Schwester Romana
in Liebe und Dankbarkeit
gewidmet

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1. Auflage 2021

ISBN 978-3-8280-3545-4· Auch als E-Book erhältlich (ISBN 978-3-8280-3545-4)

Bildnachweis: Tabelle 1, Abb. 2, 3, 5, 7 und 47: eigener Entwurf

Abb. 1, 4, 6, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45 und 46: Abgewandelt nach smart.servier.com, SERVIER MEDICAL ART, Copyright from SERVIER MEDICAL ART/ Les Laboratoires Servier, gemäß Creative Commons Namensnennung 3.0 Unported Lizenz, https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/ Sämtliche Rechte vorbehalten · Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis

Band I

Band II

Es sind die Lebenden, die den Toten die Augen schließen,
und es sind die Toten, die den Lebenden die Augen öffnen.

SLAWISCHES SPRICHWORT

Vorwort

Wen der Weg einmal in das wunderschöne oberbayrische Dorf Benediktbeuern führt, findet dort nicht nur Ruhe, Erholung und Kultur. Er trifft dort auch auf eine außergewöhnliche Natur- und Sinneswelt. Schnell wird verständlich, warum Benediktbeuern geistiger und kultureller Mittelpunkt im Tölzer Land ist. Ein wahrlich gesegneter Ort, dazu noch mit einer denkwürdigen Geschichte. Eigentlich sollte Benediktbeuern ursprünglich als rein weltliche Station dienen, doch die Geschichte wollte es anders. Und so wurde aus dem im Jahre 725 gegründeten Stützpunkt „Buron“, der am Fuße der Bergwelt liegt und den Weg über den Kesselberg sowie das obere Loisachtal bis hin zum Brennerpass nach Italien militärisch kontrollieren sollte, noch etwas völlig anderes. Mönche kamen hinzu und als der heilige Bonifatius, der die Germanen missionierte, im Jahre 738 die Bistümer in Bayern neu ordnete, gab er den entscheidenden Anstoß zur Gründung eines Benediktinerklosters in Buron. Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Bereits ein Jahr später, im Jahre 739, weihte der heilige Bonifatius die neue Kirche ein und so wurde aus dem Kloster Buron „Benedictoburanum“, das heutige Benediktbeuern. Ein Pilger- und Wallfahrtsort zum heiligen Benedikt. Nach Montecassino und Saint-Benoît-sur-Loire sogar der drittwichtigste weltweit. Aber warum erzähle ich Ihnen das alles? Unter anderem wegen der malerischen Bergwelt. Wer sich nämlich auf eine der derzeit 166 paradiesischen Wandertouren begibt, kann ein äußerst interessantes Phänomen beobachten. Vorausgesetzt, man lässt seinen Blick über die weitläufigen Bergkämme der Gegend schweifen. Den Blick in die Ferne gerichtet, fest auf jenen Punkt, wo die Wolken die Berge berühren und umgekehrt. Fürwahr ein magischer Punkt, denn an demselben wird das Auge des Betrachters nicht mehr unterscheiden können zwischen Wolken und Bergen. Es erweckt den Eindruck, als würden die Berge sich in Wolken auflösen und andererseits die Wolken zu Bergen kondensieren. Die Wolken stehen dabei für das leichte und luftige Prinzip, für die Welt des Geistigen. Und die Berge stehen für das schwere und feste Prinzip, für die Welt des Materiellen. Aber kann das sein? Kann sich Materie wirklich einfach so in Geistiges auflösen? Oder andersherum, kann das Geistige einfach so zu fester Materie werden? Was ist überhaupt das Geistige und was ist Materie? Gibt es nur Geist oder existiert ausschließlich die Materie? Und was ist mit dem menschlichen Geist? Ist er ein Ausfluss neuronaler Aktivität oder eine eigenständige Entität, die bestehen bleibt, wenn man das Gehirn ausschaltet? Ehe man es sich versieht, ist es vorbei mit der Wanderung in den Bergen und man steht mitten in einem Themenkomplex, den die Menschheit schon seit Angedenken zu beantworten versucht, dem Leib-Seele-Problem. Dafür beginnt aber eine geistige Wanderung. Es ist eine anspruchsvolle Wegstrecke mit hohem Schwierigkeitsgrad. Dafür aber eine, die sich wirklich lohnt. Sie beginnt mit der Frage, was genau überhaupt das Leib-Seele-Problem umfasst, führt dann weiter in die Richtung philosophischer Lösungsvorschläge, um dann selbst einzelne Begriffe wie Bewusstsein, Psyche, Seele und Geist zu beleuchten. Schließlich führt die geistige Wanderroute zur Anatomie, genauer gesagt in die Neuroanatomie und zur Gehirnforschung, mit der Frage, ob wir so etwas wie Bewusstsein, Psyche, Seele und Geist im Gehirn wiederfinden können. Und sie führt zu der Welt der Toten bzw. zu den Menschen, die den Tod kennengelernt haben, bevor sie wieder ins Leben zurückkehrten. Mit der Quantenphysik wird es dann Zeit für ein Resümee. Damit auch Zeit für die Frage, ob man das Leib-Seele-Problem wirklich lösen kann? Und wenn ja, bis zu welchem Grad? Dort endet unsere geistige Reise. Wie jede, mit vielen Bildern und neuen Eindrücken. Wenn Sie mögen, folgen Sie mir also bis zum Gipfelkreuz. Bis an das Ziel unserer Reise, weit hinauf zu neuen geistigen Höhen.

Dr. med. Sascha Plackov

Berlin, im Winter 2020

Einleitung

Leben, Geburt und Tod sind Begriffe, die unsere menschliche Existenz kennzeichnen. Geburt und Tod sind dabei die Wegmarken, Anfang und Ende einer irdischen Existenz. Alles, was sich zwischen diesen beiden Wegmarken abspielt, nennen wir Leben. Menschliches Leben beginnt mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle. Es entsteht aus zwei Lebewesen. Danach ist es gekennzeichnet durch Wachstum, Fortpflanzung, Altern und Sterben. Das ist der zeitliche Verlauf. Chemisch gesehen besteht das Leben in unserer Dimension vorwiegend aus Wasser und Kohlenstoff. Man könnte deshalb auch sagen, dass das Leben auf der Kohlenstoffchemie basiert, wobei das Wasser als Lösungsmittel dient. Es finden sich aber auch noch weitere Elemente wie Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Natrium, Kalium, Calcium, Chlor, Phosphor, Schwefel, Jod, Eisen, Kupfer, Selen und andere. Eine weitere Auffälligkeit besteht darin, dass das Leben auf unserem Planeten aus Zellen besteht. Zu unterscheiden sind dabei einzellige von mehrzelligen Lebensformen. Auf zellulärer Ebene ist das Leben ein halboffenes dynamisches System. Das heißt, dass einerseits der intrazelluläre Raum durch die Zellmembran vom extrazellulären Raum abgegrenzt wird, andererseits aber über diese Abgrenzung ein geregelter Austausch mit der Umwelt stattfindet. Dieser Austausch wird so geregelt, dass sich in der Zelle ein dynamisches Gleichgewicht, auch Homöostase genannt, einstellt. Wir dürfen deshalb ganz allgemein festhalten, dass sich das Leben entweder in einzelliger oder in vielzelliger Form gegenüber der Umwelt abgrenzt. Es nimmt ständig Energie oder energiehaltige chemische Verbindungen auf, gibt Wärmeenergie an seine Umwelt ab und versucht sich an diese Umwelt möglichst gut anzupassen und sie möglichst im eigenen Interesse zu verändern. Jede biologische Leistung des Lebens wird dabei möglichst nach dem Minimaxprinzip ausgeführt. Das bedeutet, dass sie mit möglichst geringem Energie- und Stoffaufwand ausgeführt wird. Das Leben in unserer Dimension spricht auch eine Sprache. Es ist eine universelle Sprache, die im Erbgut steckt. Das Alphabet dieser Sprache kennt nur vier Buchstaben, die von den vier organischen Basen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin gebildet werden. Die Grammatik dieser Sprache nennt man Desoxyribonukleinsäure. Sie ist Träger der Erbinformation, sprich der Gene. Leben besteht somit aus Materie und diese hat Eigenschaften. Zu diesen Eigenschaften gehören beispielsweise der Stoffwechsel, Regulation, Reizempfinden, Bewegung, Fortpflanzung sowie Vererbung und Fortentwicklung. Daneben gibt es noch eine Eigenschaft des Lebens. Es ist eine Eigenschaft der ganz besonderen Art, das Bewusstsein. Es ist deshalb von ganz besonderer Art, weil es sich als Kriterium des Lebens von allen anderen Phänomenen unterscheidet, die sich physikalisch-kausal erklären lassen. Selbst die Quantenphysik ist nicht in der Lage, es zu erklären. Rein stammesgeschichtlich gesehen lässt sich sagen, dass alle Lebewesen einen Zustand haben, den wir als Bewusstsein bezeichnen. Das Bewusstsein ist somit allem Lebendigen zugehörig. Offensichtlich kann ein Körper also nicht ohne Bewusstsein existieren. Damit bedeutet Leben folglich eine Kombination aus Materie und Bewusstsein. Und genau das ist das Einzigartige am Leben, diese Dualität. Es geht im Grunde um die Dualität von Körper und Bewusstsein. Was aber ist Bewusstsein und woher kommt es? Wie entsteht Bewusstsein aus der Materie und wie entwickelt es sich in einem Lebewesen? Mit Bewusstsein wird im Allgemeinen der wachbewusste Zustand von Lebewesen bezeichnet. Oder anders ausgedrückt, Bewusstsein heißt Wahrnehmung. Dabei gibt es verschiedene Stufen des Bewusstseins, der Wahrnehmung, niedrigere und höhere. Kann beispielsweise ein Lebewesen nicht nur Reize aufnehmen, sondern diese auch bewusst erleben, dann verfügt es über ein sogenanntes phänomenales Bewusstsein. Es verfügt dann über ein individuelles Erleben. Kann also ein Lebewesen Hitze und Kälte wahrnehmen, kann es Schmerzen wahrnehmen und seiner Freude oder Enttäuschung Ausdruck verleihen, dann verfügt es zweifelsohne über ein phänomenales Bewusstsein. Wir dürfen deshalb festhalten, dass die allermeisten Tiere über ein phänomenales Bewusstsein verfügen. Von einem gedanklichen Bewusstsein spricht man, wenn Lebewesen sich erinnern, denken, planen und etwas erwarten können. Dieses Bewusstsein finden wir zum Beispiel bei Katzen und Hunden. Kommt zum phänomenalen und gedanklichen Bewusstsein noch das Selbstbewusstsein hinzu, also das Wissen, über ein Bewusstsein zu verfügen, dann geht es noch eine Stufe höher. Das Selbstbewusstsein ist demnach Bewusstsein des Selbst und ein Wissen um seine eigenen mentalen Zustände. Es ermöglicht somit ein Bewusstsein von sich selbst als Individuum. Forscher der Universität Buffalo haben herausgefunden, dass neben dem Menschen auch manche Tiere ihre mentalen Vorgänge bewusst reflektieren, überwachen und beeinflussen können. Zu diesen Tieren gehören Delfine und Makakenaffen. Selbstreflexion bedeutet aber nicht automatisch auch das Bewusstsein über ein denkendes „Ich“. Das Selbstbewusstsein geht vielmehr dem Ichbewusstsein voraus. Damit wären wir dann bei der vorletzten Stufe des Bewusstseins angekommen, dem Ichbewusstsein, auch Individualitätsbewusstsein genannt. Individualitätsbewusstsein besitzt, wer sich seiner selbst und darüber hinaus seiner Einzigartigkeit als Lebewesen bewusst ist und die Andersartigkeit anderer Lebewesen wahrnimmt. So weit, so gut, aber wie bekommt man das heraus, ob ein Lebewesen über ein derartiges Ichbewusstsein verfügt? Die Antwort lautet, mit dem Spiegeltest. Er wurde 1970 von dem amerikanischen Psychologen Gordon G. Gallup erfunden. Bei dem einfachen Spiegeltest wird einem Lebewesen ein Spiegel in das Sichtfeld gehalten und dessen Reaktion beobachtet. Damit wird im Allgemeinen untersucht, ob ein Lebewesen ein Bewusstsein für die eigene Existenz hat. Wird das Spiegelbild als ein fremdes Individuum begrüßt, bedroht, attackiert oder ignoriert, so gilt der Test als nicht bestanden. Erkennen Lebewesen hingegen im Spiegelbild keinen Artgenossen, sondern sich selbst, gilt der Test als bestanden. Und so ein bestandener Test spricht für ein Ichbewusstsein und somit als Beweis für die Fähigkeit, komplizierte und abstrakte Gedankengänge zu verfolgen. Eine Abwandlung des Spiegeltests ist der Rouge-Test. Bei diesem Test wird dem Lebewesen ein farbiger Punkt auf eine Körperstelle gemalt, die ohne Spiegel nicht sichtbar wäre. Versucht das Lebewesen nach einem Blick in den Spiegel diesen Fleck zu berühren oder zu entfernen, dann hat es sich erkannt und der Test gilt als bestanden. Löst der Anblick im Spiegel jedoch keine Verwunderung aus, kein Verlangen, den Fleck zu berühren oder wegzuwischen, wird er also nicht bemerkt oder wahrgenommen, hat sich das Lebewesen nicht erkannt und der Rouge-Test gilt als nicht bestanden. Menschenkinder meistern den Spiegeltest meistens ab einem Alter von etwa eineinhalb Jahren, also zwischen dem 18. und 24. Lebensmonat, um genau zu sein. Aber auch Schimpansen, Orang-Utans, Delfine, Elefanten und Elstern bestehen diesen Test. Makaken hingegen tun sich bei diesem Test schwer. Denn bei ihnen führt erst eine tiefgreifende Veränderung des Äußeren dazu, ihr Erscheinungsbild im Spiegel genauer zu prüfen. Hunde und Katzen hingegen bestehen den Spiegeltest nicht. Unabhängig vom Spiegeltest muss jedoch eines ganz deutlich betont werden. Was auch immer in einem Tier wirklich vorgeht und ob dies dem ähnelt, was der Mensch empfindet, bleibt letztendlich ein Mysterium. Denn niemand vermag diese Frage wirklich zu beantworten. Eines ist jedoch völlig unstrittig. Nur der Mensch ist ein kulturelles, geschichtliches und religiöses Wesen. Kein einziges Tier philosophiert, reflektiert über Metaphysik, betet zu Gott, schreibt Psalmen, komponiert Kantaten, modelliert Skulpturen, malt Gemälde, baut Tempel oder beerdigt seine Toten. Denn Tiere haben keinen Sinn für höhere Wesen, Spiritualität und Religiosität. Und das aus gutem Grund. Denn was ihnen fehlt, ist ein Transzendenzbewusstsein. Damit wären wir bei der höchsten Stufe des Bewusstseins angekommen. Weil eben nur der Mensch über ein Transzendenzbewusstsein verfügt, fragt auch nur er nach dem „Mehr im Leben“ bzw. dem „Leben danach“. Und so denkt auch nur der Mensch über sein Dasein und über den Sinn des Lebens nach. Deshalb entwickelt nur der Mensch religiöse Vorstellungen. Kein Tier wird jemals einen verstorbenen Artgenossen beerdigen. Um ihn trauern ja, aber nicht beerdigen. Kein Tier wird jemals für ein anderes beten oder für sich selbst von einer höheren Macht Beistand erflehen. Beim Menschen ist das völlig anders. Wenn Menschen, wo auch immer sie leben, auf unserer Erde gestorben sind, werden sie von anderen Menschen beerdigt. Damit verbunden wird häufig die Hoffnung auf ein ewiges Leben. Besonders anschaulich wird dies in der Paläontologie, also der Wissenschaft von den Lebewesen der Urzeit. Wenn ein Paläoanthropologe zum Beispiel irgendwo im Erdreich Knochen findet, dann stellt sich für ihn die Frage, ob er es hier mit den Knochen eines Tieres oder mit denen eines Menschen zu tun hat. Findet er bei den Knochen auch Artefakte, also von Menschen erzeugte Gegenstände, beispielsweise als Grabbeigaben für das „Leben danach“, dann kann er ganz sicher sein, dass er es mit den Knochen eines Menschen zu tun hat. Damit stellt sich auch die spannende Frage, wann das Transzendenzbewusstsein überhaupt eingesetzt hat. Oder anders gefragt, wann erwachte das menschliche Transzendenzbewusstsein in der Entwicklungsgeschichte? Wir wissen nicht völlig sicher, wann und wo der Homo sapiens entstand, aber was wir sagen können, ist, dass er aufgrund von Fossilienfunden am ehesten afrikanischen Ursprungs ist und vor etwa 150 000 bis 200 000 Jahren auftauchte. Vor circa 100 000 Jahren betrat dann Homo sapiens sapiens, also der moderne Mensch oder Jetztmensch, die Bühne des Geschehens. Er war eine Unterart des Homo sapiens. Mit ihm setzten das Zeitalter der Kulturentwicklung sowie moderne Verhaltensmuster ein, was schließlich zu unserer hochtechnisierten Gesellschaft führte. Aber noch etwas zeichnete den modernen Menschen aus. Es war etwas Entscheidendes. Etwas, das ihn von allen anderen Lebewesen deutlich unterschied, nämlich sein seelisch-geistiges Empfinden. Es war dieser moderne Mensch, der als einziger kleine Skulpturen schnitzte, Höhlenwände bemalte, auf Knochen und Steinplättchen Wichtiges verzeichnete, Flöten baute, persönliche Schmuckstücke anfertigte, eine extreme Sprachenvielfalt entwickelte und seine Toten als einziger mit Gegenständen aus dem Alltag wie Werkzeugen, Geräten, Schmuck und Nahrung bestattete. Grabbeigaben in dieser Form fand man nur bei dem modernen Homo sapiens sapiens. Das ist ein eindeutiger und eindrucksvoller Beleg dafür, dass hier bereits ein transzendentes Denken vorlag. Und dies bedeutet, dass sich der moderne Mensch bereits zu dieser Zeit mit Leben und Tod auseinandersetzte. Dieser moderne Mensch muss sich also gefragt haben, was geschieht mit dem Verstorbenen? Wo geht er hin? Kommt er wieder, vielleicht in einer anderen Gestalt? Homo sapiens sapiens machte sich also klare Gedanken und Vorstellungen über den Tod. Und aus diesen Gedanken und Vorstellungen entstanden dann auch die entsprechenden Bräuche. Doch was bedeutet eigentlich Transzendenz? Es bedeutet so viel wie jenseits der Erfahrung des Gegenständlichen liegend. Der Begriff bezeichnet somit das Überschreiten der Grenzen des Diesseits. Als transzendent gilt, was außerhalb des Bereiches der normalen Sinneswahrnehmung liegt und nicht von ihr abhängig ist. Man darf allerdings den Begriff der Transzendenz nicht verwechseln mit dem Begriff transzendental. Denn transzendental ist eine vom deutschen Philosophen Immanuel Kant verwendete Bezeichnung und ist gleichbedeutend mit dem Wort „erkenntniskritisch“. Während also der Begriff Transzendenz diejenigen Bereiche menschlicher Existenz umfasst, welche die Wahrnehmung und das Vorstellungsvermögen überschreiten, konzentriert sich der Ausdruck transzendental primär auf die Untersuchung der Erfahrungsmöglichkeiten des Menschen und betrachtet dabei vor allem sein Erkenntnisvermögen. Die Begriffe Transzendenz und transzendental sind folglich nicht deckungsgleich, sondern streng voneinander zu unterscheiden. Eine transzendentale Erkenntnis beinhaltet die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit dieser Erfahrung und befasst sich demnach mit den Voraussetzungen ihrer Möglichkeit. Kant selbst definierte den Begriff transzendental wie folgt:

„Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnis von Gegenständen, sofern diese a priori möglich sein soll, beschäftigt.“

Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft

Damit bleiben zwei Dinge festzuhalten. Erstens, Transzendenz und transzendental kommen beide von dem lateinischen Begriff transcendo, was so viel wie „ich überschreite“ bedeutet. Beide sind Bezeichnungen für zwei sehr verwandte, aber gleichzeitig doch sehr verschiedene Begriffe. Und zweitens, wir stoßen bei der Frage nach dem Menschsein unumgänglich auf das Phänomen Transzendenz und somit auf das Thema Religion. Der Mensch ist offensichtlich von da an Mensch, wo zum Ichbewusstsein in Form von Selbstbezug zusätzlich noch ein Transzendenzbewusstsein hinzukommt und damit die Erkenntnis reift, dass es außer einem selbst auch noch etwas Größeres gibt als das eigene „Ich“. Etwas, das einen umfängt, zu der eigenen Existenz hinzutritt. Und dies möglicherweise in der Ausgestaltung eines Gottesbezugs. Transzendenz in der Religion bedeutet deshalb konkret das Jenseitige. Das, was die Grenzen des menschlichen Verstandes und seines Bewusstseins überschreitet und sprachlich nur in Ansätzen zu vermitteln ist. Die Transzendenz mit dem Bezug auf das Jenseits ist deshalb auch ein wesentlicher Unterschied zwischen Religion und Philosophie. Denn Philosophie ist im Allgemeinen auf das Diesseits beschränkt. Wenn es also etwas gibt, das den Menschen vom Tier eindeutig unterscheidet, dann sind es Kunst, Kultur und Glaube. Der Mensch kann an etwas glauben. Es ist ganz offensichtlich dieses Transzendenzbewusstsein, das ihn dazu antreibt, die großen Menschheitsfragen zu stellen. Wer bin ich? Was bin ich? Von wo komme ich her? Wohin werde ich gehen? Warum bin ich hier? Was ist der Sinn des Lebens? Welche Bedeutung hat der Tod? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Gibt es das ewige Leben? Das ewige Leben ist ein Begriff, der aus der Theologie und Metaphysik stammt. Dahinter steht die Vorstellung, dass mit dem biologischen Tod das Leben nicht enden wird und dass ein Lebewesen somit nie wird sterben müssen. Die meisten Religionen propagieren diesen Glauben an das ewige Leben. Die Vorstellung geht davon aus, dass ein nichtmaterieller Teil des Menschen, die Seele, der Geist oder das Bewusstsein, unsterblich ist und deshalb nach dem Tod weiterlebt. Die Vorstellungen der einzelnen Religionen, wie die Seele im Einzelnen beschaffen ist und wie oder wo sie nach dem Tode des Individuums weiter bestehen wird, gehen allerdings zum Teil weit auseinander. Die Auffassungen reichen dabei von der Wiedergeburt der Seelen bis hin zu speziellen Aufenthaltsorten, wie Paradies, Fegefeuer oder Hölle. Dagegen sehen die Vertreter der Naturwissenschaften das Leben als ein kompliziertes materielles und energetisches Phänomen an, von dem die geistigen und seelischen Funktionen immer abhängig bleiben werden. Alle Vorgänge des Geistes, welche von den Religionen als Manifestationen der Seele interpretiert werden, gelten ihnen als letztendlich auf elektro-chemische Prozesse zurückführbar. Daher widerspricht die Vorstellung von ewigem Leben dem aktuellen naturwissenschaftlichen Weltbild. Für die Naturwissenschaften, insbesondere die Neurobiologie, ist ein jedes Lebewesen endlich. In diesem Sinne ist auch der Begriff des ewigen Lebens für die Naturwissenschaften ein Widerspruch in sich. Es verwundert daher nicht, dass die Mehrheit der Wissenschaftler den Glauben an ein Weiterleben der Seele oder des Geistes nach dem Tode ablehnt. Denn, so die einhellige Überzeugung, mit dem Tod des Gehirnes stellen auch der Geist und die Seele ihre aktiven Funktionen ein. Aber ewiges Leben hin oder her, worum geht es eigentlich im Kern bei der Auseinandersetzung zwischen den Religionen und den Naturwissenschaften? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, müssen wir unseren Blick auf den Philosophen Immanuel Kant richten. Denn er formulierte im 18. Jahrhundert die großen Fragen der Menschheit in folgenden drei Grundfragen:

  1. Was kann ich wissen?
  2. Was soll ich tun?
  3. Was darf ich hoffen?

Die erste Frage berührt die Themenbereiche Wissen und Erkenntnis. Die Frage richtet daher ihr Augenmerk auf die Epistemologie, also die Erkenntnislehre oder auch Erkenntnistheorie. Sie ist ein Teilgebiet der Philosophie, welches sich mit der Frage nach den Bedingungen von begründetem Wissen befasst. Es geht also um die Frage, was Wissen ist, ob wir es besitzen und wie wir unsere Wissensansprüche legitimieren können. Die zweite Frage, nach dem Handeln, berührt Fragen der Ethik und Moral. Als Moral wird dabei die Gesamtheit aller verinnerlichten Verhaltensregeln verstanden. Sie gibt beschreibend an, welche Verhaltensweisen gelebt werden und welche Erwartungen über ein gutes Handeln vorhanden sind. Dabei umfasst die Moral die vorhandenen Einstellungen, wie etwas sein soll. Sie besteht aus genauen Vorschriften darüber, wie gehandelt werden soll. Das heißt, dass Moral etwas billigt oder aber missbilligt, wobei sie dann auch gleichzeitig eine Verhaltensänderung fordert. Kurz und in einem Satz gesagt, Moral ist die Praxis des Sollens. Und die Ethik? Die Ethik ist die Theorie der Moral. Sie bietet deshalb eine wissenschaftliche Betrachtung. Als Teilgebiet der Philosophie enthält sie ein Nachsinnen über das gute Leben und das sittlich richtige Handeln. Dabei systematisiert die Ethik, sucht nach Begründungen und entwickelt entsprechende Kriterien. Auch wenn, besonders im alltäglichen Sprachgebrauch, die beiden Begriffe oft als Synonyme verwendet werden, so muss man sie doch klar und deutlich auseinanderhalten. Denn Ethik ist die Theorie und Moral ist die Praxis. Die dritte kantische Frage, was gehofft werden darf, berührt die Religionsphilosophie wie auch die Metaphysik. Beide bilden das systematische Grenzgebiet zwischen Philosophie und Theologie. Dabei geht es aus der Sicht der Philosophie um die argumentative und rational verantwortbare Entwicklung einer Konzeption des Absoluten, welche die Wirklichkeit des endlichen Lebens und Denkens übersteigt und zugleich begründet. Der Theologie hingegen geht es in erster Linie um die argumentative Durchdringung zentraler Glaubensinhalte, um sie mit dem rationalen Vernunftanspruch zu vermitteln und dadurch in ihrer spezifischen Rationalität zu erschließen. Und was dürfen wir dabei unter Metaphysik verstehen? Die Metaphysik muss in diesem Zusammenhang als Versuch verstanden werden, die letzten Fragen mithilfe der Vernunft zu beantworten. Derartige Fragen betreffen dementsprechend die Welt als Ganzes, den Grund der Welt und die Stellung des Menschen in der Welt. Und damit wären wir schließlich auch beim Kern der Auseinandersetzung zwischen Religion und Wissenschaft angekommen. Denn es zeichnet den Menschen aus, dass er, anders als das Tier, über das Vermögen verfügt, sich all die genannten Fragen stellen zu können. Er kann sich selbst Zielvorstellungen setzen und auf diese mittels der Vernunft reflektieren. Das alles lässt eine vierte Frage erkennen, welche auf den Antworten der drei vorangegangenen Fragen basiert. Denn für Kant enthält die Frage nach dem Menschen alle drei anderen vorausgegangenen Fragen in sich. Der Mensch ist nach Kant das Wesen, das nach Wissen strebt, das hoffen und glauben kann und das Gut und Böse unterscheidet und sich moralisch verhalten kann. Kant fasst daher seine drei philosophischen Grundfragen zu einer einzigen zusammen und fragt nach dem Wesen des Menschen. Er stellt somit die Frage aller Fragen: Was ist der Mensch? Diese Frage, was der Mensch überhaupt ist, ist die Frage nach seinem Wesenskern. Es ist die Frage nach dem Menschenbild. Das Menschenbild ist die Vorstellung davon, was den Menschen ausmacht. Es beschreibt das Wesen des Menschen. Es beinhaltet das, was den Menschen von der unbelebten Natur sowie den Pflanzen und Tieren unterscheidet. Dabei ist das Menschenbild eingebunden in das Weltbild. Jetzt wird auch endlich klar, worum es in dem Streit zwischen Religion und Wissenschaft im Kern geht. Es geht um das Fundament, auf dem unser Weltbild steht. Denn insoweit der Mensch Teil der Welt ist, ist das Menschenbild auch Teil des Weltbildes. Und Menschenbild wie Weltbild sind dann Teil einer umfassenden Überzeugung oder Lehre. Entweder als Theologie und damit als Lehre vom Inhalt eines spezifischen religiösen Glaubens und seinen Glaubensdokumenten im Besonderen oder als ein begründetes, geordnetes und für gesichert erachtetes Wissen in einem bestimmten Bereich in Gestalt der Wissenschaft. Entsprechend unterschiedlich fällt auch die Antwort darauf aus, was der menschliche Wesenskern ist, und in der Folge dessen natürlich auch das vertretene Weltbild. Was aber kann der Mensch in seinem Wesenskern überhaupt sein? Die Wissenschaften betrachten den Menschen aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln und infolgedessen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Daraus ergeben sich große Unterschiede im Menschenbild der einzelnen Wissenschaften. Dies verwundert insofern auch nicht weiter, weil sich jede Einzelwissenschaft nur mit den Teilaspekten des Menschen beschäftigt und auseinandersetzt. Das naturwissenschaftliche Menschenbild lässt sich dagegen sehr einfach zusammenfassen, und zwar in einem Satz. Der Mensch ist eine seelenlose biologische Maschine. Wesentlich ist dabei das Prinzip von Ursache und Wirkung, also die Kausalität. Sowohl der menschliche Körper als auch seine Handlungen werden dadurch erklärbar und demzufolge beeinflussbar. Je genauer man den menschlichen Körper erforscht und versteht, desto eher versteht man das Wesen des Menschen und desto besser lässt sich dieses Wesen dann beeinflussen. In dem Weltbild der Naturwissenschaft ist Gesundheit deshalb auch nichts anderes als Funktionstüchtigkeit. Je funktionsfähiger die Maschine Mensch ist, desto gesünder ist sie. Verständlich, dass die technisch hoch aufgerüstete Industriegesellschaft den Menschen daher als Leistungswesen betrachtet. Wenn zu einem gesunden Körper noch ein funktionsfähiges Gehirn vorhanden ist, dann ist das menschliche Wesen zu einem Bewusstsein und auch dem Menschsein fähig. Das bedeutet, dass der Mensch durch sein Gehirn eine besondere Stellung hat. Deshalb wird menschliches Leben auch nach der Gehirntätigkeit beurteilt. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber, wenn ein Wesen diesen Kriterien nicht entspricht, dann ist es mit einem Tier gleichzusetzen und darf folglich auch als solches behandelt werden. Es ist ein mechanistisches Weltbild, das die Naturwissenschaft zeichnet und in dem der Mensch als lebendige Maschine seinen Platz hat. Genauer gesagt ist es ein mechanistisch-materialistisches Weltbild, nach dem der Mensch in seinem Wesenskern nichts weiter als Materie ist. Anders ausgedrückt, der Mensch ist in den Augen der Naturwissenschaft sein Körper, oder noch präziser formuliert sein Gehirn. Es versteht sich von selbst, dass in diesem naturwissenschaftlichen Menschenbild und dem daraus resultierenden Weltbild für einen Gott oder Schöpfer kein Platz ist. Nicht anders ergeht es dem freien Willen des Menschen. Dabei ist unter Willensfreiheit die Möglichkeit des Menschen zu verstehen, sowohl den Inhalt wie auch das Ziel seines Wollens festzulegen, und zwar unabhängig von Fremdbestimmung oder innerem Zwang. Aber diese Idee ist leider mit naturwissenschaftlichen Überlegungen prinzipiell nicht zu vereinbaren. Denn alles in dieser materiellen Welt geschieht nach physikalischen Gesetzen und gehorcht so dem Prinzip von Ursache und Wirkung. Damit ist alles vorhersehbar, wenn man nur weiß, welchen Naturgesetzen es gehorcht. Auch unser Gehirn besitzt eine deterministische Grundverschaltung. Das heißt, unsere Gehirne funktionieren nach deterministischen Naturgesetzen. Als materielle Wesen mit einem materiellen Körper und einem materiellen Gehirn sind wir folglich determiniert. Wir sind deshalb als Wesen dieser Welt ebenfalls dem Prinzip von Ursache und Wirkung vollkommen unterworfen. Infolgedessen gibt es also auch keinen freien Willen. Je mehr das naturwissenschaftliche Denken daher dominiert, desto weniger Bedeutung hat der freie Wille des Menschen. Warum sollten Maschinen letzten Endes auch einen freien Willen besitzen? Aber können Menschen wirklich nur willenlose Maschinen sein oder als solche dargestellt werden? Schließlich lehrt uns doch die Alltagserfahrung, dass wir als bewusste Personen über unsere Handlungen entscheiden und unser Verhalten steuern können. Oder sollte das nur eine Illusion sein? Aber der Mensch ohne freien Willen wäre nur ein Spielzeug des Schicksals und nicht für sein Tun verantwortlich. Wer die Willensfreiheit aufgibt, der gibt damit auch die Verantwortlichkeit auf. Doch dieses Bild vom unfreien Menschen ließe sich nicht mit der traditionellen Vorstellung von Verantwortlichkeit, Schuld und Strafe vereinbaren. Denn die Gemeinschaft könnte ihn dann nicht dazu ermahnen, die Gesetze zu achten, und sie könnte ihn auch nicht verurteilen. Jedwedes Strafrecht wäre dann ad absurdum geführt. Kurzum, wenn der freie Wille eine Illusion ist, dann ist auch das Strafrecht eine Illusion, denn es fußt auf einer solchen. Müssen wir also das Strafrecht ändern oder sollten wir es gar abschaffen? Und wenn wir es tatsächlich täten, wie sollten wir dann noch zusammenleben? Jeder könnte morden, vergewaltigen und brandschatzen, ohne eine Strafverfolgung zu befürchten. Jeder könnte sich darauf berufen, schließlich keinen freien Willen zu haben und ein Opfer des Determinismus zu sein. Wer aber würde dann noch in einer solchen Gesellschaft leben wollen? Wahrscheinlich niemand. Wie es scheint, kann der freie Wille nicht hinweggedacht werden. Ist dann wenigstens die Vorstellung des Menschen als Maschine denkbar? Das Leben ist rhythmisch und zyklisch. Der Mensch schläft und wacht. Sein Herz beschleunigt bei der Einatmung, um bei der Ausatmung wieder abzubremsen. Seine Verdauung arbeitet verstärkt, wenn er ruht, und wenn der Mensch aktiv ist, dann ruht die Verdauung. Es gehört deshalb zu den grundlegenden Erkenntnissen, dass die zeitliche Ordnung der Lebensvorgänge in Form von Rhythmen abläuft. Erst wird Energie eingesetzt, um anschließend wieder Energie aufzutanken. Das ist der natürliche Rhythmus. Lebt der Mensch gegen diese natürlichen Rhythmen, erschöpfen sich seine Ressourcen schnell, weil er die Kraft der Erholung verkennt. Der Körper reagiert dann mit verschiedenen negativen Emotionen. All das zeigt ganz deutlich, dass Menschen als lebendige Individuen rhythmische Wesen sind. Bei Maschinen ist das völlig anders. Um bei ihnen den Output zu erhöhen, muss man sie nur länger laufen lassen. Das bedeutet, dass man die Laufzeit linear erhöhen muss. Maschinen sind also lineare Wesen. Versucht man hingegen beim Menschen auf diese Weise das Arbeitspensum linear zu erhöhen, wird er krank und geht im schlimmsten Fall zugrunde. Dieses Beispiel führt sehr eindringlich vor Augen, dass der Vergleich des Menschen mit Maschinen völlig unpassend ist. Auch rein sprachlich ergeben sich bei der Vorstellung des Menschen als Maschine und der damit verbundenen Reduktion auf sein Gehirn zahlreiche Probleme. So würde nie ein Mensch von sich aus sagen, ich bin ein Gehirn. Sondern jeder würde anmerken, ich habe ein Gehirn. Niemand würde zu einem geliebten Menschen sagen, mein Gehirn liebt dich. Stattdessen würde jeder Mensch natürlicherweise sagen, ich liebe dich. Es stellt sich deshalb die Frage, ob ein Körper wirklich sich selbst gehören kann. Oder muss nicht doch vielmehr jemand in diesem Körper stecken, der von sich aus sagt, das ist mein Körper. Es nimmt daher nicht wunder, dass die Religion in dieser Hinsicht der naturwissenschaftlichen Sichtweise sowohl in Bezug auf das von ihr vertretene Menschenbild wie auch das dazugehörige Weltbild widerspricht. Denn für die Religion ist der Kern des Menschen nicht Materie, sondern Geist. Der Mensch ist eine Einheit aus Körper und Seele, sprich Materie und Geist. Die innerste Wesensart des Menschen ist aber geistig. Man könnte auch sagen, dass die innerste Persönlichkeit im Geistigen wurzelt. Der Geist ist somit der unsterbliche Kern des Menschen. Er ist die wirkliche Person. Die Aufgabe des Geistes ist es, sich zu entwickeln. Das heißt, seine Anlagen und Fähigkeiten, welche in ihm ruhen, zur Entfaltung zu bringen. Dabei soll er sein gesamtes Potenzial ausschöpfen, um ein reifer und vollbewusster Mensch zu werden. Diese Entwicklung ist der Sinn seines Lebens. Damit sich diese Entwicklung auch wirklich vollziehen kann, umhüllt sich der Geist mit Materie in Form eines Körpers. Auf diese Art und Weise verankert sich der Geist im Körper, so wie sich auch der Samen im Erdreich verankern muss, damit er sich von hier aus frei entfalten kann. Das bedeutet, dass der Mensch mit seinem Körper im Sinne der Biologie, der Chemie und Physik einen Teil der Natur darstellt und als solcher mit allen anderen Lebewesen eng verbunden sowie mit den anderen Geschöpfen auch verwandt ist. Es bedeutet aber auch, dass der Mensch im Wesenskern als Geist ein Geschöpf Gottes und somit dessen Ebenbild darstellt. Das verleiht dem Menschen Würde und Recht. Als Geschöpf vertritt er deshalb den unsichtbaren Gott in der Welt, weshalb er auch eine weitreichende Verantwortung für sein Handeln in all seinen Lebensbeziehungen trägt. Der Mensch ist in der Lage, zwischen dem Guten und dem Bösen zu unterscheiden, und soll den Weg des Guten wählen. Er soll sich Wissen aneignen und lernen zu lieben. Auf diese Weise soll er die Schöpfung, die in sich vollkommen ist, durch sein Wirken vollenden. In seiner Wahl ist der Mensch jedoch völlig frei. Er besitzt in dieser Hinsicht völlige Willensfreiheit. In dieser Freiheit ist er nur seinem eigenen Gewissen und seinem Schöpfer unterworfen. Aus dieser Perspektive ist der Mensch allerdings in einer Beziehung und Verantwortung, welche weit über den weltlichen Zusammenhang hinausreichen. Daher ist der Tod nicht als endgültige Grenze zu betrachten. Als Mischwesen aus einem tierischen Körper und einem göttlichen Geist wird der Mensch seiner umfassenden Verantwortung nie völlig gerecht. Denn in seiner Entwicklung ist er nicht vollkommen und verfügt nur über ein begrenztes Potenzial an Macht. Darüber hinaus besitzt er auch nur ein begrenztes Vermögen an Erkenntnis. Der Mensch wird deshalb, ob willentlich oder nicht, schuldig vor seinem Schöpfer und stirbt letztlich in dieser anhaltenden Verstrickung von Versagen und Schuld. Endgültige Vergebung und Erlösung liegen daher nicht in seiner Hand, sondern können nur in der Gottesbeziehung erhofft werden. Der Mensch ist aus diesem Grunde dazu angehalten, Gottes Vergebung und Erlösung zu suchen. Wie man sieht, könnten das Menschen- und Weltbild der Naturwissenschaft und der Religion nicht weiter auseinanderliegen. Was sowohl für das Menschenbild wie auch das Weltbild gilt, das gilt natürlich gleichfalls auch für die Konsequenzen, die sich aus diesen verschiedenen Menschen- und Weltbildern ergeben. Die Konsequenzen des naturwissenschaftlichen Menschen- und Weltbildes sind zum einen, dass nur dasjenige, was naturwissenschaftlich nachgewiesen werden kann, als Wirklichkeit akzeptiert wird. Liebe und Schmerz sind demnach keine Wirklichkeit. Sie können nicht naturwissenschaftlich, sprich experimentell, nachgewiesen werden. Sie gehören deshalb nicht der objektiven Wirklichkeit an und sind damit nur eine Illusion. Das ist auch der Grund, weshalb man niemals eine wissenschaftliche Abhandlung über die Liebe lesen wird. Sie existiert für die Naturwissenschaft einfach nicht. Zum anderen, wenn man der Naturwissenschaft folgt, ist der Mensch das Produkt einer biologischen Evolution. Und bei diesem Produkt stand der Zufall Pate. Dieses Produkt besteht im Grunde nur aus Materie. Es besitzt keinen Geist und auch keine Seele. Es verfügt über keinen freien Willen. Es ist eine Maschine oder, wenn man so möchte, eine Puppe. Diese Puppe ist ein Gehirnwesen, dessen Existenz keinen Sinn hat. Es sei denn, dass diese Puppe ihrer Existenz einen Sinn gibt, welchen auch immer. Zu hoffen und zu erwarten hat diese Puppenmaschine nichts, denn mit dem Ausfall der Gehirntätigkeit ist ihre Existenz unwiederbringlich verloren. Sie ist für immer ausgelöscht. Folgt man dagegen dem Menschen- und Weltbild der Religion, so ergeben sich ganz andere Konsequenzen. Der Mensch als Geschöpf ist ein Geistwesen und als solches Teil der Schöpfung. Als Geschöpf steht der Mensch in enger Beziehung zu seinem Schöpfer. Der Mensch hat in dieser Schöpfung eine Aufgabe. Denn alles folgt einem übergeordneten Plan und steuert auf ein vorgegebenes Ziel zu. Alles hat eine Ordnung und hat Sinn, auch wenn dieser für den Menschen nicht immer klar erkennbar ist. In seinem Welt- und Selbstbild ist der Mensch frei. Er verfügt über einen freien Willen und kann auf diese Weise selbstbestimmt handeln. Er kann Gut und Böse unterscheiden und eigenständig entscheiden, welchen Weg er gehen will. Dafür trägt er die volle Verantwortung vor sich und vor Gott als seinem Schöpfer. Als Geist und Ebenbild seines Schöpfers ist der Mensch unsterblich. Seine körperliche Hülle stirbt, aber seine wirkliche Persönlichkeit als Geist existiert weiter, jedoch in einer anderen Dimension. Gerade die Konsequenzen, die sich aus den verschiedenen Menschen- und Weltbildern ergeben, machen zwei Sachverhalte ganz deutlich. Erstens, es ist dem Menschen unmöglich, nicht zu glauben. Es gibt infolgedessen keinen Unglauben. Jeder Mensch glaubt an etwas. Er glaubt an Gott oder er glaubt an die Materie. Er glaubt an den Geist oder an das Nichts in Form eines Vakuums. Selbst wenn er glaubt, dass er nichts glaubt, glaubt er etwas. Und als Zweites wird deutlich, dass der Streit um das Menschen- und Weltbild ganz klar einen religiösen Hintergrund hat, denn mit der Frage nach Gott ist auch die Frage nach dem Menschen selbst eng verbunden. Genau dieser Hintergrund des Problems wird heute jedoch in der Regel aus der erfahrungswissenschaftlichen Diskussion als Metaphysik ausgeklammert. Diese Frage kann und darf aber nicht ausgeklammert werden, denn das Menschen- und