Papst
Franziskus
Ein Gespräch mit Domenico Agasso
Gott und die Welt nach der Pandemie
Aus dem Italienischen
von Georg Gänswein
Für Domenico Agasso sen.
(* 13.2.1921 – † 31.12.2020),
den Reisegefährten
Papst Pauls VI.
Einführung: Im Fokus des Erdkreises: ein Mann in Weiß vor dem Petersdom
Schlussbemerkung
Dank
Impressum
– Eine Einführung –
Rom im Frühjahr 2020. Dunkelheit überschattet die Iden des März. Angst hat die Welt überfallen. Wochen zuvor ist die Pandemie ausgebrochen. Weltweit geht Menschen die Puste aus. Ein Virus rafft Hunderttausende dahin, die einsam sterben, als ein unsichtbarer Feind die Lungen angreift. Die Menschheit in Katakomben voller Alpträume und Ungewissheiten, verbarrikadiert in ihren eigenen vier Wänden.
Inmitten dieser Dunkelheit aber schaut die Welt auf einen Mann in Weiß. Es ist Sonntagnachmittag, am 15. März, als wir den Papst durch das von der Quarantäne leergefegte Stadtzentrum zur Kirche des heiligen Marcello humpeln sehen, wo er im Namen aller Menschen vor dem Kruzifix beten will, das im Jahre 1522 durch Rom getragen wurde, um die Befreiung von der Pest zu erflehen. Ein einsamer Radfahrer schaut ihn ungläubig an, als er ihm auf der Via del Corso begegnet. In seinem Blick spiegelt sich gleichsam das Staunen der Welt. Im Handumdrehen geht das Bild viral um den Globus.
Knapp zwei Wochen später, am 27. März, ein anderes Bild, wie es vorher noch nie gesehen wurde. Der Nachfolger Petri auf dem leeren Petersplatz. Das Pflaster glänzt dunkel im Regen in der Dämmerung, als Franziskus Gott bittet, „uns nicht der Gewalt des Sturmes preiszugeben“. Menschen aller Erdteile können über das Fernsehen und die neuen digitalen Medien ihren Blick nicht von ihm wenden. Es ist das Zentrum der westlichen Christenheit, in dem wir alle mit bangen Augen auf den Stellvertreter Christi schauen. „Wach auf, Herr! Rette uns!“, ruft er Christus zu. Es sind die Worte der Jünger, die ein Sturm auf dem See Gennesaret bedrohlich überrascht, während Jesus ruhig zu schlafen scheint. Der Papst beschließt sein Erscheinen über dem dunklen leeren Petersplatz mit dem Segen Urbi et Orbi, über die Stadt Rom und den Erdkreis, den der Bischof von Rom normalerweise nur an Weihnachten und Ostern spendet.
Inmitten der Epidemie des Coronavirus, die alle Nationen der Erde in die Knie zwingt, macht Jorge Mario Bergoglio nicht einmal Pause, um am 13. März den Beginn vom siebten Jahr seines Pontifikats zu feiern. Er ist unaufhaltsam. Er ist unermüdlich und ununterbrochen unterwegs, um an der Seite der Menschen zu sein, besonders jener, die am meisten leiden, und immer in den Medien. Das sonntägliche Angelusgebet und die Generalaudienz am Mittwoch lässt er „eingesperrt“ in der Bibliothek des Apostolischen Palastes aufzeichnen. Über Streamingdienste lässt er aber auch die Aufzeichnungen seiner Messfeiern in der Casa Santa Marta ohne Umweg direkt zu den Menschen bringen.
Seine Worte aus der Kapelle im Domus Sanctae Marthae-Hotel im Vatikan berühren die Seele und treffen die Empfindungen, die Ängste und die blank liegenden Nerven der Zuhörer. Sie ermahnen und ermuntern. Vor allem aber ermutigen sie uns auf der Reise des Lebens. Franziskus will die Menschen in den von Trübsal und Angst geplagten Monaten im Gebet begleiten und möchte ihnen besonders mit der Feier der heiligen Messe noch näher sein. Hier widmet er seine einleitenden Worte den Menschen im Todeskampf, den Menschen im Schmerz und Leid in verschiedener Gestalt und all jenen Menschen, die sich in diesem gesundheitlichen und sozialen Notstand im persönlichen Dienst aufopfern.
Jeden Morgen dieser unwirklichen Tage warten zahllose Zuhörer auf die Zusammenfassung der Betrachtungen seiner Predigt. Ihnen allen vertraut er den Glauben als der Nachfolger des heiligen Petrus an. Er predigt frei, einfach und immer aus dem Stegreif, wenn er seinen Zuschauern und Zuhörern das Evangelium gleichsam wie einen Raum öffnet, in den er sie einlädt, mit ihm einzutreten. Er spricht zu allen von Herz zu Herz und Millionen von Menschen, auch solche, die der Kirche fernstehen, fühlen sich jeden Morgen neu von ihm getröstet, gestärkt und erleuchtet.
Ein schweigender Bischof von Rom, der sich, minutenlang versunken in der Anbetung des Allerheiligsten Sakramentes, filmen lässt, ist nach herkömmlichen Standards ein „unmögliches“ Fernseh-Format. Bei ihm jedoch wird dieses Ereignis intensiv und mitreißend, wie Tausende von Dankesbriefen bezeugen, die den Pontifex und sein Haus erreichen. Die Zeugnisse sind zahllos, die in diesen Monaten des Schmerzes zu der Ahnung eines tieferen Glaubens wiederfinden durch die intensive Betrachtung der Geheimnisse Gottes. Ihn erreichen Nachrichten von Leuten, die nach ewiger Zeit das Evangelium wieder neu aufgeschlagen haben, um darin zu blättern und zu lesen. „Nehmen wir uns jeden Tag ein wenig Zeit, um auf das Wort Jesu zu hören“, sagt der Papst seinen Hörern: „Lassen wir uns vom Evangelium nähren. Auf diesen Seiten spricht Jesus zu uns. Es ist ganz einfach. Es ist die stärkste Speise für die Seele.“
In der Zeit des Coronavirus geht die Kirche – konkret oder virtuell – aus den Sakristeien heraus und bietet den Menschen im digitalen Raum die heilige Messe an, die von Priestern allein gefeiert wird. Pfarreien, die angefangen hatten auszubluten, erreichen plötzlich mehr Leute in diesen Wochen, in denen sich „Finsternis auf unsere Plätze, Straßen und Städte gelegt hat und mit ohrenbetäubender Stille erfüllt“, wie Papst Franziskus sagt. Auch Verzweiflung treibt viele neu an, sich Gott anzuvertrauen. Und die endlosen, immer gleich ablaufenden Stunden, wo sie in den Nachrichten immer neu von der erschreckenden Zahl der Toten erfahren und von den Berichten jener hören, die einen lieben Menschen verloren haben, ohne ihm noch ein letztes Mal die Hand drücken zu können. Menschen brauchen aufrichtige Nähe. Und starke, konkrete Zeichen. Wie die Öffnung der Häuser vieler Diözesen für die Unterbringung armer Familien während der Quarantäne oder Pfarreien, die auch die Bezahlung von Hotels für entlassene Patienten übernehmen, um Plätze in den Covid-Stationen frei zu machen. „Wir haben erkannt, dass nicht jeder für sich allein weitermachen kann“, sagt der einsame Mann in Weiß im Dunkel vor dem Petersdom.
Jorge Mario Bergoglios Appell lautet: „Wir alle müssen Haltungen und Verhaltensweisen aufgeben, die von Individualismus, Egoismus und der Suche nach Angepasstheit vergiftet sind. Jetzt ist die Zeit, den Weg des Lebens neu auf Gott und auf die anderen hin auszurichten.“ Es ist Zeit, einen neuen Sinn von brüderlicher Gemeinschaft zu entwickeln als tragenden Pfeiler, der Gläubige wie Nichtgläubige stützen und vereinen kann. Das ist die „Hoffnung, die nie enttäuscht“, wie er sagt. „Beginnen wir neu mit der Hoffnung. Alle zusammen.“
D. A.