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© 2021 Dr. Burkhard Scherf und Guido Zander, www.ssz-beratung.de unter Mitwirkung von Prof. Peter M. Wald

Lektorat/Korrektorat: Sibylle Zander, www.punktum-szk.de

Umschlaggestaltung: Ingo Diekhaus, www.ingodiekhaus.de

Umschlagbilder: Adobe Stock #77983638, #178517888, #200894329, #99624951, #306356733

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7543-3574-1

Inhalt

  1. WARUM – Geänderte betriebliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen erfordern ein Umdenken
  2. WAS – NEW WORKforce Management als Baukasten für eine strategische Arbeitszeitsystematik
  3. WIE – Vertieftes Expertenwissen zur operativen Umsetzung von NEW WORKforce Management in der Praxis
  4. WOHIN - Fazit und ein Blick in die Zukunft

Vorwort

Wissen zu den Themen New Work, Arbeitszeit und Planung des Personaleinsatzes ist notwendig und sinnvoll. Warum dies so ist und wie diese Themen miteinander zusammenhängen, soll mit diesem Vorwort zum Buch von Burkhard Scherf und Guido Zander verdeutlicht werden.

Diskussionen zum Thema Arbeitszeit zählen seit mehr als einem Jahrhundert zu den Klassikern im gesellschaftlichen und betrieblichen Diskurs. Diese lassen sich stets auf folgende Frage zurückführen: Inwieweit reicht die gegebene Arbeitszeit aus, um die geforderte Arbeitsmenge zu erbringen? Dabei wird auch der Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und Leistung sowie die Wirkungen des gezahlten Entgelts einbezogen.

Zum Verhältnis von Arbeitslohn und Arbeitszeit zur Arbeitsleistung äußerte 1897 Lujo Brentano, Mitbegründer des Vereins für Sozialpolitik, dass Lohnerhöhung und Verkürzung der Arbeitszeit zu intensiverer Arbeitsleistung führen, da die Mitarbeiter unter verbesserten Arbeitsbedingungen gesünder, besser ernährt und arbeitsfreudiger seien1. Abbes Parole für die Zukunft „Drittelung des Tages: 8 Stunden Unternehmerdienst – 8 Stunden Schlaf – 8 Stunden Mensch“2 verweist ebenso wie die Aussagen von Brezina zur wirtschaftlichen, sanitären und kulturellen Bedeutung der Arbeit3 auf die verschiedenen Perspektiven der Arbeitszeit.

Aktuelle Diskussionen sind sowohl durch arbeitsschutz-rechtliche als auch durch Vergütungsaspekte der Arbeitszeit geprägt, bekanntermaßen sind diese Fragen häufig Ursache von Konflikten. Die Gründe hierfür sind vielgestaltig. Zum einen bestimmt die Arbeitszeit und der Umgang mit ihr die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben sowie die Gesundheit der Mitarbeitenden und zum anderen wird mit der Arbeitszeit bzw. den damit verbundenen Kosten der wirtschaftliche Erfolg der Unternehmen und die Sicherheit der Arbeitsplätze bestimmt. Somit kann ein gerechter, flexibler und nachhaltiger Umgang mit der Arbeitszeit bzw. dem Einsatz der Mitarbeitenden gleichermaßen zur individuellen Beschäftigungsfähigkeit und zur Beschäftigungssicherung in den Organisationen beitragen.

Trotz dieser Bedeutung der Arbeitszeit finden sich derzeit vergleichsweise wenige Veröffentlichungen zur konkreten Handhabung von Arbeitszeit und Personaleinsatz. Dies mag neben anderen auch ein Grund dafür zu sein, dass vielerorts insbesondere bei Aufgaben von Wissensarbeitern ein eher intuitiver Umgang mit Arbeitszeit bzw. ihrer Verwendung festzustellen ist. Diskussionen zur Arbeitszeit vor Ort beziehen sich dabei erfahrungsgemäß eher auf die Rahmenbedingungen als auf die jeweilige Verwendung der Arbeitszeit. Die Autoren des vorliegenden Werkes geben hier nicht nur umfassende Einblicke in ihre konkreten Erfahrungen und Vorgehensweisen, sondern schlagen mit ihren Überlegungen auch eine Brücke zum viel diskutierten Konzept New Work.

Bei der Entstehung dieses Konzepts zeigen sich enge Verbindungen zum Themenfeld Arbeitszeit, denn der Anlass für die Überlegungen des Sozialphilosophen Bergmann in den 1980er Jahren war es, mit dem „Center for New Work“ Ideen für die Beschäftigung von Mitarbeitenden zu finden, die vom Personalabbau in Automobilunternehmen in Michigan betroffen waren4. Hier liegen die Wurzeln für die oft zitierte Forderung von Bergmann, dass wir nicht der Arbeit dienen, sondern die Arbeit uns dienen sollte5. In seinem Konzept von New Work geht es um Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft. Freiheit wird von ihm in erster Linie als Handlungsfreiheit, mit der eigenen Arbeit auch außerhalb klassischer Erwerbsarbeit Wichtiges zu tun, interpretiert. Heute werden mit New-Work-Ansätzen nachhaltige Veränderungen der Arbeitswelt beschrieben, die oft mit neuen technischen Möglichkeiten und den sich ändernden Erwartungen betrieblicher Akteure zusammenhängen. Hofmann et al. identifizierten vier Felder, in denen die Umsetzung von New-Work-Ansätzen sichtbar wird6. Dazu zählen die Flexibilisierung von Arbeit in örtlicher und zeitlicher Sicht, agile und projektbasierte Organisationsformen, die Wertebasierung von und die Sinnstiftung mittels Arbeit sowie veränderte Führungs- und Machtstrukturen durch Enthierarchisierung, partizipative Entscheidungen und Selbstorganisation. Aus der Verbindung von New Work – hier insbesondere Flexibilisierung und Selbstbestimmung – und der Arbeitszeit sowie den technischen Möglichkeiten und den Erwartungen der betrieblichen Akteure ergeben sich neue organisatorische Lösungen, die zum Teil auch über die klassischen Formen der Flexibilisierung der Arbeitszeit hinausgehen. Es ist anzunehmen, dass diese neuen organisatorischen Lösungen umso erfolgreicher sind, je mehr sie die Erwartungen der Akteure berücksichtigen. Hierzu liefern die Autoren zahlreiche konkrete Hinweise und Gestaltungsempfehlungen, deren Umsetzbarkeit klar erkennbar ist. Mit diesen neuen Lösungen kann nicht nur den Erwartungen der Mitarbeitenden nach Selbstbestimmung und weiterer Arbeitszeitverkürzung7, sondern auch der Tatsache Rechnung getragen werden, dass spezifische Lösungen zur Arbeitszeit in erheblichem Maß Motivation und Bindung der Mitarbeitenden sowie die Attraktivität der Arbeitgeber beeinflussen. Dies unterstreichen auch aktuelle Erkenntnisse. So fanden Beckmann et al. heraus, dass Mitarbeitende mit selbstbestimmter Arbeitszeit ein höheres Anstrengungsniveau aufweisen als Mitarbeiter mit festen Arbeitszeiten.8 Avgoustaki und Bessa stellten fest, dass Mitarbeitende mitarbeiterzentrierte Arbeitszeitlösungen bevorzugen, um Leben und berufliche Anforderungen in Einklang zu bringen, während sie arbeitgeberzentrierte Lösungen als unfair empfinden, was zu geringerem Arbeitseinsatz führen kann.9 New Work lässt sich somit auch mittels neuer Lösungen zur Arbeitszeit umsetzen. Dieser Zusammenhang zeigt sich auch in Ergebnissen einer aktuellen Studie von Eilers et al. zum Thema New Work.10 So sehen 61% der Befragten Maßnahmen zur Arbeitszeitflexibilisierung auf dem ersten Platz bei der Umsetzung von New Work. Jedoch können hier nicht alle Mitarbeitenden gleichermaßen Angebote zur zeitlichen Flexibilisierung nutzen, was nach Eilers et al. bei mehr als der Hälfte der Befragten Neid und Spannungen hervorruft. Hinzu kommen Umsetzungshemmnisse, die hauptsächlich auf das Verhalten der Führungskräfte zurückzuführen sind, denen der Umgang mit der zeitlichen Flexibilisierung von Arbeit nach wie vor schwerfällt. Demzufolge ist aktuelles Wissen zunehmend zum Erfolgsfaktor bei der Anwendung neuer Lösungen zur Arbeitszeit geworden. Dies zeigt sich mittlerweile auch bei mobiler Arbeit. Hier geht es insbesondere um Arbeitszeiterfassung und die Zahl von Tagen, an denen mobil gearbeitet wird bzw. an denen Präsenz im Unternehmen erforderlich ist. Außerdem sind Abstimmungen zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften zur Lage der Arbeitszeit und zur Erreichbarkeit bei mobiler Arbeit vorzunehmen.11

Die Bandbreite aktueller Fragen und möglicher Antworten zum Themenfeld New Workforce Management ist beträchtlich. In diesem Sinne verstehe ich das vorliegende Buch als eine sehr wichtige Quelle konstruktiver Einblicke und umsetzbarer Handreichungen zu flexiblen Arbeitszeitsystemen. Durch die Weitergabe ihrer umfassenden Erfahrungen aus der Beratung ist es den Autoren in hervorragender Weise gelungen, neue Einsichten und vertieftes Expertenwissen sowohl zur Implementierung von New-Workforce-Management-Lösungen als auch zu konkreten Vorgehensweisen bei der Personaleinsatzplanung zu vermitteln. Spezifische Szenarien und mögliche Handlungen beschreiben die Autoren nachvollziehbar und verschaffen den Lesenden auf diese Weise aktuelles Know-how.

Dem Werk von Burkhard Scherf und Guido Zander wünsche ich eine geneigte Leserschaft, die für das Thema Arbeitszeitmanagement nachhaltig sensibilisiert wird und es versteht, wie sich ein Einstieg in das Thema New Work erfolgreich mit spezifischen Modellen zu Arbeitszeit und Personalplanung in der betrieblichen Praxis umsetzen lässt.

Peter M. Wald, Leipzig im März 2021

Professor für Personalmanagement an der HTWK Leipzig, Fakultät Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftsingenieurwesen


1 Lujo Brentano: Über das Verhältnis von Arbeitslohn und Arbeitszeit zur Arbeitsleistung, 1893

2 Ernst Abbe: Gesammelte Abhandlungen von Ernst Abbe, 1906

3 Ernst Brezina: Wissenschaftliche Betriebsführung (Taylorsystem), Arbeitszeit, Arbeitspausen, Nachtarbeit, 1926, S. 102

4 Steven P. Dandaneau: A Town Abandoned: Flint, Michigan, Confronts Deindustrialization, 1996

5 Frithjof Bergmann: Neue Arbeit, Neue Kultur, 2004

6 Josephine Hofmann et al.: New Work. Best Practices und Zukunftsmodelle, 2019

7 Nils Backhaus et al.: BAuA-Arbeitszeitbefragung: Vergleich 2015–2017-2019, 2020

8 Michael Beckmann et al.: Self-managed working time and employee effort: Theory and evidence, 2017

9 Argyro Avgoustaki, Ioulia Bessa: Examining the link between flexible working arrangement bundles and employee work effort, 2019

10 Silke Eilers et al.: HR-Report 2021 - Schwerpunkt New Work, 2021

11 Holger Bonin et al.: Verbreitung und Auswirkungen von mobiler Arbeit und Homeoffice, 2020

Einführung

Sie interessieren sich für die Themen Arbeitszeitgestaltung und Personaleinsatzplanung? Weil Sie selbst Angestellter in Gleitzeit oder im Schichtdienst sind und wissen möchten, wie moderne Arbeitszeitmodelle aussehen und funktionieren können? Weil Sie als Geschäftsführer, Personaler oder Betriebsrat Arbeitszeitmodelle und die Personaleinsatzplanung in Ihrem Unternehmen mitgestalten und wissen möchten, wie Sie Ihre wichtigste und teuerste Ressource – die menschliche Arbeitskraft – bestmöglich einsetzen können? Oder Sie beschäftigen sich im wissenschaftlichen Rahmen mit dem Thema Arbeitszeit und suchen nach einem umfassenden Einblick in die aktuellen gesellschaftlichen und betrieblichen Herausforderungen und in die Instrumente, mit denen man ihnen erfolgreich begegnen kann?

Mit den in diesem Kompendium zusammengetragenen Gedanken und Methoden wollen wir dazu beitragen, die Gestaltung von Arbeitszeit branchenübergreifend so zu verbessern, dass sowohl Mitarbeiter12 als auch Betriebe davon profitieren – nach unseren Erfahrungen gibt es dafür sehr viel Potenzial.

Arbeitszeit ist aus verschiedenen Gründen ein wichtiges Thema. Für viele Menschen bestimmt die Arbeitszeit schon vom Umfang her einen sehr relevanten Teil ihrer Lebenszeit. Die Frage, wie Arbeitszeit gestaltet wird, hat damit erheblichen Einfluss darauf, wie die verbleibende „Nicht-Arbeitszeit“ gestaltet und genutzt werden kann.

Auch aus betrieblicher Sicht ist das Thema Arbeitszeit hoch relevant. Die menschliche Arbeitskraft ist in den meisten Unternehmen und Organisationen die wichtigste und auch eine der teuersten Ressourcen. Nach allen in Deutschland geltenden Tarifverträgen wird die Verfügbarkeit dieser Ressource in Zeit bemessen: Gemäß Tarifvertrag stellen die Mitarbeiter ihrem Arbeitgeber eine bestimmte Menge an Arbeitszeit im Durchschnitt pro Woche zur Verfügung. Die Effektivität der Nutzung der Arbeitszeit bestimmt damit unmittelbar die Personalkosten. Die Personaleinsatzplanung oder, dort wo keine echte Planung vorgenommen wird, die Gestaltung der Rahmenbedingungen der Arbeitszeit ist somit das Instrument, mit dem über die Verwendung der wertvollsten und oft teuersten Ressource einer Organisation entschieden wird. Es lohnt sich also, dieses Instrument so gut wie möglich zu nutzen und einige Energie in dessen Optimierung zu investieren.

Wir, die beiden Autoren, sind geschäftsführende Partner einer Unternehmensberatung, die sich auf die Themenfelder Arbeitszeitgestaltung, Personalbedarfsermittlung, Schicht- und Personaleinsatzplanung fokussiert. Wir haben über mehr als 25 Jahre in sehr unterschiedlichen Organisationen aus den unterschiedlichsten Branchen gesehen und mitgestaltet, wie mit Arbeitszeit und Personaleinsatz umgegangen wird. Aufgrund dieser Erfahrungen glauben wir, heute ein sehr gutes Verständnis davon zu haben, wie ein sinnvoller Umgang mit Arbeitszeit aussehen kann und was die Voraussetzungen für eine gute Personaleinsatzplanung sind – was auch die Auseinandersetzung mit der Frage beinhaltet, was überhaupt die Kriterien für eine „gute“ Personaleinsatzplanung sind.

Im vorliegenden Buch haben wir unsere Erkenntnisse und die in den vergangenen Jahren entstandenen Vorgehensweisen für alle am Thema Arbeitszeit Interessierten nachvollziehbar aufgeschrieben. Es ist in drei inhaltliche Abschnitte unterteilt.

Im ersten Teil des Buches beschreiben wir das „WARUM?“, also: Warum sollte man sich mit dem Thema Arbeitszeit beschäftigen? Welche Veränderungen sind zu beobachten, die eine Anpassung althergebrachter Formen von Arbeitszeiten erforderlich machen? Wir gehen dabei aus von einer Beschreibung des Umfelds und der großen Trends, von denen das Thema beeinflusst wird, und betrachten die historische Entwicklung von Arbeitszeiten bis hin zu aktuellen Vorstellungen von „New Work“. Dem stellen wir einen Blick auf die vielen Probleme im Umgang mit Arbeitszeit gegenüber, denen wir im Alltag immer wieder begegnet sind.

Der zweite Abschnitt beschreibt das „WAS?“, also: Was sollte getan werden, um unter den aktuellen Rahmenbedingungen und mit Blick auf sich fortschreibende Trends Arbeitszeitmodelle zu entwickeln, die sowohl den betrieblichen Anforderungen als auch den Anforderungen heutiger Beschäftigter gerecht werden können? Ausgehend von dem im ersten Teil dargestellten Status quo beschreiben wir hier ein Zielbild, das mit einem bestimmten Wertesystem einhergeht und leiten daraus ein Rahmenwerk für die Gestaltung von Arbeitszeiten und Personaleinsatzplanung ab, das wir „NEW WORKforce Management“ nennen. Nach einem Überblick über die Bestandteile des NEW WORKforce Management benennen und erläutern wir die einzelnen Elemente im Detail. Wer diesen zweiten Teil liest, erfährt alles Wesentliche zum Modell des NEW WORKforce Management und alle darin enthaltenen Arbeitszeitmodelle, Methoden und Prozesse.

Für diejenigen, die noch weiter ins Detail gehen wollen, gibt es den dritten Teil mit dem „WIE?“ für die operative Umsetzung. Dieser Abschnitt muss nicht zwingend chronologisch gelesen werden, sondern kann zur Vertiefung des Wissens zu bestimmten Themen aus dem zweiten Abschnitt genutzt werden. Denn hier wird nicht nur beschrieben, was man tun kann, sondern auch detailliert ausgeführt, wie man es erreicht und umsetzt.

Wer also genau wissen möchte, wie man Workforce Analytics betreibt, wie man bei der Erstellung von Schichtplänen vorgeht, wie man ein Lebensarbeitszeitkonto (Zeitwertkonto) definiert und einführt, und wer darüber hinaus noch erfahren möchte, was Workforce-Management-Systeme sind, wie man sie richtig auswählt oder wie man neue Arbeitszeitmodelle erfolgreich ein- und Veränderung herbeiführt, der ist in diesem Teil richtig aufgehoben.

Eher an einem Überblick interessierte Leser können nach dem zweiten Abschnitt direkt zum vierten Abschnitt springen, in dem wir ein Fazit sowie einen Ausblick geben und den wir mit „WOHIN?“ überschrieben haben.

Auch wenn wir überzeugt davon sind (natürlich, welcher Berater ist nicht davon überzeugt, dass er es besser weiß?), die Materie, die wir in diesem Buch beschreiben, vollständig durchdrungen zu haben, sind wir doch realistisch genug zu wissen, dass unsere Sicht subjektiv und begrenzt ist. Einerseits möchten wir die Welt teilhaben lassen an unserem Erfahrungsschatz und dem Leser mitteilen, „wie man es machen sollte“, andererseits ist uns bewusst, dass man mit Recht zu manchen unserer Einschätzungen auch andere Positionen vertreten kann und dass auch wir weiterhin in fast jedem neuen Projekt, das wir begleiten dürfen, neue Möglichkeiten des Umgangs mit Arbeitszeit und ihrer Planung entdecken.

Obwohl uns also die Endlichkeit unseres Wissens bewusst ist, möge der Leser uns verzeihen, dass wir nachfolgend aus unserer Sicht erfolgreiche Vorgehensweisen offensiv propagieren und nicht in jedem Fall alle denkbaren Alternativen mit ihren Vor- und Nachteilen ebenfalls diskutieren. Wir freuen uns aber über jede Form konstruktiver Kritik und ergänzender Erfahrungswerte, um den Wissensstand für spätere Auflagen jederzeit aktuell zu halten. Wenn Sie uns also Feedback geben möchten, senden Sie uns gern eine Nachricht an buch@ssz-beratung.de. Getreu dem Motto „Jeder verträgt weitaus mehr Lob, als ihm zusteht“ freuen wir uns natürlich auch über zustimmende Rückmeldungen, gern auch in Form von Rezensionen auf den gängigen Plattformen!


12 Wenn wir von „Mitarbeitern“ oder „Beschäftigten“ sprechen, sind stets Personen jeglichen Geschlechts gemeint.

I. WARUM – Geänderte betriebliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen erfordern ein Umdenken

1. Überblick

In diesem Kapitel geht es darum, warum die in vielen Betrieben nach wie vor praktizierten Arbeitszeitmodelle häufig nicht mehr passen. Wir beschreiben die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unterziehen das Arbeitszeitgesetz einer kritischen Betrachtung und zeigen auf, welche typischen Fehler im Umgang mit Arbeitszeit wir häufig in den Unternehmen antreffen. Abschließend beschreiben wir ein Zielsystem für die Gestaltung von Arbeitszeitmodellen, das eine Balance aus Wirtschaftlichkeit, Mitarbeiter- und Kundenorientierung vorsieht.

2. Einführung: Nutzen flexibler und innovativer Arbeitszeitmodelle

In unserer Beratungspraxis können wir Einblick in die Arbeitszeitregelungen vieler Unternehmen nehmen und haben Gelegenheit, deren Daten und Kennzahlen zu analysieren. Nicht wenige dieser Unternehmen haben mit signifikant hohen Kranken- und Fluktuationsquoten zu kämpfen. Krankenquoten über 10% und Fluktuationsquoten über 15%, oft sogar jenseits der 20%, sind dabei keine Seltenheit. Man stelle sich das vor: Bei einer Fluktuationsquote von 20% wird die Belegschaft statistisch gesehen alle fünf Jahre komplett ausgetauscht!

Viele Personaler vertreten die Ansicht, dass die Neurekrutierung eines Mitarbeiters nach einer Kündigung Kosten in Höhe von bis zu einem Jahresgehalt der gekündigten Person verursacht – ausgelöst durch den Rekrutierungsprozess an sich und die nötigen Ausbildungsinvestitionen, bis der neue Mitarbeiter bezüglich seines Know-hows und seiner Erfahrung auf dem Stand des ausgeschiedenen Mitarbeiters ist.

Damit kann man davon ausgehen, dass die Reduktion einer Krankheits- oder Fluktuationsquote um ein Prozent jeweils gleichbedeutend mit einem Prozent Gewinn bezogen auf die Produktivität des Personaleinsatzes ist: Das Unternehmen spart ein Prozent der Personalkosten bei (mindestens) gleichbleibendem Output. Wenn also ein unattraktives Arbeitszeitmodell die Krankheits- oder Fluktuationsquote negativ beeinflusst, sind die damit unmittelbar verbundenen Kosten erheblich.

Über diesen Effekt hinaus verursachen starre bzw. schlecht definierte Arbeitszeitmodelle in der Regel unnötige Leerzeiten, also Zeiten in denen die Mitarbeiter zwar anwesend, aber nicht produktiv ausgelastet sind. Diese vergeudete Arbeitszeit fehlt oft zu anderen Zeiten, sodass bei dann entstehendem Mehrbedarf an Arbeit teure Überstunden generiert werden müssen.

Nehmen wir beispielsweise Folgendes an: Auf Basis einer 40-Stunden-Woche fällt bei einem Mitarbeiter durchschnittlich pro Woche eine Stunde Leerzeit an und an anderer Stelle benötigt man eine Überstunde inklusive 25% Zuschlag, um einen Mehrbedarf zu decken. Könnte man dies durch ein flexibles Arbeitszeitmodell auf Basis eines Zeitkontos ausgleichen, würde man die Produktivität wie folgt verbessern:

Anfallende Arbeitsstunden im fixen Modell:

40 h (inkl. 1 h Leerzeit) + 1 h Überstunde + 0,25 h Zuschlag = 41,25 h

Anfallende Stunden im flexiblen Modell:

39 h + 1 h Mehrarbeit = 40 h

Einsparung: 1 - 40/41,25 = 1- 97% = 3%

Ein anderes realistisches, wenn auch etwas vereinfachtes Beispiel zeigt Abbildung 1. In der Abbildung beschreibt die helle, grün schraffierte Fläche den im Zeitverlauf schwankenden Personalbedarf eines Unternehmens als Volumen je Kalendermonat. Man sieht eine deutliche Bedarfsspitze zum Jahresende hin (ca. 50% über dem Durchschnittsbedarf) und einen starken Rückgang im Sommer (ca. 30% unter dem Durchschnittsbedarf). Der durchschnittliche Personalbedarf wird durch die dunkle, blaue Linie angezeigt.

Abbildung 1: Beispiel für die entstehenden Mehrkosten durch nicht bedarfsgerechte Arbeitszeiten

In einem perfekt bedarfsgerechten Arbeitszeitmodell werden die Mehr- und Minderbedarfe über die Abwesenheitsplanung (verstärkte Urlaubsentnahme im Sommer, möglichst kein Urlaub am Jahresende) und ein Jahresarbeitszeitkonto (mehr Arbeitsstunden zum Jahresanfang und -ende, weniger Arbeitsstunden im Sommer) ausgeglichen. Es entstehen dann keine auszuzahlenden Mehrstunden.

Zum Vergleich nehmen wir an, dass ein Unternehmen ein zwar im Ansatz flexibles Arbeitszeitmodell hat, in dem die Anpassung an den Verlauf des Personalbedarfs aber nur mit Einschränkungen gelingt. Dies führt dazu, dass zwar ein Drittel des Mehrbedarfs in den bedarfsstarken Monaten über die bedarfsgerechte Nutzung von Zeitkonten gedeckt werden kann, für den weiteren Mehrbedarf aber je zur Hälfte zuschlagspflichtige Mehrarbeit (Zuschlag 25%) und temporäre Zusatzkapazität (Aushilfen oder Leiharbeiter) benötigt werden. Wenn wir zur Vereinfachung annehmen, dass die Stundensätze der Aushilfen und Leiharbeiter mit denen der fest beschäftigten Mitarbeiter übereinstimmen, entstehen in diesem „semi-flexiblen“ Modell knapp 7% höhere Personalkosten als in dem „perfekt flexiblen“ Modell. Wir vernachlässigen hierbei noch die Gefahr, dass die nur temporär beschäftigten Mitarbeiter weniger produktiv sein könnten als ihre dauerhaft beschäftigten und deshalb besser eingearbeiteten Kollegen. Die errechneten Zusatzkosten entstehen durch die benötigten Mehrstunden und die temporär beschäftigten Mitarbeiter in den bedarfsstarken Monaten (dunkle, blaue Balken in der Abbildung liegen über der hellen, grünen Durchschnittslinie), während in den beschäftigungsschwächeren Monaten keine Reduzierung der Kosten erfolgt. Im perfekt flexiblen Arbeitszeitmodell bleiben hingegen die Personalkosten in jedem Monat gleich (grüne Linie in der Abbildung), da lediglich die Guthaben auf den Zeitkonten variieren, die aber keine Kosten auslösen (vorübergehend zu bildende und später wieder aufzulösende Rückstellungen werden hier nicht als Kosten gewertet).

Auch dieses Beispiel zeigt: In der bedarfsgerechten Gestaltung von Arbeitszeit steckt ein sehr hohes Produktivitätspotenzial. Und man kann sich leicht vorstellen, dass bei komplexeren Bedarfsverläufen mit vielen kurzen Phasen von höherem oder niedrigerem Personalbedarf dieses Potenzial noch weiter ansteigt.

Nehmen wir jetzt zusätzlich noch Folgendes an: Ein Unternehmen hat ein sehr flexibles Arbeitszeitmodell, bei dem die Arbeitszeiten am Personalbedarf orientiert sind, die Mitarbeiter aber dennoch einen hohen Einfluss auf ihre Arbeitszeit haben und somit berufliche und private Bedürfnisse gut miteinander vereinbaren können. Durch eine gute Planung werden Überlastsituationen vermieden und die Mitarbeiter können die mit der Arbeit verbundene Belastung und die von ihnen geforderte Flexibilität so ausrichten, wie es zu ihrer jeweiligen temporären Lebenssituation passt. Und dies alles passiert zudem noch in einer wertschätzenden, vertrauensvollen Unternehmenskultur.

Für wie plausibel halten Sie es, dass sowohl die Krankheits- als auch die Fluktuationsquote um mehrere Prozentpunkte zurückgehen? Wenn es dann noch wie beschrieben gelingt, Leer- und Überstunden zu reduzieren, können realistischerweise Produktivitätsgewinne zwischen 5% und 20% realisiert werden. Dies sind keine theoretischen Rechenexempel, sondern reale Werte, die wir in unseren Projekten beobachten konnten. Nebenbei steigen noch Mitarbeiterzufriedenheit und Servicequalität und damit auch die Zufriedenheit der Kunden.

Wir erleben immer wieder, dass Unternehmen Millionen in Technik investieren, um beispielsweise die Produktivität einer Produktion um wenige Prozentpunkte zu steigern. Wenn es aber darum geht, in eine flexible, zufriedene und leistungsfähige Personalkapazität zu investieren, tut man sich deutlich schwerer, obwohl die Effekte vermutlich noch größer wären. Gleiches erleben wir in Bezug auf Personalprozesse. Aufgrund eines hohen Rekrutierungsbedarfs (z.B. wegen einer hohen Fluktuationsquote) wird viel in die Optimierung eines Recruiting-Prozesses und in Employer Branding (also Marketing) investiert, anstatt durch eine gute Unternehmenskultur und attraktive Arbeitszeitmodelle die Fluktuationsquote so zu senken, dass Recruiting-Prozesse weniger häufig benötigt werden und die Mitarbeiter auch ohne zusätzliche Marketingaufwände gern im Unternehmen bleiben. Employer Branding bei schlechten Arbeitsbedingungen ist vergleichbar mit erhöhten Marketingausgaben aufgrund schlechter Produkte. Langfristig sinnvoller wäre es, die Produkte bzw. Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Was die Gründe für die geringe Investitionsbereitschaft in verbesserte Rahmenbedingungen sind, können wir nur vermuten. Eine mögliche Interpretation ist, dass hohe Fluktuations- und Krankheitsquoten von vielen als normal und unveränderbar angesehen werden. Dies wird mitunter noch dadurch begünstigt, dass sowohl Unternehmen als auch Betriebsräte nach wie vor in alten Rollenbildern im Sinne eines Klassenkampfes agieren. Unternehmensverantwortliche haben dabei oft noch das Bild des unmündigen Mitarbeiters im Kopf, der sich bei jeder Gelegenheit auf Kosten des Arbeitgebers optimiert und daher kontrolliert werden muss. Jedes Zugeständnis an Betriebsräte wird dann als Zumutung wahrgenommen.

Die Betriebsräte und Mitarbeiter hingegen haben oft das Bild des Arbeitgebers vor Augen, der Mitarbeiter grundsätzlich ausbeutet und jede mögliche Veränderung einseitig zum Wohl des Unternehmens und ggf. auch zu Lasten der Mitarbeiter gestalten möchte.

Auch heute lernen wir noch Unternehmen kennen, in denen diese Bilder gelebt und gepflegt werden. Es ist dann durchaus nachvollziehbar, dass man in einem derartigen Klima nicht daran glaubt, positive Änderungen herbeiführen zu können.

Wesentlich häufiger sind diese Vorstellungen über Verhalten und Intentionen der jeweils anderen Seite aber nur noch in den Köpfen vorhanden, während die Realität schon anders aussieht. Wir erleben, dass die meisten Mitarbeiter verantwortungsvoll agieren und dass viele Unternehmen erkannt haben, dass es auf Dauer eher teurer wird, die wirtschaftliche Effizienz auf Kosten der Mitarbeiter zu optimieren. Zeiterfassung wird nur noch in wenigen Fällen als Kontrollinstrument gesehen, sondern eher als administratives Instrument, um Zeitkonten zu führen und Zuschläge automatisch zu berechnen.

Unserer Meinung nach ist es mit dem richtigen Ansatz möglich, die notwendigen Veränderungen herbeizuführen. Es ist nicht einfach, dauert auch ein bisschen, aber es ist definitiv möglich!

Der Schlüssel dazu ist ein gesamtheitlicher Ansatz, der bewusst nicht darauf ausgelegt ist, vorhandene Regelungen lediglich anzupassen. Denn dieses Vorgehen bedeutet in der Regel ein Quidproquo und führt nur zu geringfügigen Veränderungen vorhandener Regelungen, selbst das oft auch noch erkauft mit faulen Kompromissen. Ein Systemwechsel ist damit nicht möglich.

Unser in diesem Buch beschriebener Ansatz beruht darauf, völlig neue, gleichermaßen am Bedarf des Unternehmens und den Bedürfnissen der Beschäftigten ausgerichtete Modelle zu entwickeln, die in Summe für Unternehmen und Beschäftigte eine jeweils ausgewogene Verbesserung zum Status quo darstellen. Das bedeutet häufig, sich von kleinen, heute als Vorteil geschätzten Errungenschaften verabschieden zu müssen. Wenn aber in Summe die Vorteile auf beiden Seiten überwiegen, steht einer Veränderung nichts mehr im Weg.

Während der Kontaktbeschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie hatten wir ein Gespräch bei einem neuen Kunden. Wir haben unseren Ansatz zur Gestaltung von Arbeitszeiten und Einsatzplanungsprozessen präsentiert und sowohl von Arbeitgeber- als auch von Arbeitnehmerseite große Zustimmung erhalten. Dabei haben wir auch die im betreffenden Unternehmen aktuell geltenden Gleitzeitregelungen, Möglichkeiten zur Arbeit im Homeoffice und die Frage der Übertragung von mehr Verantwortung an die Mitarbeiter diskutiert. Das Unternehmen war bis dato im Thema Arbeitszeit eher klassisch konservativ unterwegs: Eine sich im üblichen Bereich bewegende (aber nicht optimale) Gleitzeitvereinbarung im Angestelltenbereich, fixe Schichtpläne im Fertigungsbereich. Homeoffice war bis zur Corona-Krise kein Thema, da die Geschäftsleitung dem kritisch gegenüberstand. Durch die Corona-Maßnahmen gezwungen, wurde kurzfristig die Möglichkeit zur Arbeit aus dem Homeoffice eingeführt – ohne klare Regelungen, man hat einfach mal gemacht. Und dann begann der Geschäftsführer mit leuchtenden Augen zu erzählen: Er hätte das nie für möglich gehalten, aber die Arbeit aus dem Homeoffice funktioniere perfekt. Viele Mitarbeiter würden enorm an Fahrtzeiten ins Büro sparen (ein bis zwei Stunden pro Tag), würden teilweise in diesen Zeiten noch zusätzlich arbeiten und wären dabei sehr effektiv. Die Mitarbeiter wären überwiegend glücklich über diese Möglichkeit und die Krankenquote sei aktuell auf 1% gesunken! Wenn er das doch nur schon früher geahnt hätte…

Und das ist lediglich der Effekt aus einer Homeoffice-Regelung. Man stelle sich nur vor, wie sich Produktivität, Krankenquote, Fluktuationsquote, Mitarbeiterzufriedenheit und Kundenzufriedenheit entwickeln, wenn…

… die richtig qualifizierten Mitarbeiter, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort in der richtigen Menge vorhanden sind, eigenverantwortlich und flexibel handeln dürfen und dabei die Bedürfnisse ihres Privatlebens in unterschiedlichen Lebensphasen berücksichtigt werden.

Sie wollen wissen, wie das geht? Dann viel Spaß beim Lesen dieses Buches!

3. Gesellschaftliche Megatrends

Die Welt ändert sich rasant, aber viele Unternehmen haben die gleichen Arbeitszeitmodelle wie vor 20 Jahren!

Aktuell erleben wir, soweit wir dies als Zeitgenossen selbst realistisch beurteilen können, die größten und rasantesten gesellschaftlichen Veränderungen seit Jahrzehnten. Der seit langem bekannte (aber auch lange ignorierte) demografische Wandel wird zunehmend Realität und sorgt in Verbindung mit einer über lange Zeit boomenden Wirtschaft für Fachkräftemangel in nahezu jeder Branche. Die junge Generation hat ein verändertes Wertesystem, das auch die Einstellungen zu Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen beeinflusst, und die Einwanderung sorgt für ein zunehmend diversifiziertes kulturelles Umfeld. Gleichzeitig stellen Digitalisierung und Industrie 4.0 die vorhandenen Geschäftsmodelle auf den Prüfstand und das bei zunehmendem internationalem Wettbewerb. Und als wäre dies nicht genug, gibt es auch bei den Kunden einen Wertewandel. Der Wunsch nach sofortiger Bedürfnisbefriedigung (On Demand) steigt, die Erwartungen an Erreichbarkeit und Reaktionsgeschwindigkeit sind heute viel größer als früher. Der Ruf nach Flexibilität, sowohl von Unternehmen als auch von Mitarbeitern, wird immer lauter. Allerdings sind die Erwartungen, wie Flexibilität gestaltet sein sollte, von Seiten der Unternehmen völlig anders als aus Sicht der Mitarbeiter. Und gleichzeitig wird das Thema Leiharbeit, das zeitweilig als wichtigste Lösung für einen flexiblen Personalbedarf angesehen wurde, gesellschaftlich und wirtschaftlich immer unattraktiver.

3.1. Demografische Entwicklung und Wertewandel

Der demografische Wandel ist einer der wichtigsten Auslöser für wesentliche Veränderungen in den Unternehmen, die Einfluss auf das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten nehmen und insbesondere auf die Gestaltung von Arbeitszeiten. Zwei wesentliche Konsequenzen bringt die Demografie für die Unternehmen:

Veränderung in Altersstruktur und Zahl der Erwerbstätigen

Bereits seit einigen Jahren verschiebt sich die Struktur der „Bevölkerung im Erwerbsalter“, der Begriff, unter dem die Menschen im Alter zwischen 20 und 65 Jahren zusammengefasst werden, aus denen sich im Wesentlichen die tatsächlich Erwerbstätigen rekrutieren. Bei in etwa gleichbleibender Anzahl der Personen im Erwerbsalter insgesamt steigt der Anteil der Personen über 50 Jahren deutlich an. In der Zeit nach 2020 macht sich dann die zunehmende Verrentung der geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er Jahre bemerkbar: Die Anzahl der Personen im Erwerbsalter geht von knapp 50 auf ca. 42 Millionen zurück, wobei der Anteil der über 50-jährigen zunächst wieder leicht zurückgeht und sich nach 2035 stabilisiert (siehe Abbildung 2). Dieses Szenario wird auch durch eine denkbare verstärkte Einwanderung nur unwesentlich beeinflusst – ein jährlicher Einwanderungssaldo (Differenz Einwanderer minus Auswanderer) von 200.000 ist hierin bereits berücksichtigt.

Abbildung 2: Prognose der Entwicklung der Bevölkerung im Erwerbsalter13

Eine zweite maßgebliche Tendenz zeigt Abbildung 3, nämlich die Entwicklung des Verhältnisses zwischen der Personengruppe im Erwerbsalter und den älteren (in der Regel nicht mehr erwerbstätigen) bzw. jüngeren (in der Regel noch nicht erwerbstätigen) Personen. Demnach verringert sich der Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung von 61% im Jahr 2013 auf nur noch 50% im Jahr 2060. Gleichzeitig steigt der Anteil der über 65-jährigen, die annähernd der Gruppe der Bezieher von Renten und Pensionen entsprechen, von 20% auf 34%. Mit Blick auf das Rentensystem bedeutet dies, dass im Jahr 2060 100 Erwerbstätige ca. 67 Rentner finanzieren müssen, was relativ genau einer Verdopplung im Vergleich zum Jahr 2013 entspricht.

Abbildung 3: Prognose des Anteils der Bevölkerung im Erwerbsalter an der Gesamtbevölkerung14

Diese Entwicklungen werden deutliche Auswirkungen auf die Arbeitswelt haben:

Abbildung 4: Geschäftsrisiken aus Sicht von 27.000 Unternehmen in Deutschland18

Gesellschaftlicher Wertewandel

Verschiedene Studien der letzten Jahre lassen erkennen, dass sich die Werteorientierung jüngerer Menschen gegenüber vorherigen Generationen verändert hat. Ein wesentlicher Aspekt dieses Wertewandels betrifft die Einstellung von Beschäftigten zu ihrer Arbeit, insbesondere auch zur Arbeitszeit, in Relation zu nichtberuflichen Aspekten ihres Lebens. Die Universität Bamberg berichtet in einer Studie aus dem Jahr 201521 mit 7.000 Stellensuchenden, dass 85,9% der Befragten einen Arbeitgeber bevorzugen, der flexible Arbeitszeitmodelle anbietet, während in einer vergleichbaren Befragung aus dem Jahr 2004 dieses Kriterium nur für 27% der Befragten eine Rolle spielte. Eine dramatische Verschiebung innerhalb von nur elf Jahren.

Während diese Studie sowohl Absolventen als auch bereits Berufstätige umfasste, also auch generationsübergreifende Effekte abbildet, untersuchte eine Kienbaum-Studie aus dem Jahr 201522 gezielt die sogenannte „Generation Y“ (Geburtsjahrgänge aus dem Zeitraum 1980 bis 1995) und kam zu dem Schluss, dass 67% dieser Generation in ihrer persönlichen Gewichtung Familie und Freunde dem beruflichen Erfolg und der Karriere vorziehen.

Wir müssen also davon ausgehen, dass mit der fortschreitenden Verrentung der geburtenstarken Jahrgänge und vermehrtem Einfluss der Vertreter der Generation Y die Erwartung an mehr Kompatibilität zwischen Arbeit und Privatleben bei den Beschäftigten immer stärker steigt. Dies wird inzwischen auch in den Führungsebenen der deutschen Unternehmen so wahrgenommen. Eine Studie der Arbeitsgemeinschaft Zeitwertkonten in Zusammenarbeit mit der FAZ23 dokumentiert, dass aus Sicht der befragten 317 Geschäftsführer, Vorstände und Personalleiter den Mitarbeitern ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeitszeit und Freizeit immer wichtiger wird (siehe Abbildung 5).

Dieser Wertewandel bei den Mitarbeitern in Bezug auf den Stellenwert von Berufserfolg und Karriere zwingt Unternehmen insbesondere angesichts des Fachkräftemangels dazu, bei der Gestaltung von Arbeitszeiten zunehmend Rücksicht zu nehmen auf persönliche Belange der Mitarbeiter und vermehrte Anstrengungen zur Implementierung möglichst attraktiver Arbeitszeitmodelle zu unternehmen.

Abbildung 5: Zunehmende Bedeutung der Vereinbarkeit von Arbeit und Freizeit aus Sicht von Führungskräften deutscher Unternehmen24

Auf der anderen Seite gibt es einen Trend zu „Work-Life-Integration“ oder „Work-Life-Blending“. Hintergrund ist, dass in vielen Angestelltenbereichen zunehmend private Dinge während der Arbeitszeit erledigt werden (z.B. Social Media, Online-Bestellungen), gleichzeitig aber auch Arbeit in die Freizeit verlagert wird (z.B. Antwort auf eine E-Mail, während man an der Kasse steht, Teilnahme an einem Online-Meeting aus dem Urlaub heraus). Insgesamt bedeutet dies, dass Arbeitszeit nicht mehr komplett en bloc geleistet wird, sondern sich über den Tag Arbeits- und Freizeitphasen abwechseln. Man liest ggf. die erste E-Mail bereits beim Frühstück, geht dann ins Büro, macht zwischendurch Sport, geht von dort nach Hause, arbeitet im Homeoffice weiter, ggf. noch bis in den Abend hinein.

Nach einer Studie aus dem Jahr 201425 waren bereits zu diesem Zeitpunkt solche Vermischungen von Arbeitszeit und Freizeit weit verbreitet. Die Hälfte der befragten Arbeitnehmer haben demnach während ihrer Freizeit berufliche Telefonate geführt oder E-Mails bearbeitet und dies zum großen Teil auch freiwillig.

Anforderungen an Arbeitszeiten aus Sicht von Mitarbeitern

Der beschriebene Wertewandel führt dazu, dass Mitarbeiter zunehmend weniger bereit sind, bei ihrer persönlichen Zeitplanung eine vorgegebene Dominanz der Arbeitszeit zu akzeptieren. Sie möchten nicht in erster Linie ihre privaten Aktivitäten um eine durch den Arbeitgeber vorgegebene Arbeitszeit herum planen, sondern erwarten, dass ihnen ihr Arbeitgeber die Flexibilität gewährt, Arbeitszeiten so gestalten zu können, dass es zu ihren persönlichen Interessen passt.

Darüber hinaus gibt es weitere gesellschaftliche Trends (darunter einige, die wiederum von der demografischen Veränderung verstärkt werden), die eine mitarbeiterseitige Erwartung an flexible Gestaltungsmöglichkeiten der eigenen Arbeitszeit auslösen: