rowohlts monographien
begründet von Kurt Kusenberg
herausgegeben von Uwe Naumann
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Juli 2021
Copyright © 1992 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Für das E-Book wurde die Bibliographie aktualisiert, Stand: Juli 2021
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Redaktionsassistenz Katrin Finkemeier
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Coverabbildung picture-alliance/Sven Simon (Andy Warhol, Februar 1976)
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ISBN 978-3-644-01023-9
www.rowohlt.de
Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.
ISBN 978-3-644-01023-9
Die ruthenische Kirche ist eine seit dem 16. Jahrhundert mit der römisch-katholischen Kirche vereinigte Kirche des byzantinisch-slawischen Ritus, deren Anhänger im Grenzgebiet zwischen Weißrussland und der Westukraine, in Transkarpatien und der Ostslowakei lebten. Heute wird die Bezeichnung «ruthenisch» hauptsächlich für die Glaubensgemeinschaft der in die USA emigrierten Katholiken aus Transkarpatien gebraucht.
Andy Warhol: THE Philosophy of Andy Warhol. From A to B and Back Again. New York 1975. Deutsch: Die Philosophie des Andy Warhol von A bis B und zurück. Aus dem Amerikanischen von Regine Reimers. München 1991, S. 28
Ebd.
Ebd., S. 28
Andy Warhol: America. New York 1985
Warhol: Die Philosophie, S. 28
«Rudolph, the rednosed reindeer» – «Rudolph, das rotnasige Rentier» – diente in den dreißiger Jahren als Maskottchen eines Kaufhauses während des Weihnachtsgeschäfts. Um das Maskottchen entstand ein Weihnachtslied über die Ankunft des Weihnachtsmanns in einem von Rentieren gezogenen Schlitten, das durch den seinerzeit populären Sänger Bing Crosby geradezu zu einem amerikanischen Volkslied wurde.
Zitiert nach Nathan Rosenthal: Let Us Now Praise Famous Men: Andy Warhol as Art Director. In: Gary Garrels (Hg.): The Works of Andy Warhol. Washington 1989, S. 38
Ebd, S. 39
Für eine detaillierte Beschreibung der Lehrmethode von Robert Lepper am Carnegie Institute of Technology siehe Rainer Crone: Andy Warhol. Das zeichnerische Werk 1942–1975. Stuttgart 1976
Warhol: Die Philosophie, S. 28
Ebd.
Ebd., S. 29
Ebd., S. 31
Ebd., S. 146
G.R. Swenson: What Is Pop Art? Answers from 8 Painters. In: Art News 62, November 1963, S. 26
Der Begriff «Serendipity», den der Schriftsteller und Humorist Horace Walpole prägte, bedeutet die Gabe, durch Zufall glückliche und unerwartete Entdeckungen zu machen.
Warhol: Die Philosophie, S. 71
Ebd., S. 89
Eine Legende besagt, dass James Dean bei seinem Autounfall am Abend des 30. September 1955 nicht getötet wurde, sondern ihn schwer verletzt überlebt habe. Er wurde wieder zusammengeflickt, hatte aber keine Haare mehr, und sein Gesicht war entstellt, sodass an eine Hollywood-Karriere nicht mehr zu denken war. Er trug nun eine grau-weiße Perücke und eine Brille mit dicken Gläsern, ging an die Ostküste und ließ sich in New York nieder, wo er zu zeichnen begann. Mit einem Selbstporträt, das ihn vor dem Unfall in einer typischen Pose zeigt, wurde er berühmt und starb unter dem Namen Andy Warhol am 22. Februar 1987. Diese Legende ist deshalb interessant, weil sie die untergründige Verbindung zwischen dem Kinostar und dem Kunststar aufdeckt.
Vgl. Andy Warhol: POPism. The Warhol ’60 s. New York 1980, S. 5
Warhol: Die Philosophie, S. 105
Warhol: POPism, S. 17
Warhol: Die Philosophie, S. 62
Muriel Latow wurde unter dem Namen Roberta Latow zu einer bekannten Autorin von Unterhaltungsromanen. Ihren Roman «Cheyney Fox» (1990) siedelte sie in der New Yorker Kunstszene an und versah eine der Figuren mit dem Namen Andy Warhol.
Warhol: POPism, S. 18
Swenson: What Is Pop Art?, S. 62
Warhol: Die Philosophie, S. 104f.
Coca-Cola kam 1886 auf den Markt und fand bald viele Nachahmer. 1910 versuchte die Firma durch eine neue Flaschenform die Imitationen aus dem Markt zu drängen. Alex Samuelson von der Root Glass Company in Terre Haute, Indiana, entwarf die bekannte gerippte Flasche und verhalf der braunen Brause damit zur Weltherrschaft. In der Geschichte des Industriedesigns gilt die Coca-Cola-Flasche als die erste Verpackung, die einem Produkt eine unverwechselbare Identität gab.
Warhol: POPism, S. 6
The Slice-of-Cake-School. In: Time Magazine, 11. Mai 1962
Gretchen Berg: Nothing to Loose: Interview with Andy Warhol. In: Cahiers du Cinéma in English, Nr. 10, Mai 1967, S. 2
1962 stammten vier Fünftel aller in den USA verkauften Fertigsuppen von Campbell.
Warhol: POPism, S. 22
Warhol: Die Philosophie, S. 146
Thomas B. Hess: New Realists. In: Art News, Dezember 1962, S. 12
Warhol: Die Philosophie, S. 133
Eleanor Ward stammte von der Upper East Side, einer der besseren Wohngegenden Manhattans, hatte eine kleine Karriere in der Werbebranche gemacht und ging als Assistentin von Christian Dior nach Paris. 1953 kehrte sie nach New York zurück und eröffnete in einem ehemaligen Pferdestall in der 58th Street West die Stable Gallery. Zu Wards «Stall» gehörten berühmte Künstler wie Joseph Cornell, Isamu Noguchi, Robert Indiana, Marisol, Cy Twombly. 1960 zog die Galerie in die 74. Straße, ins Erdgeschoss eines Stadthauses, behielt aber den legendär gewordenen Namen.
Warhol: POPism, S. 25
Swenson: What Is Pop Art?, S. 43
Warhol: POPism, S. 17
Swenson: What Is Pop Art?, S. 48
Berg: Nothing to Loose, S. 3
Warhol: Die Philosophie, S. 57. Warhols Bild von Marilyns Lippen steht in ironischer Beziehung zu den dadaistischen Lippen-Bildern von Man Ray, in denen dieser die Lippen des berühmten Pariser Modells Kiki de Montparnasse isolierte, vergrößerte und sowohl einzeln abbildete («Kikis Lippen», 1925, und «Ohne Titel», 1930) als auch über eine Landschaft montierte («A l’heure de l’observatoire», 1934).
Warhol: POPism, S. 33
Ebd., S. 50
Berg: Nothing to Loose, S. 8
Warhol: POPism, S. 42
Ebd.
Warhol: Die Philosophie, S. 32
Swenson: What Is Pop Art?, S. 26
Warhol: POPism, S. 60
Berg: Nothing to Loose, S. 21
Ebd., S. 39
Aber das Wort passte zu gut zu Hollywood, als dass es dort ungenutzt geblieben wäre. Als Bezeichnung für besonders berühmte, besonders begehrte Schauspieler ist diese Bezeichnung in den amerikanischen Wortschatz eingegangen.
Andy Warhol. Ausstellungskatalog. Zürich 1978, S. 106
Warhol: POPism, S. 64f.
Warhol: Die Philosophie, S. 71
Ebd., S. 35
Warhol: POPism, S. 150
New York Times, 13.5.1965
Berg: Nothing to Loose, S. 3
1968 verwendete der Choreograph Merce Cunningham die Silberwolken als Bühnendekoration für sein Ballett «RainForest», eine choreographische Komposition für sechs Tänzer, deren Bewegungen an Waldwesen denken lassen sollten.
Warhol: POPism, S. 152
Jack Kroll: Underground in Hell. In: Newsweek, 14.11.1966
Warhol: POPism, S. 180
Ebd., S. 233
Berg: Nothing to Loose, S. 7
Warhol: POPism, S. 169
Unter Berufung auf das Gesetz zur Informationsfreiheit (Freedom of Information Act) forderte und bekam die engagierte Künstlerin Margia Kramer Einsicht in Warhols FBI-Akte.
Margia Kramer (Hg.): Andy Warhol et al. The FBI File On Andy Warhol. New York 1988, S. 35f.
Andy Warhol: a. A novel. New York 1968. Deutsch: a. Ein Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Carl Weissner. Köln 1971, S. 82
Ebd., S. 106
Warhol: POPism, S. 273
Zitiert in: Jean Stein und George Plimpton: Edie. An American Biography. New York 1982, S. 292
Valerie Solanas: Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer. SCUM. Reinbek bei Hamburg 1983, S. 83
Ebd., S. 80f.
Warhol: Die Philosophie, S. 92
Andy Warhol: Ein amerikanischer Traum. Ein Filmporträt von Kim Evans. London Weekend Television und RMArts, 1989
Warhol: POPism, S. 292
Ebd., S. 294
Ebd., S. 290
Warhol: Die Philosophie, S. 87
Warhol: POPism, S. 298
Warhol: Die Philosophie, S. 103
Warhol: POPism, S. 292
Bob Colacello: Andy Warhol Close Up. New York 1990, S. 47
Jed Horne: Andy Warhol Thinks Everybody and Everything is Great Except His Latest Movie – It’s ‹Bad›. In: People, 27. September 1976, S. 75
John Canaday: Huge Andy Warhol Retrospective at Whitney. In: The New York Times, 1. Mai 1971
Vgl. Rainer Crone: Form/Substanz: Ikonische Codes bei Warhol. In: Andy Warhol. Bilder 1961 bis 1981. Hannover 1981
Colacello: Andy Warhol, S. 112
Warhol: Die Philosophie, S. 127f.
Ebd., S. 235
Ebd., S. 142
Andy Warhol’s Party Book. New York 1988, S. 34
Colacello: Andy Warhol, S. 213
Andy Warhol: Das Tagebuch. Hg. von Pat Hackett. Übersetzt von Judith Barkfelt, Gabi Burkhardt, Helmuth Dierlamm. München 1989, S. 303
Ebd., S. 366
Warhol: America, S. 91f.
Warhol: Das Tagebuch, S. 313
Ebd., S. 302
Ebd., S. 339f.
Ebd., S. 585
Ebd., S. 519
Ebd., S. 425
Andy Warhol’s Party Book, S. 130
Ebd., S. 6
Warhol: Das Tagebuch, S. 625
Ebd., S. 356
Ebd., S. 627
Warhol: Die Philosophie, S. 92
Andy Warhol’s Party Book, S. 21
Warhol: Das Tagebuch, S. 632
Ebd. S. 641
Ebd., S. 730
Warhol: Die Philosophie, S. 139f.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts veränderten der wirtschaftliche Aufschwung und die Entwicklung der elektronischen Medien das Habitat des Menschen: Die natürliche Umwelt wurde mehr und mehr durch in Serie hergestellte Industrieprodukte und elektronisch reproduzierbare Bilder verdrängt. Die Massenproduktion von Bildern unterminierte die Einzigartigkeit des einzelnen Bildes und stellte die Besonderheit der Kunst in Frage: Unendlich oft reproduziert, als Postkarte für Pfennigbeträge käuflich, musste die «Mona Lisa» zum ersten Mal mit einer Schar anderer Frauen konkurrieren, die von den Plakatwänden der Großstädte und aus den Seiten der Zeitschriften lächelten. In der Flut von Bildern drohte die bildende Kunst zu verschwinden.
So begann die Kunst in den fünfziger Jahren, die Medien-Umwelt abzubilden und sich an den Objekten und Symbolen der Konsumgesellschaft und der Massenkommunikation zu orientieren. Bunte Bilder, Collagen und Montagen, die Gegenständen des Alltags Darstellungs- und Ausstellungswert verliehen und eine neue, auf den Zeichen der Werbe- und Medienwelt beruhende Ikonographie begründeten, wurden als «pop» beschrieben – ein Wort, das als Interjektion im britischen wie im amerikanischen Englisch «klatsch» oder «patsch» bedeutet und daher geeignet war, Knalliges zu bezeichnen. Der Begriff «Pop-Art», der dem englischen Kunstkritiker Lawrence Alloway zugeschrieben wird, steht für eine Kunst, die der Banalität, ja Vulgarität der Konsumgesellschaft ästhetisch Rechnung tragen wollte und gerade durch ihre bewusste Bezugnahme auf die Alltagssphäre und das Tagesgeschehen einen gesellschaftskritischen Charakter besaß.
Nirgends wurde die Popkunst so produktiv wie in den USA, wo die Grenze zwischen Kunst und Trivialität ohnehin durchlässiger war. «Objekt ist Tatsache, nicht Symbol», erklärte 1961 der amerikanische avantgardistische Komponist John Cage, der die dadaistischen Ideen von der Aufhebung der Grenzen zwischen Kunst und Wirklichkeit weiterführte: Indem er in seine Kompositionen alltägliche Geräusche einbezog, ließ er das Leben in die Kunst eindringen und kombinierte erfundenes Material mit gefundenem. Ähnlich verfuhr der Künstler Robert Rauschenberg, als er in seinen «Combine paintings» dreidimensionale Gegenstände auf die Oberfläche seiner abstrakt-expressionistisch gemalten Bilder klebte; mit dicken Wachsbildern der amerikanischen Flagge schockierte Jasper Johns nicht nur die Sehgewohnheiten des kunstbeflissenen Publikums, sondern auch dessen nationalistische Gefühle. Diese Künstler griffen auf das Konzept der «Ready-mades» von Marcel Duchamp zurück: Indem sie den Alltag zum Fundus und Stimulus der Kunst erklärten, relativierten sie zugleich die Kategorien von Originalität, Erfindungskraft und Schönheit und machten die Produkte der Wirtschaft und der Medienindustrie kunstwürdig. «All is pretty» – «Alles ist hübsch», entschied Richard Lindner und erklärte das New Yorker Kaufhaus Macy’s zum neuen Louvre. Mit dem Satz «Pop Art is liking things» – «Pop-Art heißt, Sachen zu mögen», definierte Andy Warhol die Kunstrichtung, zu deren berühmtestem Vertreter er selbst werden sollte.
Werbung, Comicstrip und die Massenmedien ebenso wie die alltäglichen Industrieprodukte boten Sujets auch für Claes Oldenburg, Roy Lichtenstein, Tom Wesselmann und James Rosenquist, die eine der Konsumwelt entnommene Ikonographie zu einer neuen Ästhetik umformulierten: Große Formate, grelle Farben und Flächenkontraste bestimmten ihre Bilder. Die Popkunst war gegenständliche Kunst, die in programmatischem Gegensatz zum Abstrakten Expressionismus eines Jackson Pollock oder Mark Rothko stand. Um eine unverschlüsselte Aussage bemüht, verleugnete sie nicht ihr Gefallen an den trivialen Industrie- und Medienprodukten und füllte die Kunst mit der modernen Lebenswirklichkeit. Nach Roy Lichtenstein war Popkunst «antikontemplativ, antigeheimnisvoll», und Claes Oldenburg bekannte sich zu einer einfachen Kunst als vorgefertigter, ausgeglichener Mahlzeit. So erklärt sich, dass «Pop» seit den sechziger Jahren auf das Wort «populär» bezogen wurde: Popkunst war «populär», nicht «elitär».
Einfache und billige Druckverfahren eröffneten den Popkünstlern neue Verbreitungsmöglichkeiten: Als Offsetdrucke kosteten ihre Bilder nicht viel mehr als ein gebundenes Buch. Die Popkunst profitierte von den modernen Vervielfältigungstechniken und vergrößerte die Bilderflut. Vordergründig einfach, schön bunt und erschwinglich wurden die Popbilder zu einem weiteren Konsumprodukt der Überflussgesellschaft. Aber auch durch ihre Bezugnahme auf frühere Kunstrichtungen und ihr ironisches Zitieren aus dem Repertoire der Kunstgeschichte machte die Popkunst die Kunst populär.
Die Popbilder waren keine einfachen Abbilder: Ihr Realismus bedeutet nicht das unkritische Nachahmen der Wirklichkeit, sondern die Bloßlegung von gesellschaftlichen Verhaltensmustern und Gewohnheiten. Die überdimensionalen Hamburger-Skulpturen von Claes Oldenburg oder die Bilder von Roy Lichtenstein, die mit ihrem genauen Rastermuster wie Vergrößerungen von Comicstrips aussehen, repräsentierten eine Gesellschaft, die «junk», «Schund», aß und «junk» las. Auf ihre Weise waren die Popkünstler Visionäre: Nicht das real Existierende bildeten sie ab, sondern ihre Abbildungen schufen Existenz. Den vertrauten Industrieprodukten oder den Fotos der Massenmedien verliehen die Popbilder durch die puristische Genauigkeit der Zeichnung und die plakative Farbigkeit eine besondere Kraft: Als Kunstwerke, die kein Verfallsdatum mehr kannten, gewannen die Wegwerfprodukte und kurzlebigen Medienbilder eine neue Realität. Die Popkunst wurde geradezu zur Metapher der Konsum- und Mediengesellschaft und übernahm die Rolle des Dandy, des distanzierten, amüsierten, toleranten und zugleich bissig-ironischen Beobachters.
Diese Rolle spielte kein Künstler so konsequent wie Andy Warhol. Als Werbekünstler zum Star der Kunstszene geworden, wurde er zum Werbeträger seiner Kunst. Er errichtete eine Kunst-Werkstatt, eine Factory eben, in der er die Bilder und Ikonen der Konsumgesellschaft serienmäßig reproduzierte, und die Produkte verkaufte er – wie im Supermarkt – sowohl einzeln als auch billiger im Dutzend. In Warhols Factories vollzog sich der Wandel von der Kunstszene zum Kunstmarkt, und sein Schaffen bewegte sich von der Innovation avantgardistischer Popkunst hin zur Routine der gefälligen Verkaufskunst. Aber seine Karriere steht auch für den «American Dream», den «amerikanischen Traum» von Reichtum und Berühmtheit. Warhols Lebensweg von der Armut seiner Jugend in Pittsburgh zum Glanz seiner New Yorker Factories und seine künstlerische Entwicklung von den Zeichnungen seiner Studienzeit zu den Autobildern seiner letzten Jahre sollen hier nacherzählt werden.
Im Jahre 1754 errichteten die Franzosen am Zusammenfluss von Allegheny und Monongahela zum Ohio das Fort Duquesne. Nach dem Abzug der Franzosen wurde es durch die Engländer 1759 als Fort Pitt wiederbegründet; in seiner Nähe legte Joseph Campbell 1764 einen Handelsposten an, der 1816 Stadtrecht erhielt. Dank ausgedehnter Steinkohlelager, Erdgas- und Erdölfelder war Pittsburgh bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts das Zentrum der nordamerikanischen Schwerindustrie – die Stadt, in der Industriemagnaten wie Andrew Carnegie und H.C. Frick ihre legendären Vermögen gemacht hatten. Die Hochöfen und Walzwerke des Konzerns U.S. Steel zogen sich im Tal oberhalb der Halbmillionenstadt über 20 Kilometer hin, Crusible Steel und Westinghouse besaßen hier ihre größten Werke. Rauch und Ruß lagen wie eine Decke über der Stadt, und aus den Stahlwerken und Kokereien schossen ständig Flammen empor, sodass die Stadt wie von Feuern umringt war. Die Arbeiter in diesen Werken waren größtenteils Einwanderer aus Osteuropa, die in der Neuen Welt besser zu leben hofften als in der Alten.
Einer dieser Einwanderer war Ondrej Warhola. Er war Ruthene, stammte also aus den Transkarpaten, einem Gebiet zwischen Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn und Russland, das bis zum Ende des Ersten Weltkriegs zur Donaumonarchie gehörte. Er war mehrere Male nach Amerika gekommen, aber immer wieder in seine Heimat zurückgekehrt, wo er 1909 Julia Zavacky heiratete. Erst als nicht nur die allgemeine wirtschaftliche Lage in Europa sich verschlechterte, sondern Ondrej auch befürchten musste, in die kaiserlich-königliche Armee eingezogen zu werden, emigrierte er 1912 endgültig nach Amerika und ließ seine Frau auf dem Bauernhof seiner Eltern zurück. Dort überlebte Julia trotz Kälte und Hungersnot den Ersten Weltkrieg; mit angeblich vom Pfarrer geborgtem Geld reiste sie 1921 zu Ondrej nach Pittsburgh.
In Pittsburgh gehörten die Warholas zu den «Hunkies», wie die osteuropäischen Arbeitsimmigranten herablassend genannt wurden; sie sprachen schlecht Englisch und bildeten durch ihre Zugehörigkeit zur ruthenischen Kirche[1] eine Minderheit in der Minderheit. Zwar waren sie Katholiken, ihr Ritus zeigte aber noch Anklänge an die byzantinische Kirche, statt einem Bischof unterstanden sie einem Metropoliten. Ondrejs Entschluss, sich in Pittsburgh niederzulassen, war sicher von den günstigen Arbeitsbedingungen in dieser Industriestadt bestimmt, jedoch muss die Tatsache, dass die Stadt Sitz des ruthenischen Metropoliten und damit das Zentrum der ruthenischen Kirche war, ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Denn die Warholas waren strenggläubig, regelmäßige Kirchgänge gehörten zum Familienalltag. Ondrej arbeitete für die Baufirma Eichleay und bewohnte mit seiner Familie eine Zweizimmerwohnung im Armenviertel Soho, 73 Orr Street, nur einige Blocks von der Kirche entfernt.
Am 26. Juni 1922 wurde das erste Kind der Warholas, Paul, geboren, am 31. Mai 1925 folgten John und am 6. August 1928 Andrew. Die Weltwirtschaftskrise traf die Industriestadt Pittsburgh besonders schwer, auch Ondrej verlor vorübergehend seine Stelle. Julia nahm Putzarbeiten an und versuchte darüber hinaus, mit selbstgemachten Blechblumen, die sie aus Konservendosen herstellte und für 25 Cents verkaufte, das Einkommen der Familie aufzubessern. Die fleißigen und sparsamen Warholas konnten 1934 auf die andere Seite der Stadt nach South Oakland in ein eigenes Haus ziehen, für das sie 3200 Dollar bar bezahlten. 3252 Dawson Street war ein einstöckiges Backsteinhaus; im Erdgeschoss befand sich ein rund zwölf Quadratmeter großes Wohnzimmer, dahinter lag die Küche, der erste Stock war in zwei Schlafzimmer aufgeteilt. Das Elternschlafzimmer lag zur Straße, das hintere Zimmer teilten sich John und Andrew, und Paul wandelte den Dachboden in einen Wohnraum für sich um. Als besonderer Komfort galten das kleine Badezimmer mit Wanne und der Garten, in dem Julia Gemüse zog. Um den Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen, arbeitete Ondrej zwölf Stunden und mehr am Tag und nahm auch Aufträge außerhalb der Stadt an. Von meinem Vater habe ich nicht viel gesehen, er war meist in den Kohlebergwerken[2], erinnerte sich Andrew.
Das Haus lag einen Häuserblock von der Holmes-Grundschule entfernt, die Andrew ab 1934 besuchte. 1934 erkrankte er an Scharlach, 1936 an Veitstanz (Chorea minor); er blieb lange Zeit im Bett und wurde von Julia umsorgt, die ihm Filmmagazine, Comics und Malbücher brachte und ihn anwies, Papierfiguren auszuschneiden. Trost spendete ihm auch das neue Radiogerät, das im kleinen Wohnzimmer auf dem Kamin thronte. Ich hatte als Kind in drei Jahren hintereinander Nervenzusammenbrüche gehabt, einen mit acht Jahren, einen mit neun und einen mit zehn. Die Anfälle – Veitstanz – fielen immer auf den ersten Tag der Sommerferien. (…) Ich brachte dann den ganzen Sommer im Bett zu, hörte Radio, spielte mit meiner Charlie-McCarthy-Puppe und mit meinen nicht ausgeschnittenen Ausschneidepuppen, die überall auf der Bettdecke und unter dem Kopfkissen herumlagen.[3] Aus dieser Zeit stammen Andrews Begeisterung für Comic-Helden wie Superman und Dick Tracy und seine Leidenschaft für Schokolade, denen er sein Leben lang frönen wird. Meine Mutter las mir, so gut sie mit ihrem breiten tschechischen Akzent konnte, Dick-Tracy-Comic-Hefte vor. Wenn sie fertig war, sagte ich immer: «Danke, Mama», auch wenn ich kein Wort verstanden hatte. Und jedesmal, wenn ich eine Seite in meinem Malbuch fertig hatte, gab sie mir einen Hershey-Schokoriegel.[4]
Die langen Krankheiten hinterließen sichtbare und unsichtbare Spuren: Die ständige Hautirritation, der Pigmentmangel und verschiedene Allergien machten aus Andrew einen schüchternen Jungen voller Komplexe und mit einer starken Mutterbindung. Auf die Lektüre der Film- und Mode-Illustrierten sollte er nie mehr verzichten; die Kinostars aus Hollywood und die Modeschöpfer aus New York wurden und blieben für ihn der Inbegriff von Erfolg. Der kränkliche, hässliche, arme Junge im schmutzigen Pittsburgh entdeckte in diesen Illustrierten eine bunte, lustige Welt voller gesunder, schöner, reicher Menschen – wie sie zu leben, war sein Wunsch. Später sollten dieselben Illustrierten dem etablierten Künstler Andy Warhol bestätigen, dass er zu dieser Welt gehörte und sein Traum Wirklichkeit geworden war.
Mitte der dreißiger Jahre erlag ganz Amerika dem Charme des Kinderstars Shirley Temple, die in ihren Filmen auch tanzte und sang. Andrew imitierte ihre Gesten und Bewegungen und schrieb ihr einen Fanbrief, der prompt mit einem Autogrammfoto beantwortet wurde – der Anfang einer großen Sammlung, in der dieses Foto einen besonderen Platz einnehmen sollte. Andrew wurde ein fleißiger Kinogänger und verfolgte in der Boulevardpresse die Karrieren der Filmstars. Ich ging leidenschaftlich gern ins Kino und hoffte vermutlich, daß die Filme mir was übers Leben beibringen würden. (…) Seit das Kino erfunden wurde, bestimmt es das Leben in Amerika. Es zeigt dir, was du tun sollst, wann und wie du’s tun sollst, was für Gefühle du dabei haben sollst und wie du aussehen sollst, wenn du diese Gefühle hast.[5] Mitte der vierziger Jahre schwärmte er dann für Elizabeth Taylor, die 1944 ihre erste große Rolle an der Seite von Mickey Rooney in dem Film «National Velvet» spielte. Liz Taylors Karriere und Leben schienen von den Klatschkolumnen der Boulevardpresse gemacht zu sein, auch noch für den Künstler Warhol symbolisierte sie Ruhm und Glamour Hollywoods.
1941 erkrankte Ondrej Warhola an Gelbsucht; obwohl es ihm lange Zeit sehr schlecht ging, weigerte er sich, ins Krankenhaus gebracht zu werden, weil er fest davon überzeugt war, es nicht mehr lebend zu verlassen. Als er sich schließlich doch ins Krankenhaus bringen ließ, war es zu spät, und er starb fünf Tage nach seiner Einlieferung am 15. Mai 1942 an Bauchfellentzündung. Nach Ondrejs Tod mussten John und Paul für den Unterhalt der Familie sorgen: John nahm Gelegenheitsjobs an, und Paul arbeitete in einem Walzwerk, bevor er zur Armee einberufen und nach Europa an die Front geschickt wurde. Andrew besuchte ab 1942 die Schenley High-School. Wenn ich an meine High-School-Zeit denke, fällt mir nur der lange Schulweg durch das tschechische Ghetto ein, mit den Babuschkas und den blauen Arbeitsanzügen an den Wäscheleinen.[6] In der Schule fiel seine Zeichenbegabung auf, und das Lehrerkollegium schickte ihn zu den kostenlosen Kunstkursen des Carnegie Museum of Art, die jeden Samstagnachmittag stattfanden und ihn nicht nur in Zeichen- und Maltechniken einführten, sondern auch mit der Kunstgeschichte bekannt machten. Aus dieser Zeit stammt das erste Selbstporträt: 1942 zeichnete er sich mit dicken Lippen, unförmiger, wulstiger Nase und buschigen Augenbrauen. Immer wieder machte er Kopfstudien, immer wieder von sich selbst. Ein Vergleich späterer Porträts mit Kopfstudien von Henri Matisse zeigt, dass Andrew Warhola von dem französischen Maler die gekünstelte Kopfhaltung übernommen hatte, vor allem aber die einfache und sparsame Strichführung, die er auch weiterhin beibehalten sollte. Die dekorativen Blumenbilder von Matisse müssen ihn an die Blechblumen seiner Mutter Julia erinnert haben: In die Ästhetik der Popkunst übersetzt, wurden die Blumen Teil der Warhol’schen Ikonographie.
Julia Warholas Gesundheitszustand verschlechterte sich, und 1944 stellte man Dickdarmkrebs fest; der Arzt gab ihr eine fünfzigprozentige Überlebenschance, wenn sie sich einer Operation unterziehen würde. Obwohl die Operation erfolgreich verlief und sie sich schnell erholte, war Julia davon überzeugt, die Operation sei eine Machenschaft der Ärzte und medizinisch unnötig gewesen. Andrew übernahm dieses Misstrauen gegenüber der Medizin und hegte es bis zuletzt.
Im Herbst 1945 schrieb sich Andrew am Pittsburgher Carnegie Institute of Technology als Student des Department of Painting and Design ein und belegte «Pictorial Design» als Hauptfach. Die «Pittsburgh-Millionäre», wie die Industriemagnaten Andrew Carnegie, H.C. Frick und Andreas William Mellon genannt wurden, betätigten sich – amerikanischer Tradition folgend – auch als Mäzene und Förderer des Bildungswesens, indem sie der Stadt mehrere Kultur- und Forschungsinstitute stifteten. Das Mellon Institute for Industrial Research war eine ebenso renommierte Adresse wie das Carnegie Institute of Technology, dessen Kunstabteilung das Gedankengut und die Kunstauffassung des Bauhauses weiterführte.
Im ersten Studienjahr hatte Andrew große Schwierigkeiten mit den philosophischen Pflichtseminaren, er wurde erst ins zweite Jahr versetzt, als er die während der Sommerferien angefertigten Zeichnungen vorlegte. Er hatte zusammen mit seinem Bruder John von einem Wagen aus Obst und Gemüse verkauft, und während sie durch die ärmsten Viertel Pittsburghs zogen und John mit den Kunden feilschte, zeichnete Andrew. Seine Skizzen von engen Straßen und heruntergekommenen Häusern, seine Porträts müder, abgearbeiteter Menschen vermitteln einen Eindruck von den sozialen Verhältnissen in der Stadt, sie zeigten aber auch, dass Andrew ein aufmerksamer Beobachter und geschickter Zeichner war. Diese Zeichnungen nun sicherten ihm nicht nur die Fortsetzung des Studiums am College, sie brachten ihm auch ein Stipendium ein und machten ihn, da sie auf dem Campus ausgestellt wurden, unter den Kunststudenten bekannt. Galt er schon als Original, so bestätigte er seinen Ruf, indem er einer Tanztheatergruppe beitrat; aus dieser Zeit stammt wohl seine Vorliebe für schwarze Rollkragenpullover, wie sie die Tanz-Studenten trugen. Diese dunkle Kleidung muss seine Gesichtsblässe und die wulstige Nase betont haben, denn er bekam den Spitznamen «Andy, the rednosed Warhola», der «rotnasige Warhola», in Anspielung auf ein populäres Weihnachtslied.[7]
Im zweiten Studienjahr freundete sich Andrew Warhola mit Philip Pearlstein an, der aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrt war und sein Studium wiederaufnahm. Pearlstein, den der Krieg nach Europa verschlagen hatte, beeindruckte Andrew durch seine Weltläufigkeit, durch sein kunstgeschichtliches Wissen und vor allem durch Bilder, die das Magazin «Life» schon 1941 veröffentlicht hatte. Mit Pearlstein und einigen anderen Kommilitonen mietete Andrew einen Schuppen, in dem sie sich trafen, um ihre Zeichenaufgaben zu erledigen, und den sie alle als «Studio» bezeichneten.
Zu den Pflichtseminaren, die Andrew besuchte, gehörte der Kurs «Medien und Vervielfältigungen». Er war als Einführung in die «Medien, die der Künstler bei der Herstellung von Bildern für Vervielfältigungszwecke benutzt, die Verfahren der Vervielfältigung, nach denen sie auf die Druckseite übertragen werden, und die Bedeutung dieser Verfahren für die Wahl des Mediums und seine Handhabung»[8] angekündigt. Zusammen mit Pearlstein besuchte er zwischen 1947 und 1949 bei Professor Robert Lepper die Pflichtseminare «Pictorial Design I» und «Pictorial Design II». Das Vorlesungsverzeichnis erläuterte als Ziel des ersten Seminars: «Konzeption und Herstellung von Illustrationen, Werbegraphik und andere Arten von Auftragsarbeit sollen den Künstler als Teilhaber und Mitgestalter am gesellschaftlichen Prozess zeigen. Die kritische Analyse einschlägiger Beispiele soll zur Wahrnehmung und Einschätzung aktueller Richtungen auf diesen Gebieten motivieren.» Im zweiten Seminar ging es um gestalterische Probleme: «Aufgaben zur Illustration, Werbegraphik und Wandmalerei, die nach bestimmten Vorgaben gelöst werden müssen, wechseln ab mit anderen, die zu vollkommener konzeptioneller Freiheit ermuntern. Mehr und mehr wird der Zusammenhang zwischen Entwurf und technischer Ausführung betont.»[9]
Lepper stellte den Studenten thematische Aufgaben, die eine genaue Beobachtung von individuellem Verhalten und gesellschaftlichem Habitus voraussetzten.[10]