Ursprüngliche CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek:

Baader, Roland:
Kreide für den Wolf: Die tödliche Illusion vom besiegten Sozialismus / Roland
Baader. – Böblingen: Tykve, 1991

Lektorat der Neuauflage: Ruben Zumstrull

Vorarbeiten von Kalle Kappner und Diana Kupfer

Neu herausgegeben von Daniel Baader

Neuauflage mit einem aktuellen Geleitwort von Markus Krall

LICHTSCHLAG 60

© Natalia Lichtschlag Buchverlag Grevenbroich 2021

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlag: Lichtschlag Medien Meerbusch

Printed in Germany.

ISBN: 978-3-948971-07-6

Der Spatz (oder Sperling) wird im Hebräischen „dror” genannt; das heißt „Freiheit”.1 Deshalb ist dieses Buch allen Spatzen dieser Erde gewidmet; denen mit – und denen ohne Flügel.

(Von den vielen ohne sichtbare Flügel seien zwei persönlich benannt: Unter den maskulinen Herr Dr. Heinrich Seewald, und unter den femininen Uta, meine geliebte Frau.)

Roland Baader 1991

Inhalt

Zum Geleit der Neuauflage

von Markus Krall

„Ewige Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit“. Das Diktum Thomas Jeffersons hat kaum ein Denker und Autor so klar und deutlich verstanden wie Roland Baader. Während nach dem Kollaps, der Pleite, dem Offenbarungseid des Sozialismus in Osteuropa die Naiven der Welt vom „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) und vom endgültigen Sieg des liberalen marktwirtschaftlichen Modells schwadronierten, war er sich darüber im Klaren, dass der Drache, der weit über hundert Millionen Menschen ermordet hat, zwar in den Abgrund geworfen worden war wie einst Lucifer durch den Erzengel Michael, aber dass er keineswegs tot war. Man kann den Sozialismus nicht ausrotten, weil er eine virale Idee ist. Wie ein Virus befällt er über die Köpfe der Menschen die Gesellschaften als seinen Wirt und entzieht ihnen die Lebenskraft solange bis sie völlig zusammenbrechen.

Die kommunistischen Revolutionäre in Südamerika prägten den Satz „Sozialismus oder Tod“ (Castro) als propagandistisches Substitut für die Wahrheit „Freiheit oder Tod“. Was der Sozialismus aber bringt ist eben genau dieser Tod. Tod durch Sozialismus.

Warum ist dieses Virus, diese falsche und menschenfeindliche Idee nicht aus den Köpfen der Menschen zu verbannen? Warum muss jede, oder doch wie es scheint zumindest jede zweite, Generation aufs Neue lernen, wie unfassbar schlecht, menschenfeindlich, wohlstands- und zivilisationszerstörend der Sozialismus ist?

Während Schafarewitsch in ihm eine „anthropologische Konstante“ erkennt, die die Menschheit seit Jahrtausenden in unterschiedlichen Gewändern heimsucht, analysiert Baader die Anreizsysteme, die Motivation und die institutionellen Rahmenbedingungen, die solchen Motivationen gesellschaftlichen Vorschub leisten bis hin zur Machtergreifung durch die kriminellen Usurpatoren.

Freie Gesellschaften degenerieren zu sozialistischen, weil die Vertreter des Sozialistischen Totalitarismus die Mimikry, die Kunst der Tarnung perfekt beherrschen. So wie die Lüge immer dann am erfolgreichsten ist, wenn sie in der Kleidung der Wahrheit daherkommt, ja als Wahrheit posiert, so sind die Protagonisten des Sozialismus immer dann erfolgreich, wenn sie ihre wahren Absichten, das wahre Ziel ihrer Politik hinter menschenfreundlich erscheinenden Zwischenzielen verbergen. Sie kämpfen für eine vermeintliche „Gerechtigkeit“, in der Regel mit dem Attribut „sozial“ oder „Gender“ oder eine andere Monstranz des Gutmenschentums, die sie zur Tarnung ihrer Pläne vor sich hertragen.

Sie appellieren nach außen an das „Gute im Menschen“, die „hehrsten Ziele der Menschheit“ und nutzen zugleich die niedrigsten Instinkte der Menschen, den Neid, die Gier nach anderer Menschen Eigentum, den Zorn auf alle, die mehr Erfolg haben als man selbst, die Völlerei in Form des Konsums am freien (weil von anderen bezahlten) Buffets, der Wollust nach der Devise „erlaubt ist was gefällt“, der Trägheit nichts leisten zu wollen, nichts schaffen zu wollen, was andere brauchen, und dem Hochmut der Bessermenschen, die sich für die Krone des Gemeinwesens halten, die selbsternannte sozialistische Elite.

Diese Apelle gehen in den Köpfen der Menschen ein Wechselspiel, eine unheilvolle Symbiose, ein. Sie teilen zugleich die Feinde der Freiheit in zwei Gruppen: Die, welche wissen, dass ihr Kampf nur den eigenen egoistischen Zielen dient und die, welche die Schalmeienklänge der Agitatoren für bare Münze nehmen und die zugleich ihr großes „endlich komme ich auch mal an die Reihe“ anstimmen, nicht ahnend, dass sie nur ein paar Schritte weiter hinten in der Schlange der Beraubten und künftig beraubten stehen, wenn die neuen Machthaber die Treppe der Enteignung und des Mords von oben kehren. Diese sind die angeblich schon von Lenin so bezeichneten „nützlichen Idioten“.

Kein Zusammenbruch, keine wirtschaftliche Katastrophe, keine Katharsis war bisher stark genug und geeignet, die Wiederkehr dieses sozialen Virus zu stoppen, weil jeder Mensch nicht nur edle, sondern auch unedle, sündige Motive mit Wirkmacht in seinem Kopf birgt.

Und: Der Mensch vergisst leicht. Die Millionen Toten des sozialistischen Genozids verblassen nach ein paar Jahrzehnten. Die Alten, die noch von den Gräueln erzählen könnten, sterben aus. An ihre Stelle rücken die Verharmloser, die uns erzählen „das war kein richtiger Sozialismus“ oder „Sozialismus wurde eben noch nie richtig umgesetzt“. Die Menschen fallen umso leichter darauf herein, je schlimmer ihre Gedankenwelt von der sozialistischen Bildungskatastrophe zuvor heimgesucht wurde. Deshalb zersetzen die Sozialisten die Qualität der Bildung und ersetzen das kritisch-analytische Denken durch Indoktrination und Propaganda. Sie bereitet der Aufnahmefähigkeit dieser Parolen den Boden.

Nun, 30 Jahre nachdem Roland Baader präzise und mit nachgerade prophetischer Gabe vorausgesagt hat, was heute passiert, nämlich der Marsch in den vom Sozialstaat angetriebenen Sozialismus, stehen wir vor der Herausforderung, der ganz großen Auseinandersetzung zwischen Freiheit und Tyrannei nicht mehr aus dem Weg gehen zu können. Deutschland, ja Europa und große Teile der einstmals „freien Welt“ sind sturmreif geschossen von der sozialistischen Propaganda, die Freiheit erodiert mit hohem Tempo in einer neuartigen Form des Klima- und Seuchensozialismus. Das neue Sicherheitsversprechen des Staates und der kommunistischen Heilsbringer bezieht sich nicht mehr auf Frieden und Versorgung, sondern auf den vermeintlichen Schutz vor Gefahren, die in Wahrheit gar nicht existieren. Sie werden den Menschen eingehämmert, bis sie sich starr vor Angst in die Diktatur führen lassen.

Der Anteil der freien Marktwirtschaft wird dabei immer kleiner, die Staatsquote immer größer. Der „marktwirtschaftliche Hilfsmotor“ (Roland Baader) dreht immer schneller, um das Ganze am Laufen zu halten, bis zum finalen real- und finanzwirtschaftlichen Kolbenfresser. Dieser steht unmittelbar bevor, ist eigentlich bereits in vollem Gange.

Die katastrophalen Folgen der sozialistischen Politik werden sichtbar, doch nicht für jeden, vor allem nicht für die, welche das Märchen vom „Marktversagen“ so gerne glauben, weil es ihrem naiven Weltbild entgegenkommt. Das Land steht daher vor gleich zwei Herausforderungen:

1. Wie kann die Katharsis genutzt werden, um eine neue Ordnung der Freiheit zu errichten und die Etablierung einer sozialistisch-stalinistischen Diktatur zu verhindern?

2. Wie muss die neue Ordnung der Freiheit aussehen, damit sie länger Bestand hat, als die gescheiterte Parteiendemokratie in Deutschland und Europa?

Ich möchte mich in diesem Vorwort auf die zweite Frage konzentrieren, denn die Antwort auf die erste lässt sich nur durch Aufklärung, politischen Kampf und die Bereitschaft zur Konfrontation zusammenfassen. Wir müssen die wohlstandschaffende und zivilisatorische Kraft der Freiheit den Menschen nahebringen. Wir müssen die Botschaft der großen libertären Denker mit neuen Methoden, neuen Formulierungen und neuem Elan an die Masse der Menschen bringen. Was muss das freiheitliche Ergebnis sein?

Wir müssen eine Ordnung anstreben, bei der Eliten und Volk gleichermaßen Interesse am Erhalt der Freiheit und Marktwirtschaft haben. Ihr Charakter muss deutlich stärker meritokratische Züge tragen als die Travestie einer demokratischen Republik, die wir gegenwärtig haben und die in Wahrheit zu einer Kombination aus Oligarchie und Ochlokratie mutiert ist. In ihr nutzt eine schmale Schicht von Oligarchen die Neidkomplexe eines großen Teils des Volkes aus, um gemeinsam den Mittelstand auszubluten. Die Oligarchie bereichert sich dabei über die allgegenwärtige Korruption unseres Fiat-Geld- und Finanzsystems sowie des Lobbyismus (das gravierendste Beispiel hierfür ist der korrupte politisch-industrielle Komplex der sogenannten Klimawende), während die Ochlokratie nach immer neuer Umverteilung mit Hilfe des allgegenwärtigen, allmächtigen und sich allwissend gerierenden Sozialstaates schreit. Die Leistungsträger werden zwischen beiden zerrieben.

Die Gegenpole zu Oligarchie und Ochlokratie sind Aristokratie und Demokratie. Anders herum formuliert: Die Oligarchie ist die Degenerationsform der Aristokratie, die Ochlokratie die Degenerationsform der Demokratie. Die jeweilige Degenerationsform unterscheidet sich von der erstrebenswerten Variante durch das soziale Bindemittel der Meritokratie. Der Gegensatz zwischen diesen ist weit stärker, als der nur konstruierte Gegensatz zwischen Demokratie und Aristokratie, denn keine Demokratie kann auf Dauer ohne eine sie tragende und sich ihrer stützenden Werte bewussten Elite funktionieren. Ich gehe soweit zu postulieren: Das Fehlen einer funktionierenden Elite ebnet dem Übergang zur Ochlokratie, der Herrschaft des Pöbels, den Weg.

Die Lösung einer neuen Ordnung muss sich daher mehrere Mechanismen zunutze machen.

1. Mehr Demokratie und Rücktransfer der Macht an den Souverän, das Volk, durch direkte Demokratie nach Schweizer Vorbild und direkte Wahl aller den Staat konstituierenden Gewalten durch das Volk.

2. Beschneidung der Macht der Politik, ja Zerstörung der politischen Klasse durch strikte Amtszeitenbegrenzungen, Abschaffung der Parteien als Basis der politischen Karrieren, Rückführung des parlamentarischen Mandats zum Ehrenamt und Haftung der Politiker nach dem Vorbild der Managerhaftung bei Untreue und Verschwendung.

3. Etablierung eines aristokratischen Elitenprinzips durch Beschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts auf solche Personen, die dem Gemeinwesen keine Mittel entzogen haben, sondern sie ihm gegeben haben und durch Einführung einer vierten Gewalt, die alle Gesetze und Dekrete von Parlament und Regierung auf ihre Vereinbarkeit mit den Prinzipien der Freiheitlichen Verfassung überprüft und nach eigenem Urteil ihr Veto einlegt. Diese vierte Gewalt braucht maximale Unabhängigkeit, sollte daher vom Wahlvolk auf Lebenszeit gewählt werden.

Es ist klar und sogar verständlich, dass eine Beschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts auf solche Personen, die sich gegen den Empfang von Staatstransfers in jeder Form (Sozialtransfers ebenso wie Subventionen) entscheiden müssen, in einer auf „Gleichheit“ gepolten öffentlichen Meinung kritisch gesehen wird. Dennoch ist es kein Verstoß gegen die Gleichheit, weil sich jeder frei für das Wahlrecht und gegen den Empfang von Staatsgeld entscheiden kann. Im Ergebnis bekommen alle Anreiz, Leistungsträger zu werden.

Auf der ökonomischen Seite brauchen wir eine Verfassung, die Rechtsstaat, Eigentum, Vertragsfreiheit und die Marktwirtschaft als einzig zulässige Wirtschaftsform festschreibt. Sie muss der Staatsaktivität einen festen Riegel vorschieben, indem sie die Staatsquote bei unter 15 Prozent festschreibt und sie sollte Leistungssteuern, ja sogar die Ausspähung von Einkommen und Vermögen der Bürger durch den Staat ein für allemal verbieten.

Dann haben wir eine Chance auf eine freie Republik, die lange hält. Die Alternative hält ebenfalls Jefferson bereit: „Der Baum der Freiheit muss von Zeit zu Zeit mit dem Blut der Patrioten und der Tyrannen begossen werden. Dies ist sein natürlicher Dünger.“

Dr. Markus Krall

im Frühjahr 2021

Mein Traum

Damit wir uns schneller und besser kennenlernen, will ich dem Leser meinen Wunschtraum vorstellen:

Ich träume von einem vollbesetzten Bundestag (wohl nur bei Abstimmung über Diätenerhöhung möglich). Plötzlich erhebt sich einer der Abgeordneten, allen anderen als aufrechtes Mannsbild bekannt, und tritt ans Mikrofon. Lange schaut er schweigend ins Hohe Haus, bis gespannte Stille eingetreten ist. Dann sagt er:

„Meine Damen und Herren: Ich bin ein glühender Anhänger des demokratischen Rechtsstaats; ich bekenne mich zur freiheitlichen, individualistischen und christlichen Kultur, Tradition und Zivilisation des Abendlandes und der freien westlichen Welt. Und genau aus diesem ernsten Grund sage ich allen hier versammelten Volksvertretern, allen Parteien, Politikern und Regierungsmitgliedern: Ich brauche eure Subventionen und Transferzahlungen nicht; ich will nicht euer Kinder-, Mutterschafts- und Sterbegeld, nicht eure tausend Almosen und milden Gaben, die ihr mir vorher aus der Tasche gezogen habt – und mir und meinen Kindern noch in fünfzig Jahren aus der Tasche ziehen werdet. Ich brauche keine subventionierte Butter, kein Quoten-Rindfleisch und keine preisgarantierte Milch, keine EG-genormten Planwirtschaftserbsen und keine ministergelisteten Medikamente; ich brauche keinen Schwerbeschädigtenausweis für meine Plattfüße und keinen Almosen-Freibetrag für meine pflegebedürftige Großmutter, auch keine Kilometerpauschale und keinen Kantinen-Essensbon über eine Mark dreißig. All eure Wahlfang-Pfennige und -Scheine könnt ihr euch an den Hut stecken. Aber: Lasst mich dafür auch in Frieden. Ich bin nicht euer Buchhalter, Statistiker und Belegsammler, der die Hälfte seiner Lebenszeit damit zubringt, eure Schnüffelbürokratie zu befriedigen, der von einem Paragraphenknäuel zum anderen taumelt und sich wie eine gehetzte Ratte durch alle Kanalwindungen eurer kranken Steuergehirne windet. Schickt euer Millionenheer von Faulärschen und parasitären Umverteilern nach Hause, eure Vor- und Nachdenker moderner Wegelagerei und Strauchdiebeskunst, eure Bataillone von Steuerfilzproduzenten, Labyrinth-Pfadfindern und Paragraphen-Desperados, eure Funktionärsbrigaden von Verordnungs-Guerilleros und Stempelfuchsern, all die nutzlosen Formularzähler und Arbeitsverhinderungsfürsten. Lasst mich einen festen, eindeutigen und ein für allemal fixierten Steuersatz zahlen, und bezahlt damit eine angemessene Verteidigungsarmee und ein verlässliches Rechtswesen, aber haltet euch ansonsten heraus aus meinem Leben. Dies ist mein Leben; ich habe nur eines, und dieses eine soll mir gehören. Ich bin niemandes Sklave, niemandes Kriecher und niemandes Liebediener. Ich bin ein freier Mann, der für sein Schicksal selbst und allein verantwortlich ist, der sich in die Gemeinschaft einfügt und die Rechte anderer genauso respektiert wie er seinen eigenen Pflichten nachkommt, der aber keine selbsternannten Ammen und scheinheiligen Guten Onkels, keine ausbeuterischen Wohltäter und von mir bezahlten Paradiesverkünder braucht. Was ich brauche, das sind: Freunde, Familie und rechtschaffene Christenmenschen, in guten und in schlechten Zeiten; und ich bin Freund, Familienglied und Christ, auch dann, wenn es anderen schlecht geht; aber dazu brauche ich keine Funktionäre und Schmarotzer, keine bezahlten Schergen und staatsversorgten Wohltäter. Dazu brauche ich nur die mir Nahestehenden und den Herrgott. Hier stehe ich. Gott helfe mir! Ich kann nicht anders!“

Und damit wir uns noch besser kennenlernen, will ich auch gleich meinen Alptraum offenlegen:

Reginald Rudolf, Chefredakteur des Medien-Informationsdienstes „rundy“, hat eine wenig erfreuliche Perspektive zu dem, was nach der Wiedervereinigung vonseiten der deutschen Bewusstseinsindustrie über das Publikum hereinbrechen wird:

„Die PDS kann vom 3. Oktober 1990 an, also von dem Tag an, da sie in Bonn einzieht, auf 5000 feste und freie Mitarbeiter in den Medien drüben sowie auf eine stille Reserve von rund 200 Mitarbeitern in den Medien im westlichen Teil Deutschlands zurückgreifen – dazu eine schwer zu schätzende Zahl von offenen und verdeckten Sympathisanten, die die DDR immer besser und Bonn im Grunde zum Kotzen fanden. […] Ideologisch dilettierende Hofdichter wie Günter Grass, der am liebsten einen Staat eigens für sich geschaffen sehen würde, haben ihre kostenlose Hilfe für Gysi & Co. bereits ebenso signalisiert, wie die hochdrehende Zeitgeist-Journaille [...]. Hauptziel der PDS-Medienpolitik wird es sein, die „intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Sozialismus“ – O-Ton Gysi – von neuem zu beginnen und zu forcieren. Alle diese Auseinandersetzungen über den Sozialismus werden neben der schon jetzt rege ventilierten Legende von der kulturellen DDR-Idylle damit beginnen, die Ladenhüter der linken Denke erneut anzubieten, als da sind: Verstaatlichung in der soften Form von Teilverstaatlichung, Investitionslenkung, allumfassende staatliche Wohlfahrtssysteme, Überwucherung privater Initiative durch staatliche Regulierungen – während zeitgleich der Spätkapitalismus als ein sozial verkommenes und festgefahrenes Profitsystem denunziert wird. […] Die neu formierte Medienlinke aus ost- und westdeutschen Ideologieeiferern wird alles versuchen, diese Republik zu demontieren und zu denunzieren.“

(Meldung Nr. 13 der „Vertraulichen Mitteilungen“ vom 25.9. 1990)

Eine Bitte:

Das Vorwort eines Buches wird oft überblättert oder nur überflogen. Ich bitte den Leser: Tun Sie das diesmal nicht! Das folgende Vorwort ist wesentlich für das Verständnis des ganzen Buches.

Vorwort – oder auch:

Eine Kampfansage

Überall auf dem Globus scheint der Sozialismus nach Jahrzehnten der flächenbrandartigen Ausdehnung auf dem Rückzug zu sein. Im Westen begann die Wende – zu Beginn der achtziger Jahre – relativ unspektakulär mit dem Einschwenken der Sozialisten Mitterrand (Frankreich) und Gonzales (Spanien) auf einen sogenannten „realpolitischen“ Kurs; im Osten – ebenfalls vor einem runden Jahrzehnt – mit der Einführung marktwirtschaftlicher Elemente in Ungarn, Jugoslawien und China. Die Rinnsale der Rückwärtsrevolution schwollen alsdann in der zweiten Hälfte des Dezenniums in Ungarn und Polen zu breiten Bächen an und haben, zwischenzeitlich zu einem reißenden Strom geworden, nun den Eisernen Vorhang zerrissen und die Mauer durch das Herz Deutschlands und durch die Herzen der Deutschen sturzflutartig hinweggefegt. Überall in Osteuropa stürzten und stürzen die „Fürsten auf dem Thron der Lüge“2 im Sturm der Freiheit. Schnell schossen die Schlagzeilen aus dem westlichen Blätterwald: „Kapitalismus schlägt Sozialismus“, „Der Sozialismus ist am Ende“, „Sozialismus vor dem Bankrott“. Einige Autoren hatten dieses Ende längst kommen gesehen: „Die demokratische Weltrevolution“ hieß das 1987 erschienene Buch des Staatsrechtlers Professor Martin Kriele3, „Sozialismus, Ende einer Illusion“ eine schweizerische Publikation 19894, und ein amerikanischer Autor ging sogar so weit, mit dem Triumph der westlichen Ideen „über alle konkurrierenden Ideologien“ das „Ende der Geschichte“ vorherzusagen5. Tatsächlich scheint es so, als habe der Sozialismus nicht nur realpolitisch, sondern auch „wissenschaftlich“-theoretisch restlos abgewirtschaftet. Stimmt es also, dass der Sozialismus am Ende ist?

Meine Antwort: Obwohl alles an dieser Aussage faktisch wahr ist, ist nichts davon wahr in den Köpfen und Herzen der Menschen. Man schaue nur genau hin: Da gewannen in Griechenland die Sozialisten Papandreous trotz der Skandale, Schiebereien, illegalen Waffengeschäfte und finsteren Machenschaften ihres vor Gericht stehenden Führers bei den Wahlen Anfang November 1989 noch Stimmen hinzu; da wählte die jüngste Nation der Erde: das in die Unabhängigkeit entlassene Namibia – zu Beginn des November 1989 die marxistische Swapo mit überwältigender Mehrheit zur Regierungspartei; da redeten alle Köpfe der Oppositionsgruppen in der DDR von einem „neuen“, einem „reformierten“, „besseren“ Sozialismus; da posaunte IG-Metall-Steinkühler angesichts der Massenflucht unserer Landsleute über Ungarn, Polen und die CSSR: „Der Bankrott des real existierenden Sozialismus ist nicht identisch mit dem Bankrott des Sozialismus“; da frischte die in den Landtags- und Kommunalwahlen 1989 rasant zulegende SPD ihre Parteiprogramme mit sozialistischen Uralt-Parolen auf; da plädierte Alexander Dubcek, Vater des Prager Frühlings, bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Bologna für einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“; da belehrte der saarländische Ministerpräsident, Oskar Lafontaine, (in einer politischen Fernsehrunde anlässlich des Sturzes Erich Honeckers) sein Millionenpublikum: „Demokratie und Sozialismus sind eine Tautologie, denn Sozialismus ist ohne Demokratie gar nicht möglich“, wobei Altkanzler Schmidt sich beeilte, seinem Parteigenossen eifrig zuzustimmen; und zur Krönung des denkwürdigen Fernsehtages mahnte SPD-Vogel am Abend: „Auch an diesem Tag müssen die Verdienste Erich Honeckers gewürdigt werden.“ Doch dem nicht genug: Erschienen den Medien noch einige Wochen vorher die „kapitalistischen“ Kriminalitätsraten in Los Angeles als wesentlich aktueller und wichtiger als das Niederwalzen der Freiheitsregung in China und die Dorfvernichtungspolitik des neofeudalistischen Popanz des Schreckens, Ceaușescu, so war in den entscheidenden Wochen des Oktober und November 1989 in ungezählten Gesprächsrunden auf den Bildschirmen nicht ein einziger namhafter Wirtschaftswissenschaftler der freien Welt zu sehen. Während Wendehälse und Pfarrer, Dichter und Konzertmeister, Künstler und Schauspieler, Hausfrauen und Schüler ihre peinliche Schimmerlosigkeit in Hunderten von Interviews über die wirtschaftliche Zukunft des östlichen Deutschland zum Besten gaben, hatte man sogar Professor von Berg in den Senkel des Schweigens gestellt. Der Ex-DDR-Wirtschaftswissenschaftler, der seine Bekehrung zum Marktwirtschaftler so freimütig und überzeugend dargestellt und – in einer Sendung zu Beginn der Ereignisse – den Sozialismus mit einem vernichtenden Verbalschlag ausgeknockt hatte – war fürderhin keine Einladung mehr wert. Und auch den tapferen Journalisten Gerhard Löwenthal dürften wir fürs Nächste wohl gesehen haben. In einer Talkshow am 10. November 1989, am Tag nach der deutschen Freiheitsnacht, in der die Menschen aus Ost- und Westberlin zum ersten Mal nach 28 Jahren wieder durch die Mauer gegangen waren, an jenem welthistorischen, überwältigenden Tag, da die Mauer zu fallen begonnen hatte, wurde Löwenthal – nach seiner Bemerkung, man möge ihm einen einzigen Quadratkilometer auf dem weiten Erdenrund zeigen, wo der Sozialismus je funktioniert habe – mit Gift und Galle überschüttet und mit Hasstiraden und Geschmacklosigkeiten niedergebrüllt. In der gleichen Talkshow konnten wir vom Schriftsteller Gregor von Rezzori erfahren, dass die Bundesrepublik nur deshalb eine soziale Marktwirtschaft sei, weil sozialistische Ideen sie dazu gemacht hätten. (Wir werden noch erleben, was die aus der Ex-DDR herüberschwappenden „Ideen“ aus unserer Marktwirtschaft machen werden, und wie viele Hundert Milliarden uns der Versuch kosten wird, jenen Ideenlieferanten den größten Offenbarungseid der Weltgeschichte zu ersparen.)

Der Sozialismus am Ende? Nein, Freunde: Niemand ist weiter von der Realität entfernt als jene, die glauben, durch den Bankrott der östlichen Herrschaftssysteme liege der Sozialismus in Agonie. Ganz im Gegenteil: Im Gewand des Reformators, des Erneuerers, des vom Stalinismus „gereinigten“, in der Schnellwaschanlage mit Glasnost und Perestroika gewachsten, von den Betonköpfen befreiten Edel-Erlösers taucht er im neuen Cherub-Gewand wieder auf, gewinnt er durch das theatralische Ablegen seiner Stasi- und Kalfaktor-Fratze, durch das Überziehen einer demokratischen, diskussionsfreudigen und pluralistischen Maske erst so richtig an charismatischer Heilsaura. Jetzt, da er die Maschinenpistole, die Spritze des Gehirnwäsche-Psychiaters, die Tretminen und Schießanlagen, die Elektro-Foltergeräte und den Psychoterror der Einheitslüge ablegt – gezwungenermaßen ablegen muss –, jetzt kommt erst seine Stunde: Jetzt kommt das Speichellecken der „Wohlgesinnten“, das ekelhafte Bekenntnis der Neurenegaten, die Beschwichtigungsformel der „Bedächtigen“, die Medien-Seelenmassage der Flagellanten und Erneuerer. Jetzt kommt die Stunde des „wahren“, „edlen“, „unverfälschten“, „humanen“ Sozialismus. Es kommt – für alle, die es immer noch nicht kapiert haben – die Stunde des Sozialismus, nicht seiner Niederlage. Nur: wie er faktisch aussehen soll, der gute und echte, das wissen seine Priester und Gläubigen halt nicht zu sagen. Der russische soll’s nicht sein, und nicht der chinesische, nicht der rumänische oder polnische, nicht der bulgarische oder jemenitische, nicht der ugandische oder moçambique’sche, nicht der äthiopische und nicht der afghanische, nicht der kubanische und nicht der nicaraguanische. Aber welcher dann in drei Teufels Namen?

Tja, wer so fragt, der hat eben noch nicht das mystische Stadium der Einweihung erreicht, denn – so ein Lehrer meiner Tochter nach dem 9. November – „er (der Sozialismus) ist ja noch im zarten Jugendalter. Schließlich ist er erst siebzig Jahre alt, und als der Kapitalismus noch so jung war, da gab’s noch Kinderarbeit!“

Über die schrecklichen Irrtümer und Lügen, die in diesem Satz stecken, und mit denen unsere Jugend verpestet wird, werden wir noch zu reden haben. An dieser Stelle nur ein grober Keil auf den groben Klotz: Als die sozialistische Revolution so jung war wie die Industrielle Revolution, da endete bereits ihr erster Gehversuch mit vierzehn Millionen Toten (Zwangskollektivierung), dem größten Massenmord der Menschheitsgeschichte!

Es ist ja verständlich, dass die vom Sozialismus pathologisch Infizierten im Westen ihn nun aus Enttäuschung über die „Blamage“, die er sich jüngst im Osten unseres Vaterlandes eingehandelt hat, in rasender Wut verteidigen. Weniger verständlich aber ist, dass nahezu alle Menschen zumindest an die erste Hälfte des Steinkühler-Satzes (in: „Metall“ vom September 1989) glauben: „Die zutiefst humanistische Idee des Sozialismus wird durch staatsbürokratische Systeme pervertiert“, zumindest also an die Mär von der „zutiefst humanistischen Idee“. An sie glauben alle auf Gorbatschow hoffenden Sowjetmenschen, ebenso wie alle auf Solidarność setzenden Polen; an sie glauben unsere Landsleute in der Ex-DDR ebenso wie die meisten Bürger der westlichen „kapitalistischen“ Staaten, unsere Intellektuellen ebenso wie unsere Politpfaffen (Pfarrer Heinrich Albertz: „Was sich in meiner Kirche getan hat, ist sensationell. Aus der deutschnationalen Kirche von einst ist eine Institution geworden, an der gemessen die SPD eine rechtsreaktionäre Partei ist!“6), die Medienclique genauso wie ihre permanent vor die Kameras gezerrte Prominenzschickeria, ja an sie glaubt sogar die Mehrzahl derer, die „dem System“ durch Stacheldraht und Minenfelder entkommen sind. Und auch wenn der „real existierende“ Sozialismus nirgendwo auf dem weiten Erdenrund funktioniert (außer man versteht unter „funktionieren“ Bankrott, Hungertod und Gulag), so sind die modernen Alchemisten doch davon überzeugt, dass man aus Dreck Gold machen könne (sprich: aus dem theoretisch reinen edlen, humanen – einen ideengetreuen „neuen real existierenden“); man müsse halt nur die richtige „Mischung“ finden und dürfe sich nicht stur an ein untaugliches Konzept klammern. Die einfache alchemistische Formel: Mehr Demokratie, Klartext: Alles bleibt beim Alten; man redet jetzt nur darüber, um „etwas“ zu verändern, wobei man eben herausfinden müsse, was das „etwas“ sei. Denn gefunden werden müsse es, das „etwas“, weil man nämlich den „jetzt“ real existierenden Sozialismus nicht mehr wolle, aber den schrecklichen, den „kalten“ und „unmenschlichen“ Kapitalismus auch nicht.

Merke: Was am Kapitalismus „kalt“ und „unmenschlich“ sein soll, das ist die Tatsache, dass er den Menschen keine Illusionen vorgaukelt von einem irdischen Paradies der Edlen, der „solidarischen“ und „neuen“ Menschen, sondern dass er sie so akzeptiert wie sie sind: egoistisch und hilfsbereit, verschlagen und offen, dumm und gescheit, faul und fleißig, nüchtern und verträumt. Was am Sozialismus „menschlich“ sein soll, das ist in Wirklichkeit nur die Illusion, der Irrtum und der Wahn. Diesseits und jenseits des Wahns aber ist stets er es, der Sozialismus, der kalt und unmenschlich die Fratze der Tyrannei, den Stehkragen der Spitzel, die Hungerödeme des Elends und die Stiefel der Gefängniswärter tragen muss.

Der Wahn aber lebt fort, durch alle Gitterstäbe hindurch; und auch die fettesten Maden im kapitalistischen Speck haben im tiefsten Herzen nur ein Lied: die Internationale.

Dann gibt’s da noch jene Alchemisten, die hoffen, dass beim vergeblichen Dreck-in-Gold-Verfahren wenigstens Porzellan entstehen möge – wie weiland bei Böttger –, also jene „Mischform“ aus einer „Annäherung der Systeme“, von der man sich erhoffen könne, sie sei nur ein bisschen schwanger und werde deshalb weder einen sozialistischen Krüppel noch einen kapitalistischen Homunkulus gebären. Aber dieses Porzellan ist zerbrechlich; es verschönt eine Weile die Tafelfreuden, und beim nächsten Stolperer ist die Pracht dahin. Auch Porzellan ist nicht Gold, sondern nur Dreck, wenn auch etwas haltbarer und ansehnlicher. Jene „mittleren Wege“ – wie der jugoslawische, der (bis vor kurzem) ungarische oder portugiesische – haben in die gleiche Misere geführt wie die „rein“ sozialistischen, wenn auch auf längeren und weniger steinigen Wegen. Auch hier gilt das alte DDR-Sprichwort: Der Sozialismus ist der längste und mühseligste Umweg vom Kapitalismus zum Kapitalismus. Noch treffender hat der polnische Finanzminister Balcerowicz den faulen Kern des „dritten Weges“ herausgeschält (in einem Gespräch mit der Zeitschrift „Polityka“ vom Dezember 1989): „Den dritten Weg zwischen Sozialismus und freier Marktwirtschaft mag es theoretisch geben, aber Polen ist zu arm, um ihn zu gehen. Mögen das reichere Länder tun.“ Das ist des Pudels Kern. Nur ein Land und eine Regierung, die es sich „leisten“ können, gigantische Summen an Arbeitskraft und Ressourcen, an Steuer- und Spargeldern ihrer Bürger zu verschwenden, kann sich das angeblich „humanitäre“ Mäntelchen des „mittleren Weges“ umhängen. Die Mitte zwischen Effizienz und Bankrott ist schon immer nur das gerade noch erträgliche Elend gewesen, und die Mitte zwischen Wahrheit und Lüge das feige Rattentum der lauwarmen Anbiederer und Duckmäuser. Ohne die kapitalistischen „Erbsünden“ des Privateigentums an den Produktionsmitteln und der freien Preise für alle Produktionsfaktoren und Produkte bleiben alle „Reformen“ Makulatur. Wem die Produktionsmittel nicht gehören (und wenn sie allen gehören, gehören sie niemandem), der erhält und erneuert sie nicht; wer bei mangelnder Effizienz nicht der Gefahr totaler Eigentums- und Existenzvernichtung ausgesetzt ist, der strebt nicht nach optimaler Produktivität; wer bei strukturellem Wandel nicht durch Konkurs und Eigentumsverlust zur Aufgabe gezwungen wird, der konserviert das Unbrauchbare und Ineffiziente durch Verschwendung von Arbeitskraft und Kapital (sprich: Volksvermögen im richtigen Sinn des Wortes) und verhindert das Entstehen des Neuen und Leistungsfähigen; und wem die freien Preise nicht die Signale geben können, was er tun und was er lassen soll, welche Produktionsfaktoren wie knapp sind, und welche Kombinationsformen optimal sind, und was die Konsumenten wie einschätzen, wünschen und vorziehen, der kann nicht effizient und nicht produktiv sein, der kann nicht tun und produzieren, was gefragt und benötigt wird, auch wenn er sich noch so große Mühe geben sollte. Indem man über die Systematisierung der Verschwendung nachdenkt und über die Verwaltung des Mangels, indem man über die Ideologisierung des Elends und das ferne Paradies palavert und „mitbestimmt“, kann man die Übel nicht beseitigen, sondern nur bei ihrem eitrigen Geruch mitstinken. Demokratie ohne Marktwirtschaft bleibt ein Versprechen, das niemals eingelöst werden kann. Professor Witold Trzeciakowski, polnischer Wirtschaftswissenschaftler in Warschau: „Die seinerzeit erfolgte Verstaatlichung der Wirtschaft kann man mit der Kastration eines Hengstes vergleichen. Die jetzt durchgeführte [halbherzige] Reprivatisierung gleicht dem Versuch, aus diesem Wallach wieder einen Hengst zu machen.“7

Ludwig von Mises, einer der großen Gelehrten und Nationalökonomen deutscher Sprache, hat es bereits 1922 gesagt: „Es ist ein Irrtum, wenn man glaubt, der Sozialismus könnte durch die bösen Erfahrungen, die man mit ihm gemacht hat, überwunden werden. Tatsachen an sich können nichts beweisen oder widerlegen; alles kommt auf die Deutung an, die man ihnen gibt. Von den Ideen, von den Theorien hängt alles ab. Wer am Sozialismus festhält, wird fortfahren, alles Übel der Welt dem Sondereigentum zuzuschreiben und alles Heil vom Sozialismus zu erwarten. Die Misserfolge des russischen Bolschewismus werden von den Sozialisten allen anderen Umständen zugeschrieben, nur nicht der Unzulänglichkeit des Systems. An allem Elend, das die Welt in den letzten Jahren erdulden musste, ist nach Ansicht der Sozialisten nur der Kapitalismus schuld. Sie sehen nichts als das, was sie sehen wollen, und finden nichts, was ihrer Theorie widersprechen könnte. Ideen können nur durch Ideen überwunden werden. Den Sozialismus können nur die Ideen des Kapitalismus und des Liberalismus überwinden. Nur im Kampf der Geister kann die Entscheidung fallen.“8

Diesen Kampf wollen wir hier gemeinsam aufnehmen. Dieses Buch ist nicht geschrieben worden, um erklärte Sozialisten (also solche, die Sozialisten sein wollen und sich als solche verstehen) zu Nichtsozialisten oder Antisozialisten umzukrempeln; das wäre so schwer oder so unmöglich wie einen Ochsen in eine Kuh zu verwandeln – oder umgekehrt. Dieses Buch wurde geschrieben, um denjenigen, die sich nicht für Sozialisten halten, zu zeigen, dass sie dennoch Sozialisten sind, und um ihnen aufzuzeigen, was sie wissen und begreifen müssen, um wirklich das sein zu können, was sie zu sein glauben: freie Menschen. Und dieses Buch wurde geschrieben, um alle gutgläubigen „Geißlein“ der freien Welt vor dem Wolf des Sozialismus zu warnen, der in seinen östlichen Jagdgebieten und überall auf der Welt erkannt, entlarvt und erschlagen zu sein scheint, während er – wie in jenem alten deutschen Märchen – nur vorläufig aufgibt, um Kreide zu fressen und in neuer Tarnung auf Raub auszugehen.

Aber: Dieser Weg ist mühsam. Er führt von der Philosophie und Staatstheorie über die Rechtsphilosophie bis zur Nationalökonomie, von der Geschichte über die Wissenschaftstheorie bis hin zur Biologie. Vor allem aber – und immer wieder – hin zur Wirtschaftswissenschaft, denn – so Wilhelm Röpke, der große Nationalökonom: „Wie der Friede, so ist auch die Tyrannis unteilbar, und die ökonomische Diktatur kann auf die Dauer so wenig die politisch-geistige ausschließen wie umgekehrt die politisch-geistige Diktatur die ökonomische. Es ist in der Tat eine durch nichts zu entschuldigende Naivität, zu glauben, dass ein Staat in der Wirtschaftssphäre total sein kann, ohne es zugleich in der politischen und geistigen Sphäre zu sein, und vice versa.“9

Anders gesagt: Demokratie und Sozialismus sind keine Tautologie (à la Oskar), sondern radikale, sich gegenseitig vollständig ausschließende Gegensätze. Demokratie ist ein Verfahren zur Machtbegrenzung und Machtkontrolle. Sozialismus dagegen verneint immer die individuelle Entscheidungsfreiheit der Individuen über ihre ökonomischen Präferenzen und Lebensziele (angeblich zugunsten der Allgemeinheit, des Kollektivs); somit weist Sozialismus stets die Hoheit über die entscheidenden Existenzkräfte und Lebensmotivationen dem Staat oder einer Partei oder politischen Cliquen zu, und somit ist Sozialismus niemals System oder Methode zur Machtbegrenzung, sondern immer und überall pseudomoralische Rechtfertigung zur Bevormundung des Lebens, Freibrief zur zynisch moralisierenden schrankenlosen Macht. Wer den Menschen verspricht: „Ihr sollt frei sein, aber ihr sollt sozialistisch frei sein“, der möge nachschlagen beim längst vergessenen Joseph Freiherr von Eichendorff: „Es ist gleich willkürlich, ob man den Leuten sagt: Ihr sollt nicht frei sein, oder: Ihr sollt und müsst gerade auf diese und keine andere Weise frei sein.“

Was Freiheit wirklich ist, das können uns nicht die linken Medien-Bastler erklären, die nach der Massenflucht der Menschen aus dem DDR-Gefängnis an dem Konzept gefeilt haben „Die Ellenbogen-Typen fliehen ins eiskalte Leistungsklima; die Menschlichen bleiben, um einen humanitären Sozialismus aufzubauen“, sondern die Massen auf den Straßen Leipzigs und Ostberlins, deren hunderttausendfacher Ruf „Freiheit! Freiheit!“ wie ein Donnerhall um den ganzen Erdball gerast ist; aber auch jene ungarischen Männer, die bei der Proklamation der Ungarischen Republik (statt „Volksrepublik“) am 23. Oktober 1989 – am 33. Jahrestag des Ungarischen Volksaufstandes von 1956 – weinend auf dem Parlamentsplatz standen. Dies waren Bilder, wie sie die Welt noch niemals gesehen hat, und nur wer von ihnen bis in die Grundfesten seines Körpers und seiner Seele erschüttert und entflammt war, hat ein Stück von dem begriffen, was Freiheit ist. Aber, um es zu wiederholen: Hüten wir uns vor falschen Schlüssen. Längst ist die Freiheit nicht erworben und gefestigt, schon gar nicht sind ihre Bedingungen und Wesenszüge verstanden, ihre Feinde und Zerstörer wirklich entlarvt. Noch immer lebt die überwiegende Zahl der Erdbevölkerung unter sozialistischem Joch. Noch immer vermag nur ein winziger Bruchteil aller Menschen – auch in den freien Ländern – den Begriff „Freiheit“ richtig zu definieren. Noch immer sind auch wir in der Bundesrepublik, dem freiesten Staat unserer Geschichte, im Begriff, die Grundpfeiler unserer Freiheit mit besessener Akribie zu zerstören. Noch immer – und immer mehr – glauben wir an die verlogene Mär von der „Ellenbogengesellschaft“ und immer geringer wird die Zahl derjenigen, die zu antworten wissen: Selbst wenn die „Ellenbogengesellschaft“ Wahrheit und nicht Lüge wäre, so möchte ich doch lieber meinen Weg durch die Menge mit den Ellenbogen suchen als auf den Knien. Weder ist der „alte“ Sozialismus tot, noch werden wir den „neuen“, mächtig wachsenden, verhindern können. Der „alte“ lebt trotz allen inzwischen eingetretenen Wandels vielerorts fort; besonders vehement in der zweiten und dritten Führungsebene der Betriebe, Behörden und Verbände, der Universitäten und Schulen in der Ex-DDR. In jener Sphäre also, die den Charakter eines Gemeinwesens entscheidend prägt. „Die Revolution muss erst noch kommen“, stellt der Soziologe Erwin K. Scheuch treffend fest, und: „Nach dem Entsetzen über den Wahlausgang im März und Mai [1990] haben sich die Blockeliten [der mittleren Ebene] wieder gefasst und hoffen, für die Bewahrung von DDR-Strukturen innerhalb des vereinten Deutschland Bundesgenossen missionieren zu können – als Ansatzpunkt für einen Reformsozialismus in ganz Deutschland.“10 Der alte Sozialismus wird auch in den Köpfen und Herzen von Millionen Funktionären dieser Kategorie (also der zweiten, mittleren und unteren Führungsebene) in der Sowjetunion fortleben, wenn die obersten Hohepriester der kollektivistischen Weltreligion längst gestürzt sein werden. Letztere freilich haben – die Ereignisse in ihren einstigen Vasallenstaaten vor Augen – ihre Lektion inzwischen gelernt, besser: notgedrungen lernen müssen. Was Gorbatschow jahrelang versucht hat, nämlich das vollständig bankrotte System effizienter zu gestalten und den dramatischen Zusammenbruch abzuwenden, ohne das sozialistisch-kommunistische Endziel aufzugeben, das war die Quadratur des Kreises. Also unmöglich, weil Sozialismus und Kommunismus die todsicheren Garanten der Ineffizienz und des Bankrotts sind. Ob ihm, Gorbatschow – oder anderen – nunmehr der letzte verzweifelte Schwenk zum Markt gelingen wird, das steht derzeit auf des Messers Schneide. Einer Schneide, so scharf wie das Beil des Henkers. Jedenfalls ist das, was sich jetzt in der Sowjetunion abspielt, ein Veitstanz am Rande des Abgrunds. Die adäquate Reaktion des Westens wäre: höchste Wachsamkeit, um nicht in den bevorstehenden tödlichen Strudel hineingerissen zu werden. Stattdessen herrscht paranoide Euphorie. Dass auch der so einsichtig wirkende Gorbatschow bis zum letzten bitteren Moment, da seine geknechteten Völker unter den Lebensstandard von 1917 zurückgefallen waren und sein Kolonialreich auseinanderzubrechen begonnen hatte, nicht vom sozialistischen Weg abweichen wollte, das beweist der überzeugende Ernst, mit dem er noch 1987 in seinem Buch „Perestroika“ geschrieben hat: „Wir werden uns weiter auf einen besseren Sozialismus zubewegen, und nicht von ihm weg. Wir sagen das in aller Aufrichtigkeit und nicht, um unser Volk oder die Welt zu täuschen. Jede Hoffnung, wir würden eine andere, nichtsozialistische Gesellschaft anstreben und ins andere Lager umschwenken, ist unrealistisch und zwecklos. Die Leute im Westen, die von uns eine Abkehr vom Sozialismus erwarten, werden enttäuscht sein. Es ist höchste Zeit, dass sie das einsehen.“11

Das unmöglich zu erreichende Ziel, die Befreiung des Menschengeschlechts von den Fesseln jeglicher Herrschaft, für das Lenin und Stalin – als „notwendiges Opfer“ – die grausamste Ausbeutung und die erbärmlichste Knechtschaft errichtet haben, welche die Weltgeschichte jemals gesehen hat, dieses irrationale Ziel wollte auch Gorbatschow nicht aufgeben, auch wenn er es mit anderen Methoden und mit „menschlichem Antlitz“ anstreben wollte. Und wenn er es nunmehr aufgeben sollte, wofür viele Fakten sprechen, so nicht aus Einsicht, sondern nur unter dem unerbittlichen Zwang der eingetretenen politischen Fakten. Es ist dies der furchtbarste faktische Beweis für die lebens- und menschenfeindliche Wirkung eines erkenntnistheoretischen Irrtums, den aufzudecken ein Hauptziel dieses Buches sein wird: des „Rationalistischen Konstruktivismus“12.

Ob beim „alten“ Sozialismus, oder bei einer neuen Variante (heiße sie nun „gelenkter Markt“ oder „sozial abgefederte Marktwirtschaft“ oder wie auch immer): Gorbatschow hatte und hat hierbei die denkbar besten Verbündeten: uns im freien Westen, und unseren „neuen“ Sozialismus. Diese neue Spielart der sozialistischen Idee, dieser „neue“, getarnte Wolf mit dem lieblichen Kreidestimmchen: sie sind nicht minder gefährlich als ihre Vorgänger, die man tot und begraben wähnt. Sie sind jedoch subtiler, weit schwerer zu erkennen und ohne klares „Feindbild“. Selbst ihre Definition ist nur negativ (durch die Benennung des Nichtvorhandenseins von etwas anderem) möglich: Es ist die schleichende Aushöhlung, Lähmung, Effizienzminderung, Zerrüttung, Aufweichung, Unterwanderung, Zermürbung, Schwächung, Verbiegung des Kapitalismus. Was den Kapitalismus angeblich permanent „verbessern“ will, ist in Wahrheit seine Krebsgeschwulst, sein todbringender Feind: der neue Sozialismus. Und das weiße, reine Pulver „sozialer“ Phrasen, mit dem man das alte sozialistische Raubtier vergiftet zu haben glaubt: es ist nur Kreide für den Wolf, neue Tarnung für den endgültigen Überrumpelungsangriff. Auch das wird uns in den folgenden Kapiteln noch hinreichend beschäftigen.

In einer Mischung aus Scherz und Ernst behauptet mein Bruder seit Jahren: „Der Sozialismus ist eine schwere, bislang unerkannte Geisteskrankheit. Ihr werdet sehen: Eines Tages werden die Hirnforscher das herausfinden.“ Nun, so weit wollte ich meinem Bruder ursprünglich nicht folgen, aber je mehr ich mich mit dem Studium der Erscheinungsformen, der Denk- und Motivationsstrukturen des Sozialismus beschäftigt habe, desto mehr musste ich zugestehen: Sehr weit entfernt von der Wahrheit ist diese Behauptung nicht. Ein sicheres Gespür der Menschen für die Tragik, die hinter dem scheinbar unbegreiflichen Phänomen steckt, spricht aus dem DDR-Witz, in dem eine alte Frau ihren Sohn fragt: „Wer hat eigentlich den Sozialismus erfunden? Waren es Ärzte oder Wissenschaftler oder Politiker?“ Die Antwort des Sohnes: „Ich glaube, es waren Politiker.“ Die Mutter daraufhin: „Aha, deshalb!“ Auf die neugierige Frage des Sohnes: „Was meinst Du mit ,Aha, deshalb!’?“ kommt die Antwort der alten Dame: „Nun, wenn es Wissenschaftler gewesen wären, dann hätten sie ihn – den Sozialismus – zuerst an Ratten ausprobiert.“

In der Tat haben sich seit Jahrzehnten viele bedeutende Köpfe mit der Frage gequält: Wie ist es möglich und zu erklären, dass von einer Ideologie, welche sich immer und überall auf der Welt ökonomisch und wissenschaftlich und menschlich als falsch und zerstörerisch herausgestellt hat, nach wie vor eine so unerschütterliche Faszination ausgeht? Hatte doch der große Ludwig von Mises schon 1922 (und 1932) geschrieben: „Der Sozialismus [...] ist nicht Wegbereiter einer besseren und schöneren Zukunft, sondern Zertrümmerer dessen, was Jahrtausende der Kultur mühsam geschaffen haben. Er baut nicht auf, er reißt nieder. Nach dem Erfolg seines Wirkens müsste man ihm den Namen Destruktionismus geben. Denn sein Wesen ist die Zerstörung. Er bringt nichts hervor, er zehrt nur auf, was die auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhende Gesellschaftsordnung geschaffen hat.“13 Und er konstatierte gleich das Unbegreifliche: „Man ist im Irrtum, wenn man meint, dass die Herrschaft der sozialistischen Ideologie auf die Anhänger derjenigen Parteien beschränkt ist, die sich selbst als sozialistische oder – was in den meisten Fällen dasselbe heißen soll – als soziale bezeichnen. Auch alle anderen politischen Parteien der Gegenwart sind von den leitenden Ideen des Sozialismus durchtränkt. Und selbst die wenigen entschiedenen Gegner des Sozialismus stehen im Banne seiner Gedankenwelt. Auch sie sind überzeugt davon, dass die sozialistische Wirtschaftsweise [...] eine gerechtere Verteilung der Einkommen verbürge und dass die geschichtliche Entwicklung zu ihr hintreibe.“14

Mises’ bedeutendster Schüler, der Nobelpreisträger Friedrich A. von Hayek, bringt das sinngemäß auf die kurze Formel: Die eine Hälfte der Menschheit besteht aus erklärten Sozialisten, die andere Hälfte aus unerklärten.

Ludwig von Mises war es auch, der schon kurze Zeit nach der bolschewistischen Revolution erkannt hat: „Nicht die Kanonen und Maschinengewehre, über die die Sowjets verfügen, machen die Kraft des Bolschewismus aus, sondern der Umstand, dass seine Ideen in der ganzen Welt mit Sympathie aufgenommen werden.“15 Das Sich-Wundern hat bis zum heutigen Tage angehalten, wobei die Erklärungsversuche nicht selten um pathologische Begriffe kreisen, die dicht bei der erwähnten „Geisteskrankheit“ angesiedelt sind. So spricht der Staatsrechtler Prof. Martin Kriele bezüglich des Sozialismus von einem „geistigen Fieberwahn“16, Professor von Hayek von einem „grandiosen Irrtum“, und der Philosoph Hermann Lübbe von „Bewusstseinsverengung“ und von „Verlust der Urteilskraft“.1718192021