[1]
Lucien Descaves, naturalistischer Schriftsteller, hatte sich sehr für Célines Debütroman «Reise ans Ende der Nacht» eingesetzt und dafür, dass dieser den Prix Goncourt erhalten solle – der dann in letzter Minute einem anderen Werk zugesprochen wurde. Célines darauf folgender Veröffentlichung «Mort à crédit» stand Descaves wegen der obszönen Anteile des Romans zurückhaltend bis ablehnend gegenüber.
[1]
Aus den 1860er/70er Jahren überliefertes Lied, das sich auf die Einkleidung von Gefängnisinsassen bezieht.
[1]
Im traditionellen Arbeiterviertel La Villette im Nordosten der Stadt befanden sich der Viehmarkt von Paris und die Schlachthäuser.
[2]
Godard weist in «Poétique …» darauf hin, dass sich hinter «Delumelle mon placeur» Célines Verleger Denoël verbirgt, «Denoël, mon éditeur». Denoël brachte in den 30er Jahren linke und innovative Autoren wie Artaud, Vitrac, Sarraute und Sigmund Freud heraus, aber auch faschistisches Schriftgut wie Célines antisemitische Hetzschriften und zählte zu den Kollaborateuren unter den Verlegern. Er wurde 1945 bald nach Kriegsende in Paris unter ungeklärten Umständen auf der Straße erschossen.
[3]
Célines Verb ist hier «baiser», was freilich direkt «vögeln» bedeutet, aber auch «betrügen, verladen, hintergehen …» – was alles im Dt. ein zusätzliches Objekt erfordert, daher die Wortwahl, die das nicht nach sich zieht.
[4]
Das Bild des Zahnfleisches setzt offenbar die alte Stadtbefestigung mit einem wehrhaften Gebiss gleich. Im Zuge des raschen Wachstums der Stadt wurden ab 1920 die Mauern und die vierundneunzig Bastionen abgerissen.
[5]
Kümmelblättchen, eigentlich «Gimelblättchen», nach dem dritten Buchstaben des hebräischen Alphabets, hier mit der Bedeutung «drei»: ein dem Hütchenspiel verwandtes Betrugsspiel mit drei Karten.
[6]
Die Hinweise auf diesen «König Krogold» und Zitate daraus beziehen sich auf einen Text, den Céline wohl nach «Reise ans Ende der Nacht» seinem Verleger zu lesen gegeben und wegen dessen negativer Reaktionen nicht veröffentlicht hatte. Szenerie und Figuren entsprachen einer nicht zuletzt in Publikationen für die Jugend verbreiteten Mode von nordisch-germanischen Motiven. Vgl. Godard 1981, S. 1339ff. und S. 1392ff.
[7]
Der bedeutende Pathologe und Neurologe Jean-Martin Charcot (1825–1893) war dafür bekannt, die Früchte seiner umfassenden Bildung freigiebig zu verteilen und bei jeder Gelegenheit geläufig aus den Klassikern zu zitieren.
[8]
Céline greift hier das Schlussbild von «Reise ans Ende der Nacht» auf, in dem der Pfiff des Schleppdampfers wie in einem Totentanz die gesamte Szenerie mit sich reißt, «damit das alles ein Ende hat», so die letzten Worte des Romans.
[9]
Die Straße Cour d’Amsterdam, nahe der Gare Saint Lazare gelegen, war wie die benachbarte Rue de Budapest ein Zentrum der Prostitution.
[10]
… statt der seinerzeit modern werdenden Schnürschuhe.
[11]
In der Erstveröffentlichung wird diese Totenschiff-Phantasie mit Anführungszeichen eingeleitet, jedoch nicht beendet. Auch ist unklar, worauf sich Céline mit «neulich Nacht» bezieht. Vgl. Godard 1981, S. 1421.
[12]
Old Black Joe, Lied von Stephen C. Foster von 1853, aus der Perspektive eines Südstaatensklaven: Gone are the days when my heart was young and gay / Gone are my friends from the cotton fields away / Gone from the earth to a better land I know / I hear their gentle voices calling «Old Black Joe».
[13]
Am Boulevard Arago fanden die letzten öffentlichen Hinrichtungen statt, deren einer Céline im Oktober 1933 beiwohnte.
[14]
Der im nördlichen Teil des Marais gelegene Kleidermarkt Carreau du Temple, erbaut unter Napoléon III., ist mit seiner Metall- und Glaskonstruktion ein markantes Beispiel der Industriearchitektur des 19. Jahrhunderts (heute als Kultur-, Sport- und Veranstaltungszentrum genutzt).
[15]
Der reale Cyrano d.B., ein Autor aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, gilt als der Wegbereiter der Sciene-Fiction avant la lettre; bekannt ist er heute v.a. als romantisch-komödiantische Dramen- und Filmfigur. Félix Faure (1841–1899), Industrieller und Politiker, ab 1895 Präsident Frankreichs. An ihn richtete sich 1898 Émile Zolas folgenreicher offener Brief «J’accuse» im Zusammenhang mit der Dreyfus-Affäre. Lustucru war eine populäre tollpatschige, bisweilen auch bösartige Clownsfigur; ihr Name eine Zusammenziehung aus der bereits zu Célines Zeiten antiquierten grammatikalischen Form des «subjonctif de l’imparfair»: «L’eusses-tu-cru?», gewissermaßen «Hübest du’s geglaubt?».
[16]
«Le Bon Marché», 1838 gegründet, im 7. Pariser Arrondissement (links der Seine) war ein Pionier der Großwarenhäuser à la Galeries Lafayette (alle auf dem rechten Seineufer). Heute Luxus-Store der LVMH-Gruppe, war es im 19. Jahrhundert für seine betriebliche Vorsorgekasse, Fortbildungsangebote, betriebsärztliche Versorgung bekannt. Die schon seinerzeit moderne Organisation und Marketingstrategien dienten Émile Zola für seinen vor Ort recherchierten sozialrealistischen Roman «Au bonheur des Dames» von 1884 zum Vorbild (dt. als «Das Paradies der Damen»).
[17]
Die konservative bis reaktionäre Abendzeitung La Patrie war vor dem 1. Weltkrieg recht verbreitet und schlug u.a. aus den Skandalen des Fin de Siècle Kapital, indem sie antiparlamentarische, antisemitische, anglophobe u.a. Ressentiments bediente.
[18]
François-Vincent Raspail (1794–1878), Chemiker, Botaniker und reformorientierter Politiker, Pionier der Histologie, veröffentlichte eine Reihe medizinischer Schriften und propagierte u.a. die Anwendung von Kampfer. Auch auf ihn geht die Ansicht zurück, Krankheiten aller Art ließen sich generell auf die Absonderungen von Eingeweidewürmern und Parasiten zurückführen.
[19]
Direkt am Seine-Ufer gab es während der Weltausstellung von 1900 eine Zeile mit nachgebauten mittelalterlichen Gebäuden.
[20]
Das nach dem Zauberkünstler Jean-Eugène Robert-Houdin (Vorbild von Harry Houdini) benannte Théâtre Robert-Houdin am Boulevard des Italiens wurde seit 1888 von dem Filmpionier – und wie Houdin Illusionisten – Georges Méliès als Kino genutzt. Sein an Jules Vernes und H.G. Wells’ (dessen Zeitmaschine 1895 erschienen war) Romane angelehnter Film Voyage dans la lune, ein stilbildender, vielzitierter Klassiker des Science-Fiction-Genres, stammt aus dem Jahr 1902. In ihm verwendet er zahlreiche Trickverfahren und visuelle Effekte.
[21]
Eine Kinderzeitschrift Les Belles Aventures Illustrées kommt in «Tod auf Raten» noch an anderer Stelle vor, auch als Les Belles Images. Eine solche Zeitschrift gab es tatsächlich ab 1904; Erinnerungen an ihre Lektüre dürften Anregung für die Legende von König Krogold gewesen sein (Godard 1981, S. 1392f., s.a. Anm. 7).
[22]
Beim «Grenier-Mondain» dürfte es sich um das heute noch bekannte Théâtre des Bouffes-Parisien handeln, dessen einer Eingang in der Passage Choiseul liegt, dem realen Vorbild der Passage im Buch, wo Ferdinand mit seinen Eltern lebt. Unter anderen Jacques Offenbach war einer der Vorbesitzer und künstlerischen Leiter des Hauses.
[23]
An der Place de la Concorde befinden sich u.a. acht Frauenstatuen als allegorische Darstellung großer französischer Städte.
[24]
Gemeint sind die für ihre Zeit enorm schnellen Dampf-Automobile der Firma Gardner-Serpollet, nicht zuletzt als Gegenbild zu Onkel Édouards Tricar.
[25]
Céline lenkt den Blick blitzschnell von der Place de la Concorde westlich zum Arc de Triomphe am Ende der Champs-Élysées und östlich zur Place des Pyramides mit der Statue der Jeanne d’Arc.
[26]
Im Original «louchebems» für «bouchers», Metzger, gemäß dem Metzger-Argot, das auch Raymond Queneau in seinen «Stilübungen» vorführt: Der Anfangsbuchstabe eines Wortes wird durch L ersetzt, wandert ans Ende und wird durch eine freie Nachsilbe ergänzt.
[27]
Eines der beiden Gefängnisse auf dem Gelände des früheren Hospitaliterinnen-Klosters La Roquette war als Besserungsanstalt für Kinder und Jugendliche von 6 bis 20 Jahren bestimmt; Kinder wurden auf Antrag des Vaters als familiäre Strafmaßnahme hier festgehalten. Im Petite-Roquette (heute befindet sich an dessen Stelle der Square de la Roquette) war Jean Genet 1925 als 15-Jähriger inhaftiert.
[28]
Lucia di Lammermoor, Oper von Gaetano Donizetti, nach einem Roman von Walter Scott. Mondscheinsonate, L.v. Beethovens Klaviersonate Nr. 14, op. 27 in cis-moll. Werther, lyrische Oper von Jules Massenet nach J. W.v. Goethes gleichnamigem Roman. Le Chalet (Die Schweizerhütte), komische Oper von Adolphe Adam nach dem Singspiel Jery und Bäteli von J. W. v. Goethe. Das Werk war seinerzeit ein enormer Erfolg, allein an der Opéra Comique in Paris über 2500-mal aufgeführt. Mit Fortunio ist entweder Jacques Offenbachs Operette La Chanson de Fortunio (Fortunios Lied) gemeint oder die lyrische Oper Fortunio des französischen Komponisten André Messager. Weiter unten: Faust (deutsch auch als Margarethe), Oper von Charles Gounod nach Goethes Faust 1. Darin der Chor der Soldaten, «Gloire immortelle …» (Unsterblicher Ruhm).
[1]
Die Grabstätte der Familie von Célines Mutter, der Familie Guillou, befindet sich in Abteilung 63 des Friedhofs Père-Lachaise. Im Familiengrab sind neben verschiedenen anderen Verwandten Louis-Ferdinands Eltern Marguerite Guillou und Fernand Destouches und auch seine Großmutter Céline Guillou bestattet, deren Vornamen sich Louis-Ferdinand Destouches als Pseudonym wählte.
[2]
Mit den Worten «Hat ein Dichter mir gesungen …» beginnt der Refrain eines zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts beliebten Liedes, L’Étoile de l’Amour (Der Liebesstern): «Hat ein Dichter mir gesungen, nachdem im Traum er eine Reise gemacht, Dass im strahlenden Himmel ein Stern ist, dort niemandem die Stunde schlägt, die herzzerreißende Stunde des Abschieds. Der Liebesstern (…)».
[3]
In den zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts sehr populären Badeorten Mers-les-Bains und Onival nördlich von Dieppe unweit der Somme-Mündung hatte die Familie Destouches mit dem kleinen Ferdinand Urlaub gemacht.
[4]
Die fehlerhafte Schreibung von Archangelsk, frz. Arkhangelsk, korrigieren wir ebenso wenig wie sonstige Eigenmächtigkeiten des Autors, seien sie orthographischer, geographischer oder anderer Natur.
[5]
Der seinerzeit berühmte Komiker-Sänger Félix Mayol (1872–1941) wurde auf den Plakaten mit einer auffälligen hochfrisierten Haartolle gezeigt; ein weiteres Markenzeichen waren die Maiglöckchen im Knopfloch. Seit 1909 besaß er das Café-Konzerthaus Grand Concert Parisien, bis 1976 unter Le Concert Mayol bekannt.
[6]
Das Viertel Sentier im 2. Pariser Arrondissement zwischen Rue du Sentier, Rue Montmartre und Boulevard Sébastopol war die Hochburg der Schneiderei und des damit zusammenhängenden Handels. Bereits bei Balzac kommt es vor. Heute Standort vieler digitaler Start-ups, daher der Spitzname Silicon Sentier.
[7]
Seit 1786 steht im Park des Palais-Royal in Paris eine kleine Kanone, und zwar direkt auf dem Pariser Meridian, wodurch sie bei Sonnenschein mittels einer Lupe um genau 12 Uhr mittags zündete, zunächst bis 1914, später offenbar nicht regelmäßig und derzeit wohl nur mittwochs.
[8]
Bistro: im Original «bougnat», ein von den Parisern geprägter Begriff im nachgemachten Dialekt der Auvergne. Zahlreiche Zuwanderer aus dieser armen Region Frankreichs betrieben in Paris Läden, in denen sie sowohl Kohlen als auch Wein verkauften – bekannt aus den einschlägigen Illustrationen bei Asterix mit den Geschäftsschildern «Weine und Kohlen».
[9]
Der Revolutionär Camille Desmoulins (1760–1794) gilt mit seiner Volksansprache am 12. Juli 1789 vor dem Montpensier-Flügel des Palais-Royal, bei der er dazu aufrief, zu den Waffen zu greifen, als einer der Initiatoren des Sturms auf die Bastille zwei Tage später.
[10]
Das «Village Suisse» war der Nachbau eines Schweizerdorfes zu Füßen des (1936 demontierten) Riesenrads bei der Weltausstellung von 1900, inklusive künstlicher Felsen, Bergsee und Wasserfall. Heute ist diese Stelle unweit des Eiffelturms ein Schwerpunkt von Antiquariaten, Dekorationsläden und Kunstgalerien.
[11]
Die von dem Wahlpariser Sir Richard Wallace gestifteten einhundert öffentlichen Trinkwasserbrunnen wurden nach 1870 errichtet und werden bis heute betrieben. Das Théâtre de l’Ambigu-Comique war zu seiner Eröffnung 1769 ein volkstümlicher Veranstaltungsort mit Marionettentheater, Pantomimen, Akrobaten etc. Zu Célines Jugendzeit befand sich das Theater am Boulevard Saint-Martin. Abgerissen 1966.
[12]
Die Maxixe (frz. Matchiche) war ein dem Tango verwandter Tanz, um 1870 in Brasilien entstanden und kurz nach 1900 nach Frankreich gekommen. Die Erwähnung hier dürfte auf eines der beliebtesten Erfolgsstücke von Félix Mayol anspielen (s. Anm. Nr. 34), eben «La Mattchiche» [sic], mit den Anfangszeilen «C’est la danse nouvelle / Mademoiselle, / Ainsi qu’une Espagnole / Lascive et folle (…)» (Das ist der neue Tanz, Mademoiselle, und zwar ein spanischer, lasziv und wild (…)».
[13]
Das Musée Galliera enthielt nie asiatische Kunst, sondern nach seiner Gründung 1878 zunächst die private Skulpturensammlung der Stifterin, Duchesse da Galliera, und heute das Modemuseum der Stadt Paris.
[14]
Shakyamuni (bei Céline «Çâkya-Mouni» und hier im Text phonetisch entsprechend geschrieben), der «Weise aus dem Geschlecht von Shakya», ist einer der Beinamen von Siddhartha Gautama, dem «historischen Buddha» und Begründer des Buddhismus.
[15]
Achtundzwanzig Tage: Gemeint ist eines der beiden je vierwöchigen Manöver, an denen teilzunehmen Reservisten laut einem Gesetz aus dem Jahre 1889 verpflichtet waren.
[16]
Banyuls: südfranzösische Likörwein, Vin doux naturel, aus der Appellation Banyuls nahe der spanischen Grenze.
[17]
In Folkestone landeten früher die Fähren aus Calais und Boulogne-sur-Mer; heute befindet sich am Nordrand der Stadt der englische Eingang zum Eurotunnel.
[18]
Zu Zeiten des Burenkriegs kursierten in Frankreich Karikaturen mit dem personifizierten England, Albion, als fette Frau, die mit hochgeschlagenen Röcken ihre Hinterbacken präsentiert: das Porträt von Queen Victoria. Vgl. Godard 1981, S. 1442.
[19]
In sogenannten «Minstrel»-Shows («kleiner Diener», spezieller nach ménestrel, altfranzösisch-altprovenzalisch für Spielleute) traten in den USA ab dem 18. Jahrhundert karikaturhaft schwarz geschminkte Schauspieler und Musiker auf, die Physiognomie, Mimik und Musik von Afroamerikanern persiflierten.
[20]
«Wo die Nacht am tiefsten war» – im Original «tout au bout de la nuit». Bereits in Célines erstem Roman «Voyage au bout de la nuit», «Reise ans Ende der Nacht», geht es ja nicht um das Ende der Nacht, den Morgen, sondern um einen Weg immer tiefer in die Finsternis. S.a. Anm. 9.
[1]
Die drei ineinander übergehenden Städte Rochester, Chatham und Strood (bei Céline hier in einigen Seiten und auch in seinem späteren Roman «Rigodon» als «Stroude» französisiert) befinden sich an der Mündung des River Medway im Ästuar der Themse.
[2]
Stroude: vgl. Anm. 51.
[3]
Borda ist der Spitzname der École Navale, der französischen Marine-Eliteschule, bis zum ersten Drittel des 20. Jahrhunderts auf ausgemusterten Schiffen im Hafen von Brest befindlich, die nacheinander jeweils den Namen des bedeutenden Mathematikers und Schiffsingenieurs Jean-Charles de Borda (1733–1799) trugen. Sein Name gehört zu den 72 von Gustave Eiffel am Eiffelturm verewigten.
[4]
In einem der handschriftlichen Manuskripte Célines befand sich statt dieser uns unbekannten Mère Ussel noch die zu erwartende missgünstige Nachbarin Méhon (vgl. Godard, S. 1417 – zu Textvarianten – und S. 1449 – zu dieser Stelle).
[5]
«Nierentisch» klingt für uns nach den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts, es gab die Form allerdings schon im Louis-XV- und -XVI-Stil. Nach den (nierenförmigen) weißen Bohnen heißen sie auf Französisch «haricots». «Bonheurs-du-jour» ist auch auf Deutsch in Fachkreisen der Begriff für einen leichten Damensekretär, häufig mit Aufsatz.
[6]
«Modern Style» – Englisch für «Jugendstil». Im Französischen wurde und wird eher «Art noveau» (Neue Kunst) verwendet – zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts aber im Zuge einer Vorliebe für englische Begriffe «Modern Style».
[7]
Grenier Mondain – vgl. Anm. 24. Céline schreibt das Theater mal mit, mal ohne Bindestrich, worin wir ihm wie bei anderen Eigenwilligkeiten folgen. Miss Helyett (1890), Operette in drei Akten von Edmond Audran (1840–1901), war einer der größten Erfolge des Théâtre des Bouffes-Parisien; Albert Piccaluga (1854–1925) sang die Hauptrolle des Paul. Céline entstellt den Namen zu «Pitaluga», möglicherweise wegen des Anklangs an «pitre», Clown. Minuit Chrétien: eigentlich «Minuit, Chrétiens», sind Titel und die ersten Worte eines in Frankreich und im englischsprachigen Raum berühmten Weihnachtslieds: «Minuit, Chrétiens, c’est l’heure solennelle / où l’Homme-Dieu descendit jusqu’à nous …» (Mitternacht, ihr Christen, ist die festliche Stunde / da der Mensch gewordene Gott herabstieg zu uns …).
[8]
«shake-hand», so bei Céline für shake-hands (im Engl. als Substantiv eigentlich handshake).
[9]
«Bottin» im Sinne von Telefonbuch/Adressbuch geht auf den französischen Verwaltungsbeamten und Statistiker Sébastien Bottin (1764–1853) zurück. Bekannt wurde er durch die Veröffentlichung von statistischen Jahrbüchern (annuaires – auch das heute eines der französischen Wörter für Telefonbuch) und eines «Almanach des Pariser Handels und der wichtigsten Städte der Welt» (1813–1853), dem der generische Markenname «Bottin» zu verdanken ist.
[10]
Ambigu = Théâtre de l’Ambigu-Comique, vgl. Anm. 41, ebenso zu Wallace.
[11]
Das Théâtre des Folies-Dramatiques, 1832 am früheren Standort des Théâtre de l’Ambigu-Comique erbaut, später in die heutige Rue René-Boulanger verlegt, war ebenfalls ein zentraler Spielort für Melodramatisches und Operetten. Heute ein Kino.
[12]
Das Hôpital Saint-Louis, von Heinrich IV. 1607 als Pesthospital gegründet und damit eines der ältesten Krankenhäuser von Paris, seit Anfang des 19. Jahrhunderts auf die Behandlung von Haut- und Geschlechtskrankheiten spezialisiert.
[13]
Auf der Fahrradrennbahn «Vélodrome Buffalo» in Neuilly-sur-Seine, sie bestand von 1893 bis zum Ersten Weltkrieg, fanden im Sommer an den Sonntagnachmittagen und -abenden Rennen statt. Buffalo Bill trat hier mehrfach mit seiner Wildwestshow auf, daher der Name. Longchamp ist die bekannte Pferderennbahn im Bois de Boulogne. Im Weiteren: Ludovic Morin: im letzten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts berühmter Rennfahrer. François Faber aus Luxemburg war im Jahre 1909 der erste nichtfranzösische Gewinner der Tour de France.
[14]
Ab dem Jahr 1906 wurden in Paris die von Pferden gezogenen omnibus durch motorisierte autobus mit offenem Oberdeck ersetzt. Dort befand sich die zweite Klasse, die erste im geschlossenen Innenraum.
[15]
Musterkarten enthalten kleine aufgeklebte Abschnitte von Stoffen zur Demonstration und Grundlage von Bestellungen. Auch von Papierqualitäten und Druckbeispielen gibt es Musterkarten.
[16]
Gemeint ist die Place du Carrousel am zu den Tuilerien hin offenen Teil des Louvre, westlich der heutigen Glaspyramide. Seinen Namen hat der Platz nach dem Reiterschauspiel Grand Carrousel, das Louis XIV im Jahre 1662 zur Feier der Geburt des Kronprinzen hier aufführen ließ. Die Carrousels, bei denen zu Musik militärisch-artistischer Pferdedrill vorgeführt wurde, ersetzten die (nicht ungefährlichen) früheren ritterlichen Turniere.
[17]
Das Musée National de la Marine, 1752–1939 im Louvre, befindet sich seit 1943 im Palais de Chaillot (Trocadéro).
[18]
Le Pecq und Saint-Germain-en-Laye sowie, im Text wenige Zeilen darunter, Chatou und Meulan sind im Südwesten von Paris gelegene Städte, wohin schon Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts zahlreiche Pariser auswichen, des Platzes und der besseren Luft wegen. Vom Eiffelturm oder vom Montmartre aus ist zu sehen, wie das Gelände in der entsprechenden Himmelsrichtung ansteigt. Saint-Germain hieß während der Französischen Revolution nicht umsonst vorübergehend «Montagne-bon-air» – der Hügel zur guten Luft. Heute eine der teuersten Adressen des Landes. Von Chatou nach Meulan sind es zu Fuß über zwanzig Kilometer – man darf annehmen, dass Céline hier wie an etlichen anderen Stellen mit der Geographie etwas freizügig umgegangen ist.
[19]
Das heißt, mindestens seit 1870, dem Ende des Second Empire, des zweiten Kaiserreichs, unter Napoleon III.
[20]
«Brasserie-Restaurant du Nègre» war ein bekanntes Lokal in Nr. 17 des Boulevard Saint-Denis. Danach: Square des Arts, eigentlich Square des Arts-et-Métiers ist der frühere Name des heutigen Square Émile-Chautemps unweit der Porte Saint-Denis, zwischen Boulevard de Sébastopol und Rue Saint-Martin.
[21]
Der Parc des Buttes-Chaumont im 19. Arrondissement ist einer der großen Parks von Paris, ein Landschaftsgarten, der auf dem Gelände eines früheren Steinbruchs imposante Panoramen bietet und an freie Natur erinnert.
[1]
Roquette: Besserungsanstalt, vgl. Anm. 29.
[2]
Die Genannten gehören sämtlich zu Pionieren und Rekordhaltern von Fahrrad– und Motorrennsport und der jungen Luftfahrt, einige davon sogar in mehreren Disziplinen, wie Henri Farman, der erst Radrennfahrer, dann Autorennfahrer war und schließlich als Flieger etliche beachtete Erstflüge unternahm. Céline nennt sie mit typischen Merkmalen, die sich selbst erklären, bis auf: Alberto Santos-Dumont, «Embryo», da er sehr klein und sehr schmächtig war. Comte Charles de Lambert flog im Oktober 1909 vom rund 20 km südlich von Paris gelegenen Juvisy zum Eiffelturm und zurück; bei der Gelegenheit war erstmals ein Flugzeug am Pariser Himmel zu sehen. Hubert Latham, der «Enttäuschte», da er zweimal im Wettstreit mit Louis Blériot um die Erstüberfliegung des Ärmelkanals unterlag (später gelangen ihm diverse Rekorde und Erstleistungen, u.a. unternahm er den ersten Überlandflug in Deutschland von Berlin-Tempelhof zum Flugplatz Berlin-Johannisthal). Für die im Anschluss genannten Sport-«Events» verwendet auch Céline den englischen Begriff, französiert als «évents». Die im folgenden Absatz erwähnte Galeries des Machines, wie der Eiffelturm für die Weltausstellung von 1889 auf dem Champ-de-Mars erbaut, übertraf mit einer Spannweite von 115 Metern sämtliche vergleichbaren Großbauten ihrer Zeit. Zur Zeit der Handlung wurde sie vor allem als Fahrradstadion genutzt. Abgerissen 1909.
[3]
Für die schillernde Figur Courtial des Pereires gibt es – was in Célines Werk nicht eben häufig ist – ein konkret benennbares Vorbild, den Luftschiffer und Erfinder Raoul Marquis (1863–1934), der unter dem Namen Henry de Graffigny publizierte (von seinem eigentlichen Nachnamen für dieses adlige Pseudonym «legitimiert» und unter Verwendung seines Geburtsortes Graffigny-Chemin im Departement Haute-Marne). Ähnlich wie sein literarischer Zwilling bewegte er sich auf den Grenzpfaden zwischen Universalgelehrtentum, Popularisierung der Wissenschaften und Scharlatanerie. Er verfasste Abhandlungen zu Luftfahrt, organischer Chemie und Elektrizität, er veröffentlichte Abenteuerromane und ein Traktat über die Frage, ob der Mensch dereinst zum Mond reisen werde. Céline lernte ihn 1917 kennen, als Raoul Marquis Redaktionssekretär der wissenschaftlichen Zeitschrift Eurêka war, des Vorbilds für des Pereires’ Génitron. Céline selbst war dort Korrektor und Laufbursche. In dieser Zeitschrift wurde auch seine erste Publikation veröffentlicht, die Übersetzung eines amerikanischen Artikels. 1918 bereisten beide gemeinsam die Bretagne für eine Mission zur Bekämpfung der Tuberkulose. Gegen Ende seines Lebens zog sich de Graffigny aufs Land zurück und widmete sich Experimenten der Intensivlandwirtschaft mit Hilfe von Elektrizität – auch dies eine Parallele zu Courtial des Pereires.
[4]
Gemeint ist das im Maghreb bekannte rasante Reiterspiel.
[5]
«culturiste» wird im Wörterbuch Trésor de la Langue Française erstmals für 1911 nachgewiesen – und für seine Verwendung wird, wie so oft, eine Stelle von Céline zitiert, in diesem Fall genau diese hier. In einem heutigen Text würde man «culturiste» schlicht mit «Bodybuilder» übersetzen. «Körperkulturist» (an die sowjetische «fiskultura» angelehnt) war die DDR-Entsprechung des westlichen Begriffs «Kraftsportler».
[6]
Édouard Surcouf, Ingenieur und Verfasser mehrerer aeronautischer Studien. Wer mit Barbizet gemeint ist, war nicht zu ermitteln (vgl. Godard 1981, S. 1463).
[7]
In der Geschichte der Luftfahrt gibt es die Unterscheidung von Leichter-als-Luft-Fahrzeugen und Schwerer-als-Luft-Fahrzeugen. Zeppeline, Ballons und deren Frühformen, Montgolfieren und Rozieren, fliegen dank einer Befüllung ihrer Hülle mit Heißluft oder Gas. Zu Célines Zeit wurde für Zeppeline noch Wasserstoff als Füllgas eingesetzt, der brennbar war (man denke an das Unglück der «Hindenburg» 1937) und später durch das nicht brennbare Helium ersetzt wurde – insofern dachte Courtial des Pereires tatsächlich weit voraus. Schwerer-als-Luft-Fahrzeuge, also alle heute bekannten Flugzeuge oder auch Helikopter, müssen die Kraft zum Auftrieb mit Motoren erzeugen.
[8]
Camille Flammarion (1842–1925), Gründer und erster Präsident der Société astronomique de France, Astronom und Verfasser populärwissenschaftlicher Schriften, die eine ungeheure Verbreitung erfuhren, so seine Astronomie Populaire. Bedeutende astronomische Forschungen und Entdeckungen. Namensgeber für einen Mondkrater, einen Marskrater und einen Asteroiden. Beschäftigung auch mit Spiritualismus, Parapsychologie, Theosophie. Der Gründer des bis heute bekannten Verlags Flammarion war sein Bruder Ernest.
[9]
Raspail: vgl. Anm. 20.
[10]
Der Mathematiker und Philosoph Auguste Comte (1798–1857) war der Begründer des Positivismus und prägte diesen Begriff (eine schon in der Antike vorhandene Denkweise: Erkenntnisse und Wissen sollen auf nachprüfbaren Befunden basieren); aus dieser materialistischen Haltung heraus lange religionskritisch eingestellt. Akrostichon: In dieser lyrischen Form ergeben die Anfangsbuchstaben (bisweilen auch -silben oder -wörter) der Verszeilen, nacheinander gelesen, einen eigenen neuen Text.
[11]
Bolversatore Savantissima: Diese Auszeichnung wurde also erteilt von einer obskuren Akademie aus einem aus französischer Weltsicht obskuren Land. Der Ehrentitel ist zusammengesetzt aus frz. bouleverser, hier «umstürzen, von Grund auf neu denken» als italo-latinisiertes Substantiv, und grammatikalisch falsch im Femininum angeglichen Savantissima, «höchst gelehrte». Auch die danach genannte Auszeichnung ist lateinischer Murks.
[12]
Alphonse Bertillon (1853–1914) erschuf ein anthropometrisches System zur Erkennung von Verbrechern, namentlich von Wiederholungstätern. Anders als die Szene vermuten lässt, sträubte er sich (wenn auch erfolglos) gegen die Aufnahme der Daktyloskopie – Erkennung durch Fingerabdrücke – in die nach ihm Bertillonnage genannte Methode der Erkennung durch eine Reihe körperlicher Merkmale. Obwohl kein Schriftexperte, schrieb er in der berühmten Hochverrats-Affäre dem beschuldigten Hauptmann Alfred Dreyfus hartnäckig die Urheberschaft an der relevanten Geheimkorrespondenz mit der deutschen Botschaft in Paris zu. Vom Revisionsprozesses widerlegt, weigerte er sich dennoch bis zu seinem Tod, diesen schweren – wohl antisemitisch motivierten – Missgriff zuzugeben.
[13]
Montretout: einer der Stadtteile von Saint-Cloud im Westen von Paris.
[14]
Pierre Louis Moreau de Maupertuis (1698–1759) trat durch vielerlei wichtige Forschungen und Tätigkeiten in Erscheinung (so am Hof Friedrichs II. in Potsdam, u.a. als Rivale Voltaires), nicht aber durch Polarforschung … bis auf eine Reise nach Lappland. Jean-Baptiste Étienne Auguste Charcot (1867–1936) hingegen unternahm zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwei Forschungsreisen in die Antarktis.
[15]
Vincennes und einige Zeilen später Maisons(-Lafitte), Saint-Cloud, Chantilly: Pferderennbahnen, ebenso wie Auteuil, Longchamp, La Porte, Arcueil-Cachan im Folgenden. Die aus dem Roulette übernommene Martingale-Strategie besteht darin, im Verlustfall bei der nächsten Wette den Einsatz zu verdoppeln: Gewinnt man nur einmal, auch nach einer Verlustserie, ist der Verlust ausgeglichen.
[16]
Eine Statue von Camille Desmoulins (s. Anm. 39) befand sich von 1905 bis 1942 (eingeschmolzen) im Innenhof des Palais-Royal. Vicky: Gemeint ist Victor Hugo. Auguste Rodins Marmorskulptur Victor Hugo in Guernsey wurde 1909 auf einem Rasen ebendort aufgestellt. Laut Godard 1981 nunmehr im Musée Rodin.
[17]
Céline zieht zwei zu seiner Zeit bekannte Lokale zusammen, ein Café namens «Pavillon de la Rotonde» im nördlichen Teil des Palais-Royal und ein anderes, das unweit in der Rue Saint-Honoré 161 gelegene «Café de la Régence».
[18]
Die «Grüne» war die «fee verte», die «grüne Fee»: Absinth.
[19]
Der Diplomat und Unternehmer Ferdinand de Lesseps (1805–1894) erhielt 1854 vom ägyptischen Vizekönig die Konzession zum Bau und auf 99 Jahre zum Betrieb des Suezkanals, der 1869 eröffnet wurde. Sein Versuch, den Panamakanal zu bauen, scheiterte. Dazu s. Anm. 134.
[20]
Max Linder, Pseudonym von Gabriel-Maximilien Leuvielle (1883–1925), Filmpionier als Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor, war mit seiner Dandy-Figur Max – stets in Smoking mit Zylinder und Handschuhen – ein Weltstar des Stummfilms und beeinflusste u.a. Charly Chaplin und Buster Keaton. Ab 1910 schuf er Hunderte Kurzfilme mit seinem Vornamen im Titel; das von ihm in Paris erbaute Cinéma Max Linder existiert noch heute.
[21]
Erebos: in der altgriechischen Mythologie der Gott und die Verkörperung der Finsternis.
[22]
Boulevard Arago: vgl. Anm. 15.
[23]
Die junge Kunst der Ballonfahrt entwickelte sich rasch zu einer Jahrmarktsattraktion inklusive Fahrten mit Pferden und allerlei akrobatischen Einlagen. Ganz wie der Enthusiast wurden die frühen Ballons – auch die der Brüder Montgolfier – tatsächlich immer wieder geflickt und verwendet, bis sie gänzlich irreparabel waren. Guy des Roziers: Célines Variante zu Pilâtre de Rozier (1754–1785). Er war der erste Pionier der Luftfahrt, der Erste, der an einem bemannten Aufstieg im Ballon teilnahm (1783 in einem mit Heißluft betriebenen Fesselballon der Brüder Montgolfier, die bislang nur Tiere hatten aufsteigen lassen) – und 1785 waren er und sein Mitfahrer Pierre Romain beim erfolglosen Versuch einer Überquerung des Ärmelkanals im Ballon von Frankreich aus die ersten Todesopfer der Luftfahrt. Die nach ihm benannte «Rozière» war seine Konstruktion, eine Kombination von Gasballon und Heißluftballon. Die einige Zeilen weiter genannten italienischen Ballonfahrer «Calogoni und Petita» waren nicht nachweisbar; Céline lässt sie im weiteren Verlauf noch einmal auftreten, dann als «Rastoni und seine Tochter» (hier S. 538).
[24]
Diesen (wohl Phantasie-)Stern nennt Céline hier so, Belgerophorus, früher im Text (vgl. S. 466) Bellegophorus, eine weitere Inkonsequenz, bei der wir ihm folgen. Die Benennung mag am Namen einer Gestalt der jüdischen und christlichen Mythologie orientiert sein, dem Dämon Belphegor.
[25]
S. Anm. 37.
[26]
Eugène François Vidocq (1775–1857) war der Gründer und erste Leiter der Sicherheitspolizei Sûreté nationale. Sein abenteuerlicher Lebenshintergrund als Krimineller, Soldat, Freischärler, Gefängnisinsasse und Ausbruchskünstler wurde noch zu Lebzeiten in der Literatur vielfach rezipiert (Victor Hugo, Emile Zola), später auch im Film. Nach langen Jahren auf der Flucht stellte er den Ordnungskräften seine Kontakte ins kriminelle Milieu zur Verfügung und legte im Apparat einen imposanten – bis zuletzt auch umstrittenen – Aufstieg hin. Seine Kontakte ins Milieu wusste er weiter zu nutzen, durch einen Mitarbeiterstab aus ehemaligen Verbrechern, ein ausgedehntes Spitzelwesen und intime Kenntnis von Methoden und Lebensumständen der Unterwelt. Er war der erste regelrechte Kriminalist der Geschichte, der die Polizei reformierte und moderne Methoden der Verbrechensbekämpfung einführte (u.a. Karteien, systematische Personenbeschreibungen, Anthropometrie, Spuren- und Tatortuntersuchungen, Ballistik).
[27]
Bei diesem Julien Candemare scheint es sich um Erfindung zu handeln, worauf auch hindeutet, dass Céline in einer früheren Fassung einen anderen, ebenfalls offenbar fiktiven Namen verwendete (Julien Audemars, vgl, Godard 1981, S. 1474). Die zeitgeschichtlichen Bezüge hingegen sind exakt, sie entsprechen zwei Ereignissen, nämlich einem Wettflug Paris–Rom im Mai 1911 und einem weiteren im Juni und Juli desselben Jahres von Paris über Brüssel und London zurück nach Paris. Veranstalter waren zwei der meistgelesenen Tageszeitungen des Landes.
[28]
«Flugwerk», früher auch Flugzelle oder nur Zelle (bei Céline «cellule»), bezeichnet den Flugzeugkörper ohne Triebwerk und Betriebsausrüstung. Die Brüder Wilbur und Orville Wright (1867–1912, 1871–1948) waren amerikanische Flugzeugbauer und Flugpioniere. Orville soll 1903 den ersten Flug in einem motorisierten Flugzeug absolviert haben, Wilbur demonstrierte 1908 in Frankreich bei Le Mans seine Kunst, stellte im selben Jahr einen neuen Langflugrekord auf (2 h 20′) und unterrichtete eine Reihe von europäischen Piloten, darunter Comte Charles de Lambert (vgl. Anm. 74). Er vergab nach Frankreich und Deutschland Lizenzen für den Bau von Flugzeugen nach seinem Modell.
[29]
Port-à-l’Anglais: Schleusenanlage und Seine-Hafen in Vitry-sur-Seine südöstlich von Paris.
[30]
Jules-Émile Péan (1830–1898) war einer der berühmtesten und innovativsten Chirurgen seiner Zeit. Er führte zahlreiche Methoden ein, die Operationsdauer, Blutverlust und Zahl der Todesfälle verringerten; eine Gefäßklemme ist nach ihm benannt. Gerade für gynäkologische Operationen war er bekannt, er setzte aber auch als Erster eine metallene Schultergelenkprothese ein. Seinen Ruf verdankte er unter anderem Schauoperationen vor Publikum, die der Autor Léon Daudet so beschrieb: «… der Skalpellvirtuose nimmt drei Beine und zwei Arme ab, exartikuliert zwei Schultern, trepaniert fünf Schädel, entnimmt leichterhand ein halbes Dutzend Uteri samt Adnexe und einige Paare Eierstöcke. Das zelebrierte er im Frack mit weißer Krawatte (…) Nach zwei Stunden dieser Vorstellung troff er von Blut und Schweiß (…) und immer noch war er ganz aufgeräumt.» (Zit. nach Godard 1981, S. 1475)
[31]
Die Rue Blondel in der Nähe der Kreuzung Strasbourg-Saint-Denis und der Boulevard Barbès als beispielhafte Hochburgen der Prostitution.
[32]
Vgl. Anm. 63: das auf Geschlechtskrankheiten spezialisierte Hôpital Saint-Louis.
[33]
«Pardons» (Bitte um Vergebung) sind Fürbitten-Prozessionen in der Bretagne, meist an Gedenktagen der Heiligen, mit Volksfesten verbunden. Der Ortsname «Kraloch-sur-Isle» ist in persiflierender Absicht erfunden.
[1]
Gemeint ist der «Crédit Municipal», also eine städtische Kreditanstalt, Nachfolgerin der einem Pfandleihhaus ähnlichen Institution, in der gering Bemittelte gegen Hinterlegung einer Sicherheit Kleinkredite aufnehmen konnten.
[2]
Am Quai des Orfèvres befand sich bis 2017 der Sitz der Pariser Kriminalpolizei.
[3]
Gemeint sein dürfte die Erziehungs- und Haftanstalt von Fresnes.
[4]
Das bisschen Fell bezieht sich wohl auf den Streifen Hermelinpelz an der Robe mancher Justizbeamter.
[5]
Temple und Carreau: vgl. Anm. 16.
[6]
Schon bei Jules Verne kommt eine auf dem Rühmkorff’schen Funkeninduktor basierende Lampe vor; der Funkeninduktor wurde unter anderem in Carl Benz’ «Patent-Motorwagen Nummer 1» verbaut und ist Vorläufer der Zündspule. Konstruiert wurde er von dem deutsch-französischen Mechaniker und Elektrotechniker Heinrich Daniel Rühmkorff (1803–1877), der sich 1839 in Paris niederließ und fortan Ruhmkorff schrieb (Célines Schreibweise des Namens ist eine ungefähre). Er stellte seine Erfindung zum ersten Mal 1855 auf einer internationalen Industrieausstellung in Paris vor.
[7]
Godard nennt in seinen Anmerkungen die Fachbücher, die er hier zu Rate gezogen hat, ohne einen Nachweis weder für dieses Schiff noch den weiter unten genannten Black Stranger gefunden zu haben.
[8]
Bisquine (auch Besquine) ist ein an der französischen Kanalküste gebräuchlicher Typ von Fischerboot. Koh-i-Noor («Berg des Lichts»): ein legendärer Diamant, erstmals im Jahr 1304 erwähnt, einer der größten der Welt (knapp 109 Karat), heute Bestandteil des britischen Kronschatzes. Black Stranger: s. Anm. 112.
[9]
Das Mädchen aus Mostaganem: ein nicht identifizierbares Lied, offenbar Erfindung des Autors.
[10]
Von der Galerie d’Orléans sind heute nur noch zwei dorische Portiken unter freiem Himmel übrig; sie war um 1830 herum als eine der typischen Geschäfts-Passagen mit Glasdach konstruiert worden. Zeitgenössische Fotos zeigen eine Personenwaage an einem der Pfeiler der sich rechtwinklig anschließenden Valois-Säulenhalle.
[11]
1899–1903 wurden vier nach märchenhaften Koboldgestalten benannte Unterseebote des Modells Farfadet gebaut (Farfadet, Lutin, Korrigan, Gnome), von denen eines, das Farfadet, am 5. Juli 1905 vor der Hafeneinfahrt von Bizerta unterging – wegen unzureichend geschlossener Einstiegsluke.
[12]
Rotunde: vgl. Anm. 89.
[13]
Die Bonnot-Bande war 1911/12 aktiv und bestand aus Anarchisten, die kriminelle Handlungen, zumal Bankraub, als zulässige revolutionäre Aktionen betrachteten. Aufsehen erregte die Gruppe durch die technische Aufrüstung zum Beispiel mit Automobilen, mit der sie der Polizei überlegen war. In der Presse wurden sie zunächst als die «Autobanditen» bezeichnet, in zeitgenössischen deutschen illustrierten Zeitschriften auch als «Pariser Automobilapachen» (Apachen als Bezeichnung für städtische Unterweltler stammte aus dem Argot). Im März 1912 wurde die Bande bei einer großangelegten Verhaftungsaktion aufgerieben. Ihre Mitglieder wurden teils bei der Aktion getötet, viele der Überlebenden beim anschließenden Prozess zum Tode verurteilt.
[14]
Alliacinsäure (acide aliacidique) ist eine Erfindung Célines, angelehnt an den Begriff Allicin für das Umsetzungsprodukt einer in Knoblauch enthaltenen Aminosäure. Sie zerfällt zu Verbindungen, die den typischen Knoblauchgeruch bewirken.
[15]
Marignan ist der französische Name der lombardischen Ortschaft Marignano. Der Kontext – Niederlage, Landsknechte – legt nahe, dass hier auf ein Ereignis der Schweizer Militärgeschichte angespielt wird, Niederlage und geordneten Rückzug der Schweizer Söldnerheere in der Schlacht bei Marignano im September 1515 gegen Frankreich, es ging um das Herzogtum Mailand. Von Ferdinand Hodler auf einem heroischen Fresko im Schweizerischen Landesmuseum Zürich dargestellt.
[16]
Auguste Rodins berühmte Bonzeskulptur Der Denker, entstanden 1880/82, stand ab 1906 vor dem Säulengang des Pariser Pantheons. Seit 1919 im Musée Rodin. Zahlreiche über die Welt verstreute Abgüsse; eine Monumentalversion befindet sich in der Alten Nationalgalerie in Berlin.