinien: Die Vernunft liegt eher in der Mitte als an den Extrempunkten. Die Entwicklungshilfe ist ein Beispiel, denn sie ist weder ein Allheilmittel noch eine Bedrohung.
In diesem Buch versuche ich, die Ausbeutung der Natur und ihrer Ressourcen als Zweifrontenkrieg darzustellen, und das, was gegenwärtig Niemandsland ist, in einen Ort zu verwandeln, wo sich alle außer Romantikern und Ignoranten heimisch fühlen können. Romantiker und Ignoranten appellieren an starke Emotionen, Erstere an Schuld, Furcht und Nostalgie, Letztere an Habgier und Optimismus. Aber diese Auseinandersetzung muss nicht zwangsläufig sein: Wirksame Lösungen für drängende, scheinbar unlösbare Probleme liegen dort, wo sie immer liegen – in der Mitte.