Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte
bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Jan Eduard Augener

Zwischen den Welten – Aus dem Tagebuch eines Patiperro

ISBN: 978-3-7534-5293-7

Lektorat: Dr. Jochen Koehler

Korrektorat: Dr. Ursula Augener, Dominique Lambert

Coverdesign: Jan Eduard Augener, Alex Vulcu

Coverfoto: Natalie Ferstendik

Satz & Layout: Jan Eduard Augener

Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

Printed in Germany (Norderstedt)

Alle Rechte vorbehalten

1. Aufl. 2021, Berlin/Norderstedt

© 2021 Jan Eduard Augener

URL: Https://www.JanEduardAugener.de

Inhaltsverzeichnis

Dieses Buch widme ich meinen Töchtern Carla und Elsa, zwei ganz besonderen
Mädchen, die sich hoffentlich eines Tages selbst auf den Weg machen werden, um
diesen Planeten auf ihre eigene Art und Weise zu erkunden.

„Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute,
welche die Welt nie angeschaut haben.“

Alexander von Humboldt (1769 – 1859)

Zum Autor

Nachdem ich 1976 in Essen (NRW) geboren wurde und meine ersten drei Grundschuljahre dort verbracht habe, zogen meine Eltern mit mir und meinen drei jüngeren Geschwistern 1986 nach Wilhelmshaven (Niedersachsen) an die Nordsee, wo ich dann auch bis zu meinem Abitur 1995 wohnte. Seit meiner Kindheit fühle ich mich als Norddeutscher und bin überzeugter Europäer. Sofort nach dem Abitur und dem Zivildienst (beim Deutschen Kinderschutzbund in Essen) und später als Student der Politikwissenschaft und Geschichte bin ich mit einem „Lonely Planet“ in der Hand als Rucksacktourist in den Fußstapfen von Charles Darwin, Alexander von Humboldt und Alfred Wegener um den ganzen Globus gereist und habe so in den vergangenen 25 Jahren 65 Länder besucht. Politikwissenschaft und Geschichte habe ich in Trier, Heidelberg und Santiago de Chile studiert. Nachdem ich 2008 bei Professor Dieter Nohlen in Heidelberg über „Subregionale Integration in der neoliberalen Epoche in Lateinamerika“ promoviert worden war, war der Weg frei, meine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Seit 2007 arbeite ich hauptberuflich als Studienreiseleiter für Studiosus Reisen München. Bei Studiosus bin ich auch als Ländermentor für Mexiko & Guatemala sowie Kolumbien tätig. Etwa ein Drittel des Jahres bin ich beruflich für Studiosus in Mexiko, Guatemala, Kolumbien, Peru, Bolivien, Ecuador & Galápagos sowie auf Island und in Botswana unterwegs. Meine Leidenschaft für Dinosaurier, Plattentektonik & Vulkanismus sowie die Evolutionstheorie lebe ich im Berliner Museum für Naturkunde aus, wo ich als freiberuflicher Guide tätig bin und regelmäßig Führungen gebe. Zusammen mit meiner Frau Kerstin, die Gynäkologin ist, unseren zwei Töchtern Carla und Elsa sowie vier Goldfischen leben wir in Berlin-Köpenick.

Warum Reisen?

Ich habe das Reisen immer als die beste aller Möglichkeiten der Horizont-Erweiterung und als eine sehr effektive Methode des Lernens verstanden. Das individuelle Reisen ermöglicht einem die Einsicht und ein tieferes Verständnis für andere Kulturen, Länder und Lebensweisen, die einem durch schlichten Tourismus entgehen. Ich möchte das Reisen daher keinesfalls auf der gleichen Ebene wie den einfachen Pauschaltourismus ansiedeln, der für mich immer den leicht negativen Beigeschmack des Urlaubs und der schlichten Absorption von Neuem und reiner Entspannung in sich trägt. Sicherlich bin ich Tourist im taxonomischen Sinne des Wortes, aber zudem Reisender. Das macht einen großen Unterschied, denn das Reisen ist für mich keine üble Notwendigkeit, um möglichst schnell und im besten Fall komfortabel von A nach B zu kommen, sondern vielmehr ein elementares Grundbedürfnis. Jack Kerouacs grandioses Buch „On the Road“ (oder in der deutschen Übersetzung „Unterwegs“) war in diesem Sinne immer ein Schlüsselbuch für mich. Es ist weniger das sorgenfreie Hineinleben in den Tag, als vielmehr die Suche nach den letzten Paradiesen dieser Welt. Das Reisen muss einen Sinn für sich haben. Es ist Lebensstil und Bewusstseinserweiterung zugleich. Das Reisen darf nicht den Sinn eines Weglaufens vor oder von etwas haben, sondern muss vielmehr einen Grund des für etwas haben. Jeder, der schon einmal gereist ist, kennt dieses Gefühl der großen Freiheit, das einen überkommt, wenn man realisiert, dass es wieder losgeht in ferne, fremde und unbekannte Welten, die Vorfreude auf das Neue und das wehmütige Gefühl, sich vom lieb Gewonnenen trennen zu müssen. Mein Großvater hat einmal gesagt, es sei das Wichtigste im Leben, sich Erinnerungen zu schaffen. Alles kann einem genommen werden, die Erinnerungen jedoch nicht, sie bleiben immer ein unberührbarer Teil der eigenen Identität.

Patiperro ist ein chilenischer Begriff für eine Person, die gerne auf der Straße unterwegs ist – buchstäblich wie ein Hund. Ein Wanderer. Jemand, der nicht oft zu Hause bleibt, jemand, dessen brennende Neugier ihn stetig auf Reisen zu Orten führt, an denen er noch nie war. Ein Reisender zwischen den Welten.

Als Reisender ist man Drehbuchautor, Regisseur und Hauptdarsteller in einem. Man schreibt ununterbrochen an einem Drehbuch für einen Film, den man zeitgleich selbst inszeniert und in dem man auch die Hauptrolle spielt. Jeden Tag entsteht eine neue Seite in diesem Drehbuch. Indem der Reisende jeden seiner Schritte erst im Moment des Geschehens festlegt, weiß nur er, welcher der nächste sein wird. In der Auswahl zwischen unendlichen Optionen der Beliebigkeit ist Reisen ein faszinierendes Driften zwischen den Welten ...

8.000 Meilen Roadtrip durch die Südstaaten der USA

Vorwort

Vor ziemlich genau 25 Jahren erfüllen sich die beiden von der norddeutschen Küste stammenden zwanzigjährigen Schulfreunde und eingefleischten Aerosmith- und Guns N’ Roses-Fans Mitch und Edu einen gemeinsamen Traum. Der eine ist ein Bodybuilder und Wehrdienstleistender, der andere ein langhaariger Zivildienstleistender in Shorts und Doc Martens Stiefeln. Beide haben im Sommer 1996 gleichzeitig einen Monat frei und wollen wie Sal Paradise und Dean Moriarty in dem Buch „On the Road“ von Jack Kerouac einen Roadtrip durch die Südstaaten der USA machen. Anders aber als Peter Fonda und Dennis Hopper in „Easy Rider“ steigen sie nicht auf Motorräder, sondern in einen gebrauchten, tiefergelegten, feuerroten Pontiac Firebird, Baujahr 1988, mit Breitreifen und fahren, fahren, fahren: 8.000 Meilen in fünf Wochen, von Miami nach San Francisco. Mitch sitzt am Steuer und Edu mit einem Straßenatlas auf dem Beifahrersitz und navigiert. Kulinarisch nicht sehr anspruchsvoll, räumen sie das eine oder andere Allyou-can-eat-Buffet leer oder ernähren sich von Bohnenmus aus Dosen und trinken gallonenweise Gatorade. Da komfortabel schlafen aus ihrer Sicht etwas für Anfänger ist, betten sie sich, wo es sich gerade anbietet: in einer Hundehütte von einem Iglu-Zelt, auf den Sitzen im Auto oder unter dem freien Himmel auf einem Campingtisch in einem Nationalpark. Ihr ungeheurer Tatendrang und ihre Wissbegierde, so viel wie möglich zu erleben und zu sehen, treibt sie an, und so steuern sie sozusagen auf der Überholspur die ihnen am wichtigsten und bedeutsamsten erscheinenden Orte zwischen der Ost- und Westküste an. Alles, was sie auf diesem Trip sehen und erleben, schreiben sie auf. Dieses ist mein ungekürztes Original-Tagebuch von der Reise.

Am 13. Juli 1996 sitze ich zusammen mit meinem Schulkumpel Mitch in einer Maschine der Lufthansa, die uns von Frankfurt nach Miami in Florida bringt. Ich lese zum wiederholten Male „On the Road“ von Jack Kerouac. Was wir vorhaben? Wir wollen in einem Monat von Miami durch die Südstaaten der USA nach San Francisco fahren. Was uns dazu aber noch fehlt, ist das geeignete Auto. Nachdem wir im Sommer 1995 unser Abi gemacht haben, absolviert Mitch zurzeit seinen Wehrdienst in Wilhelmshaven und ich mache meinen Zivildienst beim Kinderschutzbund in Essen. Wir sind beide noch nicht 21. Damit das Alkoholische auf der Reise nicht zum Problem wird, haben wir uns als eingefleischte Fans von Guns N’ Roses und Slash im Frankfurter Duty-Free-Shop eine Flasche Jack Daniels gekauft. Ansonsten besitzen wir einen USA-Reiseführer von Baedeker und einen Straßenatlas von Rand McNally.

Auf Autosuche in Miami

In Miami angekommen, nehmen wir ein Taxi und fahren bei sage und schreibe 35° C an gigantischen Marlboro-Reklamen vorbei in ein kleines Motel in der Nähe des Flughafens. Dort springen wir in den Pool und verbringen den Rest des Nachmittags dort. Am nächsten Morgen wirft uns um 07:00 Uhr der Jetlag aus dem Bett. Wir laufen ziemlich sinnund planlos in der Gegend umher, um einen Autohändler zu finden. Es ist extrem schwül. Im Vorfeld der Reise hatten wir uns ehrlich gesagt nicht besonders viele Gedanken darüber gemacht, wie wir an ein Auto kommen sollten. Mieten können wir keins, da wir noch nicht 21 sind. Aber hey, wir sind in Amerika, da gibt es doch gebrauchte Autos ohne Ende. In einem Telefonbuch finden wir, was wir suchen: Abrahams Car Dealer. Nach einer zähen Busfahrt sind wir am Ziel: Nach dreieinhalb Verhandlungsstunden kaufen wir für 3.300 USD inklusive Insurance einen gebrauchten, knallroten, tiefergelegten Pontiac Firebird (Baujahr 1988) mit Automatikschaltung und Breitreifen, den wir kurzerhand Abe taufen. Genau! Das ist die gleiche Karre, die Johnny Lawrence von Cobra Kai fährt, nur dass sein Firebird Baujahr 1991 war.

On the road to Key West

Wir fahren zurück zum Hotel, werfen die Flasche Jack und unsere Rucksäcke in den Kofferraum. Wir haben abgesprochen, dass Mitch die meiste Zeit fahren wird und ich mit Hilfe eines Rand McNally Road Atlas navigieren werde. Das Tapedeck funktioniert und wir cruisen los Richtung Key Biscayne, während „Sweet Emotions“ von Aerosmith aus den Boxen ballert. Raus aus der Stadt und rein in die tropische Vegetation Floridas, während „Welcome to the Jungle“ von Guns N’ Roses aus den Boxen dröhnt. Endlose Sumpflandschaften ziehen an uns vorbei, und Mitch setzt mit Abe gleich am Straßenrand mal auf. Man sitzt in der Karre fast mit dem Hintern auf der Straße, darf beim Einparken dem Bordstein aber auf keinen Fall zu nahe kommen. Am späten Nachmittag kommen wir in John Pennekamps Coral Reef State Park an, wo wir in unserem Aldi-Iglu-Zelt die Nacht verbringen wollen. Ein Schnorchel-Trip zum Riff ist für uns nach dem Autokauf unbezahlbar. Aber in unserer direkten Nachbarschaft lebt eine Schildkröte, und diverse Waschbären laufen über den Campingplatz. Wir schwimmen im Meer und kochen Spaghetti auf dem kleinen Esbit-Taschenkocher, den Mitch in seiner Grundausbildung bei der Bundeswehr bekommen hat. Da Mitch auch im Arsenal tätig war, verfügen wir über massenweise kleine Esbit-Würfel. Die Nacht ist die Hölle: ein schnarchender Mitch neben mir, Regen, Schwüle und Moskitos. Total gerädert schlafe ich erst nach Mitternacht ein. Komplett zerstochen von den Mücken, fahren wir frühmorgens die 100 Meilen nach Key West. Landschaftlich eine tolle Strecke, aber irgendwann nerven die ganzen Hotels, Tauchshops und Fastfood-Läden. Es regnet gelegentlich. Zu Simon & Garfunkels „Bridge over troubled water“ cruisen wir über die Seven-Mile-Bridge. Es ist fast so, als würde man über das Wasser fliegen. In Key West laufen wir die Duval Street rauf und runter und besuchen das ehemalige Haus von Ernest Hemingway, in dem er rund dreiviertel seiner Bücher schrieb und welches heute ein Museum ist. Dort entdecke ich die tolle Plastik einer Katze, die Hemingway anscheinend von Picasso geschenkt bekommen hat. Wir relaxen, umgeben von unzähligen Katzen, ein wenig im wunderschönen tropischen Garten des Hauses. Die Sonne knallt erbarmungslos auf uns hernieder und die Schwüle ist unerträglich.

Durch die Everglades an den Golf von Mexiko

Wir fahren über die Keys zurück aufs Mainland von Florida und über den US-Highway 41 mitten durch die Everglades. Wir stoppen am Wegesrand und machen mit einem Ranger einen Ausflug mit einem Hovercraft durch den Nationalpark. Fantastische Seerosenfelder und unzählige Alligatoren bleiben mir in Erinnerung. Weiter geht es: Straight ahead nach Naples, das direkt am Golf von Mexiko liegt, und weiter nach Fort Myers. Nachdem wir in der vorherigen Nacht 25 USD für den Campingplatz ausgegeben haben, kommen uns 30 USD für ein Hotelzimmer wie ein Schnäppchen vor. Wir sind heute 380 Meilen gefahren. Die Everglades haben mich schwer beeindruckt, aber die ganzen Hotels und Fastfood-Läden auf den Keys waren echt zu krass. Mittags gab es ein paar Burritos und abends vertilgen wir eine gigantische Wassermelone, die wir am Wegesrand gekauft haben. Unser Zimmer ist kein Schnäppchen, sondern ein mit Kakerlaken verseuchtes Drecksloch. Da macht es auch nichts mehr, dass Mitch seine Melonenkerne alle im hohen Bogen an die Wand des Zimmers spuckt. Wir trinken ein paar Jacks und fallen todmüde ins Bett.

Island Hopping an der Golfküste Floridas

Und täglich grüßt das Jetlag-Murmeltier. Punkt 07:00 Uhr sind wir wieder on the road. Wir fahren nach Sanibel Island und Captiva Island, vorbei an tollen, weißen Stränden und schmucken Villen. Endlich kriegen wir auch das Dachverdeck von Abe auf, fangen uns aber im Lauf des Tages einen ziemlichen Sonnenbrand ein. Im J.D. National Wildlife Refuge fahren wir 5 Meilen durch Mangroven-Wälder und lassen uns von einem Ranger über die effektivsten Methoden der Malaria-Bekämpfung in Florida aufklären. Wir sehen viele Kormorane und Pelikane. Auf der Interstate 75 geht es weiter nach Sarasota. Mitch ist schwer geplagt von einem Sonnenstich. Wir kommen an einem Wild Orchid Park vorbei, wo ich stoppen will. Mitch rechnet mir kurz unsere Ausgaben der letzten Tage vor, und der Besuch der Parks wird aus Sparmaßnahmen gestrichen. Laut Mitch befinden wir uns schon jetzt, am Tag drei unserer Reise, an einem „finanziellen Abgrund“. Wir fahren auf die vorgelagerten Inseln zum traumhaft schönen Bradenton Beach und weiter über die Sky Bridge, während „Sunday Bloody Sunday“ von U2 aus den Boxen dröhnt, nach Downtown Saint Petersburg. Mitch schaut den zahlreichen Schönheiten am Wegesrand hinterher und übersieht eine rote Ampel. Ich rette durch beherztes Eingreifen uns und Abe das Leben, das ich ihm zuvor schon fast genommen hatte, als ich bei 70 Meilen/h eine auf dem Highway liegende Lichtmaschine überfuhr. Unser Bodenblech hielt aber zum Glück stand. Wir fahren weiter an Tampa vorbei ins Mainland, das Mitch großspurig als Hauptinsel übersetzt. Auf dem alten Highway 19 geht unsere Fahrt am Golf von Mexiko weiter nach Norden und wir geraten in ein gigantisches Gewitter. Binnen Sekunden sind die Straßen komplett überflutet. Wir surfen mit Abe regelrecht über den Asphalt. Wir stoppen bei Arby’s und verdrücken ein paar Burger. Danach geht unsere Fahrt weiter ins Dunkel hinein – bei fantastischem Wetterleuchten. Mitch findet Abes Tempomat und wir machen Meile um Meile. Kurz vor Perry überkommt uns die Müdigkeit. Wir übernachten auf einem heruntergekommenen und verlassenen Campingplatz. Da die Duschen nicht funktionieren, zahlen wir auch nicht und schwitzen uns in unserem Aldi-Iglu durch die feucht-schwüle Nacht. 435 Meilen sind wir heute gefahren.

Von Florida nach Georgia

Tag Fünf. Wir erwachen. Ich fühle mich so ekelig und klebrig. Mitch schlägt vor, einfach irgendwo über den Zaun zu klettern und in einen der zahlreichen Pools der Nachbarschaft zu springen. Diese geniale Idee scheitert aber am bereits vorhandenen Tageslicht. So fahren wir stinkend und klebrig weiter. Jeder zahlt 5 USD, und unsere Gemüter hellen sich bei einem All-you-can-eat-Buffet bei Shoney’s auf. Wir fahren mit nur noch sehr wenig Benzin im Tank Richtung Tallahassee und erreichen Walluka Springs. Unser Leiden hat ein Ende. Wir baden im kalten, kristallklaren Wasser der größten und tiefsten Süßwasserquelle der Welt, die in einem wunderschönen mit Zypressen bewachsenen Sumpfgebiet liegt. Wir beobachten Alligatoren und Schildkröten beim Sonnenbaden, und um uns herum spielen die Fische im Wasser. Wir machen mit Abe und Mitch am Steuer Meilen um Meilen. Die Landschaft verändert sich nach Tallahassee sehr stark. Wir kommen in den Bundesstaat Georgia, wo alles sehr grün ist. Viele Felder und Wälder. Wir stoppen in Blakley an einem Supermarkt. Zwei Gallonen Gatorade und zwei Styropor-Kühlkisten voller Eis kommen auf Abe’s Rückbank. Bei dieser Schwüle und diesen Temperaturen kommen wir mit dem Trinken kaum nach. Kulinarisch versorgen wir uns mit Toast, Peanutbutter, Jelly sowie Refried Beans aus der Dose. Die Vegetation am Wegesrand ist üppig grün. Unzählige Schlingpflanzen umranken die Strommasten. In Columbus müssen wir für Abe eine neue Autobatterie kaufen, die ich am Wegesrand mit freiem Oberköper einbaue. Mitch ernennt mich daraufhin zum Chef-Mechaniker des Trips. Unser finanzieller Abgrund wird tiefer und tiefer. Zudem stellt Mitch fest, dass wir in einem unser Breitreifen einen Nagel stecken haben. Leicht gestresst fahren wir weiter, wohl wissend, dass Abe keinen Ersatzreifen im Kofferraum hat. Auf der Interstate 85 ziehen unzählige Farmen, Felder und Wälder an uns vorbei. Auf einer sechsspurigen Autobahn nähern wir uns Atlanta. Mitch fährt wie eine gesengte Sau und wechselt im Sekundentakt zwischen den Spuren, während ich mich in die Straßenkarte vertiefe, mein baldiges Ende vor dem geistigen Auge. Plötzlich taucht das Olympiastadion von Atlanta am Firmament auf. Mitch wechselt in einem Zug ruckartig von der ganz linken zur ganz rechten Spur, verpasst aber trotzdem die Ausfahrt. Wir fahren durch Atlanta hindurch zum Alataoona Lake und zelten am Ufer des Sees, ohne Duschen, nur mit Plumpsklo. Zum Abschluss des Tages gibt es Pilsken im See. Mitch erwärmt sich seine Büchse Refried Beans, ich esse sie gleich so, wie sie sind. Und ab in unser Aldi-Iglu. Respekt an Mitch. Er ist heute rasant gefahren und hat geschmeidige 446 Meilen abgezogen. Am frühen Morgen fahre ich Abe zurück zum brandneuen Olympia-Stadion in Atlanta. Da die Eröffnungsfeier noch ein paar Tage hin ist, können wir uns frei auf dem Gelände des Stadions bewegen. Sie haben sogar schon das Feuerwerk für die Eröffnungsfeier aufgebaut. Uns werden Schwarzmarkttickets für die Eröffnungsfeier angeboten. 200-600 USD sollen sie kosten. Wir gehen dann doch lieber bei Dennys für 5 USD frühstücken und geloben uns zum millionsten Mal, sparsamer zu sein, des Abgrundes wegen…

477 Meilen von Atlanta nach Memphis

Unser nächstes Ziel soll Birmingham in Alabama sein, 148 Meilen entfernt. Mitch gibt Gas und fährt die Strecke in unter 2 Stunden. In Birmingham lebt Joie. Sie war die Flamme von Mitch, als er mit seinen Eltern während der Schulzeit ein paar Jahre in den USA gelebt hat. Joie ist verheiratet, aber Mitch will unbedingt vorbeifahren und ihr einen Brief in den Briefkasten werfen. Auf der Strecke gibt es nichts Bedeutsames zu sehen, ich schlafe. Birmingham ist eine typische Kleinstadt mit einfachen Holzhäusern und einer Kirche. Joies Ehemann sprengt gerade den Rasen vor der Tür. Ich rede kurz mit ihm. Joie ist gerade mit den Kindern (!!!) in der Kirche. Ich drücke ihm den Brief von Mitch in die Hand, und wir brettern auf einer schnurgeraden Straße, der Interstate 22, weiter durch Mississippi in den Bundesstaat Tennessee und erreichen Memphis. Wir campen für 13 USD westlich von Memphis im T.O. Fuller State Park. Trotz der vielen Mücken schlafen wir ganz gut. Mit 477 Meilen brechen wir unseren Tagesrekord. Langsam reicht es aber auch mit dem Runterreißen von Meilen.

Besuch beim King in Graceland

Tag 7. Elvis, wir kommen! Wir geben uns das komplette Graceland-Programm. Inklusive eines Fotos von Abe vor der Mauer zum Elvis-Anwesen. Wenn wir dabei von den Bullen erwischt worden wären, hätte uns das 300 USD gekostet. Der ganze Spaß kostet uns auch so pro Kopf 25 USD, ist aber jeden Penny wert. Wie klettern in die Privatjets von Elvis, trollen uns durch den Jungle Room, amüsieren uns über die heulenden Fans an seinem Grab und bestaunen seine Pistolen und den zerschossenen Fernseher. Seine Autos waren allesamt der Hit. Er war wirklich der King: Beim Hawaii-Konzert haben über 1,5 Mrd. Menschen zugeschaut (mehr als bei der Mondlandung) und er hat 1 Mrd. Platten verkauft. Ich liebe seine Kostüme. Am besten gefällt mir aber das Eingangstor mit den Noten. Kulinarisch haben wir unsere Kosten inzwischen eisenhart im Griff: Jeder eine Gallone Gatorade pro Tag, Eis für die Kühlbox, 5 USD pro Person für ein All-you-can-eat-Breakfast und dann noch 1-2 Dosen Refried Beans und Toast & Peanutbutter pro Tag. Das hält uns am Leben.

Black Lives matter

Weiter geht es zum National Civil Rights Museum im Lorraine Hotel. Wo am 04. April 1963 Martin Luther King Jr. auf dem Balkon vor dem Zimmer 306 erschossen wurde. Das Museum beeindruckt uns schwer, zumal alles so belassen wurde wie am Tag des Mordes. Wir würden gerne länger in Memphis und im Museum bleiben, aber irgendwie treibt es uns weiter in Richtung Süden nach New Orleans. Also werden es heute doch wieder ein paar Meilen mehr als gedacht. Wir folgen der Scenic Route des Highway 61, der parallel dem Lauf des Mississippi zur Mündung folgt, und erhaschen immer mal wieder einen Blick auf den Mighty Mississippi River. Das flache Farmland Alabamas zieht nur so an uns vorbei. Wir hören zur Abwechslung mal wieder Aerosmith. Den River Road State Park und den Leroy Percy State Park durchqueren wir leider nur. Um 20:00 Uhr müssen wir in Blakley tanken und fahren vorbei an Vicksburg auf die 27. Wir verfahren uns, da es inzwischen stockdunkel ist.

Begegnung mit einem Gürteltier & sexuell frustrierten Zikaden

Schlussendlich finden wir den Natchez Trace Parkway, der uns zum Rocks Spring Campground führt. Mitch steigt in die Eisen, weil ein Gürteltier die Straße kreuzt. Wir reißen zwei Budweiser-Ice auf und beobachten Buddy, wie wir ihn nennen, für eine Weile, bis er im Unterholz verschwindet. Unser Aldi-Iglu bauen wir im Scheinwerferlicht von Abe auf und gesellen uns dann mit einem Sixpack Budweiser-Ice zu ein paar anderen Campern, die ein Lagerfeuer machen, da die Nacht so dunkel ist, dass man die Hand vor Augen nicht sehen kann. Nach 329 Meilen trinken wir unser Bier unter einem atemberaubenden Sternenhimmel zur ohrenbetäubenden Geräuschkulisse eines Haufens sexuell frustrierter Zikaden.

Tag Acht. Wir können wieder gratis campen, da wir so früh abhauen, dass der Ranger, der kassieren könnte, noch im Bett liegt. Und wieder gibt es keine Duschen, nur einen kleinen Frosch im wasserlosen Waschbecken. Wir fahren weiter auf dem Natchez Trace Parkway und retten ein paar kleinen Landschildkröten das Leben, als sie die Straße passieren. Ein überfahrenes Gürteltier liegt auf der Straße. Wir hoffen beide inständig, dass es nicht Buddy ist. Wir erreichen Natchez. Alle Geschäfte und der Visitors-Center sind noch geschlossen. Wir stellen fest, dass wir zwei Tage lang eine Stunde vor der Zeit gelebt haben, da wir den Zeitzonenwechsel verpennten. Vor dem Sezessionskrieg war Natchez das wirtschaftliche, politische und soziale Zentrum Mississippis, lernen wir im Visitors-Center. Die Stadt ist berühmt für ihre grandiosen Herrenhäuser der Antebellum-Architektur. Alles schön und gut, aber wie wollen nach New Orleans.

New Orleans, wir kommen!

Eine schier endlose Sumpflandschaft und eine ziemlich coole Brücke geleiten uns nach New Orleans. Das gigantische Superdome-Stadion, damals noch mit der größten Kuppel der Welt, passt so gar nicht ins Bild. Langsam kriegen wir einen Abe- und Sumpfkoller und sind heilfroh, unseren Ponti für 5 USD 24 Stunden in einem Parkhaus loszuwerden. Wir laufen ins French Quarter und schlendern die Bourbon Street entlang. Die Häuserfassaden, die Balkone und die Masse an Bars sind eindrucksvoll. Die unzähligen T-Shirts-Shops und Dildo-Läden nerven aber tierisch. Wir gehen ins Voodoo-Museum und checken ein paar Bars aus. Irgendwie scheint hier niemanden zu interessieren, dass wir keine 21 sind. Die Brücke über den Mississippi ist echt beeindruckend, die Riverfront aber eher öde. Eine Hafenrundfahrt sparen wir uns und gucken lieber den unzähligen Clowns, Gauklern, Musikern, Malern, Hände-Lesern und Tarot-Karten-Legern in den Straßen zu. Die Atmosphäre am Nachmittag ist echt super. Ich liebe diese Voodoo-Shops. Man kann sogar Vampir- und Friedhofstouren buchen. Mitch hat indes Blut geleckt und will lieber trinken und feiern. Plötzlich öffnet der Himmel seine Schleusen, so wie ich es noch nie erlebt habe, und es hört auch gar nicht wieder auf. Die Straßen sind Flüsse, die Kanalisation fließt über, und von den Dächern und Balkonen stürzen Wasserfälle herab. Sowieso schon nass bis auf die Knochen, duschen wir open-air unter einer Regenrinne.

Nachtleben auf der Bourbon Street

Am frühen Abend hört es auf zu regnen. Wir haben nur meine Kreditkarte am Mann. Unser Bargeld liegt in Abes Kofferraum. Warum kann man in New Orleans mit einer Amex-Karte nix Bezahlbares zu essen bekommen? Also zurück zu Abe, Pizza Hut, frische Klamotten und ab ins Nachtleben im French Quarter. Alter Schwede, was auf einmal los ist. In jeder Bar spielt eine Band. Von Jimi-Hendrix-bis-Bob-Marley-Imitatoren ist alles dabei. Die Menschenmassen schieben sich durch die Straßen. Keine Perso-Kontrolle am Eingang und keine Cover Charge, aber ein Mindestverzehr von 4-5 USD pro Bar. Draußen auf der Straße bekommen wir aber einen Pint Bier im Plastikbecher für 2 USD. Inzwischen tritt man auch nur noch auf zertretene Bierdosen, Plastikbecher und Einwegflaschen. Was für eine Müllflut! Wir geben uns von der Straße aus eine Dixie- Band, dann eine Soulband und quatschen mit einem netten Türsteher vor einer Jazzbar. Er geleitet er uns in ein Hinterzimmer für eine grandiose „Topless-Bottomless Show“, wie er sagt. Nope! Dann lieber ein eiskaltes Budweiser im „R&B 169 Club“, der gerade von einem Rastafari-Hendrix in Grund und Boden gerockt wird. Wir hängen noch ein bisschen in der Razzoo Bar ab, wo Mitch aber Opfer diverser gemeingefährlicher Übergriffe von sehr leicht bekleideten Damen wird, die ihm an die Wäsche wollen. Im Hintergrund wird im Fernsehen die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Atlanta gezeigt, inklusive Feuerwerk. Das heiß ersehnte French Quarter offenbart sich uns bei Nacht als ein reines Sex-, Sauf- und Partyviertel für Touristen. Kein Vergleich zur coolen Gaukler-Vampir-Voodoo-Atmosphäre des Nachmittags. Daher verlassen wir New Orleans um 03:00 Uhr morgens mit einem weinenden und einem lachenden Auge, erlösen Abe aus seiner Parkhaus-Gefangenschaft und fahren zu einem Campingplatz. Weil er leider geschlossen ist, parken wir vor dem Gate und pennen 3 Stunden im Auto. Immer wenn wir denken, die Nächte können nicht noch beschissener werden, kommt noch was. Die Kühltruhe von Mitch wird inzwischen von einer Kolonie Ameisen bewohnt, die sich an seinem Gatorade gütlich tun und dann zum Angriff übergehen. Aufgrund meines Bierpegels schlafe ich sogar einigermaßen bald ein. Mitch hingegen wird die ganze Nacht von Auto-Albträumen geplagt. Er lenkt und bremst im Traum, im Fahrersitz dösend, was das Zeug hält, und ich kriege den einen oder anderen Ellenbogen ab.

Auf in die Sümpfe von Louisiana

Um 06:00 Uhr schmeißt Mitch Abes Motor an. Der Fahrtwind tut gut, und wir finden einen Burger King. Es geht wieder aufwärts nach einem Liter Cola und zwei Aspirin! Zwei ausgemergelte, total versiffte, vom Fast-Food abgenervte, am Pleitewahn leidende und komplett übermüdete USA-Traveller haben ihre erste Woche on the road hinter sich gebracht und sind am Vortag wieder 439 Meilen gefahren. Was machen wir hier eigentlich? Scheiß Essen, beschissen schlafen, keine Dusche und ständig fahren, und dann noch 24 Stunden am Tag Mitchs unrasierte Hackfresse neben mir. Es ist Samstagmorgen 08:00 Uhr, und wir überlegen, wie es weitergehen soll. Als Kartengott entscheide ich, dass wir die Sümpfe anpeilen und Richtung Houston in Texas fahren sollten. Mitch stimmt zu, und wir fahren los. Unsere Spargleichung beim Campen geht inzwischen sehr erfolgreich auf: Spät ankommen + früh wegfahren = Geld sparen. Wir passieren Baton Rouge und erreichen nach einer eindrucksvollen Fahrt durch die Sümpfe Louisianas Lafayette, wo wir bei Pizza Hut stoppen, wo es aber samstags leider kein All-you-can-eat-Lunch-Buffet gibt. Also müssen zwei Pizzen in der Größe von Wagenrädern ran. Salami für Mitch und eine Veggie Deluxe für mich. Der Speisekarte liegt ein Zettel bei, auf dem steht, dass man, wenn durch ein Versehen die falsche Pizza geliefert wird, diese umsonst bekommt. Wir amüsieren uns, denn so schwer dürfte es doch nicht sein, die Bestellung straight zu bekommen. Und here we go. Mitch bekommt eine Pizza mit Pilzen und ich mit Hackfleisch. Doch bevor wir auch nur etwas sagen können, sagt die Bedienung auch schon sorry und dass unsere richtigen Pizzen auf dem Weg seien. Wir sind im Pizza-Himmel angekommen. Wir bekommen vier Wagenräder und zahlen nur zwei. Mit zwei riesigen Pizza-Kartons auf der Rückbank fahren wir weiter zum Lake Charles. Noch immer total begeistert von den Sümpfen Louisianas springen wir in den Lake Charles, der aber so warm ist, dass es fast schon keine Erfrischung mehr ist. Sogar Duschen gibt es am Ufer. Was für ein Luxus! Abends fahren wir weiter nach Houston und gleich weiter an die Golfküste nach Galveston. Wir finden einen günstigen, sehr schönen und gut ausgebauten Campingplatz. Mitch wäscht seine Klamotten und verbringt die Nacht open-air auf dem Campingtisch, da er die Schnauze voll hat von unserer Aldi-Iglu-Sauna-Hundehütte. 477 Meilen geschafft. Neuer Tagesrekord!

Besuch bei der NASA

Sonntagmorgen. Ich erwache im Zelt nach einer Nacht im Tiefschlaf. Kein Mitch neben mir. So kann der Tag beginnen. Draußen erwartet mich traumhafter Sonnenschein. Frühstück bei Jack in the Box, und wir besuchen den Space-Center der NASA. Von hier aus werden alle Expeditionen der USA ins All gesteuert und die Astronauten ausgebildet. Als wir aus dem Center herauskommen, erschlägt uns die Hitze regelrecht. So heiß war es noch nie auf der Tour. Wir machen ein Nickerchen am Wegesrand und fahren nach Houston Downtown. Nix los an einem Sonntag. Wir legen unsere Pizzen auf Abes Motorhaube, wo sie binnen Sekunden anfangen zu brutzeln.

American History in Dallas

Am späten Nachmittag erreichen wir Dallas, wo natürlich auch tote Hose ist. Wir besuchen den Ort des Geschehens am Delaley Plaza, wo JFK 1963 ermordet wurde, und unterhalten uns mit einem Afro-Amerikaner, der Info-Hefte zum Kennedy-Mord verkauft. Krass, wie viele Verschwörungs¬theorien es im Zusammenhang mit der Ermordung von Kennedy gibt. Abends fahren wir wieder aus der Stadt raus zum Cedar Hill State Park. Die Campingplatzsuche ist eigentlich ganz einfach, da sie überall in meinem Rand McNally Road Atlas als kleine Zelte eingezeichnet sind. Wir machen uns über Jack her und beobachten den Sonnenuntergang. Coole Gespräche über Frauen, eine angenehme Temperatur und ein fantastischer Sternenhimmel. Dieses Mal war die Rangerin schneller als wir. 13 USD für einen Campingplatz, der nicht mal funktionierende Toiletten aufweist. Wucher! Die Rangerin weist uns darauf hin, dass in State Parks das Trinken von Alkohol verboten ist. Doch in dem Fall ist Jack schneller, der sich hurtig unter einem Handtuch auf dem Beifahrersitz versteckt. Heute waren es nur 318 Meilen. Mitch wird die ganze Nacht von seinen Autofahr-Träumen geplagt. Er bremst und lenkt im Schlaf und schlägt wild um sich. Vielleicht sollte ich morgen mal lieber fahren.

Montagmorgen 08:00 Uhr und wir sind wieder on the road. Wir schreiben Tagebuch und organisieren unsere Finanzen bei Burger King. Am Vortrag ist es uns auch endlich gelungen, für 5 USD jemanden zu finden, der den Nagel aus unserem Reifen entfernt und das Loch anschließend flickt. Wir fahren wieder nach Dallas und zum 6th Floor Museum. Zum Glück ist es heute nicht so heiß. Die Ausstellung im Museum ist super. Viele Original-Fotos und Filmaufnahmen. Trotz des Foto-Verbots knipst Mitch, was das Zeug hält.

Durch die Traumweiten von Texas

Mittags machen wir uns auf den Weg nach Amarillo. Die Landschaft hat sich sehr verändert. Es ist viel trockener geworden, seitdem wir in Texas sind. Es gibt ausgesprochen wenig Wald. Das Landschaftsbild wird bestimmt von gigantischen Rinderfarmen, Ölbohrstellen, trockenen Viehweiden und bewässerten Plantagen. Am Wegesrand kaufen wir Nektarinen, Weintrauben und Pfirsiche aus biologischem Anbau, zudem eine riesige Wassermelone für sage und schreibe 1.50 USD. Abe legt mitten auf dem Highway im Niemandsland eine Pause ein. Nach einem Fotostopp springt er nicht mehr an. Wir checken die Batterie. Alles o.k. Vielleicht Überhitzung. Wir füllen Öl nach. Wir räumen ihm eine Künstlerpause ein - und siehe da, er will wieder, zickt ab diesem Zeitpunkt aber immer mal wieder.

Steaks so groß wie Bratpfannen

Abends fallen wir in der Big Texan Steak Ranch ein, da uns die Werbung am Wegesrand so gut gefällt, und Mitch nach eigener Aussage endlich mal wieder Fleisch braucht. Die Challenge ist, wer es schafft, ein 72 Oz Steak (2 kg) mit Beilagen (Folienkartoffel mit Sour Cream und Pommes) in unter einer Stunde zu essen, bekommt das Gericht umsonst. Seit 1960 haben es 21.000 versucht, aber nur 3.000 geschafft. Mitch überlegt, kapituliert aber im Vorfeld, als er die Größe der Folienkartoffel sieht. Während wir essen, ich die Beilagen und Mitch ein Riesensteak, werden wir von der Country-Band des Restaurants belästigt, die anscheinend meint, jeden texanischen Country-Klassiker für uns an unserem Tisch spielen zu müssen. Wir verlassen das Restaurant fluchtartig, als wir zwei Deutschen dann zum Tanzen animiert werden sollen.

Abe hält tapfer einer Gewitterfront stand

Wir geben Vollgas, und Mitch fährt Abe bis auf den letzten Tropfen Benzin leer. Da wir von einem gigantischen Gewitter überrascht werden und deswegen abgelenkt sind, vergessen wir auf die Tankanzeige zu gucken. Die Straßen sind wie reißende Flüsse. Einige Straßenunterführungen stehen komplett unter Wasser, und wir gehen mit Abe regelrecht auf Tauchfahrt. Wir surfen mit einem hohen Bogen an Gischt links und rechts, oder soll ich „Bugwelle“ sagen, über die Straßen. Abe wird komplett an seine Grenzen gebracht. Zweimal säuft der Motor ab. Zum Glück nie bei einer Tauchfahrt durch eine Unterführung. Abe hält sich wacker. Teilweise können wir durch die Windschutzscheibe weder die Motorhaube, geschweige denn unsere Scheinwerfer sehen. Mit dem letzten Tropfen Benzin rollen wir auf einen Parkplatz vor einem Motel. Der Parkplatz und auch das Motel stehen komplett unter Wasser. Mitch stapft in die geflutete Rezeption. Er handelt einen 17-USD-Deal für ein abgesoffenes Einzelzimmer aus, ich gehe derweil auf Tauchstation auf dem Beifahrersitz. Wie geil – ein Hotelzimmer! Die Klimaanlage fungiert zwar eher als Sprinkleranlage fürs Bett, und der Teppich des Zimmers ist klatschnass, aber wir haben einen Fernseher und zwei große Betten. Absoluter Luxus!

Polizeikontrolle in Texas

Am nächsten Morgen sind wir nach einer ausgiebigen Dusche um 07:30 Uhr wieder unterwegs. Die Straßen sind getrocknet. Welcher Wochentag ist eigentlich? Tuesday, 23rd of July of 1996 – sagt zumindest unsere Motel-Quittung. Ein Polizist kontrolliert an einer Straßensperre unsere Führerscheine und Pässe. Als er nach dem „Title“ fragt, sind wir überfragt. Mitch greift ins Handschuhfach. Der Cop zuckt ein wenig, nimmt es aber gelassen. Zum Vorschein kommt der Kaufvertrag des Autos und die dazugehörige Kfz-Versicherung, die wir für 200 USD abgeschlossen haben. Zufrieden ist er nicht damit, lässt uns aber fahren mit der Empfehlung, das „Title“ immer dabei zu haben. Title??? Egal. Weiter geht’s …

The Cadillac Ranch

Wir fahren zum größten Vieh-Auktionshaus der Welt, zur Amarillo Livestock Auction, wo aber Dienstag morgens um 09:00 Uhr absolut nichts los ist. Wir fahren weiter zur

„Cadillac Ranch“ kurz vor Amarillo. Wikipedia, Google etc. gab es 1996 ja noch nicht.

Wir hatten natürlich absolut keinen Plan, folgten nur einem Straßenschild zur Ranch und amüsierten uns vor Ort über den bekloppten Farmer, der seine Caddies eingräbt. Heute bin ich natürlich schlauer.

sprüht. Sie ändern ständig ihr Aussehen. Besucher werden ausdrücklich ermuntert, ihre eigenen farblichen Spuren zu hinterlassen. Die neuen Graffiti bleiben im Regelfall keine 24 Stunden erhalten, ehe neue Graffiti sie ersetzen. Jahre später taucht die „Cadillac Ranch“ in dem Pixar-Film „Cars“ auf, der viele Bezüge zur Route 66 aufweist.

Die Kunstinstallation „Cadillac Ranch“ wurde 1974 von Mitgliedern der Künstlergruppe „Ant Farm“ aus San Francisco aufgestellt. Zehn Cadillacs wurden in einer Linie und im gleichen Winkel mit der vorderen Hälfte im Boden eines Maisfeldes eingegraben. Sie stammen aus den Baujahren 1948 bis 1963 und repräsentieren den Beginn und den Niedergang der Heckflossen-Modelle der 1950er Jahre. Der Winkel, in dem die Fahrzeuge eingegraben sind, soll mit dem Steigungswinkel der Pyramiden von Gizeh korrespondieren. Das alles symbolisiert die Freiheit, die das Automobil mit sich brachte, und zugleich die Faszination und Anziehungskraft, die von den „roadside attractions“ entlang der amerikanischen Fernstraßen ausgeht. Der damalige Standort lag unmittelbar an der historischen Route 66. Gesponsert wurde die Cadillac Ranch von dem Helium-Millionär und Mäzen Stanley Marsh III., der der Künstlergruppe das Grundstück zur Verfügung stellte. Die Caddies sind ein lebendiges Kunstwerk und über und über mit Graffiti be

Von Texas nach New Mexico

Wir machen uns auf den Weg nach El Paso an die Grenze zu Mexiko. Vorher stoppen wir aber noch im Palo Duro Canyon State Park, wo sich der zweitgrößte Canyon der USA befindet. Wir unternehmen eine kleine Wanderung, um uns die Füße nach den vielen Stunden im Auto zu vertreten. Schade nur, dass das Ganze von einem riesigen Schrottplatz und einer Mülldeponie begrenzt wird. Also weiter durch die dürre Pampalandschaft von Texas. Zu unserem Erstaunen vollzieht sich innerhalb weniger Meilen ein radikaler Wechsel des Landschaftsbildes. Wir erreichen den Bundesstaat New Mexico, und es wird schlagartig hügeliger und bewaldeter: Willkommen im rötlichen Südwesten der USA! Wir nennen es „Indianer- und John Wayne-Country“. Heute würden wir natürlich „Native American Territorium“ sagen. Wir passieren diverse Reservate und legen einen Pizza-Hut-Stopp ein. Nice. All you can eat für 3.99 USD. Da haben sie an uns nicht wirklich was verdient. Die Landschaft wird zunehmend atemberaubender. Wir stoppen an einer Pistazienfarm und kaufen einen 5 kg Sack Pistazien, den wir erst kurz vor San Francisco leer bekommen.

Sunset Stroll in White Sands

Auf einmal sind wir mitten drin im White Sands National Monument. Geografisch stellt er das nördliche Ende der mexikanische Chihuahua-Wüste dar. Bis 1948 waren die meisten der heutigen US-Südstaaten noch mexikanisches Territorialgebiet. Gipsweiße Dünen und Palmlilien bestimmen das Landschaftsbild. Schon vor geraumer Zeit hatten wir uns den Golden-Eagle-Pass für 25 USD gekauft, der einem Fahrzeug ein Jahr lang freien Eintritt in alle Nationalparks der USA erlaubt. Hier kommt er uns nun zum ersten Mal zugute und wird sich in der Folge für uns in finanzieller Hinsicht als ein Sechser im Lotto erweisen. Wir machen mit einem Ranger einen einstündigen Sunset Stroll durch die wunderschöne schneeweiße Dünenlandschaft. Umgeben von einem eindrucksvollen Wetterleuchten, das den Himmel immer im Wechsel schwarz, rot oder lila färbt und Blitze wie Konfetti gen Erde schickt, erklärt der Ranger uns das Ökosystem und die Geographie der White Sands. Das National Monument White Sands (seit 2019 Nationalpark) ist umgeben von einer Militärbasis mit einem Raketentestgelände. Der geschichtlich erste Kernwaffentest überhaupt fand hier im Rahmen des Manhattan-Projekts statt. Aufgrund weiterhin durchgeführter Raketentest ist der Park zweimal pro Woche für Besucher geschlossen. Fremd eingeführte Gamsböcke fressen die wenige Vegetation des Parks weg und verunreinigen ihn zudem mit ihren Exkrementen. Die Ranger haben alle Hände voll zu tun, die cleveren Schädlinge aus dem Park zu entfernen.

Ein schwerer Verlust in El Paso

Den Sonnenuntergang erleben wir dann auf dem Highway, als wir gerade einen Bergpass überwinden. Dann liegt ein Lichtermeer vor uns: die Stadt Las Cruces. Das Gewitter ebbt ab, und wir campen kostenlos in einem riesigen RV-Park. Wir befinden uns 26 Meilen vor El Paso. Heute sind wir 480 Meilen gefahren (die werden wir nicht mehr toppen). Ein Sixpack Bier muss dran glauben, und wir schlafen auf den Campingtischen. Regen wird es schon nicht geben.

Mexiko, wir kommen! Die Sonne weckt uns früh am Morgen. Der frühe Vogel… Bevor auch nur irgendjemand merkt, dass wir überhaupt da waren, sind wir schon wieder weg. Burger King zum Frühstück. Mitch: Burger und O-Saft, ich: Milkshake und Egg-Burger. Und dann passiert der größte Mist der Reise. In El Paso stelle ich fest, dass mein Bauchgürtel mit meinem deutschen Reisepass, meinem Zivi-Ausweis, meinem internationalen und deutschen Führerschein, meinem Flugticket, meiner Kreditkarte und meinem Impfausweis weg ist. Wir fahren zurück zu Burger King und suchen und fragen, werden aber nicht fündig. Wahrscheinlich habe ich das Tablett mit unserem Müll, dem Bauchgürtel plus eine Tube Zahnpasta und zwei Zahnbürsten einfach auf dem Tisch stehen lassen. Was dann damit passiert ist, lässt sich nicht mehr klären. Auf jeden Fall ist das ganze Zeug weg.

Wie reist man ohne Reisepass?

Aus der Retrospektive betrachtet, war es in 25 Jahren das einzige Mal, das mir so etwas passiert ist. Auf allen meinen folgenden Reisen bin ich nie beklaut worden und habe meine Papiere nie verloren. Ich habe nur noch einmal komplett übermüdet nach einer Peru-Reise in Lima auf dem Flughafen kurz vor Abflug meinen Reisepass zusammen mit dem Müll auf meinem Tablett in eine Mülltonne geworfen. Beim Boarding, als ich dann meinen Pass suchte, blitze dann aber mein Pass-Erlebnis aus El Paso vor mir auf und ich zerrte meinen Pass triumphierend wieder aus der Mülltonne.

Halt, stopp. Auf Island habe ich mal im Duty-Free-Shop, als ich gerade Brennivín kaufte und bezahlte, meinen Pass und mein Flugticket in den Süßigkeiten vor der Kasse liegen lassen. Die Iceland Air hat mich damals jedoch auf Basis meines Persos zurück nach Berlin mitgenommen. Als ich dann später eine E-Mail zum Lost & Found des Flughafens Keflavík schickte, kam als Antwort nur der lapidare Kommentar zurück: „On Iceland nothing gets stolen or lost“. Ich schickte eine Mail mit meiner Kreditkartennummer, und drei Tage später erhielt ich eine Expresslieferung mit meinem Boardingpass, meinem Reisepass sowie einem Lakritz-Schokoriegel. Hatte der auf dem Pass gelegen? Bezahlt habe ich ihn jedenfalls nicht. 13,50 € Porto gingen später von meiner Kreditkarte ab. Ich liebe die Isländer.

Die Geschichte, dass ich am Abflugtag meinen Reisepass in der Mensa der Conant Highschool in Chicago-Schaumberg auf dem Tisch vergessen habe, gilt nicht, denn das war 1994. Der Pass ist später aber auch wiederaufgetaucht. Ich hatte mir bei dem Schüleraustausch nach Chicago eine Fender Stratocaster gekauft. Der Gruppen-Check-in für unsere Schülerklasse ging damals auch ohne meinen Reisepass. Bei der Migration wurde es aber schwieriger. Ich hatte meinen Gitarrenkoffer in der Hand und wurde von einem Zoll- und Migrations- Officer gleichzeitig über meinen fehlenden Reisepass und meine Gitarre befragt. Ich erklärte, dass wir (mein Kumpel Arne mit gefärbten, langen Haaren, Cowboyhut und knallig-buntem Rolling-Stones-Batik-Shirt neben mit stehend) eine Rockshow in der Aula in der Highschool gespielt hätten und jetzt wieder nach Deutschland fliegen würden. Beide Officer winkten uns grinsend durch und sagten: „Hey Rockstar! Next time keep an eye on your passport. Save travels!“Nice. Damit ging dann auch meine Gitarre zollfrei auf die Reise. In Frankfurt beim Bundeszoll gleich nochmals die gleiche Nummer, aber diesmal mit dem Perso in der Hand.

Viva México!